World of X

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Mistletoe and more

von Sonja K

Kapitel 4

24.12., 7.20 pm

Es war wohl dem Grinch zu verdanken, dass niemandem die äußerst angespannte Atmosphäre zwischen Dana, Bill und Mulder auffiel, die einander alle drei nicht ansahen, solange der Film dauerte, und auf den drei am weitesten voneinander entfernten Plätzen im Wohnzimmer saßen. Scully schäumte vor Wut über ihren Bruder, der den Nerv gehabt hatte, einen derart intimen Moment zwischen ihr und Mulder zu unterbrechen, andererseits war sie auch bestürzt über das, was beinahe passiert wäre. Bill beobachtete aus den Augenwinkeln Mulder, bereit einzugreifen, sollte sich dieser noch einmal seiner Schwester nähern. Ihm war klar, was er da eben gestört hatte, und wenn es nach ihm ging, sollte es nie wieder zu einer derartigen Situation kommen. Mulder selbst dachte an das, worüber er und Scully gesprochen hatten, bevor Bill hereingeplatzt war und fragte sich, was als nächstes geschehen wäre. Der Rest der Familie blieb ahnungslos; sie sahen dem Grinch bei seinem Anti- Weihnachtsprogramm zu und amüsierten sich, bis schließlich der Abspann lief und Maggie vorschlug, sie alle sollten sich die Mäntel wieder anziehen und nach draußen in den Garten gehen, um nach Weihnachtssternen Ausschau zu halten. Wie gewöhnlich waren die Zwillinge die ersten, die aufsprangen. „Und dann gibt es ein Geschenk!“ riefen sie begeistert und hüpften mit offenen Schuhbändern durchs Zimmer, Beth und Charly hart auf ihren Fersen.
„Das kommt drauf an, wie lieb ihr jetzt seid. Wenn ihr euch die Schuhe zubinden und die Mäntel anziehen lasst und brav wartet, bis wir alle auch fertig sind, kann es sein, dass Santa schon mal ein Vorgeschenk unter den Baum legt. Aber das kann er erst tun, wenn alle draußen sind.“ mahnte Charly in der Hoffnung, seine Töchter zu beeindrucken. Tatsächlich funktionierte der Trick; keiner mochte sich ausmalen was passieren würde, wenn die Mädchen zu alt waren, um an Santa zu glauben.
Wenige Minuten später stand die ganze Familie einschließlich Mulder draußen im verschneiten Garten und sah zum erfreulich klaren Himmel auf. Sogar die wilden Zwillinge waren ganz still geworden, als sie nach besonders hellen Weihnachtssternen Ausschau hielten. Mulder hatte sich hinter Scully gestellt, die seine Anwesenheit auch ohne sich umzudrehen spürte. Maggie stand auf der Vortreppe und beobachtete ihre Familie. Sie war glücklich, sie alle wieder einmal unter einem Dach versammelt zu haben, und auch wenn das Fehlen ihres Mannes gerade zu Weihnachten schmerzte, so hatte sie doch das Gefühl, großes Glück zu haben. Drei ihrer Kinder hatten riskante Jobs in der Navy und beim FBI, und dennoch waren sie alle heil und gesund hier. In Fox Mulder hatte sie einen wunderbaren dritten Sohn gefunden, und auch ihre Schwiegertöchter waren liebevolle Frauen. Was wollte sie mehr? Außer ein wenig Glück für ihre jüngste Tochter. Missy würde ihr Glück irgendwann finden, auf ihre übliche stürmisch Art, und sie würde ganz sicher in der Lage sein, es festzuhalten. Mehr Sorgen machte sie sich um Dana. Sie hatte in Fox einen guten und treuen Freund gefunden, weigerte sich aber zu sehen, dass er noch mehr für sie sein könnte. Eine zögernde Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Grandma, glaubst du, Santa war schon da?“ wollte Nora wissen. Maggie musste lächeln. Selbst dieser kleine Wirbelwind war so sehr vom Zauber dieser Nacht gefangengenommen worden, dass er nur flüstern mochte. Sie strich ihrer Enkelin übers Haar und erwiderte: „Ich weiß nicht, mein Schatz, sollen wir mal nachsehen?“
„Ja.“ Noch immer flüsterte das Kind. Trotzdem hatte ihre kurze Unterhaltung die Aufmerksamkeit von Lauren geweckt; sie kam hinzu und bat leise: „Kann ich auch mitkommen?“
„In Ordnung. Aber ihr müsst ganz leise sein, damit wir in nicht erschrecken, wenn er gerade im Wohnzimmer ist. Könnt ihr das?“ Die Mädchen nickten und stiegen zum Beweis auf Zehenspitzen die Treppe hinauf. Maggie folgte ihnen mit einem letzten Blick auf den Rest ihrer Familie in der eisigen Winternacht.
Wenige Minuten später war jede Feierlichkeit vergessen, als die Zwillinge mit den Armen voller Päckchen wieder hinausgestürmt kamen. „Mommy, Dad, Fox, Dana, Bill, Santa war da!“ schrien sie schon aus dem Flur und rannten so wild, dass sie im Schnee ausrutschten und kopfüber hingefallen wären, hätte nicht ihr ahnungsvoller Vater sich mit ausgebreiteten Armen vor die Treppe gestellt und sie aufgefangen.
„Daddy, dürfen wir schon aufmachen?“ sprudelten sie hervor, noch bevor sie richtig zum Stillstand gekommen waren.
„Wartet doch einen Moment, ihr seid ja vollkommen außer Atem.“ versuchte Tara sie zu bremsen, aber sobald die beiden zwei identisch verpackte Geschenke entdeckt und kombiniert hatten, dass diese nur für sie bestimmt sein konnten, gab es kein Halten mehr. Das Papier wurde abgerissen und flog in alle Richtungen, Mulder fragte sich, wozu er sich überhaupt solche Mühe mit dem Einpacken gegeben hatte. Während Charly und seine Frau die Mädchen beobachteten, machten sich Dana und Melissa daran, die restlichen Pakete, von den Kindern achtlos fallen gelassen, aus dem Schnee zu retten und zu verteilen. Dana sah ihres überrascht an. Es hatte nicht die erwartete Form; sie hatte damit gerechnet, das gewohnte rechteckige Päckchen zu erhalten, das auf ein Buch hindeutete, aber dieses war viel größer und fühlte sich durch das Papier eher wie eine Pappschachtel an. Sie warf ihrer Mutter einen verwirrten Blick zu; hatte sie die Geschenke verwechselt? Maggie schüttelte bloß den Kopf und bedeutete ihr, das Geschenk einfach zu öffnen, wenn sie wissen wollte, was darin war. Genau das tat Dana auch; vorsichtig entfernte sie das weihnachtliche Papier und faltete es ordentlich, um es in ihre Manteltasche zu stecken. Dabei bemerkte sie nicht, wie ungeduldig Mulder sie beobachtete. Er brannte darauf zu sehen, ob ihr sein Geschenk gefiel, und es machte ihn schier wahnsinnig, dass sie so langsam und vorsichtig vorging, anstatt das Papier einfach zu zerreißen, wie es jeder vernünftige Mensch getan hätte. Nach einer scheinbaren Ewigkeit hatte sie endlich den Karton freigelegt, den sie einen Moment lang unschlüssig beäugte. Mulder hätte sie am liebsten angefeuert, endlich zur Sache zu kommen, konnte sich jedoch gerade noch beherrschen. Scully stellte den Karton auf das Geländer, das die Veranda umspannte, und hob den Deckel ab. Sie schnappte nach Luft, als sie sah, was darunter lag, und lenkte so die Aufmerksamkeit aller Anwesenden – mit Ausnahme der drei Kinder natürlich – auf sich. Jeder wollte sehen, was sie bekommen hatte, deshalb nahm sie ihr Geschenk schließlich aus dem Karton, um es den anderen zu präsentieren. Alle sahen überrascht auf den weißen Plüschwal, den sie in den Händen hielt, von allen Seiten betrachtete und schließlich fest an sich drückte. Sie sah sich in der Runde um, und ihr Blick blieb an Mulder hängen. „Das war Ihre Idee.“ flüsterte sie kaum hörbar. Mulder sah sie mit Unschuldsmiene an. „Wieso meine? Sehe ich aus wie Santa?“ gab er zurück. Scully hörte ihm nicht einmal zu, sie fiel ihm um den Hals und drückte ihn, sodass der Wal zwischen ihnen eingequetscht wurde. „Danke!“ hauchte sie und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. „Das ist so lieb von Ihnen.“
„Ich weiß doch, wie viel Ihnen Moby Dick bedeutet, und das Buch hatten Sie schon.“ versuchte er, sich herauszureden. Man sah ihm an, dass er verlegen war. Zwar hatte er gehofft, dass sie sich freuen würde, aber mit dieser Reaktion hatte er ganz und gar nicht gerechnet. Genaugenommen war das Geschenk auch ein klein wenig selbstsüchtig gewesen: Wenn Scully seinen Wal mit ins Bett nahm, würde sie vielleicht manchmal nachts an ihn denken.
Inzwischen hatte Scully ihn wieder losgelassen, da die ganze Familie sich ihr Geschenk ansehen wollte. Die Zwillinge rissen ihr den Wal aus der Hand und erklärten ihn zum perfekten Reittier für ihre neuen Seejungfrau- Barbies, die sich nur in der Haarfarbe voneinander unterschieden. Da sie wusste, dass sie spätestens morgen früh beim Anblick all der anderen Geschenke das Interesse daran verlieren würden, ließ Dana sie gewähren und wandte sich wieder ihrem Partner zu, der den Klappentext eines Buches studierte, das, wie sie wusste, irische Märchen und Mythen enthielt. Ihre Mutter hatte sie gebeten es auszusuchen, da sie selbst nicht wusste, worüber er sich freuen würde, und da Dana der Meinung gewesen war, dass ein Buch über Außerirdische nicht besonders originell gewesen wäre, hatte sie statt dessen beschlossen, Mulder mit der Kultur ihrer Vorfahren vertraut zu machen. Offensichtlich hatte sie richtig gelegen, denn er schien fasziniert von dem, was er las. So merkte er nicht, wie Bill ratlos sein Geschenk studierte, ohne die geringste Idee, wo er anfangen sollte, sich durch den Wald aus Klebeband zu kämpfen. Schließlich gab er es auf und steckte das ungeöffnete Päckchen in seine Manteltasche, um es drinnen im Haus mit Hilfe einer Schere zu attackieren. Außer den Zwillingen und Matthew, der sich damit beschäftigte, gebrauchtes Geschenkpapier zu zerreißen, ließen schließlich alle ihre Geschenke außer Acht und wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Himmel zu. Dana stellte sich dicht neben Mulder, sowohl um etwas von seiner Körperwärme abzubekommen als auch, um ihrer Schwester ein deutliches Signal zu geben. Diese grinste bloß und stellte sich neben ihre Mutter. Mulder erlangte Charlys Anerkennung, indem er sein Wissen über die Namen und Geschichten der Sternbilder preisgab; natürlich waren sie auch Danas Bruder geläufig, der schließlich zur See fuhr, aber er hätte nicht erwartet, dass eine Landratte, wie er sich ausrückte, so viel über Sterne wusste. Dana war insgeheim stolz auf „ihren“ Mulder, als sei sein Wissen irgendwie ihr Verdienst. Sie lauschte dem Gespräch der beiden Männer und ließ ihre Gedanken wandern, während sich ihr Blick in den Sternen verlor.
Allmählich begann die Kälte der Dezembernacht durch die Kleider zu dringen, und nach und nach flüchteten alle Mitglieder der Scully- Familie ins Wohnzimmer, wo sie sich vor dem wärmenden Kamin niederlassen und mit Kakao und Marshmellows von innen und außen wieder aufwärmen konnten. Nur Dana und Mulder blieben zurück. Dana wusste, dass der Anblick der Sterne ihren Freund immer melancholisch stimmte, deshalb wollte sie ihn nicht allein lassen; außerdem war auch ihr auf einmal nicht mehr nach der fröhlichen Gesellschaft der anderen zumute, die mit den Sternen nichts anderes verbanden als ein weiteres Vorzeichen auf Weihnachten. Mulder bedeuteten die Sterne so viel mehr, und er hatte sie gelehrt, auch mehr in ihnen zu sehen, als sie es früher getan hatte; wenn auch nicht den Ursprung außerirdischen Lebens, so waren die Sterne auch für sie zu einem Symbol geworden, dem Symbol für einen Wunsch, den sie schon viel zu lange verborgen in sich trug, ohne Hoffnung auf Erfüllung.


Sternenbilder

Sternenschein im Winter,
klarer Himmel
schwarz wie Samt.
Ich weiß, du stehst im Schnee
und schaust hinauf.
Das tut weh,
denn ich weiß, was du siehst
ist nicht das, was ich seh.
Deine Lichter sind Schiffe
aus dem Weltraum.
Meine Lichter sind ein Traum:
Der Himmel spricht mir
von dir.
Von deinem Lächeln
wird mir warm.
Ich wünschte, ich wär in deinem Arm,
doch ein Wunsch wir es bleiben,
denn die Sterne schreiben
dir
nicht von mir.
Von fremden Wesen
kannst du in ihnen lesen.
Wir beide sehen die selben Sterne,
doch bedeuten sie dir
etwas andres als mir.
Du siehst nicht mich
in ihrem Licht,
und ich
sehe die Raumschiffe nicht.
So stehen wir da,
einander so nah,
doch innerlich bist du mir fern.
Noch ferner als der fernste Stern.


Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel und hinterließ eine eisige Spur auf ihrer Wange, und sie schauderte in der Dezemberkälte, während sie in Gedanken versunken zum Himmel hinaufsah.
„Scully?“ Jetzt, da sie allein waren, benutzte er die vertraute Anrede, die ihm so viel leichter von den Lippen kam als ihr Vorname. Scully gab einen undefinierbaren Laut von sich um anzudeuten, dass sie ihn gehört hatte, wandte die Augen aber nicht von den funkelnden Punkten über ihnen ab.
„Ist Ihnen kalt?“ erkundigte er sich, und sie nickte zögernd, noch nicht bereit, den ruhigen Moment zu beenden und wieder ins Haus zu gehen.
„Mir auch. Kommen Sie her.“ Damit breitete Mulder seine Arme aus und wickelte die überraschte Scully in seinen Mantel ein, den er vor ihrer Brust wieder fest verschloss. So standen sie wieder eine Weile schweigend, teilten ihre Körperwärme und verloren sich in ihren Gedanken und den mindestens genauso endlosen Sternen.
Wieder war es Mulder, der das Schweigen brach: „Bilde ich es mir nur ein, oder hat Ihre Familie... außer Bill natürlich... wie soll ich das sagen?... bestimmte Absichten?“
Scully lachte kurz auf. „Missy hat ganz bestimmt Absichten, aber die anderen...“ Ihre Stimme verlor sich, während sie versuchte, das Gespräch mit ihrer Schwester zu verdrängen, die keinen Zweifel daran gelassen hatte, was sie am liebsten mit Mulder tun würde, hätte sie freie Bahn.
„Ich meine nicht diese Art von Absichten. Obwohl ich nicht leugnen kann, dass mir Melissas Aufmerksamkeit nicht entgangen ist. Es war ja auch kaum möglich, das zu übersehen.“
Scully stieß spöttisch die Luft durch die Nase aus, sagte jedoch nichts, und Mulder fuhr fort: „Ich meine eigentlich, ob Sie bemerkt haben, dass wir immer in peinlichen Situationen landen, die von anderen inszeniert worden zu sein scheinen. Der umgehängte Mistelzweig, der plötzliche Anruf für Ihre Mutter, das gemeinsame Vögel füttern, dass wir nur ein Zimmer haben...“
„Ich verstehe, was Sie meinen. Und ich muss Ihnen recht geben, in dieser Familie läuft eindeutig eine Kampagne mit dem Ziel, uns um jeden Preis zu verkuppeln.“
Mulders Arme legten sich fester um ihre Taille, während er antwortete: „Und eine ziemlich erfolgreiche, wie ich sagen muss. Wäre Bill vorhin nicht in die Küche geplatzt...“
„Ist er aber.“ unterbrach ihn Scully, nicht sicher, ob sie bereit war für das, was er zu sagen hatte, und gleichzeitig begierig darauf, es zu hören. Mulder ließ sich nicht beirren. „Ja, ist er, und allein dafür hätte ich ihn erschießen können. Ganz zu schweigen von der Art, wie er Sie beleidigt hat.“
Es war nicht ganz leicht, unter dem Mantel seine Hände zu finden, aber sie schaffte es und drückte sie leicht in ihren. „Regen Sie sich darüber nicht auf. Ich habe schlimmeres von ihm gehört, als wir Teenager waren.“
Sie standen so dicht beieinander, dass sie sein leises Lachen an ihrem Rücken vibrieren spürte, und sie tat das einzige, was ihr logisch erschien, und lachte mit. Einen Moment waren sie wieder still und hingen ihren eigenen Gedanken nach, dann sprach Scully, ihre Stimme so leise, dass Mulder sie nicht verstanden hätte, hätte er nicht direkt hinter ihr gestanden: „Und was tun wir jetzt? Nachdem wir wissen, was sie vorhaben, meine ich.“
„So, wie ich das sehe, haben wir drei Möglichkeiten.“
Das verwirrte sie. „Drei?“
„Ja, drei. Erstens, wir lassen sie gewinnen und tun, was sie wollen, zweitens, wir lassen alles, wie es ist. Und drittens...“ er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr: „Drittens, wir finden heraus, was wir wollen und tun das, ohne uns um den Rest der Welt zu kümmern.“
Scully sagte nichts, und die Stille zwischen ihnen dehnte sich aus, bis Mulder unruhig wurde und zu fürchten begann, er könnte ihre Reaktion im Haus falsch gedeutet haben und nun zu weit gegangen sein. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und hakte vorsichtig nach: „Und, für welche der Möglichkeiten stimmen Sie?“
Ein leichtes Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Da wir uns noch nie von anderen haben vorschreiben lassen, was wir tun sollen – worin Sie noch besser sind als ich, wie ich betonen möchte – erscheint mir die dritte Möglichkeit angemessen.“
Mulders erleichterter Seufzer bestätigte ihr, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte. Sie drehte den Kopf, um ihn ansehen zu können, aber bevor sie einen Blick auf sein Gesicht werfen konnte, war er ihr schon entgegengekommen, und ihre Lippen berührten sich. Die Sterne verloren ihren Fokus, als sie die Augen schloss und sich ganz der Zärtlichkeit des ersten Kusses hingab, den sie mit Mulder teilte. Es erschien ihnen beiden wie eine Ewigkeit, bevor sie sich voneinander lösten. Noch immer standen sie dicht aneinandergepresst in der kalten Nacht, noch immer funkelten die Sterne über ihnen, aber sie selbst waren anders geworden. Bevor jedoch einer von ihnen diese Veränderung in Worte fassen konnte, spürte Scully einen scharfen Schmerz im Nacken. Sie zuckte nur kurz zusammen, aber Mulder, der wie immer ganz auf sie konzentriert war, entging es nicht.
„Was ist?“ erkundigte er sich besorgt, und sie winkte ab. „Es ist nichts. Ich fürchte nur, dass es nicht der beste Winkel war, in dem sich mein Hals die letzten Minuten befunden hat.“
Erleichterung machte sich auf Mulders Gesicht breit. „Wenn das alles ist, kann ich dir nach der Messe eine Massage anbieten. Natürlich nur, wenn du keine anderen Pläne hast.“
„Nicht, dass ich wüsste. Und eine Massage klingt wundervoll.“ Sie zögerte kurz, nicht sicher, wie sie das ausdrücken sollte, was sie zu sagen hatte. Dann: „Ich finde aber, dass wir reden sollten, bevor wir wieder reingehen.“
„Wahrscheinlich hast du recht. Lass mich nur zuerst eins klarstellen: Was eben passiert ist, ist genau das, was ich will. Wie sieht es mit dir aus?“ Es gelang ihm nicht, die gespannte Erwartung aus seiner Stimme zu verdrängen, und Scully beeilte sich, ihm zu versichern, dass sie seiner Meinung war: „Mir geht es genauso. Ich möchte nur wissen, wohin wir von hier gehen. Wir hatten beide seit Jahren keine feste Beziehung mehr, und ich glaube, wir sollten nichts überstürzen und das ganze langsam angehen.“ Sie brach ab, nicht sicher, was seine Reaktion sein würde. Schließlich hatte er nicht einmal von einer festen Beziehung gesprochen; womöglich hatte sie ihn diesbezüglich falsch verstanden. Mulders nächste Worte zerstreuten ihre Zweifel: „Ich denke auch, dass das eine gute Idee wäre. Dies hier ist mir viel zu wichtig, um es versehentlich zu ruinieren. Darin sind wir uns also einig. Die Frage ist nun: Was tun wir?“
Scully dachte einen Moment lang nach, dann verzog sich ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln.
„Wir könnten das tun, was Mom erwartet, und uns in meinem Zimmer bei Kerzenlicht lieben. Oder wir tun, was Missy denkt, und schleichen uns heute Nacht ins Wohnzimmer, um es vor dem Kamin zu tun. Oder erfüllen wir Bills Vorstellung, und ich lasse mich von dir bei einem Quickie gegen die Wand benutzen? Natürlich könnten wir auch Charlys Erwartung ausprobieren und heimlich zu Hause bleiben und die Zeit ausnutzen, wenn meine Familie zur Mitternachtsmesse geht.“
Für die Dauer einer Schrecksekunde war Mulder sprachlos, dann begann er zu lachen. „Hat irgend jemand in dieser Familie keine Vorstellung davon, wie wir es tun – oder, in Bills Fall, nicht tun sollen?“ erkundigte er sich. Scully, die in sein Lachen eingefallen war, zuckte die Achseln. „Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass außer den Kindern und mir selbst jeder eine ziemlich genaue Vorstellung hat.“ brachte sie hervor.
„Vielleicht sollten wir dann langsam reingehen, nicht, dass sie noch denken, wir hätten ihre Erwartungen nicht erfüllt und uns was neues ausgedacht.“
„Zu spät. Tara hat auf eine heiße Begegnung im Schnee getippt; zumindest hat sie sowas angedeutet, als wir angefangen haben, den Baum zu schmücken. Aber du hast recht, mir wird langsam kalt.“ Sie befreite sich aus seiner Umarmung und seinem Mantel und drehte sich in Richtung Haustür. „Allerdings würde ich gern noch etwas klarstellen, bevor wir uns wieder unter die wachsamen Augen der Kuppler begeben.“
„Und was wäre das?“
„Das hier geht wesentlich besser, wenn man sich gegenübersteht.“ Mit diesen Worten schlang sie die Arme um seinen Nacken, stellte sich auf die Zehen und küsste ihn noch einmal.
„Wer könnte das abstreiten?“ fragte Mulder schließlich atemlos, hielt Scully aber fest, als sie sich erneut anschickte, ins Haus zu gehen.
„Was hältst du davon, wenn wir deiner Familie nichts sagen? Erstens möchte ich dieses Haus lebend wieder verlassen, und wenn Bill mitbekommt, dass ich mich in der Weihnachtsnacht an seine kleine Schwester rangemacht habe, stehen meine Chancen nicht sehr gut, und zweitens würde ich zu gern sehen, was sich deine Leute noch so ausgedacht haben.“
Mit schalkhaft funkelnden Augen stimmte sie ihm zu, gab ihm noch einen letzten schnellen Kuss und öffnete die Haustür, um ihrer Familie gegenüberzutreten und ihren Nichten den Plüschwal wieder abzunehmen, den diese schon als ihr Eigentum betrachteten und bei ihrem Rückzug mitgenommen hatten.


**********


Spät in der Nacht nach der Christmette, die Mulder zu seiner eigenen Überraschung sogar gefallen hatte, forderte Scully die versprochene Massage ein. Mulder war sofort bereit, sein Versprechen einzulösen, also legte sie sich bäuchlings auf ihr Bett und stützte den Kopf auf die vor ihr gekreuzten Arme. „So geht das aber nicht.“ beschwerte sich Mulder. „Wie soll ich dich massieren, wenn du dein Shirt anbehältst?“ Mit einem gemurmelten „Du willst doch bloß die Situation ausnutzen.“ schlüpfte Scully aus dem Pyjamatop und warf es Mulder ins Gesicht. Als er sich endlich davon befreit hatte und sie sehen konnte, lag sie längst wieder auf dem Bauch und drehte ihm ihren nun nackten Rücken zu.
„Das war unfair.“ protestierte Mulder halbherzig und grummelte noch ein Weilchen vor sich hin, während er sich über ihren unteren Rücken auf die Matratze kniete und begann, ihre wirklich verspannten Muskeln in Schultern, Nacken und Rücken zu lockern. Scully konnte nicht anders, als genüsslich zu seufzen. Sie hatte Massagen schon immer geliebt, aber diese hier war besonders gut, was wohl nicht zuletzt an dem Mann lag, der sie ihr verabreichte. „Okay?“ wollte dieser schließlich wissen; Scully brachte nur ein gehauchtes „schön“ heraus, aber das genügte als Antwort. Eine ganze Zeit lang massierte Mulder schweigend seine Freundin, bis ihm aufging, dass er mehr tun konnte als das. Langsam ließ er seine Hände ihre Arme hinuntergleiten, bis sie die ihren erreichten. Scully öffnete ihre Hände und verflocht die Finger mit seinen, sodass Mulders Körper fast komplett ihren bedeckte. Er rieb das Kinn an ihrem Haar, bewegte dann den Mund weiter abwärts und küsste ihren Nacken. Ein wohliger Schauer durchfuhr Scully, sie drehte sich halb unter ihm und suchte seinen Mund mit ihrem. Zufrieden, sein Ziel erreicht zu haben, erwiderte Mulder den Kuss, aus dem sie erst eine ganze Weile später atemlos wieder auftauchten, als Scully aufging, dass sie inzwischen nicht mehr die einzige war, die nur noch die Hälfte ihrer Kleider anhatte. Auch Mulders T-Shirt war auf magische Weise verschwunden, und ein Blick verriet ihr, dass ihre Aktivitäten auch ihn nicht kaltgelassen hatten. Ganz im Gegenteil, seine Sweats schienen plötzlich sehr eng geworden zu sein. Sie stemmte die Handflächen gegen seine nackte Brust – wer hatte ihm überhaupt das Shirt ausgezogen, und wann? – und schubste ihn ein Stück von sich. Sein Blick verwandelte sich augenblicklich von leidenschaftlich zu besorgt, also beeilte sie sich, ihm zu versichern, dass er nichts falsch gemacht hatte: „Mulder, ich dachte, wir hätten uns geeinigt, es langsam anzugehen. Und so wie ich die Sache sehe, sind wir davon meilenweit entfernt.“
Mulder warf einen Blick auf die halb bekleidet, atemlos und mit zerzaustem Haar vor ihm sitzende Scully und sah verlegen zur Seite. „Tut mir leid. Ich hab mich wohl ein bisschen mitreißen lassen.“
„Hey,“ protestierte sie, legte eine Hand unter sein Kinn und zwang ihn, ihr ins Gesicht zu sehen. „da warst du offensichtlich nicht der einzige, oder hast du gehört, wie ich mich beschwert habe? Ich will nur nicht, dass das hier jetzt und vor allem hier noch weiter geht, darum denke ich, es wäre besser, wenn wir zu schlafen versuchen; die Mädchen werden uns morgen früh genug wecken, um endlich ihre Geschenke auspacken zu dürfen.“
„Na gut, du hast wie fast immer recht, aber darf ich dich wenigstens halten?“
„Natürlich. Das wäre schön. Und was heißt hier eigentlich‚`fast immer`?“ Damit zog sie ihr Pyjamatop wieder über und kroch unter die Bettdecke; Mulder folgte ihr kurz darauf. Als er sein Shirt wieder anziehen wollte, winkte sie ab: „Ich glaube, es würde mir besser gefallen, wenn du es weglassen würdest.“ Diesmal war es an Mulder, die Braue zu heben, was er allerdings nicht so elegant hinbekam wie seine Partnerin. „Ich habe schon die ganze Zeit davon geträumt, so mit dir zu liegen, und soweit ich mich erinnern kann, kam in keinem dieser Träume jemals ein T-Shirt vor.“ erklärte sie ein wenig schüchtern, und Mulder nickte. „Verstehe. Na gut, wir wollen ja nicht deine Träume ruinieren, besonders nicht zu Weihnachten.“ Er drehte sich auf den Rücken, damit sie sich so hinlegen konnte, wie es für sie am bequemsten war. „Komm her und leb deine Träume aus.“ neckte er, war aber schnell ruhig, als sie ihn mit einem letzten Gutenachtkuss zum Schweigen brachte und sich an seine Brust kuschelte, wo sie den Rest der Nacht zu verbringen gedachte, auch wenn diese sicherlich kurz werden würde.


**********


25.12., 7.09 am

„Mommy, dürfen wir endlich die Geschenke aufmachen?“
Diese markerschütternde Frage war das erste, was Mulder bewusst wahrnahm. Das nächste war der Kopf seiner Partnerin und besten Freundin, der an seiner Schulter lag. Schlagartig wurde ihm klar, dass er die Ereignisse des gestrigen Tages nicht geträumt hatte, was ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht zauberte. Vorsichtig bewegte er einen Arm, um Scully über die noch immer wirren Haare zu streicheln, und bemerkte dabei gerade noch rechtzeitig, dass er schon wieder an ihrem Finger lutschte. Womöglich ist doch was dran an der Sache mit der oralen Fixierung, mit der sie mich immer aufzieht, überlegte er. Wenigstens habe ich diesmal nicht reingebissen; sie braucht es also gar nicht zu merken... Kaum hatte er das gedacht, als die Tür aufgerissen wurde und Lauren und Nora wie ein Sturm hereingefegt kamen. „Dana, Fox, aufstehen, Santa war da, es gibt Geschenke!“ schrien sie in ohrenbetäubender Lautstärke, machten auf dem Absatz kehrt und stürzten ins nächste Zimmer, um ihrem Onkel Bill und seiner Frau die gleiche Behandlung zukommen zu lassen, während Mulder hastig Scullys Finger losließ, in die er vor lauter Schreck beinahe wieder gebissen hätte. Scully drehte sich verschlafen zu ihm um und realisierte erst im letzten Moment, dass er im selben Bett lag wie sie. Ihre Nase stieß mit seiner zusammen, und Mulder musste die Augen zusammenkneifen, um ihr Gesicht klar erkennen zu können. Dasselbe strahlende Lächeln des Erkennens, das er auf seinem Gesicht vermutete, breitete sich auch auf ihrem aus. „Morgen, Sweet.“ begrüßte er sie, was ihm einen Rippenstoß einbrachte. „Selber sweet.“ beschwerte sie sich, beugte sich dann jedoch hinüber, um ihn zu küssen. Kurz darauf hörten sie die Mädchen erneut über den Flur rennen und lösten sich rasch wieder voneinander, da sie sich ja vorgenommen hatten, den Scullys noch nichts von dem zu sagen, was sich am Vorabend ereignet hatte. So verzichteten sie auf weitere Zärtlichkeiten, auch wenn es ihnen schwer fiel, zogen sich statt dessen die Bademäntel über, die sie wohlweislich eingepackt hatten, und stiegen gemeinsam die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo Nora und Lauren bereits ungeduldig um den riesigen Berg bunter Geschenke herumsprangen, der sich unter dem Baum türmte. Sie hatten Matthew als Verstärkung die Treppe heruntergeschleppt und forderten ihn nun auf, doch auch mal zu sagen, dass sich die Erwachsenen beeilen sollten. Seinem Alter entsprechend greinte dieser allerdings bloß, um sich über die rüde Behandlung zu beschweren, was die Mädchen natürlich prompt zu ihren Gunsten auslegten: „Seht ihr, Matty ist auch schon ganz aufgeregt!“ Sobald alle um den Baum versammelt waren, zerrten die Kinder an Bills Ärmeln. „Jetzt mach schon, Bill, wir wollen endlich unsre Geschenke!“ forderten sie. Mulder verstand zuerst nicht, aber als Bill begann, die Schilder auf den Päckchen zu lesen und sie ihren Empfängern zuzuordnen begriff er, dass es offenbar verpönt war, einfach nach den Geschenken zu tauchen, wie es die Kinder offensichtlich gern getan hätten. In Anbetracht der Wildheit dieser speziellen Kinder wäre das wahrscheinlich eine Katastrophe geworden, also war die Regelung nicht dumm, auch wenn es Mulder ganz und gar nicht passte, seine Geschenke von Bill überreicht zu bekommen. Mit einem Blick zu Scully und ihrer Mutter verbiss er sich jedoch jeglichen Kommentar und zog es vor, Scully zu beobachten, die gerade dabei war, sein zweites Geschenk aufzumachen. Wieder bewies sie die gleiche Engelsgeduld wie am Abend zuvor, was Mulder wiederum fast um den Verstand brachte. Es war ihm egal, was er selbst bekam, wichtig war nur, dass Scully sein zweites Geschenk ebenso mochte wie das erste. Wenn ihr Gesichtsausdruck irgendwie als Zeichen gedeutet werden konnte, mochte sie es sogar sehr. Ihre Finger umschlossen das zierliche Goldarmband, das sie aus der kleinen Schachtel geholt hatte, und ihre Augen leuchteten, als sie die beiden winzigen Anhänger daran betrachtete. Wieder wusste sie sofort, wem sie die Gabe zu verdanken hatte, was allerdings nicht sehr schwer war wenn man bedachte, dass neben einem Schlüssel auch die Nachbildung eines UFOs an den beiden zart geschmiedeten Knoten zwischen den verschlungenen Gliedern der filigranen Arbeit hing. „Das UFO steht für unsere gemeinsame Suche nach etwas, das irgendwo dort draußen ist, mögen es graue Männchen sein oder etwas anderes, und der Schlüssel...“ Mulder zögerte. Er war ganz nah zu ihr hinübergerutscht, um ihr die Bedeutung seines Geschenks erklären zu können, ohne dass gleich ihre gesamte Familie zuhörte. Eigentlich hatte er vorgehabt, den Schlüssel mit den vielen Malen zu erklären, die sie ihn schon in ihrem Apartment hatte übernachten lassen, weil er seinen eigenen Schlüssel mal wieder nicht fand und es bereits zu spät wurde, um noch heimzufahren, nachdem er sie mitten in der Nacht herausgeklingelt hatte, um seinen Zweitschlüssel von ihr abzuholen. Er hatte überlegt, dass er im Stillen immer um die wahre Bedeutung des Schlüssels wissen würde, ohne dass er sie ihr enthüllen müsste. Nach dem, was gestern zwischen ihnen geschehen war, lag die Sache jedoch etwas anders. Ihr auffordernder Blick verlangte eine Antwort, und Mulder beschloss, die Wahrheit zu sagen: „Der Schlüssel steht dafür, dass du einen Weg gefunden hast, mein Vertrauen zu gewinnen und mein Herz zu erobern, das ich aus Angst vor Verrat gut verschlossen hatte.“ Tränen traten in Scullys Augen. Er hatte dieses Geschenk vor gestern Abend gekauft und ihr also schon den symbolischen Schlüssel zu seinem Innersten schenken wollen, bevor sie sich überhaupt geküsst hatten. Das war überwältigend genug, um ihr die Fassung zu rauben. Um nicht die fröhliche Stimmung zu stören, stand sie auf und ging in Richtung Tür. Alles, was sie wollte, waren ein paar Minuten allein, um sich wieder zu fangen, bevor sie ihrer Familie gegenübertrat. Mulder, von ihrer Reaktion besorgt, folgte ihr auf dem Fuß, was wiederum Tara dazu brachte, von ihrem Papier zerreißenden Sohn aufzusehen und zu erkunden, was da gerade geschah. Gewohnheitsmäßig wanderte ihr Blick zur Decke – es war immerhin Weihnachten – und zum Mistelzweig, der schon wieder an einer andere Stelle hing, dieses Mal genau in der Tür zum Flur. Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht von Bills Frau aus, während sie darauf wartete, dass ihre „Opfer“ den Türrahmen passierten. In dem Moment, als Scully die Tür erreichte, streckte Mulder die Hand aus, um sie an der Schulter festzuhalten, nicht bereit, sie einfach so gehen zu lassen. Bill bemerkte das Interesse seiner Frau an der Szene vor sich und sah ebenfalls auf. Er hatte nicht die geringste Chance zu verhindern, was als nächstes geschah. Mulders Fingerspitzen berührten Scullys Schulter, glitten ab, sie machte einen weiteren Schritt nach vorn. Bill erkannte, was passieren würde, in dem Moment, als Tara auch schon „Mistelzweig!“ rief. Augenblicklich war die Aufmerksamkeit aller Erwachsenen im Raum auf das Paar in der Tür gerichtet. Scully sah mit einem genervten Gesichtsausdruck nach oben, um ihren Verdacht zu bestätigen, bevor sie Mulder in die Augen blickte und die Besorgnis darin erkannte. Ihr wurde klar, dass sie ihm noch nicht gesagt hatte, wie sehr sie sein Geschenk schätzte und dass er aus ihrer Reaktion durchaus auch hätte ablesen können, dass es zu viel gewesen war. Sein verwunderter, unsicherer Ausdruck schnitt ihr ins Herz, und sie traf ihre Entscheidung. Mit einer schnellen Armbewegung, auf die ihr Trainer in Quantico mit Sicherheit stolz gewesen wäre, zog sie Mulder zu sich heran und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Er brauchte einen Moment um zu verstehen, was sie tat, erholte sich aber relativ schnell wieder, als er ihre Lippen auf seinen fühlte. Zuerst streichelten ihre Lippen bloß über seine, dann aber begann ihre Zunge, an seiner Unterlippe entlangzugleiten. Das war der Moment, in dem Mulder begriff, dass er in Schwierigkeiten war. Es gab keine Möglichkeit, seine nächste Begegnung mit Bill zu überleben, wenn das hier auch nur eine Sekunde länger weiterging. Andererseits... Was soll’s? ließ sich der kleine Teufel auf seiner Schulter vernehmen, genieße es, solange du kannst!
Inzwischen hatten sich sogar die Zwillinge und Matthew von ihren Geschenken bzw. deren Verpackung losgerissen und starrten mit dem Rest der Familie mit offenen Mündern auf das Paar im Türrahmen, das weit davon entfernt war, einen traditionellen mistelzweigbedingten Kuss auszutauschen. Statt dessen waren sie ineinander verschlungen, die Hände vergruben sich im Haar des jeweils anderen, und auch wenn ihre Lippen so fest aufeinander lagen, dass man es nicht sehen konnte war allen klar, dass dies ein wirklicher, leidenschaftlicher Kuss mit allem drum und dran war. „Whow, meinst du, sie küssen mit Zunge?“ flüsterte Nora ihrer Schwester laut genug zu, dass es jeder im Raum hören konnte. „Klar, womit denn sonst?“ gab Lauren zurück. „Hab ich recht, Mommy?“ Beth grinste nur und bedeutete ihren Töchtern, still zu sein. Das wäre allerdings gar nicht nötig gewesen, denn nachdem sie anfangs nur vorgehabt hatten, eine Show für ihre Zuschauer zu geben, hatten sich Scully und Mulder inzwischen selbst ganz und gar in ihrem Kuss verloren, was in Anbetracht der Tatsache, dass sie noch nicht allzu viele solche Küsse ausgetauscht hatten, auch nicht weiter verwunderlich war. Neben ihnen hätte ein Raumschiff landen können, komplett mit grauen Retikulanern, keiner von ihnen hätte es bemerkt. Erst Bill, Jr., weitaus weniger subtil als ein im Wohnzimmer landendes UFO, brachte es fertig, sie zu trennen. Zuerst hatte er wie versteinert auf die Szene vor ihm geblickt, als ihm jedoch ganz und gar bewusst wurde, was er da sah, sprang er auf und stürzte sich auf Mulder, den er am Kragen packte und von seiner Schwester wegriss. „Was fällt dir ein, du mieser Schweinehund? Ich habe dir schon ein paarmal gesagt, dass du die Finger von meiner Schwester lassen sollst! Jetzt reicht es mir endgültig!“ Ehe jemand reagieren konnte, stieß er Mulder in Richtung Wand, übersah dabei allerdings, dass der Weihnachtsbaum im Weg war, in den er den völlig erstarrten Mulder hineinschubste. Es kam, wie es kommen musste, der Baum kippte um und fiel schräg an die glücklicherweise recht nahe Wand, die ihn in einer ziemlich windschiefen Lage abstützte. Mulder verschwand fast in den dichten, grün benadelten Zweigen, Scully stürzte hinter ihrem Bruder her und versuchte, ihn von Mulder wegzuziehen. Allmählich löste sich die Erstarrung im Raum, Tara und Melissa zogen die Kinder unter dem halb umgekippten Baum hervor und brachten sie in Sicherheit, während Scully ihr Versprechen wahr machte und Bill mit einer bilderbuchreifen Nahkampftechnik von Mulder weg und auf den Boden beförderte. „Wenn du dich noch einmal in mein Liebesleben einmischst, kannst du was erleben, hast du das verstanden?“ knurrte sie ihren Bruder von oben herunter an, der in Anbetracht ihres sonst für Verdächtige und Frohike reservierten Killerblickes nur zu ihr aufsehen und nicken konnte. „Du hast richtig gehört, ich habe so etwas wie ein Liebesleben, und Mulder ist derjenige, mit dem ich es habe.“ Sie sah sich in der Runde ihrer immer noch stummen Verwandten um. „Sind jetzt alle zufrieden, dass sie recht gehabt haben? Dann sollten wir vielleicht den Baum wieder aufstellen und die Geschenke ausgraben. Ich möchte hier niemandem die Feier verderben.“ Mit diesen Worten streckte sie Mulder die Hand hin und half ihm aus dem Gewirr von Zweigen, Nadeln und Lichterketten heraus, in dem er noch immer steckte. Sie löste ein paar Fäden Lametta aus seinem Haar, während die anderen den Baum aus seiner Schräglage holten. Mulder sah sie bewundernd an. „Ich hätte nicht gedacht, dass du für mich deinen Bruder schlagen würdest.“ flüsterte er in ihr Ohr. Sie warf ihm einen bösen Blick zu. „Sag lieber nichts. So hatte ich mir Weihnachten nicht vorgestellt.“ Charly, der den letzten Satz mit angehört hatte, mischte sich ein: „Warum eigentlich nicht? Ich finde, Mulder gibt einen hervorragenden Baumschmuck ab. Außerdem musst du zugeben, dass es bei uns zu Weihnachten noch nie so lustig war. Natürlich einmal abgesehen von dem Jahr, in dem Missy den Baum mit ihren Räucherkerzen angezündet hat.“ Er fing einen Blick seiner ältesten Schwester auf und unterbrach sich: „Aber das hier ist wesentlich besser.“ Zu Bill gewandt fügte er hinzu: „Du solltest dein Geschenk auch aufmachen, großer Bruder; zuerst dachte ich ja, es sei bloß eine lustige Idee, aber jetzt glaube ich, dass du es sehr gut gebrauchen kannst.“ Er zog ein riesengroßes Paket hinter dem Baum hervor, das wahrscheinlich einen guten Teil dazu beigetragen hatte, dass dieser nicht ganz auf den Boden gefallen war. Neugierig, was Charly mit seiner Bemerkung gemeint haben mochte, versammelten sich alle um Bill, der nach dem Ausbruch Danas ganz still geworden war und nun gehorsam an dem Packpapier zu zerren begann, das sein mysteriöses Geschenk umgab. Mulder und Scully hielten sich etwas abseits, um keinen weiteren Zwischenfall zu provozieren, standen aber für alle sichtbar Arm in Arm, ihr Kopf an seine Schulter gelehnt. Nach einem kurzen Kampf mit dem Papier hatte Bill schließlich einen dicken Punshing- Ball freigelegt, auf den Charly mit Filzstift geschrieben hatte: „Ich bin Fox Mulder“. Bill sah seinen Bruder verwundert an, der zusammen mit den anderen in schallendes Gelächter ausbrach. Bloß Mulder wusste nicht so recht, was er sagen sollte, bis Charly zu ihm trat und ihm auf die Schulter schlug. „Ich dachte mir, besser, er lässt an dem Ding Dampf ab als an Ihnen. Und wenn ich mir Danas Schlagkraft so ansehe, möchte ich meinen, es wäre nicht nur für Sie, sondern auch für Bill wesentlich gesünder.“
Wieder keuchten alle vor Lachen, und so dauerte es eine Weile, bis Maggie bemerkte, wie Dana ihren Partner am Arm in Richtung Tür führte. „Wo wollt ihr denn jetzt hin?“ erkundigte sie sich. „Wohin wohl?“ gab Dana zurück. „Unter den Mistelzweig natürlich.“



Fini, aus, Ende, Merry Christmas everyone!!
Eigentlich sollte das hier eine ganz kurze, kleine, harmlose und lustige Weihnachtsgeschichte werden, aber irgendwie hat sie mal wieder ein Eigenleben entwickelt. Ich muss hier nochmal Kitty danken, die nicht nur ihre Inspiration bei mir aufgefüllt, sondern im Gegenzug auch eine Menge Ideen zurückgegeben hat. Ohne sie wäre diese Fic niemals das geworden, was ihr hier seht; ihr verdanke ich massenweise Ideen, Gags und viel konstruktive Kritik, die „Mistletoe...“ um einiges besser gemacht hat.
Thanx auch nochmal an Cat, für Teufelchen, Szenen, Beistand und den Schlusssatz.
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