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For Eternity

von Konstanze Faust

Kapitel 1

***** TASCHENTUCH WARNUNG *****
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For Eternity

(Konstanze Faust)



Close your eyes

so you don't feel them

they don't need to see you cry

I can't promise

I will heal you

but if you want to

I will try



I sing this summer serenade

the past is done

we've been betrayed

it's true

Youth is wasted on the own

before you know

it's come and gone

too soon



You were there for summer dreaming

and you gave me what I need

and I hope you'll find your freedom

for eternity



You were there for summer dreaming

and you are a friend indeed

and I know you'll find your freedom

for eternity


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Ich glaube, dass es jeder mehr als schmerzhaft empfindet, wenn eine Person, die man liebt, leidet. Wenn es dazu noch die einzige Person auf der Welt ist, die man liebt, ist es beinahe so, als würde einen seine Fähigkeit zu lieben - das ,was einen Menschen menschlich macht - einen Todeskampf austragen, als würdest du selbst Tausend kleine Tode sterben, wenn die Schmerzen des anderen zu groß werden. Aber ich glaube nicht, dass ich sterben werde, bevor alles vorbei ist. Schließlich geht es hier nicht um mich, sondern um Scully. Sie braucht mich jetzt. Und deswegen darf ich nicht aufgeben. Es schmerzt, wenn die Person, die man liebt, leidet. Es schmerzt aber noch mehr, wenn dieser Mensch in einem nicht das Vertrauen zu haben scheint, sein Leiden zu zeigen und es zu verstecken versucht, in dem irrsinnigen Glauben, jeden mit einem strengen Blick davon abbringen können, sich Sorgen zu machen. Und vor allem mit demselben Blick jedem, der ihr helfen will, das Gefühl zu geben, ihr damit fast wehzutun. Nein, wehtun ist das falsche Wort, es ist eher das Eindringen in ein Teil ihrer Selbst, zu dem man keinen Zutritt haben dürfte. Fast das Gefühl, kein Gentleman zu sein. Sie sitzt einige Meter von mir entfernt, kein Lächeln auf dem Gesicht, aber ihre Lesebrille auf der Nase und die Haare hinter die Ohren gesteckt. Mit ihrem konzentrierten Blick auf den Bildschirm hätte sie einem ungeübten Augen direkt die Illusion verschaffen können, einen ganz gewöhnliche Schreibtischangestellte des FBI zu sein. Oder aus irgendeinem Büro irgendwo in den Staaten.



Niemand würde Verdacht schöpfen, aber ich weiß ganz genau, was sie mir mit dieser Haltung sagen möchte. Es ist so etwas wie `Lass mich in Ruhe, Mulder, auch wenn du weißt, dass ich nur so tue als wäre ich beschäftigt.` Doch manchmal glaube ich, dass sie nicht weiß, was sie will oder was sie braucht. Sie schaltet schon so automatisch in ihren Abblockmodus, dass sie gar keine Zeit hat, über irgendwelche Alternativen nachzudenken. Jetzt noch öfter als früher. Sie wollte kämpfen, weitermachen. Doch das hier nenne ich Verstecken. Diesen Luxus kann ich ihr nicht bieten, ich muss ihn ihr verwehren, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, dass ein ständiges Versteckspiel einen irgendwann innerlich auffrisst. Und Scullys Innerstes ist zu wertvoll, um von ihren Leiden erstickt zu werden.



Schließlich sehe ich von Tag zu Tag immer mehr den Glanz aus ihren Augen schwinden.



"Scully, bist du heute Abend frei?" Ich geben zu, nicht der galanteste Anfang, doch ein Anfang, der sie überrascht zu haben scheint. Sie blickt mich mit einer Mischung aus Unglauben und ihrem eisigen `Mulder, was soll das?`-Blick an. Ihre Maske scheint aber einen Moment zu schwinden.



"Mulder, was?"



Ich räuspere mich. "Na ja, ich wollte dich fragen, ob du heute gerne noch irgendwas machen wolltest", sage ich mit einem möglichst sanftem Ton und versuche, die Wut über ihre Sturheit aus meiner Stimme zu verbannen. Es scheint genau das Gegenteil von dem, was ich wollte, bewirkt zu haben.



Sie dreht sich wieder zu ihrem Laptop und murmelt ein neutrales "Ich glaube nicht".



Aber so einfach lasse ich sie nicht davonkommen. "Warum nicht?" Eine simple Frage, aber sie scheint sie nicht erwartet zu haben.



"Ich will halt einfach nicht!" Ja, schrei mich an, Partner! Sie hat früher kaum geschrieen, selbst wenn sie wirklich wütend war nicht. Schon das zeigt mir, wie unausgeglichen sie ist. Aber es ist mir lieber, wenn sie mich anschreit, als wenn sie mich irgendwie davon überzeugen will, dass alles in bester Ordnung ist und ich nicht den geringsten Grund zur Sorge hätte, weil sie es bisher ja alles allein geschafft hat. Was definitiv eine Lüge ist.



"Hast du vielleicht schon was vor?" Oh, der Ton in meiner Stimme macht sie rasend. Ich kann das Glühen der Wut in ihr beinahe fühlen. Der Wut darüber, dass ich sie nicht die geheuchelte Rolle spielen lasse, die sie gerne sein will.



"Nein", kommt ihre überraschend leise Antwort und die versteckte Traurigkeit in ihrer Stimme lässt alle Wut - wenn sie dagewesen war - auf sie mit einem Mal verschwinden. "Ich fühle mich nicht danach."



"Wir brauchen nichts aufregendes zu machen. Einen Spaziergang im Park oder..." Bevor sie ihren Protest, dass ich sie nicht schonen soll, laut aussprechen kann, füge ich mit einem flehenden Unterton hinzu. "Bitte, Scully, es wird dir gut tun."



Sie seufzt leise - als ob ich es nicht hören sollte - blickt auf den Boden und nimmt ihre Brille ab. Ich habe irgendwas in ihr berührt und sie scheint mit ihrem so sturen Stolz und ihren Gefühlen zu kämpfen. `Bitte, Scully, bitte...`



"Also gut."



Es war leise, doch ich habe es gehört. Ich kann mir ein dämliches Grinsen nicht verkneifen und hoffe, dass ich sie damit nicht verschrecke, doch - ich glaube es kaum - sie erwidert es. Schwach und ganz kurz huscht ein warmes Scully-Lächeln über ihr Gesicht und ich habe es gesehen. Ich glaube, ich bin der erste Mensch, der seit Wochen ein echtes Lächeln auf ihrem Gesicht gesehen hat.


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Die Luft ist kühl und frisch, von irgendwelchen Ecken her hört man leise Stare zwitschern und Grillen zirpen, doch sonst ist es völlig still, als Mulder und ich uns auf eine Bank am Rande des Washingtoner Zentralparks setzen. Bevor ich mich niederlasse, putzt er meinen Platz notdürftig mit einem Taschentuch ab, obwohl die Bank vollkommen trocken ist und breitet seine Jacke unter mir aus.



"Du musst das nicht machen," protestiere ich leise, als ich mich setze, gerührt durch seine Fürsorge, aber auch verlegen, durch die Bevorzugung, die er mir zuteil werden lässt.



"Scully, ich mache mir Sorgen um dich." Wenn ich nicht gesessen hätte, hätte mich sein Ausspruch sicher zu Boden gehen lassen, so weich werden meine Knie, durch die Ehrlichkeit und...Wärme?... Liebe? in seiner Stimme. Ich bin in letzter Zeit viel empfindlicher äußeren Einflüssen gegenüber geworden, doch selbst mein verstärktes Schutzschild, gegen alle um mich, kann das hier - nicht mal einen Teil davon - abprallen lassen. Es trifft genau dorthin, wo es hintreffen soll: Mitten ins Herz.



"Mulder...." fange ich an, meinen Kopf gesenkt, weil ich seinem Blick nicht mehr standhalten kann, ohne in Tränen auszubrechen. Ich rede leise, gedeckt, aber ich weiß, dass er mich hört. "Ich werde das hier durchstehen, ich muss. Andere Menschen haben auch mit Krankheiten zu kämpfen..."



Er hebt sanft meinen Kopf an und sein Blick beendet meinen Satz, ohne dass er etwas davon laut ausspricht. `Sicher, andere Leute haben auch mit Krankheiten zu kämpfen, aber kaum einer muss es allein durchstehen.` Er flüstert und ich bin mir nicht sicher, ob der nächste Satz nur seine Gedanken sind, die ich in meinem Kopf höre, oder ob er wirklich spricht. "Es ist keine Schwäche, sich manchmal helfen zu lassen, Scully."



Ich nicke, weil er Recht hat, er hat in Sachen, die mich betreffen, doch immer recht. Und auch, wenn mich das wütend machen müsste, tut es das nicht, weil ich irgendwie weiß, dass er mir die Wahrheit nur an den Kopf wirft, um mir zu zeigen, was ich brauche. Denn meistens weiß ich das nicht und ich muss mich oft aufs neue davon überzeugen, dass er es wissen kann.



"Scully, bitte leide nicht still in dich hinein. Ich kann nicht sehe, wie du dich innerlich kaputtmachst, nur aus dem Glauben heraus, stark sein zu müssen."



Seine Worte wirbeln alle sorgsam zusammengepressten Gedanken und Gefühle in mir auf - wie ein Sturm trockenen Wüstensand - und ich presse hilflos meine Lippen aufeinander. Es tut so weh, mein Hals brennt, als wären meine Emotionen aus Säure. Und in dem Moment, als seine Hand meine umgreift und sein warmer Körper mich umschließt wie eine Decke, weiß ich, dass ich es nie allein schaffen werde.


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Seit diesem Abend im Park weiß ich, dass es einen Weg gibt, sie zu erreichen. Ihre harte Fassade sanft zu umgehen. Ich hatte sie angebettelt, mein Herz ausgeschüttet, so dass es schon angefangen hat wehzutun, aber ich weiß jetzt, dass ich Schritt für Schritt zu ihr gelangen kann. Sie will immer noch nicht bevorzugt oder verhätschelt werden, aber sie akzeptiert meine Versuche, es ihr gut gehen zu lassen, immer öfter. Ich überrasche sie in letzter Zeit gerne und oft bekomme ich als Belohnung ein kleines `Mulder, das hättest du nicht tun sollen` und ein Lächeln, bei dem die Sonne aufgeht.



Ich habe mit Skinner arrangiert, uns nur noch Fälle zu geben, bei denen sie körperlich geschont wird. Ich hoffe, sie hat es nicht gemerkt, aber sie hört nicht auf mich, wenn es darum geht, es vorsichtig angehen zu lassen. Wir sind beide furchtbare Patienten, doch bei ihr nehme ich es nicht auf die leichte Schulter. Jede zu hohe Anstrengung bringt sie dem Unausweichlichen ein Stück näher. Ich versuche immer wieder, diesen furchtbarsten aller Gedanken zu verdrängen, so lange ich sie noch lebendig vor mir sehe, aber wie muss es für sie sein, als Ärztin? Durch ihr Fachwissen ist sie selbst als Wissenschaftlerin völlig davon überzeugt, dass jeder Tag der letzte sein könnte. Sie muss ihr Wesen verleugnen, um hoffen zu können.



Oder jeden einzelnen Tag, als ob er wirklich der letzte wäre, genießen.



Carpe Diem...


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... Memento mori. Es ist schwer, sich diese zwei kleinen Aussprüche in meinem Zustand nicht als Mantra zuzulegen. Ich will nicht ständig den Tod vor Augen haben; ich will nicht ständig wissen müssen, dass alles Schöne vergänglich ist. Ich will mich nicht mit den Freuden des Lebens im Übermaß bombardieren, bis mir schlecht wird und immer weitermachen, mit dem Gedanken in meinem Kopf hämmernd, dass ich sie vielleicht nie mehr erleben kann.



Es war noch nie meine Art, mich den Dingen hinzugeben und mit hoffnungsloser Völlerei auf das Unvermeidliche zu warten. Ich will das Unvermeidliche zum Vermeidlichen machen, den Tag mit dem Gedanken beenden, mich zumindest ein kleines Stück vom Ende entfernt zu haben, als mit einem Schmerz, ihm immer näher zu kommen, nicht einschlafen zu können. Wo selbst jeglicher Genuss diesen Gedanken nicht vollends bedecken, verstecken kann.



Ich habe nicht damit aufgehört, medizinische Journals oder das Internet nach Lösungsmöglichkeiten, neuen Behandlungsmethoden zu durchforsten. Das Gefühl, aktiv in den Lauf meines Lebens einzugreifen, ist wohl das, was meine Gedanken an den Tod am besten wegwischt. Mulder akzeptiert meine Art mit meiner Krankheit umzugehen und auch er sucht Tag und Nacht nach Lösungsmöglichkeiten statt mir zu sagen, die Arbeit sein zu lassen und das Leben zu genießen, so lange ich es noch habe. Doch das ist nicht das einzige, was er macht. Er teilt mir mit unglaublicher Sanftheit - ja, da ist eine sanfte Seite an ihm, der er nur für mir reserviert zu haben scheint - mit, mich nicht vor mir selbst zu verstecken. Mit seinen kleinen Anerkennungen und Berührungen erinnert er mich täglich daran, dass ich nicht der Krebs bin, sondern er ein Eindringling in meinen Körper und auch in meine Seele. Er rettet mich vor der Zerstörung meines Ichs, indem er mir zeigt, dass ich wertvoll bin. Dass ich, anstatt so zu tun, als wäre ich jemand Anderes, Gesundes, lieber meine Seele schützen sollte. Anstatt mich vor den Menschen zu verschließen, dagegen, meine Gefühle zu zeigen, zu kämpfen, sollte ich dagegen ankämpfen, hoffnungslos zu werden und die Energie, die noch in mir steckt, in die wichtige Schlacht, der Schlacht, bei der ich gegen den wahren Feind kämpfe, zu investieren.



Heute morgen lag eine Packung mit Schokomuffins auf meinem Schreibtisch. Nichts außergewöhnliches, aber etwas, was mir definitiv den Tag gerettet hat. Ich war an dem Morgen mit Nasenbluten aufgewacht, mein gesamter Bettbezug und mein weißer Lieblingspyjama waren mit roten, unauswaschbaren Flecken besprenkelt gewesen und nachdem ich sie notdürftig in einer Schüssel eingeweicht hatte, war mir schwindlig geworden, so dass ich beinahe wieder eingeschlafen wäre.



Ich hatte vergessen, dass ich mich nach dem Nasenbluten nie ruckartig bewegen durfte, aber in dem Moment hatte ich nur meinen Pyjama im Kopf gehabt, der außerdem ziemlich teuer gewesen war.



Nun ja, kurz nachdem ich wegen des Zeitmangels ohne Frühstück das Haus verlassen hatte, musste ich in der Straßenbahn - ich konnte in diesem Zustand unmöglich Auto fahren - noch ein paar Kopfschmerztabletten nehmen und mir von dem zwar rücksichtsvollen netten jungen Mann neben mir ein paar Schlucke Cola schnorren, weil ich außer meinem Laptop nichts von Zuhause mitgenommen hatte. Der Kerl hat wie alle anderen außer Mulder diesen mitleidsgetränkten Blick draufgehabt. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet, sicher hat er nur gedacht, ich hätte Migräne - wie Millionen anderer Menschen auf diesem Planeten - oder verschlafen.



Ich muss oft das Gefühl wegrationalisieren, durchschaubar wie Glas zu sein. Wenn mein letzter Anfall noch nicht so lange zurückgelegen hat, habe ich immer das Gefühl, so etwas wie `Verseucht mit Krebs` in großen, fettgedruckten Buchstaben auf meiner Stirn stehen zu haben. Ich war in einer zwar seltener gewordenere, aber immer noch auftretenden, hoffnungslosen, ausgelaugten Stimmung, bei der ich mir schon von vornherein klar gewesen bin, dass alles an diesem Tag nur noch schief laufen kann.



Ich hatte vor lauter dunkler Wolken über meinem Kopf ganz vergessen, dass ich einen äußerst hilfreichen und rücksichtsvollen Partner habe, der meine Gedanken lesen kann.



Mulder versteckt seine Gefühle hinter Sarkasmus, ich hinter rationaler Ernsthaftigkeit, doch am Ende sind wir doch nur zwei sich nach Liebe sehnende kleine Geschöpfe, die in sich in der Angst, verletzt zu werden, voreinander verbergen.



Oder die Gefühle durch ein drittes Medium übermitteln. Im Moment stellen die frischen Schokomuffins dieses Medium da und verschaffen mir das erste Lächeln dieses grauen Tages. Das Knurren meines Magens trägt sein übriges dazu bei. Auf die Packung ist ein kleiner Smiley gemalt und darunter steht Mulders liebe, geschwungene Unterschrift. Ich öffne immer noch den Smiley imitierend die Packung, aber nicht, bevor ich den Teil, auf den er ihn gemalt hat, herausreißen und in das Geheimfach meines Portemonnaies stecke, das langsam durch seine unzähligen kleinen Botschaften zu platzen droht. Kurze Zeit, und einen Muffin später, höre ich Schritte die Treppe herunterkommen und noch bevor er die Tür öffnet, kann ich den aromatischen Geruch von warmem Kaffee und Kakao in meiner Nase kitzeln fühlen. Seit neuestem überschüttet mein Partner mich mit Schokolade. Er bringt mir jeden Morgen einen Kaffee mit Kakaoaroma und meine Versuche, ihm mitzuteilen, dass da eine Menge dickmachender Kalorien enthalten sind, scheinen gegen sein immerwährendes Argument "Aber Schokolade macht glücklich" nichts ausrichten zu können.



Und solange Schokolade einen Versuch seinerseits darstellt, mich glücklich zu machen, werde ich mich davor hüten, ihn abzuwehren. Er begrüßt mich mit einem breiten Lächeln und stellt den dampfenden Kaffeebecher auf meinen Schreibtisch, als ich versuche, die herausgerissene Stelle auf der Packung mit einem Muffin zu verbergen. Er scheint es nicht bemerkt zu haben, sondern haucht mir seinen morgendlichen Kuss auf die Stirn.



"Gut geschlafen?", fragt er, als er sich genau den Muffin schnappt, den ich als Tarnung genutzt habe. Schnell ersetzt ich ihn durch meine Hand. Das scheint ihn stutzig zu machen. "Ich darf doch, oder?"



Ich lächle schnell, ein wenig erleichtert. "Sicher. Danke für die Muffins."



"Immer." Er blickt über meine Schulter, auf den Bildschirm meines Laptops. "Und, schon was rausgefunden über Dr. Beldon?" fragt er mich, sich auf die Homepage des Arztes beziehend, der eine Behandlungsmethode entwickelt hat, die Krebspatienten mit einer einzigen Behandlung wochenlang von Kopfschmerzen befreien soll.



Ich schüttle den Kopf. "Seine E-Mail Adresse scheint nicht zu existieren. Meine Mails werden immer wieder zu mir zurückgeschickt. Und bei der angegebenen Telefonnummer nimmt keiner ab."



Mulder beisst sich nachdenklich auf seine volle Unterlippe. "Irgendeine Ahnung, wo er seine Praxis hat?"



Ich zucke mit den Schulter. "Der Vorwahl nach zu urteilen, irgendwo im Süden von Iowa..." Plötzlich muss ich vom Bildschirm wegschauen. Ein leichter Schwindel erfasst mich und ich habe fast das Gefühl, in den Nebeln des Morgens nur geträumt zu haben, wirklich die Kopfschmerztabletten genommen zu haben. Ich klappe den Laptop zu, nicht mehr die Strahlen des Bildschirms ertragend und lasse mein Gesicht in meine Hände fallen.



Diese ruckartige Bewegung verwandelt die Benommenheit in ein regelmäßiges Pochen irgendwo vorne in meinem Gehirn, so als wollte dieser verdammte Tumor durch ein ständiges, schmerzhaftes Pulsieren an der Wand meiner vorderen Schädeldecke auf sich aufmerksam machen.



Tausende bunte, flimmernde Punkte tanzen hinter meinen Augen und ich höre von weit her Mulders besorgte Stimme, jedes einzelne sanfte Wort in meinen Ohren und Kopf ein Hammerschlag,



"Scully, alles in Ordnung?"



Nichts ist in Ordnung, Mulder, nicht... ich fühle mich, als würde sich die pure Hölle in meinem Körper zusammenbrauen und ehe ich es verhindern kann, drehe ich mich nach links von Mulder weg und übergebe mich mitten auf dem Bürofußboden, in starken, alles in mir herausreißenden Stößen. Der Schwindel ebbt langsam ab, nachdem ich das Gefühl habe, dass vor mir meine stinkenden Eingeweide liegen. Ich falle in meinem Stuhl zusammen und alles wird schwarz. Das nächste, was ich spüre, ist ein kalter feuchter Lappen an meinem Mund, Mulders flüsternde Stimme in meinem Ohr und den beißenden Geruch von Erbrochenem und Zitronenreinigungsmittel.


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Nach einigen ewig erscheinenden Minuten öffnet sie endlich ihre Augen und schaut mich benebelt und erschöpft an. Ich atme auf. "Willkommen zurück." Ich wische ihr den Mund vorsichtig sauber, mit dem dritten Eimer frischen Wassers, den ich geholt habe, um den Fußboden sauberzumachen, während sie ohnmächtig war. "Jesus, Scully, hast du mich erschreckt! Geht's dir wieder besser?"



Sie nickt leicht und schließt erneut die Augen, es scheint sie eine neue Welle von Schwindel zu erfassen. Zu meiner Erleichterung öffnet sie sie gleich wieder. "Entschuldigung für das mit dem Fußboden..."



Ich denke, ich höre nicht richtig. Sie entschuldigt sich noch dafür?! Das kann doch nicht sein. Um sie davon abzuhalten, weiter so etwas zu reden, lege ich einen Finger auf ihre Lippen.



"Entschuldige dich für nichts, woran du nicht schuld bist, Scully. Und ich glaube, wir gehen jetzt ein bisschen an die frische Luft..." Bevor ich damit noch mehr Schaden anrichten kann, nehme ich den autoritären Ton aus meiner Stimme. "Du kannst heute nicht mehr arbeiten. Wir können ein bisschen reden, wenn du willst. Oder..."



Sie seufzt. Sie seufzt oft, aber nicht immer gleich. Das ist eindeutig ein `Ich hasse es, mich ergeben zu müssen`-Seufzen.



Aber ich muss verhindern, dass sie ihren Kampf zu erbittert führt. Das würde sie schwächen und dem Krebs ein leichtes machen, sie zu überwältigen. Ich streiche sanft über ihre Haare. Auch wenn sie es nie sagt, weiß ich durch ihre Körpersprache, oder vielleicht auch einfach nur instinktiv, wie sehr sie sich nach Berührungen sehnt.



Sie sind es wahrscheinlich, die ihr am meisten Kraft schenken. Ich möchte sie viel öfter berühren, aber die Überreste meiner Furcht, ihr zu nahe zu treten und dass die Berührungen für sie auf etwas hindeuten könnten, was sie nicht will, halten mich immer noch oft davon ab.



"Okay," meint sie leise. "Okay, Mulder."
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