World of X

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Maybe hope?

von Cat

Kapitel 4

*****

Die warmen Strahlen der Vormittagssonne tanzten durch die Maschen der Vorhänge hindurch, strichen zart über die Wangen des im Bett liegenden Paares, küssten beide zärtlich wach. Die Sonne hüllte den Raum in sanftes, goldgelbes Licht. Vogelgezwitscher in hohen und fröhlichen Tönen erklang hinter der Scheibe, neckte die Schlafenden als wollten sie die Menschen endlich zum Aufstehen bewegen. Dann erfüllte ein herzhaftes Gähnen das Zimmer. Dana brauchte einen Moment um zu kompensieren, wo sie sich befand. Die Tage der Flucht hatten ihr jegliches Gefühl von Heimat geraubt, ihr aber gleichermaßen die Zuflucht gegeben, die sie zum Überleben brauchte: Mulder.

Langsam dämmerte ihr, dass sie sich noch bei Beth McKennith befanden. Dann sickerte die Erkenntnis, ihre Verfolger vorläufig abgehängt zu haben, zu der nun brünetten Frau durch. Ein Hochgefühl, wie sie es lange nicht mehr erlebt hatte, stellte sich ein, zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen, das auch Fox Mulder nicht entging.
„Guten Morgen, Sonnenschein“, begrüßte er sie mit einem kurzen Kuss auf den Mund.
Freudig erwiderte sie seine Begrüßung, kostete die Ruhe dieses Morgens voll und ganz aus. Nur widerwillig trennten sich Minuten später ihre Lippen wieder.
„Dir auch einen guten Morgen“, strahlte Dana zufrieden.
Leicht erschrocken mussten sie feststellen, dass es bereits 10 Uhr war, sie wesentlich länger geschlafen hatten als sie es annahm. Schnell machten sie sich fertig und stiegen wenig später die knarrenden Treppen in die Wohnstube hinab. Schon im Flur wurden sie von ihrer Gastgeberin freudig begrüßt.

„Sie haben ein hervorragendes Timing. Ich bin gerade zurückgekommen. Sie müssen am verhungern sein. Kommen Sie nur herein. Wollen Sie Kaffee oder Tee? Frische Milch kann ich Ihnen selbstverständlich auch anbieten.“ Mit diesen Worten schob sie das perplexe Paar in ihre Küche. Der Tisch war bereits einladend gedeckt. Brot, Aufstrich, Konfitüre und Orangensaft. Sofort machte sich Beth am Herd zu schaffen.
„Pancakes? Ich habe ein hervorragendes Rezept, noch von meiner Großmutter, die müssen Sie probieren.“
„Vielen Dank, aber das alles hier wäre doch nicht nötig gewesen“, brachte Scully verlegen hervor. Mulder schwieg wohlweißlich. Ein verschmitztes Grinsen breite sich auf seinem Gesicht aus, als Beth augenblicklich zu einer Rede, die verdächtig der ähnelte, die er gestern Nacht bereits gehört hatte, ansetzte.

Die frischen und herrlich duftenden Pancakes, die die alte Frau kurz darauf an ihre Gäste reichte, nahm Scully ohne Widerworte an. Mulder übergoss seinen Berg mit großen Mengen von Ahornsirup, was ihm eine erhobene Augenbraue seiner Partnerin einbrachte. Beth gesellte sich zu ihnen an den Tisch, bestrich sich ein Brot mit Himbeermarmelade und richtete dann ihr Augenmerk auf die zierliche Frau, die ihr gegenüber saß.
„Sie sehen schon viel besser aus, Mrs. O’Donell. Einen feinen Ehemann haben Sie da. Er war krank vor Sorge um Sie.“ Warmherzige Augen trafen Scullys und die jüngere Frau erkannte ganz deutlich Aufrichtigkeit und Freundlichkeit in ihnen. In gewisser Weise erinnerte sie diese beherzte alte Dame an ihre Granny, die vor einem knappen Jahrzehnt gestorben war.

„Danke. Und ja, Sie haben Recht, ich kann mich glücklich schätzen, M...meinen David zu haben.“
„Aye“, lachte Beth nur. Dann wurde sie ernst.
„David sagte, dass Sie nur bis heute bleiben werden. Nun, Züge fahren hier sehr selten, einen Bahnhof haben wir gar nicht, nur einen einzigen Bahnsteig. Also, ich könnte Sie in die nächste Stadt fahren, wenn Sie das wollen, dort bekommen Sie sicherlich einen Wagen“, bot sie großzügig an. Das Problem mit ihrem explodierten Auto hatte Dana auf Grund der Aufregung nicht wirklich registriert. Der Kauf eines Gebrauchtwagens würde ihre spärliche Reisekasse schmerzhaft schröpfen. Zudem kam kein seriöser Händler in Frage, da sie ihre Ausweispapiere nicht vorzeigen konnten. Sie hoffte nur, dass sie ohne weitere Zwischenfälle Portwayn erreichen würden.
„Das wäre wirklich sehr großzügig von Ihnen, Mrs. McKennith. Natürlich werden wir für Ihre Gastfreundschaft und das Fahren aufkommen“, willigte Mulder dankbar ein.
„Hören Sie mir denn gar nicht zu? Keinen Cent werden Sie mir bezahlen. Sie sind meine Gäste, und es ist mir eine Ehre Ihnen zu helfen. Und jetzt möchte ich davon nichts mehr hören, verstanden?!“

Wenig später standen die Flüchtenden ein wenig ratlos in dem kleinen Gästezimmer, welches ihnen in den letzten Stunden Zuflucht geboten hatte. Die wenigen Habseligkeiten, die sie mit Beths Hilfe aus dem Frack retten konnten, befanden sich noch immer in den Tüten. Ihr letztes Geld - weniger als 800 Dollar - trug Mulder bei sich. Seufzend sank die nun dunkelhaarige Frau auf dem Bett nieder und leerte die einzelnen Tüten, um einen genauen Überblick zu erhalten. Es machte den Anschein als wären all ihre Einkäufe ausnahmslos vorhanden. Dann aber legte sich ein Schleier tiefster Bestürzung über Scullys blaue Augen.
„Die Bilder, oh mein Gott, die Bilder sind verbrannt.“ Deutlich war ihre Verzweiflung zu hören. Das kleine Kartenhaus, das vielleicht endlich Sicherheit und Freiheit bedeuten würde, drohte vor ihren Augen einzustürzen. Die Hand, die sich auf ihre Schulter legte, schüttelte Dana mit einer fahrigen Geste ab als würde sie eine Fliege verjagen wollen.
„Warum? Warum kämpfen wir einen Kampf, der aussichtslos ist? Jedes neue Opfer zerstört uns immer mehr. Ich...“ Bevor die Resignation ganz von ihr Besitz ergreifen konnte, wurde die verzweifelte Frau sanft, jedoch mit Nachdruck, zur Seite gedrückt, um direkt in die Augen Fox Mulders zu blicken.

„Nein, sie sind nicht verbrannt. Sie sind hier, bei mir. Ich hatte sie die ganze Zeit.“ Vor ihren erstaunten Augen leerte er seine Taschen, ließ Bilder, Geldscheine, einige Münzen und eine zerknitterte Karte auf das Bett fallen. Binnen Sekunden veränderte sich Scullys Gesichtsausdruck. Die Bestürzung, die kurz zuvor noch klar erkennbar gewesen war, wich einem Lächeln, das nicht nur ihr Gesicht erfüllte, sondern auch ihre Augen erreichte, sie zum Strahlen brachte. Erleichterung durchströmte sie, während sie ein dankbares Stoßgebet gen Himmel richtete.
„Mulder!“, war das einzige, was sie über ihre Lippen brachte, bevor sie ihn umarmte.
„Ich weiß wie dumm es ist wegen ein paar Bildern einen derartigen Aufstand zu betreiben. Doch sie sind das Einzige, was mir von meiner Familie geblieben ist“, gestand sie später mit dünner Stimme. Mulder Antwort war ein sanfter Kuss, der keinerlei weiterer Erklärung bedurfte. Er verstand und fühlte wie sie.
“Wir haben mehr als nur die Bilder, Scully. Wir tragen unsere Familie in unseren Herzen.“

Dieser Moment wurde durch das Klopfen an der Tür unterbrochen. Nur zögerlich trennten sie sich voneinander. Schnell sammelte Scully das Geld und die Bilder zusammen, während Mulder auf die Türe zutrat und diese öffnete. Vor ihm stand Beth, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht und einem ledernen Koffer in der linken Hand.
„Den habe ich noch auf dem Dachboden gehabt. Ich wollte ihn schon lange entsorgen, bin aber bis jetzt noch nicht dazu gekommen. Ich habe keine Verwendung mehr für ihn, da ich mir vor kurzem einen neuen Koffer zugelegt habe. Na ja, ich glaube, Sie können ihn gerade gut gebrauchen. Er ist alt, etwas abgenutzt, aber besser als nichts, oder?“, bot sie ihren Gästen großzügig an und hielt ihnen das Gepäckstück einladend entgegen. Abermals hatte sie es geschafft die Ex-Agenten zu überraschen. Und nach all dem, was bisher geschehen war, war es angenehm einmal positiv überrascht zu werden. Nachdem sie sich bei der großherzigen Beth bedankt hatten, packten Mulder und Scully die auf dem Bett verstreuten Dinge zusammen. Sie brauchten nicht lange, waren ihre Besitztümer doch spärlich. Nach einem letzten, beinahe melancholischen Blick durch das Zimmer, begaben sie sich nach unten. Ein abermaliger Abschied stand ihnen bevor und sie wussten, dass dies nicht der letzte sein würde.

Beth wartete bereits auf ihre Gäste. Missmutig nahm sie die Beklommenheit in ihr wahr, die sich sträubte, diese Fremden, die doch etwas seltsam Vertrautes an sich hatten, ziehen zu lassen. Sie selbst verstand es nicht. Es lag gewiss nicht nur an der Abwechslung, die diese Beiden in ihr Leben gebracht hatten. Da war etwas anderes, doch vermochte sie nicht dies in Worte zu fassen, schon gar nicht in ihren Gedanken zu sortieren. Seltsam befangen verließ sie mit dem Paar das Haus und stieg in ihren Wagen.
„Fast hätte ich es vergessen, ich haben Ihnen noch etwas für Unterwegs gemacht. Ist nicht viel, nur ein paar belegte Brote und etwas zu trinken.“ Damit schob sie das Päckchen, welches sie unbewusst die ganze Zeit umklammert gehalten hatte, in Gillians Schoß, die neben ihr auf der Beifahrerseite saß. Diese nickte ihr dankbar zu, schwieg jedoch, als wäre es der jüngeren Frau peinlich all dies von Beth anzunehmen.

Die weitere Fahrt verlief schweigend. Jeder der Autoinsassen hing seinen eigenen Gedanken nach. Vertrocknete Felder flogen an ihnen vorüber, gaben Ausschluss darüber, wie lange es schon nicht mehr richtig geregnet hatte. Vereinzelte Höfe waren am Horizont zu erkennen, verloren sich in der Weite des Geländes. Die Straße erschien endlos lang. Hitze flimmerte auf dem brennendheißen Asphalt, der ins Nirgendwo zu führen schien. Dann wich das trostlose Land einer Vorstadtsiedlung. Kleine Familienhäuser duckten sich unter jahrhundertealten Baumriesen, tauchten diese Gegend in eine scheinbare Idylle. Doch die beiden Ex-Agenten wussten, dass das Böse sich nicht ausschließen ließ, sondern überall zuhause war. Vielleicht nicht unbedingt in Form von gestaltwandelnden Aliens oder Mitglieder der Schattenregierung, wohl aber als „Lieber Onkel“, der schon immer ein angesehener Bürger gewesen war. Egal wie erlesen und nobel eine Wohngegend auch sein mochte, Mord, Totschlag, Raub und Betrug waren überall zu finden. Ihre Arbeit beim FBI hatte Mulder und Scully in gewisser Weise die Unschuld geraubt, ihren Glauben an die Menschheit an sich zerstört. Sie hatten ein Meer aus Schmerzen und Scherben hinter sich zurückgelassen, um sich nun im Niemandsland wieder zu finden. Vor ihnen lag eine ungewisse Zukunft. Einzig Menschen wie Beth schafften es die Schatten zeitweilig zu vertreiben. Beth mit ihrer selbstlosen Art, die sie nicht kannte, ihnen dennoch Unterkunft, Nahrung und ihre Fürsorge zukommen ließ. Traurigerweise war sie eine Ausnahme.

Allmählich näherte sich das Auto dem Stadtkern. Dort hofften sie ein preisgünstiges Auto erwerben zu können. Ein legaler Kauf kam nicht in Frage, dazu fehlten Ihnen die Papiere. Auch ließen ihnen ihre finanziellen Möglichkeiten keine große Auswahl. Ein altes, fahrtüchtiges Auto würde sich hoffentlich unter der Hand finden lassen. Durch den Unfall hatten sie kostbare Zeit verloren. Noch immer trennten sie zahlreiche Kilometer von ihrem vorübergehenden Ziel. Mulder schätzte, dass es wohl 1400 km sein mussten.

Beth verließ den Cityring und steuerte den Wagen durch ein Industriegebiet. Suchend passierte sie einige Nebenstraßen, ehe sie ruckartig auf den Hof einer baufälligen Werkstatt abbog und den Motor abschaltete. Neugierig blickten sich die Flüchtigen um. Circa ein Dutzend Gebrauchtwagen verschiedener Modelle standen auf dem mit Schotter aufgefüllten Parkplatz.
„Das ist die Werkstatt eines Bekannten. Er schuldet mir noch einen Gefallen. Hier sollten wir einen angemessenen Wagen finden.“ Nach einer kurzen Überlegung fügte Beth hinzu:
„Ich nehme an, niemand darf Ihre Spuren weiterverfolgen, oder?“ Nach kurzem Überlegen und einem Blickwechsel bejahten Mulder und Scully diese Frage.
„Dachte ich mir. Kein Problem, dann werde ich den Vertrag unterzeichnen“, schlug die alte Frau bereitwillig vor, als würde sie jeden Tag Flüchtige aus Autofracks retten, ihnen Asyl gewähren und letztendlich auch Autos für sie kaufen.
„Dann wollen wir mal sehen, wo Tony steckt.“ Mit diesen Worten stieg sie aus dem Auto und ging zielstrebig auf die Halle des Autohändlers zu. Mit verblüfften Gesichtsausdrücken blieb Dana und Fox nichts anders übrig als der übereifrigen Beth zu folgen.

Der typische Geruch von Motorenöl und Benzin stieg in ihre Nasen, als sie die Werkstatt betraten. Der Innenraum bat Platz für zwei Autos zum Aufbocken auf die Hebebühnen, zwei weitere Fahrzeuge standen seitlich mit geöffneten Motorhauben. Ein junger Mann hing weit vorgebeugt über dem Motorraum eines Toyotas und schien die Neuankömmlinge nicht zu bemerken. Ein weiterer Arbeiter war unter einem aufgebockten graublauen Renault zu entdecken.
„Tony?“, rief Beth laut durch die Halle.
Sofort schob sich der auf der Erde liegende Mann nach vorne. Mühsam erhob er sich und wischte die verschmierten Hände an seiner nicht minder dreckigen Hose ab. Dann erst trat er auf seine drei Besucher zu. Erkennen flackerte in seinen Augen auf.
„Beth, wie geht es Ihnen? Ich hab’ Sie schon lange nicht mehr gesehen. Stimmt was nicht mit Ihrem Wagen?“

Der gedrungen wirkende Mann reckte sich nach allen Seiten, hielt nach Mrs. McKenniths Auto Ausschau. Beth lachte leise, wies dann auf ihre beiden Begleiter.
„Nein, Tony, mein Auto macht keine Probleme. Wir sind vielmehr auf der Suche nach einem Gebrauchtwagen. Und da dachte ich mir, wer außer Tony bietet dir wohl einen gutes Fahrzeug, ohne dich über den Tisch zu ziehen? Stimmt doch, oder Tony?“ Dabei warf die alte Dame dem Händler ein breites und gewinnendes Lächeln zu. Tony, der nicht so ganz wusste, ob er sich geschmeichelt fühlen oder verwirrt sein sollte, blickte unschlüssig von Beth zu Mulder und Scully, dann wieder zurück zu Beth. Erst als die potentielle Möglichkeit einen Wagen zu verkaufen zu ihm durchsickerte, erwachte er zum Leben. Geschäftig wirbelte er umher, forderte seine zukünftigen Käufer mit einer Handbewegung auf ihm zu folgen.

„Selbstverständlich bekommen Sie bei uns nur Spitzenqualität zu anständigen Preisen. So lautet unser Wahlspruch und dafür stehe ich höchstpersönlich mit meinem Namen ein. Nach was genau suchen Sie? Ein Kleinwagen, eine Zugmaschine, etwas Sportives vielleicht?“ Schon hatte die kleine Gruppe den ersten Wagen erreicht. Tony, mit Leib und Seele Autoverkäufer, ging völlig in seinem Element auf, präsentierte die vorhandenen Autos mit einem nicht verkennbaren Stolz.
Ein Saab älteren Baujahres, der jedoch noch passabel aussah, erregte Mulders Aufmerksamkeit. Es war ein gängiges und weit verbreitetes Model und würde somit nicht ins Auge fallen. Die blaue Lackierung war unauffällig. Und noch dazu war der Wagen groß genug, um Mulders langen Beinen problemlos Platz zu schenken. Tony, dem Mulders Interesse nicht entging, trat auf den deutlich größeren Mann zu.
„Ist schon 10 Jahre alt, aber tip-top in Schuss. Der Motor läuft einwandfrei, Auspuff ist neu und die Stoßdämpfer sind auch noch in Ordnung. Hat schon einige Meilen drauf, schnurrt aber wie ein Kätzchen. Muss Ihnen aber sagen, dass er einen kleinen Schaden hatte, die Beifahrertür war hinüber. Aber schauen Sie, man erkennt nix, wir haben ihn wieder flott gemacht, wie neu quasi“, bot er den Saab feil.
„Und was soll er kosten?“, erkundigte sich Mulder.
„Naja, Sie sind mit Beth hier, ich würde ihn Ihnen für 600 Dollar verkaufen. Ein Freundschaftsangebot, versteht sich.“

Scully trat an ihren Partner heran und spähte in den Innenraum des Wagens. Die Polster waren sauber, das Innere bot ausreichend Platz, auch die eine oder andere Nacht im Wagen zu übernachten. 600 Dollar waren in ihrer Lage viel Geld. Mulder überlegt schon, ob es nicht einfacher wäre einen abseits geparkten Wagen kurzzuschließen und vorübergehend „auszuleihen“. Doch es war nicht ratsam mit einem gestohlenen Auto weiterzufahren. Über kurz oder lang würde die Polizei auf sie aufmerksam werden und dies galt es unter allen Umständen zu verhindern. Zudem hatten sie nicht die Zeit, zahlreiche Gebrauchtwagenhändler auf der Suche nach einem geeigneten Fahrzeug abzuklappern. Sie waren so schon genug in Verzug geraten. Also mussten sie schnellstmöglich etwas ihren finanziellen Möglichkeiten Angemessenes finden. Auch Scully wusste dies, nickte ihrem Partner für ihre Begleiter kaum merklich zu. Bevor Mulder um den Preis des Saabs verhandeln konnte, mischte sich Beth in ihr Gespräch ein.
„600 Dollar? Kommen Sie schon, Tony, das ist doch kein Freundschaftspreis! Machen Sie ein gutes Angebot, Sie sind mir etwas schuldig“, forderte Mrs. McKennith ihren Bekannten auf. Dieser fuhr sich frustriert durch die Haare, musterte das Verkaufsobjekt dabei eindringlich.
„450. Und das nur, weil Sie es sind“, gab er widerwillig ihrer Forderung nach.

Mulder wollte sich gerade von Danas Seite lösen, um das Angebot anzunehmen, da trat Beth abermals an ihm vorbei, baute sich selbstbewusst vor Toni auf.
„400, dann haben wir einen Deal“, versuchte sie weiter den Preis zu drücken.
Resignierend nickte Tony. Er schien tief in Beth McKenniths Schuld zu stehen.
„Na schön, aber das ist wirklich mein letztes Wort. 400 Dollar. Sie machen mich arm, Beth“, willigte der Verkäufer seufzend ein. Zufrieden zwinkerte die alte Frau dem Paar zu.
„Warum inspizieren Sie ihren Wagen nicht schon einmal und verstauen Ihr Gepäck, während ich mit Toni den Papierkram erledigt?“, schlug sie vor. Scully, die keinerlei Interesse hatte in die dreckige Werkstatt zurückzukehren, stimmte Beth bereitwillig zu. Auch Mulder gefiel dieser Vorschlag. Ob Spesenberichte, Fallakten oder ein Autokauf, er hasste Papierkram. Aus seiner Tasche zog er einige Geldnoten, zählte 400 Dollar ab und gab sie Tony. Dann verschwanden die Einheimischen im Büro des Mannes, während Mulder ihren Koffer aus Beths Auto nahm und auf die Rückbank des Saabs legte.
„Na, das lief doch reibungslos. Wir haben noch 400 Dollar, die sollten ausreichen bis wir ans Schließfach kommen.“

Prüfend ließ sich der schlaksige Mann auf den Fahrersitz fallen. Den Sitz selbst musste er um einiges zurückstellen, damit er bequem fahren konnte. Scully umrundete ihren neuen Wagen und kam neben Mulder zum Stehen. Dieser richtete bereits den Rückspiegel passend aus. Die Frau stieß ein leises und erschöpftes Seufzen aus.
„Ich hoffe, es kommt nicht zu weiteren Verzögerungen. Ich würde mich wesentlich sicherer fühlen, wenn wir endlich unsere Papiere haben würden oder schon in Kanada wären.“ Mulder, der endlich mit seinen Einstellungen zufrieden war, schob seine Beine die Fahrertüre hinaus, so dass er die davor stehende Frau genau mustern konnte. Er sah ihr die Strapazen der vergangen Wochen und Monate deutlich an. Und dennoch schaffte sie es immer wieder sich voranzutreiben und ihn wenn nötig sogar mitzuziehen. Eine unsagbare Stärke und Willenskraft ging von Dana Scully aus, die auch in vermeintlich ausweglosen Situationen nicht zu versiegen schien. Behutsam nahm er Danas Hand in seine, strich ihr Zuversicht schenkend über den Handrücken. Ihre Blicke trafen sich, versanken ineinander. Ein dünnes Lächeln legte sich auf Scullys Lippen. Noch ehe er zu einer Erwiderung ansetzen konnte, trat Beth mit einem triumphierenden Blick auf das Paar zu. Den Wagenschlüssel schwang sie einer Verlockung gleich zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. In der anderen Hand hielt sie die Fahrzeugpapiere.

Sich für ihre Hilfe bedankend, nahm Scully die Papiere entgegen und reichte Mulder den Schlüssel weiter. Beth, die ganz deutlich die Unruhe ihrer neuen Freunde spürte, räusperte sich kurz, bevor sie sich von den beiden verabschiedete. Noch während Scully die alte Frau umarmte, erhob sich Mulder um Beth die Hand zu reichen. Diese ignorierte den förmlichen Abschiedsgruß und schloss auch den hochgewachsenen Mann kurz in ihre Arme. Eine Geste, die dem alten Mulder wahrscheinlich über alle Maße peinlich gewesen wäre. Doch ließ er diese herzliche Verabschiedung zu, er konnte nicht einmal einen winzigen Funken Unbehagen in sich ausmachen.
„Ich wünsche Ihnen eine sichere Fahrt. Und passen Sie bei Abhängen auf“, scherzte Beth mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme. „Alles Gute für Sie beide.“
„Vielen Dank, Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie uns geholfen haben“, sagte Scully mit leiser und belegter Stimme.
„Alles Gute für Sie, Beth. Und Danke für alles“, verabschiedete sich auch Mulder, während Dana bereits auf der Beifahrerseite Platz nahm.
„Ach“, wehrte die ältere Frau verlegen ab. „Gern geschehen, wirklich!“
Dann trat Beth ebenfalls an ihren Wagen und öffnete die Fahrertüre. Der Saab neben ihr sprang an und wenige Sekunden später fuhr er an der alten Frau vorbei. Ein letztes Mal winkte sie den Insassen nach, während sie dem Fahrzeug gedankenverloren nachsah.
>Wie merkwürdig. Kann es möglich sein, dass scheinbar Fremde einen in kürzester Zeit ans Herz wachsen?>, wunderte sich Beth, während sie eine einzelne Träne, die sich den Weg ihre Wange hinab bahnte, mit einem Taschentuch wegtupfte. Sie hoffte, dass Gillian und David sicher und wohlbehalten an ihrem Ziel ankommen würden, sie endlich Ruhe finden würden. Auch wenn sie nichts über ihre genauen Lebensumstände erfahren hatte, so war ihr die Unruhe und Gehetztheit dieser beiden Menschen nicht entgangen. Auch nicht ihre scheinbar unmenschliche Kraft und Liebe füreinander, die wohl ihr Antrieb sein mussten.

All diese Gedanken abschüttelnd, setzte sich die alte Frau ebenfalls in ihr Auto und machte sich auf den Nachhauseweg. Auf der Hauptstraße ordnete sie sich links ein, um den Highway zu erreichen. Kurz blickte sie sich um, sah gerade noch rechtzeitig den alten Saab auf die entgegen gesetzte Auffahrt abbiegen. Der Kloß, der sich in ihrem Hals bildete, macht ihr das Schlucken schwer.
„Viel Glück“, murmelte sie gedankenverloren. „Möge der Herr mit euch sein.“

*****

“Ich kann es kaum glauben, dass wir unsere Verfolger ernsthaft abgeschüttelt haben. Hinter jeder Kreuzung vermute ich noch immer Gefahr. Glaubst du, wir werden uns jemals wieder frei und sicher fühlen können?“, brach Dana Scully das behagliche Schweigen, welches sich seit dem Beginn der Fahrt im Wagen ausgebreitet hatte. Die zierliche Frau hatte den Beifahrersitz weit nach hinten verschoben und strecke ihre müden Füße aus. Mulder warf nur kurz einen Blick auf seine Begleiterin, dann richtete er seine volle Aufmerksamkeit wieder auf das sichere Lenken des Fahrzeugs.
„Meine natürliche Paranoia verbietet es mir alle Vorbehalte bedenkenlos über Bord zu werfen. Aber ich kann nicht abstreiten, dass die allgegenwärtige Anspannung, die ich seit dem Beginn unserer Flucht verspürt habe, ein wenig abgeebbt ist. Lass uns diesen Moment auskosten, Dana. Noch nie war es so wichtig im Jetzt zu leben. Nach all den Katastrophen, die wir erlebt, manchmal gerade noch überlebt haben, wäre es einmal an der Zeit uns eine Verschnaufpause zu gönnen. Wir sollten unser Glück nicht hinterfragen, es vielmehr als unser Schicksal akzeptieren. Wir werden zur Ruhe kommen, wenn wir es sollen, nicht früher, aber auch nicht später. Davon bin ich überzeugt.“
Seine letzte Aussage, mit dem Feuer und der Passion eines Agenten ausgesprochen, der gerade den Beweis für kleine graue Aliens in den Händen hielt, ließ Scully eine perfekte Augenbraue in die Höhe ziehen. Ein winziges Lächeln umspielte ihre Lippen, eines, das auch ihre blauen Augen erreichte.
„Also war uns dieses Leben, das wir gerade führen, vorbestimmt, unser Schicksal? Willst du das damit sagen?“, fragte sie mit einem Hauch von Amüsement in ihrer Stimme.
„Ich rede nicht von einem vorgezeichneten Lebensweg, der einem unveränderlich schon in die Wiege gelegt wird. Eine solche Annahme ist selbst mir zu fantastisch. Ich spreche von all den Entscheidungen, die wir tagein - tagaus treffen und die ausschlaggebend unser Leben verändern. Wir selbst sind unser Schicksal. Unsere Handlungen geben den Ausschlag. Und wenn du unser voriges Leben genau betrachtest, dann erscheint dieser Ausgang in meinen Augen gar nicht so unvorhersehbar. Wir haben unbeirrbar um die Wahrheit gekämpft, sind durch Feuer und Eis gegangen, stets den anderen an unserer Seite wissend. Wir sind Kämpfernaturen, Scully. Glaubst du einen Moment wir hätten am Ende nachgegeben? Ich auf keinen Fall. Und in anbetracht dieses Wissens denke ich schon, dass diese Flucht unser Schicksal ist. Unzählige kleine Entscheidungen haben uns zu dieser Weggablung geführt und wir konnten nur unserer Natur folgen, uns und damit die Wahrheit nicht aufgeben. Glaube mir, mit niemandem wäre ich lieber vor der Regierung, dem FBI oder von mir aus auch vor der ganzen Welt auf der Flucht als mit dir, Scully. Und egal, was auch noch passieren mag, ich werde uns niemals aufgeben.“

Die Passion, die in Fox Mulders Worten mitschwang, erwärmte Scullys Herz einem inneren Feuer gleich. Wie schafft es dieser Mann nur immer wieder genau die richtigen Worte zu finden? Es war nicht nur sein gutes Aussehen, sein schräger Humor und die Hingabe, die er mit seiner Suche nach der Wahrheit an den Tag legte, was Dana ihren Partner lieben ließ. Ebenso liebte sie seinen scharfen und wachen Verstand, seine weiche Stimme und die Art wie er nur sie ansah, als wäre sie die schönste und außergewöhnlichste Frau auf der Erde. All die Gefühle, die Mulder in ihr hervorrief, waren so unglaublich intensiv, so wie sie es noch nie erlebt hatte. Die angenehme Wärme verbreitete sich in ihrem Leib und löste ein wohliges Gefühl in ihr aus.
„Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit“, versicherte sie ihrem Freund mit leiser und belegter Stimme. Als Dank schenkte Fox ihr ein strahlendes Lächeln, welches seine Augen einen noch dunkleren Ton annehmen ließ. Dann kehrte abermals ein angenehmes Schweigen ein, jeder Ex-Agent hing seinen eigenen Gedanken nach.

Unzählige Meilen später ließ Mulder den Wagen an einer Tankstelle ausrollen, bis er vor einer der Zapfsäulen zum Stehen kam. Mit einem liebevollen Blick sah Fox Mulder auf seine im Schlaf zusammengerollte Partnerin auf dem Beifahrersitz. Zärtlich strich er eine vorwitzige Strähne braunes Haar, die sich aus dem Zopf gelöst hatte, zurück. Würde er sich jemals an Dana satt sehen können? Er hoffte nicht. Mit einem leisen Seufzen verließ er das Auto um den Tank zu füllen. Nachdem er die Rechnung bezahlt hatte, ließ er den Wagen wieder an und setzt die Fahrt fort. Er bog jedoch nicht wieder auf den Highway ab, sondern steuerte eine nahe liegende Ortschaft an.
Als er endlich sein Ziel erreichte, weckte er die noch immer friedlich schlafende Dana mit einem sanften Kuss auf die Lippen. Benommen schlug sie Sekunden später ihre Augen auf, versuchte sich mit einem verwirrten Blinzeln zu orientieren.
„Gut geschlafen?“, erkundigte sich der dunkelhaarige Mann erheitert. Einzig ein Gähnen war die Antwort, als Scully sich genüsslich streckte. Dann aber blickte sie sich um. Es war erst früher Abend, zu früh, um ihre Fahrt für die Nacht zu unterbrechen.
„Sollen wir tauschen?“, fragte sie und musterte den Mann an ihrer Seite eindringlich.
„Später. Ich bin vielmehr dem Wink des Schicksals gefolgt“, erwiderte Mulder mit einem breiten Grinsen. Verwirrung war in Danas Gesicht zu lesen.
„Wink des Schicksals? Aber...“, bevor sie ihre Ausführung überhaupt beginnen konnte, unterbrach sie Mulder.
„Ja, ich habe eine wichtige Entscheidung für uns getroffen“, verkündete er mit ernster Stimme, konnte ein belustigtes Zwinkern jedoch nicht unterdrücken und deutete in einer ausschweifenden Geste nach draußen. Verwirrt sah sich Scully um. Dann lachte sie laut auf.
„McDonalds? Mulder, du willst nicht ernsthaft behaupten, dass ausgerechnet Arterien verstopfende Burger und fettige Pommes Frites unser Schicksal sind, bitte nicht!“, rief sie auf und verdrehte die Augen. Mulder aber zog eine Grimasse und meinte nur: „Genau das!“

Vielleicht lag es an ihrer fortwährenden Flucht oder an den Entbehrungen der letzen Tage, vielleicht aber auch an dem Hungergefühl, das doch stärker gewesen sein musste als Dana dachte. Gesättigt ließ sich die zierliche Frau gegen die Lehne des mit rotem Stoff bezogenen Stuhles fallen. Unglaublich, sie hatte doch tatsächlich ein komplettes Menü verschlungen. Und was viel unvorstellbarer war, es hatte ihr geschmeckt. Doktor Dana Scully hatte Geschmack an einem fettigen, ungesunden Big Mac mit einer großen Portion Pommes Frites gefunden. Das Ende der Welt musste näher sein als es ihr bewusst war. Scullys Gegenüber lehnte lässig auf dem billigen Stuhl und zog geräuschvoll die letzten Schlücke Cola durch einen rot-weißen Strohhalm. Sein Verhalten erinnerte stark an das eines Teenagers. Es war kaum zu übersehen - Fox Mulder war in seinem Element. Auf dem Tablett vor ihm stapelten sich Verpackungsrückstände und leere Essensboxen. Ein verträumtes Lächeln umspielte Danas Lippen.
„Um dich glücklich zu machen, muss ich dich nur vor einem Fastfood-Restaurant aussetzen. Das sollte ich mir merken“, scherzte sie.
„Das Glück liebt Gesellschaft. Setz dich mit mir zusammen aus und wir führen ein erfülltes Leben.“ Das verräterische Funkeln seiner Augen offenbarte, dass er dies nicht ernst meinte, der Kern dieser Aussage jedoch der Wahrheit entsprach.
„Nach diesem durchaus bekömmlichen und nahrhaften Mahl...“, er hielt kurz inne und wackelte verschwörerisch mit den Augenbrauen, „wäre mir jetzt nach einem Kaffee. Dir auch?“
„Ja, das ist eine gute Idee, noch nie habe ich Koffein so sehr geschätzt wie im laufe der letzten Tage.“ Mulder erhob sich, entsorgte ihre Tabletts auf dem Weg zur Kasse. Wenig später platzierte er einen dampfenden Becher vor Dana. Er hatte bereits Milch hinzugefügt, keinen Zucker. Mit einem Lächeln bedanke sich die dunkelhaarige Frau und flocht ihre Finger um den heißen Becher.

Kleine Gesten wie diese erwärmten ihr Herz. Auch wenn Mulder oft abgelenkt und von seinem Kreuzzug gefangen wirkte, so war er ein aufmerksamer Beobachter. Er wusste nicht nur, dass sie ihren Kaffee nur mit Milch, keiner Kaffeesahne und ohne Zucker trank, ebenso kannte er kleine Details, dessen Kenntnis sie ihm nie zugetraut hätte. Sein letzter Einkauf hatte das wieder einmal bewiesen. Nicht nur ihr bevorzugtes Shampoo hatte er gewählt, auch die richtig Lotion.
Schweigend tranken sie ihren Kaffee, ihre Augen verließen keine Sekunde lang die seinen. Und obwohl sie keine Worte wechselten, so sprachen ihre Blicke mehr als tausend Worte.

*****

„Wir müssen uns nordöstlich halten. Dann können wir unser Ziel nicht verfehlen“, erklärte Mulder. Scully, die seine Finger auf der Karte verfolgte, die über seinen Schoß ausgebreitet war, prägte sich ein wie lange sie dem Highway folgen musste.
„Hier müssen wir dann abfahren“, sein Zeigefinger umkreiste einen höher gelegenen Bereich auf der Karte.
„Ich glaube nicht, dass ich so lange schlafen werde, wenn doch, dann weck mich bitte. Aber du solltest nicht zu lange fahren, halt an, wenn du müde wirst.“ Seine müden Augen suchten die ihren, forderten ein Versprechen ein. Stumm nickte Scully, stellte dann den Rückspiegel ein. Zufrieden lehnte Mulder sich zurück und versuchte die Karte wieder zusammenzulegen. Nach zahlreichen, missglückten Versuchen gab er sein Vorhaben mit einem missmutigen Grunzen auf, zerknüllte die Karte und warf sie hinter sich auf die Rückbank.
„Mulder!“, versuchte Scully ihren Partner zu maßregeln, gab diesen Versuch sogleich wieder auf und ließ seufzend das Auto an. Eine Diskussion um etwas so belangloses wie die korrekte Faltweise einer Landkarte würde sie nicht weiterbringen. Während die junge Frau den Wagen zurück auf den Highway lenkte, rutschte Fox auf dem Beifahrersitz hin und her, bis er eine zufrieden stellende Position für sein Nickerchen gefunden hatte. Die Schuhe hatte er sich bereits abgestreift, den Anschnallgurt gar nicht erst angelegt.

Die leise Musik des Radios und das monotone Motorengeräusch übte eine wohltuende Ruhe auf Dana Scully aus. Die Straße war wenig befahren, sie hatten freie Fahrt und kamen gut voran. Sie hatte sich hinter einen alten Honda gehängt, dem sie in einem angemessenen Abstand und konstanter Geschwindigkeit folgte. Die Dämmerung setzt gerade ein, tauchte den sich vor ihnen endlos erstreckenden Horizont in ein leuchtendes Orangerot. Ein wunderschöner Anblick, doch ließen die Umstände es nicht zu diesen angemessen zu genießen. Würden sie das jemals tun können? Gemeinsam einen Sonnenuntergang genießen? Die Angst, die ihr allgegenwärtiger Verfolger zu sein schien, jemals abschütteln können und sich an einem Schauspiel wie diesem zu erfreuen? Sie hoffte es.

Ein plötzliches und gut vertrautes Aufheulen riss die Ex-Agentin aus ihrer Gedankenwelt. Hecktisch stieß sie ihren Partner an, riss ihn aus seinem ruhigen Schlummer. Das wild aufblinkende, blaue Licht in ihrem Rückspiegel veranlasste sie, den Fuß fest auf das Gaspedal zu stellen.
„Mulder! Wir werden verfolgt, Polizei!“ Deutlich war die Angst und Anspannung in ihren Worten zu hören. Das Signal hinter ihnen wurde zunehmend lauter und die grellen Wagenlichter, die von den Spiegeln reflektiert wurden, blendeten sie.

Fest hielten ihre Hände das Lenkrad umklammert, während Danas Augen fortwährend zwischen dem Rückspiegel und der Fahrbahn wechselten. Neben ihr schreckte Mulder aus seinem Schlaf hoch. Jede Müdigkeit war vertrieben und wich wiederum der Sorge um ihre Sicherheit. So unbeteiligt wie möglich drehte er seinen Oberkörper nach hinten, um einen genauen Blick auf ihre erneuten Verfolger richten zu können. Zwei männliche Gesetzeshüter folgen ihnen, beide nicht mehr die Jüngsten und die runden Gesichter ließen eine kräftige Statur vermuten. Der Fahrer des Polizeiautos starrte verbissen nach vorne, während der Beifahrer nervös an seinem ungepflegten Vollbart zupfte.
„Bist du zu schnell gefahren?“, erkundigte er sich in der Hoffnung, ein so simples Vergehen hinter dieser Verfolgung verborgen zu finden. Aus dem Augenwinkel nahm er Danas Kopfschütteln wahr.
„Nein, ich habe mich an die Geschwindigkeitsbeschränkung gehalten. Ich wollte nichts riskieren. Was sollen wir machen?“ Ihre Stimme hatte die nervösen Nuancen verloren, klang jetzt wieder ruhig und besonnen, als würde sie einen Fall mit ihrem Partner besprechen. Eine der vielen Eigenschaften, die Mulder an Dana Scully bewunderte. Sie konnte eine dermaßen kühle Professionalität an den Tag legen, die selbst ausgemachte Verbrecher in die Knie zwang.

„Die beiden sehen nicht so aus als ob sie geschickt im Nahkampf sind. Wir könnten sie leicht überrumpeln. Fraglich ist nur, wie schnell sie von ihren Waffen gebrauch machen werden. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie uns nicht gezielt jagen. Nenn es eine Eingebung“, versuchte der Ex-Agent ihre Situation einzuschätzen. Einen Moment lang hielt er inne. Scully machte nicht den Fehler sein Schweigen als Ratlosigkeit zu interpretieren. Sie kannte Mulder und die Art wie sein brillanter Verstand arbeitete.
„Halt an!“, wies er seine Partnerin mit ruhiger, monotoner Stimme an. Verwirrung stand in Scullys Gesicht geschrieben. Der Gedanke, einfach an den Straßenrand zu fahren und abzuwarten, warum sie von der Polizei verfolgt wurden, behagte der dunkelhaarigen Frau nicht sonderlich. Seine Überlegung abschätzend, sah sie Mulder kurz an. Seine zusammengepressten Kiefermuskeln, die Fältchen, die sich über seine Stirn gelegt hatten, gaben ihm einen verbissenen Ausdruck. Sie vertraute ihm blind, doch schickte sie Stoßgebete gen Himmel, dass er wissen würde, was er da tat. Langsam ließ sie den Wagen ausrollen und fuhr rechts ran. Noch bevor das Gefährt ganz zum Stehen gekommen war, raste der Streifenwagen an ihnen vorbei. Irritiert blickte Dana dem Auto nach, das mit konstant schneller werdendem Tempo den alten Honda vor ihnen den Highway entlang jagte. Erleichtert ließe die junge Frau Luft aus ihren Lungen entweichen, von der sie nicht einmal wusste, dass sie diese angehalten hatte.
„Woher hast du gewusst, dass sie nicht uns gemeint haben?“, wollte Scully von ihrem Beifahrer wissen, dem ebenfalls erst jetzt die Anspannung aus seinem Gesicht wich.
„Wir waren nicht die einzigen, die bei dem Anblick eines Blaulichtes nervös geworden sind, Scully! Der Wagen vor uns ist immer schneller geworden“, erklärte Mulder.

Es vergingen einige Minuten bis sich ihr Pulsschlag normalisiert hatte und ihr Atem wieder flach ging. Ganz allmählich entkrampften sich ihre verspannten Muskeln. Der Schreck dieser Begegnung saß doch tiefer als beide es vermutet hätten. Ein Leben auf der Flucht führte wohl zu diesem Gefühl der ständigen Angst. Fühlten sich so Menschen, die unter Wahnvorstellungen und extremer Paranoia litten? Wie lange würden sie auf einem solchen Adrenalinhoch durchhalten können?

Minuten, vielleicht auch Stunden später, ließ Dana den Motor wieder an und sie setzten ihre Fahrt fort. Von dem flüchtigen Honda und dem Polizeiwagen war weit und breit nichts zu erkennen. Vor ihnen erstreckte sich einzig eine dunkle und lange Straße, fern von jeder Zivilisation, die ins Nirgendwo zu führen schien.
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