World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Carpe Diem

von Andrea Muche

Kapitel 3

Irgendwie hatte er immer noch Kopfschmerzen. Genervt steckte Mulder den Schlüssel ins Schloß und wollte sein Büro im Keller des FBI-Hauptgebäudes aufschließen. Dann stellte er fest, daß schon offen war. Er klappte die Tür auf und trat ein. Er ging zum Schreibtisch, warf seinen Schlüsselbund darauf und fragte sich zum hundertsten Mal, womit er es verdient hatte, daß niemand ihn ernst nahm, niemand die Bedeutung der X-Akten erkannte. Wieso hatte er das verdammte Gefühl, ständig blockiert zu werden und zwei Schritte vorwärts, aber einen zurück zu machen?

„Ein Golem? Also, das ist doch völlig unlogisch“, murmelte eine Männerstimme aus der Ecke rechts hinter der Tür.

„Wer, zum... Himmel, haben Sie mich erschreckt!“ Er drehte sich zu seinem, ihm erst vor kurzem zugeteilten, Partner um. „Was machen Sie denn da?“

„Wenn Sie endlich veranlassen würden, daß ich hier einen eigenen Schreibtisch bekomme, müßte ich nicht den Aktenschrank hinter der Tür als Ablage benutzen und brauchte Sie nicht zu erschrecken“, sagte der große, breitschultrige Blonde mit den eisblauen Augen und der rasiermesserscharfen Stimme. „Ich versuche, die alten Fälle zu verstehen, um zu kapieren, wie Sie arbeiten.“

„Das werden Sie nie, Doggett“, schnaubte Mulder. „Und das wollen Sie auch gar nicht. Weil man Sie mir nämlich nur zugeteilt hat, um mich auszumanövrieren. Weil ich all den anderen da oben zu nahe an der Wahrheit war!“

„Aber nein.“ Er sprach ganz ruhig. „Das ist doch nicht wahr. Es ist nur... Ich weiß auch nicht. Vielleicht mangelt es mir an Phantasie. Solide Polizeiarbeit, logisch, Schritt für Schritt, das ist das, was ich kann.“

„Und wenn die X-Akten eines nicht sind, dann ist das der Logik folgend.“

„Ach ja? Und Ihr bisheriger Partner? Hat der das auch so gesehen, ja? Oder sind Sie und Ihr Leichtsinn, Ihre Extratouren, sobald Sie das Wort Aliens hören, schuld daran, daß er jetzt tot ist?!“

„Wagen Sie es nicht...! Sie wissen ganz genau, was mit Krycek passiert ist. Daß der Raucher ihn umgebracht hat, weil er zu viel wußte.“

„Der Raucher! Womit wir ja mal wieder bei Ihrem Lieblingsthema wären: der Regierungsverschwörung.“

„Ja. Und?“ Er starrte ihn kampfeslustig an.

„Mulder.“ Der andere Agent hob beschwichtigend die Hände. „Vielleicht existiert all das, woran Sie glauben, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht können wir irgendwann etwas beweisen – so oder so. Aber bis dahin lassen Sie uns doch ganz einfach unsere Arbeit tun. – Mulder, ich bin nicht Ihr Feind.“

Der dunkelhaarige FBI-Mann seufzte. „Woher weiß ich denn eigentlich, wem ich noch trauen kann?“

In dem Moment ging die Tür hinter ihm auf. Eine rothaarige, zierliche Agentin steckte den Kopf zur Tür herein. „John, welche Ordner von hier draußen wolltest du dir noch ansehen?“

„Sind dort nicht die ehemaligen X-Akten, jene, die gelöst wurden und sich als ganz normale Fälle herausstellten?“

„Ja, soweit ich weiß, schon. Ich gehe sie suchen.“

Kurz darauf kam sie mit einigen davon zurück. „Okay, hier.“ Sie blies über die Deckel. „Ist das alles staubig. Also, auf Dauer kannst du dir das abschminken, Schatz, das sag’ ich dir. So habe ich mir den stundenweisen Wiederbeginn nach der Schwangerschaft ehrlich gesagt nicht vorgestellt. Ich dumme Nuß hielt es für eine gute Idee, nicht gleich wieder mit der Forensik anzufangen, sondern mich als zusätzliche Hilfe den X-Akten zuteilen zu lassen, solange ich nicht wieder voll arbeiten werde. Aber so, wie’s aussieht, mach’ ich euch beiden hier ja nur noch den Trottel. Stimmt’s nicht, Fox?“

„Herrgott, noch mal, Scully, wie oft soll ich Ihnen eigentlich noch sagen, daß ich nicht so genannt werden will?“ explodierte Mulder.

Scully sah ihn fassungslos an, der Unterkiefer klappte ihr herunter. Ihre Lippen schienen dann ein Wort formen zu wollen, doch kein Ton kam heraus. Schließlich fuhr sie sich mit der Zunge über die Oberlippe. Sie legte die von ihrem Mann angeforderten Akten auf die Kante von Mulders Schreibtisch – und fegte dann, als sie die Hand zurückzog, einen ganzen Stapel seiner Akten, die dort lagen, zu Boden. „Oh, Verzeihung, Mulder“, sagte sie und sah ihn dabei mit kalten, blauen Augen voll an. „Die sind mir jetzt leider runtergefallen.“ Und damit drehte sie sich um, ging und knallte die Tür hinter sich zu.

„Wie halten Sie es bloß mit dieser Frau aus?“ fragte Mulder. „Ich glaube, ich bringe sie irgendwann noch um.“

„Könnte ich das Sie dann nicht auch fragen?“ wollte Doggett wissen. „Wo Sie doch mit Danas Schwester zusammen sind?“

„Ph!“ machte Mulder nur. „Melissa? – Die glaubt wenigstens an Roswell.“

Doggett nahm den Hefter in die Hand, mit dem er sich gerade beschäftigt hatte und wandte sich damit seinem Partner zu. „Also, ich würde das hier jetzt gerne verstehen. Wie konnten Sie glauben, daß es möglich wäre, einen Golem tatsächlich zu erschaffen?“

„Ich glaube immer noch, daß es möglich ist. Aber vergessen Sie jetzt mal den Golem, Doggett. Ein Schuljunge ist niedergeschlagen und ausgeraubt worden, und er sagt, es seien Außerirdische gewesen. Den Fall würde ich mir gerne ansehen. Kommen Sie mit?“

Doggett nickte und legte den Hefter hin. „Gehen wir.“

„Für ungefähr zwei Stunden sind Sie nun die alleinige Herrin der X-Akten, Scully!“ brüllte Mulder in Richtung der Aktenschränke, zwischen denen er Doggetts Frau vermutete. Doggett atmete tief durch.

Während Mulder sich schon zum Gehen wandte, tauchte tatsächlich ein roter Schopf hinter den Metallschränken auf. Fragend sah Scully ihren Mann an. Der öffnete leicht die Lippen, schüttelte den Kopf und zuckte resigniert die Schultern.

„Warte“, sagte sie sanft und kam auf ihn zu, um ihn zu küssen. „Ich liebe dich.“

Mulder, der am Fuß der Treppe noch einmal stehengeblieben war, rollte mit den Augen, als er die Szene sah. Zwei Ignoranten unter sich.



„Und wie sahen die Außerirdischen aus?“ Mulder hielt Block und Stift in der Hand und sah den schmächtigen Jungen mit der verkehrt herum aufgesetzten Baseballkappe erwartungsvoll an.

„Sie waren alle ungefähr so groß wie ich“, begann der Junge zu erzählen. „Sie hatten auch Baseballkappen auf, damit man sie nicht so leicht als Außerirdische erkennt. Aber sie trugen sie mit dem Schild nach vorne. Ihre Finger waren länger als normal, und die Haut sah irgendwie grau aus. Sie hatten ganz dunkle, mandelförmige Augen und eine platte Nase. Und sie wollten mein Geld, meine Jacke und mein Mobiltelefon.“

„Hatten sie eine Waffe oder irgend etwas, das aussah wie eine Waffe?“

„Ja, ein Messer. So eines, bei dem man auf einen Knopf drückt, und dann kommt die Klinge heraus.“

„Ein Butterflymesser?“ fragte Doggett – und Mulder gleichzeitig: „War es mehr eine Klinge oder eher ein Dolch?“

„Spitzig“, sagte der Junge.

Mulder warf seinem Partner einen vernichtenden Blick zu. „Agent Doggett, kann ich Sie mal einen Moment sprechen, bitte?“

„Das wollte ich Sie auch gerade fragen.“

Die beiden Agenten entfernten sich von dem befragten Kind, bis sie außer Hörweite waren.

„Agent Doggett, könnten Sie freundlicherweise aufhören, meine Befragung zu sabotieren?“

Doggett sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Sabotieren? Ich?! Erklären Sie mir mal lieber, was für eine seltsame Art der Befragung Sie hier durchführen. Sie stellen überhaupt keine Fragen, um der Wahrheit oder Nicht-Wahrheit dieser Geschichte, die er da erzählt, auf den Grund zu gehen. Sie glauben einfach blind, was er sagt. Dabei beschreibt er nur E.T., wenn Sie mich fragen. Oder vielleicht nicht einmal das. Genau genommen könnte er uns auch einen Asiaten beschrieben haben: dunkle, mandelförmige Augen, platte Nase...“

„Lange Finger, graue Haut? – Welche Sorte Rassist sind Sie denn?!“

„Ich glaube einfach nicht, daß er uns irgend etwas erzählt, das hilfreich ist. Ich glaube vielmehr, daß er seine Sachen entweder verloren hat – oder sie sich hat stehlen lassen. Und er hat Angst davor, die Wahrheit zu sagen, vielleicht, weil er sonst zu Hause Ärger bekommt. Und deswegen erfindet er die Außerirdischen und lügt uns etwas vor.“

„Und seine Verletzungen?“

„Die sind so schwer nicht. Es ist auch weder ein Schnitt noch ein Dolchstich dabei. Für mich sieht es so aus, daß er sich entweder selbst einen Baseballschläger drübergezogen hat – oder jemand anderer. Vielleicht jemand, der ihn erpreßt hat. Haben Sie schon mal davon gehört, daß es Kinder gibt, die für ein Paar Turnschuhe der richtigen Marke töten würden, Agent Mulder?“

„Was bin ich bloß froh, daß ich keine Kinder habe! – Und jetzt würde ich gern meine Zeugenbefragung fortführen, wenn Sie nichts dagegen haben.“

Er ließ Doggett stehen. Der blonde Agent atmete frustriert aus. Dann knöpfte er sich den Schulleiter vor.

„Sagen Sie, haben Sie hier eigentlich hin und wieder auch Schwierigkeiten mit Jugendgangs, die andere Schüler ‚abziehen’, also ihnen auflauern, um sie zu bedrohen und ihnen Sachen zu stehlen?“

„Nein!“, entgegnete der Schulleiter sichtlich empört. „Wir erziehen unsere Schüler zu anständigen Menschen, wissen Sie!“

Doggett hob beschwichtigend die Hände. „Es hat ja keiner das Gegenteil behauptet. Und es könnte eine Gang von außerhalb sein. Diese Gruppe muß nicht notwendigerweise auch diese Schule besuchen. Und Sie werden doch wohl nicht behaupten wollen, daß das gesamte Viertel hier ein Paradies auf Erden ohne jede kriminelle Neigung irgendwelcher Leute ist?“

„Äh... nein, natürlich nicht.“

„Also, ist Ihnen irgend etwas Derartiges aufgefallen, zu Ohren gekommen, oder haben Sie so einen Fall schon einmal vermutet?“

„Naja, es gab da vor zwei Monaten einen Schüler, der nach der Schule nicht rechtzeitig nach Hause kam. Seine Mutter war eine von diesen ganz überbesorgten, die sofort hier anrief und Alarm schlug. Als ihr Sohn dann endlich ein paar Stunden später auftauchte, fehlten ihm 50 Dollar. Die Mutter regte sich fürchterlich auf und faselte etwas von einem Überfall. Ich glaube allerdings eher, er hat das Geld einfach am Flipperautomaten in der Spielhalle durchgebracht. Da gehen einige der Schüler manchmal ziemlich gern hin, wissen Sie.“

Doggett runzelt die Stirn. Hatte dieser Mann nicht gerade eben etwas von einer Erziehung zu anständigen Menschen erzählt? Sie vor den Gefahren einer Spielsucht zu warnen gehörte wohl nicht dazu? „Wieso sprechen Sie von der Mutter in der Vergangenheitsform?“

„Ihr Sohn ist nicht mehr Schüler bei uns. Sie hat ihn nach diesem Vorfall sofort von unserer Schule genommen.“ Der Schulleiter trat peinlich berührt von einem Fuß auf den anderen. „Als ob das unsere Schuld wäre...!“

„Verstehe. Danke.“

Doggett ließ den Blick über den Pausenhof schweifen, auf dem sich Schüler in den unterschiedlichsten Gruppen tummelten, und dachte nach. Er glaubte, daß die Mutter mit ihrer Vermutung völlig recht gehabt und das Ganze sehr wohl mit der Schule zu tun hatte. Um was ging es bei diesen „Spielchen“ unter den Jugendlichen? Um Gruppendruck. Um zu beweisen, wer die stärkste Gang war, und was man mit denen anstellen konnte, die nicht dazugehörten. Es ging um Macht und um das Gefühl, etwas anzugehören, das größer war als man selbst. „Fast wie beim FBI“, murmelte Doggett zu sich selbst und mußte leicht amüsiert schmunzeln.

Dann warf er einen kritischen Blick auf die Gruppen von Schülern. An einer blieb er hängen. Sie trug supermodische Jacken und Baseballkappen. Mit dem Schild nach vorne. Doggett schlenderte wie zufällig in die Richtung. Als er der Gruppe näher gekommen war, warf er einen Blick hin. Ein Junge, der in Anführer-Pose in der Mitte stand, erwiderte den Blick. Herausfordernd, wie Doggett schien. Und der Junge hatte asiatische Züge. Doggett nickte.

Mulder schien inzwischen mit dem Zeugen fertig zu sein, stellte er dann mit einem Blick zurück fest. Er näherte sich seinem Partner wieder.

„Befragen Sie mal alle der anderen hier auf dem Schulhof, ob sie die beschriebenen Außerirdischen vielleicht zufällig ebenfalls gesehen haben“, wies Mulder gerade einen Polizisten an.

„Darf ich den Zeugen jetzt vielleicht auch befragen?“ erkundigte sich Doggett.

Mulder sah ihn an. „Ja, natürlich. Bitte.“

Doggett trat zu dem Jungen und sah ihm forschend ins Gesicht. „Magst du Baseballkappen eigentlich sehr?“

Der Junge blickte ihn verwirrt an, offenbar verblüfft von der Frage. Dann nickte er. „Ja, Sir.“

„Du trägst sie immer mit dem Schild nach hinten?“

„Ja.“

„Warum? Ich meine: Heißt das, daß du einer bestimmten Gruppe angehörst oder willst du damit sonst etwas ausdrücken?“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist... Das hat keinen besonderen Grund. Ich mache das einfach nur so.“

„Verstehe. Setzt du sie auch manchmal richtig herum auf?“

„Nein.“

„Warum denn nicht? Dann blendet einem die Sonne nicht so in den Augen.“

„Weiß nicht. – Das... gefällt mir nicht.“

„Die Jacke, die du getragen hast. War das Markenware? Eine teure Jacke?“

„Mhm.“ Er nickte unglücklich.

„Und du würdest bestimmt gut aufpassen, daß du sie nicht verlierst, stimmt’s? Schon deswegen, weil es dann zu Hause mächtig Ärger geben würde.“

Der Junge sah protestierend auf. „Ich habe sie nicht verloren!“

„Das ist mir klar, Junge. Auf so ein gutes Stück paßt man natürlich hervorragend auf. Aber gerade deswegen waren die Aliens wahrscheinlich so scharf drauf. Und was will man machen, wenn die einen bedrohen und das Teil einfach haben wollen.“

Erleichterung. „Genau.“

„Hast du eigentlich keine Angst, daß die wiederkommen?“

„Was?“

„Die Außerirdischen. Sie haben dich bedroht, geschlagen, beraubt. Dir gezeigt, daß sie die Stärkeren sind. Und jetzt erzählst du jedem, wie sie aussehen. Du verpfeifst sie. Meinst du nicht, daß die das gar nicht gut finden werden? Und wenn die Außerirdischen erst mal wütend sind, glaubst du, dann kann die noch jemand aufhalten?! – Wohingegen wir andere Leute, die das vielleicht waren, sehr wohl aufhalten könnten. Egal, was die selbst darüber sagen.“

Aus dem Augenwinkel registrierte Doggett, daß Mulder sich zum ihm umgedreht hatte und ihn nun mit heruntergeklappter Kinnlade anstarrte. Der Junge trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.

„Sollen wir nicht vielleicht mit der Aussage noch mal ganz vorn anfangen?“ fragte Doggett. „Ich meine, nicht, was die vermutlichen Motive angeht, sondern das Aussehen der Täter? – Weißt du, ich bin auch schon mal von einem Räuber überwältigt worden. Er war einfach größer und stärker als ich. Es ist nicht deine Schuld, und du bist deswegen kein Verlierer, okay?“

Der Junge schwieg noch einen Moment. Dann sagte er: „Es waren Manny und seine Gang.“



Und Manny war, wie sich herausstellte, der Junge mit den asiatischen Gesichtszügen, der Doggett aufgefallen war. Skinner war voll des Lobes: „Ausgezeichnete Polizeiarbeit, Agent Doggett. Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen, Mulder.“

Nach diesem Gespräch verließ ein stinksaurer Mulder das FBI-Hauptquartier und fuhr auf dem kürzesten Weg zu der Wohnung, die er sich gerade zusammen mit Melissa einrichtete. Er wollte jetzt nur noch mit einer gleichgesinnten Seele sprechen.

Die gleichgesinnte Seele hatte seinen Schreibtisch soeben in die lichtärmste Ecke verbannt, die Couch und das Aquarium danebengequetscht und den Rest des Raumes mit verschiedenfarbigen Läufern belegt.

„Melissa? Melissa! Kannst du mir vielleicht mal erklären, was das soll?“

„Ich richte dein Arbeitszimmer ein!“ Eine freudestrahlende Melissa kam in fließende indische Seidenstoffe gewandet in den Raum, hauchte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange und betrachtete mit höchstem Grad von Verzückung ihr Werk. „Es ist schon fast perfekt.“

„Was?! Das hier? Das ist doch bestenfalls die Phase, bevor man die Möbel richtig arrangiert.“

„Aber nein, Liebling! Das muß unbedingt so bleiben.“

„Natürlich“, sagte Mulder sarkastisch. „Es ist ja auch eminent praktisch, wenn man, um die Fische füttern zu können, vorher über das Sofa steigen muß.“

„Du willst aber doch wohl nicht krank werden, Liebling? Es laufen leider zwei Wasseradern genau durchs Zimmer, siehst du hier, ich habe sie mit den Läufern markiert. Und sie kreuzen sich auch noch. Da darf man sich keinesfalls längere Zeit aufhalten. Also habe ich alles, was für längeren Aufenthalt gedacht ist, in die Ecke geschoben, die frei von der unguten Wirkung der Strahlen ist.“

„Fische leben im Wasser“, sagte Mulder mühsam beherrscht. „Wieso sollten sie dann nicht auch auf dem Wasser leben können?!“

„Na gut“, sagte Melissa großmütig, „über das Aquarium können wir reden.“



Mulder betrat die schummrige Kneipe, hörte die Tür hinter sich zuschlagen und atmete tief durch. Es war verraucht hier drin, und dennoch kam es ihm vor, als atmete er die reinste, klarste Bergluft. Erfrischt, erholt, wie neu geboren fühlte er sich. Und so zu Hause. Alle Ereignisse dieses Tages schienen ihn regelrecht erdrücken zu wollen. Er brauchte jetzt ganz dringend ein Bier.

Mulder trat an den Tresen. Ein leicht grauhaariger Mann unbestimmbaren Alters mit Klumpfuß tat es ihm gleich. Mulder sah kurz zu ihm hin – und erkannte ihn im selben Moment.

„Ach nein, nicht Sie schon wieder. Sagen Sie mir, daß das ein Scherz ist!“

Der Grauhaarige verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Sorry. Da lag ich jetzt wohl ein bißchen ganz falsch. Ich schätze, ich brauche Sie nicht zu fragen, ob Sie bleiben wollen.“

Mulder sah ihn an, und seine Antwort war mehr ein Bellen: „Nein!!“



Mulder stürmte in das Kellerbüro, schwenkte den Brief, den er eben geöffnet hatte, und rief: „Dana, das glaubst du nicht!“

Scully sah von den Berichten auf, die sie gerade in den Computer hackte und blickte ihn erwartungsvoll an. „Was?“

„Mein Roman ist angenommen worden! Sie drucken meine Entführungsstory! Ich sehe schon das Cover vor mir, Titel ‚Sie sind unter uns’. Dana, ich werde Autor!“

„Oh, das freut mich ja so für dich! Ich weiß doch, daß es schon immer dein Traum war, deine Theorien über Regierungsverschwörungen unter die Leute zu bringen...“

Er ging um den Schreibtisch herum, trat neben sie, beugte sich zu ihr herunter, drückte ihr kurz einen liebevollen Kuß auf die Stirn und fragte dann mit Blick auf den Bildschirm: „Und was schreibst du da gerade?“

Sie seufzte. „Das Protokoll der realen Entführungsstory, die wir gerade abgeschlossen haben. Mulder, wieso muß eigentlich immer ich die Drecksarbeit machen?“

„Na, um meine wilden Thesen streng wissenschaftlich zu untermauern natürlich. Weil das bei Skinner besser ankommt. Beim letzten Mal hat er mir bekanntlich geraten, ich solle lieber Science Fiction schreiben.“

Sie schmunzelte. „Was du prompt getan hast.“

„Ja.“

„Wart’s ab, eines Tages kommt auch noch unsere Stunde. Die Verschwörer können sich nicht ewig verstecken. Manchmal muß man die Wahrheit nur konsequent genug suchen und sie auch finden wollen. Und dann kommt die Stunde der Abrechnung. Irgendwann wird die Öffentlichkeit Rechenschaft verlangen von all diesen sauberen Leuten.“

Er zog sich einen Stuhl heran, setzte sich zu ihr und nahm ihre linke Hand. Als sie ihn irritiert ansah, hauchte er einen Kuß darauf und fragte: „Habe ich dir schon gesagt, daß ich dich liebe?“

Sie lächelte. Ihre blauen Augen kamen ihm heute besonders strahlend vor. „Oft“, sagte sie. „Und gezeigt auch.“

Nun mußte er grinsen. „Aber vor allem liebe ich dich, weil du dir auch noch meine abstrusesten Theorien anhörst und zumindest so tust, als könntest du sie ernst nehmen. Und dann die Dinge ins rechte Licht und mir den Kopf wieder gerade rückst.“

„Mulder, wie heißt es so schön? Wenn man alle Möglichkeiten, die zunächst viel wahrscheinlicher aussahen, mit Sicherheit ausgeschlossen hat, dann muß die, die übrig bleibt, die Wahrheit sein, so seltsam sie zunächst auch scheinen mag. – Wenn du diese abstrusen Ideen nicht entwickeln würdest, dann würde ich nach vielen der vorhandenen Fakten gar nicht erst suchen – und könnte sie so logischerweise auch nie finden.“

„Soll das heißen, wir sind ein gutes Team?“

„Ah, nein. Wir sind ein Spitzen-Team! Und falls Skinner uns irgendwann rausschmeißt, können wir immer noch von deinen Tantiemen leben.“

„Andererseits fehlt mir dann jedoch die Quelle für meine künftigen Romane. Die besten Ideen kommen doch bekanntlich aus den X-Akten.“

„Wenn Skinner wüßte, daß du in der Tat die ungelösten Fälle für deine schriftstellerische Arbeit ausschlachtest...!“

Der FBI-Agent grinste spitzbübisch. „Er würde mich umbringen.“

Dana lachte. „Oh, ja.“

„Vielleicht baue ich ihn noch ein.“

„In den Roman?“

„Naja, warum nicht? Als humorlosen Obrigkeitshörigen zum Beispiel. Das wäre doch ein gelungener Gegenpart zum gewitzten FBI-Agenten, der furchtlos seinen Weg auf der Suche nach der Wahrheit geht, seit seine Schwester von Außerirdischen entführt wurde...“

„Kenne ich den gewitzten FBI-Agenten zufällig?“ fragte Scully neckend.

„Könnte schon sein. Er hat allerdings da noch so eine spießige, streng wissenschaftsgläubige Medizinerin als Partnerin an seiner Seite, die immer ewig braucht, um seine genialen Gedanken nachvollziehen zu können und manchmal nur opponiert, um die schlaue Frau Doktor raushängen zu lassen...“

Dana hob drohend den Zeigefinger. „Du, ich warne dich...!“

„Apropos Schwester. Da fällt mir gerade ein: Samantha hat gefragt, ob wir morgen mit ihr tanzen gehen. Ihr Mann Andrew ist auf Dienstreise, und sie sagt, ihr ist es dann alleine immer ein wenig zu still in dem großen Haus.“

„Ja, gerne. Ich kann sie auch gut verstehen. Wo sie doch so gerne Kinder gehabt hätte...“

Mulder seufzte. „Gegen so einen Unfall ist man einfach machtlos.“

„Aber sie wird ja nun immerhin bald Tante.“

Scully hatte ihr Banale-Story-Gesicht aufgesetzt, und Mulder brauchte mehrere Sekunden, bevor er realisierte, was seine Partnerin gerade gesagt hatte. „Was?!“

Sie strahlte ihn glücklich an. „Ja, Fox Mulder. Wir bekommen ein Baby!“
Rezensionen