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Familienbande III: Ein netter Ausflug in den Wald

von Dawn

Kapitel 1

Familienbande III – Ein netter Ausflug in den Wald

Nantahala National Forest

North Carolina

22:45 Uhr



Der Mann seufzte zufrieden und schmiegte sich in einer komfortableren Position an den Stamm. Für einen Augenblick betrachtete er die golden tanzenden Flammen und spürte deren Wärme in seinem Gesicht, obwohl er die Kälte des Abends in seinem Nacken spürte. Er schlug den Kragen hoch und fuhr damit fort das Stück Holz in seinen Händen mit einem scharfen Messer zu bearbeiten, glücklich wegen dieser Aufgabe alles um sich herum vergessen zu können.



Er war ein komplexer Mann – ein Individuum mit vielen Talenten und Interessen. Die Seele eines Künstlers wohnte direkt neben dem Hirn eines Wissenschaftlers und dem Herzen eines Naturmenschens. Elemente von all diesen drei Dingen hatten ihn heute Nacht in den Wald gezogen, aber für den Moment hatte er sich in Ersteres vertieft und das Holz veränderte sich willig durch die Aufmerksamkeit, die er ihm widmete.



Das laute Knacken eines Astes irgendwo in der Dunkelheit durchbrach die Stille und erschreckte ihn so, dass er mit dem Messer abrutschte und sich dieses tief in seine Hand bohrte. Der Schmerz und der plötzliche Blutfluss ließen ihn verhalten fluchen und er ging zu seinem Rucksack am Rande der kleinen Lichtung und durchwühlte diesen. Als er endlich das Erste-Hilfe-Täschchen gefunden hatte, waren sowohl seine Kleidung als auch der Waldboden blutrot getränkt.



Er kniete neben dem Rucksack nieder und wickelte gewissenhaft den Verband um die Wunde, als er mehr Rascheln und Äste knacken hörte, dieses Mal sehr nahe. Er erstarrte und lauschte angestrengt den leisen Geräuschen die jemand oder etwas verursachten, der sich anschlich, die von jenseits des Feuerscheins kamen. Das leise Knacken, das dem folgte, ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Eine Mischung aus Ärger und Angst stellte sich ein, als ihm auffiel, dass er sein Gewehr mit dem Messer an dem Baumstumpf gelassen hatte. Er hatte es in der Eile fallen gelassen um die Blutung an seiner Hand zu stillen.



Der Mann erhob sich langsam in der Absicht zu seinen Waffen zurück zu kehren, aber das leise Knurren wurde zu einem lauten Fauchen und zwei rote, in der Dunkelheit schwebende Augen erschienen. Die roten Augen starrten die seinen intelligent an und der Mann fühlte sich seltsam verpflichtet ein paar zögerliche Schritte in die Dunkelheit zu machen anstatt in die ursprünglich geplante Richtung zu gehen. Ein friedvolles Gefühl löschte seine Furcht aus und er war wie verzaubert, versank in diesen Augen wie in kühlendem Wasser. Das Fauchen änderte sich wieder, diesmal wurde es zu einem Summen, das ihn anlockte und ihm versicherte, dass er nichts zu befürchten hatte.



Das scharfe Brennen von nadelähnlichen Klauen, die seine Haut durchbrachen, fühlte sich weit entfernt an, so als ob es jemand anderem passieren würde, und das überwältigende euphorische Gefühl, das über ihn kam, ließ ihn müde lächeln. Als die messerscharfen Zähne sich in seinen Hals bohrten machte er keinerlei Anstalten sich zu wehren.





Apartment 42

Hegal Place

21:47 Uhr



Bruce Willis explodierte in einem Blitz aus weißem Licht und Scully prustete los, aber nicht ohne die Augen vorher zu verdrehen. Mulder zog eine Augenbraue hoch und sah sie aus den Augenwinkeln an.



„Ja Scully. Wollen Sie was mit der Klasse teilen?“



„Das ist so vollkommen lächerlich, Mulder! Man kann sehen, dass das alles erfunden ist! Es ist schier unmöglich, dass so viele Dinge gleichzeitig schief gehen.“



Obwohl seine Schulter schon Kontakt zu ihrer hatte, lehnte Mulder sich noch näher zu ihr, sodass seine Lippen fast ihr Ohr berührten.



„Scully, das ist ein Film und nicht eine meiner Theorien. Sie müssen nicht alle Unbeständigkeiten herausfiltern.“, flüsterte er.



Scully gelang es kaum ihr unwillkürliches Zittern damit zu kaschieren, dass sie eine Haarsträhne hinters Ohr klemmte, welches noch vom warmen Atem ihres Partners kribbelte.



„Naja, ich kann auf jeden Fall sehen, warum man es science *fiction* nennt. Das nächste Mal suche *ich* den Film aus, Mulder.“



Das Klingeln des Telefons verhinderte eine passende Antwort von Mulder. Er schob die fast leere Popcornschüssel in Scullys Schoß, stand auf und nahm den Hörer ab während er sich auf dem Schreibtischstuhl niederließ.



„Mulder.“



Scully sah wie sein Gesicht freudig aufleuchtete. „Hey, ich wollte dich am Wochenende anrufen. Was ist mit dem Spiel von letzter Nacht? Du schuldest mir zehn Kröten.“



Scully erhob sich und deutete ihrem Partner an, dass sie die Schüssel in die Küche bringen würde. Sie strahlte. Es gab keinen Zweifel daran wer am anderen Ende der Leitung war. Mulder reagierte nicht auf jeden so. Als sie die Schüssel ausspülte und in die Spülmaschine tat, dachte sie über Grey nach und die kleinen aber feinen Änderungen, die sie in Mulder über die letzten Monate entdeckt hatte.



In den 6 Jahren, die sie Fox Mulder kannte hatte er immer diese Aura der Einsamkeit um sich gehabt. Obwohl es sie traurig machte hatte sie es als untrennbar von ihm akzeptiert. Sie wusste, dass ihre Mutter es fühlte. Margaret Scully hatte bis auf eine Adoption alles getan um Mulder in die Familie aufzunehmen. Er hatte ihr Bemuttern dankbar und mit Humor angenommen, aber die Leere blieb – bis Grey kam.



Nach dem etwas holprigen Start hatte sich ihre Beziehung langsam vertieft, wurde gestärkt durch Mulders fast tödliches Abenteuer mit Sara Ross und in Stein gemeißelt durch Greys Besuch fast einen Monat später. Sie hatte sich an Grey gewandt als Mulders Alpträume außer Kontrolle gerieten, aber nicht mit dem Ergebnis gerechnet. Nicht nur hatten sich ihres Partners Alpträume auf ein Niveau gelindert, mit dem er umgehen konnte. Er hatte sich ihr ein paar Nächte später offenbart und zum ersten Mal bestätigt, was sie insgeheim vermutet hatte – eine Misshandlungsgeschichte aus seiner Kindheit, welche ihn noch heute verfolgte.



Jetzt war Mulders Einsamkeit durch eine ruhige Zufriedenheit ersetzt worden. Er war immer noch ein Mann, der mehr als nur seinen Anteil an Dämonen bekämpfte und einen Hang dazu hatte, sich schuldig zu fühlen, aber dies wurde von seinem neu gefundenen Glück in Schach gehalten. Grey konnte zwar nicht das Loch füllen, welches Samantha in seinem Leben hinterlassen hatte, aber er reduzierte die Größe desselben gewaltig.



„Ich würde mindestens einen Dollar für diese Gedanken bezahlen.“



Scully schrak auf als Mulders amüsierte Stimme ihre Träumerei durchbrach. Er lehnte in der Küchentür, ein leises Lächeln auf den Lippen, die Augen sanft auf sie gerichtet. Sie errötete als ihr klar wurde, dass er sie auf frischer Tat beim Träumen erwischt hatte.



„Naja, ich habe gerade über Grey nachgedacht“, gab sie zu und trocknete ihre Hände mit einem Handtuch ab bevor sie sich zu ihm umdrehte. Sie war etwas überrascht zu sehen, dass er die Stirn verärgert runzelte und die Arme abwehrend vor der Brust verschränkte. Sie bemerkte wie ihre Worte geklungen haben mussten und grinste. „Ich meine damit über Ihre Beziehung zu ihm.“, verbesserte sie. „Ich freu mich nur so für Sie, Mulder.“



Der Ärger verschwand und er latschte rüber zur Anrichte und setzte sich darauf. Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Er sah aus wie ein kleiner Junge, so wie er da saß und seine langen Beine baumeln ließ, die fast noch den Boden berührten. Er bemerkte ihr Grinsen und klopfte auf den Platz neben ihm.



„Hier ist noch Platz, Kurze – falls diese kurzen Beine Sie so hoch befördern können.“



Scully widerstand dem unwürdigen Impuls, ihm die Zunge heraus zu strecken und warf ihm lediglich ihren berühmten Blick zu. Sie sah ihm an, dass Greys Anruf mehr war als nur der Routine-Hallo-Wie-Geht’s-Dir-Anruf wie sonst. Also ließ sie sich neben ihm nieder und wartete gespannt.



„Grey lässt grüßen“, begann er und baumelte mit den Beinen so dass seine Fersen gegen die Schranktüren trommelten. „Er fragt immer nach Ihnen, wenn er anruft, wissen Sie? Ich denke immer noch, dass die entfernte Möglichkeit besteht, dass er Sie heiß findet, Scully.“



Er blickte sie durch seine langen Wimpern an und ihre Lippen zitterten sich zu einem Grinsen.


„Wie geht es ihm?“



„Ihm geht’s gut – okay, das stimmt nicht ganz. Er hat nicht nur angerufen um zu fragen, wie das Wetter hier ist, Scully.“ Mulder hielt inne und kaute kurz auf seiner Lippe bevor er fortfuhr. „Er macht sich Sorgen. Er hat versucht das zu verbergen, aber ich weiß es trotzdem. Er hat angerufen, um uns um Hilfe zu bitten.“



Eine Linie bildete sich zwischen ihren blauen Augen, ihre Art *Komm auf den Punkt, Mulder* zu sagen. „Womit? Noch ein Serienmörder?“



Seine Miene verriet nichts, aber sie konnte fühlen, wie er zusammenzuckte. „Nein, um Gottes Willen. Nein“, sagte er hastig. „Es handelt sich um etwas, was mehr in unser Repertoire fällt, und ich weiß dass es ihn umbrachte das über die Lippen zu bringen. Er ist in etwas verwickelt, was tatsächlich eine X-Akte sein könnte.“



Scully zog beide Augenbrauen so hoch sie konnte bis sie fast unter ihrem rotbrauen Haar verschwanden und senkte den Kopf. „Sie machen Witze.“



Mulder grinste spitzbübisch und hob seine rechte Hand wie zum Schwur. „Ehrlich. Er faxt uns die Informationen ins Büro damit ich Skinner morgen früh den 302 einreichen kann.“ Er wurde ernst. „Aber auch wenn Skinner das nicht erlaubt fahre ich hin, Scully. Wenn nötig nehme ich mir halt Urlaub.“



Scully studierte sein Gesicht. „Hört sich ernst an.“



„Das ist es für Grey auch. Es scheint als ob es einen Anstieg an verschwundenen Leuten im Nantahala National Forest gibt. Das ist...“



„Ein Teil der Great Smoky Mountains“, beendete Scully. „Ich kenne die Gegend. Ich war sogar schon ein oder zweimal da wandern.“



„Dann wissen Sie sicher, dass da eine gewisse Anzahl an verschwundenen Leuten pro Jahr üblich ist. Sie entscheiden sich in die Wildnis zu gehen und stürzen sich Hals über Kopf darein. Dann kommen sie vom Weg ab, müssen sich den Elementen geschlagen geben – und sogar Angriffe von Schwarzbären wurden schon berichtet. Aber Grey zufolge ist diese Zahl in den letzten sechs Monaten drastisch gestiegen.“



„Wie drastisch?“



„Über 200 Prozent.“



Scully schwieg einen Moment und runzelte dann die Stirn. „Okay, ich sehe, dass es da ein Problem geben könnte. Aber warum glauben Sie, dass es sich um eine X-Akte handeln könnte? Und wie ist Grey darin verwickelt? Nantahala ist doch ein Stück außerhalb der Gesetzgebung eines Raleigher Mordkommissars.“



Mulder seufzte und strich sich mit einer Hand durch die Haare. „Die X-Akte ist, dass kürzlich jemand gefunden wurde, der über eine Woche verschwunden war. Ein Mann namens Nilesh Patel wurde bewusstlos auf einer der kleinen Straßen die sich durch die Berge winden, entdeckt. Er war unterkühlt, was zu erwarten war, denn die Nächte sind immer so um den Nullpunkt, aber seine anderen Symptome waren... ungewöhnlich.“



„Die da wären?“



„Naja, die Tatsache dass sein Blut eine ähnliche Substanz enthielt wie eine Mischung aus Alkohol und einem von den Narkosemitteln, die auf Morphium aufbauen – zumindest soweit sie das testen konnten. Sein Blutvolumen war um über 40 Prozent verringert und als man ihn fand, war er in einem hypovolemischen Schockzustand.“



Sie erkannte, dass da noch mehr war. Er verhielt sich wie ein kleines Kind welches das erste Mal einen Witz erzählt und nun begierig auf die Reaktion war damit er die Pointe setzen konnte. Sie seufzte resigniert. „Weiter, Mulder. Lassen Sie mich nicht zappeln.“



Er grinste, und das war ihr ihre Irritation wert. „Es gab keine großen Wunden, Scully. Keine große Verletzung irgendeiner Art. Bloß vier kleine Wunden wie von Nadelstichen über seiner Halsvene.“



Scully schürzte die Lippen und war sich dem seligen Blick ihres Partners bewusst als sie diese Information verdaute. „Vielleicht sind diese Wunden die Ursache für den Blutverlust. Wir könnten hier tatsächlich nur über einen weiteren Serienmörder reden, Mulder.“



„Ich habe diese Möglichkeit in Erwägung gezogen, genau wie Grey. Aber, und bitte korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, für diese Art des Vorgehens würde eine hochentwickelte Ausrüstung unter hygienischen Bedingungen von Nöten sein.“ Auf Scullys Nicken hin sprach er weiter. „So wie Patel aussah, hat er den Wald aber nicht verlassen. Seine Kleidung war total verdreckt und zerrissen und er war offensichtlich längere Zeit den Elementen ausgesetzt, da einige seiner Zehen Erfrierungen hatten.“



„War es ihm möglich der Polizei mitzuteilen, was ihm widerfahren ist?“



Mulder schüttelte den Kopf. „Grey zufolge erinnert er sich an rein gar nichts was in diesen Tagen passiert ist, und das was er in Erinnerung hat sind größtenteils Halluzinationen. Nicht überraschend wenn man bedenkt was er alles für Chemikalien im Blut hatte.“


„Vielleicht hat er diese Chemikalien sich ja selber verabreicht.“, überlegte Scully während sie an die Wand starrte und krampfhaft nach einer Erklärung suchte. „Vielleicht wollte er sich einfach nur zudröhnen und...“



„Er ist Moslem, Scully, ein strenggläubiger – kein Alkohol, keine Drogen. Und er war da draußen zum Zelten mit seiner Frau. Sie wurde noch nicht gefunden.“



Scully massierte ihre rechte Schläfe in einem fruchtlosen Versuch die Kopfschmerzen loszuwerden, die sich dort spürbar aufbauten. „Und was wollen Sie damit sagen, Mulder? Sie haben offensichtlich eine Theorie für all dies. Was ist es? Vampire? Werwölfe?“



Zu ihrer Überraschung plazierte er seine Hände auf ihren Schultern und drehte sie etwas, bis sie ihm den Rücken zuwandte. Als er sie zufriedenstellend positioniert hatte fing er an seine Daumen in sanften Kreisen über ihren Nacken und ihre Schultern zu streichen. Sie verspannte sich erst aber ließ sich schnell darauf ein, ihn gewähren zu lassen und ihre verspannten Muskeln entspannten sich.


„Vampire setzen ihre Opfer nicht unter Drogen, Scully“, wies er sie sanft zurecht als ob Ihren gesunden Menschenverstand nicht benutz hätte. „Und Werwölfe schlagen nur bei Vollmond zu. Ich weiß nicht was sich im Nantahala-Wald angesiedelt hat, aber ich kann garantieren, dass es kein Serienmörder ist.“



Scully ließ ihren Kopf hängen um Mulder besseren Zugang zu einem besonders beanspruchten Muskel zu geben, als sie sich an etwas erinnerte.



„Das erklärt weshalb Sie glauben, dass es sich um eine X-Akte handelt, Mulder. Aber Sie haben noch nicht erwähnt, inwiefern Grey darin verwickelt ist. Warum ist er so an diesem Fall interessiert?“



Sie hörte ihren Partner tief seufzen und drehte sich um, um sein Gesicht zu studieren. Er kaute wieder auf seiner Lippe und sah bedrückt aus.



„Er hat einen guten Freund namens Steve Northrop, welcher ein Ranger im Great Smoky Mountains National Park ist. Es ist sicher, dass Steve von diesen Vorfällen gehört hat und sich, nachdem er mit Patel gesprochen hatte, entschieden hatte seine eigene Expedition zu machen.“



Scully schloss ihre Augen und schüttelte langsam ihren Kopf. „Und seitdem hat man nichts von ihm gehört.“



„Das war vor zwei Wochen“, sagte Mulder traurig. „Steves Familie hat total aufgelöst bei Grey angerufen und ihn gebeten sich das anzugucken. Grey ist ziemlich erschüttert darüber. Er und Steve sind zusammen aufgewachsen.“



„Das erklärt weshalb Sie freiwillig Ihren Urlaub dafür opfern, wenn es nötig sein sollte.“, schloss Scully.



Mulders Augen waren grau und stumm, so wie sie es von ihm kannte, wenn er sich in anderer Leute Schmerz hineinversetzte. „Das bin ich ihm schuldig, Scully. Er war für mich da, als ich ihn brauchte.“



„*WIR* sind ihm das schuldig, Mulder. Ich hab das nicht vergessen, glauben Sie mir das.“



Mulder Lächeln über ihre Entschlossenheit wurde zu einem schelmischen Grinsen als er von der Anrichte herunter rutschte und sich vor sie stellte. „Also, was sagen Sie, Partner? Wie wäre es mit einem netten Ausflug in den Wald?“



Die Bilder, die dieser Satz hervorrief, ließen Scully stöhnen und sie rutschte ebenfalls von der Anrichte. „Sie packen das Insektenspray, Mulder“, sagte sie trocken. „Ich werde mein Repertoire von Three Dog Night mitbringen.“





Hoover Gebäude

Büro von A.D. Skinner

Samstag

8:30 Uhr



Mulder setzte sich auf dem Stuhl zurecht, entschlossen nicht zu zappeln. Links von ihm war Scully der Inbegriff an Professionalität – ruhig, gesammelt und unendlich geduldig als Skinner jede einzelne Seite von Greys Fax mit einer Aufmerksamkeit zum Detail durchlas, die einen verrückt machen konnte. Mulder schaffte es gerade noch seine Finger davon abzuhalten ungeduldig auf der Stuhllehne zu trommeln und faltete seine Hände in seinem Schoß. Die federleichte Berührung an seinem Arm ließ ihn zu Scully aufschauen.



*Entspannen Sie sich* sagte ihr Blick eindeutig.



Endlich legte Skinner das letzte Blatt beiseite und seufzte. Er nahm die Brille ab, drückte seinen Nasenrücken und setzte sie dann wieder auf. Sein Blick streifte kurz über Scully und verweilte dann auf Mulder.



„Offen gesagt, Agent Mulder, ist das etwas an den Haaren herbeigezogen. Außer der verworrenen Aussage eines Mannes und ein paar seltsamen medizinischen Daten finde ich hier nichts was darauf hinweist, es könne sich um eine X-Akte handeln. Wie Sie selber betont haben sind vermisste Personen in dieser Gegend nicht ungewöhnlich.“



„Aber die Zunahme an Vermisstenfällen...“



„Ich stimm zu, dass das einer Untersuchung bedarf, aber ich sehe nicht warum das FBI darin involviert werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt finde ich den Fall beim Park Service besser aufgehoben.“



„Und was genau soll das heißen, Sir? Wie lautet Ihre Entscheidung?“, sagte Mulder mit einem leicht unverschämten Unterton.



Skinners Unmut verriet sich nur durch die zusammengebissenen Zähne und das leichte Zucken seiner Gesichtsmuskeln – seine Stimme blieb leise und bestimmt.



„Das Ende vom Lied ist, dass ich mehr brauche um Ihnen einen 302 zu genehmigen. Ich weiß nicht wer Ihre Quelle ist, aber er muss sich schon mehr Mühe geben eine paranormale Tendenz zu beweisen.“



Mulder biss sich auf die Lippe und starrte auf einen Punkt oberhalb von Skinners rechter Schulter. „Dann würde ich gerne offiziell Urlaub nehmen, beginnend heute.“, sagte er knapp. „Ich werde die Sache in meiner Freizeit verfolgen.“



Skinner krauste die Stirn und studierte das steinerne Gesicht seines Agenten bevor er kurz den Kopf schüttelte. „Mulder, ich...“



„Das letzte Mal als ich nachgesehen habe war das, was ich in meiner Freizeit mache, meine Sache, Sir. Haben Sie ein Problem damit?“



Scullys Hand lag wieder auf seinem Arm und diesmal drückte sie ihn kurz. „Mulder. Immer mit der Ruhe.“



Skinners braune Augen blickten von Mulder zu seiner Partnerin und wieder zurück. Er stand von seinem Stuhl auf, ging entschlossen um seinen Schreibtisch herum und lehnte sich gegen die Vorderseite desselben, alles, ohne den Kontakt zu Mulders herausforderndem Blick zu brechen.



„Auf dieser Seite des Schreibtisches spreche ich nicht als A.D. zu Ihnen, Mulder. Ich spreche als ein Freund.“ Seine Stimme war überraschend sanft und geduldig, alle Spuren seines vorherigen Ärgers verschwunden. „Ich verspreche, das bürokratische Gedöns beiseite zu lassen wenn Sie dieses Problemkind-Gehabe sein lassen und mir sagen, was hier wirklich los ist. Was ist an diesem Fall so verdammt dringend, dass Sie mich an einem Samstag hierher bestellt haben und sogar willens sind Ihre Freizeit dafür zu opfern?“



Mulders Widerstand wurde gebrochen von der Erinnerung an Skinner bedingungslose Unterstützung nach dem Tod seiner Mutter. Er hatte ihm die Nachricht schonend und voller Mitgefühl überbracht, er war zur Beerdigung erschienen und hatte sogar geholfen ihre Sachen durchzugehen. Skinner hatte mehr als nur seine Freundschaft bewiesen und verdiente wes, die ganze Wahrheit zu erfahren.



„Einverstanden“, sagte er dann mit sanfter, reumütiger Stimme. „Sie haben Recht, da ist noch mehr. Diese Information stammt von Grey, und deiner seiner Freunde ist unter den Vermissten. Er hat dessen Familie zugesagt in dem Fall zu ermitteln und hat uns um Hilfe gebeten.“



Trotz der Sympathie in seinen Zügen schüttelte Skinner den Kopf. „Das ist eine schlechte Idee, Mulder. Greys Verbindung zu einem möglichen Opfer kann seine Urteilsfähigkeit und Objektivität beeinflussen. Es gibt einen Grund weshalb Ärzte keine Familienmitglieder operieren und im Polizeidienst ist das nicht anders.“



Mulder rieb seine Hände durch sein Gesicht und verschränkte sie dann unterm Kinn. „Das habe ich ihm letzte Nacht gesagt, Sir. Er wollte nicht zuhören. Er kann vollkommen dickschädelig sein, wenn er sich auf eine Sache eingeschossen hat.“



„Liegt in der Familie“, murmelte Scully verhalten.



Mulder blitzte sie gequält an aber Skinners Mundwinkel zuckten amüsiert. „Das merk ich.“



Er erhob sich wieder und ging erneut um den Tisch herum, um sich in seinen Stuhl niederzulassen. Ohne weiteren Kommentar nahm er seinen Kugelschreiber und unterschrieb unten auf dem Formular, um es dann auf den Stapel zu faxender Blätter zu legen. Mulders Gesichtsausdruck zeigte eher Erleichterung als Genugtuung.



„Danke, Sir.“



„Danke Sie mir nicht, Mulder. Ich habe das unterschrieben, weil Sie ein guter Agent sind und ich Ihrer Urteilsfähigkeit in diesem Fall vertraue. Enttäuschen Sie mich nicht. Und passen Sie auf, dass Ihr Bruder nicht die Perspektive verliert.“



Er wartete bis beide Agenten sein Büro verlassen hatten und lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück, rieb sich die Augen in dem Versuch den beginnenden Mulder-Kopfschmerz einzudämmen. Die Ironie der Situation war ihm nicht entgangen und er lachte resigniert vor sich hin.



*Ich habe gerade einen Mulder losgeschickt um einen anderen im Zaum zu halten* dachte er. *Gott helfe uns allen.*





Raleigh-Durham International Airport

Samstag

13:10 Uhr



Es war offensichtlich, dass Grey auf heißen Kohlen saß. Er umarmte sie flüchtig als sie aus dem Flugzeug ausgestiegen waren, aber Scully war klar, dass er Mühe hatte seine Fassade der Normalität aufrecht zu erhalten. Sein unruhiges Verhalten war ein scharfer Kontrast zu seinem normalerweise ruhigen und gelassenem Temperament und verdeutlichte nur seine Ähnlichkeit mit Mulder. Sie beobachtete wie er nervös auf und ab lief, während sie auf ihr Gepäck warteten. Seine Hände hatte er in den Jackentaschen vergraben und versuchte so sie unter Kontrolle zu halten. Aus dem Augenwinkel sah Scully, dass auch Mulder ihn beobachtete und dabei seine Stirn in Sorgenfalten legte. Sie war nicht die Einzige, die Greys Veränderung wahrgenommen hatte.



Fast hätte sie ihr Gepäck verpasst und schaffte es im letzten Moment sie Taschen vom Laufband zu klauben. Im Auto schien Grey etwas zu entspannen und fuhr zu seinem Haus nach Eagle Rock. Scully hatte Mulder bereitwillig den Beifahrersitz überlassen, nicht nur wegen seiner langen Beine sondern auch wegen seiner Gabe zuhören zu können. Grey sah ganz aus wie ein Mann der sich etwas von der Seele reden musste.



„Erzähl mir mehr von Steve“, sagte ihr Partner leise nachdem sie ein paar Minuten schweigend gefahren waren. „Ihr seid zusammen aufgewachsen?“



Greys Griff um das Lenkrad wurde fester aber seine Stimme blieb gleichmäßig. „Ja. Wir waren Nachbarn als wir zur Grundschule gingen und unsere Familien blieben auch nachdem die Northrops in eine andere Stadt, etwa eine Stunde entfernt, umgezogen waren in Kontakt. Er war...“ Grey stockte und fuhr dann fort, „*ist* ein ungewöhnlicher Typ. Ich hab noch nie jemand anderen wie ihn kennengelernt. Er war in allem gut, was er gemacht hat – und das war eine Menge. Er ist ein unglaublich begnadeter Künstler, ein brillianter Wissenschaftler und die Frauen überschlugen sich fast um bei ihm zu sein. Und obendrein ist er so eine nette Person, dass du ihn noch nicht mal dafür hassen kannst, dass er so perfekt ist.“



„Du sagtest, seine Familie habe dich angerufen. Ist er verheiratet?“



Grey nickte abrupt. „Frau und zwei kleine Mädchen, drei und ein Jahr alt“, sagte er schroff.



Scully sah wie Mulder ein paar Minuten aus dem Fenster starrte. Als er wieder seinen Bruder ansah, leckte er sich nervös über die Lippen.



„Hat er eine gute Ehe?“



Greys Augen wurden klein und seine Knöchel wurden weiß. „Was zum Teufel ist das für eine Frage? Ja, er hat eine gute Ehe, aber ich sehe nicht wie...“



Er verstummte, zog den Wagen abrupt auf den Seitenstreifen und stieg in die Bremsen. Dann drehte er sich in seinem Sitz zu Mulder hin und sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich seine kaum kontrollierte Wut. „Was sagst du da – dass er seine Frau und seine Kinder verlassen hat? Dass das, was er Jackie gesagt hat, dass er die Situation in Nantahala prüfen wollte nur ein Vorwand war? Hast du mir überhaupt zugehört, was ich dir eben gesagt habe? Steve würde so etwas niemals tun - *niemals*! Wie kannst du es wagen, das anzunehmen! Wenn das die Art Hilfe ist, die ich von dir erwarten kann, Fox, dann wäre es vielleicht besser, wenn du augenblicklich umkehrst und zurück nach D.C. fliegst.“



Grey riss die Tür auf und stapfte durch das Feld welches an die Straße grenzte. Nach etwa dreißig Metern hielt er an und starrte in die Ferne, seinen Rücken absichtlich dem Auto und seinen Insassen zugewandt. Mulder seufzte, schloss die Augen und ließ sich in seinem Sitz herunter rutschen bis sein Kopf gerade noch über die Lehne ragte.



„So viel zu meiner Fähigkeit brüderliche Unterstützung zu geben.“, murrte er.



Scully lehnte sich zwischen den zwei Sitzen vor und drückte seine Schulter. „Es ist nicht Ihr Fehler, Mulder.“



Er öffnete ein Auge einen Spalt und blinzelte sie an. „Wie meinen Sie das? Er war sowieso schon angespannt wegen des Verschwindens seines Freundes und ich habe gerade Steve’s Moral in Frage gestellt. Ich habe sprichwörtlich das rote Tuch vor dem Stier geschwenkt, Scully.“



„Sie haben eine Frage gestellt, die gestellt werden musste. Eine, die kein Ermittler, der etwas auf sich hält, übergangen wäre.“, antwortete Scully fest. „Wenn Grey nicht so persönlich davon betroffen wäre, würde er das auch so sehen. Skinner hatte Recht, Mulder. Er ist zu nahe dran und wir passen besser auf ihn auf, sonst gibt das eine riesige Katastrophe.“



Mulder stöhnte und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Ich hasse es wenn Skinner Recht hat.“



Scully konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Auf geht’s, Mulder. Reden Sie mit ihm. Sie wissen, wie das ist die Kontrolle zu verlieren und etwas zu sagen, was man nicht so meint. Sie haben das oft genug selber getan.“



Mulder warf ihr einen vorwurfsvollen Schmollblick zu, aber er richtete sich auf und stieg aus dem Auto. Langsam ging er zu Grey, und achtete darauf, dass dieser ihn auch hörte.



„Sag nichts“, sagte Grey, weiterhin in den Horizont starrend. „Tut mir Leid, dass ich so in die Luft gegangen bin. Ich weiß, dass du nur deinen Job machst – den Job, den *ich* dich gebeten habe zu tun.“



„Ja, aber ich war nie wirklich für meinen Takt bekannt“, gab Mulder zu, ebenfalls auf das Feld hinaus blickend.



Greys Mund zuckte und er drehte ihm endlich den Kopf zu. „Neeee! Echt?“



Sie standen eine Weile in zweisamer Stille bevor Grey wieder sprach. „Ich weiß, dass du das fragen musstest, Fox. Aber du musst mir glauben wenn ich sage, dass ich diesen Mann *kenne*. Wenn er nicht zu seiner Familie zurückgekehrt ist, dann ist es, weil er nicht konnte. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das ängstigt.“



Mulder drückte die Schulter seines Bruders sanft, unbewusst Scullys Geste aus dem Auto nachahmend. „Ich kann nicht versprechen, dass alles in Ordnung kommen wird, Grey. Aber ich werde alles in meiner Macht stehende tun um dir helfen ihn zu finden.“



Grey rubbelte mit seinem Ärmel über seine Augen und musterte dann ein leichtes Lächeln zusammen. „Ich könnte nicht mehr verlangen, Fox. Danke.“





St. Alexius Hospital

Sonntag

10:37 Uhr



„Ich habe diese Geschichte schon so oft erzählt. Warum fragt jeder immer die gleichen Fragen?“



Nilesh Patels Haut war blässlich, seine Stimme dünn und lustlos. Seine schwarzen Augen wanderten zum Fenster, als ob weder Mulder noch Grey interessant genug wären.



„Wir verstehen dass Sie dies Leid sein müssen, Mr. Patel“, sagte Mulder in einem beschwichtigenden Ton. „Aber den Bericht von jemand anderem zu lesen ist nicht dasselbe wie es von Ihren Lippen zu hören. Wir könnten etwas heraushören, was den anderen entgangen ist.“



Ein kurzer Schmerz huschte über Patels Gesicht und er schloss seine Augen. „Wir sind circa 10 Kilometer in den Wald gewandert und haben dort gecampt. Ich erinnere mich daran mit Jayshree am Feuer gesessen zu haben. Das nächste was ich weiß ist, dass ich im Krankenhaus bin und dass sie mir sagten, dass sie Jay nicht finden können. Ende der Geschichte.“



Mulder knirschte frustriert mit den Zähnen aufgrund der Frivolität des Mannes. „Bei allem Respekt, Sir, sind die Chancen Ihre Frau zu finden verschwindend gering, wenn Sie uns nicht wenigstens versuchen zu helfen.“



Die Passivität verschwand und Patel fixierte Mulder mit einem stechenden Blick. „Was ist denn Ihr Interesse daran, Agent Mulder? Warum sind ein FBI Agent aus Washington und ein Polizist aus Raleigh mit dem Verschwinden meiner Frau beschäftigt?“



„Weil ich auch jemanden verloren habe.“, sagte Grey leise bevor sein Bruder antworten konnte.



„Ihre Frau?“



Mulder sah das kurze Zucken, aber Grey blickte dem Mann in die Augen und schüttelte den Kopf. „Ein sehr guter Freund. Wir sind zusammen aufgewachsen. Er ging in den Wald um der Ursache für das Verschwinden auf den Grund zu gehen.“



Patels harte Gesichtszüge wurden weicher und die Falten auf seiner Stirn glätteten sich. „Das tut mir Leid.“ Er seufzte tief. „Legen Sie los. Stellen Sie Ihre Fragen.“



Grey und Mulder tauschten fragende Blicke aus bevor Mulder das Wort ergriff. „Was ist das Letzte, an was Sie sich am Lagerfeuer erinnern können? Denken Sie an Geräusche, Gerüche und andere sensorische Empfindungen.“



Patel schien noch tiefer in die Kissen zu sinken und schloss die Augen. „Ich erinnere mich an den rauchigen Geruch des Feuers, die kühle Luft und die Wärme von Jays Körper neben meinem. Ich erinnere mich daran, dass mein Bein schmerzte. Ich war vorher auf ein paar Steine gefallen und hatte mir eine fiese Wunde zugezogen.“



„Was ist mit Geräuschen? Erinnern Sie sich an ungewöhnliche Geräusche?“



„Nein, nur die normalen Waldgeräusche – eine Eule, rascheln im Unterholz...“



Er verstummte und legte seine Stirn in Falten. Er öffnete die Augen wieder, starrte aber ins Leere so als ob er krampfhaft versuchte sich an etwas zu erinnern. „Ich erinnere mich an etwas. Ein... ein leises Knurren. Aber es war nicht wie ein Knurren, dass ich schon mal von einem wilden Tier gehört habe. Es war...“



„Es war was?“, stocherte Grey und seine Finger fassten das Bettgitter fester.



„Es war nicht bedrohlich. Es war die Art Knurren, die eher beruhigend als beängstigend ist.“ Patels Stimme hatte einen träumerischen, melodischen Klang angenommen und Grey blickte Mulder mit hochgezogenen Augenbrauen an.



„Haben Sie nach der Quelle dieses Geräusches gesucht?“, fragte Mulder mit leiser, nicht aufdringlicher Stimme. „Könnten Sie etwas gesehen haben?“



„Augen“, sagte der Mann, wieder mit diesem seltsamen, abwesenden Ton. „Rote Augen. Sie waren wunderschön. So warm und tief.“



Da Patel nicht fortfuhr forschte Mulder: „Und was ist dann passiert?“

Als ob ein Schalter betätigt worden war klappte Patel die Augen auf und versteifte sich. „Das habe ich Ihnen schon gesagt. Danach erinnere ich mich an nichts mehr, bis ich hier aufwachte. Sind Sie jetzt endlich fertig? Ich bin müde.“



Grey sah Mulders leises Nicken und antwortete. „Ja, wir sind fertig, Mr. Patel. Vielen Dank, dass Sie unsere Fragen beantwortet haben. Sie sind sehr hilfreich gewesen.“



Patels Gesicht zeigte Zweifel aber er focht Greys Worte nicht an. „Finden Sie sie, Detective McKenzie – Jay und Ihren Freund. Niemand verdient es einfach zu verschwinden und vergessen zu werden.“



Greys Lippen wurden schmal aber seine Stimme blieb gleichmäßig. „Wir werden unser Bestes tun, Sir.“



Draußen im Gang hielt Grey inne und stoppte Mulder indem er ihm seine Hand auf die Brust legte. „Wie machst du das? Der Typ ist wenigstens fünf Mal befragt worden aber keiner hat diese Informationen aus ihm heraus bekommen.“



Mulder zuckte mit den Achseln und senkte den Kopf. Ihm war die Bewunderung in seines Bruders Stimme etwas peinlich. „Keine große Sache. Ich habe nur festgestellt, dass, wenn man jemandem sagt er möge sich auf sensorische Wahrnehmungen konzentrieren anstatt den Ablauf der Dinge zu schildern, man unterdrückte Erinnerungen aufdecken kann.“



Grey ließ sich nicht abschrecken. „Scully sagte du wärst sehr gut darin. Sie hatte Recht.“



Mulder scharrte mit den Füßen. „Ich glaube ich hab einen Wasserspender im Aufenthaltsraum gesehen. Ich bin gleich wieder da.“



Grey sah ihm verblüfft nach. Er starrte immer noch den Flur entlang als das laute Klacken von Absätzen auf Linoleum ihn auf Scullys Rückkehr vom Labor aufmerksam machte, wo sie Patels Blutwerte untersucht hatte.



„Wo ist Mulder?“, fragte sie.



„Er sagte, er brauche einen Schluck Wasser.“, antwortete Grey. Er studierte Scullys Miene. „Er ist nicht besonders gut darin, ein Kompliment anzunehmen, oder?“



Ihre Verwirrung löste sich sofort in Verständnis auf. „Nein“, stimmte sie ihm nachdenklich zu. „Nein, ist er nicht. Ich glaube nicht, dass er damit viel Erfahrung gesammelt hat als er aufgewachsen ist.“



Es war nicht nötig diese Anspielung genauer zu erklären. Grey blies verärgert die Backen auf und grinste Scully dann an. „Ich denke mal jetzt liegt es an uns dass sich das ändert.“



Scully legte ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn leicht während Erleichterung und Dankbarkeit sie durchfluteten. Es war schön zu wissen, dass sie nicht mehr alleine damit war ihren Partner zu unterstützen. Sie dachte erneut wie viel Glück Mulder hatte diesen Mann zum Bruder zu haben.



In diesem Augenblick erschien Mulder wieder, zog die Augenbrauen zusammen und ließ die Mundwinkel hängen als er Scully mit ihrer Hand auf Greys Arm und dem warmen Lächeln auf ihren Lippen sah. Scully zog ihre Hand hastig zurück und trat einen Schritt zur Seite. Grey grinste nur als er sah wie sich bei Mulder die Nackenhaare aufstellten.



*Hey, hey, kleiner Bruder*, dachte er amüsiert. *Du bist fürchterlich besitzergreifend in Bezug auf jemanden, der nur deine beste Freundin ist. Daran müssen wir definitiv arbeiten.*



„Was haben Sie herausgefunden, Scully?“, fragte Mulder und stellte sich absichtlich zwischen seinen Bruder und seine Partnerin.



„Etwas das ich nicht erwartet habe. Kommt schon, wir gehen besser in den Aufenthaltsraum um zu reden.“



Ihre Neugierde war geweckt und sie folgten ihr in den leeren Aufenthaltsraum wo sie Photokopien von Labordaten ausbreitete. Mulder und Grey blickten ihr über die Schulter und betrachteten die Dokumente bis Grey schließlich verstohlen seinen Bruder anblickte und mit den Schultern zuckte.


„Tut mir Leid, Dana. Das könnte genau so gut Russisch sein, ich versteh kein Wort.“



Scully zeigte auf das erste Blatt Papier welches eine Anzahl von chemischen Symbolen und Zahlen enthielt. „Das ist die Analyse der Blutprobe. Da war nichts Neues außer der Präsens einer unbekannten Komponente. Diese Komponente ist so angelegt, dass sie im Groben den Effekt einer unter Alkohol und Betäubungsmitteln stehenden Person imitiert. Wo auch immer Mr. Patel in diesen acht Tagen war, er hat keinen Schmerz verspürt.“



„Ich denke, da steckt noch mehr dahinter, Scully.“, mutmaßte Mulder, der immer noch die Zahlenkolonnen anstarrte. „Was auch immer das Verschwinden der Leute verursacht, es benutzt eine Kombination von chemischen und psychologischen Faktoren um die Opfer ruhig zu stellen. Mr. Patel zeigte alle Zeichen von jemandem, der hypnotisiert wurde.“



Scully zog eine Augenbraue hoch, aber Grey schüttelte vehement den Kopf. „Er hat Recht. Du hättest den Mann sehen sollen – er war plötzlich völlig weggetreten als wir bei ihm waren. Er erzählte knapp ihre Konversation mit Nilesh Patel und sein seltsames Verhalten.



Mulder beobachtete das Gesicht seiner Partnerin während Grey sprach und bemerkte die verschiedenen Emotionen, die schnell über ihre Züge huschten. Skepsis wurde zu Überraschung und dann zu einer vorsichtig unterdrückten Aufregung.



„Was gibt’s, Scully?“, fragte er als Grey fertig war. „Sie sehen aus als wüssten Sie etwas, das wir nicht wissen.“



Als Antwort zeigte Scully auf ein Blatt mit anderen Daten, welches auf dem Tisch lag. „Das ist die Analyse der Haut, die die Stichwunden an Patels Hals umgibt. Sie zeigt Anzeichen für Nekrose – das ist Gewebstod – und Kontamination durch Mikroben. Mir kamen ein paar der Bakterien komisch vor und deshalb habe ich ein paar eigene Tests durchgeführt. Dabei kamen kleine organische Moleküle zum Vorschein, sowie eine hohe Konzentration an Proteinen – Amylase, Lipase und Zystatin, um nur einige zu nennen.“



„Deutsch, Scully“, stichelte Mulder sanft und genoss ihren Enthusiasmus.



„Alle zusammen deuten auf eine Sache hin, Mulder. Speichel.“ Sie betrachtete ihre Gesichter und genoss den Kontrast. Grey starrte sie nur an wohingegen Mulders Augen vor Freude strahlten.



„Scully, wollen Sie etwa sagen diese Stiche könnten BISSE sein?“



Scullys Lippen zuckten leicht ob seines schlecht kaschierten Entzückens. Ein Mulder auf der heißen Spur einer X-Akte war ein froher Mulder. Sie hoffte nur dass er sich daran erinnerte, dass einer von ihnen eine sehr persönliche Verbindung zu diesem speziellen Fall hatte. Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte blickte Mulder Grey an und wurde wieder ernst.



„Nachdem ich die Photos untersucht habe wurde ich sagen dass sie sicherlich die Charakteristika von Bissspuren darstellen. Das Fleisch ist an den Rändern etwas ausgerissen und gezackt und nicht glatt, wie man es vom Stich eines Objektes erwarten würde.“



„Menschlich?“



Scully saugte ihre Unterlippe in ihren Mund und zögerte. „Ich bin kein Experte“, sagte sie schließlich. „Aber ich glaube nicht. Ich würde auf eine Art Tier tippen.“



„Wenn es ein Tier ist, dann ist es keines welches ein Mensch je gesehen hat“, grübelte Mulder.



Greys Blick sprang zwischen den beiden hin und her als sie sprachen. Seine Augen waren immer noch weit vom Schock und sein Mund war offen. „Das wird mir zu seltsam hier. Wollt ihr mir sagen, dass da eine Art Tier durch den Nantahala Wald läuft welches die Leute betäubt und hypnotisiert bevor es ihr Blut trinkt?“



„Naja, ich denke eher dass die Hypnose vor dem Betäuben passiert. Auf diese Art kann es nahe genug kommen um den Biss oder den Kratzer zu setzen, welcher das Betäubungsmittel verabreicht.“, antwortete Mulder und bemerkte kaum seines Bruders Fassungslosigkeit.



„Wie könnt ihr zwei hier so ruhig sitzen und darüber diskutieren als ob ihr über’s Wetter sprecht?“, forderte Grey entrüstet.



Mulder starrte ihn ausdruckslos an aber Scully verstand. „Das ist unser Job, Grey – das machen wir jetzt seit über sechs Jahren. Ich denke es ist unvermeidbar dass wir von bizarren Ereignissen nicht mehr so geschockt werden. Es tut mir Leid wenn dich das stört.“



„Ich weiß, ich weiß... Strudelwürmer“, murrte Grey und seufzte dann. „Okay, ich kann damit umgehen. Lasst uns nur anfangen, damit es nicht zu spät wird und wir eine weitere Nacht warten müssen.“



Das leise Stirnrunzeln welches Scullys Missfallen darstellte, erschien zwischen ihren blauen Augen. „Ich bin mir immer noch nicht sicher ob das eine gute Idee ist. Greys Freund hat danach gesucht und jetzt suchen wir nach ihm. Vielleicht sollten wir gucken ob einer von den ortsansässigen Polizisten mitkommen kann.“



„Wir haben mehr Informationen als Steve hatte, und mehr Übung“, wandte Mulder ein. „Zu viele Leute im Wald werden wahrscheinlich dafür sorgen, dass das Ding auf Distanz bleibt.“



„Er hat Recht“, stimmte Grey zu. „Die Tatsache, dass es ein Tier zu sein scheint, bedeutet, dass es sehr wahrscheinlich alleine vorgeht. Ein Raubtier attackiert die Schwachen, nicht die Starken.“



Scully sank zurück in ihren Stuhl und stöhnte. „Ich gebs auf. Es war schlimm genug als nur Mulder versucht hat mich auf hirnrissige Aktionen einzulassen. Und jetzt hab ich euch beide am Hals!“



„Hirnrissig? Scully, das verletzt mich“, sagte Mulder vorwurfsvoll.



„Dich? Was ist mit mir? Sie hat mich gerade in dieselbe Kategorie gesteckt wie einen Typen der sein Brot damit verdient Außerirdische zu jagen.“, stellte Grey entrüstet fest.



„Und worauf willst du hinaus...?“



Scully schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Genug! Ich gebe auf. Lasst mich nur diese Kopien zurück in die medizinische Akte stecken und dann können wir gehen.“



Sie sammelte die Blätter vom Tisch zusammen und stampfte den Flur entlang, wobei sie etwas von vererblich im allgemeinen und Mulder-Männern im speziellen knurrte. Mulder und Grey tauschten eine Blick aus bevor Mulder seine Hand zum Einschlagen hochhielt.



„Wo warst du als ich dich in den letzten sechs Jahren brauchte?“, fragte er und grinste. „Ich hätte womöglich mehr Auseinandersetzungen wie diese gewonnen.“



„Was hast du denn bisher gemacht, wenn sie nicht nachgegeben hat?“, fragte Grey stirnrunzelnd.



Mulder zuckte mit den Achseln und sah ihn verlegen an. „Ich hab sie stehenlassen und bin allein gegangen. Ich habe mich bemüht mich zu ändern.“



Grey zog beide Augenbrauen hoch. „Du hast sie *stehenlassen*? Du bist entweder viel mutiger oder viel dümmer als ich dachte, kleiner Bruder. Nach allem was ich von diesem Rotschopf gesehen habe, hast du damit dein Leben aufs Spiel gesetzt.“



Mulder lächelte und seine Züge wurden weicher, was Grey als sein „Scully Gesicht“ erkannte. „Da liegst du richtig. Und ich hab die Narben um das zu beweisen. Erinnere mich daran und ich werds dir mal erzählen.“
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