World of X

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Die erste Blume des Frühlings

von therees

Kapitel 3

J. Edgar Hoover – Building, Washington D.C.

07:30 Uhr

Montag



Ich wollte nicht zurück ins J.Edgar Hoover Gebäude. Ich wollte nicht unser Büro nicht mehr betreten. Ich wollte mir ein Erdloch schaufeln und mich darin begraben oder mich in die Reihen der NASA Astronauten schmuggeln um auf schnellstem Weg den Planeten zu verlassen.

Doch es war Montag morgen und ich hatte keine Wahl. Mit unruhigen Fingern ließ ich eine Brausetablette in mein Wasserglas fallen mit der ich meine quälenden Kopfschmerzen zu behandeln gedachte. Kurze Zeit später machte ich mich doch auf den Weg in Richtung Arbeit. Was wenn ich Adrian über den Weg laufen würde? Was wenn er gleich in der Cafeteria auftauchen würde? Auf jeden Fall würde ich jegliche Aufforderung Mulders bezüglich einer Zusammenkunft boykottieren und mich mit Proviant bewaffnet in unser Büro einbunkern. Nach dem gestrigen Abend glaubte ich nicht dass Adrian noch einmal einen Fuß dort hinein setzen würde.









Fox Mulders Apartment, Washington D.C.

22:50

Sonntag





In den Jahren in denen Fox Mulder alleine gelebt hatte, hatte er sich ein beachtliches Repertoire an Freizeitbeschäftigungen zugelegt, die er in seinen Workaholic- Pausen zum Einsatz kommen ließ um abschalten und nicht mehr nachdenken zu müssen. Zu tief gruben sich die Ereignisse seiner Außendienstreisen in seine Gedanken und wirksame Ablenkung war für einen FBI Agenten lebensnotwendig. Das Leben ohne Frau war hart. Niemand, der ihn abends mit Anekdoten aus dem Alltag auf andere Gedanken brachte, niemand mit dem er an Sonntagen durch den Park spazieren konnte, keine liebevolle Stimme die ihn nach einem seiner Alptraum beruhigte und zurück in den Schlaf sang.

Mulder hatte gelernt damit zu leben. Er hatte auch gelernt dass es nur wenige Menschen gab, mit denen er seine Gedanken zu teilen vermochte und sich dabei verstanden fühlte. Kaum jemand hatte Einsicht in die dunkle, vielschichtige Welt auf die ihn seine Mitarbeit im FBI gestoßen hatte. Bis auf Scully. Sie kannte alle Fakten. Sie wusste um jede Träne seines verbitterten Kampfes, jede falsche Fährte, die er als richtig betrachtet und jedes verlorene Stück Hoffnung dass er auf dem Weg zurück hatte lassen müssen. Scully.

Er dachte an den Vortag und das Gesicht seiner Partnerin, als sie einen der wassergefüllten Plastiksäcke hochhob und die glitschigen, kleinen Goldfische darin mit großen Augen musterte. Er musste lächeln. Auf dem Bildschirm folgte eine Szene der nächsten und Mulder sprach in Gedanken den ihm nur zu bekannten Text mit.

Vom Küchentisch kam ein leises Summen.

Knurrend hievte er sich von seiner Couch und schlenderte die Arme durchstreckend auf sein Telefon zu, um abzuheben. Adrian sagte ihm das Display in schwarzen Buchstaben, doch als er den Lautsprecher an sein Ohr presste, hörte er erst mal nur Musik und ferne Stimmen.

„Adrian? Bist du da?“

„Hey Mulder. Ich bins. Ich sitze im Bakers . Ich trinke.. noch ein Schluck.. nur ein…“

Die Stimme seines Kollegen tauchte wieder irgendwo in die Menge und er vernahm das Rauschen. Dennoch, die wenigen Worte die er gehört hatte, erweckten eine leichte Besorgnis in ihm. Fox Mulder hatte einen sechsten Sinn für Situationen in denen etwas nicht stimmte.

„Adrian? Wo bist du? Geht es dir gut, soll ich vorbei kommen?“

„Bakers.. ich, ich trink einen, nur noch eins..“

Mulder griff sich seufzend an die Stirn. Offensichtlich war Adrian mittlerweile stark alkoholisiert und es erschien ihm sinnvoll der nahe gelegenen Bar einen Besuch abzustatten und den New Yorker nach Hause zu bringen. Adrian hatte schon in ihren Studienjahren dazu geneigt, Probleme jeglicher Art in Alkohol zu ertränken und daran hatte sich offensichtlich nichts geändert.





15 Minuten später betrat Mulder das Bakers, ein Kellerlokal in dem er immer wieder gerne selbst am Tresen Platz nahm und mit dem er Adrian Clark schon Freitag Abend bekannt gemacht hatte. Er fand jenen nach einem kurzen Raumschwenk am hinteren Ende der Bar. Mit gesenktem Kopf lauschte er den Ausführungen des neben ihm platzierten Gastes und schien so in seine Tätigkeit versunken, dass er Mulder erst in dem Moment bemerkte als jener seinen Arm auf Adrians Schulter legte.

„Na? Alles klar du?“

„Hey. Ja…nein.. ich trink noch einen. Mulder, was macht die Liebe alter Freund?“

„Du hast mich angerufen, weißt du noch? Komm, setzen wir uns doch dort drüben hin,“ bestand Mulder und zerrte auffordernd am Ärmel seines Gegenübers um ihn von seinem Gesprächspartner abzulenken und an der Ausnüchterung arbeiten zu können.

Gemeinsam setzten sie sich an einen kleineren Tisch im hinteren Teil des Lokals und Mulder bestellte ein Bier für sich und ein großes Glas Wasser für seinen schwankenden Freund, der es wirklich bitter nötig hatte.

„Mann.. was machst du denn? Warum betrinkst du dich den Sonntag Abend alleine hier im Bakers? Hättest mich doch schon viel früher anrufen können. Ist alles in Ordnung?“

„Ich versteh´s nicht. Ich bin so bescheuert weißt du. Wie komme ich auf die Idee. ich versteh´s nicht.“

„Wovon redest du? Du musst dich besser erklären, wenn du von mir Rat haben willst. Na komm schon, spuck´s aus. Was läuft den schief, Freitag schien doch noch alles in Ordnung zu sein? Hat dich deine Ex-Frau angerufen?“

Er hätte lieber nicht gefragt. Jahre später, wenn er an diesen Augenblick zurückdachte überkam ihn noch Übelkeit und er wünschte, er hätte den Mund gehalten oder wäre erst gar nicht ans Telefon gegangen.

„Nein, ich.. darf´s nicht erzählen. Und ich.. ich hab es versprochen.“

„Was darfst du nicht erzählen? Wem überhaupt? Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung wovon du sprichst.“

„Dir darf ich nicht erzählen…“

„Was darfst du MIR nicht erzählen.“ Dieser Satz erweckte Mulders Neugierde zu über einhundert Prozent. Wenn er etwas wissen MUSSTE, dann Dinge die man ihm vorzuenthalten versuchte. Es war zu spät für einen Rückzug.

„Ich soll nicht..“

„Komm schon Adrian. Wie lange kennen wir uns. Du rufst mich völlig besoffen an und hast dir ausmalen können, dass ich dich hier nicht allein versauern lasse und dann darf ich plötzlich an einem Ratespiel teilnehmen? Nun sag schon was Sache ist… es ist schon in Ordnung, vertrau mir.“

„Agent Scully.“ Adrian schloss verschämt die Lippen und starrte auf die Tischplatte als hätte er gerade einen seltenen Schmetterling getötet.

„Was ist mit Scully?“

Keine Antwort.

„Adrian!“

„Sie ist. Ich weiß nicht. In New York war sie ganz anders..“

Die Kellnerin stellte Wasser und Bier vor den beiden ab und Mulder spürte einen leichten, unangenehmen Schmerz in seiner Magengegend.

„Was meinst du damit? Anders?..“

Zum ersten Mal seit sie sich an den Tisch gesetzt hatten hob Adrian seinen Blick und sah seinem alten Kollegen in die Augen.

„Als sie in New York war haben wir uns einige Male getroffen. Und ich hab meine heilige Regel gebrochen: niemals etwas mit einer FBI Mitarbeiterin anzufangen. “

Mulder spürte den Schmerz plötzlich nicht mehr. Er hatte das Gefühl gar nichts mehr zu spüren. Als wäre er völlig leer und ohne Inhalt.

„Du und Scully? Ich dachte ihr habt euch flüchtig getroffen! Sie hat KEIN Wort gesagt.“

„Wir haben nie über dich gesprochen. Ich hatte keine Ahnung dass sie dich kennt.. und.. ich schätze sie.. hat das gar nicht gut aufgenommen.“

Leere. Gähnende Leere und zwei Augenhöhlen aus denen er tapfer weiterblickte. Und eine Zunge, die sich schwer und sämig anfühlte, als er ihre automatische Bewegung im Takt seiner Worte hörte.

„Was war in New York? Hast du mit ihr.. ? Er konnte den Satz nicht vollenden. Spürte das Schwinden seiner Kontrolle, ein unerträgliches Bedürfnis aufzustehen.

„Mulder. Du siehst nicht gut aus..“ Agent Clark schien binnen der letzten Sätze zurück in die allmähliche Ernüchterung gefunden zu haben und legte nun seinerseits seine Hand auf Mulders Arm „Hey. Alles klar mit dir?“

„Ich verstehe gar nichts mehr.“

„Ich habe sie auf einem Meeting getroffen. Sie hielt dort einen Vortrag über.. Wir haben nur ein paar Sätze ausgetauscht. Ich fragte sie ob sie bereit wäre in Unterlagen einzusehen und gab ihr meine Karte. Ich fand sie sofort umwerfend… wirklich umwerfend und ich war in einer seltsamen Phase damals, du weißt schon, mit der Scheidung.. Ich dachte nicht sehr rational- oder konnte nicht mehr rational denken, als sie dann am nächsten Tag vor meiner Türe stand.. „ Adrian lachte bitter „Es war mir wirklich ernst mit ihr, doch sie wollte nicht „emotional involviert werden“. Ich verstehe nicht wie du täglich mit ihr arbeiten kannst, ich verstehe es wirklich nicht. Diese Frau hat mich in komplett um den Verstand gebracht.. ich hab mich aufgeführt wie der letzte Steinzeitmensch. Ich sag´s dir. ganz ehrlich. Sie hat mich damals halb krank gemacht. Und sie macht es schon wieder. Heute vor ein paar Stunden, so gegen acht, war ich im Hauptgebäude um noch eine Akte zu holen. Da sah ich sie draußen auf dem Parkplatz. Ich weiß, das.. wird dir nicht gefallen. Aber ich Idiot.. bin zu eurem Büro gegangen und hab sie dort aufgesucht.“

Mulder traute seinen Ohren nicht. Er versuchte sich einzubilden, dass alles was er hörte ein Traum war oder der Teil einer Geschichte, die er selbst als Außenstehender auf der Leinwand verfolgte. Es konnte nicht möglich sein.

„Ich hab sie einfach geküsst, ich konnte mich nicht beherrschen.“

„Was?“ Mulder hörte selbst wie kalt und monoton seine Stimme klang, irgendetwas in ihm riss in tausend Stücke, als wäre ein riesiger Eiszapfen im inneren seiner Brust explodiert und hätte alle lebenswichtigen Organe durchstoßen. Breiige Schwere. Eisige Taubheit.

„Aber sie meinte ich solle gehen. Natürlich. Was hab ich nach New York erwartet“ stammelte Adrian. „Sie sagte.. sie liebt jemand anderen. Ich bin gegangen und dies hier war der einzige Ort an dem ich das Gefühl hatte, dass ich gehen kann.. Ich fühle mich so scheußlich.“

Mulder konnte kein Mitleid empfinden und starrte ohne ein Kommentar gegen die Wand. Aufstehen, Mantel anziehen, gehen. Aufstehen, Mantel anziehen, gehen. Er wusste dass diese Schritte die einzig richtigen waren, doch er fühlte sich selbst dazu nicht in der Lage.

„Sie geht mir nicht aus dem Kopf. Sie ist mir das ganze letzte Jahr nicht aus dem Kopf gegangen.“ Adrian bestellte noch ein weiteres Bier ehe er im Elend seiner eigenen Fragen Mulders Schweigsamkeit bemerkte.

„Mulder? Hey. Es tut mir leid, dass ich dir das erzähle. Ich weiß ja wie das mit Partnern so ist.. da muss man das Private ausgrenzen können. Aber ich dachte.. ich dachte, vielleicht ist es besser wenn ich es dir erzähle.. weil du mir vielleicht ´nen Rat geben kannst. Zu ihr sagst du doch nichts oder.“

Das hör ich mir nicht länger an, drang Mulders bestimmte Stimme plötzlich wieder zum Leben erwacht an sein eigenes Ohr und er erhob sich und griff nach seinem schwarzen Mantel. Er musste weg. Sofort.

„Adrian, ich muss los. Morgen ok. Sie zu dass du gut nach Hause kommst“ Mit zwei Schritten war er an der Tür und über die Betonstufen im Freien, wo er tief die Luft in seine Lungen sog und seinem Körper befahl zur Ruhe zu kommen.

„Mulder! Wart mal!“ Hörte er es von drinnen, doch seine Füße hatten sich schon wieder in Bewegung gesetzt. Nicht jetzt, nicht hier. Nicht nachdenken. Sein Kopf schmerzte plötzlich unerträglich und vor seinen Augen drehte sich alles.









J. Edgar Hoover – Building, Washington D.C.

Mulders Büro

07: 45 Uhr

Montag





Wie ich erwartet hatte fand ich unser Büro menschenleer vor und meine Muskulatur entspannte sich während ich den Blick durch den Raum schweifen ließ. Hier würde bis zu Mulders Erscheinen erst mal niemand meine Ruhe stören und ich konnte die Yakima Akte noch einmal durchgehen und mich an die letzten Vorbereitungen für den Außendienst treffen.

Die Autopsieberichte der drei jungen Frauen wiesen keinerlei erkennbare Todesursachen auf. An den bäuchlings liegend, nackt aufgefundenen Frauenleichen ließen sich keinerlei gewaltsam zugefügte Druckstellen auf der Haut lokalisieren. Mir erschien das ganze Szenario äußerst unglaubwürdig. Keine Spur eines Sexualverbrechens, keine Spur eines Mörders. Kein Suizid, was die Ergebnisse des Gastro-Intestinal-Traktes gezeigt hätten.

Doch kein Tod ohne Ursache, kein Mord ohne Täter.

Mir fehlte der Autopsiebericht des vierten Opfers. Ich musste die Dienststelle in Yakima anrufen und mich nach den Unterlagen erkundigen.



Gegen 10 Uhr vormittags klopfte es an der Türe. Unangenehm überrascht und schwer hoffend nicht mit dem gestrigen Abend konfrontiert zu werden, äußerte ich ein nicht sehr einladendes „Herein.“

Es war Skinner.

„Hey Scully. Alles klar bei ihnen? Mulder hat sich gerade eben krank gemeldet und gemeint es handle sich wohl um einen Magendarminfekt. Er hat mich gebeten es ihnen auszurichten, da er sie nicht erreicht. Ich hoffe sehr dass er bis Mittwoch morgen wieder auf den Beinen ist. Er meinte jedoch dass das bestimmt in Ordnung gehe.“

„Ach ja?“ Verwundert schielte ich auf mein Telefon, welches heute noch keinen Ton von sich gegeben hatte. „Ich wüsste nicht warum er mich nicht erreichen kann. Aber manchmal gibt es Probleme mit der Telefongesellschaft. Ich werde ihn gleich anrufen. Vielen Dank Sir“

„Keine Ursache Scully, wir sehen uns“

Mit diesen Worten war der viel beschäftigte Assistent Direktor wieder verschwunden und ich wählte Mulders Nummer. Das Leerzeichen ertönte mehrere Male, dann klickte es in der Leitung. Seltsam. Ich beschloss es später noch einmal zu versuchen.



Nach meinen erfolgreichen Bemühungen Adrian Clark nicht zu begegnen, drei mehr oder minder sinnvollen Research-Stunden, einem Mittagssnack und zwei weiteren Tassen Kaffee begann die Sorge um meinen Partner wieder in mir aufzuwallen. Vielleicht schlief er und hatte deshalb nicht abgehoben. Ich rief noch einmal an.

Leerzeichen. Ich versuchte es erneut. Mulder hob ab.

„Ja?“ Seine müde, angeschlagene Stimme klang fern an mein Ohr und ich sah ihn vor mir, geschwächt, krank und in Decken gehüllt.

„Mulder! Ich bins! Endlich erreiche ich Sie. Skinner hat mir ausgerichtet, dass sie krank sind und dass sie versucht haben mich anzurufen. Dieses verdammte Netz. Ich hatte letzte Woche schon Probleme, sollte wirklich den Anbieter wechseln. Geht’s Ihnen gut?“

„Hey. Schon in Ordnung. Mir ist nur nicht wohl, machen sie sich keine Sorgen.“

„Soll ich vorbeikommen? Brauchen sie etwas? Tee oder etwas zu essen, was immer, ich komme gern vorbei!“

„Nein. Danke. Wir sehen uns Mittwoch Scully. Ich werd es morgen auch nicht schaffen.“

Irgendetwas an Mulders Worten, an seiner Stimme und der Art wie er mit mir sprach ließ mich stutzig werden. War wirklich alles in Ordnung? Meine Rezeptoren funktionierten nicht so gut wie sonst immer und ich war mir unsicher ob ich mir etwas einbildete.

„Mulder. Ist alles in Ordnung?“

„Ja. Alles klar. Wir hören uns“ Das Leerzeichen.









Reagon International Airport, Washington D.C.

07:20 Uhr

Mittwoch





Schon zu Collegezeiten eine begeisterte Reisende, war der Außendienst für mich immer einer der attraktivsten Elemente der Arbeit als Federal Agent gewesen. In den Morgen oder Abendstunden in ein fremdes Hotelzimmer einziehen, von dem man trotz Qualitätsangaben nichts über den realen Zustand zu sagen vermochte; das meist spektakulär verquere Innenleben einer noch unbekannten amerikanischen Kleinstadt inspizieren, in der die Wahrscheinlichkeit einer eigenartigen Begegnung mit der menschlichen Natur beinahe einhundert Prozent betrug; die üble Ausuferung im Kern einer Gemeinde erkennen und bei den Wurzeln packen. Mulder und ich waren Meister im Unkrautjäten.



Die Einsamkeit und Trübheit im Saum der Fremde und der tägliche Umgang mit dem Tod waren die andere Seite. Wer das nicht einstecken konnte, verließ das FBI meist nach kurzer Probezeit wieder. Ich hatte gelernt damit umzugehen.

Im FBI war es üblich mit einem, oder zwei Arbeitskollegen auf Außendienst geschickt zu werden. Besonders effektiv hatte sich in all den Jahren das Zweier-Team herausgestellt, da eine zu große Anzahl verschiedener Orientierungen den Verlauf der Ermittlungen verlangsamen bzw. einschränken konnten.

Sofern es dem FBI möglich war teilte man die Zuständigkeitsbereiche in den einzelnen Abteilungen so auf, dass sie von zwei entsprechend qualifizierten Mitarbeitern übernommen und über einen längeren Zeitraum bearbeitet werden konnten. Daher hatten die meisten Ermittler unseres Berufsstands einen fixen Partner mit dem jeder Schritt einer Ermittlung geteilt wurde, bis ein Fall entweder abgeschlossen oder offen ad akta gelegt wurde.



Mulder war von Anfang an eine Herausforderung. Und mit ihm zu arbeiten würde immer eine bleiben. Doch ohne ihn hätte ich den Job wohl schon lange hinter mir gelassen und würde heute durch die milchigen Gänge eines Krankenhauses flanieren.



Stattdessen stand ich im Zentrum eines belebten Flughafens und wartete, meinen kleinen braunen Rollkoffer in der Linken, die neuste Ausgabe der Washington Post in der Rechten, auf das Erscheinen meines Partners. Von weitem schon erkannte ich seinen dunklen Parker und den sachten, jedoch zielstrebigen Gang. Er trug eine Reisetasche über der Schulter und sandte mir ein leichtes Kopfnicken zur Begrüßung.

„Hey Partner. Alles klar bei ihnen?“

Er sah mich an und nickte erneut. Dann checkten wir ein und begaben uns zum Gate 32 um auf den Abflug zu warten. Mulder blieb unergründlich schweigsam und trotz der für diese Jahreszeit ungewöhnlich warmen Morgenstunden fröstelte mir und ich dachte wie sooft in den letzten Tagen an Adrian Clark und den Blick in seinen Augen, als ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte.

Irgendwo über Iowa wurde mir in aller Klarheit bewusst, dass Mulder nicht derselbe war, mit dem ich am Samstag Fische umgetopft hatte. Und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass diese Reise noch sehr ungemütlich werden konnte.

Auf unserem fünfeinhalb Stunden Flug nach Seattle hatten Mulder und ich gerade mal fünf Sätze gewechselt. Jene beruhten auf zwei von mir initiierten Fragen, auf welche ich je eine knappe Antwort bekam. Und ein Danke für das von mir weitergereichte Zuckerpäckchen. Den Rest der Zeit starrte mein Partner in die auf unseren neuen Fall bezogene Akte und ich schlief und las in rhythmischen Abständen.

Unser Anschlussflug ging fünfundvierzig Minuten nach unserer Landung und führte uns über die hügeligen Wälder des Staates Washington, bis ich die Canyons rund um Yakima fern unter mir erkennen konnte. Die Stadt Yakima lag im Zentrum einer kalten Wüste, einer Region, die diese Bezeichnung aufgrund der mangelnden Vegetation und des weiten, monotonen Landes trug und dessen größtes Ertragsgut, die durch Bewässerungsanlagen blühenden Obstgärten waren. Das bewaldete Gebiet, das sich von Kanada und Seattle abwärts streckte, fand seine letzten Ausläufer dreißig Minuten vor der Stadt.

Ein Taxi brachte uns über den Yakima Valley Highway zur First Street, wo wir mit morschen Knochen und sinkenden Lidern endlich vor unserem Hotel standen.

„Ms. Scully. Ihr Zimmer hat die Nummer 118. Mr. Mulder. 119.“ Die platinblonde Rezeptionistin lächelte ein flüchtiges Lächeln und zeigte dann auf den Gang am hinterem Ende des Raumes. „Dort finden sie ihre Zimmer. Ich wünsche schönen Aufenthalt.“

Das Hotel erschien mir, trotz seiner etwas tristen Fassade, doch sehr annehmbar und ich freute mich darauf mich ein wenig auszuruhen und eine heiße Dusche zu nehmen. Ein Flug dieser Größenordnung war nur mit sehr wenigen unserer Außendienste verbunden, doch da unser Spezialgebiet keinen anderen Ableger in den Vereinigten Staaten hatte, verschlug es uns manchmal in die abgelegensten Regionen. Yakima erinnerte mich an Oregon und unseren ersten Fall.
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