World of X

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Blizzard

von LC Brown

Kapitel 1

Der Schnee fiel jetzt rascher, dichter. Sie blickte kurz hoch in der Hoffnung, ein Stückchen vom Himmel zu sehen, doch alles, was Scully abbekam, war ein weiterer Schwung überraschend schwerer Schneeflocken, die ihre Lider verklebten und in ihren Augen stachen. Sie zog die mit Fell umrandete Kapuze ihres Parkas noch ein wenig weiter über ihr Gesicht. In Aspen wäre dieses Wetter jetzt super. Aber das hier war nicht Aspen. Ihre Stiefel waren nicht sehr hoch und sie konnte mit jedem Schritt den Schnee spüren, der über den Fellrand bis zu dem Ansatz ihrer Jeans reichte.  Eigentlich sollte dieses Schuhwerk wetterfest sein, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie nicht für solch extreme Bedingungen gemacht worden waren.

"Du willst also 'Du bist Schuld' spielen, Mulder?" fragte sie offensichtlich die Ruhe selbst, während sie sich hartnäckig weiter durch den knietiefen Schnee kämpfte.

"Wenn du dich dann besser fühlst, bitte", bekam sie zur Antwort von dem großen Mann neben ihr. "Ich lasse dich sogar anfangen."

"Oh, klasse." Sie wusste, dass sie gereizt klang, aber das war ihr egal.

"Es deine Schuld, Mulder, weil du diesen dämlichen Bigfoot-Fall im eiskalten Nirgendwo angenommen hast. Assistant Director Skinner hat gesagt, dass wir ihn nicht nehmen müssten, wenn wir nicht wollten."

Mulder schüttelte den Kopf. "Es ist deine Schuld, weil wir wegen dir den ersten Flug verpasst haben. Wir könnten nämlich jetzt schon seit drei Stunden auf der Ranger-Station sein."

Scully hoffte, dass ihr Zähneknirschen das Knarren und Knirschen des Schnees nicht übertönen würde, als sie sich ihren Weg durch denselben bahnten.

"Es ist deine Schuld", sagte sie dann, "weil der Mietwagen deiner Wahl den Geist aufgegeben hat."

Sie konnte in der Kapuze seines dunkelblauen Parkas sein Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme klang ärgerlich, als er ihr nach einem Moment antwortete. "Nein, es ist deine Schuld, weil du darauf bestanden hast, dass ich weiter versuche ihn wieder zum Laufen zu kriegen, nachdem er abgesoffen ist."

"Ich habe doch gesagt, dass ich etwas Komisches im Motor gehört habe und wenn du gleich auf mich gehört hättest..."

"Hey, weich nicht vom Thema ab", protestierte er, die 'Spielregeln' im Hinterkopf. Er reichte ihr eine helfende Hand, als sie in eine unebene Ritze stolperte.

"Sorry", entschuldigte sich Scully etwas außer Atem. Es wurde zunehmend schwerer, sichere Stellen zum Auftreten zu finden, und sie war jetzt so müde, dass sie kaum vorwärts kam ohne zu schwanken. "In Ordnung. Es ist aber deine Schuld, weil du die Motorhaube geöffnet hast, obwohl ich geraten hatte, es bleiben zu lassen. Ich habe doch gesagt, dass der Motor qualmt, und du hast es mir nicht geglaubt."

Mulder nahm einen tiefen Atemzug der eisigen Luft und blies sie in einer kalten Wolke wieder aus. "Es ist deine Schuld, weil du mich nicht das Zündeln ausmachen lassen hast. Dann hätten wir das Auto jetzt wenigstens als Unterschlupf, auch wenn der Motor nicht funktioniert."

"Du hättest ja nicht mitkommen müssen", bemerkte Mulder und verstummte dann, als Scullys nächster Schritt sie in ein hüfttiefes verstecktes Loch beförderte. Sie fuchtelte mit den Armen in der Luft, um dort herauszukommen und er musste sich zügeln, um den Anflug eines Grinsens auf seinem Gesicht zurück zu halten.

Misstrauisch sah sie ihn an, bevor sie schließlich seine behandschuhte Hand nahm. Mulder zog sie hoch und hielt sie für einen Moment fest, während sie ihre Füße wieder unter sich sortierte und er sich umsah, um sich ein Bild zu machen, wo sie gerade waren. Er hatte seine Arme um sie gelegt, um sie zu stützen, und er merkte, wie sie zitterte. Er war auch müde, aber es war offensichtlich, dass Scully keinen Schritt mehr tun konnte.

Es gab absolut keine Orientierungspunkte in der Landschaft. Der Wald war völlig still bis auf das stetige Fallen der Schneeflocken und die Windböen, die gelegentlich die schweren immergrünen Zweige umher wehten.

Scully seufzte. "Weißt du was? Es ist meine Schuld, dass ich nicht einfach dem FBI-Anwerben den Rücken zugedreht habe und keine hervorragende Chirurgin geworden bin."

Mulder ließ sie los und rieb sich ungeduldig den Schnee aus den Augen. Er drehte sich langsam im Kreis und blickte sich um. "Naja, eigentlich ist es meine Schuld, weil ich dem Bureau beigetreten bin, um Täterprofile von Serienmördern zu erstellen, anstatt selbst einer zu werden. In dem Fall würde ich wahrscheinlich mehr respektiert werden."

"Ohne Zweifel", sagte Scully trocken. "Aber du hast recht. Es ist deine Schuld."

Er warf ihr einen raschen Blick zu und grinste dann schulterzuckend. "Wie auch immer. Jedenfalls glaube ich nicht, dass wir uns noch auf der Hauptstraße befinden."

Scully nickte. "Wir sind wohl schon seit zehn Minuten oder so nicht mehr drauf. Der Schnee ist hier anders, irgendwie nicht so dicht. Vielleicht ist es irgendeine Nebenstraße."

"Und du hast es nicht für wichtig erachtet, etwas zu sagen."

"Hätte keinen Sinn gehabt. Du hättest mir ja ohnehin nicht geglaubt. Vor zehn Minuten warst du noch viel zu sauer über den Wagen, als das du dir irgendwelche Kommentare von mir angehört hättest."

Sein Schweigen war eine stille Akzeptanz ihrer Argumentation.

"Mulder, wie weit war es bis zur Rangerstation von der Stelle, an der das Auto liegt?"

"Ein bisschen weniger als drei Meilen, laut Landkarte."

"Tja, wir haben jetzt ungefähr eine Meile hinter uns, bei der wir uns mächtig viel Zeit gelassen haben. Und jetzt schneit es sogar noch mehr."

"Ich weiß", nickte er. "Und wir sind von der Hauptstraße abgekommen. Ergo, wir schaffen es nicht mehr bis zur Rangerstation."

Sie drehten sich um und sahen auf ihre Spuren, die sie im Schnee hinterlassen hatten und sahen dann auf zum Himmel... wo der Himmel eigentlich beginnen sollte. Die tiefhängenden Wolken waren satt mit Schnee angefüllt, und die Sonne ging schnell unter. Unter den Bäumen standen sie bereits im Zwielicht.

"Sollen wir wieder zum Auto zurück gehen?" fragte Scully, als die Stille zu lang wurde.

"Es wird viel zu dunkel sein, bevor wir überhaupt die Hälfte des Weges hinter uns haben", sagte Mulder wahrheitsgemäß. Es würde auch nichts bringen zu betonen, dass Scully es gar nicht schaffen würde, weil der Schnee immer tiefer wurde. Ihr war das auch klar.  "Ich denke, es ist besser, die Nacht über hier zu bleiben und morgen früh zurück zum Auto zu gehen."

Scully machte sich nicht die Mühe vorzuschlagen, dass er ohne sie zurückgehen sollte und ihr von dort aus helfen sollte, wenn es dunkel werden würde. Sie sah keinen Grund darin, ihre Puste zu verschwenden.

Während Mulder begann, immergrüne Zweige mit seinem Taschenmesser abzuschneiden, sah sich Scully im Umkreis nach einem Unterschlupf um und versuchte, trotz Funkloch in den hohen Bergen ein Telefonsignal in die Außenwelt zu bekommen.

"Wir haben immer noch kein Glück mit dem Telefon", berichtete sie letztendlich, als sie zurück an eine Tanne mit niedrig hängenden Zweigen kam, unter der Mulder abgeschnittene Äste und Zweige aufstapelte. "Und der Wind scheint sich zu drehen."

Ihr Partner sagte nichts, sondern verrückte den Berg von Ästen unter dem Baum, so dass sie besser vom Wind geschützt würden, wenn er in der Nacht stärker werden sollte.

Scully duckte sich, schlüpfte unter die niedrig hängenden Zweige und griff nach einem Ast, den Mulder ihr reichte. Der Schnee fiel auf die Kapuze ihres weißen Parkas, als sie die voll beladenen Äste streifte. Da Mulder zu groß war, um aufrecht unter dem Baum zu stehen, tat Scully ihr Bestes, um mit den Ästen, die er ihr gab, einen Unterschlupf zu bauen. Sie verflocht die abgebrochenen Äste mit den hängenden Ästen zu einem Windabweiser, der gerade so als Dach durchgehen könnte und hielt das Gebilde so klein wie möglich, um die Wärme so gut es geht darin zu halten.

"Es wird den Schnees größtenteils abhalten", sagte sie, als sie etwas später wieder hervor kroch und sich Tannennadeln von den Handschuhen klopfte, "aber meine Pfadfinder-Leiterin wäre wenig beeindruckt."

"Meine auch nicht", stimmte Mulder auf Händen und Knien zu, während er Schnee auf ihre Konstruktion hievte, um es zu stützen und zu isolieren.

"Zum Glück werden sie's nie erfahren."

"Hast du Angst, dein Überlebens-Verdienstabzeichen zu verlieren?"

"Nein. Meine Hausbau-Marke."

Scully lächelte ein wenig und bückte sich, um in die Öffnung des Unterschlupfes zu sehen. "Wir brauchen noch ein paar Astenden für den Bodenbelag. Etwas zwischen uns und dem Schnee zur Isolierung."

Sie richtete sich auf und sah, wie Mulder wieder sein Messer zur Hand nahm und in der beginnenden Dunkelheit reuevoll die Klinge ansah. "Es wird nie wieder so sein wie vorher. Dieses Gehölz ist so hart wie alte Wurzeln."

"Ich kaufe dir ein neues", versprach sie.

"Du hast mir das hier letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt", erinnerte Mulder sie und verschwand zwischen den Bäumen, um noch mehr Äste zu holen.

"Okay, also diesmal denke ich mit und schenke dir eine Machete. Oder möchtest du lieber ein Schwert - ein Samurai-Schwert vielleicht, wie das von diesem Highlander-Typen im Fernsehen."

"Nein, danke. Viel zu groß, um es mit sich herum zu schleppen."

Scully grinste. "Tja, du könntest es dort tragen, wo er es auch trägt", schlug sie vor.

"Das glaube ich weniger." Er zog eine Grimasse und warf ihr einen Blick über seine Schulter zu. "Meiner Meinung nach kann er nie Vater werden, weil er besagtes Schwert immer mit sich herum trägt."

Als Mulder mit einem Arm voll Baummaterial zurückkam, hatte sie bereits ihre Rucksäcke sicher im Unterschlupf verstaut. Sie lagen als Kopfstütze neben dem Baumstumpf. Sie hatte auch so gut es geht den Schnee beiseite geschafft und bemerkte zufrieden, dass die zusätzlichen Zweige den Untergrund etwas weicher machten. Hoffentlich würden die harzigen Zweige ihre Körperwärme nicht in den eisigen Boden entweichen lassen.

Das Problem war, dass der Unterschlupf von außen sehr schlecht zu erkennen war. Der einzige Hinweis, der auf sie schließen könnte, war der niedergetrampelte Schnee und die Bäume in nächster Umgebung, von denen die unteren Zweige abgerissen worden sind. Such- und Rettungsaktionen würden es jedoch nicht vor Anbruch des nächsten Tages schaffen, das war klar. Es war also noch genug Zeit darüber nachzudenken, sich sichtbarer zu machen. Im Moment zitterten ihre Beine so stark, dass sie sich kaum aufrecht halten konnte. Es war bereits so dunkel, dass sie nur schwerlich Mulders uralte Geste "Ladies first" am Eingang der kleinen Hütte erkennen konnte.

"Es wird eng da drinnen, Mulder", warnte sie, als sie hinein schlüpfte.

"Das hoffe ich doch."

"Was?" kam ihre gedämpfte Antwort von drinnen.

Mulder kroch vorsichtig durch den Eingang und streckte sich der Länge nach umsichtig, um nicht die Seiten oder das Dach der Konstruktion zu erschüttern, neben ihr auf den Zweigen aus. "Ich sagte, ich hoffe doch, dass es eng wird, um uns warm zu halten. Ich glaube nicht, dass wir heute Nacht erfrieren, aber die Temperatur könnte morgen fallen, wenn der Sturm sich heute Nacht nicht austobt. Hast du Platz, um aufzustehen?"

"Ich denke schon", sagte Scully, während sie es ausprobierte.

"Kannst du diese Äste hier draußen vor den Eingang hängen? Es muss so wetterfest wie möglich sein."

Scully manövrierte ihren Weg an ihm vorbei und er machte sich so klein wie möglich. Als der Eingang effektiv gesichert war, kroch sie zurück und legte wieder sich neben ihn. Die Dunkelheit im Unterschlupf war fast absolut. "Also, Mulder, hast du irgendetwas zu Essen dabei?"

"Sonnenblumenkerne?" bot er ihr an.

"Das ist kein Essen", sagte sie entschieden. "Ich habe Trail Mix, Rosinen, ein paar Äpfel und einen Schokoladenriegel."

"Schokolade, Scully?" Er hob eine Augenbraue. "Ist die etwa zu medizinischen Zwecken dabei?"

Sie ignorierte ihn. "Und ich habe eine Flasche Evian."

"Noch etwas?"

"Ein Erdnussbuttersandwich."

"Was, kein Kaviar?"

"Okay, Mulder, was hast du?"

"Eine Banane, eine Dose Rosinen, und eine Flasche Wasser. Wieso hast du so viel mit, Scully? Du hast gepackt als ob du wüsstest, was passieren würde."

Er konnte sie in der Dunkelheit überhaupt nicht sehen, aber er spürte, dass sie einen Bruchteil einer Sekunde zögert, bevor sie antwortete.

"Mulder, wenn ich mit die in die Wälder gehe, habe ich gelernt, mich auf das schlimmste vorzubereiten." Ihre Stimme klang übertrieben sorglos. "Und was jetzt?"

"Hast du Hunger?"

"Nein, nicht wirklich. Mir ist nur kalt und ich bin müde."

"Ich auch. Dann heben wir uns das Sandwich für morgen auf. Mach schon mal den Reißverschluss deiner Jacke auf. Ich will sehen, was für ein Verschluss das ist."

Scully hörte das Geräusch des Reißverschlusses und einen Moment lang fühlte sie Mulders Hände ihren Parka öffnen. Mulder grunzte zufrieden.

"Passt er?"

"Ja. Am besten ziehen wir unsere Arme aus den Ärmeln. Komm etwas näher und halt still für eine Sekunde."

Scully tat es und verrenkte sich in dem kleinen Raum, der ihr blieb, um aus den Ärmeln herauszukommen. Sie lehnte sich zu ihm und hielt still, als Mulder die Reißverschlüsse ihrer beider Jacken zusammenschloss. Als das geschehen war, zog er ihr auch ihre Kapuze über den Kopf, legte seine Arme um sie und zog sie nahe an sich heran.

"Okay?" fragte er.

"Ich glaub schon."

"Bald wird's besser. Im Moment ist es noch so, als würde ich einen Eiszapfen festhalten", beklagte er sich, aber sie konnte das Grinsen in seiner Stimme hören.

"Ich weiß, ich bin eingefroren." Ein Zittern durchlief sie, als der Schnee, der sich oben in ihren Stiefeln gesammelt hatte, schmolz und ihren Knöchel herunter rann. "Aber du bist warm", sagte sie ein wenig überrascht und hielt ihn fester in einer dankbaren Umarmung. "Fühlt sich gut an."

Mulder runzelte die Stirn, seine Hände bewegten sich geistesabwesend über ihren Rücken auf und ab in dem Versuch, etwas Wärme in sie zurück zu bekommen. Sie war viel zu kalt.

"Scully, was hast du unter deinem Sweater an?" fragte er nach ein paar Minuten.

"Hmm?" Sie klang verschlafen. "Ähm.... ein Flannelhemd, ein T-Shirt und einen BH. Warum?"

"Und keine lange Unterwäsche unter deiner Jeans?"

"Nein. Warum?"

"Weil ich vermute, dass du viel zu viel Körperwärme verlierst. Du hast eine Menge zu Essen mitgebracht, aber dich nicht dick genug angezogen. Heute Nacht sollte es neben mir eigentlich gehen, aber morgen..." Er zögerte.

"Ja?" hakte sie schläfrig nach einem Moment nach, als er nicht weiter sprach.

"Morgen denken wir uns etwas aus", versprach er und nahm sie enger, als sie wieder zitterte.

Sie müssen morgen da raus, dachte er grimmig. Scully war nicht sehr resistent gegen die Kälte, und ohne ein Thermo-Hemd, um den Schweiß ihrer Wanderung durch den Schnee aufzunehmen, hatte sie sich zweifellos unterkühlt. Wie viel Schnee würden sie heute Nacht noch abbekommen? fragte er sich im Stillen.

Unbewusst verstärkte er den Griff seiner Hände an ihrem Rücken und sie drehte sich etwas und legte ihre Wange an seine Schulter. "Alles in Ordnung, Mulder?" murmelte sie automatisch, um zu sehen, ob er okay war.

"Ja, Scully, mir geht es gut", sagte er versichernd. "Ist dir wärmer?"

"Mmmhmm."

Er lächelte ob dieser Lüge. "Schlaf ein."

Er dachte ein wenig über ihre Möglichkeiten nach - und davon gab es nicht viele - bis er sicher war, dass sie schlief. Als er sich etwas bequemer hinlegte, reagierte sie nicht, und er ließ seine Hände ihren Rücken hinab gleiten zu ihren Hüften, um sie in eine noch engere, intimere Umarmung zu nehmen. Scully regte sich im Schlaf und Mulder ließ sie ein Bein zwischen seine schieben.

Diese extreme Nähe war sowohl angenehm als auch unangenehm für ihn, bemerkte Mulder, und seine Hände ließen ein wenig lockerer, als sie ihr Gesicht auf der Suche nach Wärme in seinem Hals vergrub. Er hatte in der Vergangenheit immer zu vermeiden versucht, in sexueller Hinsicht über Scully zu denken, denn er wollte ihre Freundschaft, ihre Partnerschaft nicht durch Sex ruinieren. Das hatte er auch immer geschafft, gab er zu. Er hatte zwar einen oder zwei Träume gehabt, aber er hatte daran gearbeitet.

Momentan war er jedoch viel zu müde und es war ihm viel zu kalt, als das ihn irgendjemand oder irgendetwas anregen würde. Trotzdem musste er zugeben, dass sie sich sehr gut so nahe und in seinen Armen anfühlte.

Sie seufzte neben seinem Hals und griff für einen Moment enger um ihn, bevor sie sich wieder entspannte. Und dieses Mal waren die Bewegungen seiner Hände an ihrem Rücken weniger wärmend als sie streichelnd, tröstend waren. Nach einer Weile ging ihr Atem wieder ruhig ein und aus und er ließ seine Hände an ihrem unteren Rücken.

Wie ihr Körper so nahe neben seinem lag, fühlte er sich wieder einmal daran erinnert, wie klein seine Partnerin doch war. Er konnte sie fast gänzlich einhüllen, so dass sie in seinen Armen verschwand, dachte er. Aber immer wenn sie im Dienst waren, verschwand er nie viele Gedanken an ihre Größe.  Ihr kompetentes, professionelles und nicht emotionales Verhalten brachte einen dazu, völlig ihre geringe Körpergröße und ihr Geschlecht zu vergessen. Manchmal fragte er sich, was für einen Preis eine Frau wie Scully zahlen muss, um als Bundesagentin genau wie ein männlicher Agent ernst genommen zu werden. Er fragte sich manchmal, ob der Preis dafür nicht zu hoch ist.

Er selbst hatte ihre Kraft und Durchhaltevermögen erlebt, auf die er sich verlassen hatte, vertraut hatte, und manchmal in der Zeit ihrer Partnerschaft für selbstverständlich genommen hatte. Scully arbeitete hart als seine Partnerin, sie war in jeder Hinsicht gleichwertig. Er wusste, dass sie nicht wollte, dass er das Gefühl hat, sie beschützen zu müssen. Er wusste genau, dass sie auf sich selbst aufpassen konnte, dass sie seine Hilfe nicht brauchte; er musste sich um sie nicht mehr als um andere Agenten sorgen. Und obwohl er einige Male für sie da gewesen war, hatte er immer das Gefühl gehabt, als würde seiner Unterstützung etwas fehlen. Er hatte dieses Gefühl, weil sie eine Frau in einer Männerwelt war, und sie soweit es ging niemals Schwächen zeigen würde. Sie wollte immer eine gewisse Kontrolle über die Situationen haben, in der sie sich befand, und Kontrolle über sich und ihre Emotionen. Er wusste, dass sie es hasste, sich vor ihm oder irgendeinem anderen Mann eine Blöße zu geben.

Und trotzdem hatte sie so viele Male hinter ihm gestanden und ihm geholfen, dass er aufgehört hatte zu zählen. Sie wollte lediglich nicht dasselbe von ihm als Wiedergutmachung. Er kam sich vor, als würde Scully immerzu geben und er immerzu nehmen.

Will sie keine Hilfe, fragte er sich schläfrig, oder hat sie Angst davor?  Hatte sie Angst davor was passieren würde, wenn sie ihre Fassade fallen ließ? Angst davor, was mit ihrem beruflichen Verhältnis passieren könnte - oder mit ihrem privaten?

Er musste in der Dunkelheit in sich hinein lächeln, und legte seine Wange auf ihren Kopf, wo er ihren Duft einsog. Scully würde ihm jetzt sicher die Leviten lesen, wenn sie wüsste, welche Gedanken er gerade hegte. Trotzdem wollte er ihr mehr geben als nur physische Unterstützung - das war für einen Mann immer einfach - sondern eine nicht so leichte Art von Hilfe.  Etwas, das sie annehmen würde. Vielleicht etwas mehr verbal...?

Mulder zuckte innerlich mit den Schultern und schloss die Augen. Er hatte keine Antworten, was die Frage nach seine Beziehung zu Scully betraf. Er war sich nicht einmal sicher, dass es da eine Frage gab. Er machte sich mehr Sorgen über den nächsten Morgen, und ob sie es mit ihm hier raus schaffen würde. Er war müde und die Probleme des nächsten Tages waren näher als ihm lieb war. Schlaf würde helfen. Hoffte er.

 

***

 

Scully wachte einmal in der Nacht auf, als ob sie aus tiefem Wasser auftauchen würde. Sie war sich nicht sicher, wo sie sich befand, in ihrem Kopf war alles verschwommen und wirr. Es war viel zu dunkel, um irgendetwas zu sehen, aber sie wusste, das der Geruch in ihrer Nase, das gleichmäßige Atmen neben ihrem Ohr, und die Arme um sie Mulders waren. Sie wusste nicht, warum er so dicht neben ihr lag. Sie hatte nur ein klammes Gefühl, dass ihr kalt war, aber sie wusste, dass Mulder sie fest hielt. Sie war beruhigt und ließ das Wasser wieder über ihrem Kopf zusammenschlagen.

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