World of X

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Gefühle offenbart

von GL Medeiros

Entschlossenheit

Sie war spät dran. Es war ihr erster Tag im Büro seit jenem Abend und sie war spät dran. Fox Mulder machte sich Sorgen. Warum rief sie nicht an?

Mulder setzte sich an seinem Schreibtisch zurück. Er konnte den Abend nicht vergessen, an dem Dana Scully, seine Partnerin und mehr, von einem FBI Agenten vergewaltigt und zusammengeschlagen worden war. Er ließ die Erinnerungen über sich kommen.

 

Mulder wachte abrupt auf. Für einen Moment wusste er nicht wo er war, doch dann erinnerte er sich plötzlich wer er war und warum er hier war.  Rasch stand er auf und sah in Scullys Schlafzimmer nach. Es war leer.

"Scully?" rief er leise und ging auf das Badezimmer zu, um nachzusehen.

"Ich bin hier, Mulder", kam die leise Antwort aus der Küche. Mulder fand sie am Küchentisch. Das Licht war aus und Scully hatte ihren Kopf müde auf den Tisch gestützt. Mulder hockte sich neben sie.

"Hey", flüsterte er. "Was machst du denn hier im Dunkeln mitten in der Nacht?"

Scully hob den Kopf und lächelte ihn müde an. "Ich hatte wieder einen Alptraum und hielt es im Bett einfach nicht mehr aus. Ich fühlte mich irgendwie... ich weiß auch nicht... klaustrophobisch, glaube ich."

"Ich habe dich dieses Mal gar nicht gehört. Warum hast du mich nicht geweckt?"

"Mulder, ich habe dich heute Nacht schon drei Mal geweckt. Du brauchst deinen Schlaf. Ich komme schon klar. Ich werde einfach hier schlafen."

Mulder seufzte. Sie war schon drei Mal in dieser Nacht wach geworden, schreiend, geplagt von Alpträumen, in denen sie den Vorfall wieder durchlebte. Jedes Mal war er zu ihr gegangen und hatte sie gehalten. Er hatte sie gewiegt wie ein kleines Kind und ihr sinnlose, beruhigende Dinge zugeflüstert, um sie zu beruhigen. Als sie wieder eingeschlafen war, war Mulder wieder zurück zur Couch gegangen und hatte auf das nächste Mal gewartet.

Mulder wusste nicht, was er anders tun sollte und sagte leise, "Okay, Scully. Ich bleibe hier eine Weile bei dir sitzen, in Ordnung?"

"Mulder, ich würde jetzt gerne allein sein, okay? Bitte nimm es mir nicht übel, aber ich muss nachdenken. Ich muss wissen, dass ich mal fünf Minuten ohne Heulen, Alpträume oder irgendetwas anderes verbringen kann.  Ich muss alles, was mir passiert ist, erst einmal sinken lassen."

Mulder nickte langsam. Er dachte zwar nicht, dass ausgerechnet vier Uhr morgens die bester Zeit für so etwas war, besonders nicht, weil sie so wenig geschlafen hatte, aber er verstand ihr Bedürfnis, etwas von ihrer dringend benötigten Kontrolle wieder zu erlangen.

"Okay, aber versprich mir, dass du mich weckst, wenn du mich brauchst."

"Pfadfinder-Ehrenwort", erwiderte Scully mit einem Lächeln. Mulder lächelte zurück und nachdem er sanft ihren Kopf getätschelt hatte, ging er wieder ins Wohnzimmer zu seiner Couch. Vielleicht hätte ich sie vom Krankenhaus mit zu mir nehmen sollen, dachte er.

 

Er konnte nicht schlafen. Er hörte, wie Scully leise in der Küche rumorte. Vielleicht machte sie sich einen Tee. Er hörte das Kratzen des Stuhls auf dem Boden, als sie sich an den Tisch setzte und lauschte scheinbar Ewigkeiten der Stille, die folgte. Vielleicht war sie auf dem Tisch eingeschlafen, dachte er. Gerade als er sich entschlossen hatte, aufzustehen und nach ihr zu sehen, erschien ihre Silhouette im Türrahmen des Wohnzimmers. Mulder setzte sich auf.

"Alles in Ordnung?" fragte er. Es kam ihm vor, als seien diese drei Worte die Basis für jedes Gespräch, das sie in den letzten vierundzwanzig Stunden gehabt hatten.

Scully schüttelte den Kopf und er merkte, dass ihr Tränen über das Gesicht liefen.

Wenn man wirklich an einem gebrochenen Herzen sterben kann, dachte er traurig, bin ich ein toter Mann. Er selbst war den Tränen nahe.

"Komm her", flüsterte er und streckte die Arme aus. Scully ging langsam zu ihm und setzte sich neben ihn auf die Couch.

"Ich kann nicht schlafen", schluchzte sie. "Ich komme mir vor, als würde ich nie wieder dieselbe, als ob ich nie darüber wegkomme." Sie legte ihre Wange an Mulders Brust und ihre Tränen durchnässten sein T-Shirt.

"Komm", sagte Mulder und rückte ein wenig, so dass Scully mit dem Rücken zu ihm auf der Couch lag. Dankbar legte sie sich auf das Kissen neben Mulder und rückte zu ihm. Mulder legte seinen Arm um sie und hielt sie fest an sich gepresst.

"Schlaf jetzt ein", murmelte er in ihr Haar. "Ich verspreche, ich werde es nicht zulassen, dass dir jemand weh tut." Seine Umarmung schien Scully zu beruhigen, denn er merkte, wie sie sich in seinen Armen entspannte. Bald darauf schliefen beide ein.

 

Am nächsten Morgen wurde Mulder vom lauten Klingeln an der Tür geweckt. Vorsichtig, um Scully nicht zu wecken, zog er einen Arm unter ihrem Kopf und den anderen unter ihrer Hüfte hervor. Sie hatten beide offensichtlich fest geschlafen, denn sie lagen immer noch in derselben Position, in der sie eingeschlafen waren. Mulder ging zur Tür und stöhnte, als er durch den Spion sah. Skinner. Er öffnete.

"Agent Mulder", sagte Skinner freundlich. Wenn er überrascht war, Mulder in T-Shirt und Jogginghosen in Scullys Wohnung vorzufinden als ob er gerade aus dem Bett gefallen wäre, ließ er sich nichts anmerken. "Ich war gerade in der Gegend und dachte, ich sehe mal nach, ob Agent Scully etwas braucht."

Skinner sah in die Wohnung und sein Blick fiel auf Scully, die immer noch fest schlafend auf der Couch lag. Man konnte deutlich den Abdruck eines weiteren Kopfes auf dem Kissen neben ihr sehen und Scully lag genau am Rande der Couch. Es sah definitiv danach aus, als ob jemand neben ihr geschlafen hätte. Mulder fühlte sich wie ein kleines Kind, das mit der dabei ertappt worden war, wie es unerlaubt Süßigkeiten stibitzte, und fand, dass er eine Erklärung schuldig war. Er fuhr sich mit der Hand durch sein vom Schlaf wirres Haar. "Sie hatte die ganze Nacht Alpträume. Nach den ersten paar war es einfacher, sie mit mir auf die Couch zu nehmen."

Verdammt, das klang rechtfertigend, sogar in seinen Ohren. Er sah AD Skinner genau in die Augen und forderte geradezu einen Kommentar dazu heraus.

"Agent Mulder, Sie brauchen mir nichts zu erklären. Ich weiß, dass Sie und Agent Scully eine... einzigartige... Beziehung zueinander haben. Ich bin froh, dass Sie bei ihr geblieben sind."

"Haben sie ihn schon gefunden?" fragte Mulder.

"Noch nicht", antwortete Skinner. "Aber sie werden ihn finden."

Dann teilte Skinner Mulder die Bedingung einer Beurlaubung mit und ging dann ins Büro. Mulder atmete erleichtert auf und nahm eine Dusche, bevor Scully aufwachte.

 

Das Scheppern des Telefons riss Mulder aus den Gedanken. Nach dem zweiten Klingeln hob er ab. Es war Scully.

"Mulder, ich bin's." Ihre Stimme klang unsicher.

"Scully, alles in Ordnung?" <und schon wieder diese Phrase, dachte er>

"Es geht mir gut. Meine Sitzung im Krisencenter hat ein wenig länger gedauert und als ich Heim gekommen bin, klingelte das Telefon. Meine Mutter war dran, um nach mir zu sehen. Dann hat Melissa angerufen... jedenfalls wollte ich dich wissen lassen, dass ich jetzt weg bin. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst."

"Ich habe mir keine Sorgen gemacht", antwortete Mulder automatisch.

<Lügner>, schimpfte er mit sich.

"Klar, Mulder. Meine Mutter auch nicht." Er konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören.

"Bis später." Sie legten auf.

Mulder musste lächeln, als er an Maggie Scully dachte. Sie hatte sich seiner angenommen und ihn behandelt als wäre er Mitglied der Familie. Er würde nie die Worte finden, die ihr sagten, wie viel ihm das bedeutete.  Wieder schwelgte Mulder in Erinnerungen.

 

Ein Tag nach dem Vorfall waren Mrs. Scully und Melissa gekommen. Sie waren im Urlaub gewesen, als Mulder Mrs. Scully angerufen hatte. Sie hatte den ganzen Tag versucht, einen Flug von ihrer Insel zurück nach Hause zu bekommen. Melissa schien überrascht zu sein, Mulder so im Wohnzimmer ihrer Schwester eingerichtet zu sehen, doch Maggie Scully war es nicht. Sie hatte mit Fox am Abend des Vorfalls gesprochen und dann noch einmal danach. Mit Dana hatte sie nur einmal kurz geredet. Die anderen Male, an denen sie angerufen hatte, hatte Dana geschlafen und sie wollte sie nicht wecken.

"Hallo, Fox." Maggie lächelte, umarmte ihn und dankte ihm im Stillen für alles, was er getan hatte.

Mulder umarmte sie ebenfalls, vielleicht etwas stärker als er sollte, doch sich auf einmal der Frau gegenüber zu sehen, die ihm mehr eine Mutter gewesen war als seine eigene je gewesen war, war fast zu viel für ihn. In den letzten Tagen hatten seine Emotionen Achterbahn gespielt. Er räusperte sich und begrüßte Melissa. "Hi Missy. Lange nicht gesehen." Melissa Scully lächelte und umarmte ihn ebenfalls. Fox Mulder in Jeans und T-Shirt zu sehen, emotional verletzlich und mit tränenfeuchten Augen ließ Melissas Herz einen Schlag aussetzen. Sie hoffte, dass ihre Schwester bald aufwachen und erkennen würde, dass Mulder der perfekte Mann für sie ist. Aber im Moment war sie froh, dass Mulder Danas bester Freund war. Melissa wusste, was sie einander bedeuteten und Dana brauchte ihn jetzt mehr denn je.

"Wo ist sie?" fragte Maggie und hängte ihre Mäntel am Hacken auf.

"Sie schläft", antwortete Mulder, nahm ihre Taschen und stellte sie im Gästezimmer ab.

"Ist es normal, dass sie so viel schläft?" fragte Melissa mit einem Stirnrunzeln.

"Laut der Beratung im Vergewaltigungscenter, ja", sagte Mulder.

"Sie ist da hin gegangen?" wollte Melissa verwundert wissen. Sie hätte nie gedacht, dass ihre ich-habe-mich-immer-unter-Kontrolle-recht-herzlichen-Dank-Schwester einer solchen Beratung zustimmen würde.

"Ähm... eigentlich... nein, ist sie nicht, aber... ähm... ich habe dort angerufen." Er grinste verlegen. "Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich wollte wissen, worauf ich achten sollte... was normal ist und was nicht.  Also habe ich angerufen." Er vermied es, ihnen in die Augen zu sehen. Die beiden Frauen sahen sich erstaunt an.

"Fox..." begann Maggie. Sie räusperte sich und schluckte ihre Tränen herunter und sagte sanft, "Sie sind der beste Freund, den ich meiner Dana je wünschen könnte. Ich hoffe, Sie wissen, dass Sie dieser Familie sehr viel bedeuten."

Zum zweiten Mal war Mulder innerhalb der letzten halben Stunde den Tränen nahe. "Wie wäre es mit einem Tee?" sagte er heiterer als er war.  "Dann können wir Dana wecken. Sie freut sich sehr darauf, Sie beide zu sehen." Sie gingen in die Küche.

Als sie den Tee getrunken und das Gebäck gegessen hatten, das Maggie mitgebracht hatte, wachte Dana auf und ging in die Küche.

Mulder sah sie zuerst. Er sah, wie sie den Anblick von ihm, ihrer Mutter und ihrer Schwester am Küchentisch in sich aufnahm. Sie lächelte.  Maggie folgte Fox' Blick und sah ihre Tochter zum ersten Mal seit dem Angriff. Mulder sah Scully an und versuchte sie zu sehen, wie ihre Mutter es tat. Die Verletzungen in ihrem Gesicht sahen bereits besser aus, doch ihre Lippe war immer noch geschwollen und kein Make-up konnte den hässlichen Bluterguss an ihrem Kinn und Wange verbergen. Sie hatte dunkle Ränder unter ihren Augen, doch das, was in Mulders Augen am meisten hervorstach, war der Blick in ihren Augen - Traurigkeit und Verletzlichkeit. Er blickte zu Melissa und wusste, dass sie es auch sah. Maggie stand auf und ging zu ihrer Tochter. Mulder konnte sehen, wie sich die Tränen in Scullys Augen formten.

"Oh, Dana!" flüsterte Maggie und ihre Stimme brach, genau wie ihr Herz. Als sie ihre jüngste Tochter in die Arme nahm, stand Melissa auf und umarmte sie beide, weinend. Mulder verschwand still und leise aus dem Zimmer und packte seine Tasche. Scully war in guten Händen. Sie musste etwas Zeit mit ihrer Familie verbringen und er musste einiges an Arbeit erledigen - Harrison war immer noch nicht gefunden worden.

 

Schon wieder wurde Mulder in seiner Arbeit unterbrochen. Dieses Mal, weil die Türe zu seinem Büro aufging. Scully steckte ihren Kopf herein und fragte trocken, "Ist es sicher hereinzukommen, Mulder? Ich meine, ich war ein paar Wochen nicht hier, um hinter die herzuräumen..." Sie lächelte.

"Lasse es drauf ankommen, Agent Scully", grinste er sie an. Es war schön, sie wieder lächeln zu sehen. Sie betrat den Raum und einen betretene Stille tat sich auf. Sie hatten jeden Tag miteinander telefoniert, aber heute war der erste Tag in über einer Woche, an dem sie sich sahen. Mulder beendete die Stille.

"Willkommen zurück, Scully. Ich habe dich vermisst."

"Danke, Mulder. Ich... ich habe dich auch vermisst." Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. Sie schien schüchtern, geradezu verlegen. <Nie im Leben wird das hier ein Hindernis zwischen uns sein>, dachte Mulder. <Nicht nach allem, was wir zusammen durchgestanden haben.>

"Hey", sagte er leise. "Sieh mich an, Dana. Wir haben zu viel zusammen durchgestanden, um jetzt schüchtern zu sein. Ich weiß, wie sehr du es hasst, die Kontrolle über deine Gefühle zu verlieren, aber in den letzten paar Wochen hast du mich gebraucht - genau wie ich es gebraucht habe, für dich da zu sein. Du bist bis jetzt so oft für mich dagewesen, und das ist meine Chance, dir dafür zu danken. Okay?"

Scully sah in seine sanften braunen Augen. "Okay", flüsterte sie und schenkte ihm ein Lächeln. Ein breites, wunderschönes Lächeln.

Zwei Stunden später kam Scully sich vor, als sei sie nie weg gewesen, als sie sich durch die unvollständigen Berichte und anderen wichtigen Papierkram kämpfte. Sie konnte oft Mulders Blick auf sich fühlen und einige Male wurde sie nervös, als sich die schrecklichen Erinnerungen an jenen Abend in ihre Gedanken schlichen. Mit aller Macht versuchte sie, diese Ängste von sich fort zu stoßen.

"Alles in Ordnung, Scully?" fragte Mulder. Sie war stolz auf ihn - er hatte sie das seit zehn Uhr morgens nur sechs Mal gefragt - und jetzt war es halb drei.

"Es geht mir gut, Mulder", antwortete sie genau wie all die anderen Male davor auch.

"Ich möchte nur sicher gehen", grinste er sie an. Es wurde schon fast ein Joke zwischen ihnen. Scully lächelte und schüttelte den Kopf. Alles in allem verging der Tag gut für beide.

Das Telefon klingelte.

"Sir, Sie wollten mich allein sprechen?" fragte Mulder AD Skinner. Skinner hatte ihn gebeten, allein und vertraulich in sein Büro zu kommen. Das war für ihn schon schwierig genug gewesen zu managen, weil Scully ihn mit erhobenen Augenbrauen fragend angesehen hatte, als er Anstalten gemacht hatte, das Büro zu verlassen. Mulder murmelte etwas davon, er würde in die Aktenhalle gehen, um irgendwelche Informationen zu holen, auf die er wegen einem der vorherigen Fälle gewartet hatte. Scully hatte genickt und ihn gebeten, auf seinem Weg im Labor einige Ergebnisse holen, die sie brauchte.

"Agent Mulder, sie haben ihn gefunden."

Mulder fühlte sich, als hätte er einen Schlag in die Rippen bekommen. Er hatte diesen Moment seit dem Angriff auf Scully erwartet und gefürchtet.

"Wo?" fragte er. Er atmete tief durch und strich sich mit einer Hand durch die Haare.

"Er hat versucht, außer Landes zu kommen und er wurde am Flughafen festgenommen."

"Hat er es zugegeben?"

"Er hat zugegeben, ohne vorherige Anmeldung in Agent Scullys Wohnung gekommen zu sein, aber er behauptet, sie sei damit einverstanden gewesen."

"Quatsch! Wenn das so wäre, warum musste er sie dann halb tot schlagen? Oder vielleicht hat sie sich ja in der Hitze der Leidenschaft so verletzt!" fuhr er sarkastisch und wütend hoch.

"Fox... ich weiß das, Sie wissen das, und jeder andere Agent, der an dem Abend da gewesen war weiß, dass es kein Geschlechtsverkehr mit beiderseitigem Einverständnis gewesen war. Aber unser Job ist, das zu beweisen. Er gilt solange als unschuldig, bis wir Beweise gegen seine Behauptungen haben... oder bis er gesteht. Er ist jetzt unten im Befragungsraum. Sie können mit uns kommen, wenn Sie möchten, Agent Mulder, aber ich warne Sie: lassen Sie Ihre persönlichen Emotionen nicht den Sinn für das, was gerecht und fair ist überschatten - Harrison wird bezahlen für das, was er Agent Scully angetan hat - aber das Gericht wird über seine Strafe entscheiden, nicht Sie. Ist das klar?"

Mulder nickte langsam und folgte Skinner in den Befragungsraum. Harrison saß in dem kleinen Zimmer am Tisch. Er schwitzte stark.

Einige Agenten standen bereits ebenfalls im Raum und befragten ihn zu dem Abend in Scullys Wohnung. Als Harrison Mulder erblickte, wich alle Farbe aus seinem Gesicht und er stotterte, "Sie hat mich darum gebeten - ich - ich habe nichts getan, was sie nicht wollte. Sehen Sie, meine Frau - ich - ich wurde gerade geschieden..." Er hielt inne und nahm einen Schluck Wasser.

Mulder trat näher an den Tisch. Die anderen Agenten ließen ihn sich direkt vor Harrison hinstellen, es stand nun lediglich der Tisch zwischen ihnen.

"Warum hast du es getan, Harrison? Um dich an mir zu rächen? Um mir weh zu tun? Du warst immer ein kleiner Mann, Harrison, du hast es immer versucht, aber du bist nie wirklich an die Spitze gekommen, was, Harrison?"

Harrisons Gesicht wurde alarmierend rot. "Halt die Klappe, Mulder. Halt die Klappe!!"

"Warum? Damit du all diese Leute und vielleicht und auch dich selbst davon überzeugen kannst, dass das, was du Scully angetan hast, gerechtfertigt war?  Warum, Harrison? Hast du sie aus gebeten und sie hat dir einen Korb gegeben? Du weißt, sie würde sich nie mit jemandem wie dir einlassen, Paul - sie ist viel zu wählerisch, was die Wahl ihrer Männer angeht."

"Halt die Klappe, Mulder! Sie wollte es! Sie wusste nur nicht, wie sie sich gehen lassen sollte. Ich habe ihr nur ein wenig dabei geholfen." Er wurde von Sekunde zu Sekunde wütender.

Toll, es klappte.

"Also, du hast ihr geholfen, sich zu entspannen, was, Paul? Wie? Hat es dich erregt, sie zu schlagen? Hat dich der Anblick des ganzen Blutes steif gemacht? Was wirklich passiert ist, Paul, hat sie irgendetwas in deinem Fall bemerkt, was du übersehen hast und was dich vor allen anderen blöd ausgesehen lassen hat, Paul?"

"Halt's Maul!! Du bist nur eifersüchtig! Was, Mulder? Bist du sauer, weil du ihr nicht die Hosen ausziehen konntest wie der alte Paulie hier?"

Skinner beeilte sich, Mulder an der Schulter festzuhalten und einer der anderen Agenten hielt seine Hand zwischen ihn und Harrison, als Mulder sich über den Tisch lehnte.

"Du verdammter Schweinehund - gib's zu, Harrison. Du hast Scully geschlagen und vergewaltigt aus irgendeinem kranken Sinn für Gerechtigkeit heraus von dir - sie ist klüger als du, sie hat Beweise gefunden, die du übersehen hast, sie hat dich vor deinen Kollegen wie einen Idioten da stehen lassen und du hast gedacht, du zeigst ihr, wer der Boss ist!"

Das wars. Harrison war außer sich.

"Genau so war's, Mulder. Sie hat mich verarscht, genau wie du in all den Jahren. Als ich wegen dir aus dem Außendienst gezogen wurde, habe ich mir geschworen, dass niemand eine solche Kontrolle über mich haben würde.  Und dann kommt diese Schlampe Scully und assistiert bei einer Autopsie. Sie hat mich reingelegt und hat alle glauben lassen, ich hätte etwas vergessen.  Sie hielt sich für so schlau, diese Schlampe! Aber ich habe ihr gezeigt, wo's lang geht. Die Schlampe hat ganz schön gekämpft, aber ich war stärker, schlauer. Hach, es tat so gut, sie schreien zu hören, sie flehen zu hören!  Da war sie auf einmal nicht mehr so schlau, was, Mulder??" Harrison benahm sich jetzt wie ein vollkommen Verrückter. Der Speichel lief ihm aus dem Mund und er spuckte. Sein Gesicht war puterrot und sein Atem ging rasend.  Sein von Hass erfüllter Blick richtete sich gegen jeden Agenten im Raum.  Mulder wurde übel. Der Gedanke daran, dass dieser Mann Scully angefasst hatte...

"Harrison, wir brauchen eine Blut- und eine Gewebeprobe und eine Samenprobe." Skinners Stimme durchschnitt den Raum wie ein Schuss. Harrison sah Mulder unverwandt an. Er wusste, dass er verloren hatte und sagte hämisch, "Hey, Mulder... hast du ein Bild von Scully? Ich werde vielleicht Hilfe brauchen..."

Dieses Mal beeilte sich niemand, Mulder zurück zu halten, als er über den Tisch auf Harrison losging.

 

Über eine Stunde später kehrte Mulder in sein Büro zurück. Er war in der Cafeteria gewesen, um Eis für seine schmerzende Hand zu beschaffen.  Verdammt, dachte er, sie ist bestimmt gebrochen. Er hatte zweimal voll zuschlagen können, bevor Skinner und ein anderer Agent ihn festgehalten hatten. Harrison war wütend gewesen und hatte geschrien, widerrechtlich behandelt zu werden. Skinner hatte ihn mit einem ruhigen, "Was ist hier widerrechtlich,  Mr. Harrison? Niemand hat hier etwas Derartiges gesehen" in seine Schranken verwiesen. Er hatte die beiden anderen Agenten angesehen, die noch im Raum standen. Beide hatten den Kopf geschüttelt.  Geschlagen, war Harrison widerstandslos gegangen, um seinen Verletzungen verarzten zu lassen.

Als er sich um seine eigene Verletzung kümmerte, versuchte Mulder einen Weg zu finden, wie er Scully beibringen würde, dass Harrison verhaftet war. Er hatte nicht vor, sie herausfinden zu lassen, was Harrison während der Befragung gesagt hatte oder was sonst noch passiert war. Er musste sich irgendeine gute Erklärung für seine geschwollene Hand ausdenken. Aber sie würde die Gegenüberstellung machen müssen und Harrison als den Mann identifizieren, der sie vergewaltigt hatte. Mit einem Seufzen betrat Mulder sein Büro.

Scully saß immer noch da, wo er sie verlassen hatte und brütete über einigen Berichten, die er angefangen hatte, als sie weg gewesen war. Sie sah auf, als er sich auf den Rand ihres Schreibtisches setzte.

"Was ist los, Mulder? Bist du im Labor gewesen?"

"Nein, Scully, war ich nicht. Ähm, hör zu... sie haben ihn gefunden."

"Wen?" fragte Scully perplex. Dann fiel es ihr ein. Sie erblasste.

"Harrison?" flüsterte sie.

Mulder nickte. "Er hat gestanden, Scully - wir mussten ihn ein bisschen... äh... zwingen, könnte man so sagten, aber er gibt zu, dich geschlagen und vergewaltigt zu haben, Scully. Es wird keine Gerichtsverhandlung geben."

Scully schloss die Augen und lehnte ihren Kopf an die Stuhllehne.

"Scully, du musst zu der Gegenüberstellung. Es ist nur eine Formalität, aber wir wollen nicht irgendeinen dummen Fehler übersehen und dem Kerl die Möglichkeit geben, frei zu kommen. Also musst du ihn offiziell identifizieren."

Scully atmete tief durch und stand auf. "Dann sollten wir jetzt gehen." Sie hob ihre Hand- und ihre Aktentasche auf und machte sich auf den Weg. Mulder folgte ihr. Doch sobald sie aus der Türe war, stockte sie und suchte Mulders Unterstützung. Er konnte die Angst in ihren Augen sehen, aber sie war vermischt mit etwas Neuem. Etwas, das er lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte - Entschlossenheit. Er nickt fast unmerklich und sie lächelte schwach. Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest, als sie zusammen den Korridor hinunter gingen.

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