World of X

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Vulnerability

von Lil Diamond

Kapitel 3

Rainbow - Forever as One

(Part 3 of 3)

Rainbow – Forever as one

Seit Stunden laufe ich nun schon durch die grauen Straßen.

Ziellos. Einsam. Sinnlos.

Der beharrlich niederprasselnde Regen stört mich nicht im Geringsten, während tausende Menschen mit schützend aufgespannten Schirmen leicht geduckt an mir vorüberhetzen.

Meine schwarzen Kleider hängen nass und schwer an meinem Körper, festgesaugt an meiner aufgeweichten Haut. Mein Haar hängt mir in dicken tropfnassen Strähnen ins Gesicht, versperrt mir fast völlig die Sicht.

Es stört mich nicht. Ich will gar nichts sehen.

Ein Mann brüllt mich an, beschimpft mich. Ich muss ihn wohl überrannt haben, ohne es zu bemerken.

Er schreit mich noch lauter an, aber ich höre seine Worte kaum.

Es ist mir gleichgültig, denn ich fühle nichts.

Weder die unangenehme Kälte noch die grausige Nässe, die durch meine Kleider gekrochen sind und meine Haut taub machen. Weder Freude noch Wut. Weder Furcht noch Trauer.

Nichts.

Seit dem ersten Schock nach dem Anruf habe ich nichts mehr gespürt.

Nicht das Geringste.

Dieser Anruf, in dem man mir erklärte, dass Mulder einen schweren Autounfall hatte. In diesem Augenblick habe ich mich noch an die Hoffnung geklammert, dass es ihm gut ging, dass er vielleicht im Krankenhaus lag und mich sehen wollte, obwohl ich schon wusste, was man mir gleich mit falschem Mitleid in der Stimme sanft beizubringen versuchen würde.

Er war tot.

Völlig unfähig auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, legte ich den Hörer auf, nachdem ich der Frau am anderen Ende der Leitung versichert hatte, dass es mir gut ginge. Dann ließ ich mich auf die Couch fallen, während die Erkenntnis und der Schock tief in mir wuchsen.

Alles schien sich um mich herum zu drehen. Schien mich mit demselben Mitleid anzusehen, das eben die Stimme der Frau verziert hatte.

Unerwartet packte mich plötzlich eine unerklärliche rasende Wut. Wut auf mich selbst. Wut auf Mulder. Wut auf die ganze verdammte unfaire Welt.

Ich habe irgendeinen Gegenstand hochgehoben und ihn mit all meiner Kraft durch den Raum geworfen. Dann einen anderen Gegenstand mit der Kraft purer Wut an die gegenüberliegende Wand geschmettert, dass er klirrend in tausend winzige, glitzernde Einzelteile zersprang.

Meine Wut ebbte so plötzlich ab, wie sie sich aufgebaut hatte und wich dem schlimmsten und längsten Heulkrampf meines gesamten Lebens, als meine Gedanken sich auf Mulder konzentrierten, sich auf uns konzentrierten.

Hilflos musste ich erkennen, dass ich fest davon überzeugt gewesen war, dass wir für ewig zusammenbleiben würden. Auf ewig vereint wären. Seelenverwandte, die sich gefunden hatten, um den Rest ihres Lebens und auch die Ewigkeit miteinander zu teilen.

Ich weiß, wie schrecklich übertrieben kitschig das klingt, aber es war doch genau das, woran ich fest geglaubt und was ich mehr als alles andere gewollt hatte.

Die Einsamkeit erdrückte mich fast, forderte den Schmerz in mir noch weiter heraus, bis harte qualvolle Stiche in meiner Brust mich fast am lebenswichtigen Atmen hinderten.

Ich glaubte, verrückt werden zu müssen, wollte meinen Kopf mit aller Kraft gegen die Wand schmettern, damit der Schmerz aufhörte, damit die Erkenntnis, dass er nie wieder bei mir sein, mich nie wieder lieben würde, zu einer dumpfen, unwirklichen Ahnung in mir schrumpfte.

Stattdessen saß ich einfach nur da, mein Gesicht in meinen Händen vergraben, und weinte unter heftigem Schluchzen.

Was hatten wir nur falsch gemacht, dass es so grausam enden musste?

Ich wusste, dass er zu trinken angefangen hatte, sobald ich ihn allein zurückgelassen hatte. Skinner hat es mir irgendwann einmal gesagt.

Also war es zum Teil auch meine Schuld.

Natürlich war es meine Schuld. Ich allein bin verantwortlich für seinen Tod.

Schon dieser Gedanke ließ meine Tränen in dicken Bächen über meine Wangen fließen.

Ich glaube nicht, dass ich jemals zuvor soviel geweint habe wie in dieser einen trostlosen Nacht.

Ich konnte einfach nicht damit aufhören.

So here I am

All alone

Don’t understand

Where did we go wrong

I can’t stop crying

Can’t take the pain

Knowing you

Won’t ever be

Back again

And it cuts like a knife

I’m going insane

Wishing you would

Show me love

Once again

I’m losing my mind

But I have to carry on

We were meant

To be together

Forever as one

Ich weinte so lange, bis mein Körper keinen einzigen Tropfen salziges Wasser für meine Tränen mehr hergab.

In jenem Augenblick änderte sich schlagartig alles.

Tief in mir spürte ich etwas aufsteigen. Immer weiter, um endlich aus der dunklen Tiefe an die Oberfläche zu tauchen.

In mein Bewusstsein einzudringen.

Und mit dieser Veränderung zerbrach etwas in mir. Ich konnte das Klirren tief in meinem Herzen hören.

Mein Körper schien für den Bruchteil einer Sekunde explodieren zu wollen, als die Fragmente mit einem letzten Schmerz in den unergründlichen Tiefen meiner Seele versanken, doch es setzte nur eine traurige Teilnahmslosigkeit ein.

Eine Gleichgültigkeit, die mich bis hierher verfolgt hat.

Nun irre ich seit heute morgen durch die von Menschen überfüllten und doch so einsamen Straßen. Seit Mulders Beerdigung, die mich nicht mehr im Geringsten berührt hat, weil ich zerbrochen bin.

Zersplittert wie ein Stück Kristall.

Unvollständig und leer.

Ich bin sofort nach D.C. zurückgekehrt, sobald ich die nötige Ruhe in mir gefunden hatte, jene erschreckende Gleichgültigkeit, die mich einerseits gänzlich von meinem Schmerz befreit, mir andererseits doch so schreckliche Qualen bereitet.

Zurzeit lebe ich in Mulders Wohnung, wozu ich aufgrund irgendeiner testamentarischen Verfügung, irgendeinem Kram, der mir ebenso egal ist wie alles andere, berechtigt bin.

Zuerst habe ich die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt, um vielleicht etwas zu finden, das mir zeigte, dass die Schuld an seinem Tod nicht allein auf meinen Schultern lastete.

Für eine viel zu kurze Zeit hatte ich diese grauenvolle Gleichgültigkeit durchbrochen, hatte sie sich irgendwohin verflüchtigt, wo sie mir nichts anhaben konnte, nachdem ich die mir so vertraute Wohnung betreten hatte.

Ich fand nichts, das mich hätte von meiner Schuld erlösen können. Nichts nahm mir meine Schuldgefühle und machte mich dadurch frei.

Wenn ich nur angerufen hätte, um ihm zu gestehen, dass das Leben in L.A. vollkommen beschissen war, dass ich nur noch zurück wollte.

Zurück zu ihm.

Aber ich habe es nicht getan, aus Angst. Weil ich vor so vielem Angst hatte.

Angst davor, wieder die Kontrolle über mich zu verlieren.

Angst davor, wieder zurückgewiesen und nochmals verletzt zu werden.

Angst davor, ihm die Wahrheit zu bekennen und eine Erklärung für seine Entscheidung zu fordern, wie weh sie auch tun mochte.

Zu seiner Beerdigung heute Morgen sind überraschenderweise viele Arbeitskollegen erschienen. Zu viele.

Solche, die ihn immer ausgelacht und für verrückt gehalten hatten, denen es egal war, was mit ihm passierte, und die ihn mieden, so gut es eben ging.

Diese Heuchler habe ich kaum ertragen können.

Die einzigen, die wirklich trauerten, waren Mum und Skinner. Ich konnte es an dem Schmerz, der sich in ihre Gesichter geschlichen hatte, ablesen.

Jener Schmerz, der auch bei mir nicht vorhanden war. Nicht mehr.

Ich sehe Sonnenstrahlen sanft durch den Regen blitzen, die Tropfen in kleine, glitzernde Juwelen verwandeln, die in einem silbernen Feuerwerk zerspringen, sobald sie den Boden berühren.

Sie sind so zart und zerbrechlich, dass für sie keine Möglichkeit zum Überleben besteht.

Ihre faszinierende, diamantene Schönheit zerbricht so unbarmherzig wie auch ich zerbrochen bin.

Meine Gedanken schweifen noch einmal zu Mulder, während ich zitternd vor Kälte durch die nasse Wiese zu dem kleinen Brunnen wandle, an dem ich so oft mit ihm gesessen hatte.

Ich habe mir seine Leiche angesehen. Er sah aus, als ob er schlief, nur eine bläuliche Verfärbung auf seiner Stirn deutete auf eine Verletzung hin und er war ein wenig blasser als gewöhnlich. So, wie in all den Zeiten, in denen er in Lebensgefahr schwebte oder einfach nur noch weniger Schlaf als sonst bekommen hatte.

Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Mulder stirbt. Ich habe es nicht einmal in Erwägung gezogen, obwohl er sich ständig in Gefahr begab, ständig in Gefahr war. Aber spätestens seitdem er diese merkwürdige, durch das Artefakt hervorgerufene Krankheit fast unbehelligt überstanden hatte, hielt ich es für völlig ausgeschlossen, dass er jemals sterben könnte. Erst recht nicht durch so etwas Banales wie einen Autounfall. Als Pathologin wie auch als Mensch hätte ich es besser wissen müssen.

Ich hasste mein Leben in L.A., glaubte aber, alle Zeit der Welt zu haben, um die Sache mit Mulder irgendwann zu klären. Er sollte den ersten Schritt zu einer Versöhnung machen, schließlich war seinetwegen auch alles kaputt gegangen. Doch er hat zu lange gezögert und ich habe somit meine Chance vertan.

Benommen starre ich auf den Brunnen vor mir, obwohl ich ihn nicht wirklich sehe. Er ist wie alles, was mich umgibt:

Unwichtig und unwirklich.

Der Sinn meines Lebens ist mit Mulders Tod verloren gegangen, während der Teil von mir, der so stark mit ihm verbunden war, dass er bei meinem Fortgehen mit ihm zurückblieb, auch mit ihm gestorben ist.

Jetzt verstehe ich auch dieses Gefühl von Ruhe und Gleichgültigkeit in mir. Nur dass es weder das eine noch das andere ist, sondern einfach Leere und Leblosigkeit.

Leere Leblosigkeit beherrscht das, was noch von mir übrig ist.

Ich habe die Person verloren, die mir am meisten bedeutet hat, für die ich ohne Bedenken achtlos mein eigenes Leben gegeben hätte. Den Menschen, dem ich bedingungslos und blind vertraut habe. Den einzigen Sinn in meinem jetzt wertlosen Leben. Das einzig Wichtige für mich.

Ohne Mulder bin ich nur noch eine leblose Hülle, die ruhelos bis zum Ende ihres Lebens umherwandert, um zuletzt Frieden im lange heiß ersehnten Tod zu finden.

Während ich meine linke Hand in meine Jackentasche gleiten lasse, hebe ich den Kopf und betrachte bewusst den Himmel, der nun nicht mehr mit einem düsteren Grau droht, sondern in einem freundlichen Hellblau alles wärmt. Hier und da strahlen noch einige verloren fallende Regentropfen in den warmen Sonnenstrahlen auf, die wundervoll lebendig mein tropfnasses Gesicht kitzeln.

Ein mild strahlender bunter Regenbogen, in den zahlreichsten Farbnuancen, die ich je in meinem ganzen Leben bewundern durfte, schmückt die einfache Schönheit des Himmels noch weiter aus, während ich, meines Atems beraubt, ergriffen dieses faszinierende Naturphänomen bewundere.

I know there is a rainbow

For me to follow

To get beyond my sorrow

Thunder precedes the sunlight

So I’ll be alright

If I can find that

Rainbow’s end

Zum ersten Mal seit unserer Trennung und seinem unerwarteten Tod fühle ich mich wieder durch und durch lebendig.

Heiße Tränen kullern über meine nassen kalten Wangen, verschleiern meine Augen, sodass die Sonne, der Himmel und der Regenbogen zu einem verwirrenden wunderschönen Bild aus leuchtenden Farben verschwimmen. Ein Anblick, der mich überglücklich und todtraurig zugleich macht.

Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe, was ich unabwendbar tun muss.

Langsam ziehe ich das kleine Fläschchen aus meiner Tasche, ein Überbleibsel meines letzten Falls. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wozu ich das Gift damals verwenden wollte. Aber das ist ja auch nicht weiter wichtig. Hauptsache ist, dass ich es jetzt bei mir habe und in meinen leicht zitternden Händen halte.

Ich richte meine Augen wieder auf das malerische Bild vor mir, den halbkreisförmigen Regenbogen, der sich verspielt und beruhigend zwischen Sonne und Himmel dahinstreckt.

Meine Tränen fallen noch immer ungeschwächt aus meinen Augen, rollen über meine Wangen, um dann auf meine Jacke oder den Boden zu stürzen. Manchmal sehe ich eine in der Luft funkeln, bevor sie schließlich in einem glänzenden Springbrunnen auf dem Boden explodiert.

Behutsam schraube ich den Deckel von dem Fläschchen.

Ein wundervoller Frieden herrscht in mir. Ein Frieden, der weit über das vom Menschen eigentlich Erfassbare und Fühlbare hinausgeht.

Ich fühle mich so leicht und frei, dass ich mich zu dem Glauben verleiten lasse, jeden Augenblick in die Luft zu steigen, um gleich einem bezaubernden Schmetterling in den verzauberten Himmel zu fliegen, der nur darauf wartet, mich in sein gütiges Blau aufzunehmen. Mich damit zu umfangen.

Meine Tränen versiegen. Die warme Sonne trocknet meine feuchten Wangen.

Ich habe meine Entscheidung getroffen und bin glücklich.

Glücklicher als Worte es je ausdrücken werden können.

Ich fühle mich unbeschwert und erlöst.

Endlich bin ich frei.

The End





I will be alright

If I can find that

Rainbow’s end
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