World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Richtung Nirgendwo - Geteilte Wege

von Nicole Perry

Kapitel 3

Rebecca rührte sich nicht vom Fleck. Eine Mischung von Verlegenheit und Beschämung befiel sie. Sie starrte Elliot an, dessen Blick hinter seinen Brillengläsern schmerzerfüllt war. Die Stille des Augenblicks wurde durch die aufspringende Küchentür zerrissen. Eine kalte Brise fegte herein, gefolgt von einer bekannten Stimme.

"Was ist denn hier los? Bin ich auf einer Beerdigung gelandet?"

Rebecca drehte sich um und sah Cooper mit Tucker auf den Fersen in die Küche kommen. Er zog sich seine Buffalo Jacke aus und warf sie achtlos auf einen der Küchenstühle. Er zog sein Stirnband aus, das seine braunen Haare zusammengehalten hatte, die jetzt wirr um sein Gesicht fielen. "Hey, Mann!  Schön dich wiederzuhaben!" Als er keine Antwort erhielt, fragte er verunsichert, "Hab ich was Falsches gesagt?"

"Beck—" Ohne auf Cooper zu achten drehte sich Elliot mit einem Flehen in den Augen zu ihr. "Ich gehe besser—"

"Nein", erwiderte Rebecca und schnitt ihm das Wort ab. "Du erzählst ihm, was los ist. Es ist immerhin deine Geschichte. Ich rede inzwischen mit ihr."

Rebecca konnte Elliot ansehen, dass er protestieren wollte, doch er schwieg und nickte bloß.

Als ob überhaupt nichts los sei bemerkte Cooper, "Hier riecht's lecker. Ich glaube, ich sollte euch öfters das Kochen überlassen."

Rebecca warf Cooper ein kurzes Lächeln zu und verschwand dann im Flur.  Hinter sich konnte sie hören, wie Elliot Cooper begrüßte und ihm ein Glas Wein anbot. Die Stimmen wurden leiser, als sie den Gang hinunter auf die Türe des Schlafzimmers am anderen Ende zuging. Es schien zwar kein Licht unter der Tür durch, was normalerweise nicht gerade darauf schließen lässt, dass jemand im Zimmer war, aber Rebecca wusste es besser.

Sie klopfte leise an. "Lisa? Kann ich hereinkommen?" Zuerst erhielt sie keine Antwort, doch dann hörte Rebecca ihre leise Stimme. "Natürlich."

Rebecca drückte die Türe auf und sah Lisa mit unter sich gekreuzten Beinen im Dunkeln auf dem Bett sitzen, ihre Hände in ihrem Schoß. "Hey", sagte Rebecca vorsichtig. Lisa antwortete nicht. Sie blieb absolut still sitzen, wie eine Statue.

Rebecca machte die beiden antiken Lampen im Zimmer an, die an den Seiten des Bettes standen. Die Lampen waren zwar nicht besonders groß, aber es reichte. Lisa hatte den Kopf gesenkt und ihr dunkles Haar verdeckte ihr Gesicht. Langsam und zögernd durchquerte Rebecca den Raum und setzte sich neben Lisa aufs Bett.

Nach einem Moment hatte Rebecca Mut angesammelt und sprach. "Lisa.... ich weiß nicht, was du mitgehört hast oder was du denkst, dass du gehört hast --"

"Ich habe genug gehört", sagt Lisa. "Und du hast Recht. Es war falsch, dass ich hierher gekommen bin. Es war.... es war gedankenlos von mir, euch hier mit hinein zu ziehen."

"Nein." Dieses einzige Wort war kurz und abrupt, aber überraschend vehement. "Es war nicht falsch, dass du hierher gekommen bist, und Elliot hat auch richtig gehandelt, indem er dich mitgenommen hat. Ich... ich habe überreagiert. Ich glaube, es hat mich alles ein wenig überrascht."

"Rebecca..." Lisa hob den Kopf und wandte sich zu ihr, als ob sie ihr in die Augen sehen wollte. "Du verstehst es nicht."

"Ich muss es nicht verstehen", antwortete Rebecca, obwohl sie mehr als neugierig war, wie Lisa an den dunklen Bluterguss auf ihrer blassen Wange gekommen war. "Das ist nicht wichtig. Zumindest jetzt nicht."

 

 

Scully seufzte und fühlte sich mit einem Mal verletzlich und allein. "Doch." Sie suchte nach Worten, um es ihr zu erklären. "Es ist wichtiger als du denkst. Ich kann euch einfach nicht um so etwas bitten. Es ist nicht fair dir oder Elliot gegenüber."

"Warum lässt du uns das nicht entscheiden?" fragte Rebecca. Scully fand die Frage einerseits unglaublich lieb gemeint, aber andererseits wieder furchtbar naiv.

"Das geht nicht. Ich kann euch nicht darum bitten, für mich verantwortlich zu sein. Nicht in diesem Sinne."

Scully war überrascht, als sie eine Hand sanft auf ihrem Knie fühlte.  "Lisa... du steckst in Schwierigkeiten. Und Elliot hat Recht. Es ist egal in welchen oder warum. Ich muss die Hintergründe nicht wissen, es sei denn, du möchtest es. Ich vertraue Elliot, und ich vertraue darauf, dass er das Richtige getan hat, indem er dich hierher gebracht hat."

Vertrauen... dieses einfache Wort hallte in Scullys Kopf. So ein einfacher Begriff und doch eine so schwerwiegende Bedeutung. An jemand zu glauben, bedingungsloses Vertrauen in die Richtigkeit der Entscheidungen anderer zu haben, so dass deren Handeln gerechtfertigt ist. Etwas, das es in ihrer Beziehung zu Mulder ohne Zweifel gab. Es war ein Punkt in ihrer Partnerschaft, den sie nie in Frage gestellt hatte.

In Gedanken verloren merkte Scully nicht, dass Rebecca eine Antwort erwartete, bis sie sie sagen hörte, "Ich bin froh, dass du hier bist, Lisa, und nicht irgendwo ganz allein versuchst, mit der Situation klar zu kommen. Du kannst gerne bleiben solange du uns brauchst."

Scully wusste, dass es zugleich eine Entschuldigung und eine Einladung war. Und obwohl sie sich über die Tatsache im Klaren war, dass ihre bloße Anwesenheit das junge Paar in Gefahr brachte, war sie in dem Moment zu erschöpft, um ihr Angebot abzulehnen. "Danke", sagte sie letztendlich. "Es bedeutet mir sehr viel, mehr als du dir vorstellen kannst."

"Kein Problem", antwortete Rebecca und Scully konnte ein Lächeln in ihrer Stimme ausmachen. "Morgen früh versuchen wir eine Lösung zu finden. Ich bin sicher, wir werden eine finden. Möchtest du jetzt etwas zu Abend essen?"

"Ich bin am verhungern", gab Scully zu und merkte, dass es wirklich stimmte.

"Dann komm", forderte Rebecca sie auf und die Federn im Bett quietschten, als sie aufstand und Scully unterstützend sanft am Arm zog. "Bevor die Jungs alles alleine verputzen."

Scully konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken und ließ sich zur Tür führen. Doch kurz bevor sie auf den Flur traten, hielt Scully inne. Sie fand Rebeccas Hand und drückte sie. "Bitte versprich mir eines", sagte sie leise. "Versprich mir, dass du nicht zur Polizei gehst."

In der langen Pause, die folgte, fand es Scully schwer zu atmen. Sie hoffte, dass die Bitte ihre Gastgeberin nicht beleidigt oder erschreckt hatte. Doch dann antwortete Rebecca, langsam und betonend.

"Du hast mein Wort, Lisa. Wir werden nicht zur Polizei gehen."

"Danke", sagte Scully schlicht. "Ich hätte nicht gefragt, wenn es nicht wirklich wichtig wäre."

"Ich glaube dir", erwiderte Rebecca. Dann gingen sie gemeinsam den Flur hinunter.

 

 

 

Es gab keine Spur von Scully in und im Umkreis des Bahnhofs in Tucson. Zumindest nicht ihren ersten Ermittlungen zufolge. Irgendwie fühlte Mulder sich durch die Suche an einige seiner langweiligen Untersuchungen im FBI erinnert. Irgendwie jagten sie die Nadel im Heuhaufen und ihr einziger Hinweis war ziemlich dünn.

Das sollte allerdings nicht heißen, dass Christophe nicht seine eigene spezielle Methode zum Angriff hatte. Ganz im Gegenteil, er war äußerst konzentriert und folgte einem logischen Muster. Seine Intensität war erschreckend, und Mulder hatte im Moment keine andere Wahl als zu tun, wie ihm gesagt wurde.

Soweit er das beurteilen konnte, hatte Scully keinen Anschlusszug genommen. Sie war auch nicht in einen der City-Busse gestiegen, die rund um den Bahnhof standen. Sie hatten es nämlich geschafft, die drei Busse, die gleichzeitig mit ihrem Zug angekommen waren anzuhalten und zu durchsuchen. Mulder hatte auch nicht erwartet, etwas aus den unzähligen Taxifahrern herauszubekommen, aber wie das Schicksal es so will, war der Bahnhof so organisiert, dass alle Taxen an einer bestimmten Stelle vorbei mussten, um das Fahrgeld einzusammeln. Der Mann, der das ganze organisierte, war bei dem Anblick von Christophes Fünfzigdollarnote mit einem Mal super-freundlich geworden und hatte ihnen versichert, dass niemand, der auf Scullys Beschreibung passte, in den letzten paar Stunden ein Taxi genommen hatte.

Die letzte Station ihrer Suche der Umgebung war ein Lokal direkt auf der anderen Straßenseite vom Bahnhof. Keine der Kellnerinnen konnte sich daran erinnern, Scully gesehen zu haben, aber der Kaffee und die Sandwichs waren frisch und der Assistent war noch nicht zurück, also fand sich Mulder an einem der Tische neben Christophe wieder.

"Ich will wissen, was das heißen soll." Christophes Ton war fast gesprächig, doch er verbarg die Wichtigkeit seiner Forderung nicht. "Hat sie es etwa geschafft, sich vom Bahnhof zu schleichen, ohne dass sie jemand gesehen hat? Vielleicht hat sie es ja gar nicht bis Tucson geschafft."

Mulder antwortete nicht. Er sah keinen Grund, sich mit ihm zu unterhalten. Bis Christophe ihm die nächste Frage stellte. "Egal, es ist ein ziemlich pfiffiger Trick für eine Blinde, was?"

Das Blut gefror in seinen Adern. "Ich weiß nicht, wovon Sie reden."

"Nicht?" Christophes Gesicht völlig ausdruckslos, genau wie seine Augen. Es waren Augen eines Raubtieres, hungrig und fordernd. "Ich glaube schon. Ich habe bemerkt, wie Sie die Zugbegleiterin auf dem Bahnsteig unterbrochen haben. Sie hatten Angst, dass sie mir zuviel verraten würde, habe ich Recht?"

Er weiß es nicht, dachte Mulder verzweifelt. Nicht sicher, nicht hundertprozentig. Er fischt nur im Trüben hier und hofft, dass du aufgibst.

"Ich glaube", sagte Mulder vorsichtig, "dass Sie falsche Informationen erhalten haben." Er schwieg für einen Moment und spielte dann seinen Aufschlag aus. "Von wem bekommen Sie eigentlich ihre Informationen?"

"Sie können sich doch vorstellen, dass ich meine Quellen nie preisgeben würde", antwortete Christophe kurz angebunden.

"Ich dachte wir wären Partner", konterte Mulder. "Wir arbeiten zusammen, wissen Sie noch? Mir scheint, unsere kleine Abmachung ist ein wenig einseitig." Eine Kellnerin kam an ihren Tisch, um ihnen Kaffee nachzuschenken und Mulder wartete, bis sie weg war, bevor er flüsternd fortfuhr. "Ich weiß nicht einmal, wer hinter der Diskette her ist."

"Vielleicht will ich sie ja selbst haben..."

"Glaube ich nicht", schüttelte Mulder den Kopf. "Ich habe den Eindruck, dass Sie kaum mehr sind als nur ein kleiner angestellter Zinnsoldat."

Christophes Gesichtsausdruck nach zu urteilen war es offensichtlich, dass ihn diese Worte trafen. "Um eines klarzustellen", zischte er kaum hörbar.  "Ich arbeite für *niemanden*. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen." Er ließ seine Worte sinken, bis Mulder nickte.

Christophe grinste zufrieden. "Es gibt nichts, absolut nichts, was mich davon abbringen würde, Sie auf der Stelle umzubringen, außer vielleicht meine eigene großzügige Natur. Und selbst die hat Grenzen, Mulder."

Das laute Dröhnen eine Autohupe machte sie auf die Rückkehr des Assistenten aufmerksam. Christophe schmiss ein paar zusammengeknüllte Dollarnoten auf den Tisch und stand auf. Mulder tat es ihm nach. Als er ihm nach draußen folgte, nahm Mulder das Geld vom Tisch und steckte sie in die Tasche seiner Jeans. Es hatte deswegen ein schlechtes Gewissen, doch er schob es mit dem Gedanken beiseite, dass er das Geld nötiger brauchte als die Kellnerin.

 

 

Skinner bezahlte den Fahrer und stieg aus dem Taxi, seine Brieftasche in der Hand. Als er den Terminal betrat hielt er nach dem United-Schalter Ausschau und steuerte darauf zu.

Es war sich immer noch nicht sicher, ob er Texas verlassen sollte, aber andererseits wusste er nicht, was es ihm bringen würde, wenn er bliebe. Das örtliche FBI-Büro hatte alle ihre Agenten zur Verfügung gestellt, die Umgebung sowohl nach Mulder und Scully, als auch nach dem mysteriösen Mann, der sich für ihn ausgegeben hatte, zu durchsuchen. Skinner war sich sicher, dass er den Mann nie zuvor gesehen hatte und deshalb war keinerlei Information über ihn in den FBI-Akten zu finden. Er musste zugeben die Frage, ob seine Identität nicht von internen Mächten im FBI verdeckt wurde, beschäftigte ihn zunehmend. Es wäre nicht das erste Mal.

Skinner bezahlte sein Ticket mit seiner Kreditkarte und machte sich auf den Weg zum Gate. Die Passagiere würden nicht vor einer halben Stunde ins Flugzeug gelassen, also setzte er sich auf einen der harten Flughafen-Sitze und wartete.

Und wieder ließ der Gedanke, er sollte lieber nicht fliegen, ihn nicht los. Vergiss es, Skinner, sagte er zu sich. Du kannst hier nichts mehr tun.

"Zumindest jetzt nicht", murmelte er, woraufhin das junge Mädchen, das neben ihm saß, ihm einen komischen Blick zuwarf. Er lächelte entschuldigend, was ihre Vermutung über ihn nur bestätigte. Sie hob ihren Rucksack auf und suchte sich einen anderen Platz. Skinner blieb allein zurück.

Das war das wirkliche Problem—Skinner kam sich vor, als ob er ganz allein in dieser Sache steckte. Es war frustrierend. Er hatte sich geweigert, Scully bei ihrer Suche zu helfen, weil er davon überzeugt gewesen war, dass ihre Handlungsweise nicht im Interesse des FBIs war. Es war sein Job, diese Interessen zu befolgen und zu wahren, und nicht sture Agenten bei ihren persönlichen Angelegenheiten zu unterstützen. Doch nun wurden zwei seiner Agenten vermisst und er gab sich selbst die Schuld dafür.  Obendrein schien die Institution, der er sein Leben gewidmet hatte, gegen ihn anstatt mit ihm zu arbeiten in seinem Versuch sie zu finden und sie zurückzubringen.

Skinner massierte mit zwei Fingern seinen Nasenrücken und nahm für einen Moment seine Brille ab in dem Versuch, die Kopfschmerzen zu lindern, die in seinen Augenhöhlen hämmerten. Es half nichts, aber er hatte es auch nicht wirklich erwartet. Es gab da noch etwas anderes, dessen Gewicht schwer auf seinen Schultern lag. Die Angst vor einem Gespräch, das noch vor ihm lag. Es war der Hauptgrund, warum er wieder nach D.C. zurückkehrte. Das Gespräch würde ihm sehr schwer fallen und es war etwas, das er nicht am Telefon hinter sich bringen wollte.

Skinner sah auf die Uhr und merkte, dass er noch mindestens eine Stunde warten musste. Er griff nach seinen Taschen und beschloss, rasch die Flughafen-Bar aufzusuchen.

 

 

Cooper ließ seine Hand über die beträchtliche CD-Sammlung gleiten, die auf ein paar aufgestapelten Regalen an der Wand des Wohnzimmers stand. Er suchte nach einer, die gerade zu seiner Stimmung passte. Cooper gab mehr Geld für Musik aus als er zugeben würde—es war etwas, dass ihn immer aufheiterte. Er sagte immer, wenn er am nächsten Tag von einem Bus überfahren werden würde, würde er in dem Moment wenigstens gute Musik hören. Doch irgendwie schien nichts in seine jetzige Verfassung zu passen, also war seine Entscheidung schwerer, als er es erwartete hatte.

Es herrschte eine seltsame Stimmung im Haus, von der er nicht behaupten könnte, dass er sie toll fand. Die Spannung zwischen Elliot und Rebecca, als er hereingekommen war, war so erheblich gewesen, dass er dachte, sie würden jeden Moment explodieren. Und das war äußerst ungewöhnlich für die beiden, denn sonst kamen sie immer wunderbar miteinander aus. Das war der einzige Grund, warum er überhaupt zu ihnen gezogen war. Nach einer fast dreijährigen Herumrtingelei in der Weltgeschichte, hatte er sich endlich zu einem festen Wohnsitz entschlossen und Elliot war einer seiner ältesten Freunde. Und Rebecca—tja, sie war, kurz gesagt, einsame Klasse. Cooper war froh über Elliots Wahl. Er war überzeugt, dass sie wunderbar zu ihm passte. Er musste zugeben, ihr Trio mache ein tolles Team und er hatte nicht einen Moment der Zeit bereut, die sie zusammen gewohnt hatten.

Aber heute—heute ging definitiv etwas Seltsames hier vor.  Wenigstens wusste Cooper, dass die Spannung auf etwas ganz bestimmtes zurückzuführen war.

Oder jemand bestimmten, um genau zu sein. Elliots mysteriöse Bekanntschaft aus dem Zug, die ihr neuer Hausgast geworden war.

Cooper hatte sie noch gar nicht gesehen, aber Elliots Geschichte hatte ihn mehr als neugierig gemacht. Wie seine beiden Mitbewohner, die Fotografin und der Illustrateur, war Cooper einfallsreich, doch waren seine Fähigkeiten eher im Bereich Architektur und Technik als für etwas, das man einrahmen und an die Wand hängen konnte. Er teilte mit ihnen auch eine gesunde Vorstellungskraft, die bei ihm momentan auf Hochtouren arbeitete. Er explodierte fast vor Neugier, er wollte wissen, wer diese blinde Frau war, die einfach so ohne Vorwarnung in ihr Haus spaziert war.

Mit diesen Gedanken gab Cooper letztendlich die Wahl nach einer geeigneten CD auf und griff nach der erstbesten, die ihm in die Quere kam. Tom Waits, las er und betrachtete das Booklet genauer. Keine schlechte Idee. Es steckte die Scheibe in den Player und stellte die Lautstärke auf ein zumutbares Level. Zufrieden machte er sich auf den Weg zurück zum Esszimmer. Die Musik, die er gewählt hatte, begleitete ihn aus den Boxen.

Als er das Esszimmer betrat, fand er Elliot bereits vor, wie er am Tisch saß und Wein in die vier Gläser schüttete, die vor den dazu passenden Tellern auf dem Tisch standen. Das Essen stand ebenfalls schon bereit, eine Pfanne mit Paella, Salat und ein Topf mit Gemüse.

"Chianti ist mein Leben. Gute Wahl, Mann." Auf Coopers Gesicht war die Freude über Elliots Wahl des Weines kaum zu übersehen.

"Der ist immer gut", gab Elliot heiter zurück, doch Cooper bemerkte seine Spannung.

"Brauchst du Hilfe da drin?" rief Cooper in Richtung Küche, obwohl es schien, dass der Tisch schon komplett gedeckt war.

"Nein, alles erledigt", sagte Rebecca und betrat einen Moment später ebenfalls das Esszimmer. In einer Hand hatte sie einen Korb mit Brot und führte mit der anderen ihren Gast zum Tisch.

Cooper legte seinen Kopf zur Seite und ignorierte die Haarsträhnen, die ihm dabei ins Gesicht fielen, als er die Fremde näher betrachtete. Sie war eine kleine Frau mit dunklen braunen Haaren und klaren blauen Augen. Ihr Gesicht war blass und verspannt und man konnte ihr deutlich ansehen, dass sie müde war. Und doch konnte ihre Erschöpfung nicht die außergewöhnliche Schönheit ihrer feinen Gesichtszüge verbergen.

Cooper stand auf, zog einen Stuhl vom Tisch zurück und griff mit einer Hand nach der Frau, um sie heranzuführen. "Hier, setz dich", sagte er und half ihr so gut er konnte. Als sie saß, nahm er ihre Hand und schüttelte sie leicht. "Ich bin Cooper—schön dich kennenzulernen."

"Ich bin Lisa", erwiderte die Frau. Ihre Augen blickten leicht an ihm vorbei und ihr Gesicht war ernst.

Cooper setzte sich wieder an seinen Platz und sah zu, wie Elliot einen großen Berg Essen auf Lisas Teller lud. Sie bewegte sich nicht und saß still wie eine Statue, als sich jeder von Rebeccas Kochkünsten bediente.  Als jeder genug auf dem Teller hatte, hob Cooper die Gabel und wollte schon über sein Essen herfallen, als er bemerkte, dass sich Lisa immer noch nicht geregt hatte.

Elliot hatte es auch bemerkt und sah bestürzt aus, doch dann fiel ihm etwas ein. "Oh, Lisa, verzeih", entschuldigte er sich und erklärte ihr dann, wie das Essen auf ihrem Teller platziert war mit Hilfe des Ziffernblattes einer Uhr.

Lisa nickte und als sie die Gabel hob und anfing zu essen, warf Cooper Rebecca einen überraschten Blick zu, den sie nicht weniger überrascht erwiderte. Schnell gelernt, dachte Cooper, als er den ersten Bissen seiner dampfenden Paella nahm.

Die Unterhaltung am Tisch bestand zumeist aus Elliots Berichten seiner Reise, natürlich reichlich verziert mit elliotschen Anekdoten. Cooper fand seine Storys wie immer lustig und er hatte Spaß an der Fähigkeit seines Freundes, Erlebnisse zu erzählen. Im Laufe des Essens wich etwas von der Spannung, die über allen lag. Obwohl Cooper versuchte, diskret zu sein, erhaschte er doch den einen oder anderen Blick, den Rebecca in Elliots Richtung warf, und er war froh, dass sie sich wieder vertrugen.

Lisa andererseits war fast völlig still und sprach nur, wenn man etwas zu ihr sagte. Es war offensichtlich, dass sie etwas plagte, und obwohl Cooper annahm, dass Rebecca und Elliot genauso gerne ihre Geheimnisse eingeweiht werden wollten wie er, unternahm keiner von ihnen den Versuch, sie diesbezüglich zu bedrängen.

Nach dem Essen half Cooper Elliot den Tisch abzuräumen und das Geschirr in die Spüle zu stellen. Als er sichergehen konnte, dass die beiden Frauen im Esszimmer außer Hörweite waren, flüsterte Cooper, "Sie ist ein schönes Stück Arbeit."

"Wer, Lisa?" fragte Elliot, als er den Wasserhahn aufdrehte und die Spüle sich füllte.

"Nee, Rebecca", sagte Cooper genervt. "*Natürlich* Lisa, wer denn sonst? Sie hat während des Essens nicht ein Wort gesagt."

Elliot zuckte die Schultern. "Naja, falls das, was sie sagt, wahr ist, hat sie eine Menge, worüber sie nachdenken kann."

Cooper kratzte ein paar Hühnchenreste aus der Pfanne und hielt sie Tucker hin, der ihm vor lauter Vorfreude schon fast auf den Füßen stand. "Hat sie dir nichts gesagt? Wer sie ist, oder wo sie herkommt?"

"So ist das nicht gewesen." Elliot schüttelte den Kopf als er mit Spülen anfing. "Es ist alles ziemlich schnell passiert. In der einen Sekunde unterhalte ich mich mit ihnen und gebe ihnen eine signierte Ausgabe meines Buches und als nächstes klopft sie an meine Tür."

Cooper wurde mit jeder Sekunde neugieriger. "Was glaubst denn *du*, was ihrem Mann passiert ist?" Er kam sich fast vor, als sei er mitten in ein Melodrama geraten und senkte seine Stimme für seine nächsten Worte. "Glaubst du, dass ihn jemand umgebracht hat?"

Überraschenderweise überlegte Elliot, bevor er antwortete. "Zuerst habe ich gedacht, dass der Typ einfach nur abgehauen ist. Er schien zwar unheimlich nett zu sein, aber man weiß ja nie." Elliot rückte seine Brille auf der Nase zurecht. "Aber von dem Bisschen zu urteilen, was sie mir erzählt hat, scheint es, als ob sie in großen Schwierigkeiten stecken. Es könnte also sein."

Cooper nahm wieder die Paellapfanne, fischte eine Stück Schrimps heraus und steckte es in den Mund, diesmal ohne Tuckers bettelnden Blick zu beachten.  "Ich weiß nicht. Ich wüsste nicht, ob ich sie mit hierhin genommen hätte."

Elliot lachte. "Nee, du wärst jetzt in irgendeinem Motel mit ihr, ohne daran zu denken, ihren Hintern zu retten."

"Erzähl keinen Müll, Elliot", sagte Cooper ein wenig beleidigt. "Traust mir nur so was zu."

"Oh, ich traue dir vieles zu", kam Elliots Antwort. "Die Frage ist nur, zu wessen Gunsten es dann wäre."

Cooper warf Elliot einen ironisch bösen Blick zu. "Wenn das so ist, bringe ich jetzt den Müll raus", erklärte er, zog den Plastiksack aus seinem Behälter und trug ihn auf den Hof, Tucker auf seinen Fersen.

Rezensionen