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Mistletoe and more

von Sonja K

Kapitel 3

24.12., 8.11 am

Mulder wurde von dem ihm inzwischen schon bekannten Geschrei der Zwillinge aus dem Schlaf gerissen, in das sich heute auch Matthews Weinen mischte. Wieder brauchte er einen Moment, um sich zu orientieren und erleichtert festzustellen, dass sich kein Fuß in seinem Gesicht befand. Wohlig seufzend kuschelte er sich tiefer in seine Kissen in dem Bewusstsein, dass er noch nicht aufstehen musste, und wunderte sich, wie der Zipfel seiner Bettdecke in seinen Mund geraten sein mochte, und warum dieser sich so hart anfühlte. Genüsslich saugte er ein paarmal daran, bis ihm aufging, woran er da lutschte, und er erschrocken hochfuhr, wobei er versehentlich in den Gegenstand biss, der seine orale Fixierung bis eben beschäftigt hatte.
„Au!“
Mulder öffnete den Mund, um Scully zu fragen, was ihr weh tat, bekam aber im selben Moment eine halbherzige Ohrfeige von ihr.
„Was fällt Ihnen ein, mir in den Finger zu beißen?“ wollte sie wissen und betrachtete ihren lädierten Zeigefinger näher, an dem sich nicht nur Mulders Speichel, sondern auch noch eine feine Bissspur fand.
„Äh... ich,... ähm, tut mir leid...“
Sie unterbrach sein Gestotter und erkundigte sich mit hochgezogener Braue: „Sagen Sie mal, wecken Sie jede Frau, die bei Ihnen schläft, indem Sie an ihr herumkauen?“
„Äh, eigentlich nicht, aber wenn sie so gut schmeckt wie Sie...“
Sie verdrehte die Augen. „Ich weiß ja nicht, wonach ich schmecken soll, aber so, wie mein Finger aussieht, haben Sie eine ganze Weile dran gelutscht. Vielleicht sollte ich Ihr Weihnachtsgeschenk noch umtauschen und Ihnen einen Schnuller besorgen.“ zog sie ihn auf. Mulder lachte schuldbewusst, erleichtert, dass sie ihm nicht böse war, und griff nach ihrem Handgelenk, um die misshandelte Hand zu seinem Gesicht zu ziehen.
„Zeigen Sie mal her. Sooo schlimm sieht das ja nun auch wieder nicht aus, zumindest blutet es nicht. Kommen Sie, ich puste, dann wird es besser.“ Damit blies er mit gespitzten Lippen auf den fraglichen Finger und hauchte einen Kuss darauf, bevor er ihre Hand wieder losließ und sie angrinste. „Sehen Sie, schon ist es weg. Den Trick hat mir Tara gestern gezeigt, als Matthew versucht hat zu laufen und hingefallen ist.“
„Ich staune, dass Sie so gut aufgepasst haben. Wissen Sie, wenn Sie unbedingt an meinem Finger nuckeln müssen, meinetwegen, solange Sie nicht reinbeißen.“
Mulder sah sie überrascht an. Hatte sie ihm etwa soeben die Erlaubnis gegeben, an ihrem Finger zu lutschen? Das musste er sich eingebildet haben. Dann sah er in ihre Augen und bemerkte das schelmische Funkeln darin. Sie zog ihn auf. Und er hatte schon gedacht... Ehe er diesen gefährlichen Gedankengang weiter verfolgen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und zwei blonde Mädchen in Schlafanzügen stürzten wie ein Wirbelwind ins Zimmer und warfen sich auf ihn.
„Fox, kitzel uns!“ forderten sie, führten dasselbe jedoch gleichzeitig bei ihm aus, sodass er keine Chance hatte, sich zu wehren. Scully sah dem ungleichen Kampf eine Weile zu; dann rutschte sie von ihrem Bett auf die Matratze, um ihrem Partner beizustehen, und kurz darauf hielten sie und Mulder je einen wild um sich schlagenden Zwilling umklammert.
„Gebt ihr Ruhe?“ wollte Scully wissen.
„Nein!!“ kam es aus zwei Mündern gleichzeitig.
„Und wenn Fox und ich euch eine Geschichte erzählen?“
Die Mädchen überlegten kurz, dann erklärten sie sich einverstanden. „Okay, aber eine lange.“
„Von mir aus.“ Scully zog ihre Decke vom Bett und kuschelte sich mit Lauren darunter, während Mulder Nora Unterschlupf gewährte, und als Maggie eine halbe Stunde später hereinkam, um sie zum Frühstück zu rufen, fand sie alle vier einträchtig auf Mulders Matratze; ihre Tochter und Enkelinnen lauschten gebannt, während Mulder seine etwas eigenwillige Version eines Märchens erzählte.


**********


Nach dem Frühstück nahm Maggie Scully Mulder beiseite und bat ihn, ihr beim Einwickeln der letzten Geschenke zu helfen. Seinem Protest, er wäre absolut ungeeignet für solche Aktivitäten, wich sie aus, indem sie erklärte, er sei der einzige, für den kein Geschenk mehr verpackt werden müsse, und somit der perfekte Kandidat. Mit einem Hilfesuchenden Blick in Richtung seiner Partnerin, die auch nichts hilfreicheres tat, als mit den Schultern zu zucken, fügte er sich schließlich in sein Schicksal und folgte Maggie nach oben in ihr Schlafzimmer, dem einzigen Ort, wo sie vor allen heimlichen Beobachtern sicher sein würden. Maggie holte Bänder, Schleifen und unzählige Bahnen Geschenkpapier sowie eine riesige Menge Pakete und Tüten aus ihrem Kleiderschrank, breitete alles auf dem Boden aus und bedeutete Mulder, sich zu ihr zu gesellen.
„Ich weiß wirklich nicht, ob das so eine gute Idee ist...“ begann er, aber Scullys Mutter winkte bloß ab: „Ich weiß, Sie haben nicht viel Erfahrung mit dem Einwickeln von Geschenken, aber irgendwann müssen Sie es ja mal lernen. Was wollen Sie tun, wenn Sie mal selbst Kinder haben?“ Mulder zog es vor zu schweigen, da die einzige Person, mit der er sich Kinder zu haben überhaupt vorstellen konnte, Maggies jüngste Tochter war, und das würde er ihr unter keinen Umständen unter die Nase reiben. Maggie deutete sein Schweigen genau richtig, bohrte aber nicht weiter. Egal, was ihre Kinder von ihr denken mochten, sie wusste genau, wann es besser war, taktvoll zu schweigen, und in den meisten Fällen tat sie das dann auch.
„Na gut, vielleicht könnten Sie dann alle Geschenke im Laden einpacken lassen, aber das ist doch nicht halb so persönlich, oder? Außerdem ist es gar nicht so schwer, Sie werden sehen. Reichen Sie mir mal das Klebeband.“
Eine Weile arbeiteten sie, wobei Maggie Mulder instruierte und feststellte, dass er sich gar nicht so dumm anstellte, wie sie zu Anfang befürchtet hatte. Sie beschloss, ihn auf die Probe zu stellen und reichte ihm ein Buch. „Das hier ist für Bill, nehmen Sie das grüne Papier mit den Sternen; grün ist seine Lieblingsfarbe.“ Mulder starrte einen Moment lang sprachlos auf das Buch in seiner Hand. Er konnte es nicht fassen, dass er im Begriff war, ein Geschenk für den Mann einzuwickeln, der ihn am liebsten umbringen würde. Ob Bill beim Auspacken wohl merken würde, wem er das Geschenkpapier zu verdanken hatte? Sollte er vielleicht – rein versehentlich natürlich – ein paar Seiten herausreißen? Mulder verwarf diesen Gedanken schnell wieder; schließlich war Weihnachten, und er wollte niemandem das Fest verderben, nicht mal Bill, Jr. Er versuchte, sich an das zu erinnern, was ihm Maggie eben erst beigebracht hatte, und nahm einen großen Bogen grünes Papier, in dessen Mitte er das Buch plazierte. Maggie hatte ihn wohlweislich mit etwas einfachem anfangen lassen, was sich als extrem klug erwies. Es hatte so einfach ausgesehen, als er Maggie beobachtet hatte, aber seltsamerweise wollte sich das Papier einfach nicht ordentlich falten lassen, es knitterte am Rand und riss an den Ecken ein, sodass Mulder wesentlich mehr Klebeband benötigte als beabsichtigt, aber schließlich hielt er triumphierend ein faltiges und von Klebeband starrendes Päckchen in die Höhe. Maggie nahm es ihm mit einem Lächeln ab. Sie beschloss, es nicht noch einmal auszupacken und seine Illusionen zu zerstören; im Laufe ihres Lebens hatte sie bei der Erziehung ihrer Kinder gelernt, dass man jede wirkliche Mühe loben und würdigen musste, und dieser Erfahrung kam ihr jetzt mehr als gelegen. Sie reichte ihm noch ein Buch. „Dana, dunkelblaues Papier mit silbernen Runen.“ wies sie an, und während Mulder sich durch die schwierige Aufgabe kämpfte, ein Geschenk für seine Partnerin ordentlich einzuwickeln, weihte ihn Maggie in eine weitere weihnachtliche Tradition der Scullys ein, die Dana offenbar zu erwähnen vergessen hatte: „Nach dem Weihnachtsessen am Abend gehen wir alle zusammen nach draußen und sehen uns die Sterne an; sobald jeder von uns seinen Weihnachtsstern ausgesucht hat, darf jeder ein Geschenk öffnen. Dadurch sind die Kinder nicht so aufgeregt und gehen irgendwann schlafen, und wir Erwachsenen gehen zur Mitternachtsmesse. Melissa hat sich bereit erklärt, zu Hause zu bleiben und auf die Kinder aufzupassen, damit wir anderen gehen können. Ich hätte es zwar gern gesehen, wenn sie mitgegangen wäre, aber sie hält das für keine gute Idee.“
„Vielleicht könnte ich ja statt dessen hier bleiben.“ schlug Mulder vor, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass irgend jemand ihm nochmal die Verantwortung für die Kinder überlassen würde. „Dann könnte Melissa mitgehen. Mich stört es wirklich nicht. Außerdem bin ich nicht...“ Er brach ab, nicht sicher, wie er Maggie erklären sollte, dass er sich mit seiner jüdischen Herkunft in einer katholischen Christmette mehr als fehl am Platz fühlen würde. Maggie nickte. „Ich weiß, Sie sind nicht katholisch, aber das macht nichts. Sie müssen nicht glauben, um die Messe genießen zu können. Es ist immer eine sehr schöne und ruhige Feier, dadurch, dass keine Kinder dabei sind; es werden Weihnachtslieder gesungen, und die Kirche ist wunderschön geschmückt. Sie sollten wirklich mitkommen. Niemand wird von Ihnen erwarten, dass Sie beten, wenn Sie nicht wollen. Beth ist evangelisch, aber sie freut sich trotzdem jedesmal auf die Messe. Ich versichere Ihnen, das es niemanden stören wird.“
„Wenn die Messe so schön ist, dann sollte Melissa auch die Chance haben, sie zu sehen, oder nicht?“
Maggies Gesicht verdüsterte sich, und sie seufzte leise. „Sie und Father McCue, unser Priester, haben kein gutes Verhältnis, was teilweise meine Schuld ist. Sie wissen ja, dass Missy sich mit New Age beschäftigt, und ich war besorgt, dass sie sich da in etwas hineinsteigert. Ich habe mit Father McCue darüber gesprochen, worauf er mit Missy geredet hat. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber seit diesem Gespräch hat sie sich vollkommen von ihm abgewandt. Sie geht in die Kirche, aber nicht mehr hier. Ich habe versucht, mit ihr zu sprechen, aber sie wollte nicht darüber reden und hat nur gesagt, er habe ein paar Dinge gesagt, die sie verletzt hätten.“
Mulder hörte schweigend zu, nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte, dass Maggie ihn so sehr als Teil ihrer Familie betrachtete, dass sie ihm derartige Dinge erzählte. „Vielleicht sollte sie die Chance haben zu entscheiden, ob sie in diesem Jahr gehen möchte.“ schlug er schließlich vor. „Sonst konnte sie sich hinter den Kindern verstecken und musste nicht nachdenken, ob sie wirklich nicht gehen wollte, aber jetzt hätte sie die Möglichkeit. Wenn Sie wollen, werde ich es ihr vorschlagen; sie braucht ja nicht zu wissen, dass ich Bescheid weiß. Wenn sie selbst entscheidet, nicht gehen zu wollen, komme ich mit. Es ist nicht so, dass ich mich drücken will, aber ich habe das Gefühl, die Messe ist eine Familienangelegenheit.“
„Fox, Sie gehören schon längst zur Familie, das sollten Sie eigentlich wissen. Ich bin Ihnen sehr dankbar für den Versuch, aber Sie sollten wissen, dass ich Sie bei der Messe ebenso vermissen würde wie Missy.“
Sie streckte die Hand aus und pflückte ein Stück Klebeband von Mulders Ohr, um es an den Rand einer weiteren Papierbahn zu kleben. Mulder fragte sich gerade, wie es da hingekommen sein mochte, als Maggie ein weiteres Stück aus seinen Haaren zupfte.
„Am Ärmel haben Sie es auch.“ bemerkte sie und nahm ihm Danas Geschenk ab, das wesentlich ordentlicher eingewickelt war als das für Bill. Maggie fragte sich, ob das daran lag, dass er allmählich Übung bekam, oder ob der Empfänger des jeweiligen Geschenks den Ausschlag dafür gegeben hatte, wie viel Mühe sich Mulder gab, entschied dann aber, dass sie es gar nicht so genau wissen wollte, und reichte ihm ein weiteres Buch, dieses Mal für Tara. „Ich schenke jedes Jahr jedem ein Buch. Das ist so etwas wie eine Familientradition.“ erklärte sie. „Meistens sind es auch die Bücher, die bereits am Weihnachtsabend ausgepackt werden. Es sei denn, Sie hätten ein Geschenk für Dana, das sie unbedingt heute schon öffnen soll. Dann kann ich ihr auch das geben.“
Mulder dachte einen Augenblick nach, dann nickte er. „Ich habe tatsächlich zwei Geschenke für sie, die nicht unbedingt zusammengehören. Wenn es Ihnen nichts ausmacht...“
„Kein Problem.“ Sie deutete auf den Berg bereits bunt verpackter Geschenke, die sie im Laufe der letzten Tage von ihren Gästen eingesammelt hatte, um sie unter den Baum zu legen. „Welches ist es?“
„Das große da, mit der blauen Schleife.“ Maggie betrachtete das professionell verpackte Paket und lächelte. „Das haben Sie aber einpacken lassen, oder?“
Mulders Gesichtsausdruck wäre ein Foto wert gewesen. „Äh, ja, warum?“
„Nur so ein Gedanke. Ich werde es gesondert an die Seite legen, damit es nachher schon unter dem Baum landet. Santa lässt auf dem Weg zur Arbeit schon ein Geschenk da, die anderen bringt er in der Nacht. Und nun sollten wir wirklich weitermachen, wir haben noch viel Arbeit vor uns. Tara bekommt rotes Papier, Beth violettes.“ Sie schob die restlichen Bücher in seine Richtung, und Mulder beeilte sich, ihre Anweisungen auszuführen.


**********

Während Maggie Mulder in ihrem Schlafzimmer in die Kunst des Verpackens einweihte, hatte Missy ihre Schwester beiseite genommen und erkundigte sich, ob sie allein mit ihr sprechen könne. Dana war zwar überrascht, stimmte jedoch zu und folgte Missy in deren Zimmer, in dem der erwartete Duft nach Räucherkerzen schwebte. Die Schwestern setzten sich aufs Bett, und Missy begann, nervös mit den Ringen an ihren Fingern zu spielen, was Dana erstaunte. Gewöhnlich hatte ihre Schwester keine Probleme damit, geradeheraus zu sagen, was sie wollte. Schließlich hatte sie genug. „Was ist los? Hab ich irgendwas gemacht, das dich verletzt hat?“ wollte sie wissen. Melissa schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Es ist nur ziemlich schwierig, das zu sagen, was ich sagen will; ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.“
„Wie wär’s mit dem Anfang?“ schlug Dana vor. Melissa lächelte freudlos. „Das ist ja das Problem. Es gibt gar keinen Anfang.“ Wieder herrschte Schweigen, bis sie sich schließlich einen Ruck gab. „Sag mal, was bedeutet dir eigentlich Mulder?“
Dana starrte sie sprachlos an. „Wie bitte? Wir sind Partner, gute Freunde, wahrscheinlich sogar beste Freunde, aber warum fragst du“
„Es ist nicht zufällig so, dass du in ihn verliebt bist?“
„Natürlich nicht!“ Danas Protest kam selbst für ihren eigenen Geschmack zu hastig. „Dass sich ein Mann und eine Frau mögen und gut miteinander befreundet sind, muss doch nicht gleich heißen, dass sie verliebt sein müssen.“
„Nicht unbedingt. Aber ich frage nicht allgemein, sondern ich frage dich: Bist du in Fox Mulder verliebt?“
Wie immer, wenn sie sich in die Ecke gedrängt fühlte, reagierte Dana mit Abwehr: „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“
„Ziemlich viel, würde ich meinen. Dana, ich weiß, dass du jetzt ziemlich sauer auf mich sein wirst, aber ich habe mich in Mulder verliebt, und wenn du nicht das gleiche für ihn empfindest, werde ich versuchen, ihn näher kennenzulernen.“
„Du hast was?!?“ Es geschah selten, dass es Dana Scully die Sprache verschlug, aber dieses Mal war es soweit. Melissas Geständnis erklärte einiges. Den umgehängten Mistelzweig zum Beispiel. Sie musste damit gerechnet haben, irgendwann zusammen mit Mulder darunter zu landen. Der Sturz in den Schnee bei ihrer Begrüßung hatte wahrscheinlich auch schon zu ihrem Plan gehört. Dana wandte sich ab, damit ihre ältere Schwester nicht die Tränen sehen konnte, die sich in ihren Augen zu bilden begannen. Wenn Missy einen Mann wollte, bekam sie ihn meistens auch, und wenn nicht, dann lag das ganz bestimmt nicht daran, dass er Gefühle für ihre kleine Schwester hatte. Sie sah jede Hoffnung auf eine Zukunft mit Mulder in weite Ferne rücken, denn um nichts in der Welt würde sie sich auf einen Wettstreit mit ihrer eigenen Schwester einlassen, den sie sowieso verlieren musste. Melissa bemerkte den Kummer ihrer Schwester und legte ihr die Hand auf den Arm. „Hör zu, Dee, ich frage dich, weil ich denke, dass du Gefühle für ihn hast, und ich will ihn dir nicht wegnehmen. Wenn du in ihn verliebt bist, werde ich es nie wieder ansprechen, aber wenn nicht, verdiene ich dann nicht eine Chance?“
Dana fuhr herum, als sei sie von einer Wespe gestochen worden. „Eine Chance? Wozu denn? Mit dem Herzen meines Partners zu spielen, ihn an dich zu binden und dann irgendwann wieder fallen zu lassen, weil er laut irgend einer Planetenkonstellation oder irgend einer kosmischen Schwingung doch nicht der richtige für dich ist? Eine Chance, die beste Freundschaft und Partnerschaft zu ruinieren, die ich in meinem ganzen Leben gehabt habe? Den Mann unglücklich zu machen, der mich als gleichwertige Partnerin betrachtet? Meinen besten Freund? Damit er hinterher zu mir kommt, um sein Herz wieder zusammenflicken zu lassen, nachdem du ihn verlassen hast?“
Melissa unterbrach sie: „Hör auf! Ich weiß, dass ich viele Fehler gemacht habe, aber ich bin reifer geworden. Ich würde ihm nicht weh tun, Dana. Ich meine es ernst. So ernst, dass ich ihn mit dir verkuppeln würde, wenn es das ist, was ihn glücklich macht.“ Sie fuhr fort, bevor Dana eine Möglichkeit hatte, sie von neuem anzuschreien. „Ich glaube, dass du mehr für ihn empfindest als Freundschaft, und ich glaube außerdem, dass du das weißt. Wenn es so ist, musst du es mir sagen. Ich weiß, dass ich nicht gerade die Person bin, das zu verlangen, aber ich verspreche dir, mich auf keinen Wettkampf mit dir einzulassen. Sag mir einfach, ob ich recht habe, und ich werde ihn in Ruhe lassen.“
Dana funkelte ihre Schwester an. Sie konnte es nicht glauben, dass diese sie so schnell so wütend gemacht hatte. Aber so war es schon früher gewesen: Melissa hatte immer gewusst, welche Knöpfe sie drücken musste, um Dana zum Explodieren zu bringen. Und Mulder war nun einmal ihr wunder Punkt. Dass Missy ihr nicht nur die Hoffnung nehmen wollte, jemals herauszufinden, ob zwischen ihnen etwas sein könnte, das über Freundschaft hinausging, sondern auch diese Freundschaft gefährden, war schlicht zu viel. Sie zwang sich zur Ruhe und dachte über die Frage ihrer Schwester nach, bevor sie antwortete: „Ich weiß zwar nicht, was es ändern könnte, aber ich glaube, dass ich mich in Mulder verliebt habe, schon vor langer Zeit. Das hat aber nichts zu bedeuten, denn er sieht mich nicht auf diese Weise. Deshalb bin ich mit seiner Freundschaft zufrieden, und ich wäre dir dankbar, wenn du sie nicht gefährden würdest.“
„Hast du mir überhaupt zugehört? Mir würde nicht im Traum einfallen, mich zwischen euch zu stellen, das habe ich doch schon gesagt. Es fällt mir wirklich nicht leicht, das zu sagen, aber ich wünsche euch, dass ihr zusammen glücklich werdet. Glaub mir, ich mag ihn, sehr sogar, aber wenn es ihn glücklich macht, dann soll er mit dir zusammen sein. Ich bin nur verliebt, du liebst ihn, das ist ein Unterschied. Außerdem verliebe ich mich wesentlich schneller neu als du.“ versuchte sie zu scherzen, aber Dana schüttelte nur den Kopf. „Hör mal, ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Mulder und ich sind Freunde, und wenn niemals etwas zwischen uns passiert, hätte ich den Rest meines Lebens ein schlechtes Gewissen, weil ich dir die Chance verdorben habe.“
„Das wird nicht passieren. Mom und Charly, Beth, Tara und ich werden schon dafür sorgen, dass ihr dieses Haus nicht verlasst, ohne über eure Gefühle gesprochen zu haben.“
„Mir wäre es lieber, wenn ihr euch da raushalten würdet. Wenn etwas passiert, dann nur, weil Mulder und ich es beide wollen. ich möchte nicht, dass er sich irgendwie gedrängt fühlt oder dass wir in irgendwelche peinlichen Situationen geraten.“
Missy lächelte. „Zu spät; die Kampagne läuft bereits. Das einzige, was nicht geplant war, sind meine Gefühle für Mulder. Ich wäre dir dankbar, wenn du Mom nichts davon sagen würdest. Sie macht sich sonst noch Sorgen um mich, und das ist absolut unnötig. Ich komm schon zurecht.“
„Keine Angst, ich kann schweigen. Diese Unterhaltung ist sowieso viel zu skurril, um sie zu wiederholen. Trotzdem, lasst uns doch einfach in Ruhe. Ich wäre unter dem verdammten Mistelzweig am liebsten im Erdboden versunken.“
„Meine Idee.“ bekannte Melissa. „Und ich hatte noch ein paar andere auf Lager. Wusstest du, dass man mit Voodoo auch Liebeszauber machen kann?“
Zum zweiten Mal an diesem Vormittag war Scully sprachlos. Melissa fuhr fort: „Ich hab mit ein Stück aus einer von Mulders Boxers geschnitten – keine Angst, die Shorts hab ich in den Müll geworfen, nicht, dass er noch was merkt – und hab es an eine Puppe gehängt.“
„Wie bitte?!!“ Fassungslos starrte Dana ihre Schwester an. Sie kannte Melissa und hätte ihr allerhand zugetraut, aber dass sie so weit gehen würde, hätte sie niemals erwartet. Zu allem Überfluss schien sie auch noch stolz darauf zu sein.
„Du hast mit einer Nadel in Mulders Herzen herumgebohrt?“
„Klar. Was sonst als das Herz hat denn mit Liebe zu tun? Ich hätte auch woanders reinstechen können, aber ich wollte ja nicht sein kleines Gehirn auf dich aufmerksam machen, und außerdem, wer weiß, was passiert wäre, hätte ich mich da vertan...“
„Du bist absolut unmöglich! Ich will, dass du auf der Stelle die Nadeln aus meinem Partner ziehst.“
Einen Moment lang versuchte Missy noch, ernst zu bleiben, dann gab sie auf und brach in schallendes Gelächter aus. „Ich hab dich doch nur aufgezogen. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich auf Voodoo einlassen würde. Viel zu kompliziert. Außerdem brauche ich bei dir und Mulder wirklich nur auf der äußeren Ebene nachzuhelfen, innerlich ist sowieso längst alles klar.“ Sie warf sich aufs Bett und lachte weiter, diesmal angespornt durch den dummen Gesichtsausdruck ihrer Schwester. Schließlich begriff Dana, dass sie hereingelegt worden war, und begann ebenfalls zu lachen. Eine ganze Weile war nichts anderes zu hören als das Gelächter der Schwestern. Als sie sich schließlich beruhigt hatten, lagen sie nebeneinander auf dem Bett und schnappten nach Luft. Dana wurde zuerst wieder ernst. „Missy, es tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Ich hätte dich nicht so anschreien sollen, aber ich hatte Angst, dass du und Mulder...“
„Schon gut. Ich hätte wahrscheinlich genauso reagiert. Oder ich hätte mir wirklich eine Voodoo- Puppe gebastelt...“
Dana brach erneut in Lachen aus, fing sich aber schnell wieder. „Es tut mir wirklich leid, auch, dass du dich in ihn verliebt hast.“
„Hey, nun mach nicht so ein Gesicht. Du weißt doch, mich haut so schnell nichts um, und außerdem seid ihr zwei füreinander bestimmt, das sagen schon die Zeichen, und ich werde mich hüten, denen im Weg zu stehen.“ Dana verdrehte die Augen. „Du weißt genau, dass die einzigen Zeichen, an die ich glaube, Schmetterlinge im Bauch sind, und davon habe ich reichlich.“ bekannte sie.
„Na, dann wird es mal Zeit, dass die lieben Tierchen ein wenig Auslauf bekommen, meinst du nicht? Los, lass uns Mulder suchen gehen.“ Mit diesen Worten sprang Melissa auf und zog ihre protestierende Schwester mit sich.


**********


24.12., 3.43 pm

Die ganze Familie nebst Mulder war gerade im Wohnzimmer um ein Wissensquiz versammelt, das Scully und Mulder dank seines fotografischen Gedächtnisses und ihres Würfelglücks zu gewinnen im Begriff waren, als es an der Tür klingelte. Nora und Lauren, die mit Charly gespielt und keine sehr großen Chancen auf den Sieg hatten, nahmen die Unterbrechung dankbar wahr und rannten los, um zu öffnen, nur um eine Minute später mit einigen anderen Kindern wieder hereinzustürzen, die Schnee auf dem Teppich verteilten und die Erwachsenen erwartungsvoll ansahen.
„Können wir mit zum Caroling?“ begann Lauren zu betteln.
„Bitte!“ quengelte auch Nora, und da das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern in der Nachbarschaft eine Tradition war, wurde das Spiel abgebaut und alle schlüpften in ihre Mäntel und Schuhe. Mulder war überrascht zu sehen, wie begeistert sie alle waren; in seinen Augen war das gemeinsame Singen von Weihnachtsliedern nicht gerade eine erfreuliche Beschäftigung. Scully kannte ihren Partner gut genug um seinen Blick zu deuten und stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. „Wenn Sie nicht singen können, sind Sie hier in bester Gesellschaft.“ flüsterte sie.
„Und warum tun wir es dann, wenn keiner singen kann?“ erkundigte sich Mulder ebenso leise.
„Weil es Spaß macht.“ gab sie zurück und beendete die Diskussion, indem sie seinen Arm fasste und ihn hinter sich herzog.
Eine gute halbe Stunde später gestand Mulder sich ein, dass sie recht gehabt hatte. Es machte tatsächlich Spaß, als Teil einer großen Familie singend durch die Nachbarschaft zu ziehen, auch wenn es allmählich etwas ermüdend wurde, sich ständig von Bill fernhalten zu müssen. Aber nachdem dieser ihm gleich zu Beginn klargemacht hatte, dass er ihn absolut nicht dabei haben wollte und ihm einen Schubs gegeben hatte, der ihn beinahe kopfüber im Schnee landen ließ, war er lieber auf der Hut. Scully und ihre Schwester hielten sich dicht genug bei ihm, um ihn abzuschirmen, während Maggie ein Auge auf ihren Sohn und gleichzeitig auf alle Enkel hatte. Allmählich konnte sich Mulder gut vorstellen, wie sie es geschafft hatte, vier kleine Kinder gleichzeitig zu erziehen. Vor einem Haus blieben sie einen Moment lang stehen und warteten auf die Bewohner, offenbar gute Freunde der Familie, die sich ihnen anschlossen. Im Nu war Mulder von einer Handvoll Kinder umringt, die wohl von Charlys Zwillingen gehört hatten, wie „cool“ er doch war, und sich nun darum stritten, wer an seiner Hand gehen durfte. Um fair zu bleiben, wechselte er nach jedem dritten Lied die Kinder, bis ihn Melissa am Ärmel zupfte.
„Hey, jetzt sind Dana und ich aber mal dran.“ beschwerte sie sich. Mulder sah zu Scully hinüber, die wieder mal mit den Schultern zuckte, eine Geste, die er sie noch nie so häufig hatte machen sehen wie in den letzten beiden Tagen. Als die letzten Töne von „Glorious Kingdom“ verklungen waren, entließ Mulder die beiden etwa fünfjährigen Jungen, die sich bis eben an ihm festgehalten hatten, und ließ es zu, dass sich Melissa an eine Hand hängte. Er sah sich suchend nach Scully um, die sich genau diesen Moment ausgesucht hatte, um eine „angeregte“ Unterhaltung mit einer Nachbarin zu beginnen, die sie offenbar seit längerem nicht mehr gesehen hatte. Er begann schon zu überlegen, was er tun konnte, um Melissa wieder loszuwerden, als diese ihn in Richtung ihrer Schwester zerrte. „Na los, kommen Sie schon, wir müssen Dana retten. Zufällig weiß ich, dass sie diese Frau nicht leiden kann, und sie wird uns sehr dankbar sein, wenn wir sie erlösen, glauben Sie mir.“ Mulder schaute sie zweifelnd an. Wenn Scully jemanden nicht mochte, war sie mit Sicherheit nicht so freundlich. In diesem Augenblick fing er einen Blick seiner Partnerin auf, der regelrecht um Hilfe schrie. Er nickte kaum merklich und ging zu ihr, Melissa im Schlepptau, die seine Hand noch immer nicht losließ.
„Tut mir leid, wenn ich unterbreche, aber die Kinder bedrohen mich mit Schneebällen, und mir wurde mitgeteilt, dass ich nur dann mit Gnade rechnen kann, wenn ich jemanden an die Hand nehme.“ log er. „Alle anderen waren schon dran, also... würden Sie mir die Ehre erweisen, Scully?“ erkundigte er sich in seinem allerhöflichsten Tonfall. Sie strahlte ihn förmlich an. „Entschuldigen Sie mich, Vivianne, ich muss meinen Partner retten. Das ist so üblich beim FBI.“ Mulder kam es vor, als betone sie die letzten Worte besonders. Kaum waren sie außer Hörweite der Frau, als Scully seinen Eindruck bestätigte. „Danke, dass Sie mich gerettet haben. Diese Frau macht mich wirklich wahnsinnig. Jedesmal muss ich mir anhören, wie weit es ihre Tochter doch gebracht hat, dass sie praktizierende Ärztin ist und einen liebevollen und vermögenden Mann geheiratet hat, welche Auszeichnungen sie wieder bekommen hat und wie schlau ihre Kinder sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Mom das ganze Jahr über vorhält, dass ihre Tochter bloß beim FBI ist und weder einen Mann noch Kinder noch eine große Karriere vorzuweisen hat. Als ob es nichts wert wäre, was wir jeden Tag tun.“
Missy hatte sich unbemerkt von Mulder losgemacht und entfernt, nachdem sie ihre selbstgewählte Mission erfüllt und Dana und ihren Partner zusammengebracht hatte, aber keiner der beiden bemerkte ihr Fehlen. Mulder blickte seine Freundin erstaunt an. „Ich dachte, Sie lieben Ihren Beruf. Warum stört es Sie dann, was diese Vivianne sagt?“
„Das tue ich. Wirklich, Mulder, ich möchte nirgendwo anders sein als mit Ihnen im Keller bei den X-Akten. Aber es geht mir auf die Nerven, ständig vor Augen geführt zu bekommen, was für eine Verliererin ich in den Augen mancher Leute bin. Meine Eltern haben seit fünfzehn Jahren hier gewohnt, und noch nie waren meine Geschwister und ich in den Augen dieser Frau gut genug. Ich habe es satt, dass sie mein Leben unter die Lupe nimmt und sich anmaßt, es zu bewerten. Eben wollte sie sogar wissen, ob ich noch immer keinen Freund habe, weil ich meinen Arbeitspartner zu Weihnachten mit nach Hause bringen muss. Ich schwöre Ihnen, ich war kurz davor, sie zu ohrfeigen.“ Sie lächelte ein wenig verlegen, unsicher, wie sie ihren eher untypischen Anflug von Gewaltbereitschaft rechtfertigen sollte.
„Und glaub mir, ich hätte Beifall geklatscht.“ mischte sich jemand hinter ihr ein. Scully fuhr herum und begann zu strahlen. „Catrin, was machst du denn hier?“
Eine Frau etwa in Scullys Alter mit blonden Strähnchen im glatten Haar lachte. „Was wohl? Meiner wunderbaren Schwester und ihren Wunderkindern huldigen und mich darauf freuen, nach Weihnachten wieder zu meinem eigenen unzulänglichen Leben zurückzukehren. Schön, dich zu sehen, Dana.“ Diese ließ Mulder los und umarmte die Frau. Dann besann sie sich wieder auf die Gegenwart ihres Partners und stellte sie einander vor. Catrin grinste. „Dann sind Sie also der Mann, der nur ein Partner ist und kein Ehemann oder Lover. Meine Mom hat schon den ganzen Tag darauf gehofft, dass Sie zum Caroling mitkommen. Sie hatte so eine lebhafte Vorstellung von Ihnen, dass ich beinahe Angst hatte zu sehen, wie nah sie der Realität kommt. Aber ich sehe, sie hatte absolut unrecht. Sie sind weder hässlich noch unhöflich, nur zum Thema schwul kann ich leider nichts sagen. Klär mich auf.“ wandte sie sich wieder an Dana, die ihre Augen zum inzwischen vollkommen klaren blauen Himmel verdrehte. Mulder lachte in wenig unbehaglich und schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, auch da muss ich Ihre Mutter enttäuschen.“
„Sie glauben gar nicht, wie mich das freut. Einmal ist diese Frau in allen Punkten geschlagen, ich bin gespannt, wie sie das verkraftet, sonst hat sie nämlich immer recht.“ Catrin hakte sich bei Dana unter und erkundigte sich: „Kommst du auch mit zum Kaffee bei den Weavers? Ich möchte unbedingt mit dir reden, und mit deinem Partner auch. Außerdem wird Mom nicht da sein, sie muss zurück nach Hause und sich um Teena und das Baby kümmern. Meine Vermutung wäre, dass sie extra hergekommen ist, um sich zu vergewissern, dass die Kinder der anderen Nachbarn es noch immer nicht geschafft haben, ihren Engel zu überflügeln, und da sie nun die Gewissheit hat, dass Teena noch ein weiteres Jahr die Nummer eins ist, kann sie beruhigt nach Hause gehen.“
„Ich denke, wir werden wohl alle mitkommen; die Zwillinge werden darauf bestehen. Ich frage mich aber, wieso du dir deine Familie dieses Jahr wieder antust.“
Catrin zuckte die Achseln. „Reine Gewohnheit, vermute ich. Ich hab es ebensowenig wie du geschafft, mir den perfekten Ehemann zu angeln, und ganz allein wollte ich auch nicht sein, also habe ich mir gedacht, warum nicht? Mehr als froh sein, wieder wegzukommen, kann ich schließlich nicht.“ Mulder folgte den sich angeregt unterhaltenden Frauen, die gar nicht mehr daran dachten, irgendwelche Weihnachtslieder zu singen, womit sie den Rest der Gesellschaft schnell ansteckten. Kurz darauf waren alle nur noch damit beschäftigt, sich zu unterhalten oder vor den Schneebällen der Kinder in Sicherheit zu bringen, und Mulder begann sich zu fragen, ob das der übliche Ausgang des Caroling war. Seine Vermutung bestätigte sich, als schließlich alle zusammen in einem Haus am Ende der Straße landeten, wo besagte Familie Weaver schon darauf wartete, die inzwischen auf über zwanzig Leute angewachsene Menge mit Kaffee zu versorgen. Jeder der Gäste hatte eigene Plätzchen mitgebracht, sodass die Runde genug zu essen hatte, um sich die Zeit vor dem großen Kamin zu vertreiben. Mulder war angenehm überrascht, dass ihn alle so leicht mit einbezogen. Niemand machte eine dumme Bemerkung, wenn er sich als Scullys Partner vorstellte, es fielen keine Spooky- Sprüche, sogar Bill hielt sich zurück, und die Kinder hingen förmlich an seinen Lippen und bettelten um immer mehr Geschichten von bösen Verbrechern, die er und seine Partnerin schon gefangen hatten.
Erst zwei Stunden später bat Maggie zum Aufbruch, da sie wusste, dass die Zwillinge enttäuscht wären, würden sie den traditionellen Weihnachtsfilm versäumen. „Ohne den Grinch ist es kein richtiges Weihnachten.“ erklärte Scully ihrem Partner später in Maggies Küche, wo sie ein paar Kleinigkeiten vorbereiteten, die sie der einträchtig vor dem Fernseher versammelten Familie zum Abendessen servieren würden. In Erwartung der Plätzchenschlacht nach dem Caroling hatte Maggie darauf verzichtet, ein richtiges Abendessen zu planen und beschlossen, statt dessen Snacks zu servieren, und da sie der Meinung war, ihre Mutter habe für heute schon genug gearbeitet, hatte sich Dana bereit erklärt, dies zu übernehmen. Mulder, der darauf brannte, ein paar ruhige Minuten mit ihr allein zu verbringen, hatte sich sofort erboten, ihr zu helfen, und so saßen sie nun am Tisch und schnitten Paprika und Tomaten, die sie in Schüsseln verteilten.
„Ja, der Grinch ist schon einmalig. Manchmal fühle ich mich ähnlich.“ gestand Mulder, was ihm eine erhobene Braue einbrachte.
„Na ja, ich war oft zu Weihnachten allein, und da kann man schon auf die Idee kommen, allen anderen das Fest auch zu verderben. Ich weiß, dass es dumm ist, aber man kommt auf solche Gedanken, wenn man an einem Tag allein ist, an dem alle anderen mit ihrer Familie feiern.“
„Wissen Sie was? Wir teilen meine Familie. Sie können sie für jeden großen Feiertag haben, okay?“ Obwohl sie lachte, erkannte Mulder, dass sie das Angebot ernst gemeint hatte.
„Ich wäre vorsichtig mit dem, was ich sage. Könnte sein, dass Sie mich nicht mehr loswerden.“
„Wer sagte denn, dass ich das will?“ neckte sie ihn. „Im Ernst, Mulder, wenn ich mit Catrin spreche, bin ich wirklich froh über meine Familie. Und dass ich die letzten Tage so genossen habe, hat nicht nur mit ihnen zu tun. Ich freue mich, dass Sie auch hier sind. Ohne Sie wäre die Zeit hier nur halb so schön.“
Sie sah angestrengt auf die Paprika, die sie in Streifen schnitt, um nicht seinem Blick begegnen zu müssen, und auch Mulder schien ein ungewöhnliches Interesse an der Tomate vor ihm zu entwickeln als er antwortete: „Ich bin froh, dass Sie das sagen. Zuerst dachte ich, es sei keine gute Idee, herzukommen, dass mich Ihre Mom nur aus Mitleid eingeladen hat. Aber jetzt bin ich froh, die Einladung angekommen zu haben. Es ist schön zu sehen, wie fröhlich Sie sein können. Manchmal denke ich, unsre Arbeit raubt Ihnen die Freude am Leben. Mir geht es ja selbst von Zeit zu Zeit so. Und dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Sie davon abhalte, etwas mehr Spaß zu haben und nicht immer hinter allem eine Verschwörung zu wittern.“
Scully ließ die Paprikastreifen in eine Schüssel fallen und legte ihre Hand auf Mulders. „Das ist Blödsinn, und das wissen Sie. Würde ich nicht mit Ihnen arbeiten, hätte ich wahrscheinlich einen anstrengenden Job in einem Krankenhaus und würde jeden Tag Menschen sterben sehen, denen ich nicht helfen kann, und ob das besser wäre, bezweifle ich. Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, dass ich nirgendwo lieber sein möchte als mit Ihnen im Keller bei den X-Akten, und das habe ich auch so gemeint. Als ich angefangen habe, mit Ihnen zu arbeiten, dachte ich, dass ich eine berufliche Herausforderung bekäme. Inzwischen weiß ich, dass ich viel mehr bekommen habe: Eine klarere Sicht auf einige Dinge und den besten Freund, den ich mir wünschen kann, und selbst wenn es meine Entführung rückgängig machen könnte, würde ich die Zeit nicht zurückdrehen. Ich bin genau da, wo ich hingehöre, und wenn Sie denken, ich mache einen Rückzieher, dann haben Sie sich geirrt. Wenn Sie der Meinung sind, dass ich zu wenig lache, müssen Sie halt etwas dagegen tun. So einfach werden Sie mich jedenfalls nicht mehr los.“
„Sie sagen das so, als würde ich versuchen, Sie loszuwerden. Um ehrlich zu sein, habe ich jeden Tag Angst, dass Sie irgendwann zur Vernunft kommen und sich einen anderen Job suchen. Ich weiß nicht, ob ich ohne Sie weitermachen könnte.“
„Das müssen Sie auch nicht. Wir machen zusammen weiter, egal was kommt. Und da Sie sogar meine Familie mit mir teilen, ohne zu flüchten, weiß ich, dass Sie der perfekte Partner sein müssen.“ Ihr Versuch, die Stimmung zu lockern, brachte Mulder zum Lachen. Er zog seine Hand unter ihrer hervor und strich ihr über die Wange. „Das kann ich nicht sein; nicht, wenn Sie schon der perfekte Partner sind.“ sagte er leise, ohne den Blick von ihrem Gesicht zu nehmen. Auf einmal war es ganz leicht, einander anzusehen; es wäre unmöglich gewesen, es nicht zu tun. Sie blickten einander in die Augen und teilten schweigend ihre Gedanken, bis Scully schließlich zum Sprechen ansetzte: „Mulder, ich möchte...“ in dem Moment wurde die Tür aufgerissen, und Bill stürmte herein. Ohne Rücksicht auf die Szene vor ihm erkundigte er sich unwillig: „Wo bleibt denn das Essen? Und was zum Teufel glauben Sie, was Sie da machen?“ Damit riss er Mulders Hand von der Wange seiner Schwester und plazierte sie schwungvoll auf dem Küchentisch, wo die noch immer ungeschnittene Tomate lag, die sich unter der Wucht des Aufpralls in Ketchup verwandelte. Dann wandte er sich an seine Schwester: „Und von dir hätte ich mehr erwartet, als dich von einem Fremden in der Küche begrapschen zu lassen, sobald man dir den Rücken dreht!“ Scully sprang erbost auf und reichte ihrem Partner ein Handtuch, bevor sie Bill anfuhr: „Was fällt dir eigentlich ein? Kann man denn nicht mal eine Minute seine Ruhe vor dir haben, ohne dass du gleich brutal wirst? Und wenn du schon hier bist, dann mach dich gefälligst nützlich!“ Sie schob ihm eine Schüssel und die Zutaten für die Quarkdip hin. Auf keinen Fall hätte sie ihm in dieser Stimmung ein Messer überlassen, solange Mulder in der Nähe war. Noch immer kochend vor Wut hackte sie auf ihr Gemüse ein, als sei es für Bills Ausbruch verantwortlich, zog es jedoch vor, nichts weiter zu sagen, da sie keine Lust hatte, sich auf eine weitere fruchtlose Debatte mit ihrem Bruder einzulassen, die vor Mulders Augen noch wesentlich peinlicher ausfallen würde als sonst schon.


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