World of X

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Familienbande II: Machtlos

von Dawn

1/1

Hegal Place

Mittwoch

2 Uhr 17



„Sara, tu das nicht! Es ist nicht zu spät um das hier zu beenden.“



Mulder zog nutzloser Weise an den Stoffgurte, die hilflos an die Krankenhaustrage fesselten. Die Gestalt, die auf ihn zukam, war ein Schatten in dem schwach beleuchteten Raum, ein Umriss ohne Gesichtszüge. Im Gegensatz dazu schien das große Messer das spärliche Licht einzufangen und es zu reflektieren, sodass die Klinge glänzte.



Die Funken des Schmerzes in seinen rauhen Handgelenken ignorierend, kämpfte Mulder stärker. Er konnte sich auf nichts anderes als die glänzende Waffe konzentrieren, als diese langsam in die weiche Haut seines rechten Unterarms eindrang und in einer schnellen Bewegung vom Ellenbogen bis zum Handgelenk gezogen wurde.



Die Schmerzen waren enorm und wuchsen exponentiell als der Vorgang zweimal wiederholt wurde. Mulder schrie hilflos und biss sich auf die Lippe bis er Blut schmeckte. Der Schatten glitt unbeeindruckt zu seinem anderen Arm hinüber und hob die Klinge erneut. Mulder sah, dass es nun in dem Rot seines eigenen Blutes funkelte.



„Sara, nein!“, stöhnte er. Seine Zunge fühlte sich geschwollen und unkooperativ an. „Bitte, nicht noch mal! Nicht noch mal!“



Er konnte sein Leben warm und feucht pulsieren fühlen, hören wie es auf die Plastikfolie, die unter ihm lag, prasselte. Die drei Schnitte an seinem linken Arm waren genauso quälend, aber ihm fehlte die Energie mehr zu tun als zu Wimmern. Als die betäubende Lethargie unbarmherzig über ihn kroch, hob er vor Anstrengung blinzelnd seine glasigen Augen, um das verschwommene Gesicht erkennen zu können. Als er endlich scharf sehen konnte, bemerkte Mulder, dass er immer noch schreien konnte. Die Person, die das Messer hielt war nicht Sara Ross. Es war sein Vater.



„Neeeeein!“



Mulder schnellte nach vorne. Sein Herz raste und Schweiß rann seine Wange hinunter. Er lehnte seine Stirn gegen seine Knie, er atmete in kurzen, rauhen Zügen. Sobald er in der Lage war, seine Atmung soweit zu verlangsamen, dass sie fast normal war, sprang er auf die Füße und stolperte ins Badezimmer. Für einige Minuten wusch er sein errötetes Gesicht in kaltem Wasser, das er mit seinen Händen schöpfte, bevor er ein Handtuch griff und sich abtrocknete.



Er ging zurück zur Couch und starrte gedankenverloren das Telefon an, wobei er seine zitternde Hand tatsächlich danach ausstreckte um es einmal zu berühren bevor er sie in seinen Schoß zurücklegte. Die Bilder aus seinem Traum stiegen mit entsetzlicher Klarheit in ihm auf und er tastete schnell nach der Fernbedingung und schaltete ein. Seine Augen fixierten den Fernseher mit etwas verzweifelungsähnlichem und er wechselte pausenlos von Sender zu Sender, ohne den Bildschirm vor ihm wirklich zu sehen. Übrig blieben die Bilder in seinem eigenen Kopf. Mulder seufzte resigniert. Er würde heute Nacht keinen Schlaf mehr finden.







Eagle Rock, North Carolina

Donnerstag

20.00 Uhr



“Hallo?”



“Hi, Grey. Hier ist Dana.”



„Oh, hi Dana! Wie geht’s dir?“



Sie grinste leicht angesichts seines Akzents. „Mir geht’s gut, danke. Und selber?“



„Ich kann mich nicht beschweren. Auf der Arbeit ist es ruhig, aber nach der Aufregung von letztem Monat, stört mich das kein bisschen.“



„Das ist gut.“



Eine seltsame Stille und Scully räusperte sich schließlich. „Grey, hast du in letzter Zeit mit Mulder gesprochen?“



„Das habe ich tatsächlich. Wir haben versucht uns ungefähr einmal die Woche anzurufen. Warum? Ist etwas nicht in Ordnung, Dana?“



Die offene Besorgnis in seiner Stimme ermutigte sie weiter zu machen. „Nein. Vielleicht doch. Ich mache mir Sorgen um ihn, Grey.”



„Sind es seine Arme? Er hat mir erzählt, dass sie gut verheilen – er sagte, die Fäden seien vor ein paar Wochen gezogen worden.“



Scully seufzte. „Nein, das ist es nicht. Körperlich erholt er sich prächtig. Mulder hatte schon immer erstaunliche Selbstheilungskräfte.“, sagte sie trocken. Sie hielt einem Moment inne bevor sie fortfuhr: „Irgendwas anderes stimmt nicht mit ihm und ich bin mir nicht sicher was. Er redet nicht darüber. Sagt das er *in Ordnung* sei.“



Grey runzelte angesichts ihrer seltsamen Betonung der Worte leicht die Stirn. „Warum bist du so sicher, dass er es nicht ist?“



„Weil ich fast jeden Tag der letzten sechs Jahre mit dem Mann verbracht habe und weiß, wann ihn etwas beschäftigt. Er kommt ins Büro und sieht furchtbar aus – blass, dunkle Ringe unter den Augen – trotzdem besteht er darauf das alles in Ordnung ist. Er schläft nicht, Grey. Mulder litt schon immer an Schlaflosigkeit, aber das hier ist anders. Ich bin mir genau sicher was in diesem Keller mit Sara passiert ist, aber es verfolgt ihn.“



Grey war für einen Moment still, während er ihre Worte in seinem Kopf drehte und wendete. „Warum erzählst du *mir* das, Dana? Wie du schon sagtest, du kennst ihn besser als sonst jemand. Wenn er nicht mit dir redet, warum glaubst du, dass er mit mir reden würde?“



„Ich weiß nicht, vielleicht greife ich nach Strohhalmen. Ich weiß, dass Mulder einen starken Drang hat, mich vor unangenehmen Dingen zu beschützen. Vielleicht hat er Angst davor mich mit damit zu belasten.“



Grey lachte leise. „Also wäre es für ihn in Ordnung mich zu belasten?” Als sie begann zu protestieren, schnitt er ihr, immer noch grinsend, das Wort ab. „Ich mache nur Spaß, Dana. Fox und ich haben mit der Idee gespielt, dass ich zu Besuch komme. Wie wär’s wenn ich morgen nach der Arbeit fahre?“



Die Erleichterung und Dankbarkeit in ihrer Stimme waren offensichtlich. „Das wäre wunderbar. Sag ihm nur nicht, dass ich angerufen habe oder er wird in die Luft gehen.“



„Das verspreche ich. Aber nur wenn es Teil der Abmachung ist dich zu treffen.“



Ihr Lächeln war in ihrer Stimme hörbar. „Ich glaube, das kann ich arrangieren. Danke, Grey.“



„Kein Problem, Dana. Bis bald.“







Apartment 42

Alexandria

Freitag

18.08 Uhr



Mulder sank gegen die Wand des Aufzugs, die Post in der einen Hand und seine Anzugjacke über seinem Arm. Er blinkte sinnloser Weise angesichts des sandigen Gefühls seiner Augen und unterdrückte ein Gähnen, das hervorzubrechen drohte. Er war müde – nein, sagen wir erschöpft – aber bei dem Gedanken an Schlaf zog sich seine Brust vor Sorge zusammen. Seit Kurzem war Schlaf ein Synonym für Träume und das war etwas, das er um jeden Preis vermeiden wollte. Er war Alpträume gewohnt, da den größeren Teil seines Lebens damit verbracht hatte Samanthas Entführung im kleinsten Detail wieder zu durchleben. Aber diese Träume… Mulder schauderte und schob sich vorwärts als sich die Aufzugtür öffnete.



Seine Augen leuchteten auf, als er die mit Jeans, einem T-Shirt und einer Baseballmütze, die verkehrt herum auf den dunkeln Haaren saß, bekleideten Person, die auch dem Boden vor seinem Apartment saß, sah. Erkenntnis folgte sofort und er beschleunigte seine Schritte. Die Person sah auf und stand langsam grinsend auf.



„Hey, kleiner Bruder. Wurd ja auch Zeit, dass du auftauchst. Ich hab schon angefangen mich zu fragen ob du vielleicht ein heißes Date mit Dana hast.“ Seine Augen begutachteten Mulder von Kopf bis Fuß und er bemerkte, dass Dana seinen Zustand nicht übertrieben hatte.



Mulder ließ seinen Schlüssel ins Schloss gleiten und öffnete die Tür, wobei der Grey bedeutet ihm zu folgen, während er ihm einen warnenden Blick zuwarf. „Grey…“



„Ich weiß, ich weiß. Es ist kompliziert.“, stimmte Grey ein, während er eintrat.



„Also, was machst du hier?“, fragte Mulder, wobei er seine Post auf den Kaffeetisch warf und seine Krawatte lockerte. „Nicht das es nicht schön wäre dich zu sehen.“, fügte er hastig hinzu als Grey eine verletzte Mine vortäuschte. „Ich hatte dich nur nicht erwartet.“



Grey zuckte mit den Schultern. „Ich habe bemerkt, dass ich dieses Wochenende absolut gar nichts vorhabe und beschlossen dich zu überraschen. Wir können einfach zu Abend essen und ich kann heute Abend zurück fahren, wenn du beschäftigt bist.“



„Nein, nein, es ist toll.“, versicherte Mulder ihm und warf sein Jackett über die Lehne eines Stuhls. „Ich ziehe mich nur um. Kann ich dir was zu trinken holen? Ich habe Eistee, Limo…“



„Tee wäre schön. Ich kann es mir selbst holen, während du dich umziehst.“, sagte Grey und trottete in die Küche.



Mulder hatte sich gerade zum Schlafzimmer gedreht, als das Telefon klingelte. In Richtung Wohnzimmer abdrehend, nahm er ab.



„Mulder.“



Grey kam einige Augenblicke später zurück um zu sehen wie sein Bruder den Hörer wieder auflegte und es mit einem fragenden Stirnrunzeln, das seine Brauen zusammenzog, anstarrte. Er ging zur Ledercouch hinüber, setzte sich und nahm einen Schluck Tee.



„Du siehst dieses Telefon an, als ob es eines von deinen grünen Männchen wäre.“, beobachte Grey. „Wer war dran?“



„Grau.“, sagte Mulder abwesend, immer noch abgelenkt.



„Ja?“



Mulder sah auf und grinste. „Nein, Ich meinte, sie sind grau, nicht grün. Und Scully war dran. Sie hat mich – na ja, uns – gerade zum Abendessen eingeladen.“



Grey versteckte vorsichtig das Schmunzeln, das sich auf seinem Gesicht breit machen wollte.

„Schön, ich würde Dana gerne wieder sehen.“



Sein Bruder warf ihm einen scharfen Blick zu, sagte aber: „Ich brauche nur eine Minute.“



Er verschwand ins Schlafzimmer und Grey erlaubte seinen Lippen sich in seiner Belustigung zu krümmen. Fox konnte beteuern, das Dana und er nur gute Freunde waren, aber die Wahrheit war so offensichtlich wie – na ja, wie die Nase in seinem Gesicht. Sein Bruder wurde so besitzergreifend wann immer Grey sein Bewunderung für Dana zur Schau stellte, dass es ihm schwer fiel, ihn nicht ein wenig damit aufzuziehen. Er wusste, dass er sich schuldig fühlen sollte, aber immerhin war er der ältere Bruder. Manchmal war der Drang Fox an der Nase herumzuführen einfach stärker als die Schuldgefühle.





Georgetown

Freitag

20:35 Uhr



„Niemals!“ Greys Stimme war ungläubig und seine Augen schossen zwischen Mulders und Scullys Gesicht hin und her, er war sicher, dass er sie dabei erwischen würde, wie sie sich zuzwinkerten.



Scully lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, ihrer Augen tanzten vor Belustigung, aber ihrer Nase war vor Ekel gerümpft. „Es ist wahr, jedes Wort. Es ist genauso passiert wie Mulder es beschrieben hat.“



„Eine riesige Nacktschnecke…“



„Strudelwurm.“, korrigierte Mulder, seinen eigenen Stuhl vorsichtig auf zwei Beinen balancierend und seine Hände hinter dem Nacken verschränkt.



„Wie du meinst. Dieses Ding war frei im Abwassersystem unterwegs? Und es ist entkommen?“



„Keiner meiner Lieblingsfälle.“, gab Scully zu und stand auf um ihren und Mulders Teller aufzusammeln. „Wisst ihr, ich werde wahrscheinlich nie wieder in der Lage sein, eine dieser transportablen Toiletten zu benutzen.“



„Wo wir gerade davon reden – ich muss mal für kleine Agenten.“, sagte Mulder, nahm Greys Teller und folgte Scully in die Küche, bevor er im Flur verschwand.



Grey lehnte sich an die Anrichte und beobachtete wie Scully die Reste des Hühnchens in einer Plastikbox verstaute. „Du hast keine Witze gemacht.“, murmelte er. „Er sieht furchtbar aus.“



Ihre Augen überprüften automatisch die Tür bevor sie nickte. „Ich bin sicher, dass er Alpträume hat. Mulder hat schon immer seinen Teil von bösen Träumen erduldet – meistens über Samanthas Entführung, aber es gab auch andere Auslöser. Skinner sagte mir, dass er in ziemlich schlechter Verfassung war, als ich verschwunden war, und ich weiß mit Sicherheit, dass er eine schwere Zeit hatte, als mein Krebs im Endstadium war.“



„Aber er hat diese Zeiten überstanden. Was ist dieses Mal anders?“, fragte Grey, der ihr Gesicht studierte und kleine Sorgenfalten in den Winkeln ihrer blauen Augen entdeckte.



Scully seufzte und kaute auf ihrer Lippe bevor sie antwortete. Sie drehte sich um und begann Teller und Utensilien in die Spülmaschine zu laden, ihre Bewegungen waren schnell und ruckartig. „Das klingt vielleicht… seltsam, aber im Laufe der Jahre hat Mulder angefangen mich jedes Mal anzurufen, wenn er einen besonders schlimmen Traum hatte. Es macht mir nichts aus. Ich unterstütze es, wirklich. Mein Stimme zu hören, jemanden zu haben, der sich all die Horrorgeschichten, die sein Hirn hervorgebracht hat, anhört, scheint ihm zu helfen es zu verarbeiten, so dass er letztendlich wieder einschlafen kann.“



Vorsichtig hielt Grey seinen Gesichtsausdruck, auf Grund des leicht verlegenen und defensiven Tonfalls ihrer Stimme, neutral. Er war stolz auf sich als er schaffte es zu vermeiden die Augen zu rollen. Fox war offensichtlich nicht er einzige Meister der Verdrängung in dieser Beziehung.



„Okay.“



„Also, was ich versuche zu sagen ist, dass er mich seit über einem Monat nicht mehr angerufen hat. Nicht einmal. Trotzdem bin ich sicher, dass er unter ein paar sehr schlimmen gelitten hat. Aus irgendeinem Grund will er sie nicht mit mir teilen.“ Sie stoppte ihren Tatendrang und hob ihre Augen zu seinen. „Das macht mir Sorgen, Grey.“



Jegliche Antwort, die Grey vielleicht gegeben hätte, wurde von Mulders Rückkehr zunichte gemacht. „Das Badezimmer ist sicher, Scully. Kein Strudelwurm zu sehen.“



“Mir fällt ein Stein vom Herzen, Mulder.”, sagte sie, ihre Lippen bebten in einem unterdrückten Grinsen.



„Ich weiß, *ich* fühle mich einfach sicher, wenn er in der Nähe ist.“, stimmte Grey mit gespielter Ernsthaftigkeit zu.



Mulder lächelte entzückt über den Sarkasmus seines Bruders. „Schön das zu hören. Hey, Scully, wir wollen uns nen Film ansehen. Haben Sie Lust mitzukommen?”



Scully schloss die Spülmaschine und lehnte sich, Greys Haltung imitierend, mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Anrichte. Sie beäugte Mulder abschätzend. „Keine Kriegsfilme. Und auch nichts mit Teenagern, die abgeschlachtet werden, während sie Sex haben.”



Mulder schob seine Lippe vor. „Sculleee!“



„Abgemacht.“, sagte Grey. „Kein Kriegsfilme oder Splatter. Ich bekomme schon Blut bei der Arbeit zu sehen.”



Mulder nahm kapitulierend seine Hände hoch. „Alles klar, ich gebe auf. Aber auch keine Frauenfilme, Scully. Und Sie *wissen* wovon ich rede.“



Scully kicherte und erklärte auf Greys fragenden Blick hin: „Ich habe Mulder vor ein paar Jahren in „Sinn und Sinnlichkeit“ geschleift. Er hat mir nie verziehen. Ich werd mal die Zeitung holen und wir können schauen was läuft.“



Sie folgten ihr ins Wohnzimmer und setzten sich, während sie auf der Suche nach dem Filmteil die Zeitung durchwühlte. Grey beobachtete die Art wie sein Bruder es sich einfach gemütlich machte und dachte leise, dass es wahrscheinlich kein außergewöhnliches Ereignis war, einen Abend in Danas Apartment zu verbringen.



„Danke für das Abendessen, Scully.“, sagte Mulder deutlich und unterbrach seine Gedanken. „Es war super.“



Scully sah vom Durchlesen der Zeitung auf und lächelte. „Kein Problem. Ich musste dieses Hühnchen aufbrauchen und dachte, dass zwei zusätzliche Münder hilfreich sein würden.“



Sie senkte ihre Augen wieder auf die Zeitung bevor sie das leichte Verkrampfen des Körpers ihres Partners wahrnehmen konnte, aber Grey bemerkte es sofort. Er beobachtete, wie sein Bruder sich langsam nach vorne lehnte, die Hände zwischen den Knien verschränkt, um Scully mit einem bohrenden Blick zu fixieren.



„*Zwei* Münder, was?“, sagte er, in einem trügerisch normalem Tonfall, während seine Augen schmal wurden. „Woher wussten Sie, dass es zwei sein würden, Scully? Zehn Minuten bevor Sie anriefen, wusste ja nicht mal *ich*, dass Grey kommen würde.“



Die Hand, die die Zeitung durchwühlte hielt inne, aber ihre Augen fixierten weiterhin den Druck. „Ich… ähhm…“



„*Sie* haben ihn angerufen, nicht wahr?“, forderte Mulder, seine Stimme war ruhig, doch der Ärger war offensichtlich. Er wandte seinen scharfen Blick Greys Gesicht zu. „Sie hat dich gebeten zu kommen. Das ist der wirkliche Grund für diesen kleinen spontanen Besuch. Ist es nicht so?“



Seine Wut ließ Grey leicht zusammenzucken und tief durchatmen. „Fox, so ist es nicht. Ich…“



„Seien Sie ihm nicht böse.“, unterbrach Scully, die endlich aufblickte und Mulder mit ihren Augen festnagelte. „Wenn Sie jemandem die Schuld geben wollen, dann mir. Sie haben recht, ich habe ihn gebeten zu kommen.“



Zu Greys Erleichterung wurde die Feindseligkeit in den Augen seines Bruders zu Frustration. Er stand auf, trottete zum Fenster und strich sich mit den Fingern durch die Haare. Mit ihnen zugewandtem Rücken und gedämpfter Stimme waren seine Worte fast unhörbar.



„Warum, Scully? Ich habe Sie gebeten die Sache ruhen zu lassen. Ich habe Ihnen gesagt, dass es mir gut geht.”



Scully stand unachtsam auf als die Zeitung von ihrem Schoss fiel und ging rüber um sich hinter ihn zu stellen. Zögernd legte sie eine Hand auf seinen Arm und er dreht sich leicht zur Antwort.



„Mulder, immer wenn ich diese Worte benutzt habe, haben Sie mir da je wirklich geglaubt?“ Als er sich nur zurückdrehte um aus dem Fenster zu starren fuhr sie fort. „Ich kann sehen, dass es Ihnen schlecht geht. Seien Sie nicht böse, dass ich daran etwas ändern will. Sie sind mir wichtig, und Grey auch.“



Ihre Worte schienen seine restliche Verärgerung zu schmelzen und er seufzte tief. „Ich weiß. Und ich schätze es. Aber ich werde mich nicht dazu zwingen lassen meine Seele so zu entblößen.” Er blickte von Scully zu Grey und wieder zurück. „Werde ich *nicht*.“



“Hey, du bist der mit der Ausbildung zum Seelenklempner.“, sagte Grey mild. „Hab nicht das Gefühl, du müsstest um meinetwillen deine Seele entblößen. Ich wäre schon mit der Gelegenheit, während ich einen Film sehe Popcorn mit einer hübschen Dame zu teilen, zufrieden.“



Mulder prustete doch seine Lippen krümmten sich leicht. Ermutigt drückte Scully seinen Arm.



„*Falls* meine Anwesenheit noch willkommen ist.“, sagte sie sanft.



Mulder sah zu ihr herab, Zuneigung verdrängte nun Verärgerung. „Jederzeit, Scully. Jederzeit.“







Hegal Place

Samstag

02:32 Uhr



Grey rubbelte den Schlaf aus seinen Augen und starrte auf die leuchtenden Zahlen, seine Sinne suchten nach dem, was ihn geweckt hatte. Er hatte immer einen tiefen Schlaf gehabt, bis Kate erkrankt war und seine Schlafgewohnheiten unwiderruflich geändert hatte. Nun wurde er bereits durch das Fallen einer Stecknadel alarmiert.



Er beschloss, dass es an der ungewohnten Umgebung liegen musste und seine Augen fielen zu, als ein sanftes Wimmern aus dem Wohnzimmer sie wieder auffliegen ließ. Er lauschte, hielt praktisch seinen Atem an, während seine Ohren sich anstrengten jedes weitere Geräusch aufzufangen. Das Wimmern wiederholte sich, gefolgt von einem tiefen Stöhnen. Die Laken zurückwerfend, bewegte sich Grey leise durch den Raum. Das ungewohnte Gelände war tückisch in der fast totalen Dunkelheit und er fluchte leise, als er seinen Zeh an einer Kommode stieß.



Im Wohnzimmer war es leichter sich zurechtzufinden, da etwas Licht von der Straße durch die Vorhänge fiel. Er konnte leicht den auf der Couch ausgestreckten Körper seines Bruders ausmachen und hielt inne um zu beobachten wie Fox zuckte und leise Laute des Schmerzes von sich gab. Grey bewegte sich nach vorn, nur um zögernd zu versuchen sich daran zu erinnern, was er darüber gehört hatte jemanden aus einem Alptraum zu wecken – sollte er, oder sollte er nicht? Fox’s Gesicht, verzerrt und von einem dünnen Schweißfilm bedeckt, traf die Entscheidung für ihn.



Vorsichtig nahm er auf dem Kaffeetisch Platz und legte eine Hand auf Fox’s Schulter, aber das Vorhaben sanft daran zu rütteln wurde abrupt durch die Klarheit der nächsten Worte seines Bruders gestoppt.



„Dad, nein. Bitte. Neinneinneinneinnein!“



Erschrocken zog Grey seine Hand zurück, als habe er sich verbrannt. Seine Zähne bearbeiten seine Unterlippe und seine Augen trübten sich als er beobachtete wie Fox weiterhin bebte und murmelte. Die Worte waren meist unverständlich, aber er wiederholte den Namen seines Vaters zweimal. Sich selbst aus seiner Starre lösend, hatte Grey gerade seine Hand erneut ausgestreckt als Fox mit einem Schrei aufschreckte.



„NEIN!“



Wenn die Situation eine andere gewesen wäre, vermutete Grey, wäre es beinahe komisch gewesen. Er ruderte so schnell zurück, dass er in seiner Eile beinahe von dem Kaffeetisch gefallen wäre. Fox erkannte seine Anwesenheit zuerst nicht einmal, er legte nur seinen Kopf auf seine Knie und keuchte während Schauer seinen Körper erschütterten. Leise stand Grey auf, schaltete das Licht an, und ging in die Küche um eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank zu holen und auf seinen Posten auf dem Kaffeetisch zurückzukehren. Als Fox endlich sein verschwitztes Gesicht hob, reichte er sie ihm ohne Kommentar.



Fox’s Hände zitterten so stark, dass er Probleme hatte, den Deckel zu lösen, also griff Grey danach und schraubte ihn geschickt ab. Sein Bruder nahm einen tiefen Schluck, schloss dann seine Augen und drückte das kühle Plastik an seine Stirn. Schließlich öffnete er ein Auge und sah Grey reumütig an.



„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.“



Grey stand auf und setzte sich auf das Ende der Couch, bevor er antwortete. „Kein Problem. Ich hätte dich geweckt, aber du bist mir zuvorgekommen.“



Fox nahm wieder einen tiefen Schluck und wischte sich mit der Hand durchs Gesicht. Grey konnte sehen, wie er vorsichtig seine Gesichtszüge beruhigte, sich selbst zusammenriss. Sein Bruder brachte sogar ein kleines Lächeln zu Stande, obwohl es eher schwach und blass war.



„Keine große Sache, es war nur ein Alptraum. Jetzt geht es mir wieder gut, du kannst zurück ins Bett gehen.“



Grey starrte ihn ungläubig an, seine Augenbrauen kletterten seine Stirn empor. „*Keine große Sache?* Kumpel, wenn du diesen Alptraum nicht als große Sache betrachtest, will ich dich nach einem sehen, der eine ist.“



Das Gesicht seines Bruders wurde zu einer unlesbaren Maske. „Sieh mal, ich habe schon mein ganzes Leben mit Alpträumen zu tun. Ich komm schon allein damit klar. Ohne Hilfe.“



Grey schüttelte den Kopf, vor Verärgerung verfinsterte sich sein Blick. „Mach dir ruhig selbst etwas vor, Fox. Aber die Wahrheit ist, niemand glaubt das und du wahrscheinlich auch nicht. Du schläfst nicht und das sieht man. Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel gesehen? Du siehst grauenvoll aus, kleiner Bruder.“



Fox funkelte ihn an, stand auf und stelzte ins Badezimmer. Grey hörte das Wasser für einige Minuten laufen. Als er wieder auftauchte, mied er die Couch und ging stattdessen im Zimmer auf und ab.



„Was willst du von mir?“, knurrte er schließlich und stemmte seine Hände in die Hüfte um Grey mit einem Blick zu bedenken.



„Nicht *von* dir, Fox, *für* dich. Und die Antwort ist, dass ich will, dass du mehr wie der kleine Bruder aussiehst, der mich beinahe beim Basketball geschlagen hat, nicht wie der, der aussieht als ob ihn ein kräftiger Windstoß umpusten könnte.“



Ohne Vorwarnung zog Fox eine Augenbraue hoch und verschränkte seine Arme. „Beinahe? So wie ich es in Erinnerung habe, hast du aus dem letzten Loch gepfiffen bevor du den Platz verlassen hast.“ Mit einem Seufzer kehrte er zur Couch zurück und ließ sich in die Kissen fallen.



„Das geht auf den Jackson Fall zurück, oder nicht?“, sagte Grey ruhig. „Die Alpträume – handeln sie davon, was in dem Keller passiert ist?“ Als Fox nicht antwortete, stieß er einen langen Atemstoß aus. „Hör mal, du musst mit jemandem darüber reden. Wenn nicht mit mir oder Dana, dann solltest du einen Experten aufzusuchen.“



Sein Bruder grunzte. „Nicht in diesem Leben. 98 Prozent aller Seelenklempner sind selbst hoffnungslos verdreht. Ich sollte das wissen.“



Grey lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Gut. Ich höre zu.“



Fox rollte mit den Augen. „Du bist genauso schlimm wie Scully. Du gibst dem Ausdruck „auf etwas herumreiten“ eine ganz neue Bedeutung.“ Da Grey schwieg, stöhnte er: „Gut. Ich werde dir von dem Traum erzählen. Vielleicht werd ich euch dann beide los.“



Grey lächelte selig. „Eine weise Entscheidung.“



Sein Bruder lehnte seinen Kopf gegen die Rückenlehne der Couch und legte einen Arm über seine Augen. „Es ist immer das Gleiche. Ich bin wieder in dem Keller, auf der Trage festgeschnallt. Nur das es so dunkel ist, dass ich kaum etwas erkennen kann. Zuerst spüre ich nur, dass jemand da ist, aber dann sehe ich Saras Schatten, wie sie auf mich zukommt. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber das Messer glänzt, als sei ein Scheinwerfer darauf gerichtet. Ich kann meine Augen nicht davon losreißen. Ich versuche am Anfang sie zur Vernunft zu bringen, aber dann flehe ich sie einfach nur an es nicht zu tun.“ Seine Stimme zitterte und er hielt mehrere Male tief durchatmend inne.



„Dieses Mal bin ich nicht betäubt, wenn das Messer in meinen Arm eindringt sind die Schmerzen… Ich kann die Wärme spüren, wenn das Blut aus meinem Arm spritzt und ich kann es in der Luft riechen, genau wie vorher. Es ist schwer zu reden, aber ich versuche weiter sie zum Aufhören zu bewegen. Sie will aber nicht hören und sie schneidet auch den anderen Arm auf.“



Fox brach ab und setzte sich auf und fuhr sich mit den Händen durch sein Gesicht. Seine Atmung war rauh und flach und er leckte sich nervös die Lippen. Eine warme, beruhigende Hand legte sich auf seine Schulter und sah zu Greys blassem, aber ermutigendem Gesicht herüber.



„Mach weiter. Ich weiß, dass da noch was ist.“



Er biss sich auf die Lippe und schloss seine Augen fest, verärgert durch den plötzlichen Ansturm von Tränen und entschlossen sie zu unterdrücken. „Ich… ich blicke auf, ich weiß, dass ich sterben werde und ich will sie zwingen mir ins Gesicht zu sehen. Aber wenn ich es tue… wenn ich es tue…“



Eine Träne ist seinen geschlossenen Lidern entkommen und rollte seine Wange hinunter. Wütend wischte Fox sie mit zitternder Hand weg. „Ich sehe, dass es gar nicht Sara ist.“, sagte er mit einer Stimme, die kaum mehr als ein gequältes Flüstern ist. „Es ist… Es ist…“



„Dein Vater.“, beendet Grey, auch seine Stimme ist ein wenig unsicher.



Die Augen seines Bruders schießen zu seinem Gesicht, jagen dann fort. Er trocknet seine verschwitzten Hände an seinem Shirt und wiegt sich leicht vor und zurück. „Ich habe geredet.“, sagte er bitter.



Grey nickte und stand auf. „Lass mich dir was anderes zu trinken holen. Hast du Brandy? Irgendwas?“



Fox schüttelte schnell, fast schon hektisch den Kopf. „*Nein.* Ich habe meinen Vater in eine Flasche kriechen sehen und er ist nie wieder raus gekommen. Ich trinke nicht viel.“



Grey verarbeitete das und machte sich auf den Weg in die Küche. „Mir fällt schon was ein.“



Die Zeit die es brauchte Zutaten zu finden und heiße Schokolade zu kochen, gab nicht nur Fox, sondern auch Grey, die Gelegenheit ein wenig Fassung zurück zu gewinnen. Als er mit zwei Tassen zurückkam, sah ihn sein Bruder amüsiert an, aber er schlürfte es dankbar. Grey bemerkte, dass das Zittern in seinen Händen fast verschwunden war.



Für einige Minuten schlürften sie schweigend. Grey spürte, dass Fox ihn verstohlen ansah, gab aber vor es zu ignorieren. Was sein Bruder soeben offenbart hatte – über sich selbst und Bill Mulder – war überwältigend. Er hatte es verdient, die Geschwindigkeit für jede weitere Diskussion bestimmen zu dürfen.



„Also, wirst du das Offensichtliche nicht sagen? Hast du keine Interpretation dafür was das alles bedeutet?“, sagte Fox schließlich, der Sarkasmus in seiner Stimme war verhüllte den darunter liegenden Schmerz nur schwach.



„Ich hab’s dir doch schon gesagt – du bist der Seelenklempner. Ich bin nur hier um zuzuhören.“



Dankbarkeit huschte über Fox’s Augen, aber er ließ nicht locker. „Komm schon. Du musst doch *irgendeine* Meinung dazu haben, warum ich diesen Traum habe.“



Grey studierte sein Gesicht einen Moment lang. Er schien abzuwägen ob er antworten sollte, dann nickte er fast zu sich selbst. „Ich werde es überbieten. Ich werde meinen eigenen Traum deuten.“



„*Deinen* Traum?”



Grey nickte. „Du entscheidest ob es relevant ist. Als Kate… als der Krebs sich beschleunigte und wir wussten, dass es keine Hoffnung gab, hat sie beschlossen eine weitere Behandlung zu verweigern. Ich habe mit ihr darüber gestritten – einer der wenigen richtigen Streits die wir hatten. Ich weiß jetzt, dass ich falsch lag, dass sie jedes Recht auf ein bisschen Frieden und Glück vor ihrem Tod hatte. Die Medikamente, die sie heilen sollten, waren so schlimm wie die Krankheit selbst, und sie hatte die ständige Übelkeit und die Schmerzen satt. Aber zu dem Zeitpunkt, war alles, was ich mir selbst zu sehen erlaubt habe, dass sie aufgab – dass ich sie verlieren würde, und dass sie nichts tun würde um es aufzuhalten.“



„Diesen Traum hatte ich fast jede Nacht. In ihm ist Kate gestorben. Aber anders als im wirklichen Leben, gab es eine Heilung – eine kleine Flasche mit Pillen, die mir zum Aufbewahrung überlassen. Im letzten Moment, als der Tod unmittelbar bevorstand, musste sie nur eine von diesen Pillen schlucken um wieder gesund zu werden. Aber als die Zeit in meinem Traum gekommen war, griff ich nach der Flasche in meiner Tasche und sie war verschwunden. Ich durchsuche das Haus hektisch, reiße Schubladen und Schränke auf und werfe deren Inhalt auf den Boden, aber ich finde diese Pillen nie. Und die ganze Zeit höre ich Kates Stimme im Hintergrund, sie ruft mich, um ihr zu helfen, sie wird immer schwächer und schwächer, bis sie aufhört. Dann weiß ich, dass ich zu spät bin.“



Fox betrachtete das Gesicht seines Bruders, das während seiner Erzählung etwas blass geworden war. „Das tut mir leid. Ich kann mir vorstellen, wie schlimm diese Zeit für dich gewesen sein muss.“



Grey lächelte. „Ich weiß, dass du das kannst. Mein Punkt ist – Ich weiß warum ich diesen Traum hatte. Ich war machtlos. Meine Frau lag im Sterben und es gab nichts was ich dagegen tun konnte. In meinem Traum war es einen fehlende Flasche Pillen. Im Leben, war es eine Entscheidung, über die ich keine Gewalt hatte.“



Fox schluckte den Rest der heißen Schokolade und stellte seine Tasse auf den Tisch. „Du willst sagen, dass meine Gefühle als Sara mich entführte – die Unfähigkeit, mich selbst zu schützen – diese Träume auslösen. Dass ich mich machtlos fühlte, genau wie du.“



Grey zuckte mit den Schultern. „Ich erzähle dir nur meine Geschichte. Die Schlussfolgerungen sind deine eigenen. Aber da ist noch mehr, nicht wahr, Fox? Ich habe das Gefühl, dass das noch viel tiefer geht als dein Gefühl der Hilflosigkeit wegen Sara. Habe ich recht?“



Sein Bruder versuchte angriffslustig zu gucken, aber es lag zuviel Angst darunter. „Zum Beispiel?“



Grey kam sich ein bisschen vor, als würde er sich einem wilden Tier nähern, launisch und misstrauisch. Er hielt seine Stimme bewusst leise und beruhigend. „Zum Beispiel der Grund dafür, dass dein Vater derjenige ist, der das Messer hält.“







Hegal Place

Samstag

03:20 Uhr



Fox starrte ihn an, und sah dann schnell mit verkrampftem Kiefer weg. „Ich glaube nicht, dass ich über den Teil sprechen kann.“, sagte er mit von Gefühlen rauher Stimme.



„Das musst du nicht.“, sagte Grey vorsichtig. „Aber glaubst du wirklich, dass ich mir den Rest nicht denken kann?“



Wut fackelte in den Augen seines Bruders. „Was zum Teufel soll das heißen?“



Grey erkannte den Verteidigungsmechanismus, der da hinter steckte und hielt sein eigenes Temperament zurück. „Fox, du hast mir selbst erzählt, dass Bill den Stolz, den er für dich empfand, nie zum Ausdruck gebracht hat. Du hast auch zugegeben, dass er ein Alkoholiker war. Und jetzt hast du Träume, in denen du einen seelischen Schock, den du erlitten hast, noch einmal durchlebst, nur das dein Vater die Person ersetzt, die dich tatsächlich verletzt hat – eine Person, die, wie ich vielleicht hinzufügen darf, als Kind misshandelt wurde. Zähl zwei und zwei zusammen.“



Fox sah rasch blinzelnd weg. „Was Sara passiert ist, war anders. Mein Vater hat selten Hand an mich gelegt.“



Grey schloss gegen den Schmerz in seiner Brust für einen Moment die Augen. Da sein Verdacht bestätigt worden war musste er sich anstrengen seinen Ärger auf Bill Mulder beiseite zu schieben, um sich auf das konzentrieren zu können, das wichtig war. „Du und ich wissen beide, dass der Einzige Unterschied darin liegt, dass man die Verletzungen nicht sehen kann.“, sagte er sanft.



Fox’s Stimme war sehr leise als er sprach. „Ich war da als Sam entführt wurde, weißt du. Ich sollte auf sie aufpassen. Sie haben sie entführt und ich konnte sie nicht aufhalten. Ich glaube ich habe versucht, die Waffe meines Vaters zu benutzen, aber das war nicht wichtig. Es läuft alles darauf hinaus, dass meine Eltern mir vertraut haben und ich sie enttäuscht habe. Ich habe meine kleine Schwester nicht beschützt. Dad hat mir das nie verziehen und ich konnte ihm dafür nie wirklich böse sein.“



Ein Teil des Ärgers löste sich und Grey blickt finster drein. „Dann lass mich.“, knurrte er. „Unser Vater, wenn ich alles, was du mir erzählt hast, richtig verstehe, beschloss sich mit den Männern einzulassen, die letzten Endes für die Entführung unserer Schwester verantwortlich waren. Bei allem was er wusste, hatte er kein Recht einem zwölfjährigen unter diesen Umständen die Verantwortung zu übertragen. Er hat es vermasselt, Fox. Und er verbrachte die nächsten zwanzig Jahre damit, seine Schuld auf das leichteste Ziel abzuwälzen – dich.“



Mulder sah von seiner Vehemenz erst überrascht, dann nachdenklich aus. „Du willst über Machtlosigkeit sprechen? Ich habe die meiste Zeit meiner Jugend mit dem Gefühl verbracht. Es war in der Nacht, in der Sam entführt wurde, schlimm genug. Aber dann musste ich zusehen, wie meine Familie um mich herum zerfiel. Unsere Eltern wurden erst Feinde, dann Fremde. Ich versuchte so sehr die Dinge zu reparieren, zu sein, was sie wollten, aber ich konnte es nicht.“ Seine Stimme brach und er rubbelte seine Augen mit seinen Händen.



„Ich habe früher nachts im Bett gelegen und zugehört wie sie einander anschrien, wegen Sam, wegen mir, und ich habe alles in meinem Kopf noch mal abgespielt. Nur habe ich in meiner Version die Waffe meines Vaters benutzt und Samantha gerettet. Also war unsere Familie noch eine Familie, und ich war ein Held. Und mein Vater war stolz auf mich.“



Grey schlang mit einem Kloß im Hals einen Arm um die Schultern seines Bruders. „Das komische ist, ich glaube das war er, Fox. Er hat das nur auf eine lausige Art gezeigt.“



Fox benutzte den Saum seines T-Shirts um noch einmal seine Augen zu wischen. „Danke. Es ist schwer für mich, das zu glauben, aber ich muss.“



Er ließ sich auf die Seite fallen, sodass sein Kopf auf seinem Kissen lag. Grey bemerkte zufrieden, dass die Augen seines Bruders bereits begannen vor Müdigkeit zu zufallen, da der Adrenalinrausch von seinem Geständnis seine Wirkung verlor.



„Ich bringe die hier in die Küche.“, bat er an und nahm ihre Tassen hoch. Unsicher hielt er einen Moment inne, bevor er fortfuhr, „Es geht mich nichts an, Fox. Aber ich denke, du solltest Dana davon erzählen. Sie verdient es Bescheid zu wissen.“



Sein Bruder gähnte ungeheuerlich. „Ich weiß, dass du Recht hast. Ich wusste nur nicht wie ich beginnen sollte. Scullys Familie war wie etwas aus einem Gemälde von Norman Rockwell. Ich glaube, ich hatte Angst, dass sie mich in einem anderen Licht sieht, wenn sie es weiß.“



„Unwahrscheinlich.“, antwortete Grey sicher. „Und was das Anfangen betrifft – Ich würde meinen, der Anfang eignet sich gut dazu.“



Er nahm sich Zeit in der Küche, spülte freiwillig die Tassen und die Pfanne bevor er sie zum trocknen in das Abtropfgestell stellte. Er erinnerte sich deutlich daran, wie beruhigend es gewesen war, zu hören wie seine Eltern sich im Haus bewegten und alltägliche Geräusche machten, wenn er versuchte nach einem schlechten Traum wieder einzuschlafen.



Als er zurück ins Wohnzimmer kam, schlief Fox tief und fest. Ein Bein hing immer noch von der Couch, seine Arme waren über seiner Brust verschränkt. Grey nahm die Decke auf, die auf dem Boden gelandet war, und breitete sie über seinem Bruder aus, während er sich leise selbst gratulierte. Fox zuckte nicht mal, als er leise das Licht ausmachte.



Unfähig sein eigenes Gähnen zu unterdrücken, tappte Grey müde zurück in das Schlafzimmer und sank dankbar auf das Bett. Die Uhr zeigte erst vier Uhr morgens an, aber er fühlte sich so müde als sei ein ganzer Tag vergangen. Er war nicht dumm genug um zu glauben, dass er Fox von seinen Alpträumen geheilt hatte – sein Bruder hatte noch immer eine Menge Lasten loswerden Aber heute Nacht war der Anfang gewesen – von vielen Dingen. Fürs Erste waren sie vielleicht beide in der Lage etwas Schlaf zu bekommen.





The End
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