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Familienbande III: Ein netter Ausflug in den Wald

von Dawn

Kapitel 3

Nantahala National Forest

Montag

10:27 Uhr



Jemand spielte ein Trommelsolo in seinem Kopf, sein Körper fühlte sich an als ob er zehn Runden mit Mike Tyson gekämpft hätte und sein Mund fühlte sich an wie das innere seiner Laufschuhe. Aber weitaus schlimmer als diese körperlichen Torturen war die neblige Erinnerung daran, dass er Scully seine Gefühle in einer liebeskranken Beichte gestanden hatte. Vor Greys Augen. Mulder stöhnte und versuchte sein Gesicht im Schlafsack zu vergraben.



„Kaffee?“



Nur ein Hauch von Belustigung färbte ihre Stimme und wurde von einer liberalen Menge an Mitgefühl ausgeglichen. Vorsichtig öffnete Mulder ein Auge und zog scharf die Luft ein als ein Sonnenstrahl den Solotrommler durch ein Ensemble ersetzte. Trotz seiner Gummiarme schaffte er es sich aufzusetzen und für einen Moment tanzten helle Flecken vor seinen Augen und sein Magen drehte sich um. Dann umfasste eine weiche Hand seinen Nacken und etwas Festes wurde hinter seinen Rücken gepackt und stützte ihn. Mit einem dankbaren Grunzen akzeptierte er die dampfende Tasse und zwei Aspirin, die sie ihm in die Hand drückte.



„Geh’s langsam an.“, riet Scully ihm und ließ ihre Hand einen Moment verweilen bevor sie sich setzte und ihn bestimmt ansah. „Du hast gestern eine unbestimmte Menge an Blut verloren und wirst dich dementsprechend schwach fühlen. Kaffee ist nicht gerade das Beste für dich im Augenblick, aber ich hab hier nicht viel.“



Als sie den Blutverlust erwähnte, fasste Mulder sich mit der freien Hand an den Hals. Er befühlte den Verband und nahm einen langen Schluck der heißen Flüssigkeit zu sich.



„Es ist also wirklich passiert.“, murmelte er und seine Stimme klang rauh und dünn. „Es kommt mir alles vor wie ein seltsamer Traum. Ich hab die Mutter aller Kater.“ Seine Augen trafen Scullys bevor er wegscheute und das Lager betrachtetet.



„Wo ist Grey?“



Scully ignorierte sein offensichtliches Unbehagen – zumindest für den Augenblick. „Er ist nochmal dahin gegangen wo wir dich letzte Nacht gefunden haben. Er ist davon überzeugt, dass er das Ding angeschossen hat und sucht nach einer Blutspur.“



Mulder zog die Stirn in Falten , stellte die Tasse ab und massierte seine Schläfen. „Du hast ihn *allein* dahin gehen lassen? Was, wenn...?“



Scully presste ihre Lippen fest aufeinander und zog die Augenbrauen zusammen. „Was heißt hier *lassen*? Du machst Witze, oder? Die einzige Möglichkeit, wie ich ihn davon hätte abbringen können hätte meine Pistole mit einbezogen und das hätte bedeutet, es in der Familie zu lassen etwas zu wörtlich zu nehmen. Er ist genau so dickköpfig wie *du*, Mulder. Er ist überzeugt davon, dass die Kreatur nur nachts jagt und er hat wenigstens seine Waffe mitgenommen.“



„Okay, okay, tut mir Leid.“, sagte Mulder und streckte beschwichtigend die Hände aus. „Ich wollte dich nicht so anfahren. Mein Kopf tut weh und ich fühl mich einfach beschissen. Tut mir Leid, dass ich das an dir ausgelassen habe.“



Scully sah zu wie er ihr die Entschuldigung vortrug und es schaffte sie dabei nicht anzusehen. Sie schloss die Augen einen Moment und seufzte innerlich. *Du kannst nicht so tun als ob nichts passiert wäre und hoffen, dass ich es vergesse, Mulder. Diesmal nicht.*



„Was du spürst ist mehr als nur die Folgen des Blutverlusts.“, sagte sie laut. „Dieses Wesen hatte dich heftig mit Drogen voll gepumpt, Mulder. Wenn man so high ist, stürzt man auf jeden Fall irgendwann ab, das ist niemals angenehm.“



Mulder schluckte hart und seine Finger spielten ruhelos mit dem Reißverschluss seines Schlafsacks. Scully wusste, dass er sich an seine im Rausch gemachte Offenbarung erinnerte und es ihm zutiefst peinlich war. Die Regeln des komplizierten Spiels, welches sie die letzten sechst Jahre lang gespielt hatten besagten, dass sie die Spannung, die zwischen ihnen herrschte, ignorieren und so tun sollten, als ob nichts geschehen wäre. Es gab schon einige vorangegangene Ereignisse in diese Richtung, das letzte davon war der unterbrochene Kuss im Flur von seinem Apartment gewesen. Damals hatte sie sich an die Regeln gehalten und den Beihnahe-Kuss sowie die damit verbundenen Gefühle nicht weiter erwähnt. Sie hatte die Tatsache ignoriert, dass der Mann für sie ans Ende der Welt gegangen war und seine eigene Verletzung ignoriert hatte bis er schließlich zusammengeklappt war. Sie waren ja schließlich Partner, und Partner tun solche Dingen nun mal füreinander. Das gehörte zu ihren Aufgaben. Ja... klar.



Nun, offen gesagt hatte sie dieses Spiel satt. In den frühen Morgenstunden, als sie im Schein des Feuers sein schlafendes Gesicht betrachtet hatte, hatte sie eine Entscheidung gefällt. Komme, was wolle, Konsortium oder kleine graue Männchen, dieses Mal würde sie nicht nachgeben. Er hatte ihr seine Gefühle gestanden, zugegebenermaßen mit unvorhergesehener Hilfe. Jetzt war es an ihr reinen Tisch zu machen.



Sie räusperte sich. „Mulder. Wegen letzter Nacht...“



Der Ausdruck in seinem Gesicht war unbezahlbar. Sie hatte ihr Vampiren und Seeungeheuern ins Auge blickend gesehen, und dich hatte er niemals so panisch ausgesehen.



„Ich weiß, Scully, und es tut mir Leid. Ich war so high dass ich nicht wusste, wo ich war oder was ich gesagt habe. Lass uns so tun als ob es nie geschehen wäre, okay?“ Die Worte sprudelten von seinen Lippen wie Steine, die den Berg hinunter rollten, schneller und immer schneller bis sie am Ende einen bittenden Unterton hatten. Sein einziger Versuch ihr in die Augen zu blicken, war kläglich gescheitert und letztendlich starrte er stattdessen ihre Füße an.



Scully, die bis dahin an einen Baumstumpf gelehnt hatte, lehnte sich vor und legte ihre Hand über seine, beendete damit das endlose Spiel mit dem Reißverschluss. Für einen kleinen Augenblick wägte sie ihre Entscheidung erneut ab und überlegte, ihn vom Haken zu lassen. Aber die Erinnerung an sein Gesicht, als er ihr seine Gefühle gestanden hatte, tauchte wider vor ihrem geistigen Auge auf und bestärkte ihre Entscheidung.



„Willst du mir sagen, dass das alles nicht ernst gemeint war, Mulder?“, fragte sie leise und erlaubte nur den leisesten Hauch von Kränkung in ihrer Stimme. „Sagst du mir, dass es nicht wahr ist?“



Ihr sonst so beherrschter, selbstbewusster Partner stotterte tatsächlich.



„Nein! Ich meine, nicht wirklich. Was ich gesagt habe ist wahr, ich wollte nur... Sculleee!“



Sie sah ihn an, seine erröteten Wangen und wie er nervös auf der Unterlippe kaute, und entschloss sich, ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Sie hoffte zumindest, dass das der Effekt war den sie erzielen würde.



„Du bedeutest mir auch alles, Mulder.“



Seine Augen, die bis dahin einen kleinen Stein mit der Intensität eines erfahrenen Geologen betrachtet hatten, sahen auf und blickten ihr das erste Mal an diesem Morgen in ihre Augen. Sie erwiderte seinen Blick ruhig, gewillt sich ihm zu öffnen und ihm ihre Emotionen zu offenbaren, die sie so sehr gehütet hatte. Als er verstand weiteten sich seine Augen erst geschockt, dann füllten sie sich mit Tränen. Er senkte den Kopf in einem vergeblichen Versuch sie zu verbergen.



„Am Anfang warst du ein Fremder, Mulder. Jemand, von dem ich nur von Leuten gehört hatte, die dich auch nicht wirklich kannten. In jener Nacht in deinem Motelzimmer hast du deine Suche mit mir geteilt und wurdest mein Partner. Als sie versucht haben uns zu trennen, wurde mir klar, dass du mein Freund bist – mein bester Freund. Jetzt kann ich mir ein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen. Du glaubst du hast mir nur Schmerzen verursacht, aber das stimmt nicht. Du hast mich gelehrt, mich herausgefordert und mich niemals fallen gelassen. Seit langer Zeit bist du nicht nur mein Partner oder mein Freund gewesen und ich bin es Leid so zu tun als ob. Ich liebe dich, Mulder.“



Mulder wischte seine feuchten Augen mit seinem Ärmel ab bevor er aufsah und eine Miene ans Licht brachte, die es irgendwie schaffte Freude und Leid zu mischen. Er verhakte seine Finger in ihren und druckte sie an seine Lippen.



„Ich liebe dich auch, Scully. Mehr als ich jemals für möglich gehalten hätte. Ich glaube nur nicht, dass ich gut für dich bin.“



Scully lächelte – dasselbe Lächeln von dem Mulder immer geglaubt hatte, es wäre nur für Nahtoderfahrungen reserviert gewesen. „Ich bin schon ein großes Mädchen, Mulder. Ich denke, darüber kann ich selber entscheiden.“



„Unsere Feinde...“



„Unsere Feinde werden da sein ob wir diesen Schritt nun tun oder nicht. Sie haben in der Vergangenheit auch nicht gezögert, uns gegeneinander zu verwenden. Dies hier wird das nicht ändern. Ich bin es Leid gegen die Zukunft anzukämpfen, Mulder. Ich will *jetzt* etwas haben, etwas für uns, worauf DIE keinen Einfluss haben.“ Ihre Stimme zitterte mit der Intensität ihrer Sehnsucht und ihre Augen leuchteten.



Seine Antwort war kaum mehr als ein Flüstern. „Das will ich auch.“



Ihre Hand reichte hoch zu seinen Wangen und ihr Daumen strich über die rauhen Stoppeln. Als Antwort darauf nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände und lehnte sich näher bis sie die sanfte Liebkosung seines Atems auf ihren Lippen spüren konnte. Sie schloss die Augen und erwartete seinen Kuss aber urplötzlich erstarrte er und zuckte leicht zurück. Ihre Augen öffneten sich und ihre Brauen zogen sich verwirrt zusammen, als sie sah, dass seine Augen ihr Lager und den umgebenden Wald absuchten.



„Mulder!“, sagte sie scharf. „Was machst du?“



„Gibt es hier Bienenstöcke?“, frage er und zog spitzbübisch eine Augenbraue hoch.



„Nein.“



„Giftige Schlangen?“



„NEIN!“



„Menschenfressende Grizzlies?“



„Mulderrr!



Sein Mund senkte sich auf ihren noch während sie seinen Namen knurrte. Scheu und irgendwie zaghaft streiften seine Lippen über ihre bevor er sich zurückzog und sie ernst anblickte. Sie befeuchtete ihre Lippen und fühlte eine Welle der Freude über sich rollen, als seine Augen sich verdunkelten und seine Atmung schneller wurde. Mit einem schelmischen Grinsen rutschte ihre Hand von seiner Wange in seinen Nacken und zog ihn zu sich bis ihre Lippen sich wieder trafen.


Diesmal gab es keine Zurückhaltung mehr. Seine Hände vergruben sich in ihren Haaren und als er den Kuss vertiefte rutschte sie zu ihm herüber, so dass sie quasi auf seinem Schoß saß und ihre Körper eng aneinander gepresst waren. Seine Lippen waren weich und warm und als sie vorsichtig an seiner Unterlippe knabberte spürte sie sein Lächeln. Der Wald, die Kreatur und sogar die Zeit selber hörten auf zu existieren, als sie sich auf diese neue Art kennen lernten.



„Danke Jesus, ihnen ist endlich ein Licht aufgegangen.“



Greys Stimme traf sie wie ein elektrischer Schlag und Scully hätte Mulder vor Schreck fast in die Zunge gebissen. Sie sprangen schuldbewusst auseinander, keuchend und errötend. Grey mit erhobenen Armen stand am Rande der Lichtung, ein Lachen in seinem Gesicht und seinen Augen.



„‘Tschuldigung“, sagte er in einem Ton, der klar machte, dass er genau das nicht meinte. „Wenn wir zu Hause wären, würde ich noch ein paar Mal um den Block fahren. Aber hey, lasst euch nicht stören.“



Mulder schmollte und sah Scully an. „Ihm macht das eindeutig *viel* zu viel Spass.“



Grey grinste und ließ sich neben ihnen nieder. „Ich war gerade ein blutsaugendes Hundevieh jagen. Für mich sieht es eher so aus als ob ihr den Spass gehabt hättet.“



Scully versuchte ihr Lächeln mit ihrer Hand zu verdecken, aber Mulder verdrehte die Augen. „Du bist so ein Witzbold.“, sagte er sarkastisch. „Was hast du gefunden?“



Das zankende Grinsen verschwand aus Greys Gesicht. „Wenigstens eine meiner Kugeln gestern Nacht hat ihr Ziel getroffen. Was auch immer dieses Vieh ist, es hat ziemlich heftig geblutet. Es gibt eine beträchtliche Blutspur die durch den Wald nach Norden führt.“



Mulder pellte sich aus dem Schlafsack und kam auf seinen Füßen zu stehen. Er schwankte etwas und schloss kurz die Augen um die Doppelbilder los zu werden mit dem Erfolg, dass sie zu Dreifachbildern wurden. Grey war sofort neben ihm und packte ihn am Arm. Einen Moment lang akzeptierte Mulder die Unterstützung dankbar bevor er die Augen öffnete und seinen Bruder abschüttelte. Jetzt stand auch Scully und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn.



„Was glaubst du machst du da, Mulder?“



Mulder warf ihr einen genervten Blick zu und antwortete dann. „Ich packe unsere Sachen damit wir der Spur folgen können. Mit etwas Glück führt sie uns direkt zu dem Monstrum.“



Scullys Mund wurde zu einer grimmigen Linie und sie schüttelte vehement ihren Kopf. „Kommt nicht in die Tüte. Wir bringen dich zurück und lassen dich in einem Krankenhaus durchchecken. Wir wissen nicht wie viel Blut du verloren hast und du siehst aus wie der aufgewärmte Tod. Was du brauchst ist Bettruhe und Flüssigkeit.“



Mulder wackelte mit den Augenbrauen. „Ohhh. Bettruhe. Sorry, Scully, aber das muss warten. Ich kann Job und Vergnügen nicht mischen.“ Damit fuhr er fort seinen Schlafsack zusammen zu rollen.



Grey veranstaltete einen jämmerlichen Versuch sein Gelächter, welches nach seines Bruders Worten ausbrach, zu unterdrücken. Scully andererseits sah aus als ob sie Nägel kauen könnte. Sie presste ihre Kiefer aufeinander und stellte sich absichtlich auf den Schlafsack.


„Versuch nicht mir Honig ums Maul zu schmieren, Mulder. Ich werde nicht zulassen, dass du dir das antust. Wir kehren um.“



Mulder seufzte und sah Grey Hilfe suchend an aber sein Bruder schüttelte lediglich den Kopf und hielt beide Hände in die Höhe. „Uh-uh. Ich wird mich nicht einmischen. Meine Mama hat keinen Idioten großgezogen.“



„Feigling.“, knurrte Mulder. Er stand wieder auf und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, wobei er zusammenzuckte als er an die Beule kam. „Scully, mir geht’s gut. Ich bin etwas angeschlagen, ja. Ich bin auch etwas wund, natürlich. Aber ich kann das durchstehen.“



Sie wollte protestieren, aber er unterband das indem er zwei Finger sanft auf ihre Lippen legte. „Hör mir bis zum Schluss zu. Wir bekommen wahrscheinlich nicht noch so eine Chance, Scully. Dieses Ding ist verletzt, wahrscheinlich geschwächt und hinterlässt eine deutliche Spur. Wenn wir jetzt fortgehen ist es längst weg bevor wir zurück sind und es ist klug genug uns nicht ein zweites Mal so nahe herankommen zu lassen.“ Er sah sie an und flehte um Verständnis. „Es werden noch mehr Menschen sterben, Scully. Das können wir nicht riskieren. Bitte, ich kann das schaffen.“



Sie studierte sein Gesicht wobei ihr eigenes eine undurchsichtige Maske blieb. Zu guter Letzt stieß sie einen Luftstoß aus und ließ ihre Schultern hängen. „Ich weiß nicht wie du es immer schaffst mich rumzukriegen, Mulder. Okay, wir gehen weiter. Aber sobald ich das Gefühl habe, dass du Probleme hast, kehren wir um. Einverstanden?“



Er nickte todernst, aber seine Mundwinkel krümmten sich leicht und verrieten seinen Triumph. „Hey Scully, hat es funktioniert?“



Sie unterbrach ihre Packerei und blickte verwirrt auf. „Hat *was* funktioniert?“



„Das mit dem Honig ums Maul schmieren. Interessiert mich für zukünftige Ereignisse:“



„Halt die Klappe und pack, Mulder.“



„Yes, ma’am.“





Nantahala National Forest

Montag

16:20 Uhr



Als Mulder zum fünften Mal stolperte, presste Scully ihre Lippen fest zusammen um die Worte im Zaum zu halten, die ihr entweichen wollten. Worte wie „Sei nicht so verdammt stur, Mulder.“ und „Du brauchst eine Pause.“ Es brachte sie um zu sehen, wie er sich quälte – blasses Gesicht, dunkle Ringe unter den Augen uns Schweiß, der ihm von der Stirn tropfte. Und doch, immer wenn sie sich sicher war, dass er den Punkt erreicht hatte an dem er nicht mehr konnte und sie sich versucht fühlte, darauf zu bestehen, dass sie umkehrten, warf Mulder ihr einen Blick purer Entschlossenheit zu und sie verkniff sich jeden Kommentar.



„Ich habe Durst, lasst uns mal eine Pause machen.“, sagte Grey, nahm seine Baseballkappe ab und benutzte seinen Ärmel um sich den Schweiß vom Gesicht zu wischen. Als er an Scully vorbei ging, streifte er sie und drückte unauffällig ihren Arm.



Sie warf ihm ein dankbares Lächeln zu. Sie hatte verstanden, dass er Mulders Erschöpfung bemerkt hatte und die „Trinkpause“ eigentlich zum Wohle seines Bruders war. Mit der möglichen Ausnahme von Skinner war sie lange Zeit die einzige gewesen, die sich um ihren Partner kümmerte. Noch jemanden zu haben, der auf ihn aufpasste, war eine willkommene neue Erfahrung.



Mulder schloss die Augen und ließ sich an einem Baumstamm auf den Boden nieder. Sein Kopf schmerzte und seine Beine fühlten sich an als ob sie durch Sirup gegangen wären. Als er die Hand hob um eine Haarsträhne aus seinen Augen zu streichen, zitterte diese etwas und er legte sie schnell zurück in seinen Schoß damit Scully es nicht bemerkte. Er hatte ihren besorgten Blick den ganzen Nachmittag auf sich gespürt und hasste es, dieses spezielle Feuer noch weiter zu schüren.



Als ob seine Gedanken sie gerufen hätten setzte Scully sich neben ihm hin. Sie bot ihm eine Flasche Wasser und einen Müsliriegel an und stellte beides neben ihm auf den Boden als er keinen Versuch machte sich zu bewegen.



„Versuch das zu essen.“, sagte sie und lehnte sich an seine Schulter. „Es hilft gegen das Zittern.“



Erwischt. Er schluckte seine Würde runter und griff vorsichtig nach der Flasche, stolz, dass er sie im ersten Versuch öffnen konnte. Ihre Wärme an seiner Seite fühlte sich gut an und er rutschte ein bisschen um seinen Arm um ihre Schultern zu legen.



„Du bist eine gefährliche Frau, Scully.“, beobachtete er und schüttelte den Kopf. „Grey hat Recht. Ich denke ich sollte Angst vor dir haben.“



„Du brauchst keine Angst zu haben, Mulder.“, sagte sie ohne den Hauch eines Lächelns. „Bewahre nur einen gesunden Respekt.“



Er grinste und drückte ihr einen Kuss auf den roten Schopf. „Ich werde versuchen mich daran zu erinnern. Und falls es passieren sollte, dass ich es vergesse, bin ich sicher, dass du mich daran erinnern wirst.“



Sie spitzte die Lippen. „Darauf kannst du Gift nehmen.“



„Ich geh mich mal umsehen.“, verkündete Grey und verschwand im Grün.



Mulder seufzte und lehnte seinen Kopf an den Baum hinter sich. „Ich halte uns auf. Wir hätten diese Distanz in der Hälfte der Zeit schaffen sollen. Die Spur wird kälter und es wird bald dunkel.“



„Du gibst dein Bestes.“, sagte Scully. „Ärger dich nicht darüber. Ich hoffe nur dass wir das Ding bald finden. Ich bin nicht gerade scharf darauf noch eine Nacht hier draußen zu campen, während es hier herumschleicht.“



Bevor Mulder darauf antworten konnte, tauchte Grey keuchend; und mit vor Aufregung geweiteten Augen wieder auf. „Ich glaube, ich habe sein Lager gefunden. Da ist eine ziemlich große Höhle in dem Berg da vorne. Ich bin nicht hinein gegangen, aber es scheint tief hinein zu gehen. Es gab Blutspuren am Eingang.“



Ohne ein Wort nahmen Mulder und Scully ihre Rucksäcke ab und suchten nach ihren Taschenlampen. Grey tat es ihnen gleich. Die Waffen waren bereit und ihre Rucksäcke hatten sie zusammen an einem der Bäume gestapelt, alles ohne große Worte. Zu Scullys Vergnügen zeigte sich Mulder als die Stimme der Vernunft.



„Riskier da drinnen nichts, Grey. Ich weiß, du willst Steve finden, aber das Ding ist verletzt und in die Enge getrieben. Und hör auf keinen Fall auf sein Knurren oder guck in seine Augen. So hat es nämlich letzte Nacht mich erwischt.“



Grey steckte seine Waffe in den Bund seiner Jeans und betrachtete Mulder grimmig. „Mach dir um mich keine Sorgen. Ich habe nicht vor zuzuhören. Ich beabsichtige erst zu schießen und später die Fragen zu stellen.“



Grey drehte sich abrupt um und ging. Scully warf Mulder ein besorgtes Stirnrunzeln zu und folgte dann. Er schloss sich ihr an und versuchte die plötzliche, überwältigende Welle der Sorge zu bezwingen, die über ihn kam. Verschwommene Bilder tauchten rasend schnell vor ihm auf – wie Ertrinken in einem roten Bad, ein unglaubliches Gefühl von Frieden und Euphorie sowie das entfernte Brennen der Zähne, in sein Fleisch eindrangen. Er erschauerte und schluckte schwer.



„Alles okay?“, fragte Scully und er bemerkte auf einmal mit Scham dass sie sich neben ihn hatte zurückfallen lassen.



„Ja, mir geht’s gut.“



Sie zog eine Augenbraue hoch. „Die Regeln haben sich geändert, Mulder. Hab ich das nicht erwähnt?“



Er kicherte leise und es fühlte sich gut an, löste den Knoten in seinem Magen. „Okay, ich fühl mich ein bisschen spooky – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber nichts womit ich nicht umgehen könnte.“



„Bist du dir da sicher?“, fragte sie ohne vorwurfsvoll zu sein, aber mit aufrichtig gemeinter Sorge.



„Wirst du mir den Rücken decken?“, konterte er.



„Immer, Partner.“



Er lächelte süß. „Dann bin ich mir sicher.“



Der Kloß in ihrem Hals überraschte sie und sie klimperte schnell mit den Augen um die einschießenden Tränen zu stoppen. Mulder hatte sicherlich eine gewisse Arroganz und Unvernünftigkeit an sich, und es gab Tage, da fühlte sie sich versucht ihn zu erwürgen. Und dann drehte er sich um und sagte etwas mit solch süßer Ehrlichkeit dass es ihr die Sprache verschlug. Ihn zu lieben würde niemals einfach sein, aber auch niemals langweilig.



Sie traten auf eine kleine Lichtung wo der Eingang zur Höhle sich in einer felsigen Klippe auftat. Grey wartete auf sie, wobei er unruhig mit den Füßen scharrte und seine Taschenlampe schon angeschaltet hatte. Scully betrachtete sein Gesicht und hatte ein ungutes Gefühl bei dem, was sie da sah. Er war zu eifrig – zu bereit voran zu stürmen und seine normale Vorsicht in den Wind zu schießen. Skinners Warnung hallte ihn ihren Gedanken wider und bestätigte ihre böse Vorahnung.



Auch Mulder schaltete seine Taschenlampe an und sie tat es ihm widerstrebend gleich. Alle drei richteten ihre Lampen auf den Eingang der Höhle und ein schmaler, knapp zwei Meter breiter Gang zeigte sich, der nach fünf Metern wieder im Dunkeln lag.



„Ich hab ein sehr schlechtes Gefühl hierbei.“, murmelte Scully mehr zu sich selber als zu den anderen.



Mulder verstand die unausgesprochene Anspielung sofort und ein entzücktes Grinsen verdrängte den ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht. Grey war entweder zu sehr in seine Aufgabe vertieft oder erteilte die Leidenschaft seines Bruders für Starwars nicht. Er zog eine Waffe und ging ohne Kommentar in die Höhle. Er musste sich ducken, da die Decke zu niedrig war um seine über 1,80 m große Gestalt zu fassen.



Scully folgte ihm und Mulder bildete das Schlusslicht. Als er tiefer in die Höhle eintrat und das Tageslicht hinter ihm schwand hatte er das beunruhigende Gefühl als ob ein düsteres Monster ihn im Ganzen verschluckt hätte. Es war sicherlich *kein* beruhigender Gedanke. Die Wände und Decke waren aus solidem Granit, etwas nass durch die Kühle und die Luftfeuchtigkeit. Scullys feurigen Haare waren der einzige leuchtende Farbpunkt in der düsteren Umgebung, und er fand es seltsamerweise beruhigend.



Der Gang öffnete sich mit einem Mal in eine große, rundliche Kammer und sowohl Mulder als auch Grey konnten nun richtig stehen. Der Geruch traf sie sofort – der üble, süßliche Gestank von Tod und Verwesung standen förmlich in dem eingeschlossenen Raum. Auf der anderen Seite der Kammer zweigten zwei weitere Gänge ab die sich noch tiefer in den Berg zogen. Als sie die Kammer mit ihren Lampen durchleuchteten, fiel Scullys Lichtkegel auf einen Stapel Knochen in einer Ecke.



„Gib mir Rückendeckung“, sagte sie angespannt und deutete auf die beiden Gänge. Sie bewegte sich schnell zu den Überresten und kniete sich nieder um sie zu untersuchen, wobei sie aus ihrer Manteltasche ein Paar Latexhandschuhe zog.



Mulder richtete sein Licht auf den rechten Tunnel und blickte hier und dann aus den Augenwinkeln auf seine Partnerin. Grey ging ein paar Schritte um den anderen Gang zu bewachen, leuchtete aber weiterhin mit seiner Taschenlampe durch die Kammer. Scully, die über ihren Fund gebeugt war, blieb still.



„Red mit mir, Scully.“, rief Mulder. „Was hast du da?“



Ihre Stimme war angespannt. „Definitiv menschliche Überreste, und mehr als nur von einem Menschen. Manche sind nur noch Knochen aber andere sind...“, ihre Stimme verlor sich.



„Scully?“



„Es scheint als ob ihre Körper ausgetrocknet sind, Mulder. Ihr Zustand ist ähnlich dem der ägyptischen Mumien. Die Körperflüssigkeiten sind vollständig verschwunden, und somit verwest das Fleisch wesentlich langsamer.“ Ihre Stimme zitterte und verriet ihren Horror.



„Steve?“



Grey leuchtete auf etwas was nach etwas mehr aussah als nach einem Haufen Kleidung in einer anderen Ecke. Er verließ seine Stellung am zweiten Gang und ging erst, rannte dann dorthin und kniete auf dem Boden.



„Steve? Oh mein Gott, was hat es dir angetan?“, stöhnte er und beugte vor Trauer seinen Kopf.



Mulder, der die Trostlosigkeit in seines Bruders Worten hörte, drehte sich langsam zu ihm um – und dann war die Hölle los.



Scully hatte kaum Zeit die riesige Gestalt zu registrieren, die aus dem Gang, den Grey bewacht hatte, geschossen kam und sich auf ihren Partner stürzte. Ihr warnender Schrei veranlasste Mulder sich herumzudrehen, nur um den Aufprall frontal mit seinem Brustkorb aufzufangen. Er wurde umgestoßen und kam auf den Rücken zu liegen, wobei sein Kopf mit einem hörbaren Krachen auf dem Boden aufschlug. In der Sekunde, die Scully und Grey brauchten um ihrer Waffen zu heben, hatte sich ein geiferndes Maul mit rasiermesserscharfen Zähnen über Mulders Kehle positioniert. Ihr Partner lag schlaff da und reagierte nicht.



Das Biest war locker so groß wie ein Shetlandpony, bedeckt mit glänzendem, schwarzen Fell, das an der rechten Schulter matt vom Blut war. Die vier Beine endeten in Pfoten die mit nadelähnlichen Krallen besetzt waren und der wolfsähnliche Kopf hatte spitze Ohren und eine lange Schnauze. Scully blickte schnell weg von der großen, roten Augen.


„Schau nicht auf die Augen!“, warnte sie Grey scharf.



„Ich muss sie nur lang genug sehen um zu wissen, wohin ich die Kugel schicken muss.“, knurrte Grey mit Wut und unterdrückten Tränen in seiner Stimme. Sein Finger zog leicht am Abzug und das Biest drückte sofort seine Reißzähne in Mulders Hals. Scully sah das Blut fließen als einer davon die Haut ritzte.



„Grey, STOP!“, schrie Scully.



Er gehorchte sofort und wurde etwas blass als er seines Bruders Blut fließen sah. Mit einem warnenden Knurren begann das Biest sich rückwärts in einen der Gänge zurück zu ziehen, wobei es Mulder mitschleifte.



„Was sollen wir tun? Wir können ihn nicht dem Biest überlassen!“, rief Grey verzweifelt.



„Wenn wir uns bewegen reißt es ihm mit den Zähnen die Kehle raus. Mulder würde innerhalb von Minuten verbluten!“, entgegnete Scully, und versuchte verzweifelt die aufsteigende Panik zu besiegen während sie sich den Kopf darüber zerbrach um eine Lösung zu finden.



„Das würde ich eher riskieren als dass das Biest sich von ihm ernährt, so wie es es mit Steve gemacht hat!“, warf Grey gequält zurück.



Scully wollte gerade antworten als sie sah, dass Mulder leicht seine braun-grünen Augen öffnete und in ihre Richtung sah. Unendlich langsam schloss und öffnete er eines wieder als Versuch zu zwinkern. Sie biss sich fest auf die Lippen um ihre Tränen zu verbannen und erwiderte sein Zwinkern wobei sie drei Finger hochhielt.



„Eins.“, sagte sie leise und zuckte zusammen, als ihr Partner über einen scharfkantigen Stein gezogen wurde.



„Zwei.“ Die Kreatur war fast am Gang und wurde immer schneller.



„DREI!“



Mulder warf einen Arm so fest er konnte hoch und versetzte dem Biest einen Faustschlaf auf die Nase. Es ließ ihn instinktiv fallen und öffnete das Maul um vor Schmerzen und Wut zu jaulen, das einem das Blut in den Adern gefror. Schaum tropfte von seinen Kiefern als diese sich wieder Richtung Mulders entblößtem Hals senkten und er kniff in Erwartung der scharfen Reißzähne die Augen zusammen. Aber sie erreichten ihn nie. Scullys einzelner Schuss halle in der Höhle wider und mit einem Grunzen fiel das Biest bewegungslos auf Mulder nieder.



Es fühlte sich fast so an als sei eine Backsteinmauer auf seiner Brust zusammengebrochen. Als Scully und Grey es geschafft hatten, das Tier von ihm herunter zu ziehen, was Mulders Gesicht weiß vor Schmerz und er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Scully warf sich neben ihm nieder, zitternd vor Erleichterung, und versuchte gar nicht erst, die Tränen, die ihre Wangen hinunter liefen, zu verstecken.



„Wo tut es weh, Mulder? Bleib bei mir.“, drängte sie ihn und tastete sein Gesicht mit ihren Fingern ab bevor sie an seinem Nacken nach dem Puls fühlte.



Er wollte sich so gerne gehen lassen und in die Dunkelheit am Rande seines Blickfeldes eintauchen, aber er bemühte sich das zu tun, worum sie ihn bat. „Kopf. Brust.“



Obwohl sie versuchte so sanft wie möglich zu sein, konnte er sich den Schmerzensschrei nicht verkneifen, als sie an seine Rippen kam. Ihre Augen baten ihn um Verzeihung, welche die seinigen ihr gewährten. Sie strich ihm das Haar aus der verschwitzten Stirn bevor sie sprach.



„Gebrochene Rippen, Schatz. Beweg dich nicht.“ Sie drehte sich zu Grey um und warf ihm einen fragenden Blick zu.



„Es ist tot.“, sagte er leise. „Bleib du bei ihm während ich Hilfe hole. Wenn ich Glück habe, kann ich morgen gegen Mittag zurück sein. Schafft ihr das über Nacht?“



Scully nickte, sah sich jedoch um. „Aber nicht hier. Ich mag es gar nicht, ihn zu bewegen, aber ich weigere mich die Nacht neben *dem* da zu verbringen. Wir können draußen auf der Lichtung unser Lager aufschlagen.“



„Ich mach das. Lass mich die Sachen vorbereiten, dann helfe ich dir ihn zu transportieren.“ Er legte seine Hand sanft auf Mulders Kopf. „Halt durch, kleiner Bruder.“



Mulders Augen waren glasig vor Schmerz aber er lächelte Scully zu. „Hast mich ‚Schatz‘ genannt.“, flüsterte er.



Scully wurde rot. „Hab ich das?“



Seine Augen fielen ihm zu. „Ja. Ich mag das.“



Sie rieb leicht mit ihrem Handrücken über seine Wange, was ihn vom Rande der Bewusstlosigkeit zurückholte. „Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung, Mulder. Versuch wach zu bleiben.“



Er schaffte es schmollend die Lippe vorzustülpen. „Nur, wenn du mich so nennst.“



Sie war augenblicklich überwältigt, sowohl von der reinen Kraft ihrer Liebe für ihn als auch von der Erkenntnis, dass sie ihn fast verloren hätte. „Dann bleib bei mir, Schatz.“



Sein Lächeln kehrte zurück wie die Sonne, die hinter einer Wolke auftauchte. „Für immer. Versprochen.“
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