World of X

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Hell is a place on earth

von Astarte

Kapitel 1

Anstalt für schwererziehbare Jugendliche

Detroit, Michigan





Das Tablett wurde aus seiner Hand geschleudert, nachdem er durch einen Schlag von hinten auf seinen Rücken das Gleichgewicht verloren hatte. Innerlich stöhnend, fragte er sich, was in seiner Ausstrahlung in seinem Umfeld unweigerlich zu einer Konfrontation führte. Schrie seine Aura nach Scherereien? Egal, hier galt nur ein Gesetz, der Stärkerer überlebt und der Schwächere dient.



Das war seine erste Lektion vor einer Woche hier in der Anstalt für schwererziehbare Jugendliche gewesen, diese Regel galt auch in seinem alten Bezirk und deshalb war er hier. Er hatte aufgehört zu dienen und die Folge seines Aufstandes war tragisch gewesen. Die eigentlich harmlose Prügelei zwischen ihm und einem seiner Mitschüler war nicht wirklich eskaliert, sie hatte eine Eigendynamik entwickelt, die er nicht mehr stoppen konnte. Sein Gegner von damals lag heute noch im Koma, drei Monate nach dem Zwischenfall. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt und obwohl er bereute, lag die Schuld dennoch nicht nur bei ihm.



Dem Vorfall war jahrelange Unterdrückung voran gegangen, bis er letztendlich äußerlich explodiert war und sein Handeln nicht mehr unter Kontrolle gehabt hatte. Das Opfer wurde zum Täter, kein Versuch einer Rechtfertigung, nur ein Faktum.



Das hatte der Jugendrichter anders gesehen und deshalb war er hier. Eingesperrt für ein Delikt, dessen Folgen für einen Ausraster zu groß waren, um es als Kinderrauferei durchgehen zu lassen und das nun mit neun Monaten Jugendstrafvollzug getilgt werden musste. Dass er bis dato nie wegen Gewalttaten, sondern nur mit guten Noten auffällig geworden war, hatte zwar für seine Gunsten gesprochen, trotzdem war ihm die Tragweite seiner Tat erst hier richtig bewusst geworden. Seine Eltern waren Anfang der Woche zu Besuch gekommen, seine Mutter in Träne aufgelöst und verzweifelt, sein Vater ruhig und fassungslos daneben, ohne Worte des Trostes.



Er hatte sie nach einigen stummen, durch das Weinen der Mutter unterbrochenen Minuten gebeten, ihn nicht mehr zu besuchen, solange er hier wäre. Ihre Anwesenheit verschlimmerten seine eigenen Leiden nur, weil sie ihm vor Augen führte, dass durch seine Tat nicht nur er selbst betroffen war, sondern sein gesamtes Umfeld. Sie litten mit ihm und die eigene Schuld wurde zusammen mit ihrer stummen Anklage unerträglich. Sein Vater hatte verständnisvoll genickt und seine schluchzende Mutter mit beiden Armen hinaus geschleppt, fast gezerrt.



Als er darauf wartete, dass ihn der Wächter wieder aus dem Besuchsraum geleitete, wurde ihm bewusst, dass er sich gerade für die nächsten neun Monate von seinen Eltern verabschiedet hatte. Die Last dieser Erkenntnis ließ ihn beinahe zusammenbrechen, um Kontrolle kämpfend saß er da, zitternd. Er war allein.



Und bereit zu kämpfen, wenn es nicht anders ging.



Die Überreste seines Mittagessens auf dem Boden begutachtend, drehte er sich schließlich zu dem Verursacher um, Paul Todham stand ihm gegenüber, ein mieses Grinsen auf den Lippen und in Erwartung seiner Reaktion angespannt. Er ähnelte in vielem dem Jungen, dem er den Aufenthalt zu verdanken hatte und er würde diese Fehler nicht noch einmal begehen. Diesmal würde er die Aggression im Keim ersticken, ohne dass sie überhaupt eskalierte.



„Wenn du ein Problem hast, dann können wir das lösen. Auf welche Art entscheidest du.“ Die Herausforderung in seinen Worten war beabsichtigt, eine andere Sprache als die der Provokation verstanden Leute wie Paul nicht.



„Oha, große Worte für einen Neuling, mal sehen, ob du auch zu ihnen stehst, wenn es ernst wird.“ Der Kreis schloss sich um sie beide, verstärkte die Drohung noch. Die Jungs wollten Blut sehen. Eine Abwechslung des tristen Anstaltslebens.



„Das wirst du noch früh genug sehen.“



Der Schubser gegen seine Schulter brachte ihn leicht aus dem Gleichgewicht, aber nicht so sehr, als dass seine Erwiderung lange auf sich warten ließ. Pauls Tablett ging mit einem lauten Scheppern zu Boden, die Folgen waren klar, eine Prügelei in der die Machtpositionen innerhalb der Gruppe geklärt werden sollten. Pauls Faustschlag gegen seinen Unterkiefer konnte er die Kraft durch Ausweichen nehmen und konterte ihn mit einem Bauchtreffer, der die Luft aus Paul heraus drückte, wie bei einem Blasebalg.



Das Stimmengewirr um sie herum wurde lauter und feuerte die Kämpfenden weiter an. Ein Dröhnen, das durch seinen eigenen Herzschlag übertönt wurde, während er seinen Instinkten folgte. Mit den nächsten Schlägen schickte Paul ihn zu Boden, aber er hielt sich gut, verschaffte sich Respekt und darum ging es. Die anderen davon abhalten, dass sie in ihm das Opfer sahen, jemanden zum herum schubsen. Der Lärm brach plötzlich ab, der Kreis der sie umschloss, wurde von einem Wächter durchbrochen und löste sich schnell auf, Paul versuchte genau wie er aufzustehen, wurde jedoch von den Anweisungen der Wache bei seinem Vorhaben gestoppt.



„Unten bleiben oder habe ich euch erlaubt aufzustehen? Nein, also unten bleiben. Wer von euch hat angefangen?“ Sie schwiegen beide, den anderen zu belangen, verstieß gegen die zweite Regel, niemals denen einen Hinweis geben.



„Ihr wollt also euren Kleinkram unter einander ausmachen? Schön, es interessiert mich auch reichlich wenig, solange der Ablauf des Tages davon nicht durcheinander kommt, wie es hier passiert ist. Ihr werdet die Schweinerei hier wegräumen. Habt ihr mich verstanden?“



Ihre Antwort folgt im Chor. „Ja, Sir!“ Als er aufstehen wollte, hielt Paul ihn mit einem unmerklichen Kopfschütteln zurück.



„Du hast die Regel ja schon gelernt, Paul, ich bin positiv überrascht.“ Der genießerische Unterton des Wächters verschaffte ihm eine Gänsehaut, während er ungläubig dabei zusah, wie Paul anfing, das auf dem Boden zerstreute Essen mit den Händen aufzusammeln und zu essen. Nach einem Blick zu der Wache, erkannte er in dessen Gesicht einen Ausdruck zwischen gespannter Erwartung und Vorfreude. Der Mann meinte es ernst, sie sollten tatsächlich die Reste vom Boden essen.



Langsam die eigene Würde und den Brechreiz hinunterschluckend, fing er an es Paul nachzutun.











FBI-Hauptquatier

Washington D.C.

Montag, 12. Februar 2000, 8:47 Uhr





„Ich verstehe unsere Zuständigkeit in diesem Fall nicht, Mulder.“ Scully schaute fassungslos auf die vor ihr liegenden Unterlagen, Mulder schreckte wirklich nicht mehr davor zurück einen Poltergeist in das Reiseantragsformular einzutragen. Schlimmer, das FBI sah darin nicht einmal mehr ein Problem, sie hatten seinen Antrag bewilligt: Detroit - Metro Wayne County Airport. In was für einer Welt lebte sie, in der nicht einmal mehr Verlass auf die Bürokraten war?



„Was für eine Abteilung oder Institution wäre deiner Meinung nach für diesen Fall zuständig? Die Kirche?“ Er erwartete keine ernsthafte Antwort, sondern war damit beschäftigt seine Unterlage zu ordnen.



„Laut deiner Beschreibung eher Stephen King mit einer Mischung aus ‚Carrie‘ und ‚Shining‘“, entgegnete sie.



„Uhh, du beginnst dich weiterzubilden, Scully?“



„In dem Moment als ich den X-Akten zugeteilt wurde, wechselte ich mein Lieblingsgenre von Science-Fiction und Horror auf Liebesromane.“ Er gab ihr sein Panikgesicht, während sie versuchte ihr Lächeln zu unterdrücken, yeah, wenn sie wollte, konnte sie ihn noch schocken. „Aber um auf den Fall zurück zu kommen, das ist doch nicht dein Ernst.“



„Wenn es nicht mein Ernst wäre, würden wir dann dorthin fahren? Außerdem zeigt der Fall alle klassischen Züge eines Poltergeist-Phänomen.“ Mulder hatte damit anscheinend seine Erklärung abgeschlossen.



„Und die wären?“ Oh, sie kannte die Hinweise auf einen Poltergeist, aber sie wollte sie von ihm hören, wenigstens einen Hauch von Naturwissenschaftlichkeit würde sie sich wahren.



„Naja, Gegenstände, die sich ohne sichtbaren Grund bewegen, Menschen, die von einem Unbekannten angegriffen wurden, so Zeug eben.“



„So Zeug? Mulder gib wenigstens mir gegenüber zu, dass dir das Wochenende über langweilig war, als du diesen Fall aus den Klauen des Staubes und der Vergessenheit gerissen hast. Bitte, sei so ehrlich.“



„Vielleicht ein kleines Bisschen. Aber es wurden auch Menschen dabei verletzt, okay?“ Sie gab ihm ein Lächeln, weil er ehrlich war und widmete sich dann routiniert den Unterlagen, nach ein paar Minuten hatte sie die Zusammenstellung von Berichten fertig gelesen.



„Eine Anzeige gegen einen unsichtbaren Angreifer? Begründet durch sich bewegende Gegenstände und Vorfälle, die der Gefängnisleitung seit längerem bekannt sein sollen und von dieser bestritten werden? Ist das wirklich ein Fall oder der Versuch eines frustrieren Gefängniswärter vom Staat Geld zu kassieren, Mulder?“



„Ich würde sagen, finden wir es heraus.“ Konterte er enthusiastisch, während Scully entnervt die Augen verdrehte.



„Aber eines ist tatsächlich daran eine Untersuchung wert, Mulder, nämlich der Fakt, dass der angegriffene Wärter eine Abfindung erhalten hat.“



„Ich weiß und deshalb wurde ich neugierig, ich denke da ist mehr dran, als in dieser Akte steht, obwohl der Fall schon ein paar Jahre zurückliegt.“ Entgegnete er jetzt wieder ernsthaft und stand auf, um sich um die letzten Reisevorbereitungen zu kümmern.



„Okay, dann finden wir heraus, ob dort im Reagan-Gefängnis wirklich ein Poltergeist sein Unwesen treibt.“











Anstalt für schwererziehbare Jugendliche

Detroit, Michigan





Ungläubig blickte er auf die eingegangene Wäsche. Die Temperaturanzeige war korrekt auf 60° Grad eingestellt und trotzdem war die Wäsche eingelaufen, das war doch nicht möglich, die Maschine musste defekt sein. Ausgerechnet heute wo der Teufel Aufsicht hatte, musste ihm so was passieren, bei jedem anderen Wächter hätte er die Chance auf Nachsicht gehabt, aber nicht bei diesem.



Einen Augenblick lang dachte er daran, einen Mitgefangenen zu beschuldigen, aber sein Gerechtigkeitsgefühl weigerte sich, diese Schuld auf sich zu nehmen, denn was der Teufel mit demjenigen machen würde, konnte er sich ausmalen und bei diesem Gedanken wurde ihm schlecht.



Einen tiefen Atemzug nehmend, ging er auf die Wache zu, über deren wirklichen Namen er sich nicht ganz klar war, es war auch egal. Teufel war der einzige Name, der wirklich zu ihm passte, in jeder Hinsicht war er seinem Namensgeber ähnlich. Äußerlich gut getarnt mit dem Anspruch auf ein Allerweltsgesicht und dahinter die Abgründe der Hölle.



Er hörte nachts das Weinen in den anderen Zellen, ein Wimmern, das ihm durch Mark und Bein ging. Manchmal begleitet von dem Schrei nach der Mutter, beängstigend, furchtbar. Nicht ausgelöst durch die Isolation oder das Heimweh, sondern durch die Angst vor der Nacht. Vor diesen Stunden in denen man alleine in der Zelle lag und auf den Schlüssel im Schloss wartete, in denen man vor Panik nicht atmen konnte, in denen man ausgeliefert war.



Ihm ausgeliefert und seiner Freude am Quälen.



Das Licht des Tages tauchte die Anstalt in eine trügerische Normalität, die ihn in der ersten Woche getäuscht hatte, doch die Nächte belehrten ihn eines besseren. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht, wenn er auch keine Möglichkeit hatte, um diese Anstalt mit anderen zu vergleichen. Diese beklemmende Angst war nicht normal. Die Geräusche der Nacht genauso wenig und der Grund dafür stand am Ende der Wäscherei. Auch wenn niemand darüber sprach und nur flüsternd sein Name fiel. Das war die erste Regel des Teufels. Seine Regel, eine Wand aus Schweigen zwischen ihnen, damit keine Solidarität aufkommen konnte, damit die Geschehnisse der Nacht irreal und subjektiv erschienen. Geboren in einem Albtraumland, dort verriegelt und abgeschlossen, ohne Zugang zum wirklichen Leben. Von der Realität getrennt und abgespalten, die außerhalb der eigenen Zelle und der Nacht stattfand.



Er war bis heute verschont geblieben.



Bis jetzt hatte er Glück gehabt, der Vorfall in der Kantine hatte noch nicht seine Aufmerksamkeit geweckt, er betete, dass die eingelaufene Wäsche es auch nicht würde. Der Weg zog sich unendlich lange. Paul sah von seiner Arbeit auf und das Mitleid in seinem Blick war lähmend, schlimmer zu ertragen als die frühere Aggression. Er schluckte schwer und konzentrierte sich auf den Teufel, dem er immer näher kam.



Diesmal gab es keine Chance auf Vergessen.
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