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Familienbande IV: Zerfetzte Herzen

von Dawn

Kapitel 4

Eagle Rock
Mittwoch
06:05 Uhr


Greys schlaftrunkenes Hirn brauchte einige Minuten, um zu verarbeiten, dass er von dem Geräusch der zufallenden Haustür aufgewacht war. Er warf einen Blick auf die Leuchtanzeige seiner Uhr, stöhnte leise und vergrub sein Gesicht in seinem Kissen. Das sollte um Himmels Willen ein freier Tag sein – so früh stand er nicht mal an einem Arbeitstag auf. Seine Gedanken hatten tatsächlich begonnen sich abzuschalten und wieder einzuschlafen, als ein klares Bild des blassen, zu dünnen Gesichts seines Bruders den Prozess sauber kurzschloss und völlig erwachen ließ.

Er murmelte leise etwas über Schlaflosigkeit und Beruhigungsmittel während er einen altes Paar Shorts und ein abgetragenes University of North Carolina T-Shirt anzog. Er tappte den Flur entlang und die Treppe hinunter und bemerkte, dass die Tür zum Gästezimmer fest verschlossen war. Wie er vermutet hatte, lehnte Fox in verschwitzter Laufkleidung am Küchentresen und trank eine Flasche Wasser. Er sah nur geringfügig weniger erschöpft als am Vorabend.

„Guten Morgen.“

„Du weißt, dass du hier *Urlaub* machst, Fox. Du musst nicht bei Tagesanbruch aufstehen.“, beobachtete er griesgrämig, während er die Kaffeemaschine einstöpselte und mit Wasser füllte.

Er bereute die Schärfe seiner Worte sofort, als das Gesicht seine Bruders ausdruckslos wurde, ein Gesichtsausdruck, den er bereits als „Verteidigungsmodus“ erkannte hatte.

„Konnte nicht schlafen. Tut mir Leid, dass ich dich geweckt habe.“ Die Worte waren wie Granit, glatt und flach.

*Verdammt* dachte Grey, über sich selbst genauso verärgert wie über Fox. *Warum muss alles bei dir so kompliziert sein?*

„Vergiss es.“, sagte er laut. „Du hast wahrscheinlich eh schon bemerkt, dass ich nicht hübsch aufwache.“

Das brachte ihm ein erfreutes Grinsen und löste die Spannung.

„Muss eine genetische Eigenschaft sein. Scully ist allerdings auch nicht besser. Wir haben gelernt leise zu treten und die Kaffeemaschine abends schon vorzubereiten.“

Grey lehnte sich zurück, verschränkte seine Arme und bedachte Fox mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Die Sache ist noch ziemlich frisch. Wie läuft’s?“

Die Augen seines Bruders, die normalerweise kühl und ein bisschen vorsichtig waren wurden erstaunlich sanft und flüssig. „Unglaublich. Ich weiß nicht, was Scully davon haben könnte, aber ich habe vor jeden Augenblick zu genießen, solange ich kann.“

Etwas an dieser Aussage störte Grey und seine Augen bohrten sich in Foxs. „Du sagst das so als sei es vorübergehend.“

Das ausdruckslose Gesicht war wieder an seinem Platz und Fox zuckte mit den Achseln, er war plötzlich fasziniert von dem braunem Strahl, der in die Kaffeekanne tropfte.

„Erzähl mir keinen Quatsch, Fox! Warum sollte es was vorübergehendes sein? Denkst du, dass du dich langweilen wirst?“

Es war wie eine Klapperschlange mit einem Stock zu stoßen, aber es brachte Ergebnisse. Das Gesicht seines Bruders errötete und er knurrte seine Antwort praktisch. „Bist du wahnsinnig? Warum sagst du so dumme Sachen? Hast du dir sie kürzlich mal angesehen – oder besser, ihr zu gehört? Wer könnte sich denn mit soviel Intelligenz und Schönheit in einen Paket langweilen?“

„Was dann? Was soll euch davon abhalten für immer so zu sein, zusammen alt zu werden?“

Er antwortete mit einen bittersüßem Lächeln, wie ein kleines Kind, dass die Nase an das Schaufenster eines Süßigkeitenladens gepresst, aber kein Geld in der Tasche hat. „*Ich* werde.“ Auf Greys verwunderten Blick hin, fuhr er fort. „Ich liebe sie, Grey – jenseits von Vernunft – jenseits von Verstand. Aber ich habe zuviel Gepäck und eines Tages wird Scully nicht mehr in der Lage sein noch länger damit zu leben. Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Er war sprachlos. Wut, Mitleid, Traurigkeit – sogar eine seltsame Art von Belustigung kämpften alle darum die Oberhand zu gewinnen. Da war keine Nachgiebigkeit gegen sich selbst in Foxs Gesicht, nur Resignation. Er staunte wieder einmal darüber, wie er in die Rolle des Kupplers geraten war, er wusste, dass Kate sich irgendwo vor lachen kringelte und wählte seine nächsten Worte sorgfältig.

„Das ist es also, was? Dana ist nicht in der Lage jemanden bedingungslos zu lieben. Oder bist du einfach nur erstaunlich unliebenswürdig, dass man das nicht von ihr verlangen kann?“

Fox japste wie ein Fisch an Land. „Ich habe nicht… es ist…“

Grey konzentrierte sich auf den K.O. Schlag. „Es ist Unsinn. Dana liebt dich, ungeachtet des Gepäcks, und ich tue das auch. Deine Aufgabe ist es, über dich selbst hinwegzukommen und alles zu tun, was nötig ist, um sie glücklich zu machen.“

Er war nicht daran gewöhnt, seine Gefühle auszudrücken – immerhin war er ein Mann. Aber der Ausdruck auf Foxs Gesicht, bevor er sich schnell blinzelnd wegdrehte, verriet ihm, dass er es vielleicht häufiger versuchen sollte.

„Übrigens solltest du dich besser auf etwas gefasst machen.“, sagte er trocken.

Froh über den Themawechsel, verengten sich Foxs Augen misstrauisch. „Auf was?“

„Wir wurden heute Abend zum Kochen in Mutters Haus bestellt. Du wirst die McKenzie Familie kennen lernen. Fass es als Coming-Out Party auf.

Die Panik war nur halb gespielt. „Du machst Witze, richtig? Das soll all diese Jahre, in denen du keinen kleinen Bruder zum Quälen hattest, wieder gut machen.“

„Mulder, deine Paranoia kommt zum Vorschein.“, sagte Scully, betrat die Küche und ging mit gekräuselten Lippen an seine Seite. „Ich habe Grey schon deutlich klar gemacht, dass *ich* die einzige bin, die dich quälen darf.“

Sie hatte offensichtlich gerade erst geduscht, ihr Haar war noch feucht und ihre Haut roch schwach nach Seife und Shampoo. Grey beobachtete wie es sich langsam auf dem Gesicht seines Bruders ausbreitete – das Lächeln, das niemand außer Dana Scully hervorrufen konnte. Er schaute höflich weg, als Fox „guten Morgen“ murmelte und sich für einen Kuss nach unten beugte, seine eigene Brust wurde eng wegen des plötzlichen Gefühls von Verlust.

*Ich vermiss dich, Kate. Jeden Tag.*

Er schluckte die Trauer wie eine bittere Pille und brachte ein Lächeln auf. „Kaffee ist fertig. Will jemand?“




Eagle Rock
Mittwoch
14:47 Uhr



Mulder benutzte den Rücken seines Arms um vergebens den Schweiß, der von seiner Stirn ran, wegzuwischen. „Ich kann nicht glauben, dass ich mich von dir hierzu überreden lassen habe.“, stöhnte er und ließ sich im Schatten einer Eiche auf den Boden fallen. „Ich sterbe.“

„Sei nicht so ein Weichei. Wie weit bist du denn heute Morgen überhaupt gelaufen?“, fragte Grey und senkte seinen Hammer um die Hände in die Hüften zu stemmen.

„Zu weit. Können wir keine Pause machen? Ich brauche was zu Trinken.“

„Schon gut, schon gut. Du bleibst hier, ich werde uns eine Limo holen.“, gab Grey tolerant grinsend nach.

„Sag Scully, dass ich erwarte, dass sie auch mitmacht. Ich bin kein Chauvinist.“, knurrte sein Bruder und streckte sich auf seinem Rücken aus.

Scully hatte sich zufrieden in einem Terrassenstuhl unter dem Sonnenschirm niedergelassen, wo sie eine Medizinzeitschrift lass und einen Eistee schlürfte. „Sieht so aus, als würdet ihr Fortschritte machen.“, bemerkte sie, als Grey sich näherte.

„Fox erwartet, dass du mithilfst.“, antwortete er. „Ich glaube, dass soll so eine Art umgekehrte Diskriminierung sein.“

„Mulder muss häufig seine Erwartungen herunterschrauben.“, gab Scully genervt zurück. „Und ich denke, es ist mehr ein Fall von Elend, das Gesellschaft braucht. Wie macht er sich?“

„Lass uns einfach sagen, dass mein Wahnsinn Methode hat. Ich kann fast garantieren, dass er heute Nacht wie ein Baby schlafen wird.“ (Bummer! ^-^)

Sie schmunzelte, aber Müdigkeit lauerte in den Ecken. „Das könnten wir beide gebrauchen.“

Als er mit den Limos zurückkam, waren Foxs Augen geschlossen, aber sie schlugen sofort auf und er richtete sich selbst auf und streckte die Hand aus. Für die nächsten Momente war nichts außer dem Zischen beim öffnen der Dose, gefolgt vom Schlucken und einem glücklichen Seufzen zu hören.

„Also, wenn ich diesen Ausflug in feindliches Terrain machen muss, könntest du mich wenigsten vorher bewaffnen. Wen genau treffe ich heute Abend?“

„Du bist nett. Okay, mal schauen. Mom und Dad, natürlich. Du kannst darauf zählen, dass Mom viel Aufhebens um dich machen wird, sie ist schon scharf darauf, dich kennen zu lernen, seit sie gehört hat, dass du mich gefunden hast. Dann ist da noch Shannon – sie ist nur zehn Monate jünger als ich. Mom wurde schwanger direkt nachdem… Egal, sie ist mit Rob verheiratet und sie haben zwei Kinder – Patrick, zwölf und Amanda, zehn. Rob ist Buchhalter und ich glaube, ich habe erwähnt, dass Shannon für eine Arzneimittelfirma arbeitet. Kommst du soweit mit?

„Gerade noch. Deine jüngste Schwester ist Kira, richtig?“

„Jap.“ Greys Gesicht verdunkelte sich nur etwas. „Sie ist geschieden, und es war ne schwierige Sache. Der Kerl wurde ihr gegenüber gewalttätig, aber sie hat es mit ihm ausgehalten, bis er anfing ihrer Tochter Claire gegenüber ausfallend zu werden. Sie hat sich vor drei Jahren scheiden lassen und ihn seit dem nicht mehr gesehen. Er ist einfach verschwunden – ein sicherer Weg um Unterhaltszahlungen zu umgehen. Claire ist jetzt sieben.“

Er sah auf um zu sehen, dass Fox weit weg war. „Das ist der Grund, warum Mom sich schließlich von Dad hat scheiden lassen.“, murmelte er. „Sie hat den Alkohol und den verbalen Missbrauch durchgehalten. Aber nachdem er mich zum zweiten Mal geschlagen hat, hat sie ihn rausgeworfen.“

Grey wurde sehr still, hatte Angst den Bann zu brechen. Fox sprach so selten darüber, wie er aufgewachsen war und hatte den Missbrauch durch seinen Vater noch nie so offen zugegeben. Er konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob diese neue Offenheit damit zu tun hatte, dass Dana ihren Weg immer tiefer in sein Leben bohrte.

„Ich bin sicher, dass es dazu eine Menge Mut braucht.“, sagte er schließlich, nachdem Weg tastend wie ein Mann in der Dunkelheit. „Ich weiß, dass es für Kira nicht einfach war.“

„Sie hat es nie laut gesagt, aber ich konnte nicht anders als zu denken, dass sie mir irgendwie die Schuld dafür gab. Wenn ich ein besserer Sohn gewesen wäre, hätte Dad nicht… Ich weiß nicht. Scully sagt immer, ich hätte ein überentwickeltes Schuldgefühl.“ Er lächelte sogar ein bisschen ob der Bemerkung.

„Lass dich bloß nicht von ihnen überwältigen, Fox.“, warnte Grey kläglich. „Wir tendieren dazu eine Art gefühlsdusseliger Haufen zu sein. Lass dich davon nicht abschrecken.“

Fox rollte die Augen. „Kein Problem. Scullys Familie tendiert auch dazu – Mrs. Scully zumindest. Bill würde seine Zuneigung wahrscheinlich zeigen indem er mir den Hals umdreht

Ach, ja, da was das Problem mit Scullys älterem Bruder. Grey erinnerte sich an eine wage Anspielung auf Bills weniger als freundliche Beschreibung seines Bruders. Grey stand auf, streckte eine Hand aus und zog Fox nach ihm hoch.

„Okay, du hattest deine Pause. Ich glaube, wir können noch ein paar Stunden einschieben, bevor wir uns zum Abendessen fertig machen müssen.“

„Gott, du bist ein Tyrann! Was hast du bloß gemacht, bevor du mich zum rumkommandieren hattest?“ Foxs Stimme war leidend, wurde jedoch von einem spitzbübischen Grinsen gemildert.“

„Warum glaubst du bin ich zur Polizei gegangen?“, witzelte Grey. „Jetzt greif dir den Hammer und ran an die Arbeit!“
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