World of X

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Gefühle offenbart

von GL Medeiros

Gewalt

Das Klingeln des Telefons riss Mulder aus dem Tiefschlaf. Er griff nach dem Hörer, wobei er ein Glas umstieß. Er fluchte und bekam dann endlich den Hörer zu fassen.

"Hallo", nuschelte er verschlafen. Doch als er den Ton der Stimme am anderen Ende hörte, wurde er hellwach und er setzte sich auf den Rand des Bettes.

"Agent Mulder? Skinner. Sie sollten am besten zu Agent Scullys Wohnung kommen - jetzt sofort." Mulders Herz machte einen Sprung.

"Geht es ihr gut?" fragte er und machte sich auf eine schlimme Antwort gefasst.

"Sie hatte einen... ähm... Unfall."

"GEHT ES IHR GUT!?"

Skinner seufzte tief. "Fox - sie wurde heute offenbar in ihrer Wohnung überfallen. Sie redet nicht, aber sie sieht nicht gut aus. Sie fragt nach Ihnen. Sie will nicht ins Krankenhaus und sie will auch nicht mit den anderen Agenten reden."

"Ich bin unterwegs. Sagen Sie ihr, ich bin sofort da."

In weniger als zwanzig Minuten erreichte Mulder das beeindruckende alte Backsteinhaus, das Scullys zu Hause war. Er konnte sich genau daran erinnern, wie sie zum ersten Mal ihre Wohnung gesehen hatte, mit verträumten blauen Augen und voller Aufregung. Er nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen und stieg aus dem Wagen. Zwei Polizeiwagen standen vor dem Gebäude und drei in Zivil, die Mulder augenblicklich bemerkte. Er nahm zwei Stufen auf einmal bis in den vierten Stock, wo Scully wohnte. Die Tür stand offen und er konnte jemand leise reden hören.

Er drückte die Türe auf und war erleichtert, als er Scully in dem großen Schaukelstuhl sitzen sah, den er ihr zum Einzug geschenkt hatte. Sie hatte den Kopf gesenkt und schaukelte hastig vor und zurück, ihre Beine gekreuzt und ihre Arme vor sich verschränkt.

Ein rascher Blick durch das Apartment verriet ihm, dass hier ein Kampf stattgefunden haben musste - die Möbel waren überschlagen und zerbrochenes Glas lag auf dem Boden. Skinner stand neben Scully, eine Hand an seiner Hüfte, mit der anderen massierte er sich sein Genick. Ein paar weitere Agenten standen ebenfalls im Zimmer. Einer von ihnen, Mulder kannte ihn aus der Gerichtmedizin, streckte eine Hand nach Scully aus.  Mulders Herz schmerzte, als Scully mit erhobenen Händen erschrocken von ihm zurückwich. Mulder trat zu ihr und hockte sich vor sie hin.

"Scully?" fragte er leise. Ganz langsam legte er eine Hand an ihr Kinn und hob ihren Kopf. Ihm stockte der Atem, als er die Verletzungen auf ihrem Backenknochen und die Platzwunde an ihrer Schläfe sah. Ihre Oberlippe war geschwollen und trockene Blutkrusten klebten an ihrem Haaransatz. Mulder spürte, wie die Wut in ihm aufstieg, als er das Ausmaß ihrer Verletzungen sah. "Mein Gott", flüsternd er gebrochen. Sie richtete ihren tränenerfüllten Blick auf ihn. Ohne sich umzudrehen sagte er ruhig zu den anderen Agenten, "Lassen Sie mich mit ihr allein."

Die Agenten taten wie ihnen geheißen. Sie verschwanden im Flur und suchten nach Hinweisen, die ihnen verraten würden, welcher Mensch so grausam zu einer von ihnen gewesen war. Sie ließen die Tür offen stehen.

Mulder nahm Scullys Gesicht in beide Hände und sah, wie die Tränen ihre Wange herunterrollen. Er kannte Scully besser als irgendjemand anderes und er wusste, dass sie am Rand ihrer Kräfte war.

"Sag mir, wer dir das angetan hat."

"Ich kann nicht", flüsterte sie durch ihre Tränen. Sie zitterte und begann, leise zu schluchzen. Es brach Mulder das Herz. Er nahm sie in die Arme und er drückte sie fest an sich.

"Ssshhh, es ist okay... Ich bin hier... Ich bin ja hier." Er hielt sie fest und ging etwas unbeholfen mit der schaukelnden Bewegung des Stuhls mit. Draußen im Flur hatten viele der Agenten Mühe, den Kloß in ihrem Hals zu verschlucken. Alle bewunderten und mochten Agent Scully, und sie erkannten durch "Spooky" Mulders Ausdruck von Sanftmut die enge Bindung, die die beiden Partner miteinander verband - eine Bindung wie keine andere.

Vorsichtig löste Mulder seine Umarmung um nahm ihre Hand in seine. "Scully, du musst mit mir reden, und dann müssen wir dich in ein Krankenhaus bringen", sagte er. "Wer hat dir das angetan?"

Scully atmete tief durch, um sich zu sammeln und erwiderte ebenso ruhig, "Ich kann nicht, Mulder. Bitte zwing mich nicht, etwas zu sagen, das wir bereuen werden."

"Scully, du kannst nicht einfach so tun, als wäre das alles nicht passiert - dieses Tier hat dich brutal zugerichtet und dir Gott weiß was angetan und du willst es einfach vergessen?" Er versuchte, ruhig zu bleiben, doch das fiel ihm mehr als schwer. Er wollte diesen Dreckskerl umbringen... Mulder befürchtete bereits zu wissen, was der Bastard ihr noch angetan hatte. Er wollte es nicht hören - und er war sich sicher, dass Scully noch nicht so weit war, um darüber zu sprechen. Wieder hob er ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen. Dort sah er den Grund.

"Er hat dir gedroht." Es war eine Aussage, keine Frage. "Er hat gesagt, dass wenn du es irgendjemandem erzählen würdest, würde er wiederkommen. Hab ich Recht?"

Scully schüttelte schwach den Kopf. "Mulder, bitte - ich will nicht, dass jemand zu Schaden kommt."

Mit einem Mal erkannt Mulder, was sie meinte. "Er hat nicht dich bedroht, stimmt's? Er will mir etwas antun, wenn du ihn verrätst, nicht wahr?" Scully begann zu weinen, doch Mulder bestand darauf. Er musste einen Namen aus ihr herausbekommen.

"Scully, du musst es mir sagen. Wie kann ich mich selber schützen, wenn ich nicht weiß, wer der Feind ist?"

Er konnte den Kampf sehen, den sie mit sich führte. Sie wollte es ihm sagen, aber sie hatte schreckliche Angst. Um ihn.

"Sag es mir."

"Harrison", flüsterte sie so leise, dass er sich näher zu ihr hin beugen musste, um es zu verstehen.

"Harrison?" Paul Harrison war für einen kurze Zeit Mulders Partner gewesen, noch bevor es die X-Akten gab. Sie waren nie Freunde gewesen. Um genau zu sein, wegen Mulders Berichten über seiner unbeständigen und gefährlichen Art während der Fälle, war Harrison in den Innendienst versetzt und jetzt kürzlich erst wieder in den Außendienst aufgenommen worden. Er hatte Mulder nie verziehen. Mulder spürte Übelkeit in seinem Magen.

"Was wollte er hier, Scully?"

"Er hat gesagt, dass er meine Hilfe bei dem Alexander-Mord bräuchte... du weißt schon, der Autopsiebericht, den ich für die Abteilung Gewaltverbrechen gemacht habe. Er behauptete, dass er einige von seinen Notizen verlegt hätte und fragte, ob er sich meine Tonbänder mit dem Bericht ausleihen könnte."

"Du hattest also keinen Grund, misstrauisch zu sein. Er hat dich nie zuvor belästigt, oder?"

"Nein“, sagte sie leise. "Ich habe nicht einmal bemerkt, dass er sich komisch benommen hat, bis es zu spät war. Bevor ich wusste, was passierte, griff er nach mir... und schlug mich..." Ihre Stimme brach und Mulder umfasste ihre Wange mit einer Hand in einer auffordernden Geste, das Eis zu brechen.

"Ich konnte nicht ein Mal meine Waffe holen."

"Er hat dich vergewaltigt?" Die Worte blieben ihm im Hals stecken, aber er wusste, dass sie reden musste - und er musste es hören.

"Ja", schluckte sie und schluchzte. Schweres, herzzerreißendes Schluchzen. Erlösendes Schluchzen, das Mulders Herz brach und ihn gleichzeitig rasend machte. Er konnte die anderen Agenten an der Tür stehen sehen, konnte sehen, wie sie alles mitbekamen und wie unangenehm es ihnen war. Er wischte sich mit der Hand über die Augen und wandte sich an AD Skinner. "Harrison", sagte er leise. Die Agenten wurden allesamt kreideweiß. Einer ihrer eigenen Leute hat das getan?

Als Mulder nickte, brüllte Skinner in sein Telefon, "Ich will Paul Harrison hier, aber plötzlich!"

Als sie das hörte, sah sie zu Tode erschrocken zu ihm auf. "Mulder, nein, er wird dich umbringen. Er hat gesagt, dass er sich an dir rächt, wenn es jemand herausfindet!"

"Mach dir um mich keine Sorgen, Scully. Ich kümmere mich um Harrison.  Aber du musst jetzt erst mal in ein Krankenhaus." Scully protestierte, doch Mulders sanftes "Scully, bitte. Ich muss wissen, dass du in Ordnung bist." ließ Scully nachgeben. "Du wirst mich nicht allein lassen?" fragte sie und bot den Anblick eines verlorenen kleinen Mädchens.

"Nein. Ich verspreche es." Mulder wusste, dass sie nicht nur nach einem Versprechen bezüglich des Krankenhausaufenthaltes fragte. Scully bat ihn darum, vorsichtig zu sein und sich von Harrison nicht überraschen zu lassen. Mulder hoffte, dass er sein Versprechen halten konnte.

Mulder stand alleine neben der Tür des Untersuchungsraumes und wartete ungeduldig. Die meisten anderen Agenten, Skinner eingeschlossen, wollten alle mit ins Krankenhaus kommen, aber Mulder hatte sie alle gebeten, Scully eine wenig Freiraum zu lassen, damit sie sich über alles klar werden konnte. Der beste Weg, ihr jetzt zu helfen ist, Harrison zu finden, hatte er ihnen gesagt. Sie war jetzt schon fast eine ganze Stunde da drin gewesen. Er war bereit gewesen, mit ihr dort rein zu gehen - schließlich hatte er ja ein Versprechen gemacht -, doch die Schwester hatte ihn hier zum Warten verdonnert. Jetzt stand er da und wurde mit jeder Minute nervöser. Er hatte immer noch vor Augen, wie schwer es ihr gefallen war, von dem Stuhl aufzustehen und sich auf die Bahre zu legen. Er hatte Harrison in dem Moment umbringen wollen. Verflucht, er wollte diesen Bastard immer noch zur Hölle schicken.

"Wenn ich innerhalb der nächsten fünf Minuten nichts von ihr gehört habe, lasse ich Regeln Regeln sein und gehe da rein", dachte er. Doch in dem Moment kam eine Schwester aus der Tür.

"Agent Mulder?"

"Ja. Wie geht es ihr?"

"Kommen Sie herein. Der Arzt wird Ihnen gleich Näheres sagen."

Mulder folgte der Schwester in einen kleinen Raum, der bis auf den laut gestellten Fernseher völlig leer war. Mulder war schockiert. Es war der Familienraum - der Raum, in den die Ärzte den Familien mitteilten, dass ihre Lieben verstorben waren. Er griff nach dem Arm der Schwester, als sie im Begriff war, den Raum wieder zu verlassen. "Geht es ihr gut?" fragte er.  Die Schwester sah die Panik in seinen Augen und dachte mit einer Spur von Sehnsucht, "es ist schön, jemanden zu haben, der sich so um einen sorgt." Sie lächelte ihn versichernd an. "Sie wird schon wieder. Sie geben ihr nur ein paar letzte Anweisungen was ihre Nähte angeht."

Mulder lächelte. "Hat sie nicht erwähnt, dass sie selbst Ärztin ist?"

"Oh - nein, hat sie nicht. Ist aber auch nebensächlich - wir müssen trotzdem noch den Papierkram erledigen", sagte sie mit einem Lächeln. In dem Moment kam der Arzt heraus.

"Agent Mulder?" Der Arzt war ein älterer Herr mit einem freundlichen Gesicht und buschigen Augenbrauen. Mulder erhob ein stilles Dankgebet, dass Scully nicht von irgendeinem jungen Grünschnabel untersucht worden ist.

"Wird sie wieder gesund?"

"Physisch wird sie es, aber es wird eine Weile dauern." Er schwieg für einen Moment. "Der Mann, und ich verwende diesen Begriff im weitesten Sinne, der ihr das angetan hat, war ein Tier. Neben Schwellungen und Blutergüssen hat sie drei gebrochene Rippen, die wahrscheinlich von Tritten stammen, und ein verstauchtes Handgelenk." Wieder hielt inne. "Agent Mulder, Sie sind sich dem vollen Ausmaß ihrer Verletzungen bewusst, richtig?"

Mulder verstand alles, was der Arzt gesagt - und nicht gesagt - hatte. Er konnte nur nicken.

"Sie wird in der nächsten Zeit große Schmerzen haben. Sie scheint sich allerdings gehörig gewehrt zu haben. Sie hatte Blut- und Hautspuren unter ihren Fingernägeln. Ich habe ihr angeboten, mit jemandem aus dem Vergewaltigung-Krisen-Center zu sprechen, aber sie hat es abgelehnt. Ich habe ihr außerdem etwas gegen eine ungewollte Schwangerschaft verabreicht."

Mulder schluckte. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

"Sie ist eine sehr mutige junge Frau und sie ist sehr stark von dem, was ich gesehen habe. Aber sie wird in den nächsten Wochen viel Hilfe und Unterstützung brauchen. Ich nehme an, dass Sie in den nächsten Tagen bei ihr bleiben werden?"

Mulder war noch gar nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken, aber er schwor, dass er Scully in der nächsten Zeit nicht aus den Augen lassen würde. Er nickte dem Arzt zu, als Scully in einem Rollstuhl von einer Schwester geschoben in den Raum kam.

"Ich kann jetzt laufen", sagte sie mit einem kleinen Lächeln. Nur Mulder konnte die Pein in ihren Augen sehen.

"Bist du sicher?" fragte er besorgt.

Sie nickte und bedankte sich höflich bei ihrem Arzt. "Vielen Dank, Doktor Corey."

"Passen Sie auf sich auf", erwiderte dieser. "Wenn Sie irgendetwas brauchen, lassen Sie es mich bitte wissen." Bevor sie gingen, holte der Arzt ein Blatt Papier aus seiner Tasche und reichte es Mulder zusammen mit einigen anderen Unterlagen, die die Schwester ihm gegeben hatte. Ein rascher Blick auf den Zettel verriet ihm, dass es eine Verschreibung für ein Schlafmittel war. Mulder war sich sicher, dass Scully es auf keinen Fall nehmen würde. Sie nahm nie gerne Medizin, egal welcher Art. Er sah zu ihr hin. Sie lehnte an der Wand und sah sehr erschöpft aus, als ob sie jeden Moment umfallen würde. Mulder dachte bereits daran, die Schwester mit dem Rollstuhl zurück zu bitten, doch er wusste, dass Scully dagegen sein würde. Sie hasste es, andere ihre Schwächen sehen zu lassen. Mulder nahm an, es war, weil sie als Frau einen Beruf in einer Männerwelt ergriffen hatte. Wenn sie einmal Zeit gehabt hatte, über all das nachzudenken, würde sie die Tatsache hassen, dass die anderen Agenten sie so in ihrer Wohnung gesehen haben.

Mulder steckte die Zettel in die Tasche, ging zu Scully und nahm sie in die Arme. Er hielt sie sanft, aber bestimmt und ließ sie dann los, um einen Arm um sie zu legen. Sie legte ihren Arm um seine Hüften und ihren Kopf an seine Schulter.

"Willst du zum Wagen laufen oder soll ich ihn herum fahren?"

"Ich laufe", sagte sie ruhig. "Ich kann etwas frische Luft gebrauchen."

Langsam gingen sie aus dem Gebäude und über den Parkplatz. Als er Scully ins Auto geholfen hatte, dachte Mulder an den Bericht, den er abgeben musste und an die anderen Agenten, die auf ihn warteten. Als sie den Highway entlang fuhren, schlief Scully ein, ihr Kopf ans Fenster gelehnt und ihre Lider dunkle Schatten auf ihren Wangen. Mulder rief Skinner von seinem Handy aus an und berichtete ihm von Scullys Zustand.

"Haben sie ihn schon gefunden?" fragte er.

"Noch nicht", antwortete Skinner.

"Wenn sie ihn finden, gehört er mir." Damit legte er auf.

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