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Am Ende einer Nacht

von mel

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Noch immer hing die schwere, schwarze Nacht über der Stadt. Nur im Osten konnte man, wenn man ganz genau hinsah, die ersten Sonnenstrahlen sehen, die versuchten sich ihren Weg durch die dunklen Wolken zu bahnen, die die glühenden Sterne am Himmel verdeckten.

Überall herrschte diese unheimliche Stille, die einen unwillkürlich erschauern ließ und dazu antrieb, schneller zu laufen als gewöhnlich.

Nur wenige dunkle, schattenlose Gestalten fanden in dieser Nacht ihren Weg auf die Straßen, als ob irgendetwas sie davon abhielt und sie bat diese eindrucksvollen Momente nicht zu zerstören, die wie eine unsichtbare Decke über der Stadt zu liegen schienen.

Ganz sanft und leise konnte man die ersten Vögel ihren Gesang anstimmen hören. Doch im Vergleich zu anderen Tagen, die vor dieser Nacht existierten, waren es ruhige Klänge, die die Dunkelheit nicht zu durchbrechen wagten. Es war, als ob selbst sie es spürten.

Würde man den Ursprung dieses Zaubers suchen, würde es nur einen einzigen Ort in diesem gesamten Universum zu finden geben.



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Dana Scully erwachte. Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ob sie sich gerade daran erinnerte, was die Nacht ihr gebracht hatte?

Ob sie sich bewusst war, dass die Stadt wegen ihr so still und ruhig war?



Nein, ich will die Augen jetzt nicht aufmachen. Wer weiß schon, was mich dann erwartet.

Ob er noch immer neben mir liegt? Oder ist er schon hinaus in die kalte, dunkle Nacht getreten in der Hoffnung, ich würde es nicht merken?

Wird er diese letzten Stunden vergessen und sich wünschen, sie wären nie so verlaufen? Oder wird er sich sanft an mich schmiegen, wenn er erwacht und mir sagen, wie viel ich ihm bedeute?



Nicht dass sie es nicht schon wusste, wie wichtig sie ihm ist, nur sie hat diese Worte noch nicht aus seinem Mund gehört, außer damals im Krankenhaus. Aber das war nicht das Gleiche, er schien nicht er selbst gewesen zu sein.

Sanft drängten sich die Erinnerungen der letzten gemeinsamen Sekunden, Minuten, Stunden in ihr Bewusstsein, doch es kam ihr vor, als ob das alles vor Tagen, Wochen, Monaten, Jahren geschehen war. Zu neu und unbekannt waren die Gefühle, als dass sie sie eindeutig wiedererkennen und einordnen konnte.

Noch immer hielt sie die Augen geschlossen und horchte tief in sich hinein, konzentrierte sich auf das einzige, was sie erfüllte und ließ die Gedanken zu, die nun nicht mehr sanft, sondern voller Bestimmung und doch zärtlich aufkamen und alles andere überstrahlten. Langsam formten sich Bruchstücke, Bilder und schließlich Momente, die sich zusammenfügten und enthüllten, was zuvor geschehen war.



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Es war ein schöner, wenn auch verregneter Septembermorgen. Ich liebe die ersten Herbsttage, wenn die Tage kürzer und dunkler werden, die Bäume sich schon dem Rot zuwenden und alles von einem Hauch von Melancholie umgeben wird. Wie jeden anderen Morgen betrat ich Mulders Büro. Doch mit einer alles übertönenden Gewissheit spürte ich, dass etwas in der Luft lag, jeden einzelnen umgab und sich zwischen uns beide stellte. Und egal wie sehr wir auch versuchten so zu sein wie immer, so scheiterten wir kläglich. Den ganzen Tag herrschte eine ungewohnte, von mir so nie zuvor gefühlte Spannung zwischen uns, deren Ursprung wohl keinem bewusst war.



Doch im Grunde genommen war alles nur Routine. Die X-Akte, Mulders wüste Theorien, Scullys aufkommende Zweifel, später dann etwas Verständnis und Glaube für das, was Mulder glaubte und letztendlich die Feststellung, dass alles wissenschaftlich nachweisbar und alles, was auf unerklärliche Phänomene hindeutete, plötzlich verschwunden war.

Wie oft hatten sie das schon durchgemacht. War es da noch ein Wunder, dass es Scully langsam auf die Nerven ging?



Jedes Mal wenn Mulder auch nur andeutet, auf etwas in den Akten gestoßen zu sein, fühle ich schon leise Zweifel aufsteigen. Ich weiß genau, was dann folgen wird und wohl auch, wie die Geschichte enden wird. Und langsam aber sicher fängt es an mich zu nerven. Wieder und wieder frage ich mich, wie Mulder niemals aufhören kann mit seiner unglaublichen, scheinbar unendlichen Suche nach der Wahrheit.



Doch jetzt als sie dalag und darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass seine Suche nach der Wahrheit auch zu ihrer Suche geworden war. Und egal wie oft sie schon hatte aufhören wollen, es ging nicht. Nicht seitdem ihr Schicksal unwiderruflich mit seinem verbunden war. Und egal wie oft sie daran zweifelte, dass sie jemals Erfolg haben würden, war sie doch zufrieden mit dem, was passierte.

Es war ihr Leben und auf eine seltsame Art war sie froh jetzt hier zu sein. Wo würde sie sich befinden, wenn sie ihm niemals zugeteilt worden wäre? Vielleicht hätte sie eine wunderbare Karriere als Ärztin. Vielleicht wäre ihre Schwester nicht so früh gestorben. Vielleicht hätte sie niemals gegen den Krebs ankämpfen müssen. Wer weiß das schon?

Doch noch während diese Gedanken sie beschäftigten, wusste Dana instinktiv, dass es gut so war. Dass hier an Mulders Seite ihr Platz war. Dass sie nirgendwo anders lieber wäre als bei ihm. Dass alles irgendwie gut werden würde, solange sie nur bei ihm war.



Langsam rolle ich mich auf den Rücken, taste mit der linken Hand das Bett ab und denke ihn zu fühlen... doch da ist nichts als Leere und der Rest seiner Wärme, den die Decke noch versteckt hält. Wie in Trance lasse ich abermals meine Hand über die Decke gleiten in der Hoffnung mich getäuscht zu haben, nur geträumt zu haben, doch auch jetzt finde ich nichts anderes vor. Quälend langsam öffne ich meine Augen, starre an die weiße Wand, die nun in der Dunkelheit zu leuchten scheint.



Nein. Das ist nicht wahr. Das kann nicht wahr sein. Darf nicht.

Was ist passiert? Wo ist er hin? Bitte lass' mich nur träumen. Lass mich aufwachen und merken, wie er sich sanft an mich schmiegt, mich zärtlich in seinen Armen hält. Bitte! Lass das nicht wahr sein.


Danas Herz raste, pochte so laut, als ob die ganze Welt es hören müsste, aufhorchen und mit ihr leiden müsste. Allzu gerne würde sie sie teilhaben lassen an ihrem Schmerz, wenn er dadurch geringer werden würde. Doch sie wusste, dass dies nicht möglich war.
Wie könnte jemand jemals das gleiche spüren? Wie könnte ein Herz je solches Leid ertragen, wenn es keine Aussicht auf Linderung gab? Wie jemals wieder geheilt werden?

Mit vom Schmerz gekennzeichneten Gesicht schloss sie mühsam die Augen und kämpfte gegen ihre Tränen an. Sie wollte sie nicht zulassen. Durfte nicht zeigen, wie schwach Mulder sie gemacht hatte.

Schon als sie ihn bat zu bleiben, folgte sie nur ihrem Herzen. Wie sehr hatte sie sich selbst gewundert über diese Aufforderung, mehr noch als er es wahrscheinlich tat.

Doch sie musste es tun. Es war das einzig Richtige nach diesem Tag.

Er war noch abends auf einen Sprung bei ihr vorbeigekommen um gemeinsam mit ihr den Bericht zu Ende zu schreiben, aber dazu kam es gar nicht. Schon als sie ihm die Tür öffnete, fühlte sie die ungewohnte Spannung wieder, die in diesem Moment noch stärker zu sein schien als den Tag über und die sie beide vollkommen überwältigte.



Ehrfürchtig schweigend, so als ob ein einziges Wort schon alles zerstören könnte, was jemals geschah, saßen wir uns dann gegenüber. Ich weiß nicht, wie viele Minuten oder Stunden vergangen sind, in denen wir unsere Blicke nicht voneinander lösen konnten, bevor ich aufstand und zum Fenster ging. Ganz langsam neigte sich der Tag dem Ende zu und alles, was außerhalb von uns existierte, wurde ein bisschen ruhiger. Plötzlich, ohne dass ich sein Kommen auch nur hörte, stand er hinter mir, legte sanft und wortlos seine Arme um mich und so miteinander verschmolzen sahen wir gemeinsam zu, wie die Dunkelheit an Macht gewann und das Grau dieses Septembertages, das nur vereinzelt durch das Farbenspiel der Bäume unterbrochen wurde, verschlang.

Mit einem Gefühl von Geborgenheit, das keine Worte braucht und das ich so nicht kannte, und mit der Sicherheit, dass er für mich da war, schlief ich später umfangen von seiner Umarmung ein.



Sie hatte ihm geholfen sein Leben zu ertragen und er ihr, mit ihrem Kummer fertig zu werden. Sie haben immer schon wenig miteinander gesprochen und doch gab es eine unglaubliche Vertrautheit zwischen ihnen. Sie verstanden sich wortlos. In ihrem gemeinsamen Schweigen haben sie all die Verletzungen geheilt, die ihnen in ihrem Leben zugefügt worden waren.

In Erinnerung an diesen Moment schüttelte Dana nur leicht den Kopf.

War sie nicht sonst immer auf Distanz gegangen und hatte auf ihren Verstand gehört, wenn es um ihre Gefühle ging? War sie es nicht, die eine schützende Mauer um sich herum baute und niemanden an sich ranließ außer Mulder?

Doch mit der Zeit bröckelte die Mauer, was wohl daran lag, dass auch er sich ihr öffnete, sie an seinem Leben teilhaben ließ. Immer mehr wuchs diese einzigartige Vertrautheit zwischen ihnen und erreichte eine Größe, von der sie beide niemals geträumt hatten.



Was aber, wenn es falsch war ihn zu bitten zu bleiben? Was, wenn ich alles zerstört habe mit dieser einen Nacht? Würde es je wieder so sein wie davor? Würde jemals wieder diese Vertrautheit zwischen uns herrschen?



Warum zum Teufel habe ich nur dieses eine Mal auf meine Gefühle gehört? Mir war von vornherein klar, auch wenn ich es mir selbst gegenüber nicht zugab, dass das nicht gut enden würde. Nie zuvor hatte es das. Warum sollte es auch?

Ich habe doch gelernt, dass es besser ist auf Distanz zu gehen.



Gerade bei ihrer Arbeit, wo sie sich als Frau unter vielen Männern beweisen musste. Sie war kühl und manche sagten abweisend, aber sie musste so sein, zumindest nach außen hin. Wie sonst sollte sie sich behaupten?

Sie durfte keine Schwäche zeigen und die wenigen Male, die sie es zuließ, waren Augenblicke, in denen Mulder bei ihr war. Er hatte sie gelehrt, sich auch mal fallen zu lassen. Ohne Angst, sondern mit der Gewissheit sicher aufgefangen zu werden. Sie hatte lange gebraucht, doch er war geduldig, er wusste, dass sie es brauchte, so wie er es tat.



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Mulder!

Dieser Name spendet mir jetzt Trost. Er scheint das einzige zu sein, was mir von ihm bleibt, neben den Erinnerungen. Ich habe Angst, dass auch diese irgendwann verblassen, dass ich beginne ihn zu vergessen, seine Stimme, seine Art wie er mich anschaut, sein Lächeln, den Ausdruck in seinen Augen, ihren Glanz, die Wärme seines Körpers, seine sanfte Umarmung, alles...ich will es nicht vergessen. Darf es nicht. Niemals!



Wie gelähmt erhob sich Dana, schaute sich hilfesuchend in dem Zimmer um, das auf einmal kalt und verlassen wirkte. Ein kurzer, kühler Schauer durchfuhr sie und sie stand auf um sich etwas Wärmeres anzuziehen, obwohl sich alles in ihr gegen diese grausige Entscheidung sträubte. Könnte sie nicht einfach im Bett liegen bleiben und warten, bis er wiederkommt? Und hoffen, dass seine Wärme noch immer dort ist und nur darauf wartet sie zu umhüllen? Doch ihr war bewusst, dass es zwecklos wäre. Mulder würde nicht zurückkommen. Nicht diese Nacht.

Nicht dieses eine Mal.



Obwohl mir jetzt so angezogen wärmer werden müsste, friere ich noch immer. Ich habe das Gefühl, dass diese Kälte nicht körperlich ist, sondern vielmehr ganz tief aus meinem Inneren kommt. So als ob das Feuer, das einst in mir brannte, für uns beide brannte, erloschen wäre und sich die wohlige Hitze nun in Eiseskälte verwandelt hätte. Ich merke, dass mein Kopf zu glühen beginnt und lehne ihn sanft an das kühlende Fensterglas. Mein Blick schweift in die Ferne, driftet ins Nirgendwo, in die scheinbar unendliche Dunkelheit. Wie sehr möchte ich jetzt genau dort sein. Irgendwo. Egal wo. Überall, nur nicht hier. Nicht an diesem Ort, wo mich alles an ihn erinnert.

Wie gerne würde ich Tage wiederholen um mehr zu sagen – und um zu schweigen, wo es nichts zu sagen gab. Es lag so vieles greifbar, so unmittelbar in meiner Nähe, was ich ihm nicht gegeben habe. Doch egal, wie sehr ich es mir wünsche, es geht nicht. Ich kann es weder ungeschehen machen, noch kann ich die Zeit zurückdrehen.

Ist es vielleicht besser so? Musste das zwangsläufig passieren?

Ich muss zugeben, die Dunkelheit tröstet mich. Nie zuvor habe ich die Nacht mit solchen Augen gesehen. Ich verband mit ihr bisher immer Angst und Gewalt. Doch jetzt schützt sie mich, umhüllt mich, nimmt mich auf und trägt mich fort von hier. Ich lasse es zu und merke, es beruhigt mich, sodass ich für einen kleinen Moment Mulder vergessen und alles ganz deutlich vor mir sehen kann. Doch noch bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe, es auch nur ansatzweise zu begreifen, entlässt sie mich wieder aus ihrer Umarmung und zurück bleibt nur eine kalte und grausame Nacht.



Die Schönheit dieser Welt schien mit einem Mal für sie zu verblassen, denn jetzt, beraubt jeglicher Wärme und Geborgenheit, begriff Dana, was wirklich passiert war. Sie wollte nicht glauben, dass dies Wirklichkeit wurde. Sie wollte dass die letzte Nacht nur der Anfang war, dass nicht alles schon zu Ende war, bevor es überhaupt beginnen konnte. Sie wollte, dass Mulder wieder kam, sie sanft umarmte und daran erinnerte, dass dort ihr Zuhause war, in seinen Armen. Sie wollte, dass diese Nacht niemals aufgehört hätte, dass sie nie wieder alleine durch die kalte, graue Welt laufen musste, sondern immer durch seine Anwesenheit geschützt wurde. Sie wollte ihm all das geben, was er brauchte und all das, was er ihr gab, annehmen. Wollte jeden einzelnen Moment genießen, in seinen Armen liegen, genau jetzt, sicher und geborgen. Sie wollte wissen, dass er da war, sich um sie sorgte.

Sie wollte doch nur, dass er sie so sehr brauchte wie sie ihn.

Mehr verlangte sie nicht.



Es ist, als ob etwas in ihr gestorben wäre, so wie die Nacht stirbt in der dunkelsten Stunde vor Sonnenaufgang. Doch im Gegensatz zur Nacht, die scheinbar immer wiederkehrt, ist ein Teil von ihr unwiderruflich verschwunden.



Noch immer stehe ich am Fenster, meine Stirn an das kühlende Glas gelehnt. Der Tag bricht an und die ersten Sonnenstrahlen, die sich sanft auf mein Gesicht legen, wollen mich an dich erinnern.

Es ist nicht nötig.

Alles bist du.





~~END~~


Und mit jedem Atemzug deinerseits
wird der Nebel sich schlichten
und dir enthüllen,
was nie leugbar war
und immer schon vorhanden.
Und mit jedem Schritt deinerseits
wird ein neues Stück
sich zwischen unsere Wege drängen,
die einst untrennbar getrennt waren.
Und mit jedem Augenzwinkern deinerseits
wird die Sonne tiefer sinken
und längere Schatten werfen
auf das, was einst uns gehörte.



Ich aber werde mich an dich erinnern
wie die frühlingsgrünen Knospen an den Morgentau.



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Danke fürs Lesen.
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