World of X

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Die erste Blume des Frühlings

von therees

Kapitel 4

Sun Country Inn, Yakima Washington State

22:18 Uhr

Mittwoch





Keine Sonnenblumenkerne mehr. Dafür Whisky. Mulder trank selten. Doch er trank besonders dann wenn er Kummer hatte, wenn die Gedanken an Samantha oder seinen Vater zu schmerzhaft wurden um sie von der vielfältigen Ablenkungsmaschine Fernseher nicht mehr übertönt werden konnten. Heute war wieder so ein Tag. Er spürte die Tränen auf seiner Haut und ließ sie zu. Alles fühlte sich so falsch an, so unecht und trist. Seine ganze Arbeit, die Arbeit die den wesentlichen Teil seines Lebens ausmachte, die Suche, in der sein ganzes Sein verhaftet war- alles stellte er in Frage. Er hatte Tag für Tag mit seiner Partnerin Seite an Seite jedes Risiko in Kauf genommen um die Wahrheit zu finden, war einer Lüge nach der anderen hinterhergehetzt und hatte nie bewusst gemerkt wie sehr es ihn mehr und mehr Anstrengung kostete sich nicht mit seinen Gefühlen auseinander zusetzen.

Mulder dachte an sie sobald sie den Raum verließ und er dachte an sie an den Abenden die er allein auf der Couch verbrachte. Er dachte an sie wenn sie neben im Flugzeug neben ihm saß und er dachte an sie an den nebligen Morgen auf dem Weg zur Arbeit.

„Ich liebe sie auf eine platonische Art. Sie ist meine beste Freundin.“ Hatte er zu Frohike gesagt. Doch dieser hatte nur gelächelt und nichts gesagt.

Adrians Worte steckten wie eine Messerklinge in Mulders Eingeweiden und jeder Gedanke an Scully erschien ihm unerträglich. Als er Montag morgen auf seiner Couch erwacht war, noch in den Kleidern des Vorabends und völlig verwirrt, hatte der Gedanke an Adrians Beichte ihn wie ein Schlag ins Gesicht getroffen. Zuerst war er wütend gewesen, aufgewühlt und völlig unfähig sich zusammenzureißen. Dann, nach mehreren Stunden, in denen er auf das Glas Wasser auf seinem Tisch gestarrt hatte, war es ihm möglich gewesen seine Gedanken zu analysieren. Es konnte nicht möglich sein dass das Liebesleben des Menschen, der ihm am allernächsten stand, dem er nichts mehr wünschte als das größte Glück und dem er doch soviel des Gegenteils gebracht hatte, ihn so in Aufruhe brachte und schmerzte.

Dana Scully hatte es verdient geliebt zu werden. Und mehr als das. Sie hatte es verdient mit einem Mann zusammen zu sein der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, der sie jeden Morgen in seinen Armen hielt und der ihr alles gab was, worauf sie solange verzichten hatte müssen. Mulder wusste das er der Grund war warum sie all das nicht hatte.

Doch er hatte es immer als Teil ihres Lebens gesehen. Teil ihres gemeinsamen Schicksals. Sie waren in diese Geschichte hineingeraten und eins hatte zum anderen geführt, bis hin zu dem Punkt wo niemand anderes mehr Platz in diesem Universum hatte. Und trotz all des Verzichts, trotz all den Dingen die sie aufgeben hatte müssen, war Scully immer an seiner Seite geblieben. Das was sie suchten war wertvoll und sie beide wussten es. Und Mulder las es in jedem ihrer Blicke.

Aber da war noch etwas anderes. Etwas, dass unausgesprochen zwischen ihnen bestand. Ein Band, eine intime Verbindung, etwas das immer da war, egal wo sie sich aufhielten, ob sie miteinander lachten oder sich in den Haaren lagen. Ihre Augen lagen in den seinen, zu oft, noch einen endlosen Moment zu lang und doch zu kurz. Und er konnte sich nicht entziehen, weil er in diesen Momenten in ihr Lesen konnte. Vielleicht war es genau dass, was seine Sinne sosehr verwirrte, was er immer und immer wieder verdrängte und das sich nun in seinem Inneren ergoss, als hätte er die Schleusen zu seinem Unterbewusstsein geöffnet.

Sie hatte aufgemacht. Mulder hatte nie zuvor so tief in das Innere eines anderen Menschen geblickt. In manchen Augenblicken hatte er das Gefühl, dass er alles sehen konnte. Und nicht nur das. Er fühlte es wenn sie ihn ansah. Jeden Schmerz den sie irgendwo verborgen in die hintersten Gebiete ihres Herzens zu bannen versuchte, ihre Unsicherheit und Angst, die sie so menschlich machte, und mehr als alles andere- die Liebe die sich in allem offenbarte was Scully tat oder sagte. In manchen Momenten fühlte er sich ihr so nahe, dass es ihn sprachlos machte. Es gab keine Worte für diesen Zustand. Und niemand in seinem Leben, keine Frau, keine Liebhaberin, hatte ihn jemals in einen solchen Zustand versetzt. Er hatte es nie verstanden.

Und er hatte es immer vermieden über den Umstand nachzudenken dass Scully eine wunderschöne Frau war, die trotz ihres anspruchsvollen Berufes längst eine Partnerschaft hätte führen können. Mulder fühlte sich schäbig. Er fühlte sich schäbig weil ihn der Gedanke an ihr Privatleben sosehr verletzte, obwohl sie nichts mehr verdiente als Abstand zu ihm und den X Akten. Doch Montag Nachmittag auf seiner Couch, als ihm all diese Gedanken durch den Kopf gingen und seinen Körper lähmten, wurde Mulder bewusst warum er sich fühlte als hätte man ihm in den Bauch getreten und was es war dass er wollte.

Und nun war sie da diese Wahrheit. Und Mulder fühlte sich elend und ausgehöhlt. Er hatte Scully auf dem Flug nach Seattle angeschwiegen weil jedes Wort zentnerschwer auf seiner Zunge lag. Er war nie gut darin gewesen eine Fassade aufzusetzen. Und er wusste dass sie sich Gedanken machte und er ihr eine Erklärung schuldete. Doch welche Erklärung hatte er für sie? Wie konnte er „ein klärendes Gespräch“ führen? Und wie konnte er so weitermachen wie bisher?









Sun Country Inn, Yakima, Washington State

22:30 Uhr

Mittwoch



Mulder ging mir nicht aus dem Kopf. Etwas Fremdes, Undeutbares lag in seinen Blicken, dass ich dort heute zum ersten Mal gefunden hatte. Nie zuvor war er so schweigsam gewesen. Nicht einmal an den Tagen an denen ich die Bürde seiner Vergangenheit besonders schwer auf ihm lasten spürte. Auf dem Bett meines Hotelzimmers liegend zermarterte ich mir den Kopf über die Ursache, das Problem dass ihn offensichtlich quälte und fragte mich ob er es nicht mit mir teilen würde, wie er es sooft getan hatte, wenn ich auf ihn zugehen und mit ihm sprechen würde.

Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr stieg der Wunsch in mir an die benachbarte Zimmertüre zu klopfen und herauszufinden wie ich Mulder helfen und für ihn da sein konnte.



Ich klopfte zweimal leise und lauschte auf eine Antwort aus dem Inneren des Raumes, aus dem das gedämpfte Geräusch des laufenden Fernsehers drang. Ich wollte Mulder keinesfalls wecken falls er schlief und wollte schon wieder gehen, entschloss mich dann aber doch für ein weiteres Klopfzeichen,

„Ja?“ meldete sich seine Stimme.

„Ich bins, kann ich reinkommen?“

Keine Antwort.

„Mulder?“

„Ja Scully. Kommen sie rein.“

Ich öffnete die Türe vorsichtig und trat durch die Öffnung in das kleine Zimmer. Mulder lag in Jeans und schwarzem T-Shirt auf der Couch. Sein Haar war zerzaust und seine Miene undeutbar. Seine leicht geröteten Augen und die geschwollene Haut verrieten mir dass er geweint haben musste. Er blickte mir irritiert in die Augen und ich las wieder diese Unstimmigkeit, etwas tief Getroffenes in ihnen, die meinen Verdacht eines schwerwiegenden Schmerzes aufs Neue bestätigte. Ein Glas mit brauner Flüssigkeit stand neben ihm auf dem Nachtkästchen und meine Nase verriet mir dass es sich dabei nicht um eine Limonade handelte. Ich spürte die Abweisung und das er mich hier nicht willkommen hieß, doch ich konnte nicht anders als auf ihn zuzugehen. Ich setzte mich neben ihm auf das Bett und sah ihm erneut in die Augen.

„Mulder. Was ist los mit ihnen? Ich mach mir Sorgen.“

Er sah mich stumm an und ich verstand nicht. Oder verstand ich doch?

„Mulder. Sprechen sie mit mir. Bitte. Ich spüre dass ihnen etwas am Herzen liegt.“

Er atmete tief ein und wandte seinen Blick ab. „Am Herzen, ja. Das trifft es ziemlich gut.“

Seine Stimme klang gefasst und nachdenklich. Er schwieg für einen weiteren Augenblick bevor er fortfuhr.

„Wissen sie Scully. Ich liege hier seit geschlagenen vier Stunden und überlege mir, was ich ihnen auf genau diese Frage antworten soll die sie mir da gestellt haben. Und vielleicht sind sie zu früh gekommen, denn ich habe noch keine Antwort gefunden.“ Er sah mich an, lächelte schwach.

„Die Wahrheit Mulder. Ich möchte wissen warum sie hier liegen und darüber nachdenken welche Antwort sie mir geben könnten. Ich denke sie wissen.. das sie mir alles sagen können. Alles. Egal was es ist.“ Ich sprach leise auf ihn ein, versuchte sein Vertrauen zu gewinnen, denn die Basis unserer gemeinsamen Arbeit war immer Vertrauen gewesen, und in diesem Augenblick spürte ich es nicht mehr. Es war beängstigend.



Stille. Mulder blickte aus dem Fenster und ich spürte wie es tief in mir zu brodeln begann. Eine tiefe Empfindung von Zärtlichkeit überwältigte mich bei seinem geknickten Anblick und ich hatte das unglaublich intensive Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen und festzuhalten, wie schon so viele Male zuvor. Doch ich spürte dass dies nicht der richtige Zeitpunkt war. Es war ein Moment indem er nichts mehr brauchte, als ein offenes Ohr.

„Ich weiß Scully.“ antwortete er schließlich. „Ich liege hier und denke darüber nach was ich ihnen sagen kann, weil ihnen nicht gefallen wird was ich denke. Und weil ich mich selbst nicht verstehe. Ich habe mich mit Adrian unterhalten bzw. er hat sich mit mir unterhalten..“

Mulder musste wissen, dass er mehr nicht zu sagen brauchte. Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg und meine Knie weich wurden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte Adrian vertraut und niemals gedacht dass er sein Versprechen mir gegenüber in den Wind schlagen würde.

„Oh..“

Wir schwiegen beide.

„Ich wusste doch nicht dass Agent Clark ein Freund von ihnen ist. Die Zeit in New York, ich weiß nicht wie ich sagen soll, war etwas anderes, in sich abgeschlossenes. Ich weiß auch nicht warum ich mich darauf..“

„Scully!“ unterbrach mich Mulder und setze ich auf. „Sie müssen sich vor MIR doch nicht rechtfertigen! Und das ist genau der Punkt.“

„Was meinen sie damit?“ Ich verstand nicht.

„Das es nicht mein Recht ist mich in ihre Angelegenheiten einzumischen, Scully.“ Sagte er leise.

„Sie tun das doch nicht Mulder. Ich verstehe sie doch.“ Ich legte meine Hand auf die seine, doch Mulder zog sie ruckartig zurück und für einen Augenblick lag Erstaunen in seinem Blick, der wohl den meinen spiegelte, wie an dem Tag in Mulders Wohnung zuvor.

Die ganze Situation fühlte sich plötzlich so surreal an und Nervosität breitete sich in mir aus.

„Nein Scully. Sie verstehen nicht. Ich hätte sie am liebsten eigenhändig erwürgt als Adrian mir erzählt hat was er mir erzählt hat. Und ihn auch. Verstehen sie was ich sage.“

Ich konnte nicht mehr antworten. Er brauchte es nicht weiter zu erklären.

Plötzlich packte er meinen Kopf mit beiden Händen und zog ihn ruckartig in seine Richtung, sodass unsere Gesichter nur mehr Zentimeter voneinander entfernt waren. Mir blieb der Atem weg und ich wusste einfach nicht wie mir geschah. Das konnte nicht real sein. Es konnte nicht passieren.

„Und nun seien SIE ehrlich. Warum haben Sie nichts gesagt, warum nicht Scully. Sagen sie mir den Grund. “ flüsterte er und ich spürte den Hauch seines Atems auf meinen Lippen, mein Herzschlag hieb kräftig und hart gegen meine Rippen.

„Ich weiß nicht. Ich wollte nicht das Sie das wissen..“

„Warum Scully. Sagen Sie es mir. Hier und jetzt. Sie sind gekommen und wollten wissen was los ist. Jetzt sagen Sie mir was das für Sie war mit ihm. Ich muss das wissen“

Seine Hand glitt an meinen Hinterkopf und er packte mein Haar.

„Mulder ich.. will Adrian nicht.“

„Was willst du dann?“ Es war keine Frage, denn wir kannten die Antwort beide. Doch er musste sie hören.

„Dich… du Idiot..“ Für einen Augenblick war alles ruhig zwischen uns, meine Worte hallten in unseren beiden Köpfen nach.

Dann küsste er mich, fordernd und voller Zärtlichkeit zugleich, ich konnte nicht mehr denken, wollte nicht mehr denken und kam erst zu mir als er mich in einer süßen Umarmung zur Ruhe kommen ließ. Seine Hand strich nun sanft und zärtlich über meinen Rücken und ich spürte die Nässe auf meinen Wangen. Ich hatte nicht bemerkt dass ich geweint hatte.

Einen langen Augenblick saßen wir beide auf Mulders Bett, Arm in Arm, eng umschlungen und konnten uns nicht voneinander lösen. Ich empfand eine tiefe Sättigung wie noch nie zuvor in meinem Leben. Und ich hatte das Gefühl als wäre ich um Zentner leichter, als noch eine Stunde zuvor.

Als wir uns voneinander lösten sah ich ihm in die Augen. Der verwirrte Blick war gegangen und ich erblickte ein tiefes Strahlen von einer solchen Ruhe dass es mir abermals beinahe die Sprache verschlug. Doch ich fand meine Stimme wieder.

„War doch gar nicht so schlimm.“ Sagte ihr lächelnd. „Ich sagte doch du kannst mir alles sagen.“

Wir lachten beide und er streichelte meine Hand. Dann zog er mich an sich und küsste mich erneut zärtlich, langsam, voller Leidenschaft. Es war unbeschreiblich schön, wie ein Erwachen an einem Frühlingstag.

„Ich muss jetzt gehen.“ Flüsterte ich. Doch ich vermochte es nicht und Mulder hörte nicht auf mich zu küssen, erst viele Stunden später als sich seine Lider schlossen und er die erschöpften Glieder an die meinen schmiegte.





Institut für Anatomie, Yakima, Washington State

09:32 Uhr

Donnerstag



Starbucks zum Dank bot mir dieser Morgen doch den Genuss guten Kaffees, den zu finden in der Hotellobby, ich vergeblich gescheitert war. Den Kaffee in der einen, meine schwarze Tasche in der anderen wartete ich gemeinsam mit Mulder auf Mr. Robins, den Gerichtsmediziner, der unser erster Termin im diesem Fall war und mit dem wir die Obduktionsergebnisse noch einmal gründlich durchgehen würden. Vor knappen drei Minuten hatte er mich angerufen und peinlich berührt erklärt, dass er wohl in den morgendlichen Stau zwischen der angrenzenden Ortschaft Selah und der Stadt gekommen war und wir wohl eine Weile vor dem Gebäude würden warten müssen.

Ich lächelte und blickte in den weitflächigen, ozeanblauen Himmel, der über unseren Köpfen den Donnerstagmorgen einleitete und nahm einen weiteren Schluck Kaffee aus meiner Tasse.

Dann sah ich Mulder an. Die frische Dusche hatte die Spuren der vergangenen Nacht beseitigt und seine Züge wirkten entspannt, die braunen Augen wach und rege während sie die Umgebung scannten. Ich folgte seinem Blick und stellte mir vor wie er klare, fotographische Bilder hinter seiner Stirn abspeicherte, eine Eigenschaft die ich immer an ihm bewundert hatte. Ob er mich gestern Nacht genauso dort drinnen gespeichert hatte. Bestimmt.

Unsere Augen trafen sich.

Er lächelte und nahm seinen Blick nicht weg. Lange standen wir so da und sinnierten wortlos über die Absurdität dieses Augenblicks. Und alles, was uns hierher geführt hatte. Hier, an diesen Frühlingsmorgen vor der Gerichtsmedizin in einer amerikanischen Kleinstadt irgendwo auf dem Planeten. Dann beugte Mulder sich nach unten griff ins Gras, dass neben den Stufen auf denen wir standen wuchs und pflückte eine kleine weiße Glockenblume.

Ich hatte nicht für möglich gehalten dass es hier, im Norden bereits erste Blumen gab. Die zarten, feinen Blütenblätter des Gewächses wirkten beinahe transparent in ihrer Zerbrechlichkeit. Mulder nahm meine Hand und legte die kleine Blume hinein.

„Es ist Frühling Scully.“ Sagte er zu mir.





ENDE
PS: Und wer wissen möchte was es mit dem Opfern und den blinden Hunden auf sich hatte- es waren natürlich Aliens und unsere Agenten sind- trotz der Liebe- weiterhin im Dienst!
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