World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Ein Neuanfang (Teil 2)

von XFilerN

Kapitel 7

Washington D.C.
J. Edgar Hoover Building
Am nächsten Morgen

Mulders Bericht an ihn war längst überfällig, doch Skinner wusste, Dank der Medien über den heftigen Blizzard Bescheid, welcher über Minnesota wütete. Die Telefonleitungen schienen defekt zu sein, da er Mulder nach mehrmaligen Versuchen nicht erreichen konnte. Selbst das Handy funktionierte nicht, vermutlich ebenfalls durch das Schneegestöber, nahm Skinner an. Er brauchte einige Augenblicke bis ihm die Idee kam, ein eMail an Scully zu schicken. Möglicherweise befand Mulder sich in ihrer Nähe, selbst wenn nicht, könnte sie trotzdem Bescheid wissen, wie es seinem Agenten ginge.

Er fragte sie in der eMail auch, ob sie ihm Auskunft über die Opfer geben könnte, für den Fall, dass sie keinen Kontakt zu Mulder hätte. Skinner war sich wohl bewusst darüber, dass Dana Scully nicht mehr zum FBI gehörte, dennoch konnte er sich, so hoffte er zumindest, auf einen Bericht von ihr einstellen. Er hatte immer gedacht, dass Mulder und Scully für immer ein Team bleiben und zusammenarbeiten würden. Es hatte ihn, wie ein Schlag in den Magen getroffen, als sie an jenem einen Morgen zu ihm kam, um ihre Kündigung einzureichen. Bis heute waren ihre Gründe für ihn nicht nachzuvollziehen, dennoch hatte er gelernt damit umzugehen. Seit ihrer Abwesenheit beim FBI hatte sich Mulders Sorgfalt in Bezug auf seine Arbeit zum schlechten verändert. Er war unkonzentriert, schlampig mit den Berichten und schlechter Laune seit Scully die Stadt verlassen hatte. Skinner betete quasi jeden Tag dafür, dass sie zurückkehren würde, bisher jedoch vergeblich. Durch ihr immenses Wissen in forensischer Medizin, durch ihre Objektivität, ihre Rationalität und ihre Unbestechlichkeit, war Scully zu einer der besten Agentinnen geworden. Sie fehlte nicht nur Mulder, wie Skinner zugeben musste, sondern dem gesamten FBI.


Minneapolis
FBI-Außenstelle
Zwei Tage später

Agent Bocks sah sich zusammen mit Mulder abermals die gesammelten Hinweise durch. Sie betrachteten sich die Fotos der Leichen, die Obduktions-Berichte und sahen sich erneut die wenigen forensischen Indizien an. Akte für Akte und Opfer für Opfer. Sie hofften nach wie vor, etwas Wichtiges übersehen zu haben, das sie nun entdecken konnten.

Seit diesem Morgen hatte das Unwetter endlich nachgelassen und sie konnten wieder ihrem Fall nachgehen. Agent Standon kam in das kleine Büro von Bocks und meinte „Scully ist auf Leitung zwei, Mulder“, bevor er das Zimmer gleich wieder verließ.

Bocks schaltete ihm die Leitung frei und übergab Mulder den Hörer. „Was gibt’s, Dana?“, wollte er wissen. Seine Stimme klang angespannt.

Scully erzählte, dass ihr Computer wieder funktionierte und sie eine eMail von Skinner erhalten hatte. Indem er sich nach dem Fall erkundigte und darüber, wie es ihm ginge.

„Ich werde ihn gleich anrufen.“ Mulder rieb sich nachdenklich die Stirn, als Scully seine Aufmerksamkeit erneut forderte.

„Das brauchst du nicht. Ich habe ihm schon eine Antwort, und alles was wir ... was du über die Morde herausfinden konntest, geschickt.“ Mulder lächelte, als sie weitersprach. „Du kannst dich doch auf meine Hilfe verlassen, dass weißt du hoffentlich, Mulder.“

Ihre weiche Stimme klang wie Musik in seinen Ohren. „Du bist ein Schatz, Dana.“

„Das weiß ich doch. Also bis später dann ...“

„Okay, bye.“ Mulder beendete das Gespräch und wandte sich wieder der Untersuchung der Akten zu. Bocks griff zum Telefon und bat seine Sekretärin um zwei weitere Tassen Kaffee, da Mulder unkonzentriert auf ihn wirkte.

Inzwischen waren mehrere Stunden vergangen, doch die Agenten hatten keine Fortschritte gemacht. Mulder hatte vorgeschlagen, nachmals die einzige Zeugin zu befragen, die sie hatten. Vielleicht hatten sie etwas an ihrer Aussage übersehen oder ihr war eventuell noch etwas eingefallen, das ihnen weiterhelfen konnte. Bocks war einverstanden mit Mulders Empfehlung. Die Agenten waren gerade im Begriff das Gebäude zu verlassen, als ihnen eine angeschlagen wirkende Frau im Treppenhaus begegnete.

„Helfen Sie mir ... bitte“, keuchte sie schwer atmend, „ich wurde von so einem Irren überfallen.“

„Beruhigen Sie sich erst mal, Miss“, meinte Mulder gelassen und führte sie in das Großraumbüro.

„Setzen Sie sich, bitte.“ Bocks zeigte auf einen der Stühle und winkte Agent Standon zu sich, der sogleich zu ihm eilte. „Diese junge Frau möchte eine Aussage machen, die Sie bitte protokollieren werden. Agent Mulder und ich werden unsere Zeugin befragen gehen.“

Standon nahm auf Bocks Anweisung hin neben der verängstigten Frau Platz, um ihre Aussage aufzunehmen.


Minneapolis / Innenstadt
Das Haus von Patrizia Stonepiper
Eine halbe Stunde später

Pat, so wurde sie von Freunden genannt, war gerade damit beschäftigt Sarahs Besitztümer zusammen zu packen, um sie an ihre Mutter zu schicken. Denn allein konnte sie die Miete für das Haus nicht aufbringen, also musste sie schnell Platz schaffen, um eine neue Mitbewohnerin zu bekommen. Sie hielt eine Fotographie von Sarah und ihr in der Hand, das sie an ihren Ausflug auf den Magic Mountain erinnerte. Sie hatten damals, vor einem Jahr, so viel Spaß miteinander gehabt und nun ... Pat konnte es noch immer nicht fassen, war ihre Freundin tot. Sie fuhr erschrocken zusammen, als sie durch ein Klopfen an der Haustür aus ihrer Erinnerung gerissen wurde. Sie steckte das Foto, als Andenken, in die Gesäßtasche ihrer Jeans und öffnete die Tür. Sie war sichtlich überrascht, dass Agent Mulder und Agent Bocks auf ihrer Türschwelle standen. „Dürfen wir für einen Moment reinkommen?“, fragte der jüngere Agent höflich.

Patrizia ging ein Stück beiseite um den Beiden Eintritt zu gewähren. „Selbstverständlich“, fügte sie ihrer einladenden Handbewegung bei.

„Wir müssen Sie nochmals befragen, Miss Stonepiper.“ Ein befehlerischer Unterton schwang in Bocks Stimme mit, woraufhin Mulder es bevorzugte, sie zu befragen. Sie sollten ihr schließlich keine Angst einjagen, sondern auf nützliche Informationen hoffen. Bocks hatte den Fall ganz offensichtlich satt, stellte Mulder fest, da er jegliches Feingefühl verloren hatte.

„Hatte Sarah möglicherweise noch andere Bekannte, denen sie etwas über ihr Rendezvous hätte erzählen können? Oder ist Ihnen noch was dazu eingefallen?“

Mulders ruhig gestellte Fragen behagten Pat wesentlich mehr, als die etwas ruppigere Art seines Kollegen, doch sie zuckte mit den Schultern. „Nein, ich wüsste niemanden. Und ich selbst habe Ihnen schon alles erzählt, was ich weiß. Haben Sie den Killer noch immer nicht fassen können?“, wollte sie wissen und sah Agent Mulder und Bocks abwechselnd fragend an.

Als Mulders Handy klingelte und er dranging, beantwortete Agent Bocks ihre überflüssige Frage: „Nein, das konnten wir nicht.“ Seine raue, unfreundliche Stimme löste Unbehagen in Pat aus. Sie war zerknirscht und wagte es nicht, weitere Fragen an die Bundesagenten zu richten.

Mulder beendete das Gespräch gleich wieder, wandte sich kurz an Pat. „Danke, dass Sie Zeit für uns hatten“, sagte er und ging auf Bocks zu, der schon in der offenen Tür stand, „Wir haben neue Hinweise. Das war Standon, der mir mitteilte, dass die Frau von vorhin, womöglich von unserem Killer angegriffen wurde.“ In aller Eile und ohne sich zu verabschieden, hasteten die Agenten zu ihrem Wagen und fuhren davon.


FBI-Außenstelle

Nachdem die Agenten ihre Zeugin Rebecca Garcia befragt hatten, klopften sie sich innerlich auf die Schultern vor Erleichterung. Sie hatten nun endlich die Hinweise, auf welche sie so lange gewartet hatten. Ein Zeichner des Bureaus entwarf ein Phantombild des Attentäters, welches Agent Standon durchs Internet schickte. Mit einer Warnung begleitet, sandte er es vorwiegend an sämtliche Kontaktanzeigen-Betreiber. Laut der Aussage von Rebecca Garcia, schlug sie ihn nieder, als er über sie herfallen wollte, wodurch ihr die Flucht gelang. Die Agenten konnten davon ausgehen, dass der Täter einige bleibende Merkmale, die auf den Kampf zurück zu führen waren, vorübergehend behalten würde. Was nach Zeugenaussage ein blaues Auge und höchstwahrscheinlich geprellte oder gar gebrochene Rippen beinhaltete. Bei Miss Garcia war der Angreifer an die Falsche geraten, da sie eine Selbstverteidigungs-Gruppe anführte. Sie schilderte den Agenten den Tathergang und beschrieb den Ort, an dem er sie zu überwältigen versuchte.

„Haben Sie ihn durch das Internet oder eine Anzeige kennen gelernt?“, hakte Mulder nach.

„Nein. Ich wollte nur einige Besorgungen machen, als er an mich herantrat.“

Bocks sah Mulder mit einer Mischung aus Neugierde und Besorgnis an: „Dann ist er bestimmt nicht unser Mann.“

Mulder schüttelte, bei Bocks’ Feststellung, energisch den Kopf. „Er könnte unter einer Art Entzugserscheinung gelitten haben. Er war wahrscheinlich, wie der Rest der Bevölkerung, gezwungen in seiner Wohnung zu bleiben. Und hatte deshalb dringender als bisher das Bedürfnis seiner Mordlust nachzugehen. Er konnte nicht darauf warten, ein Opfer durch seine Kontaktanzeige zu finden.“

Bocks sah Mulder ebenso überrascht, wie angetan an. Mulders Fähigkeit, die Indizien zu kombinieren, faszinierte ihn. Das war unter anderen einer der Gründe, weshalb er ihn zu dem Fall hinzugezogen hatte. „Er war also gezwungen zu improvisieren. Wollten Sie darauf hinaus, Mulder?“

Er nickte Bocks zu. „Genau das. Es wird trotz allem nicht leicht, ihn zu fassen.“ Mulder wandte seine Blicke von Bocks ab und sah seine Zeugin an. „Sie dürfen jetzt gehen. Wir melden uns wegen einer Gegenüberstellung, sobald wir ihn haben.“

„Vielen Dank“, erwiderte Rebecca, stand auf und verließ das Büro.

Mulder drehte sich wieder zu Bocks um. „Wir sollten alle Leute zusammentrommeln, die wir bekommen können und eine Suchaktion starten. Mit etwas Glück haben wir diesen Schweinehund bald geschnappt.“

Mulders Erleichterung, dass Scully, wider seiner Vorahnung, nicht gefährdet war, entlockte ihm einen tiefen Seufzer. Er, Bocks und Agent Standon teilten sämtliche Agenten und Polizisten, die sie bekommen hatten auf, und gaben jedem Zweierteam eine kleine Region der Stadt zur Überprüfung. Es würde eine anstrengende Suche werden, da auf jedes Team etwa hundert Haushalte kommen würde. Mulder ging gemeinsam mit Agent Standon los, um ihren Teil zu bewältigen.

Obwohl jedes Team eine Kopie des Phantombildes bei sich hatte, suchten sie offenbar vergebens den gesamten Nachmittag nach dem Verdächtigen. Erst nach vielen Stunden erhielt Mulder einen Anruf von einem der Teams. Eine junge Polizistin teilte ihm mit, dass sie ihn gefunden und verhaftet hätten. Sie gab Mulder die genaue Adresse des Verdächtigen, wo sie ihn erwarten würde, um sicher zu sein, auch den Richtigen gefangen genommen zu haben. Er wendete das Auto bei der ersten Gelegenheit und rief Bocks an.

Es klingelte einige Male bis er das Gespräch entgegennahm. „Wir haben ihn, Bocks“, erklärte er kurz und übergab Standon das Handy. „Geben Sie ihm die Adresse durch, wir treffen uns dann dort“, wies Mulder den anderen Agenten an. Dieser leistete seinem Befehl folge und sprach sich mit seinem Partner.

xXx

„Haben Sie seine Wohnung schon durchsucht, um sicher zu gehen?“, fragte Mulder die junge Beamtin.

Sie sah etwas unbeholfen aus und verneinte. „Ich wollte auf Sie warten.“ Offensichtlich war es ihr erster Einsatz, bemerkte Mulder, da sie sich kaum zu helfen wusste. Aber immerhin, sie hatte ihn festgenommen. Mulder und Standon waren sich sicher, auch ohne weitere Beweise, dass er der Richtige war. Agent Standon ging zur Heizung unter dem Fenster, an welche der Gefangene, mit Handschellen, gefesselt saß. Er führte ihn ab und brachte ihn zu dem Polizeiauto, welches unten am Straßenrand geparkt stand. Die Polizisten folgten ihm, um den Verdächtigen ins Revier zu fahren, während Standon auf seinen Partner Bocks wartete. Im Vergleich zu Mulder hatten sie, alle drei, wenig Erfahrung mit solchen Fällen.

Mulder durchsuchte jeden Winkel der Wohnung. „Irgendwo müssen sie doch sein“, sagte er zu sich selbst, als er das Wohnzimmer und anschließend die Küche untersuchte. Er wollte sie finden, die Herzen, seine Trophäen, denn kein Killer seiner Art warf die Auszeichnungen seiner erfolgreichen Morde weg. Das hatte Mulder schon an der Akademie gelernt. Dann endlich, nachdem er so ziemlich alle Schränke der Wohnung durchsucht hatte, fand er sie. Er erschrak, als ihm jemand von hinten auf die Schulter klopfte.

„Da sind sie ja. Meine Güte, wie krank muss ein Mensch sein, um solch jungen Frauen das Leben zu nehmen, um ihnen das Herz herauszuschneiden?“ Bocks sah unweigerlich, angeekelt auf die Gläser in Mulders Händen.

„Sehr krank, Bocks. Es ist barbarisch.“ Mulder starrte ebenfalls auf die Gläser, dann drehte er sich zu Bocks um, stellte die Behälter auf die Anrichte und fuhr fort. „Wir müssen die Waffe finden.“ Dem stimmte Bocks zu und half Mulder bei der Suche. Sie begannen im Wohnzimmer, wo Bocks sie letztlich fand und sie in eine Beweistüte steckte.

*Wie ein hungriges Tier auf der Suche nach Beute, schlachten auch heute noch Menschen andere ab. Nicht mit Krallen besetzten Pranken oder scharfen Fangzähnen. Nein, mit Messern oder Schusswaffen jeder Art. Sie töten nicht, um wie die Tiere an Nahrung zu gelangen, sondern aus purer Bosheit, Hass, Gier oder auch aus Neid. Menschen, die angeblich überlegene Rasse, der Wesen auf unserem Planeten, sie trotzen jedem Gesetz der Natur. Sie töten aus Mordlust, die sie aus ihrer tristen Welt befreit und ihnen für einige Augenblicke, dass Gefühl der Macht verleiht. Sie handeln ohne darüber nachzudenken. Sie interessieren sich nicht für die Menschen, denen sie vielleicht ein Familienmitglied oder einem Freund berauben. Zu einem dieser brutalen Menschen gehört auch Christoph Jenkins. Die Schlüsse, welche ich aus meiner Befragung gezogen habe, lauten wie folgt. Er hat vor wenigen Monaten seine Mutter, durch einen tödlichen Autounfall verloren. Sein Hass auf junge Frauen kann man darauf zurückführen, dass eine junge Frau im Alter von vierundzwanzig Jahren den Unfall verursacht hat. Aus meiner Untersuchung geht hervor, dass sie ebenfalls mit ihrem Leben dafür bezahlen musste. Sie starb direkt am Unfallort, wie auch die Mutter des Täters. Eine weitere Untersuchung, bezüglich der Entnahme der Herzen ergab, dass Christoph Jenkins wohl nie die Liebe einer Frau, außer seiner Mutter, erfahren konnte. Seine Morde waren daher Racheakte, aus Hass, an allen Frauen, denen er nicht näherkommen konnte, aus welchen Gründen auch immer. Die Tatwaffe, ein Skalpell, wurde zur weiteren Untersuchung an das örtliche, ballistische Labor geschickt. Nach den pathologischen Befunden zu urteilen, gibt es jedoch keine Zweifel, dass Meredith Brooks, Melanie Stone und auch Sarah Mitchel mit dieser Waffe ermordet wurden. Weshalb er seinen Opfern, die Lungen, die Lebern und die Nieren entnahm, um sie dann am Tatort zurück zu lassen ist noch ungeklärt. Der Fall Nr. 02101978 gilt als abgeschlossen.*

Nachdem Mulder sein Psychogramm, in Form eines Berichtes, zu Ende getippt hatte, lehnte er sich entspannt in seinen Stuhl zurück und starrte auf den Monitor des Computers. Er saß reglos da und ließ sich den Fall ein letztes Mal durch den Kopf gehen. Dann schickte er den Bericht nach Washington DC, in Skinners Büro, um ihn vollständig abhaken zu können. Was jetzt? Die Arbeit war getan und er musste zurück. Seine Arbeit an den X-Akten war noch lange nicht beendet - das würde sie niemals sein. Er liebte seine Arbeit, sie war sein Lebensinhalt, seine Beschaffenheit, das was ihn zu Agent Spooky Mulder machte. Doch gab es auch noch Scully, seine über alles geliebte Ex-Partnerin, die er nicht verlassen wollte. Ihm wurde klar, dass es Zeit wurde eine Entscheidung zu treffen.

Er wusste, dass er nun die Wahl zwischen den X-Akten und Dana Scully hatte. Würde er sich ihr zu liebe versetzen lassen? Würde er ihretwegen seine Suche nach der Wahrheit aufgeben? Würde er für sie, noch einmal von vorne anfangen und sich einen neuen, einen guten, Ruf erarbeiten und eine neue Existenz aufbauen? Fragen über Fragen gingen ihm durch den Sinn, doch wusste er längst, welche Liebe stärker war.


Scullys Haus
Einige Zeit später

Sie schaute nervös auf ihre Armbanduhr. „Wo steckt er nur?“, fragte sie sich. Scully befürchtete, dass ihm etwas geschehen sein könnte. Er hatte sie kurz darüber informiert, dass sie einen Verdächtigen hatten und er verhaftet worden war. Vielleicht waren unvorhergesehene Komplikationen aufgetreten? Möglicherweise dauerte das Verhör länger, als Mulder ursprünglich angenommen hatte? Scully wusste jedoch, dass er sie dann anrufen und ihr Bescheid geben würde. – Hoffentlich ist ihm nichts passiert – dachte sie bei sich. Plötzlich ging die Eingangstüre auf. Vom Wohnzimmer aus konnte Scully hören, dass es nicht Mulders Schritte waren.

Ihre Vermutung wurde durch ein fröhliches, „Dana, bist du da?“ Lucys Stimme bestätigt.

„Ich bin hier, Lucy.“ Scully trat aus dem Zimmer und ging auf sie zu. „Ich hab mich schon gefragt, ob du überhaupt noch nach Hause kommst“, sagte Scully mit einem Lächeln und begrüßte Lucy freundlich mit einer Umarmung.

Nachdem sie sich voneinander lösten, sah Lucy in Scullys Augen, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie machte einen traurigen und besorgten Eindruck. „Dana, stimmt was nicht? Ist was passiert, als ich weg war?“, fragte Lucy fürsorglich mit ruhigem Ton.

„Ich hoffe nicht. Mulder ist überfällig. Er wollte gleich nach Abschluss des Falles herkommen. Aber ...“

Sie hielt inne, als Lucy sie am Arm festhielt. „Er wird sich bestimmt bald melden. Vielleicht ist ihm was dazwischen gekommen, hm?“

„Das schätze ich auch. Du hast ja Recht“, erwiderte Scully ihrer Freundin mit gesenktem Kopf.

Sie standen im Flur und sahen sich eine Zeitlang nur an, bis Lucy auf ihre Tasche zeigte. „Ich gehe nach oben und packe meine Sachen aus. Ruf mich, falls du mich brauchst, okay?“ Sie hob die Tasche auf und ging die Treppen nach oben.

„Mach ich“, meinte Scully knapp und schlenderte in die Küche, um sich einen Tee zu kochen.

xXx

Sie saß am Küchentisch und rührte versonnen den Löffel in ihrer Tasse herum. Wieder warf sie einen unruhigen Blick auf die Uhr. Es war schon nach acht und Mulder hatte noch nichts von sich hören, geschweige denn, sehen lassen. Lucy war schon vor einer Stunde aus dem Haus zu einem Date gegangen und hatte Scully zurückgelassen. Ein leises, kaum hörbares Klopfen an der Tür, riss Scully aus ihren Gedanken. Ihr Herz begann zu rasen, als sie aufsprang und zur Haustür eilte, um sie zu öffnen. Es war, wie sie gehofft hatte, Mulder, der etwas bedrückt und unsicher auf der Schwelle stand. Sie warf ihm einem wütenden Blick entgegen, bat ihn jedoch herein: „Wo zum Teufel warst du?“ Sie schloss die Tür hinter ihm und folgte ihm in die Küche. „Ich habe mir Sorgen gemacht.“ Er wandte sich zu ihr um und wollte sie in die Arme nehmen, doch sie wich zurück. „Ich warte noch immer auf eine Erklärung, Mulder. Also wo warst du solange? Wieso ...“

Mulder unterbrach Scullys energische Fragerei, indem er ihr seine Hand vorsichtig auf den Mund legte. „Ich ... ich musste nachdenken und bin spazieren gegangen. Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du dich um mich sorgst. Das ist meine Aufgabe“, erklärte er beschwichtigend. Mulder streichelte Scully sanft durch ihr weiches Haar, woraufhin sie in seine Arme sank.

„Tu’ mir das nie wieder an.“

Er drückte sie fest an sich, bevor er sie nach einem Moment von sich schob und in Danas große, tränenfeuchte Augen blickte. „Ich liebe dich, Dana. Aber ich muss dennoch zurück nach Washington“, meinte Mulder flüsternd.

„Verstehe.“ Sie hatte befürchtet, dass dieser Augenblick kommen würde und wagte es nicht, ihm weiter in die Augen zu sehen. „Wann?“, fragte sie mit gesenktem Blick.

„Bitte sieh mich an“, bat Mulder und wartete, bis sie ihm wieder in die Augen sah. „Ich komme zurück. Ich werde Skinner um eine Versetzung bitten.“


Bei diesen Worten erhellte sich Scullys Gesichtsausdruck auf der Stelle. Sie konnte es nicht glauben, dass er sich scheinbar für sie entschieden hatte. „Bist du dir auch wirklich sicher, Mulder? Ich möchte nicht, dass du meinetwegen etwas tust, was du später bereuen könntest.“ Scully war sich wohl bewusst, wie viel ihm stets an den X-Akten lag, daher wollte sie ihn nicht zu etwas zwingen.

Mulder streichelte über ihre Wange und nickte langsam. „Ich war mir noch nie so sicher, das Richtige zu tun. Ich werde meine Arbeit nicht aufgeben, falls du darauf hinaus wolltest. Vielleicht kann ich sie trotz einer Versetzung fortführen.“ Sie nickte verständnisvoll und lächelte etwas schüchtern zurück.


Washington D.C.
FBI-Zentrale
J. Edgar Hoover Building
Zwei Tage später

AD Skinner saß hinter seinem Schreibtisch, in seinem Büro und las Mulders Antrag auf eine Versetzung, als dieser ihm von der gegenüber liegenden Seite des Tisches beobachtete. Mulder konnte sehen, wie Skinner die Augen etwas zusammen kniff, als ihm der Sinn dieses Schreibens klar wurde.

... Es lag inzwischen mehr als zehn Jahre in der Vergangenheit, seit Mulder dem FBI zugeteilt und die Universität beendet hatte. Seit seinem ersten Tag im Bureau stand er unter Assistant Director Skinners Leitung. Er wurde im Lauf der Zeit zu Mulders Vertrautem, da Skinner oft seine eigene Karriere, für seine Arbeit an den X-Akten, riskiert hatte. Skinner half Mulder und auch Scully so oft, dass er es schon nicht mehr zählen konnte. Und nun nach all dem, was Skinner für Mulder getan hatte, bat er erneut um seine Hilfe. Er bat ihn um eine Versetzung und darum weiterhin an den X-Akten und der Suche nach der Wahrheit weiter arbeiten zu dürfen ...

AD Skinner hob seine Blicke aus dem Schreiben und sah Mulder fragend an. Er nahm seine Brille ab, rieb sich kurz den Nasenrücken und begab sich auf einen der Stühle neben Mulder. „Bevor ich Ihnen eine Antwort gebe“, sagte Skinner resigniert, „hätte ich gerne eine Erklärung, Fox.“

– Fox - schoss es Mulder durch den Sinn. So nannte Skinner ihn selten. So selten sogar, dass er seinen Vorgesetzten etwas belustigt anlächelte, als er ihm zu antworten begann, „Sir, bei allem Respekt“, fing Mulder vorsichtig an, bevor seine Stimme fester wurde, „es ist privater Natur. Ich denke nicht, dass ich Ihnen Rechenschaft schulde.“

„Nein, aber als Freund kann ich, so dachte ich zumindest, eine Erläuterung der Umstände erwarten. Unter uns gesagt, Mulder, sind Sie mein bester Agent und ich gebe Sie äußerst ungern auf.“ Skinner hielt einen Moment inne und besann sich. „Es geht um Scully, nicht wahr?“

– Bingo- dachte er bei sich, als Skinner Mulders Mimik sah, - Volltreffer -. In all den Jahren hatte der Assistant Director eines von Mulder gelernt. Er konnte ihm anhand der Augen ansehen, wenn ihm etwas sehr ernst war. Dies war hier offenbar zutreffend. Skinner hatte sich, wie so viele Kollegen, gefragt, wann es zwischen den beiden funken würde. „Ich habe gestern ein Einschreiben bekommen, Mulder“, fuhr Skinner fort, als er keine Antwort bekam. „Es kam aus St. Paul.“ Agent Mulder blickte seinen Chef fragend an und wartete auf genauere Details. „Sie sollten es selbst lesen“, forderte Skinner ihn auf, als er seinen Gesichtsausdruck sah. Er reichte ihm den Brief, der auf seinem Tisch zwischen den übrigen Akten lag und wartete geduldig bis Mulder ihn gelesen hatte.

„Er ist von Scully?“, meinte Mulder ungläubig fragend, als er den Brief zu Ende gelesen hatte und sah Skinner überrascht an. Der wiederum hatte, offensichtlich auf eine Erklärung von Mulder gehofft. Der Hauptteil des Schreibens bezog sich auf die Bitte wieder zum Bureau zurückkehren zu dürfen, um an Mulders Seite arbeiten zu können. Sie fand scheinbar nicht die erhoffte Befriedigung, in ihrer Arbeit in der Gerichtsmedizin. Weshalb sie ihm nichts darüber erzählt hatte, wusste Mulder zwar nicht. Aber er freute sich sehr darüber, dass Scully wieder seine Partnerin werden wollte. „Ich werde sehen, was ich für Sie und Scully tun kann und Ihnen Bescheid geben. Bis dahin möchte ich, dass Sie zu ihr fliegen. Sie sollten sich einigen, wohin Sie versetzt werden wollen.“

Mulder schüttelte Skinner dankbar die Hand, lächelte ihm zu und verließ sein Büro.


Minnesota, St. Paul
Am selben Abend
Scullys Haus

Mulder hielt Scully fest umarmt, während sie im Bett lagen. Er nahm ihren Duft, das Gefühl ihres warmen Körpers nahe bei seinem, in sich auf und hoffte, dass dieser Moment niemals zu Ende gehen würde. Vor wenigen Stunden, als er um eine Erklärung gebeten und sie auch von ihr erhalten hatte, sagte sie ihm weshalb sie zum FBI zurück wollte. Sie erklärte Mulder, dass sie auf diese Weise besser auf ihn und das was er tat achtgeben könne. Sie wollte nicht zu den Frauen gehören, die ängstlich auf die tägliche Rückkehr ihres Partners warten müssen.

Am nächsten Morgen, als Scully wach wurde und sich verschlafen ihre Augen rieb, stellte sie fest, dass Mulder nicht mehr neben ihr lag. Ein kurzer Blick auf ihren Wecker verriet ihr, dass es erst kurz nach acht war und er offenbar schon früh aufgestanden sein musste.

Nachdem Scully geduscht und angezogen aus dem Bad kam, stand auch Lucy auf und trottete schlaftrunken die Treppen runter und ging in die Küche. „Hey, Lucy, du bist wohl spät nach Hause gekommen“, stellte Dana amüsiert fest, als sie ihrer übermüdeten Freundin dabei zu sah, wie sie Kaffee aufsetzte und vergaß das Pulver hinzuzufügen.

„Morgen, Dana. Ja, ich bin erst gegen halb drei Heim gekommen“, erwiderte Lucy und gähnte herzhaft, während Scully sie bat, am Tisch Platz zu nehmen.

„Ich mache den Kaffee“, sagte sie ruhig aber bestimmt zu Lucy und tat es ohne zu zögern. Sie unterhielten sich über die letzte Nacht und über die neuen Ereignisse, die sich ergeben hatten. Lucys Augen waren plötzlich weit aufgerissen, als Scully ihr von dem Brief an das Bureau und Mulders Entscheidung erzählte. Sie schien von einem Augenblick zum anderen hellwach zu sein und hörte Scully aufmerksam zu, während sie ihre Worte so schnell ausplauderte, als würden sie einen Wasserfall hinabstürzen. Scully konnte sich ihre Freude über die Geschehnisse nicht verkneifen und grinste übers ganze Gesicht, während Lucy eher verdutzt dreinschaute.

Diese konnte nicht glauben, was sie gerade durch Scully erfahren hatte. „Und wann wollt ihr umziehen? Kann ich in dem Haus bleiben oder muss ich mich nach was Neuem umsehen? Wohin wollt ihr beide eigentlich? Und bleiben wir dann in Kontakt?“

„Stopp!“, rief Scully, als Lucy sie mit Fragen überschüttete. Sie bemühte sich ruhig und gelassen darum, die Fragen ihrer Freundin zu beantworten und hoffte, dass sie es in der richtigen Reihenfolge tun würde. „Wir ziehen um, sobald wir eine Bewilligung von FBI bekommen und ein neues Haus gefunden haben. Ich rede mit Mr. Tipple darüber, dass du hierbleiben kannst. Wir wollen gerne nach Boston ziehen und selbstverständlich bleiben wir in Kontakt miteinander, Lucy. Wie kannst du mir eine dermaßen überflüssige Frage stellen?“

„Du wirst mir sehr fehlen, Dana“, meinte Lucy traurig, obwohl sie sich für ihre Freundin freute.

„Du mir doch auch“, erwiderte Scully und nahm Lucy fest in die Arme.
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