World of X

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New York 1982-88

von Konstanze Faust

Kapitel 3

***

"Ich hatte sie seitdem nicht mehr gesehen," sagte Scully und versuchte, nicht zu weinen. "In der Nacht haben Thomas und ich uns in Fa Suis Haus geschlichen, aber es war niemand mehr da. Nicht ihre Eltern und auch nicht mehr Fa Sui selbst. Thomas traf es sehr hart. Am Tag danach lag ein langer Abschiedsbrief von ihm in meinem Briefkasten. Er war zurück in die New Territories gezogen. Ich konnte ihm nicht hinterher reisen, ich hatte kein Geld dafür und ich wollte nicht in seinen Wunden herumstochern. Also machte ich im Sommer meinen Schulabschluß und begann, Medizin zu studieren. Seit ich die beiden nicht mehr hatte, wollte ich nichts mehr mit Märchen oder Beziehungen überhaupt zu tun haben. Irgendwie befriedigten mich die rohen Fakten, weil ich damit meine Gefühle vergessen konnte, zumindest für einige Zeit. Ich stürzte mich direkt in die Arbeit und wollte nichts anderes mehr wissen. Und bis zu diesem Bericht hatte ich es erfolgreich verdrängt..."

Mulder legte eine Hand auf Scullys Schulter. "Wollen Sie Fa Sui wiedersehen?" fragte er sanft. Scully nickte. "Ich glaube schon... Ich habe Angst, aber ja, ich will sie wiedersehen."

18.07.2000
13:56 Uhr
Chicago

Scully und Mulder saßen im Verhörraum des Chicagoer Police Department. Sie hatten alle der Zeugen ausgefragt und Scully glaubte nicht mehr daran, diese Befragung noch durchführen zu können. Sie war erschöpft und konnte ihre Gefühle jetzt schon kaum mehr unterdrücken. Unterm Tisch drückte Mulder kurz ihre Hände und lächelte ihr zu. Sie lächelte angestrengt zurück.

"Sie schaffen das schon," flüsterte Mulder. Dann öffnete sich die Tür. Ein Officer und eine junge, schlanke Frau betraten den Raum. Sie trug ein türkisfarbenes Samtkleid mit Fischen darauf und weiße Sandalen. Ihre knallgelben Haare waren zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Scully glaubte ihr Herz zerspringen zu fühlen. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie sie so abgemagert sah. Dunkle Schatten lagen unter Fa Suis Augen und ihre Haut schimmerte bläulich. Doch ihre Augen begannen zu strahlen und zu glänzen, als sie Scully erblickte.

"Dana..." hauchte sie. "Bist du... es wirklich?"

Scully preßte die Lippen zusammen und nickte unter den Tränen, die ihr die Wangen hinunterliefen. Sie stand auf und fiel ihr in die Arme.

"Oh, Fa Sui," preßte Scully hervor," ich wußte nicht, daß du noch lebst. Oh..."

Sie weinten sich beide in ihren Armen aus und Mulder saß daneben, von dem Bild vor seinen Augen gerührt. Noch nie hatte er seine Partnerin so gerührt gesehen. Durch das, was sie ihm erzählt hatte, konnte er wahrscheinlich nur zu einem winzigen Bruchteil mitfühlen, was sie spürte.

Langsam gingen die beiden auseinander und blickten sich in die Augen. Scully warf Mulder einen bettelnden Blick zu. Er nickte warm lächelnd. "Ich mach es," hauchte er ihr zu.

Scully lächelte erst dankbar zu ihm und dann zu Fa Sui. "Wir sehen uns nachher. Ich hab so viele Fragen..." flüsterte sie.

"Mir geht es auch so."

Es war so, als wären sie nie getrennt gewesen. Sie saßen in Scully Hotelzimmer und aßen die Sandwiches, die ihnen der Zimmerservice gebracht hatte. Mulder führte derweil die Untersuchungen fort. Er verstand Scully gut. Wenn sie solch eine Last in ihrem Herzen getragen hatten und jetzt alles wieder aufkam konnte sie sich trotz aller Professionalität nicht so verhalten, als würde sie dem Fall nüchtern gegenüberstehen.

"Ich hätte nie gedacht, daß du jemals zum FBI gehen würdest," sagte Fa Sui," du warst immer so verträumt und phantasievoll gewesen, aber nie so etwas wie eine Polizistin..."

"Seit ihr, ich meine Thomas und du, seit ihr aus New York weggegangen wart," meinte Scully langsam, "seitdem wollte ich nie wieder etwas fühlen. Ich wollte mich vor allem verstecken, was meine Gefühle wieder aufwecken könnte."

Fa Sui drückte Danas Hand. "Thomas... Er ist weg?" Sie preßte die Lippen zusammen.

"Er ist in die New Territories zurückgekehrt," antwortete Dana mit gepreßter Stimme," an dem Tag, nachdem du mit deiner Familie weggegangen warst. Ich habe ihn nie wieder gesehen."

"Meinst du, er lebt noch? Meinst du er hat mich betrogen?" Tränen rannen wieder Fa Suis Wangen hinunter. Dana drückte ihr Hände.

"Er ist in die New Territories gezogen, um dich nie zu vergessen." Sie holte einen zerknitterten Umschlag aus der Tasche ihres Mantels, der auf dem Bett lag. "Es steht alles in dem Brief. Lies ihn. Wenn du ihn liest, weißt du, daß er dich nie unglücklich machen würde."

"Weißt du," sie legte den Brief an ihr Herz," es war schrecklich, als ich weggehen mußte. Mein Vater hatte gesehen, daß ich schwanger war und hatte mich und meine Mutter gezwungen, zum chinesischen Festland zurückzukehren. Ich konnte die Sprache fast nicht mehr und fühlte mich schrecklich. Ich vermißte euch beide so. Als ich durch Zufall erfuhr, daß mein Vater mein Kind gleich nach der Geburt zur Adoption freigeben wollte, packte ich meine Sachen und floh. Meine Mutter ... starb kurz nach unsrer Ankunft in China. Sie hatte mir kurz vor ihrem Tod etwas Geld gegeben. Ich fuhr mit dem Schiff nach New York. Für das Flugzeug reichte das Geld nicht.. Dort brachte ich auch mein Kind zur Welt. Zur Zeit hat es mein Kindermädchen. Ich wollte damals wieder mit euch Kontakt aufnehmen, aber Thomas war verschwunden und du... du warst auch nicht da..."

"Ich habe damals studiert," erklärte Dana.

"Jedenfalls konnte mich mein Vater in New York sehr leicht finden, deswegen verschwand ich auch bald wieder, ohne euch je wieder getroffen zu haben. Ich mußte ja irgendwie Geld für mein Baby zusammenbekommen."

Bei dem Gedanken an ihr Kind lächelte sie wieder. "Er ist jetzt zwölf Jahre alt. So alt wie ich, als ich dich kennenlernte. Er ist so süß und so klug. Er heißt Julian. Julian Thomas Chan. Ich bin ja immer noch mit Thomas verlobt. Ich würde ihn nie betrügen. Doch aus der Not heraus wurde ich gezwungen, durchs Land zu streifen. Nur in einem Bordell in Chicago bekam ich Arbeit, sonst wäre ich wahrscheinlich auf der Straße gestorben. Es ist ein dreckiges Geschäft... Aber ich muß es machen, für meinen Jungen..."

Sie nahm sie in den Arm. "Du wirst es nie wieder machen müssen. Das verspreche ich dir. Nie wieder."

Zwei Tage später stand Fa Sui mit ihrem Sohn am Flughafen von Chicago. Sie strahlte übers ganze Gesicht, als Scully ihr die Hin- und Rückflugtickets gab. Sie drückte Fa Sui noch 400$ in die Hand.

"Dana, das mußt du nicht.."

"Doch ich möchte es." Sie lächelte sie warm an und umarmte sie. "Wir sehen uns bei eurer Hochzeit. Ich möchte das auf keinen Fall verpassen."

"Dana, du und dein Freund," sagte Fa Sui lächelnd und zeigte auf Mulder..., der weiter hinten auf Scully wartete. Er fragte sich, was Fa Sui meinte, als sie auf ihn deutete.

"Er ist nicht mein Freund," erwiderte Scully seufzend. Hatte sie wirklich geseufzt?

"Aber er ist doch so nett zu dir. Er schaut dich so an... Ich kenne dich doch."

Scully lächelte. Fa Sui kannte sie zu gut. Sollte sie sich etwa schon wieder verleugnen?

"Er ist nur seit sechs Jahren mein Partner beim FBI," erklärte Scully und merkte, daß sie das `nur` doch ein wenig zu sehr betont hatte.

"Ihr werdet meine Trauzeugen," sagte Fa Sui strahlend.

Scully nickte lächelnd. "Das machen wir liebend gerne."

Sie verabschiedeten sich und Scully schaute Fa Sui und ihrem kleinen Sohn melancholisch nach. Von legte sich Mulders Hand auf ihren Rücken. Sie lächelte.

"Mulder?"

"Ja?"

"Haben Sie einen Ausgehfrack?"

"Da müßte ich lange in meinem Schrank suchen, aber irgendwo werde ich mir schon einen besorgen können..." Er grinste und schaute ihr in die Augen. "Was?"

"Mulder, wir werden Trauzeugen!"

Es war ein wahnsinnig großes Fest im Chinatown von New York. Ein langer Hochzeitszug fuhr in Richtung St. Peters Church. Scully lächelte breit, als sie in ihrem rosafarbenem Satinkleid in der ersten Bank der Kirche saß. Sie saß neben Mulder, der in seinem geliehenen dunkelblauen Frack wie ein kleiner Junge im Konfirmationsanzug aussah. Sie blickte zu ihm hinüber. In der Kirche war es sehr still.

Sie hatte noch nie bemerkt wie gleichmäßig und zart sein Gesicht aussah. Seine Haare glänzten in der gestylten Frisur, die er zu dem Anlaß trug. Seine braunen Augen blickten nachdenklich zum Altar. Scully hatte das warme Honigbraun seiner Augen nie so deutlich gesehen. In der Stille glaubte sie ihr Herz schneller schlagen zu hören.

Sie lächelte leise. Dann erklang der Hochzeitsmarsch aus den Flöten der Orgel und die große Tür der Kirche öffnete sich. Thomas und Fa Sui betraten Arm in Arm die Kirche, zusammen mit dutzenden von Blumenkindern, in der ersten Reihe Julian Thomas Chan. Langsam gingen sie in Richtung Altar.

Fa Sui sah atemberaubend schön aus. Ihre gelben Haare hatte sie in kleinen Löckchen hochgesteckt und sie trug weiße Rosen im Haar. Der schneeweiße Schleier bedeckte ihr Gesicht. Ihr Kleid war aus weiß-rosa schimmerndem Satin, auf dem mit Flockprint tausend kleine Samtblüten aufgestickt waren. An den Armen trug sie lange weiße Samthandschuhe. Thomas trug einen völlig weißen Anzug mit einer silbernen Fliege. Scully hatte ihn nie glücklicher gesehen. Nicht in der Nacht hinterm Zelt war er glücklich gewesen, sondern jetzt. Als er Scullys Kleid sah, warf er ihr ein bedeutendes Lächeln zu. Mulder schaute Scully in die Augen und Scully mußte auch lächeln.

Die beiden hatten den Altar erreicht und Scully stellte sich zu Thomas und Mulder zu Fa Sui. Der Hochzeitsmarsch verklang und der Pfarrer begann zu sprechen.

"Wir haben uns hier versammelt, um diesen Mann und diese Frau in den heiligen Stand der Ehe zu erheben. Wenn jemand etwas dagegen hat, daß diese beiden Menschen heiraten, möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen." Die Kirche war absolut still. "Willst du, Thomas Chan, Fa Sui zu deinem dir angetrauten Weib nehmen, sie ehren und lieben und ihr die Treue halten, in guten wie in bösen Zeiten, in Gesundheit sowie in Krankheit, so antworte mit 'Ja'."

Thomas blickte lächelnd in die Augen des Pastors. "Ja, ich will."

"Willst du, Fa Sui, Thomas Chan zu deinem dir angetrauten Mann nehmen, ihn ehren und lieben und ihm die Treue halten, in guten wie in bösen Zeiten, in Gesundheit sowie in Krankheit, so antworte mit `Ja`."

Scully warf Mulder einen Blick zu. Er sah direkt in ihre Augen. Es ließ ihr Herz springen.

Fa Sui strahlte. "Ja, ich will."

"In Kraft des mir verliehenen Amtes erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau."

Scully reichte Thomas mit einem Lächeln den Ring den er Fa Sui an den Ringfinger steckte. Mulder gab den Ring für Thomas Fa Sui, den sie diesem gleich auf den Ringfinger schob.

Sie strahlten sich so glücklich an, daß die Zeit, bis der Pastor den magischen Satz sprach, ewig zu dauern schien.

Selbst dieser konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war die schönste Aufgabe, die er in seinem Amt erfüllen konnte. "Sie dürfen die Braut jetzt küssen."

Thomas hob den Schleier und legte ihn vorsichtig zurück. Sein Blick glitt fasziniert über ihr zartes Gesicht. Mit einem Lächeln näherte er sich ihr und küßte sie gefühlvoll. Beiden liefen die Freudentränen übers Gesicht, genau wie über das von Dana Scully. Sie erinnerte sich in dem Moment, an all die Augenblicke, die sie in ihrem Leben mit ihnen verbracht hatte. Der Tag im Kino, das Sommerfest, Fa Suis neunzehnten Geburtstag... Dieses Kapitel vergaß sie für den Moment und schluchzte kurz. Mulder nahm sie an der Hand. Sie spürte seine Haut warm unter ihrer und lächelte ihn an.

Als die Zeremonie vorbei war, eilte Scully mit Mulder an der Hand aus der Kirche heraus. Sie sah das glückliche Paar gerade und rief: "Thomas! Fa Sui!!"

Freudestrahlend eilten sie auf die beiden zu.

Scully lächelte und schaute Fa Sui an: "Entschuldige. Es heißt ja Chan Sui."

Ihre Freundin umarmte sie und Dana umarmte danach Thomas. Es war anders als damals am Zelt, es war eher wie in der Küche, als Fa Sui verschwunden war. Sie waren die besten Freunde und Scully war immer noch dankbar, daß alles so gut ausgegangen war. Sie hätten sich genauso gut für immer aus dem Weg gehen können, aber es gab keinen Grund mehr dafür.

"Herzlichen Glückwunsch, Thomas."

Er lächelte warm. "Danke. Tolles Kleid."

Dana lächelte und gab ihm noch eine kurze Umarmung, als sie zu ihrer Überraschung merkte, als Fa Sui den etwas abseits stehenden Mulder herbeigezogen hatte und ihn umarmte.

"Heiraten Sie sie," sagte sie quieckend vor Freude. "Machen Sie sie glücklich."

Mulder lächelte verlegen und blickte verwirrt zu Scully. Sie warf ihm einen `Ich hab keine Ahnung, von was sie redet`-Blick zu und mußte lächeln.

Das Brautpaar ging zusammen zu den anderen Gästen und Scully ging auf Mulder zu und nahm seine Hand.

"Was für eine temperamentvolle Frau. So ein hübsches Paar." Er blickte mit dem gleichen nachdenklichen und geheimnisvoll lächelnden Blick, wie noch vor ein paar Augenblicken in der Kirche, zu dem Paar.

"Mulder?"

Er blickte sie an. "Was ist?"

"Ich will."

Scully lächelte und Mulder runzelte überrascht die Stirn. Er nahm sie in die Arme und ihre Lippen berührten sich, als sie in einen ersten zarten Kuß verfielen.

Einige Meter entfernt flüsterte der kleine Julian Thomas Chan seiner Mutter etwas ins Ohr. Sie zeigte ihrem Ehemann Thomas zwei gewisse FBI-Agenten, für die ab heute alles ganz anders werden würde.


EPILOG:

Thomas Chan und Chan Sui lebe heute in dem über dem kleinen Fischer-Restaurant im Chinatown von New York, daß Thomas von seinem Vater vererbt wurde. Julian Thomas ist Schüler der 6.Klasse der Abraham Lincoln-Highschool und Klassensprecher der Klasse 6c.

Das Bordell in Chicago wurde einen Monat nachdem das FBI den Fall bearbeitet hatte, geschlossen und alle Prostituierten mit festem Wohnsitz und geregelter Arbeit ins Berufsleben eingegliedert...


ENDE
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