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Mama, halt deine heilenden Hände über mich

von Eve

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„Jemanden heilen, heißt,

ihm den verlorenen Mut wieder geben.“

- Phil Bosmanns



***



Sie versuchte sich auf einen Gedanken zu konzentrieren. In ihr gab es ein Karussell, welches sich aus Gedanken, Hoffnungen, Mutmaßungen und Verschwörungen zusammen setzte und ein buntes, drehendes Bild ergab. All das raste in ihr, fand keinen Anhaltspunkt und sprang von einer Erinnerung zur nächsten.



Sie konnte sich daran erinnern, mit Mulder im Wald gewesen zu sein. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie auf eine Lichtung lief und dann gab es da Schwärze und das Nichts. Sie konnte sich daran erinnern, wie sie in Mulders Armen aufwachte und sein besorgtes Gesicht ihr Angst einjagte.



Sie konnte sich daran erinnern, wie sie mit den Einsamen Schützen gesprochen hatte. Und wieder dieses Schwarz kam.



Dieses Mal wachte sie nicht in Mulders Armen auf.



***



Sie lag im Krankenhaus. Abermals. Und sie war allein.



***

Das zaghafte, kaum zu hörende Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Die Tür öffnete sich und ihre Mutter trat langsam ein. Die Spannung in deren Gesicht verriet, welche Qualen im Inneren vor sich gingen.



Dana Scully brauchte einen Moment, um sich von der Aussicht aus dem Fenster abzuwenden und die Augen ihrer Mutter zu fokussieren.



Sie wollte stark sein. Sie wollte die Fakten und die Tatsachen und den Befund klar darlegen, wie sie es in der medizinischen Fakultät gelernt hatte. Scully, Dana Katherine; eine ärztliche Diagnose.



Sie wollte ihrer Mutter alles, soweit sie konnte, erklären.



Und dann wollte sie weinen.



***



Ihre Mutter trat an ihr Bett. Sie hielt sich gerade so aufrecht. Dies war so typisch für die „Scully – Frauen“, aufrecht und standhaft in jeder Lage.



Fochten Lebenskriege der Emotionen in ihrem Inneren aus und koordinierten nach außen hin den Perfektionismus.



Margaret Scully setzte sich auf die Bettkante, vorsichtig die Grenzen zwischen ihr und ihrer Tochter abtastend und unbeholfen lächelnd.



„Ich habe mir solche Sorgen gemacht, Dana.“

Sie musterte ihre Tochter mit dem wissenden Blick einer mütterlichen Seele.



„Du siehst schlimm aus“, stellte sie fest und ergriff die Hand ihrer Tochter.



Dana Scully spürte die Bitterkeit in ihrem Hals, spürte das mulmige Gefühl im Magen und das Zittern ihrer Lippen.



„Oh, Mom“.



Es war das Verlangen eines Kindes nach seiner Mutter.

Ein Hilferuf. Die Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit.



Und dann kamen die Tränen.



***



Margaret Scully ließ ihre Tochter weinen. Sie wusste, dass Tränen wichtig für die Heilung waren. Sie ließ ihre Tochter immer erst weinen, auch wenn sie dies sehr selten tat. Als Dana noch ein kleines Kind war, konnte sie leichter weinen, als jetzt als Erwachsene. Die Jahre hatten sie stumpf gemacht und das betrübte Margaret Scully.



Nachdem der erste Tränenfluss versiegt war, gab es ein ruhiges Schweigen.



Margaret Scully räusperte sich. Jetzt war es Zeit für Worte.



„Dana, ich möchte dir gerne etwas über den Mut erzählen.“ Es war eine stille Frage darin. Die Frage, ob Dana bereit war für Worte ihrer Mutter. Ob Dana bereit war, ihren Kummer zu formulieren und das Verständnis ihrer Mutter aufnehmen konnte.



Dana nickte stumm.



„Das Wort ‚Mut’ kommt aus dem Althochdeutschen. Es bedeutete zuerst, dass man nach etwas trachtete oder man nach etwas heftig verlangte oder begehrte. Auch hat es Ähnlichkeit mit dem Griechischen, dort bedeutet es das Gemüt. Also den emotionalen Teil der Seele.

Irgendwann aber hat es mehr Bezug zu dem Wort ‚Tapferkeit’ bekommen. Und Tapferkeit – wie du sicher weißt – gehört zu den vier Kardinaltugenden. Es bedeutet, dass man Gefahren gegenüber unerschrocken ist. Diesen Wesenszug erkenne ich so oft in dir, Dana.“



Dana sah ihre Mutter an: „Ich fühle mich nicht so, als sei ich mutig, Mom.“



Ihre Mutter lächelte unbeholfen und griff nach der Hand ihrer Tochter. Sie lehnte sich nach vorne und sprach weiter.



„Tapferkeit, so sagt der Ethiker Demmer, entspringt der Opferbereitschaft, der Hochgemutheit des Geistes und der Selbstbehauptung. Und all das sehe ich in dir, immer, schon als Kind war es bei dir.“



„Ich bin mir nicht sicher, was ich tun soll, Mom.“ Danas Stimme klang unsicher und zitternd.



„Dana, es gibt nichts auf dieser Welt, das dir garantieren kann, dass deine Entscheidungen richtig sind. Es gibt für uns nie den absolut richtigen Weg. Und dennoch müssen wir uns in unserem Leben für Dinge entscheiden, wenn wir vor einer Weggabelung stehen. Und diese Entscheidungen sind wichtig, wenn wir weiterkommen wollen in unserem Leben.“



Margaret Scully hielt inne und betrachtete ihre Tochter. Sie wusste, dass sie noch nicht bereit war zu reden. So viel verschwieg sie, soviel behielt sie für sich. Aber sie wusste, dass ihre Tochter zu ihr kommen wird, wenn es Zeit für sie war zu reden. Und für diese Zeit konnte sie all ihre Zuversicht und Güte in ihre Geduld legen. Abermals räusperte sie sich, sie griff nach ihrer Tasche, wühlte darin herum, bis sie das fand, was sie suchte.



„Ich habe dir etwas mitgebracht, Dana“, sagte sie, als sie wieder aufsah.



Sie reichte ihr eine Schatulle. Dana nahm sie zögernd in die Hand und betrachtete sie. Die Schatulle war klein, vielleicht maß sie 5 x 5 Zentimeter. Sie war aus edlem, dunklem Kirschholz gemacht und hatte keine Verzierungen. Jedoch war die Oberfläche so sehr poliert worden, dass sie im Sonnenlicht aufblitzte. Ein Lächeln huschte über Danas Gesicht.



„Mach ruhig auf. Es ist ein Geschenk für dich“, sagte ihre Mutter.



Dana öffnete langsam und vorsichtig die Schatulle. Sie fand darin einen kleinen, goldenen Engel. Er war wunderschön. Der Engel war vergoldet, seine Flügel waren ausgebreitet und in einem warmen Blau gehalten und er hielt weiße Lilien in seinen schmalen Händen. Es war eine kleine Figur, die stehen konnte.



„Oh, Mom. Der ist so schön.“



Margaret Scully lächelte jetzt erleichtert. „Ich habe ihn dir gekauft, weil er den Mut verkörpert, Dana. Das ist der Erzengel Gabriel, er regiert über die Welt der Gefühle und des Unterbewusstseins. Und ich möchte ihn dir schenken, als ein sichtbares Zeichen deines inneren Mutes.“



Margaret Scully stand auf. Sie wusste, dass sie das getan hatte, was sie tun wollte und musste.

Ihrer Tochter dabei zu helfen, sich selbst zu heilen, in dem sie ihr ihren verlorenen Mut zurückgab.



****

Ende
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