World of X

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Familienbande V: Vermächtnisse

von Dawn

Kapitel 21

Zimmer 342
Sonntag
9:34 Uhr


Es war wie auf einer Party – oder vielleicht wie der erste sonnige Frühlingstag nach einem langen, bitterkalten Winter. Langsam wanderten Scullys Augen durch den Raum. Dr. Brewer war seinem Rebellenstil wieder treu geworden, trug eine Simpsons Krawatte und hörte Mulder offenen Mundes zu, als dieser ihn über den Tooms-Fall unterrichtete. Skinner, von A.D. durch das Tragen von abgewetzten Jeans und einem grünen Henley-Shirt zu einem Normalsterblichen transferiert, lachte leise als Elena ihm ihre letzte Begegnung mit einem Patienten aus der Hölle beschrieb. Grey, der auf einem Stuhl saß, hatte seine besockten Füße auf dem Bettende geparkt und betrachtete seinen Bruder mit einem Gesichtsausdruck, der Scullys Hals zuschnürte und ihre Augen tränen ließ. Und der Ehrengast, immer noch zu blass und zu dünn, aber geduscht und rasiert, sah bei weitem besser aus als ein Mann, der gerade dem Tod von der Schüppe gesprungen war ein Recht drauf hatte. Um genau zu sein, sah er wunderbar aus.

Elena musste ihre Gedanken gelesen haben oder zumindest ihren Ausdruck gesehen haben, denn sie zwinkerte Scully zu und wand sich dann mit einem schelmischen Grinsen an Mulder.

„Wissen Sie, Mulder, so herausgeputzt machen Sie ganz schön was her. Wer hätte das gedacht?“

Mulder neigte den Kopf. „Danke. Denk ich mal.“

„Nun ja, das ist noch gar nichts“, sagte Brewer. „Ihr Inneres sieht auch unglaublich aus. Die Lungenentzündung ist auf dem Rückmarsch und die Zahl der weißen Blutkörperchen ist schon deutlich gestiegen, und...“ Er warf einen stechenden Blick auf Scully. „Ich schätze nicht, dass Sie mir mitteilen wollen, was Sie ihm gegeben haben, das es geschafft hat den Tumor vollständig loszuwerden in einer Zeit von nur sechs Stunden?“

Scully schürzte ihre Lippen und schaute enigmatisch drein. Mulder hustete ein paar Mal und Brewer verschränkte die Arme und nörgelte. „Ich weiß, ich weiß – muss wohl eine X-Akte sein.“

Als Mulder mit Husten fertig war nahm er einen Schluck Wasser und blickte Brewer verwegen an. „Wann kann ich wieder arbeiten?“

Scully, Skinner und Grey stöhnten im Chor. Mulder verschränkte die Arme, stülpte seine Unterlippe vor und funkelte sie an. Scully senkte den Kopf um das Lächeln zu verstecken, das sich auf ihren Lippen ausbreitete.

*Gott sei Dank.*

„Ihren Reaktionen nach zu schließen gehe ich davon aus, dass Sie gewöhnlicherweise zu früh wieder arbeiten gehen, Mulder.“, sagte Brewer trocken. „Ich hätte da einen Rat für Sie. TUN SIE’S NICHT. Ihr Körper hat Unglaubliches durchgemacht und Sie werden sich noch über Wochen immer wieder total beschissen fühlen. Kämpfen Sie nicht dagegen an. Sie brauchen Schlaf, und zwar nicht zu wenig. Wenn ich Sie hier mit einer sekundären Infektion wiedersehe, werde ich stinksauer.“

Mulder zog ein Gesicht. „Ich bin nicht besonders gut im Schlafen.“

Brewer grinste lediglich. „Vertrauen Sie mir, das wird sich ändern.“ Er steckte Mulders Akte in die dafür vorgesehene Tasche am Ende des Bettes. „Ich komme später nochmal vorbei. Wenn wir das Fieber weiter senken und Ihre Lungen weiter von Schleim befreien können, sollten Sie in ein paar Tagen nach Hause gehen können.“ Er nickte Scully zu. „In die Obhut Ihres persönlichen Arztes natürlich.“

Elena folgte ihm hinaus, warf Skinner ein Lächeln zu und berührte seinen Arm als sie an ihm vorbei ging. „Ich komm gleich mit Ihren Medikamenten wieder, Mulder.“, rief sie fröhlich.

Scully bemerkte das Lächeln genauso wie die Art, wie Skinner den Kopf drehte um ihr hinterher zu blicken. Mulder entging dies, wie gewöhnlich, aber sie sah, dass Grey Skinner beobachtete und versuchte sich ein Grinsen zu verkneifen.

*Hmmmm. Extreme Möglichkeiten tauchen plötzlich überall auf.*

Skinner drehte sich wieder um, sah, dass sie ihn anguckten und wurde rot. Scully versuchte noch, *das* in ihren Kopf zu kriegen als Grey ihn aus seiner Verlegenheit erlöste.

„Wie siehts aus Walt? Steht das Angebot Taxi zu spielen noch?“

Skinner war auf eine komische Art erleichtert. „Ja. Ich hol das Auto vor den Eingang, dann brauchst du nicht zu laufen – ich hab was weiter weg geparkt.“ Er warf einen Blick auf Mulder und zog die Augenbrauen zusammen. „*Ruhen* Sie sich aus, Mulder. Glauben Sie mir, die nächsten zwei Wochen werden Sie die Akten nicht einmal anfassen.“

Mulder schmollte weiter, lehnte sich dann zu Grey, der seine Schuhe schnürte.

„Gehts dir gut? Warum sollst du nicht laufen?“

Grey winkte ab. „Ach nichts. Mein Rücken tut noch etwas weh, nichts Schlimmes. Es wird besser.“ Er legte seine Hand auf Mulders Handgelenk. „Weißt du, ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir dafür zu danken, mich da rausgeholt zu haben, Fox. Ich hoffe du weißt...“

Mulder zog seine Hand unter seiner hervor und vertauschte die Geste, indem er nun seine Hand auf die seines Bruders legte. „Tu ich. Und es war nichts, was du nicht auch für mich getan hättest. Mir tut es nur Leid, dass du jetzt auch in diesen Teil meines Lebens gesaugt wurdest, das sollte nicht passieren. Es war selbstsüchtig von mir damals überhaupt Kontakt zu dir aufgenommen zu haben.“

„Halt den Mund.“ Greys Stimme war voller Zuneigung. „Du bist ein Teil meiner Familie, Fox, und ich will dich in meinem Leben haben. Cancerman, Krycek, globale Verschwörungen – das ist mir egal. Aber du...“ Er schloss die Augen und ließ den Kopf etwas sinken. „Das hier war viel zu knapp, kleiner Bruder. Ich dachte, ich würde dich verlieren.“

Mulder knabberte an seiner Unterlippen und schloss kurz die Augen. „Ich kenne das Gefühl.“

Ein Mundwinkel von Grey zuckte und er stand auf, drückte Mulders Hand sanft bevor er sie los ließ.

„Ich muss los. Ich werde heute endlich bei Kristen alles wieder gut machen. Walt setzt mich bei ihr ab.“

„Überanstreng deinen Rücken nicht unnötig.“, sagte Mulder und wackelte mit den Augenbrauen.

„Das kommt ganz auf deine Definition von unnötig an, oder?“, erwiderte Grey, sreckte die Arme über den Kopf um sich zu recken und jaulte etwas. Dann lehnte er sich vor um Scully auf die Wange zu küssen, ihre Blicke trafen sich und tauschten unsägliche Freude während der kurzen Verbindung aus. „Er gehört jetzt dir, Süße. Hoffe du bist der Herausforderung gewachsen.“

„Warum tut hier jeder so als ob ich Schwierigkeiten machen würde?“, jammerte Mulder.

Scully warf ihm ihren patentierten Blick zu. „Zwei Worte, Mulder. Frühere Erfahrungen.“

Mulder setzte einen beleidigten Ausdruck auf. „Scully, du verletzt mich.“ Dann gähnte er was das Zeug hielt.

„Schlaf was, G-man.“, sagte Scully, untergrub den Befehl jedoch mit einem Lächeln.

Mulder schüttelte stur den Kopf obwohl seine Augen schon schläfrig waren. „Uh-uh. Ist dir klar, dass dies das erste Mal seit einer Woche ist, das wir alleine sind? Ich will ja nicht davon sprechen ins Bett zu gehen, es sei denn...“, er schlug die Decke zurück und warf ihr einen lasziven Blick zu.

Scully verdrehte die Augen. „Hier? Nicht in deinen wildesten XXX-Träumen, Mulder, selbst wenn du dem schon wieder gewachsen wärst, was du nicht bist.“, sagte sie schnell bevor er die Doppeldeutigkeit aufnehmen konnte.

Mulder seufzte wie ein schrecklich Unterdrückter. „Fein. Dann komm wenigstens her damit ich dich etwas halten kann. Lässt sich das mit deinen Standarts von Krankenhausetikette vereinbaren?“

Scully betrachtete ihn und nahm den Anblick auf wie ein Durstiger ein Glas Wasser. Ein langer und wahrscheinlich steiniger Weg der Besserung lag vor ihm, aber er lebte. LEBEN.

Sie kickte ihre Schuhe von den Füßen und krabbelte auf die Matratze, erlaubte Mulder sie an sich zu ziehen wie ein verwaistes Hundebaby, so dass ihr Kopf auf seiner Brust lag.

„Bist du sicher, dass das okay ist, Liebling?“, fragte sie besorgt als sie das Rasseln in seinen Lungen bei jedem Atemzug hörte.

„Mmm. Besser als okay, Babe. Perfekt.“ Sie spürte wie er seine Lippen auf ihren Kopf drückte und hielt ihn etwas fester um seine zu schmale Taille.

„Du brauchst was Speck auf den Rippen, Mulder.“, stellte sie fest; das weiche Krankenhausleibchen kitzelte ihre Wange. „Zeit für die Geheimwaffe.“

„Wirst deine Mutter anrufen, huh?“

„Yep. Und nur das du’s weißt – du kommst mit zu mir. Da kann ich besser auf dich aufpassen.“

Scully spürte wie er sich bewegte, hörte wie sein Herz schneller Schlug und zog die Stirn in Falten. Sie hob ihren Kopf um ihn ernst anzusehen. „Raus damit, Mulder. Du willst nicht mit zu mir kommen?“

Scully erwartete fast schon den leeren, vorsichtigen Ausdruck zu sehen, der seine Verteidigungsmasche war. Stattdessen flimmerten eine Menge starker Gefühle über sein Gesicht.

„Nein. Nein, Scully, das ist es absolut nicht, ich...“

Betont legte Scully ihren Kopf wieder ab, wissend dass er leichter Worte finden würde wenn sie ihn nicht anstarrte. „Nimm dir Zeit, Schatz. Ich höre zu.“

Mulders Hand vergrub sich in ihrem Haar, seine Finger bewegten sich langsam durch die Strähnen. „Ich... ich hatte einen Traum als du weg warst. Einen sehr lebhaften Traum.“

„Das überrascht mich nicht.“, murmelte Scully. „Bei dem hohen Fieber und dem Morphin.“

„Das hier war anders, Scully. Ich glaube... ich glaube mein Unterbewusstsein hat versucht mir was zu sagen. Oder vielleicht war es auch mein Herz.“, fügte er leise hinzu.

Scully hörte zu als er leise und schmerzlich seinen Traum erzählte und seine Stimme brach als er zu dem Teil kam wo sie sich in Luft auflöste. Sie konnte die Kraft der Bilder in seinem verkrampften Körper spüren. Für sie war die Bedeutung dieses Traumes glasklar, aber konnte Mulder sie sehen?

Als er fertig war hielt Mulder inne und atmete tief durch. „Was meinst du bedeutet das, Scully?“

*Ah, ah, ah. So leicht kommst du nicht davon. Das ist deine Reise, mein Lieber.*

Laut hielt Scully ihre Antwort neutral. „Es kommt nicht darauf an was ich meine, Mulder. Was glaubst *du* bedeutet es?“

Mulder musste gedämpft lachen. „Hast du hinter meinem Rücken Psychologie studiert, Babe?“

Unfähig zu widerstehen legte Scully ihr Kinn auf seine Brust und zog einen Augenbraue hoch. „Du kennst mich, Mulder. Ich lese immer die Bedienungsanleitung.“

Sie glucksten leise zusammen für einen Moment bevor die zurückkehrende Anspannung in seinen Muskelt ihr sagte, dass er sprechen wollte. „Ich denke es bedeutet, dass ich so schlechte Erfahrung mit dem gemacht habe, was mir als Liebe gelehrt wurde, dass es hart für mich ist zu glauben, dass dies hier Realität ist.“

Scully vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd. Seine Worte hinterließen eine warme Spur am Grund ihrer Seele. Hatte er endlich verstanden?

„Ich wollte es immer glauben, Scully.“, fuhr er gedämpft fort. „Aber ich bin ein Feigling. Jedes Mal wenn ich versucht habe loszulassen, zu akzeptieren, dass du mich wirklich so lieben konntest wie ich dich liebe, habe ich gedacht, dass du früher oder später einsehen würdest, dass du einen Riesenfehler gemacht hast. Und wie sehr es schmerzen würde, wenn du gingst.“

Heiße Tränen verbrühten ihre Wangen. „Wie konntest du das glauben, Mulder? Wir sind seit sechs Jahren zusammen, ich weiß genau wer du bist, und ich liebe diesen Mann. Warum hast du erwartet, dass ich gehen würde?“

Mulders Stimme war rau. „Ich kenn es nicht anders.“

Scully drehte sich um, richtete sich etwas auf, nahm sein Gesicht in ihre Hände, liebkoste seine Lippen mit den ihren allen Tränen zum Trotz, die ihr weiter über die Wangen liefen. Als er endlich atemlos war, zog sie sich etwas zurück und lehnte ihre Stirn gegen seine.

„Hör mir genau zu, Mulder, weil ich es nicht wiederholen werde. Ich. Werde. Dich. Nicht. Verlassen. Hast du das verstanden?“

Er erwischte ihre Lippen und gab ihr zurück, was er erhalten hatte. „Laut und deutlich, Babe. Und ich erhole mich gerne bei dir, unter einer Bedingung.“

Sie küsste ihn wieder und kuschelte sich an seine Brust. „Spucks aus, Mulder. Ich bin gerade großzügig.“

Seine Finger vergruben sich wieder in ihrem Haar. „Sobald ich wieder fit genug bin suchen wir nach einer gemeinsamen Wohnung.“

Scully rieb ihre Nase über seine Brust. „Ich denke das ist eine großartige Idee, G-man. Ich wünschte ich hätte daran gedacht.“

„Haha“, entgegnete er und unterstrich seinen Sarkasmus mit einem neuerlichen Gähnen.

Scully konnte spüren wie die Anspannung seinen Körper verließ und sein Atem sich beruhigte. Sie dachte an Spender, an die verstörenden Enthüllungen bezüglich Mulders Vater und seinem geheimen Vermächtnis. Sie musste Mulder dies unbedingt mitteilen, egal wie zerstörerisch die Wahrheit wahrscheinlich sein würde.

„Mulder?“

„Hmmm?“

Seine Antwort war mehr als schläfrig aber die Dringlichkeit trieb sie voran. „Als ich bei Spender war hat er ein paar Sachen enthüllt. Sachen, die du wissen musst.“

„Mmm, hmm, später, okay Babe? Ich bin ziemlich müde.“

Sie wusste, dass er schlief bevor er fertig gesprochen hatte, die Hand rutschte von ihrem Haar auf ihre Schulter. Sie kuschelte sich noch fester an und genoss seine Wärme, die Leben bedeutete. Jetzt war wahrscheinlich nicht der Zeitpunkt, ihn mit seines Vaters Betrug zu konfrontieren. Es war besser den Schlamassel anzugehen, wenn’s ihm besser ging, er stärker war. Die Wahrheit würde bis dahin warten.

Oder?


Ende
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