World of X

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The Sky of Armageddon (2)

von Lord Sijar

Kapitel 2

~xXx~



09.01 UHR, SAN DIEGO FBI



Joe Greasewood war eine beeindruckende Persönlichkeit. Mulder konnte sich sehr gut vorstellen, warum Skinner und er so gut miteinander auskamen. Sie waren durch die zerstörten Straßen der großen Stadt gefahren, vieles war den Angriffen zum Opfer gefallen, darunter auch der Sitz der Bundespolizei. Die einstmals weiße Fassade des im modernen Stil errichteten Gebäudes, die sicher mit dem Hoover Buildung konkurriert haben könnte, war an einigen Stellen rußgeschwärzt. Zahlreiche Fenster waren zersplittert. Director Greasewood wartete bereits draußen. Sein graumeliertes Haar war ebenso wie sein Bart straff gestutzt und verlieh ihm einen souveränen und klugen Gesichtsausdruck. Als er Skinner sah, hellte seine Miene auf.

„Walter, ich hätte nicht gedacht, dich jemals wieder zu sehen!“ brachte er erleichtert hervor. Seine Tochter trat an seine Seite.

„Sind das die Mitarbeiter, von denen du mir immer erzählt hast?“ Joe Greasewood nickte in Richtung der andern Agents. Skinner stellte sie einander vor, dann meinte der Direktor ernst:

„Mein Büro ist zwar etwas unordentlich, aber ich glaube es ist besser, wenn wir dort weiterreden.“

Das Büro des Directors war tatsächlich *unordentlich*. Staub und Ruß hatten eine dicke Schicht auf allen Regalen, Akten und Computern gebildet und durch die zerborstenen Scheiben wehte gelegentlich ein unangenehm heißer Wind, der Scully daran erinnerte, das noch längst nicht alle Feuer gelöscht waren. Genauso wenig wie die vielen ungelöschten Brände in ihrem Inneren. Jetzt, da sie einmal mehr herumsaß während ihre Gefährten Director Greasewood aufklärten, kehrten alle unverarbeiteten und vergrabenen Emotionen und Gedanken in ihr Bewusstsein zurück. Sie starrte aus dem Fenster. Es lag nach Südosten, sodass um diese Tageszeit eigentlich die Sonne ins Büro hätte scheinen müssen, das im zwanzigsten Stock des Gebäudes lag. Doch anstatt des Tagesgestirns erblickte sie nur den düsteren roten Glanz von Feuer und dunkle Rauchschwaden. Die Sonne schien in Trauerschleier gehüllt zu sein. Scully jedoch war noch nicht bereit zu trauern. Dazu waren die Geschehnisse zu ungeheuerlich. Das mögliche Auftauchen der Midgard andererseits weckte Hoffnung in ihr. Nichts war bestätigt, aber mittlerweile war sie bereit sich an jeden noch so kleinen Strohhalm zu klammern. Ihre Gedanken kehrten ins Jetzt zurück als Skinner seine Ausführungen beendet hatte. Ihr Chef hatte es auf sich genommen die ganze Geschichte zu erzählen. Die Ergebnisse von acht Jahren Arbeit und noch vieles mehr. Skinner hatte ununterbrochen gesprochen und alle Zwischenfragen seiner Zuhörer beantwortet. Sie hatte nicht zuhören müssen, um genau zu wissen, was ihr Vorgesetzter berichtet hatte. Als der Stellvertretende Direktor des Washington FBIs geendet hatte, schien es ihr, als ob Skinner eine Last vom Herzen genommen worden wäre.

„...Walter, das was ich eben gehört habe, übertrifft alle meine bösesten Albträume und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich in der Lage bin etwas angemessenes dazu zu sagen.“ Director Greasewood war erstaunlich gefasst, fand sie, für einen Mann, der Aliens und eine Invasion der Welt wahrscheinlich nur aus dem Kino kannte.

„Hör zu Joe, ich selbst habe... Jahre gebraucht, um es zu verstehen und wirklich akzeptieren kann ich es noch immer nicht wirklich. Ich behaupte nicht, mir vorstellen zu können, wie es für dich war, zu erleben wie diese Stadt in Trümmer geschossen wurde. Aber ich weiß, dass das wahrscheinlich nur der Vorgeschmack auf eine viel größere Sache ist. Deshalb bitte ich dich um eins: Wie lange die Kommunikation zwischen den Städten noch funktioniert, weiß niemand. Der Präsident wurde ermordet, damit er das, was ich Dir eben erzählt habe, nicht an die Menschen weitergeben konnte. Nun ist Chaos ausgebrochen und ich fürchte, das die Wahrheit nun für immer - so viel Zeit wie uns eben noch bleibt - verloren sein wird. Erst wenn wir DENEN dann gegenüberstehen, werden die Menschen erfahren, was vor sich geht. Genau das soll nicht geschehen. Die Menschen haben ein Recht zu erfahren, was diese Stadt zerstörte, was sie vielleicht alle umbringen könnte, wenn wir es soweit kommen lassen. Bitte versprich mir, das du jedem Menschen, der dich fragt, was geschehen ist, genau das berichtest, das ich Dir erzählte.“ Joe Greasewood staunte nicht wenig über die Bitte seines alten Freundes. Walter Skinner war eher ein Mann der Tat gewesen, doch sein Wunsch jetzt war eine Frage der Philosophie und nicht des Handelns. Vielleicht lag es daran, das die Menschen in diesen Zeiten philosophisch wurden.

Walters Begleiter hatten sich eher im Hintergrund gehalten, ebenfalls eine Tatsache die Director Greasewood verwunderte. Nach alledem, was ihm Skinner von Agent Scully, Agent Mulder und im letzten halben Jahr auch von Agent Doggett erzählt hatte, erschienen ihm die drei zu verschlossen, zu sehr in ihren eigenen Gedanken gefangen. Er registrierte auch die Blicke, die Mulder Scully gelegentlich zuwarf und die Trauer und der Schmerz der in ihnen lag. Was hatten diese beiden Menschen verloren, das sie so reagierten? Dabei war es doch ihnen zu verdanken gewesen, das man überhaupt wusste, was derzeitig geschah.

„Walter, ich verstehe nicht warum du dies von mir forderst, aber wenn es dein Anliegen ist, werde ich es tun. Aber gibt es nicht noch etwas anderes, konkreteres, was meine Leute für dich tun können?“

„Nein, ich glaube es ist besser wenn du dich um deine Stadt kümmerst. Es gibt eine Menge zu tun, aber es gibt nicht viele Menschen, die es auch wirklich können. Ich kann nicht mehr von Dir verlagen. Es war gut, das ich Zeit hatte, mich zu informieren und es wäre gut, wenn wir uns einen Moment auszuruhen könnten, aber alles andere müssen wir selbst erledigen.“ Skinners Stimme war leise und nachdenklich. Greasewood nickte stumm.

„Wenn es etwas gibt, das ich für dich tun kann, lass es mich wissen.“ Skinner warf ihm einen dankbaren Blick zu.

„Kannst du uns eine Weile allein lassen?“ Greasewood kam der Bitte ohne zu Zögern nach, wenngleich es ihn verblüffte.

„Ruf mich, wenn ihr fertig seid.“

„Danke Joe!“ Greasewood verließ den Raum. Skinners Kopf sank auf die Brust und der Assistant Director holte mehrmals tief Luft. Als er den Blick wieder hob, sah Mulder für ein paar Sekundenbruchteile die totale Erschöpfung in Skinners Gesichtszügen. Mulder spürte die Blicke seines Vorgesetzen auf sich ruhen. Sie alle stellen sich zweifellos die selbe Frage.

*Was sollen wir tun?* Bisher waren sie von dem Schauplatz eines Unglücks zum nächsten gehetzt und hatten die Spuren der Zerstörung gesehen, aber niemand hatte eine konkrete Idee gehabt und es sah nicht unbedingt danach aus, das einer alsbald vom Geistesblitz getroffen würde. Mulder starrte auf den Fußboden unter sich. Schließlich griff Doggett nach der Fernbedienung des großen TV-Geräts im Raum. Es war zwar nicht unbedingt der konventionelle Weg eines FBI Agenten sich zu informieren, aber die Nachrichten würden ihnen ein ungefähres Bild der Lage der breiten Bevölkerung vermitteln. Der Empfang war schlecht aber erkennbar. Gelegentlich verschwand der Ton kehrte aber stets zurück. Wahrscheinlich war es auf die Zerstörung der Relaisstationen und Sendemasten zurückzuführen. Doggett zappte sich durch die Kanäle um den Sender mit dem besten Bild zu erwischen. Sie zeigten sowieso alle die Sondersendungen des CNN.

„...die örtlichen Feuerwehren waren inzwischen in der Lage auch den Großbrand in der Innenstadt Los Angeles’ zu löschen. Aktuelle Schätzungen gehen von siebenhunderzfünfitzigtausend Obdachlosen aus. Die Bevölkerung ist aufgerufen die Stadt zu verlassen... Das Militär bittet die Bürger um Ruhe und Besonnenheit... . Doggett hörte dem Kommentator nicht zu, sondern ließ die Bilder auf sich wirken Es herrschte ein rechtes Informationschaos. Plötzlich wurde ins Studio zurückgeschaltet und die Moderatorin berichtete von einem neuen Video, das sie soeben hereingereicht bekommen hätten.

Der Film hatte schlechte Qualität, er war wahrscheinlich mit einer der billigen Digitalkameras, die man inzwischen an jeder Ecke kaufen konnte, und die offenbar auch schon jeder mit sich herumschleppte, aufgenommen worden. Augenscheinlich stammte das Tape aus einer Zeit vor dem Angriff. Die Aufnahmen zeigten den Strand im frühmorgendlichen Licht. Es waren noch nicht allzu viele Badegäste dort, aber der Filmer schien ein besonders Faible für junge Frauen in knappen Bikinis zu haben. Doggett wäre beinahe in schallendes Gelächter ausgebrochen, als sich eines der *Models* dem Kameramann näherte und ihm ziemlich deutlich zu verstehen gab, das sie keineswegs in irgendjemands Videokeller landen wollte. Es gab einen kurzen aber heftigen Streit, der abrupt unterbrochen wurde, als ein dumpfes Grollen die Streithähne aufschreckte. Die zu Boden gefallene Kamera wurde hastig aufgehoben, das Bild wackelte, dann sah man einen Ausschnitt des blauen Himmels. Die Menschen waren aufgeregt und riefen durcheinander. Dann wurde der Grund klar. Ein großer, diskursartiger Schatten schob sich in das Sichtfeld der Kamera. Das düstere Objekt verdunkelte den Himmel, ein grelles grünes Licht ging von dem Eindringling aus. Doch am meisten erschreckte Doggett die Größe des FREMDEN. Der Angreifer musste einen Durchmesser von mehr als fünfhundert Metern haben. Die Kamera wackelte, als deren Halter auf die Knie und in den Sand fiel. „Was zur Hölle....“ schnaufte er. Wie banal die Realität das Leben aussehen ließ. Doggett versuchte das Entsetzen abzuschütteln, das ihn ergriffen hatte. Über dem Meer erschien ein weiteres Schiff. Dann gleißte ein überheller Lichtschein auf und schien die Menschen zu blenden. Jemand schrie. Eine Tausendstelsekunde später donnerte es. Dann wurde das Bild schwarz und die Moderatorin kehrte auf den Bildschirm zurück.

Doggett fuhr sich durchs Haar. Jetzt wussten es alle. Die Wahrheit war nun kein Geheimnis mehr. Doch ob das den Menschen noch helfen würde, war mehr als fraglich. Dies war das Ende der Welt und der Anbeginn der Götterdämmerung.

Die vier Agents verfolgten die Nachrichten schweigsam. Jeder versuchte das Geschehe zu verarbeiten. Plötzlich erhob sich Mulder.

„Ich gehe kurz telefonieren,“ sagte er müde und verließ den Raum. Es wurde Zeit sich bei den Gunmen zu melden. Seine Freunde warteten bestimmt schon lange auf ein Lebenszeichen von ihnen allen. Mulder hatte es vermieden sie zu kontakten, nachdem sie vom Skyland Mountain zurückgekehrt waren. Wahrscheinlich hätten sie Frohike, Langley und Byers dann gar nicht mehr gehen lassen. Und das letzte das Mulder gebrauchen konnte, waren Leute die aus Schuldgefühl heraus handelten. Er zog sein Handy hervor - inzwischen hatte er wieder eins - und tippte die Nummer seiner Freunde ein. Die Verbindung war mehr als schlecht und es dauerte eine Weile, bis sich am andern Ende jemand meldete. Es war Frohike der den Namen ihrer Zeitschrift in den Hörer nuschelte. In DC war es aufgrund der Zeitverschiebung schon Mittag, aber Mulder vermutete, das die Gunmen schon seit den ersten Meldungen über die Angriffe auf den Beinen waren und daher inzwischen ziemlich müde. Doch als Mulder seinen Namen nannte war die Müdigkeit schlagartig aus Frohikes Stimme verbannt.

„Hey Mulder *wo* zur Hölle steckt ihr?“ Mulder vernahm die Ungläubigkeit in der Stimme seines Freundes.

„Beruhig dich Frohike, Scully und mir geht es gut. Wir sind in San Diego...“

„Mulder....die Stadt ist ein einziges Schlachtfeld! Was macht ihr da und wie habt ihr das Überlebt?“ Frohikes Stimme überschlug sich.

„Hör zu, Frohike, wir sind hier hergekommen, nachdem der Angriff schon beendet war. Es haben sich einige neue Tatsachen ergeben und ich wollte euch bitten, ob ihr etwas drüber herausfinden könnt. Spender erzählte uns davon, das eines der fremden Schiffe abgestürzt sei, kurz nachdem sie Los Angeles in Schutt und Asche gelegt hatten...“

„Yeah Mann, wir haben auch davon gehört, muss ein ganz großes Ding gewesen sein.“

„Jedenfalls kümmert sich mein Vater um die Sache. Die Leute werden es bergen und den Computer auf brauchbare Informationen hin untersuchen.“

„Und was soll das dann noch, Mulder?“

„Mir geht es nicht um das UFO, die Sache ist wohl in guten Händen, nein ich will wissen wer es vom Himmel geholt hat.“

„Es wurde abgeschossen?!?“

„Na ja, davon gehen die Militärs aus. Es gab Zeugen, die ein zweites Schiff gesehen haben wollen, das das UFO zerstörte.“ Als Frohike weiterfragte klang er grüblerisch.

„Was ist eigentlich mit unseren Verbündeten? Diesen Dracos.“

„Junge du hast es erfasst. Genau darum geht es mir. Wir sind bisher nicht in der Lage gewesen, wieder einen Kontakt zu den Dracos herstellen zu können. Es ist, als seinen sie vom Erdboden verschluckt worden.“

„Mulder, zur Zeit verstehe ich nur noch Bahnhof - bevor du mich hier jetzt völlig wie den hinterletzten Idioten aussehen lässt, erkläre mir bitte, wie du nach San Diego gekommen bist und was so alles vorher passiert ist. Wir sind zwar nicht die Dümmsten, was es angeht, ein paar richtig schwierige Sachen rauszufinden, aber es gibt gewisse Höchstgrenzen des Möglichen. Unsere sind inzwischen erreicht. Seit dem Anschlag auf unseren geliebten Präsidenten, haben weder Byers, Langely oder ich ein Auge zugetan, also Mulder sei jetzt bitte etwas mitteilungsfreudiger und fang mit der Geschichte von vorne an.“ Mulder seufzte. Aber das musste jetzt wohl sein. Eigentlich hatte er keine Lust, schlicht und einfach keine Kraft mehr, Frohike, Scullys und seine Odyssee von der Midgard über den Skyland Mountain und den Black Cancer im Pazifik bis nach San Diego zu berichten, das der kleine William das Opfer der Fremden geworden war, genau wie Scullys Bruder und das ihm diese wenigen verlorenen Leben im Vergleich zu den vielen Toten in den großen Städten, sehr viel mehr zusetzten. Zögernd begann er seinem Freund von der Sache zu erzählen. Als Mulder geendet hatte, war es am anderen Ende der Leitung eine ganze Weile ziemlich Still.

„Bist du noch da Frohike?“ fragte Mulder vorsichtig. Alles Geschehene noch einmal berichten zu müssen, war auch seiner Selbstkontrolle nicht unbedingt zu Gute gekommen, stellte er fest, als er die Feuchtigkeit in seinen Augen spürte. Trotzdem fühlte sich Mulder ein Stück besser, als er sich das ganze von der Seele geredet hatte. Die Gunmen waren neutral, neutraler als Scully, Skinner oder Doggett, vielleicht fiel es ihm deshalb einfacher darüber zu sprechen.

„Ähhm, Mulder, ja wir sind noch da,“ meldete sich ein betretener Frohike zu Wort.

„Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht so streng zu Dir gewesen. Ist es wirklich so schlimm?“

„Wenn es nicht so schlimm wäre, hätte ich es Dir wohl kaum so erzählt oder?“ sagte Mulder resignierend. „Aber für Scully ist es alles noch viel schlimmer.“

„Hör zu Mulder. Sehe ich das richtig? Du versuchst die Midgard zu finden?“

„Du hast es erfasst.“

Und wir sollen unsere Quellen durchchecken, ob irgendwelche Leute das Ding gesehen haben. Zeugen, die sich auf keinen Fall an das Militär und damit an Spender wenden würden. Du verlangst von uns, nicht nur ein UFO sondern ein ganz bestimmtes UFO zu finden?“

„Hmhm,“ stimmte Mulder zu.

„Tja also Mulder, das wird verdammt schwierig werden, denn für die Leute gibt es nur UFOs, aber keine Unterteilung in *Gute* und *Böse*. Aber wir werden uns reinhängen.“

„Danke Jungs,“ ließ sich Mulder vernehmen. Auf seine drei Freunde war mehr Verlass den je. „Ich geb euch meine neue Handynummer und auch die von Scully, Doggett und Skinner. Obwohl ich das dunkle Gefühl habe, dass das mit dem Telefon nicht mehr lange laufen wird,“ meinte er mit dumpfer Stimme.

„Versuchen können wir es trotzdem mal“. Er nannte Frohike die vier Telefonnummern. Beiläufig fragte er sich, wie schwierig es wohl für die normalsterblichen Menschen war, die nicht auf ein photographisches Gedächtnis zurückgreifen konnten. Sie verabschiedeten sich und als Mulder das Handy ausgeschaltet hatte, sank er gegen die Wand. Ein emotionaler Orkan tobte in seinem Inneren, eine Mischung aus totaler Erschöpfung, Wut, Furcht, Trauer und Zorn. Erschöpfung von den vielen Reisen, dem herumstreunen und suchen, Wut und Zorn über die Fremden und ihr Eindringen in diese Welt, das sie zerstören, quälten und töteten ohne dafür zu bezahlen. Furcht vor dem was noch kommen mochte. Mulder war froh, das sich zur Zeit niemand auf den Korridoren aufhielt. Er musste ein bisschen allein sein um seine Gedanken zu sortieren. Dann kam ihm der Gedanke die Papiere, die ihm sein Vater gegeben hatte, anzusehen. Bisher war er keine Sekunde allein gewesen aber jetzt schien ihm die rechte Zeit zu sein. Es waren zwei weiße Kuverts. Das erste das Mulder aufriss beinhaltete einen Brief und drei Fotos. Mulder begann mit dem Brief. Er war Handschriftlich, eine deutliche, kräftige Schriftlinie.



Mein Sohn,

wenn du diesen Brief liest, bin ich nicht da um die Fragen zu beantworten, die du Dir stellst. Du weißt, das ich das nicht kann, das ich Dir nicht ins Gesicht zusagen kann, das ich Fehler begangen habe und das ich dich um Vergebung bitte. Es fällt mir sehr schwer diese Zeilen zu Papier zu bringen, es fällt mir schwer es einzugestehen, das du der bessere von uns beiden bist. Aber angesichts dessen, was geschieht fühle ich mich verpflichtet es Dir zu schreiben, denn ich weiß nicht, ob wir uns noch einmal sehen.

Wir beide haben Fehler begangen die nicht wieder gut zu machen sind, die dich dazu gebracht haben mich zu hassen, so wie sie mich dazu brachten dich als meinen schlimmsten Gegner zu fürchten.

Du bist mein Sohn und ich respektiere und bewundere dich. Dein Mut und deine Hingabe für eine Sache, die niemals hätte geschehen sollen, hat mich beeindruckt von Anfang an. Ich konnte nicht zulassen, das du erfährst was ich plante, wer ich war und was uns verband. Dann wäre alles das was ich für gut und richtig hielt zum Scheitern verurteilt gewesen. Erinnerst du dich an unser erstes richtiges Gespräch? Damals als Agent Scully - ich wusste was sie Dir bedeutete, wahrscheinlich lange bevor es Dir bewusst wurde - verschwunden war. du kamst in meine Wohnung und bedrohtest mich mit deiner Waffe. Du fragtest warum es Scully war, die geholt wurde und nicht du und wir stritten darüber an wem es sei zu entscheiden was „Richtig“ sei. Du fragtest: „Wer sind Sie, das sie entscheiden was Richtig ist?“ und ich antwortete Dir „WER sind Sie?“

Ich kenne die Antwort, du bist mein Sohn.



Dein Vater



- Es ist die Aufgabe des Narren, die Schwächen der Wahrheit herauszustellen -



Mulder ließ das Papier in seinen Schoß sinken. Er konnte noch nicht so ganz begreifen, was er da eben gelesen hatte. Schließlich griff er nach den Fotos. Eines zeigte seine Schwester Sam im Garten vor einem großen Landhaus, mit einem Hund spielend. Eine vielleicht vier Jahre alte Samantha in glücklichen Tagen. Mulder hatte keine Erinnerung an ein solches Haus, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits acht Jahre alt gewesen sein musste. Das zweite Bild zeigte sie beide zusammen in einem großen antik eingerichteten Kaminzimmer, das Bild war älter als das erste, denn Mulder erkannte sich selbst als Vier- oder Fünfjährigen, während das kleine Mädchen noch ein Baby war. Er seufzte. Was hatte sein Vater damit bezweckt, ihm jetzt diese Bilder zu zeigen? Was erhoffte er sich davon, oder war es wieder einer seiner Versuche ihn zu manipulieren? Nein, das musste endlich aufhören, wies er sich selbst zurecht bevor es ihm wie Schuppen von den Augen fiel. Vielleicht hatten ihn die Jahre des Misstrauens tatsächlich so hart und kalt gemacht, das er nicht mehr erkennen konnte, wenn ihm jemand einfach nur eine Freude machen wollte. Langsam drehte er das dritte Bild in seinen Händen um. Seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig bei dem Anblick. Vier kleine Kinder, ein Mädchen und drei kleine Jungen. Das Mädchen war Sam und er erkannte auch sich selbst als den ältesten der drei - der Begriff des Ältesten erschien ihm etwas unangemessen - er war unmöglich älter als fünf. Es brauchte eine Weile, bis er erkannte, wer die beiden anderen waren. Seine Brüder. Der kleine Alex war nur an seinen leuchtend grünen Augen zu erkennen, denn er war nicht älter als Sam - und - nun, Jeffrey Spender, längst gestorben und begraben, sah in der Tat ein wenig aus wie sein Vater. Mulder merkte, das er tatsächlich angefangen hatte zu kichern. Es war alles so ungeheuer absurd und unwahrscheinlich, aber anscheinend hielt seine Vergangenheit immer noch Offenbarungen und Enthüllungen für ihn bereit. Wie niedlich, ein Babyfoto von ihm, zusammen mit seinen ehemaligen Erzfeinden und seiner verschwundenen Schwester. Die Erde war immer noch ein Schauplatz des Sonderbaren. Er steckte die Fotos in seine Hosentasche. Vielleicht hatte sein Vater die Wahrheit über seine tatsächlichen Kinder nur deshalb verschwiegen, weil er sich vor den horrenden Unterhalszahlungen fürchtete, dachte Mulder in einem Anflug von Sarkasmus. Er knüllte das leere Kuvert zusammen und kickte es in eine Ecke, dann widmete er sich dem Zweiten Brief. Es fielen eine Menge Dinge zu Boden, als er den Umschlag auskippte, doch er widmete sich zuerst dem Brief der darin enthalten war. Ohne Vorrede war zu lesen.



Wenn du diesen Brief zuerst öffnest, bitte ich dich mit dem anderen zu beginnen, denn sonst wirst du nichts von dem allen hier verstehen.



Mulder fühlte sich vorbereitet, denn er kannte den Inhalt des anderen Textes ja bereits. Er las weiter:



Fox, du weißt was du mir bedeutest, deshalb richte ich eine Bitte an dich, von der ich nur hoffen kann, das du sie einem alten Mann erfüllst.

Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe, aber falls ich sterben sollte, bevor das Projekt beendet ist, möchte ich, dass du meinen Platz einnimmst, als mein Sohn und Erbe. Ich weiß, das du die Fähigkeit besitzt und ich glaube an dich. Beigefügt zu diesem Brief sind die Papiere und Insignien, die Dir in der ganzen Welt die Türen öffnen werden, so wie sie es für mich taten. Es wird vielleicht an Dir und deinen Freunden sein, das zuende zu bringen, was ich vor über fünfzig Jahren begann.

Ich war es der dir deinen Namen gab. Ich hoffe, dass ich mich in meinem Sohn nicht geirrt habe.



Mulder betrachtete das Chaos auf dem Fußboden neben ihn. Einige Unscheinbare Chipkarten, ein Ausweis des Verteidigungsministeriums mit seinem Bild darauf... eigentlich wirkte alles von dem sehr unspektakulär, aber falls Spender tatsächlich die Wahrheit geschrieben hatte, machte es ihn zu einem der mächtigsten Männer dieser Welt. Er nahm auch die anderen Gegenstände genauer in Augenschein und er entdeckte einen weiteren kompletten Chipsatz ausgestellt auf Scullys Namen.



~xXx~



Doggett seufzte verärgert. Es war alles verdammt noch mal zu surreal für ihn. Jetzt hockte er hier, am letzten Tag der Welt, kurz vor dem Anbruch von Armageddon, und konnte nichts tun. Der Krieg hatte begonnen, ein Krieg der nicht auf den Schlachtfeldern entschieden wurde, nicht im Kampf Mensch gegen Mensch oder Schiff gegen Schiff. Es war kein Krieg in dem die Menschen eine Chance hatten. Sie wurden niedergemacht wie Fliegen und missbraucht, um noch mehr Schrecken auf die Welt zu bringen.

Kolonisation - Invasion, Beschaffung neuen Lebensraums, erdacht und geplant tausend Jahre vor seiner Geburt, ausgeführt jetzt, ohne Gnade, ohne Achtung, ohne Skrupel.

Doggett hätte Skinner sehr gern gebeten, ob er ihn mal kurz kneifen könne, um ihn aus diesem Albtraum rauszuholen, aber der Vizedirektor schien selbst Probleme zu haben, das alles hier zu glauben. Skinners Augen wirkten aus dem Profil her, so wie Doggett ihn sehen konnte, glasig und müde. Und da war auch immer noch Scully, die mehr wie ein Häufchen Elend, als wie eine Bundesagentin aussah, so wie sie sich auf die Bürocouch gesetzt hatte. Doggett wäre jetzt wirklich gern zu ihr herübergegangen und hätte sie getröstet, aber er hatte das Gefühl, das der einzige Mensch auf dieser Welt, der in der Lage gewesen wäre es zu tun, Fox Mulder war, und deshalb beließ er es dabei. Wo steckte Mulder überhaupt, fragte sich Doggett. Er verließ den Raum und hatte keine Probleme Mulder zu finden, der an die Wand gelehnt im Korridor saß und auf einige Papiere neben sich starrte und dabei gar nicht so unglücklich aussah. Eher *high*.

„Mulder?!?“ fragte Doggett deshalb verwirrt. Mulder hob den Blick und präsentierte Doggett ein undeutbares Gesicht.

„Wie würden Sie sich fühlen, wenn alle ihre Geburtstage, Weihnachten und Trauerfeiern auf einen Haufen zusammenkommen würden und man ihnen ein Riesengeschenk machen würde, das so gewaltig, großartig und schrecklich ist, das Sie eine verdammte Scheißangst davor bekommen? Ein Geschenk, dass einem die Chance eröffnet, die Welt zu verbessern, sie vielleicht zu retten, aber das Risiko beinhaltet, schon bei der kleinsten Fehlentscheidung alles was existiert zu vernichten.“ Doggett fragte sich verwirrt, was Mulder mit dieser Frage bezweckte.

„Wie bitte, Mulder?“ Mulder kicherte dümmlich, stand dann auf, wobei er sich ernstlich Sorgen machte, die andern würden ihn jetzt für entgültig verrückt erklären.

„Lesen Sie selber Doggett,“ sagte er und drückte ihm die beiden Briefe von Spender in die Hand. Doggett las ihn interessiert, und machte schließlich ein ungläubiges Gesicht, als er ihn an Mulder zurückgab. Mulder grinste verstehend.

„Agent Mulder, also ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich Ihnen gratulieren oder Sie festnehmen soll,“ gestand er ein.

„Also Doggett, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie keines von beidem täten, denn ich weiß wirklich nicht, ob es eine Ehre wäre, diesen Drecksjob zu übernehmen.“ Mulder gab ein unartikuliertes Brummen von sich und schüttelte den Kopf. Doggett begann Mitleid mit dem Mann zu bekommen. Die ganze Welt tanzte auf seiner Nase herum und er konnte nichts dagegen unternehmen.

„Ich glaube, das sollten wir wirklich erst einmal ruhen lassen.“ Mulder rieb sich müde die Augen.

„Wissen Sie, Doggett, ich....



Und dann grollte der Himmel und die Erde erzitterte, als eine neue Welle der Vernichtung über der Welt zusammenschlug. In diesem Augenblick heulten die Alarmsirenen des Fliegeralarms auf. Das große Gebäude schwankte schon nach Sekunden bedrohlich, Putz fiel von den Wänden und die Beleuchtung erlosch. Geistesgegenwärtig zischte Doggett:

„Raus hier!“ Mulder raffte die Chipkarten zusammen und die beiden Männer sprangen auf. Nur Sekundenbruchteile später krachten die ersten Lampen von der Decke, zusammen mit einigen Wandverkleidungen und schweren Aktenschränken, die binnen kürzester Zeit jeden Fluchtweg bblockieren würden. Doggett und Mulder stürmten gemeinsam mit den anderen Menschen das Treppenhaus herab und auf dem zweiten Stock holten sie Scully und Skinner ein.

„In die Tiefgarage!“ keuchte Skinner während sie die Treppen herunterjagten. Aus der Flucht war eine Panik geworden, die restliche Belegschaft hatte sich eine chaotische Menschenmasse verwandelt, deren Reaktionen nicht mehr von Verstand kontrolliert waren. Alle wollten nur noch raus, aber Skinners geistesgegenwärtiger Einfall in den Keller zu fliehen hatte den Vorteil, das sie dort mit großer Wahrscheinlichkeit ein Fluchtfahrzeug finden würden. Nur wenige andere hatten die selbe Idee gehabt.

Erst als sie die Türen hinter sich zufallen ließen erhob Scully einen Einwand:

„Wir können die Leute hier doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen!“ schnaufte sie empört, als Skinner das Seitenfenster eines Geländewagens einschlug und die Tür öffnete. Er warf Scully einen düsteren Blick zu.

„Doch Agent Scully, das ist genau das, was wir tun werden, denn *Wir* sind deren einzig verbleibende Hoffnung.“ Skinners entschlossener Tonfall duldete keinen weiteren Wiederspruch seitens Mulders oder Doggetts. Die beiden warfen sich bedeutsame Blicke zu. Es wurden keine Worte mehr benötigt um ihr weiteres Vorgehen zu koordinieren. Keine Minute später quietschten Reifen in der Parkgarage auf und der Frontspoiler des Trucks zertrümmerte mühelos die Schranken vor der Kabine, die wohl einmal einem Nachtwächter als Unterkunft gedient haben mochte.

„Skinner, wo haben Sie ihren Führerschein gemacht?“ war Mulders trockener und gleichzeitig beeindruckter Kommentar zu diesem Manöver.

„Als leitender Agent der Abteilung X-Akten und langjähriger Vorgesetzter von Fox Mulder und Dana Scully blieb mir nichts anderes übrig als mich Ihnen anzupassen,“ erwiderte der Vizedirektor, bevor er den bockigen Truck durch die Trümmer ans Tageslicht steuerte. Sie hatten das Gebäude kaum verlassen, als hinter ihnen ein Grossteil der Decke herunterbrach. Erst jetzt wurde es den Insassen bewusst, in welcher Gefahr sie sich befanden, selbst hier draußen am Tageslicht. Skinner knurrte etwas unverständliches als sie die Straßenschluchten hinter sich ließen. Der Himmel war düster, offenbar hatten die erneuten Angriffe, die Brände wieder entfacht. Mulder vermied es den Blick aus dem Fenster zu lenken, denn der Anblick der Obdachlosen und Verletzten auf den Straßen bereiteten ihm die Art von schlechtem Gewissen, die sie sich derzeitig nicht leisten konnten. Stattdessen musterte er die Insassen des Wagens. Skinner hatte sich vom Rest der Welt abgeschottet, seine gesamte Konzentration schien auf die Straße vor ihnen gerichtet zu sein, zweifellos die beste Taktik die sich für ihn anbot. Scully musterte schweigend die zerstörte Umgebung - wozu Mulder die innere Stärke fehlte - Doggett hingegen hatte die Augen geschlossen und seinen Kopf nach hinten gelehnt. Wie auf ein geheimes Zeichen hin, sagte er plötzlich:

„Bitte Agent Mulder, sagen Sie mir, dass ich das hier alles nur träume!“ Seine Stimme hatte den Tonfall von Resignation angenommen und sein Gesicht war fahl wie Asche. Mulder kannte dieses Gefühl von Entsetzen und Schrecken, und er wusste, dass das Grauen auch ihn wieder packen würde, wenn er sich nicht zusammennahm und sich den Luxus leistete, jetzt überhaupt an Gefühle zu denken.

„Nichts lieber als das, Agent Doggett,“ antwortete er leise und spürte wie ihn eine Welle von Trauer und Demut erfasste.

„Aber die Realität reduziert unsere Träume häufig zu Lächerlichkeit.“ Bevor Doggett etwas erwiderte, riss Skinner das Auto plötzlich radikal zur Seite um einigen Trümmerstücken auf der Straße auszuweichen, und die Insassen wurden durchgeschüttelt. An Verkehrsregeln war nicht mehr zu denken.

„Hat seinen Führerschein wohl wirklich an der Schießbude gemacht,“ raunte Mulder zynisch und schüttelte das Entsetzen ab, dass ihn gepackt hatte.

„Das habe ich gehört, Agent Mulder,“ entgegnete Skinner voller Sarkasmus. Ihrer aller Reaktionen waren der Situation schon längst nicht mehr angemessen, der bittere Zynismus und die Ironie stellte den letzten Versuch da, den Verstand und ihren Willen am Leben zu erhalten. Und das Grinsen verging Skinner blitzartig

Plötzlich grollte der Erdboden und neben ihnen krachte es ohrenbetäubend. Der Truck schlingerte, dann stob ein gleißendweißer Blitz vom Himmel der den Beton durchschlug und eine tiefe Furche hinterließ.

„Verdammt!“ keuchte er entsetzt. Mulder hob den Blick zum Himmel und was er sah bestätigte seine Vermutung. Ein flacher dreieckiger Angriffsjäger schwebte am Himmel. Sein unirdischer, düsterer Glanz ließ ihn eins werden mit dem rauchgeschwängerten Zenit. Er kannte diesen Schiffstypus aus seinen Albträumen, damals als er in dem, von einem außerirdischen Artefakt ausgelösten Koma gelegen hatte und er kannte das Schiff aus Scullys Beschreibungen, von dem UFO, das sie vor anderthalb Jahren vor Südafrika gefunden hatte. Zusammen mit den Diskusschiffen bildeten die Angriffsjäger die Flotte der Alienmacht. Immer wieder stoben gleißende Strahlen aus dem Zentrum des Schiffes und zerlegten methodisch die Reste von San Diego zu Staub.

Der letzte ultimative Beweis, die Wahrheit, nach der er so lange gesucht hatte. Ein Bild von diesem Schiff und aus dieser Entfernung hätte genügt, um den Kongress von der Existenz der Fremden zu überzeugen, bloß das das jetzt niemandem mehr nützte, da der Kongress wahrscheinlich in genau diesen Sekunden in die Luft flog.

Das fremde Schiff flog nicht hoch, allenfalls sechzig Meter, aber doch unerreicht hoch genug um zweifellos alle Bestrebungen der Bevölkerung zu fliehen oder Gegenmaßnahmen zu ergreifen zu unterbinden.

Skinner drängelte sich mit dem schweren Fahrzeug gnadenlos an den anderen Fliehenden vorbei und steuerte das Gefährt schließlich auf den Interstate wo er über alle Vernunft hinaus Gas gab. Scully erkannte warum. Vor ihnen lag eine Brücke und Scully stellte mit Schrecken fest, das ihre Nemesis am Himmel anscheinend genau darauf zusteuerte. Und wenn diese Brücke vernichtet würde, bevor es Skinner gelänge sie zu überqueren... dann würden sie ein Problem bekommen. Es war ein Wettlauf... Die Tachonadel hatte bereits ihren äußersten Ausschlag erreicht, aber es ging trotzdem zu langsam. Der Feind holte langsam aber unerbittlich auf. Sie erreichten die ersten Tragmasten und der Truck befand sich über dem Wasser.... dicht hinter ihnen gleißte es auf und der Boden erzitterte. Noch einhundert Meter schätzte Mulder die Strecke die noch vor ihnen lag. Es blitze erneut und diesmal dichter, der Beton schien nachzugeben. Noch fünfzig Meter... hinter ihnen bröckelte der Stahlbeton. Es rumpelte dunkel, die Reifen quietschten und Mulder fühlte wie sich das Fahrzeug nach hinten neigte.

„Gottverdammter Mist!“ fluchte Doggett entsetzt. Es quietschte wieder, dann machte der Truck einen aberwitzigen Satz nach vorn über den bröckelnden Beton und die Dehnungsfugen auf das rettende Ufer. Hinter ihnen stürzte die Brücke zusammen. Die mächtigen Pylone verbogen wie Büroklammern, die Tragseile rissen, die Fahrbahndecke zerbrach und ihre Trümmer versanken im dunklen Wasser, zusammen mit all den Autos, die es nicht geschafft hatten. Mulder drehte sich um, sah nach hinten zurück und in diesem Augenblick hasste er die Schöpfung und Gott - so wahr er den existierte - für den Horror den er hervorgebracht hatte.

„Sie sind verdammt gut Sir,“ sagte er nach einer Weile zu Skinner der es mit einem schweigenden Nicken quittierte. Es gab keinen Grund diesen Triumph zu feiern.

„Wo fahren wir überhaupt hin?“ Doggett stellte diese Frage und sie war das Vernünftigste, dass in diesem Auto überhaupt gesagt worden war seit ihrem übereilten Aufbruch. Niemand fand jedoch eine Antwort darauf.



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15.13 UHR AUF EINEM HIGHWAY IN OREGON



Monica Reyes gähnte herzhaft und streckte ihre müden, moskitozerstochenen Glieder. Es war - von den Mücken und dem verdreckten Waldsee abgesehen - ein absolut herrlicher Urlaub gewesen, trotz der schlimmen Träume, die am Rande ihres Bewusstseins noch auf sie zu lauern schienen. Ironie des Schicksals, dass es gerade Oregon war. Fernab von jeglicher Zivilisation, mit selbstgefangenem Fisch und Lagerfeuerromantik. Aber jetzt wurde es Zeit in die Zivilisation zurückzukehren. Reyes freute sich auf ihr Appartement und vor allen Dingen auf ihre Dusche. Und ein wenig Zeit für sich, wäre auch nicht unbedingt schlecht. Für ein paar Augenblicke fragte sich Monica, wie es Agent Scully - Dana - mit ihrem kleinen Sohn erging. Von dem Vater abgesehen. Monica kannte den Büroklatsch gut genug, um zu wissen, dass dieses Kind, zweifelsohne auch der Sohn Fox Mulders war. In sich hineingrinsend hoffte sie, dass sie in den drei Wochen ihrer Abwesenheit keine Einladungen zu wichtigen Festlichkeiten verpasst hatte, bei denen es Chancen gab, einen Brautstrauß zu fangen. Derzeitig herrschte auch nicht unbedingt Diskutierstimmung im Auto. Der bis zum Dach vollgepackte alte Armeejeep wurde derzeitig von Jasmine - einer anderen alten Freundin gesteuert, während zwei der männlichen Mitglieder der Gruppe, auf der Rückbank, leise über die besten Fischköder sprachen und der Dritte leise schnarchte. Monica grinste, als sie die Situation im Rückspiegel bemerkte. Ellen fuhr in ihrem eigenen, wesentlich kleineren Auto mit ihrem Mann hinter ihnen her.

„Jasmine?,“ fragte Reyes.

„Jepp, was gibt’s Monic?“

„Wie weit haben wir’s eigentlich noch bis Salem?“

„Ich schätze mal ne halbe Stunde....“ Die junge Frau begann kräftig gegen die angeknackste Glasscheibe über dem alten Tachometer zu klopfen, bevor sie Monica ein halbes Grinsen schenkte.

„Also wenn alles an diesem Auto so wie der Tacho den Bach runtergeht, wird es noch was länger dauern.“

„Vergiss es Jasmine, dieses Auto ist schrottreif, das hab ich Dir schon vor sechs Jahren gesagt, abgesehen davon, dass die Belüftung dringend mal geputzt werden müsste. Es stinkt schon die ganze Zeit nach verbrannten Kabeln.“
„Er fährt aber prima und wozu braucht ein Auto eine Belüftung. Immerhin hat es Fenster!“ verteidigte Jasmine ihr Schätzchen. Monica dachte daran, dass ihre Freundin schon zu Schulzeiten immer ein Faible für alte Karren gehabt hatte. Sie war ihretwegen oft von ihren Eltern zusammengestaucht worden, weil die Kinder mal wieder auf dem Schrottplatz herumgetobt hatten. Ihre Freundin kurbelte die Seitenscheibe herunter und im selben Moment schlug warme, nach Verbranntem stinkende Luft in den Innenraum. Jasmine hustete und schloss das Fenster schnell wieder.

„Das liegt nicht an meinem Auto,“ sagte sie zu Reyes, die verwirrt nach draußen blickte. Der Jeep quälte sich einen etwas steileren Hügel hinauf.

„Ich glaube wir sollten ihm oben eine Pause gönnen,“ scherzte Reyes. Ihre Freundin zuckte mit den Schultern.

„Meinst du?“ Monica nickte. Sie würde sich selbst gern ein wenig die Beine vertreten.

Doch auf der Bergkuppe erwartete sie ein Anblick des Schreckens der allen Beschreibungen spottete. Von der Anhöhe ergab sich ein Blick bis nach Salem, ihrem Zielort. Aber die unbewaldete Erhebung bot auch seit einiger Zeit, wieder den ersten Blick gen südlichem Horizont.

„Oh mein Gott, was um alles in der Welt ist denn geschehen?“ stöhnte Jasmine entsetzt. Es erklärte auf sehr brutale aber einleuchtende Weise, woher die heiße stinkende Luft stammte. Monica sagte nichts. Eine böse Ahnung erwachte in ihr, als sie an das schwarze Wasser des kleinen Sees dachte.



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17.45 UHR, IRGENDWO IN ARIZONA



Die Fahrt war weitestgehend schweigend verlaufen. Kaum hatten sie den Großraum Los Angeles verlassen hatte Mulder Spender angerufen, der sie nach Camp Unity gebeten hatte. Seinen knappen Worten war zu entnehmen gewesen, dass dort die internationalen Gegenmaßnahmen geplant und koordiniert wurden. Gelegen, irgendwo in der Wüste und den Felslandschaften Colorados, hofften die Militärs einer frühzeitigen Entdeckung zu entgehen. Mulder war sich in dieser Hinsicht alles andere als sicher, aber es war eigentlich auch egal. Jeder Ort dieser Welt wäre geeignet oder ebenso auch ungeeignet gewesen für dieses Projekt, dass sich sowieso keine zu großen Chancen auf Erfolg erhoffen durfte. Allerdings stellten sich den Agenten andere, wesentlich banalere Probleme in den Weg. Der Luftraum über den USA - und wohl auch dem Rest der Welt - war für alle nichtmilitärischen Flugzeuge gesperrt worden, sodass sich die simple Schwierigkeit des von A nach B Gelangens stellte. Sie waren mit dem Auto unterwegs aber mehr als eintausend Kilometer waren an einem Tag nicht zu schaffen egal wie sich Skinner bemühte. Nach jeweils hundert Kilometern hatten sie begonnen sich am Steuer abzuwechseln, als der Assistant Director kurz vor dem Einschlafen stand. Widerspruchslos hatte er für Mulder Platz gemacht um die nächsten drei Stunden zu verschlafen. Wenigstens war ihnen bisher eine neuerliche Konfrontation mit den Aliens erspart geblieben, sodass das Team annehmen konnte, das die Vernichtung der Brücke generell gewesen war und nicht speziell ihnen gegolten hatte. Offenbar blieben sie auch weiterhin unentdeckt.



Es war heiß in der Wüste, der Sommer forderte seinen Tribut, fand Scully, als sie schließlich aus dem Truck kletterte und ihre steifen Muskeln massierte. Von den kurzen Wachwechseln am Steuer abgesehen, waren sie ununterbrochen gefahren, eisern Schweigend und in Gedanken versunken. Sie hatte kaum drei Worte mit den anderen gewechselt. Selbst als Mulder ihr den Brief von Spender zu lesen gegeben hatte, hatte er geschwiegen. Diese Angelegenheiten bedurften einfach keiner weiteren Worte mehr. Die Sonne stand schon schräg am Himmel und tauchte die trockene, felsige Landschaft in ein warmes, rötliches Licht, das in Scully viele Erinnerungen an alte Tage wachrief. Wie oft war sie in ähnlichen Gegenden gewesen um mit Mulder und später auch mit Doggett seltsame Mordfälle und Verbrechen zu untersuchen? Obwohl sie jedes Mal aufs neue von der Ungewöhnlichkeit und Einmaligkeit dieser Aufträge überrascht worden war, so erschienen sie ihr im Rückblick wie ein gemütlicher Traum oder eine schöne Erinnerung an Zeiten, die nie wieder kommen würden. Manchmal vermisste sie die kleinen Wortduelle, die sie sich mit Mulder geleistet hatte, seine lockere offene Frechheit und die von ihm an den Tag gelegte Dreistigkeit. Seinen trockenen Humor hatte er behalten, aber jeder von ihnen allen war nachdenklicher und abwägender geworden in der letzten Zeit. Ihre Gefühle gingen nun tiefer, genauso wie auch ihre Verstrickung in DIE Sache tiefer geworden war. Von den klaffenden Wunden in ihren Herzen abgesehen. Scully reckte sich ausgiebig und blickte über das weite Land hinweg zum Horizont. Skinner hatte beschlossen, dass es für heute genug war und sie alle eine Pause, eine Dusche und etwas zu Essen benötigten. Deswegen hatte Mulder auch in einem kleinen Kuhkaff am Ende der Welt den Motor abgeschaltet. Das einzige was es hier zu geben schien, war eine veraltete Tankstelle, die ihrem Zustand nach zu urteilen zu den ersten des Landes gehört haben musste, einem Postamt, das im Umkreis von hundert Meilen das einzige zu sein schien - darauf deutete die immense Größe hin - und einigen uralten Häusern. Eine Unterkunft für Fremde schien es hingegen nicht zu geben, warum auch? Wer wollte schon mitten in diesem Nirgendwo halt machen. Eine weitere Parallele die Scully zu der Vergangenheit zog. Kuhkaffs ohne vernünftige Unterkunft. Nichts deutete auf den Krieg hin, der in diesen Sekunden in der Welt tobte, es herrschte so etwas wie Frieden und Scully wünschte sich, diesen Frieden in ihrem Herzen einschließen zu können. Mulder schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn als sie sich zu den anderen umdrehte umspielte ein warmes Lächeln seine Lippen.

„Ich frage mich grade, ob dieses wunderschöne Städtchen einen Wiedererkennungswert haben müsste.“

„Sie meinen es handelt sich um die Realisierung eines Klischees?“ meinte Doggett grinsend. Mulder antwortete nichts aber sein Blick sprach Bände.

„Wir finden bestimmt eine nette Hinterwäldlerabsteige, falls Ihnen das Sorgen bereitet Agent Doggett,“ schmunzelte er.

„Ich dachte Sie hätten im letzten halben Jahr an den X Akten gearbeitet, für so etwas entwickelt man doch eine gewisse Routine, oder nicht?“ neckte Mulder ihn weiter.

„Nun ich denke Agent Scully hat mich angemessen auf das Nomadenleben vorbereitet,“ meinte Doggett und seine funkelnden blauen Augen zeigten Erheiterung. Er musterte Scully und Mulder die nebeneinander standen beide lächelnd aber auch mit einem Ausdruck von Wehmut im Gesicht, so wie Menschen die nach zwanzig Jahren in das Haus ihrer Geburt heimkehren. Ihm selber fiel es schwer sich in dieser Situation zurrecht zu finden - in einer vollkommen neuen Welt von der er vor einem knappen Jahr nicht einmal den Hauch einer Ahnung gehabt hatte. Wie aber musste es für diese beiden Menschen sein, die die derzeitigen Ereignisse schon so lange vorhergesehen hatten und denen niemand Glauben geschenkt hatte - bis zu dem Zeitpunkt an dem es zu spät gewesen war? Einerseits beneidete er sie für ihr Wissen und ihre gemeinsamen Erlebnisse, die sie zu einer perfekten Einheit gemacht hatten, ohne auch nur einen Teil ihrer beeindruckenden Persönlichkeiten zu verlieren, andererseits fürchtete er die Dinge, die sie hatten erleben müssen, um diese Art von Vollkommenheit zu erreichen.

„Agents ich schlage vor das Sie ihre Diskussion auf einen Zeitpunkt verschieben, an dem wir eine Unterkunft gefunden haben,“ unterbracht sie Skinner. Dann begannen sie den kleinen Ort zu erkunden. Scully hatte schließlich Erfolg. Die größte Farm von Rose - der Name der Stadt hatte Mulder schon zu einem Kommentar verleitet - vermietete Zimmer

Das kleine Problem, die Tatsache dass es nur zwei davon gab, wurde im Einvernehmen aller auf sehr simple Weise gelöst. Ein Zimmer für Doggett und Skinner, das andere für Scully und Mulder. Diese doch ungewöhnliche Einteilung, die so überhaupt nicht den Vorschriften zu entsprechen vermochte, wurde von Skinner mit einem mehrdeutigen Grinsen und einem knappen Nicken quittiert.

Er wusste schon sehr lange, was seine beiden besten Agents verband und das es mehr als eine platonische Beziehung war, die sie seit einiger Zeit führten. Und er freute sich für sie. Ihnen beiden war persönliches Glück immer verwehrt geblieben, sie beide hatten ihre Familien eingebüßt, hatten schon so oft am Sprichwörtlichen Abgrund des Todes gestanden in einem von Leid und Schrecken geprägten Leben. Genau deswegen drückte Skinner schon jahrelang beide Augen zu. Während des Billy Miles Falles hatte er Mulder einmal nach der Vaterschaft von Scullys Kind gefragt, und obwohl er keine definitive Antwort erhalten hatte, so war es Mulder trotzdem ins Gesicht geschrieben gewesen, welche Rolle er gespielt haben musste.
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