World of X

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For Eternity

von Konstanze Faust

Kapitel 2

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Wenn ich heute zurückdenke, wie ich mich auf den Kampf als solchen konzentriert habe, ohne jemals wirklich etwas zu erreichen, hätte ich mich damals lieber etwas umsehen sollen und ein bisschen mehr nach dem mir so verhassten Lebensmotto Carpe Diem handeln sollen. Es hätte sicher nichts an dem Lauf geändert, den die Dinge genommen habe, aber es hätte mein Gefühl, etwas verpasst zu haben, vermindert. In dieser einen Nacht im Krankenhaus habe ich Mulder gesagt, dass ich mir und einigen Leuten noch etwas beweisen müsste. Vielleicht wollte ich ihnen ja beweisen, dass es durchaus einen Sinn gehabt hat, dass ich auf die Welt gekommen bin. Dass auch ich etwas schaffen konnte, dass über meinen Tod hinaus existierte. Dass ich den richtigen Weg gegangen bin und mein Leben durchaus einen Sinn gehabt hat. Ein Ziel.



Doch die Wahrheit ist, ich habe allen und auch mir nur bewiesen, wie falsch ich lag. Nur um dieses merkwürdige fast schon erzwungene Pflichtgefühl zu erfüllen, etwas Sinnvolles zu tun, habe ich die wahren Chancen auf etwas für mich wirklich Gutes weit von mir gestoßen. Ich war so damit beschäftigt, gegen den Krebs zu kämpfen, dass ich mich selbst und meine Bedürfnisse von mir gewiesen habe, in der irrigen Annahme, sie würde mich der Niederlage näher bringen.



Was war denn in den Nächten, in denen ich allein im Internet nach der entscheidenden Wunderwaffe gegen meine Krankheit gesucht habe? Ich war blind; blind für die Tatsache, dass nicht die Stärkung meines Verstandes meine Rettung war, sondern die Bekräftigung meiner Seele meine Energie für den Kampf hervorbrachte. Und auch die bitteren Tränen, die mein schwacher, schmerzender Körper in der Dunkelheit ausweint, können daran nichts ändern.



Fast schon verspottend zeigen das EEG und das EKG piepend die Überreste von dem an, was jetzt wohl mein Leben ist.



Ohne Unterbrechung... piep...piep...piep... Ich muss mich davon abhalten, zu hoffen, dass das Piepen endlich aufhört.



Bis vor ein paar Stunden war Mulder noch hier gewesen. Ich habe ihm gesagt, er solle heimgehen und sein Leben führen. Er sagte, ich sei sein Leben. Es hat mich berührt, doch mir entkam nur ein bitteres Lachen. Ich, sein Leben?



Ich bin nur ein von der Chemotherapie mittlerweile kahles Restbild, von dem, was ich mal war, zitternd und würgend vor Schmerzen. Ich habe ihm das nicht gesagt, es hätte ihn nur noch mehr dazu gebracht zu bleiben. Ich habe mich einmal mehr vor ihm verschlossen und so getan, als ob ich schlafen würde. Irgendwann ist er dann gegangen.



Und nun liege ich hier, hoffnungslos, auf der Suche nach einem Moment, der meinem Leben zumindest den Bruchteil eines Sinns geben würde. Ich schwebe...


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Die lange Spaziergänge waren immer seltener geworden. Ich hatte nicht mehr viel Kraft, also fuhren wir meistens mit der Straßenbahn in den Park. Ich mochte es, weil ich mich beim Autofahren nicht so gut mit ihm unterhalten oder seine Hand halten konnte.



Ich mochte die Menschen um uns, denn mit ihm hatte ich immer das Gefühl, fast schon normal zu sein. Manchmal stellte ich mir vor, die Leute würden denken, er wäre mein Mann.



Normalerweise gingen wir nur nach der Arbeit eine oder zwei Stunden spazieren, aber heute war der erste Sonntagnachmittag, den wir miteinander verbrachten. Wir setzten uns auf unsere Bank am nördlichen Rand des Parks. Er kaufte uns zwei Tüten Eis und in diesem Moment wusste ich irgendwie, dass es Hoffnung gab. Es waren immer die kleinen Dinge zwischen Mulder und mir, die in mir das meiste auslösten. Vielleicht weil der Rest unseres Lebens in seinen Dimensionen schon längst jenseits der Grenze von extrem lag.



Wir aßen im Schatten des großen, im Sommerwind raschelnden Kastanienbaums unser Eis, unterhielten uns über die banalsten und doch schönsten Themen der Welt und lernten ganz unbewusst eine ganz neue Seite am anderen kennen. Ich glaube, dass dieser Nachmittag die schönsten Stunden meines Lebens waren, sie brachten die Schatten von Erinnerungen an fröhliche sommerliche Familienausflüge wieder in mein Bewusstsein, und doch war da mehr als pure kindliche Freude.



Da war die Wärme und das Strahlen in den Augen von Mulder, das in den vielen harten Zeiten, die wir durchlebt haben trotz unserer tiefen Bindung zueinander in dieser Weise nie mir gegolten hatte.



Unsere Beziehung hatte darauf basiert, dass keine einzige Person, die die Erfahrungen, die wir gemacht haben, durchlebt hatte, uns als Mensch verstehen konnte.



Wir waren die einzigen Menschen, die für den anderen kompatibel waren und doch waren wir oft zu zweit einsam. Es war immer nur die Verzweiflung, die uns wirklich eng zusammentrieb. Das hier war etwas anderes, das war süße Zuneigung, warme Sommerliebe. Das prickelnde Gefühl eines neuen glückverheißenden Anfangs.



Und damals konnte ich noch an Anfang denken, ohne einen hoffnungslosen schmerzenden Stich in meiner Magengegend zu fühlen, weil ich jetzt nicht mehr weiß, was Anfang bedeutet.



Ich war so glücklich gewesen an diesem Nachmittag, wo wir Hand in Hand wie Frischverliebte auf der Parkbank gesessen hatten. Ich hatte mich so stark gefühlt und eigentlich hätte ich in diesem Moment merken sollen, woher ich meine Stärke bekam. Vielleicht habe ich es nicht gemerkt, weil ich es war, die den Tag kaputtgemacht hat. Ich wollte zu dem Springbrunnen, der ein paar Meter vor der Bank stand, gehen.



Ich war so unbeschwert und wollte wie ein kleines Kind Geld hineinwerfen und mir etwas wünschen. So etwas wie `Ich möchte ein Pony zum Geburtstag`. Ich wollte mir natürlich kein Pony wünschen, doch mein Wunsch sollte sich sowieso nicht erfüllen, weil ich es nicht einmal bis zum Brunnen schaffte. Ich kotzte mir die Seele aus dem Leid; ich war zu ruckartig aufgestanden. Da war wieder dieser bebende, ruckartige Hölle in mir und ein paar Tage später, um genau zu sein acht, bin ich direkt aus unserem Kellerbüro hier in Krankenhaus geliefert worden. Und seitdem habe ich vergessen, die Tage zu zählen...


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Es ist furchtbar zu sehen, wie es sie umbringt. Zu sehen, wie ihre Stärke schwindet und sie einfach zulässt, dass es sie auffrisst.



Sieht sie denn nicht, wie tödlich es für sie sein könnte, sich jetzt vor mir, vor allen, zu verschließen? Ja, sie tut es wieder. Ich dachte, sie wäre - wir wären - auf einem Weg der Besserung, doch seit sie im Krankenhaus ist, komme ich nicht mehr zu ihr durch. Überhaupt nicht mehr. Ihr erschreckend leerer Blick schweift stets in ein Nirgendwo, in das ich ihr nicht folgen kann. Sie redet nicht mehr als notwendig, aber von mir aus braucht sie es auch nicht.



Nur ihre Art, mich zu behandelt, als wäre ich ein störender Eindringling, tut furchtbar weh. Aber auch das könnte ich ertragen, wüsste ich nicht, dass ich irgendwie imstande bin, ihr Kraft und Hoffnung zu schenken. Sie verschließt sich vor dem Einzigen, das ihr Stärke geben kann und - das macht mir am allermeisten Angst - scheint einfach daliegen zu wollen und zu sterben.



Sie hat resigniert. Dana Scully hat resigniert. Sie gibt einfach auf. Irgendwie scheint das nicht in meinen Kopf hineingehen zu wollen. Ich will es nicht glauben, dass sie alles, wofür wir stehen, in den Rachen des schwarzen Dämons namens Tumor werfen will, der es auffrisst und nichts übrig lässt als einen grauen kleinen Haufen Asche.



Sicher, ich wusste, dass es nicht leicht sein würde, wenn der Krebs ausbricht, aber sie weiß doch, wenn es schmerzt, wenn sie durchrüttelt wird von Übelkeit und Traurigkeit, ich werde für sie da sein. Tag und Nacht. Gestern hat sie mich aus ihrem Zimmer geworfen, weil sie anscheinend meinen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Sie hatte die Augen geschlossen und so getan, als würde sie schlafen. Doch ich weiß, wie sie aussieht, wenn sie schläft. Ich hatte keine Lust, ihre neugewonnene Angewohnheit, mich anzulügen, zu unterstützen, also ging ich heim und versuchte zu schlafen. Es funktionierte nicht.



Nun sitze ich hier, fünf Uhr morgens und halte ihre Hand, ihr Dinge zuflüsternd, von denen sie jetzt vielleicht träumt. Ihre Augen bewegen sich schnell unter ihren Lidern, ihre bleiche, angegriffene Haut glänzt von Schweiß. Ich küsse ihre Fingerspitzen, jede einzelne.



"Kämpfe, Partner, kämpfe. Lass die nicht gewinnen." Ich hoffe, sie hört es.


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Es war einer dieser vielen grauen und schmerzhaft langen Tage, besser gesagt ein Morgen derselben, wo der lange quälend monotone Tag noch vor dir liegt, als Mulder wie schon so viele graue Tage vorher, vor meinem Bett sitzt. Doch dieses Mal ist sein sonst so besorgter, ernster Blick durch ein breites Lächeln ersetzt worden, dass mir so fremd und doch so vertraut erscheint.



"Guten Morgen." Ich blicke ihn mit müden Augen an und spüre in mir, dass ich sein Lächeln eigentlich erwidern sollte, aber mir fehlen entweder die Muskeln dazu oder die Kraft sie zu benutzen.



"Die Ärzte haben gesagt, dass es dir etwas besser geht," sagt er und kann dieses so merkwürdig bekannte Lächeln einfach nicht ablegen. Hinter ihm sehe ich das erste Mal seit Tagen einen kleinen Sonnenstrahl durchs Fenster auf den grauen Linoleumfußboden fallen.



"Vielleicht," krächze ich leise. Meine Stimmbänder brennen; wie lange habe ich nicht mehr gesprochen?



"Sie haben mir erlaubt, einen kleinen Spaziergang mit dir zu machen." Was? Panik kriecht in mir auf. Ich kann hier nicht raus. Ich erinnere mich an die Besuche der Schwestern und wie sie mir zugesetzt haben. Sicher, sie waren freundlich gewesen und haben gelächelt und so weiter, doch ich glaubte jedes Mal ganz genau zu wissen, was sie dachte: `Arme kleine kahlköpfige Kreatur, bin ich froh, dass ich nicht dort gelandet bin, wo du bist.`



Es war der pure Ekel, von dem ich sicher war, den sie mir gegenüber empfanden. "Kann... nicht..."



"Doch, du kannst." Ich frage mich, wie er da so sicher sein kann. Er ist nicht der, der an diesen Maschinen hängt und... Moment, wo sind die Schläuche, das Piepen?



Als ob er auf meiner Stirn wie auf einem Teleprompter lesen könnte, was ich denke, antwortet er: "Die Ärzte haben gesagt, du wärst im Moment relativ stabil und bräuchtest die Maschinen nicht. Die Chemotherapie hätte ziemlich gut angeschlagen."



Ja, das hat sie, denke ich wohl eine Spur zu sarkastisch, die Schmerzen und die Tatsache, dass ich fast jeden Morgen mein Frühstück wieder herauskotze, sind sicher als Erfolg zu vermerken. Doch statt herauszuschreien, wie grau und schmerzlich als das hier ist, drehe ich mich vor ihm weg und starre auf die andere Seite der Wand. Ich hoffe fast, dass er einfach verschwindet und aufhört, Gedanken in mir zu wecken, die mir wehtun und zwar auf eine ganz andere Weise, als es die Chemo je könnte.



Und so kann ich nur zuhören und bin nicht imstande gegen die Wirkung von irgendetwas, was er sagt, etwas gegen zu setzen.



Seine Stimme klingt schon fast zornig, als er spricht. "Scully, dreh dich nicht um. Hör auf, mich zu ignorieren. Hör auf, jemand zu sein, der du nicht bist!" Der letzte Satz birgt soviel Zorn, Angst und Sorge in sich, dass ich nichts machen kann, gegen das harte Schluchzen, das meiner Kehle entweicht. Mulder, hör auf und verschwinde!



Doch er hört nicht auf. "Ich glaube, dass du versuchst die echte Dana Scully irgendwie zu begraben, in den Tod zu schicken, obwohl sie irgendwo noch in dir lebt. Doch du schiebst sie so weit wie du kannst von dir, denn du weißt, dass sie kämpfen würde statt aufzugeben!"



Jedes Wort sticht in mich wie ein Schwert, doch so sehr ich mich auf dagegen sträube, jedes einzelne Wort davon trifft mein schwaches Herz. Der Schmerz wird zu stark



"Mulder!", schreie ich so laut ich kann und obwohl sich mein Körper gegen das alles, die Emotionen, sträubt, mache ich weiter. "Du weißt nicht... wie sehr es... weh tut!"



Ich atme hechelnd und drehe mich um. Ich will seinen Blick sehen, sehen, ob ich ihn genauso gebrochen habe wie er mich.



Doch auch wenn die Verletztheit aus seinen Augen schimmert, ist seine Stimme ganz sanft.



"Natürlich hast du Recht. Ich weiß es nicht. Aber ich möchte es wissen. ich möchte den Schmerz mit dir teilen."



Ich bringe das Mittelding zwischen einem Schluchzen und einem Lachen hervor. "Dann musst du dir alle Haare abrasieren und dir zu jeder Mahlzeit alle mögliche Gifte in den Körper jagen."



Ich presse meine Lippen aufeinander. Das war bestimmt das längste, was er seit Tagen von mir gehört hat, was ich von mir gehört habe.



Ich weiß auch nicht, aus welchem Teil von mir das gekommen ist, aber ich glaube, ich hätte auch ausschreien können, dass Mulder ein kompletter Vollidiot wäre, er hätte mich genauso in die Arme geschlossen, wie er es jetzt tut.



Ich glaube, seine Wärme ist die erste Sache, die mir seit langem bewusst macht, dass meine langsam verblassenden Erinnerungen an bessere Tage nicht nur eine Illusion waren.


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"Sie fühlen sich nicht an wie Haare."



Ihr leiser Protest erklingt, als wir vor dem großen Spiegel im Memorial stehen. Um ehrlich zu sein, sie sehen auch nicht so aus. Jedenfalls nicht wie Scullys Haare. Ich habe ewig nach einem Rot-Ton wie ihrem gesucht, aber es ist schwer, solch einem Original gerecht zu werden.



"Du siehst bezaubernd aus," flüstere ich und umgehe so alle geheuchelten Komplimente, denn das ist die pure Wahrheit. Sie sieht unglaublich bezaubernd aus, denn der Ausdruck in ihren Augen schreibt beinahe so etwas wie `Kämpferin` auf ihr Gesicht.



Auch wenn es nicht einfach war, diese Kämpferin aus dem Haufen Schmerzen und Hoffnungslosigkeit zu locken. Aus all dem, was nicht Scully ist.



Die echte Scully steht nach Wochen endlich wieder neben mir, denn sie weiß immer noch ihre Verlegenheit aufgrund meines Kompliments zu überspielen. "Ja, sicher", meint sie und blickt mich zweifelnd an. "Genauso bezaubernd wie dieses Krankenhaus."



"Scully, du bist nicht der Krebs."



Sie blickt mich fast sehnsuchtsvoll an, mit einer Mischung aus zurückgehaltenen Tränen und dem Gesichtsausdruck, den sie mir immer zuwirft, wenn ich verhindere, dass sie sich in die dunkle Höhle, von der sie denkt, dass sie sie schützt, stürzt.



"Ich weiß", flüstert sie. "Ich weiß doch."



Ich lächle sie leicht an, wie ich hoffe, ermutigend. Sie soll ihren Schmerz nicht verstecken, aber ich kann sie nicht andauernd weinen sehen. Irgendwann breche ich dann nämlich auch mal zusammen. Ich lenke das Gespräch auf irgendetwas anderes.



"Gefällt dir das Kleid?" Ich hatte mir überlegt, ihr einen ihrer Anzüge aus ihrem Apartment zu holen, aber es erschien mir irgendwie unpassend. Sie stößt ein kleines, süßes, völlig un-Scullyhaftes Kichern aus. "Es ist... einzigartig." Sie fährt mit ihrer Hand über das kleine aufgestickte Alien - ja, ich bin verrückt - und kichert erneut.



"Wirklich einzigartig."



Ich grinse. "Ich war mir sicher, dass du mir wieder einen deiner `Mulder das glaube ich nicht`-Blicke zuwerfen wirst."



Ich kann schwören, dass das der Moment war, in dem das Leben sie wieder gepackt hat. Ich kann das Flackern in ihren Augen direkt aufleuchten sehen und ihre Haut scheint auf einmal wieder etwas mehr Farbe zu besitzen. Es ist so etwas wie eine Vision von einer Scully nach dem Krebs.



Es ist wundervoll.



Ich kann einfach nicht anders, als sie stürmisch auf ihre lächelnden Lippen zu küssen.



Sie wehrt sich nicht.



Stattdessen höre ich sie ein kleines "Danke" in unseren Kuss flüstern. Ich bin mir sicher, sie sollte lieber sich selbst danken.


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Es hat schon seine Vorteile, dass Mulder sein Leben lang geübt hat, gegen Obrigkeiten zu kämpfen. Irgendwie hat er es geschafft, die Ärzte zu überzeugen, dass ich im Washington Memorial nicht gut aufgehoben bin und dort nie gesund werden könnte. Ich kann mich nicht an den genauen Wortlaut erinnern, aber ich glaube, er meinte, `dass eine leidende Seele nicht gegen den Krebs ankämpfen kann`. Und ich gebe zu, hatte mich beim Anblick der leeren Krankenhauswände noch die Hoffnungslosigkeit zu übermannen gedroht, scheint sie hier so weit weg wie sie nicht weiter weg sein kann. Wenn ich kein Nasenbluten habe und mir mal nicht übel ist, kann ich die Meeresluft einatmen und mir vorstellen, dass Mulder und ich Urlaub machen und die Schmerzen in meinem Körper nichts weiter sind als Muskelkater, weil ich am Tag zuvor zuviel Beachvolleyball gespielt habe und die Kopfschmerzen kommen von den Pina Coladas. Ich weiß, es ist eine Illusion, aber immerhin eine schöne. Aber auch wenn ich weit davon entfernt bin, mich im Bikini mit einem Blue Curaçao am Strand aalen zu können, ist das hier der schönste Urlaub meines Lebens. Nicht, das ich viele gehabt hätte.



Auch wenn auf Hawaii selbst nachts um die 20 Grad herrschen, sitze ich hier auf dem Balkon unseres Ferienhäuschens, in eine weiße Strickjacke und das lange Alienkleid, das Mulder mir geschenkt hat, gehüllt und beobachte die Wellen, die schäumend an einem der typisch hawaiianischen schwarzen Strände spülen.



"Die Schwester ist da." Er küsst mich sanft auf die Wange, um mir Mut zu machen, weil er weiß, dass ich auf eine laut ausgesprochene Mutmachung nur protestieren würde. Ich schaue noch einmal auf das Meer und dann wird mein Muskelkater wieder zur Immunschwäche, meine Kopfschmerzen zum Krebs, der gegen mein Gehirn drückt und meine Haaren zur der unechten Perücke...


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Heute war ein furchtbarer Tag. Mulder und ich waren essen gegangen, doch zuhause habe ich alles wieder auf dem Wohnzimmerteppich ausgekotzt. Das Nasenbluten kam wieder.


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Die Wellen spülen die Stunden meines Lebens fort. Jede einzelne ist klares, berstendes Wasser und sie sehen alle gleich aus, bis auf die kleinen Details, die man erst beim näheren Hinsehen und von hier oben, dem Balkon aus, sowieso nicht erkennt.



Von hier sehe ich das Gesamtbild, das dunkle Blau, das wirklich die Farbe meines Lebens zu sein scheint. Blau, das sich ständig verändert und doch immer gleich bleibt.



Blau der Resignation, nach den Stürmen, die Mulder und ich durchquert haben und aus denen wir nichts mit nach Hause bringen konnten, als Luft. Stürmischen Wind in unserem Innersten, der mit der sich immer wiederholenden Feststellung, dass man mit heißer Luft die Welt nicht ändern kann.



Heiße Luft, der Mangel an Beweisen. Und trotz, dass diese Kämpfe uns zusammengeschweißt haben, trotz, dass er zuviel für mich als Partner getan hat und als Mensch, als dass ich ihn nicht lieben könnte, ist auch zwischen uns dieses Blau.



Dieses Blau der Mutlosigkeit und der Angst vor Ablehnung. Und jetzt, wo mich die Kraft verlässt, die Blüte des Lebens, ist es schon eine Gewissheit der Ablehnung geworden.



Meine Liebe ist hoffnungslos, seine Aufmerksamkeiten schmerzen mich, weil er sie nur aus Mitleid und Loyalität ausführt.



Wenn ich sarkastisch werden würde, könnte ich mir einreden, dass ein weiteres Leid bei so vielen Schmerzen wohl eher ein heißer Tropfen auf dem Stein wäre, aber es stimmt nicht.



Es ist ein harter, brennender Klumpen in mir, der mich mehr aufzufressen scheint als der Krebs. Und das Blau meines Lebens wird immer dunkler....


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"Dana, wo bist du?" Ich höre Mulders Stimme, als ich wie fast jeden Morgen an meinem Lieblingsplatz auf dem Balkon sitze, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Ich drehe meinen Kopf.



Seit wann nennt er mich Dana?



"Ich bin hier auf dem Balkon."



"Dana!" Das war eindeutig nicht Mulder. Es war...


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Nun, ich gebe zu, das mit dem kleinen Spaziergang damals war nicht ganz fair von mir. Ich hatte vorher mit den Ärzten gesprochen und ich musste eine Menge Opfer bringen - die mir ehrlich gesagt aber nichts ausmachten - um mit ihr nach Hawaii fliegen zu können. Ihre Koffer hatte ich auch schon gepackt und als unser "kleiner Spaziergang" am Flughafen endete, war ich mir sicher, sie würde nicht mitkommen.



Doch sie tat es; es war schon merkwürdig, sie musste *mich* davon überzeugen, dass sie es wirklich wollte. Ich hatte wohl dieses Flackern von Leben in ihren Augen einen Moment vergessen.



Während des Fluges musste sie sich mehrmals übergeben, unter Reiseübelkeit hatte sie schon immer gelitten, aber das hier war etwas anderes. Und die Schuldgefühle in meinem Bauch ließen erst etwas nach, als ich ihren Gesichtsausdruck sah, als sie vom Balkon aufs Meer blickte.



Ich konnte ihren Blick nicht deuten, aber er hatte nichts mit der Hoffnungslosigkeit gemein, die sie im Krankenhaus ausgestrahlt hatte. Vielleicht war es der Blick eines Gefangenen, der zum ersten Mal nach Jahren wieder die Freiheit sieht.



Und das, obwohl Scully nur zwei Wochen im Krankenhaus gelegen hatte. Oder hatte ihre Gefangenschaft schon früher begonnen?!



Ich drängte diesen Gedanken standhaft beiseite. Was ich nicht beiseite drängen konnte, waren die Sorgen, die ich mir dennoch um sie machte. Sie saß ab dem Tag jeden Tag stundenlang auf dem Balkon, mit diesem sehnsuchtsvollen und so undeutbaren - was mir Angst machte - Blick in die Ferne. Fast als würde sie sich wünschen, dort, weit entfernt, in diesen Wellen zu schwimmen, zu treiben, die in ihrer Naturgewalt alles verschlangen, was sich dort befand. Alle Versuche, ihr das Leben schön zu machen - Restaurantbesuche, Musik, Ausflüge - endeten in einem Fiasko. Sie schien nichts mehr zu ertragen - oder ertragen zu wollen - als den Anblick und die Geräusche der Wellen, die in schäumender Gischt ans Ufer schlugen. Das war der Punkt, wo meine Macht aufhörte. Ich hatte alles gegeben und war hilflos und ängstlich, ängstlich vor der Tatsache, dass Dana Scully erneut und auf eine neue viel schleichendere Weise daran war, aufzugeben. Aber es war nicht wie im Krankenhaus, sie gab sich nicht kraftlos dem Krebs hin, sie schien dem, was kam, mit einem Frieden entgegenzusehen, der so im Gegensatz zu meinen Gefühlen stand.



Ich wusste, dass es einen Teil von ihr gab, den ich noch nicht kannte.



Und ich kann nur eine Person, die herausfinden konnte, was in Dana Scully vorging.


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"Mom."



Dana sah sehr überrascht aus, als sie mich sah. Ich war es auch, als ich sie erblickte - schockiert wäre wohl der bessere Ausdruck. Sie lächelte nicht einmal, es schien nur eine klare ausgesprochene Feststellung zu sein, dass ich die war die vor ihr stand.



Wenn man Dana schon so lange - alle Zeit - wie ich kennt, sieht man deutlich den Wandel nach unten, der sich in ihr vollzogen hat. Der Wildfang, der sie einst gewesen war, scheint sich in tiefster Gefangenschaft ihres Unterbewusstseins zu befinden. Aber ich werde mich davor hüten, Fox die Schuld dafür zu geben.



Schließlich war er es, der mich hierher gerufen hat und er sagte, es wäre ein Notfall.



Dass ich die einzige wäre, die er kannte, die Dana jetzt noch helfen könnte. Doch als ich sie so sehe, fühle ich auch meine Macht durch meine Finger rinnen wie feinen Sand.



"Dana", sage ich und trete nähe. Mit dem besten mütterlichen Lächeln, das ich aufbringen kann, blicke ich sie an und drücke sie an mich. Doch sie ist vollkommen passiv, dem Druck meiner Arme kaum standhaltend und so lasse ich sie erschrocken los und begnüge mich damit, mich ihr gegenüber zu setzen und ihre Hand zu halten.



Ich kann jeden Knochen spüren.



"Wie geht es dir?" Meine Frage ist vollkommen überflüssig.



Ihre Haut hat eine gräuliche Farbe, fast durchsichtig, sie hat Augenringe, mindestens zehn Kilo abgenommen und ein Baseballcap der Redskins verbirgt ihre durch die Chemo entstandene Glatze. Und was den glasigen Blick in die Ferne angeht, hat Fox nicht übertrieben.



Sie schaut nicht einmal in meine Richtung, als sie antwortet. "Es geht mir gut, Mom."



"Du sollst deine Mutter nicht anlügen!" Vielleicht klang es etwas hart, aber wenigstens bringt es sie dazu, ihren Kopf zu drehen und mich anzuschauen. Irgendetwas habe ich berührt; ich weiß, wo diese Stellen liegen und auch wenn es ihr wehtut, ich darf hier nicht lockerlassen. Nicht, wenn ich sie nicht an sich selbst verlieren will. Etwas sanfter rede ich weiter: "Ich sehe dich doch, Dana, und es tut mir weh, was diese Krankheit mit dir anstellt. Aber du musst kämpfen, Dana, du bist zu..." Ich werde durch ein leichtes Krächzen von ihr unterbrochen.



"Ich habe keine Kraft mehr, Mom."



Sie will sich wieder fortdrehen, aber ich halte ihr Kinn fest und ihrem Blick stand. "Dann lass zu, dass dir andere Kraft geben. Ich und Fox, wir machen uns Sorgen um dich, alle die dich kennen, würden sich Sorgen machen, wenn sie wüssten, wie es dir geht."



Sie muss schlucken, bevor sie weiterspricht. "Ich will kein Mitleid."



Natürlich. Die stolze Dana. Die Dana, die irgendwann nicht mehr zwischen Stolz und Verstecken unterscheiden konnte.



"Keiner will Mitleid", flüstere ich, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es der Wahrheit entspricht. Aber das nächste, was ich sage, entspricht ihr völlig. "Aber wir sehnen uns nach Liebe. Auch du."



Vielleicht war das der Kern der ganzen Sache, ihres Kummers, denn sie legt plötzlich ihr Gesicht in ihre Hände und fängt an, kraftlos zu schluchzen. Alle Gedanken und Gefühle herauszuweinen, die sich in ihrem Innersten angestaut haben.



Und ich bin froh, als ich sie im Arm halte, dass ich wenigstens etwas tun kann, um ihr zu helfen.
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