World of X

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Never give up hope

von Mona

Kapitel 2

Kimberly Sayers starrte abwechselnd auf das Lenkrad ihres Wagens und zur Eingangstür der Schule. Ihr Zeitgefühl war immer noch nicht zurückgekehrt und so konnte sie nicht einmal sagen, wie lange sie schon hinersaß. Eigentlich war sie innerlich völlig ruhig – keine Angst, keine Aufregung oder Panik – sie war schlichtweg nur durcheinander und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.



„Jetzt reiß dich zusammen, Kimberly Sayers“, flüsterte sie immer wieder vor sich hin.



Sie musste endlich wieder anfangen klar zu denken. Sie atmete ein paar Mal tief durch und verdrängte die schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf. Warum war sie bloß so ein schrecklicher Feigling?



„Mut ist nichts anderes, als Angst, die man nicht zeigt“

(Sergio Leone)



Dann blickte sie auf ihre Uhr. Doch zeitgleich schwang die Tür zur Schule auf und eine Horde Kinder und Teenies strömte heraus. Kimberly musste daran denken, wie sie oft in der Schule gesessen war und jede Minute auf die Uhr blickte und endlich der rettende Gong erklang. Alles andere wurde nur noch zur Nebensache: das was der Lehrer noch erzählte, die Langeweile von gerade. Das einzige Ziel war möglichst schnell und mit Aufwand aller Kräfte den Ausgang zu erreichen.



„Ma, mach die Tür auf!“, holte sie Billys Stimme plötzlich in die Realität zurück.



Kimberly schreckte hoch. Sie war sich gar nicht bewusst, dass sie sich im Wagen eingeschlossen hatte. Aber sie musste jetzt Ruhe bewahren und so normal wie möglich wirken. Billy sollte auf keinen Fall etwas merken. Das musste sie ihm sanft beibringen und bestimmt nicht im Auto auf dem Weg nach Hause. Kimberly zog den Absperrknopf nach oben, öffnete die Tür und begrüßte ihren Sohn mit einem fröhlichen:



„Na, wie war dein Tag?“



„Ging so. Bis auf Mathe war alles öde!“, lautete seine Antwort, während er seine Schultasche und anschließend sich selbst auf den Rücksitz hievte.



„Hast du viele Hausaufgaben?“, erklang die tägliche Frage Kimberlys.



„Nein. Nicht viele. Das hab ich schnell gemacht“, lautete die ebenso tägliche Antwort ihres Sohnes.



Normalerweise würde jetzt die ebenso alltägliche Diskussion darüber starten, ob es besser ist seine Hausaufgaben schnell oder gründlich zu machen, aber heute hatte Kimberly absolut nicht den Nerv dazu. Und zu ihrer Verwunderung schwieg auch Billy, obwohl er sonst auf dem Nachhauseweg unentwegt quasselte. Kimberly musterte ihn nachdenklich im Rückspiegel. Er blickte starr nach draußen, als suche er nach irgendetwas und wirkte irgendwie . . . traurig.



„War heute irgendetwas in der Schule?“, fragte sie dann vorsichtig, doch Billy schüttelte nur abwesend den Kopf.



Da war es wieder, dieses ungute Gefühl, das Kimberly in sich aufsteigen fühlte. Sie wusste, dass er etwas hatte, doch er schien eine Mauer zwischen ihnen aufzubauen.



„Ma?“, begann Billy dann.



„Ja?“



„Lucy will nicht mehr mit mir spielen.“



Fast hätte Kimberly die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Sie schaffte es gerade noch das Lenkrad rechtzeitig herumzureißen und somit einem entgegenkommenden Truck auszuweichen. Was hatte ihr Sohn eben gesagt?



„War Lucy heute doch in der Schule?“, fragte Kim so ruhig wie es ihr möglich war.



Doch Billy schüttelte nur den Kopf.



„Woher weißt du das dann?“, bohrte Kimberly weiter.



„Sie hat es mir gesagt. Sie hat jetzt zwei andere Freundinnen und sie wohnen in einem großen Haus mit ganz viel Spielsachen und müssen nicht in die Schule. Aber sie hat ganz viel Angst und will wieder nach Hause!“



Kimberly schluckte. Was redete Luc da bloß?



„Wann hat sie dir das gesagt, Schatz?“, fragte Kim mit wachsender Besorgnis.



„Heute Nacht, in meinem Traum.“



„Dreams surely are difficult, confusing, and not everything in them is brought to pass for mankind. For fleeting dreams have two gates: one is fashioned of horn and one of ivory. Those which pass through the one of sawn ivory are deceptive, bringing tidings which come to nought, but those which issue from the one of polished horn bring true results when a mortal sees them.”

(Homer)



Kimberly musterte ihren Sohn argwöhnisch. Langsam machte ihr das ganze wirklich ernsthafte Sorgen. Nicht nur, dass Billy schlecht träumte, er hielt seine Träume dann auch noch für real. Vielleicht sollte sie mit ihm wirklich einmal einen Arzt aufsuchen.



„Schatz, das war doch nur ein Traum“, sagte sie, als sie die Haustür aufsperrte.



„Aber da hat mir Lucy doch auch gesagt, dass sie heute nicht zur Schule kommt. Und sie war tatsächlich nicht da“, protestierte ihr Sohn.



Kimberly sah ihn nachdenklich an. In ihrem Kopf pochte es mittlerweile schrecklich und sie musste sich unbedingt etwas hinlegen.



„Vielleicht hast du Recht, Schatz“, sagte sie dann zu Billy, weil sie nicht wusste, was sie sonst darauf sagen sollte.

„Und jetzt mach bitte deine Hausaufgaben.“



Sie sah Billy noch nach als er mit seinem schweren Schulsack beladen die Treppe hochstiefelte und legte sich dann auf die Couch. Sie brauchte unbedingt etwas Ruhe.

Sie schloss die Augen und versuchte ein wenig zu schlafen, doch diese ganze Sache ließ ihr keine Ruhe. Immer wieder sah sie dieselben schrecklichen Bilder vor sich und immer wieder tauchte Billys Gesicht auf. Er wusste heute früh schon, dass Lucy nicht kommen würde. Doch woher? Wenn sie tatsächlich entführt wurde, wie es die Polizisten vermuteten, dann hätte sie es Billy doch nie schon vorher sagen können. Woher konnte er es aber dann wissen?

Fragen über Fragen, die sich immer wieder, wie eine Bohrmaschine in Kimberlys Hirn bohrten. Irgendwann übermannte sie dann aber doch die Müdigkeit und sie viel in einen unruhigen, von den Bildern des Tages überschatteten, Schlaf.









„Todeszeitpunkt, gestern Abend gegen 23, oo“, sagte Scully, die gerade die Leiche obduziert hatte und jetzt mit Mulder auf dem Weg zum Haus der Familie Sayers war.

„Durch die Kraft mit der der Schlag ausgeführt wurde, handelt es sich bei dem Mörder höchstwahrscheinlich um eine starke männliche Person.“



„Hmm. Ich hab mir die Akten der anderen beiden Fälle aus New Orleans und Kentwood faxen lassen. Sie sind beinahe völlig identisch, bis auf die Tatsache, dass diesen beiden Frauen tatsächlich die Kehle durchgeschnitten wurde.“



„Was dem Täter hier misslang.“



„Ja, er beginnt Fehler zu machen. Vielleicht ist das unsere Chance. Er scheint nur auf die Entführung der Kinder aus zu sein, kein sexuelles Interesse zu haben.“



„Aber warum tötet er dann die Mütter? Ich meine, es würde doch reichen, sie außer Gefecht zu setzen.“



„Vielleicht weil er sicher gehen will, dass ihn niemand wiedererkennt. Er scheint bevorzugt in Häuser einzubrechen, die nur von einer Mutter mit Kind bewohnt sind. Terese Linnée hatte sich vor fünf Jahren scheiden lassen. Er muss seine Opfer also im Vornherein beobachten und gezielt auswählen. Seine Taten plant er sorgfältig. Seine Absicht ist es der schlafenden Frau im Bett die Kehle durchzuschneiden und dann das Kind, das er mit Äther betäubt, mitzunehmen. So war es in den ersten beiden Fällen. Es hat perfekt geklappt. Er hat weder Fingerabdrücke, noch sonst irgendwelche Spuren hinterlassen: keine Haare, keine Hautpartikel. Nur geringe Spuren von Äther konnten in den Betten der Kinder festgestellt werden. Gestern muss er dann einen Fehler gemacht haben. Entweder Mrs. Linnée war noch gar nicht im Bett, oder sie hat ihn sonst irgendwie bemerkt.“



„Und sie hat sich gewehrt. Und deshalb konnte ich auch Hautpartikel und Blutspuren unter ihren Fingernägeln feststellen, die sicherlich nicht ihr gehören“, sagte Scully triumphierend.

„Ich habe sie gleich ins Labor nach Quantico geschickt und wenn wir Glück haben, dann haben wir morgen einen genetischen Fingerabdruck des Täters“, grinste sie.



„Du bist ein Genie, Dana Scully!“, witzelte Mulder, „und das ist nur einer der Gründe, warum ich dich so liebe“, fügte er hinzu, als sie vor der Tür der Familie Sayers standen.



„For one human being to love another; that is perhaps the most difficult of all tasks, the ultimate, the last test and proof, the work for which all other work is but preparation“

(Rainer Maria Rilke)









Kimberly hatte inzwischen geduscht und sich frische Kleidung angezogen. Sie hatte wirre Sachen geträumt und war schweißnass aufgewacht. Inzwischen war es 20.00 vorbei und sie hatte Billy ins Bett gebracht. Heute zum Glück ohne große Widerrede.

Gerade wollte sie sich ein Glas kalifornischen Rotwein einschenken, als es plötzlich an der Tür klingelte.



*Wer konnte das denn um diese Zeit noch sein?*, schoss es ihr durch den Kopf.



„Mrs. Sayers?“, fragte ein gutaussehender Mann mit Anzug und Krawatte.



„Ja?“, entgegnete Kimberly zögernd.



„Wir sind Agent Mulder und Agent Scully vom FBI“, stellten sich die beiden vor.



Wie hatte sich Kimberly auch denken, können, dass die Polizei sie verschonen würde und keine Aussage verlangte.



„Kommen Sie rein und setzen Sie sich“, sagte sie mit einer einladenden Geste auf das Sofa.



„Ich nehme an es geht um die Sache heute Morgen“, begann sie, als sie Platz genommen hatten.



„Kannten Sie das Opfer gut?“, wollte Scully wissen.



„Na ja, wie man sich eben so kennt, wenn die Kinder miteinander befreundet sind. Wir haben uns zu Schulfesten, Elternabenden, Kindergeburtstagen, oder eben wenn wir uns einmal zufällig auf der Straße begegnet sind unterhalten, aber das war’s dann auch schon. Ich würde nicht sagen, dass wir befreundet waren, oder so.“



Mulder nickte.



„Und warum sind Sie heute Früh zu Mrs. Linnée gefahren?“, setzte er dann nach.



Kimberly stockte. Sollte sie die Wahrheit sagen? Dass Billy wusste, dass Lucy heute nicht in die Schule kommen würde?



„Mhhmm, ich wollte ihr ein paar Eier vorbeibringen. Sie hat mich gebeten ihr welche mitzubringen, weil sie irgendetwas kochen wollte und vergessen hatte sie zu besorgen“, log Kim.



„Und dann haben Sie bemerkt, dass die Tür aufgebrochen wurde?“, bohrte Mulder nach.



„Na ja, so genau, hab ich das nicht gesehen. Mir ist nur aufgefallen, dass sie offen stand.“



„Und wie ging’s dann weiter?“, fragte jetzt Scully.



„Ich habe ein paar Mal nach den Beiden gerufen, aber niemand hat geantwortet und da wurde ich misstrauisch und bin in das Haus gegangen. Und dann . . . dann war da alles voll Blut und Tereses Bein hing so über dem Sofa und weiß ich nur noch, dass mir übel wurde“, berichtete Kimberly stockend.



„Haben Sie im Haus etwas berührt?“, setzte Mulder nach.



Kim starrte kurz vor sich hin und überlegte.



„Nein, . . .ich denke nicht“, sagte sie dann.



„Und wie haben Sie die Polizei gerufen?“



„Ich weiß es nicht!“, schrie Kimberly jetzt.

„Wahrscheinlich mit meinem Handy! Ich sagte Ihnen doch, dass ich nur noch weiß, dass mir übel wurde. Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich aus dem Haus herauskam. Das nächste, an das ich mich erinnern kann, war, dass ich in diesem Streifenwagen saß und eine Beamtin meine Personalien aufnahm. Um mich herum waren überall Polizisten, die irgendetwas von einem Serienmörder vor sich hin redeten und dass er die Kinder entführt.“



„Warum sind Sie dann weggelaufen, Mrs. Sayers?“, lautete Mulders nächste Frage.



Doch Kim blickte nur starr vor sich hin – mit Tränen in den Augen.



„Mrs. Sayers?“, fragte Scully sanft, als sie nicht antwortete.



Kimberly blickte sie an.



„Sie sollten mit jemandem über das Erlebte reden. Es bringt nichts, wenn sie es verdrängen. Es wird nur schlimmer werden. Ist ihr Mann nicht zu Hause?“



Kimberly schüttelte den Kopf und Tränen liefen ihre Wangen hinunter.



„Sie sollten ihn anrufen.“



Kim nickte.



„Aber jetzt müssten Sie uns bitte unsere Fragen beantworten.“



„Ich weiß nicht, warum ich weggelaufen bin. Ich . . . ich stand unter Schock und die Sache mit Lucy. . . Ich hatte auf einmal so schreckliche Angst um Billy.“



„Billy ist ihr Sohn?“



„Ja, eigentlich mein . . . Adoptivsohn. Maurice und ich können keine eigenen Kinder bekommen. Aber er ist für mich, wie mein wirklicher Sohn. Jedenfalls bin ich dann zur Schule gefahren und habe da gewartet und ihn dann mit nach Hause genommen“, schluchzte Kimberly.



Mulder merkte wie Scully bei dem Wort „Adoptivsohn“ kaum merklich zusammenzuckte. Doch auch er hatte sofort an William denken müssen. Und Scully mussten diese schmerzvollen Erinnerungen noch mehr belasten. Er warf ihr einen besorgten Seitenblick zu, doch Scully schien sich bereits wieder unter Kontrolle zu haben.



„Haben Sie ihm etwas erzählt?“, fragte sie ruhig.



Kim schüttelte den Kopf.



„Nein, noch nicht.“

„Stimmt das? Mit dem Serienmörder?“, fragte sie nach einer kurzen Pause nach.



„Ja, er hat bereits in New Orleans und in Kentwood eine Frau getötet. Innerhalb des letzten halben Jahres. Die Kinder sind bis heute verschwunden“, schaltete sich jetzt Mulder wieder ein.



Kim dachte nach. Maurice – ihr Mann - war schon oft mit dem Truck in New Orleans gewesen. Er war Fernfahrer. Er hatte ihr immer vorgeschwärmt, was für eine schöne, friedliche Stadt das doch war, im Gegensatz zu San Diego. Wie doch der Eindruck trügen konnte.



„Warum machen Menschen so etwas, Agent Mulder?“



Mulder sah sie an.



„Ich weiß es nicht. Meistens wollen sie irgendetwas aus ihrer Kindheit verarbeiten. Das ist die gängige Begründung, aber ich könnte das nie als Entschuldigung sehen. Nicht einmal die schlechteste Kindheit rechtfertigt so etwas.“



„Kinder, die man nicht liebt, werden Erwachsene, die nicht lieben“

(Pearl Sydenstricker Buck; Pseud.: John Sedges)



Mit diesen Worten stand er auf und ging in Richtung Tür.



Scully lächelte Kim zu.



„Rufen Sie ihren Mann an und reden Sie mit ihm“, sagte sie zum Abschied.

„Das wird Ihnen helfen.“



Kim lächelte zurück.



„Danke“, sagte sie dann.



„Können wir morgen vielleicht einmal mit Billy sprechen?“, fragte Scully dann.

„Er könnte uns eventuell etwas über Lucy sagen, das uns weiterhelfen könnte.“



Kim war gar nicht wohl bei dem Gedanken, doch schließlich nickte sie, bevor sie die Tür schloss.









„Was hältst du von ihrer Aussage?“, fragte Scully ihren Partner auf dem Weg zum Hotel.



„Bis auf die Sache mit den Eiern glaube ich ihr“, antwortete er.



„Mhhmm, so geht es mir auch. Es kam mir vor, als musste sie erst überlegen, was sie sagen sollte. Außerdem: warum sollte sie gerade eine Frau bitten, die sie kaum kennt, ihr Eier mitzubringen. Normalerweise fragt man bei so etwas den unmittelbaren Nachbarn.“



Mulder nickte.



„Du musstest vorhin an William denken, oder?“, fragte er dann sanft.



Scully schwieg erst und nickte dann.



„Ich würde manchmal einfach gerne wissen, was er so macht, ob es ihm gut geht, wie er aussieht, welche Interessen er hat, ob er überhaupt noch in den Staaten ist. Und manchmal frage ich mich, ob ich damals wirklich keine andere Wahl hatte, ob ich vielleicht zu bald aufgegeben habe.“



Mulder legte den Arm um Scully, als sie den Gehweg entlang gingen.



„Du hast nur das Beste für ihn gewollt und ich bin mir sicher, dass du das Richtige getan hast. Und wie ich dir damals schon gesagt habe: Vielleicht gibt es Hoffnung.“



„Die Hoffnung ist der Regenbogen über dem herabstürzenden Bach des Lebens“

(Friedrich Nietzsche)



Scully lächelte ihn mit Tränen in den Augen an. In Momenten wie diesem, wurde ihr immer wieder klar, wie sehr sie Mulder doch liebte und wie sehr sie ihn brauchte. Wenn sie noch so verzweifelt war, schaffte er es immer wieder sie aufzubauen.



„Wir sind sterblich, wo wir lieblos sind, unsterblich, wo wir lieben“

(Karl Jaspers)









„Billy? Schläfst du noch?“, fragte Kim leise und rüttelte sanft an den Schultern ihres Sohnes.

„Dad ist hier“, fügte sie ebenso leise hinzu.



Zwar war Samstag und sie gönnte es Billy wohl sich auszuschlafen, aber immerhin war es bereits neun Uhr vorbei und das FBI hatte sich angekündigt.

Auf Scullys Rat hatte sie noch gestern Abend ihren Mann angerufen und erzählt, was passiert war und er hatte augenblicklich alles stehen und liegen gelassen und war nach San Diego geflogen. Und Scully hatte Recht gehabt. Es fühlte sich unglaublich gut an, jemanden zu haben, dem man alles erzählen konnte, dem man grenzenloses Vertrauen entgegenbringen konnte.

Billy schlug langsam die Augen auf.



„Dad ist hier?“, fragte er verschlafen.



„Ja, er wartet unten schon auf dich. Willst du ihm nicht „Guten Tag“ sagen?“



Luc zögerte. Dann stieg er langsam aus dem Bett und machte sich auf den Weg nach unten. Doch vor der Treppe blieb er plötzlich ruckartig stehen und sah fragend zu seiner Mutter. Als Kimberly die Treppe ebenfalls erreicht hatte, wusste sie warum.



„Oh, Sie sind schon da?“, begrüßte sie die beiden Agenten.



„Ja, Ihr Mann hat uns herein gelassen. Er wollte noch schnell etwas besorgen“, sagte Mulder.



Kim nickte.



„Das sind Agent Mulder und Agent Scully vom FBI“, flüsterte sie Billy zu.

„Sie wollen dich etwas über Lucy fragen.“



Billy war plötzlich total aufgekratzt. Er stürmte auf die beiden Agenten zu und blieb abrupt vor ihnen stehen.



„Und du bist wirklich ein richtiger FBI Agent“, fragte er dann an Mulder gewandt.



„Ja, ich bin ein richtiger FBI Agent.“



„Mit einer richtigen Waffe?“



Scully grinste.



„Ja, mit einer richtigen Waffe“, stimmte Mulder zu und zog sein Jackett etwas zur Seite, so dass sein Revolver zum Vorschein kam.



„Wow!“, staunte Billy.



Kimberly stand inzwischen hinter ihm und hatte das ganze etwas beobachtet.



„Wissen Sie, er liebt Filme, in denen Polizisten auf Verbrecherjagd sind“, erklärte sie.



„Und ich möchte selbst mal Polizist werden“, fügte er strahlend hinzu.



Mulder und Scully mussten lachen und Mulder wurde durch Billy an seine eigene Kindheit erinnert. Auch er wollte seine ganze Jugend hindurch Polizist werden. Das war immer sein Traum gewesen. Warum er dann letztendlich Psychologie studierte wusste er gar nicht mehr genau. Aber letztenendes hatte er ja jetzt seinen Traumjob.



„Jetzt komm schon Billy, die Agents wollen dir ein paar Fragen stellen“, drängte Kim und machte eine einladende Geste in Richtung Wohnzimmer.



Als sie alle im Wohnzimmer saßen – Billy auf dem Schoß seiner Mutter – beschlich Scully ein seltsames Gefühl. Die ganze Situation kam ihr so falsch vor. Sie konnte nicht sehen, wo der Fehler lag, aber irgendetwas war nicht in Ordnung. Vielleicht lag es an Billy. Er sah sie manchmal so seltsam an. Es lag etwas so vertrautes in seinen Augen, ein Gefühl, dass sie einmal kannte, aber das viel zu kurz anhielt. Als hätte sie schon einmal jemand so angesehen. Sie wusste nicht, wo sie dieses Gefühl herhatte, aber es störte momentan ihre Arbeit. Also schob sie es, so gut es ging, beiseite.



„Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der einen schon liebt, bevor sie einen kennt“

(Unbekannt)



„Billy“, begann Mulder.

„Du hast eine gute Freundin, Lucy. Sie ist seit gestern nicht mehr zu Hause und wir wollen sie möglichst schnell wiederfinden. Hat sie dir einmal etwas erzählt, dass sie in letzter Zeit Angst hatte? Dass sie vielleicht ein Mann verfolgt?“



Billy schüttelte nur den Kopf.



„Lucy hatte nie Angst“, sagte er dann. „Nicht einmal im Dunkeln.“



„Und wenn du bei ihr zum Spielen warst, hattest du das Gefühl, dass ihre Mutter sich anders verhielt, als sonst, als du da warst?“



Billy schüttelte wieder den Kopf.



„Gestern war sie nicht in der Schule. Hat sie dir gesagt, dass sie vielleicht verreisen will?“, fragte Mulder.



Billy sah abwechselnd von Mulder zu Scully, als dachte er über etwas nach, sagte aber nichts. Plötzlich klingelte es an der Tür.



„Das wird Maurice sein“, sagte Kim. Entschuldigen Sie mich bitte.“



Mulder und Scully nickten kurz und sahen ihr nach, als sie den Raum verließ.



„Was hast du denn für ein Lieblingsfach in der Schule?“, fragte jetzt Scully, um die Spannung etwas zu lockern.



„Mathe“, lautete Billys Antwort.



„Oh, Gott! Noch so ein Mathestreber“, prustete Mulder und deutete auf Scully. „Dana ist einsame Spitze in Mathe!“, fügte er dann hinzu.



Billy strahlte Scully an und dieses Lachen erweckte eine ungeheure Wärme in ihr. Ein Gefühl, dass sie so vermisst hatte. Es war ein Gefühl ähnlich wie Liebe, aber doch anders.



„Billy“, sagte sie dann, „Weist du, wo Lucy vielleicht sein könnte? Hat sie dir erzählt, ob sie vielleicht wegfahren will?“



Billy sah sie an. Dann sagte er:



„Sie hat mir gesagt, dass sie nicht in die Schule kommen wird.“



Scully und Mulder wurden hellhörig.



„In der Nacht, bevor sie dann nicht kam“, fügte Billy hinzu.



„Sie war nachts bei dir?“, bohrte Scully nach.



„Ja, im Traum. . . es war wie im Traum. Sie stand auf einmal in meinem Zimmer und sagte mir, dass sie morgen nicht in die Schule kommt und dass ihrer Mum etwas Schreckliches passiert ist und dass sie Angst hat und wieder nach Hause möchte.“



Scully sah Mulder an, der sie nur frech angrinste. Ein Junge, der im Traum Dinge vorhersah?

*Nicht schon wieder eine X- Akte*, dachte sie.



„Was hast du denn genau gesehen?“, fragte nun Mulder, doch Billy schien nicht antworten zu wollen.



„Komm mal her, Billy“, fuhr Scully sanft fort und klopfte auf den freien Platz neben sich.



Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Billy ihr mehr erzählen würde.



„Hast du schlimme Dinge gesehen?“, fragte sie dann.



Billy nickte.



„Viel Blut und Terese hat geschrieen.“



„Und du hattest Angst?“



Billy senkte den Kopf und Scully konnte sehen, dass ihm selbst die Erinnerung an den Traum Angst machte.



„Lucy hat gesagt, dass es ganz viele Spielsachen gibt wo sie ist und, dass sie nie wieder in die Schule müsste, aber das da ein Mann ist, der sie einsperrt“, sagte er, doch dann konnte er seine Angst nicht mehr zurückhalten. Tränen schossen ihm in die Augen und er begann fürchterlich zu weinen.



„Billy, ist doch alles okay!“, beruhigte ihn Scully und nahm ihn in die Arme. „Du musst doch keine Angst haben, das ist doch nur ein Traum.“



Jetzt kam auch Kimberly angerannt und wollte ihren Sohn trösten, doch er stieß sie weg und klammerte sich weiterhin an Scully.



Erschrocken verharrte sie in der Bewegung und blickte Scully an, die ihr einen entschuldigenden Blick zu warf. Wie konnte Billy nur seine „Mutter“ zurückstoßen und sich an eine wildfremde Frau klammern?

Und auch Mulder gefiel das ganze gar nicht. Diese Fixiertheit auf Scully: konnte das normal sein? Vielleicht sah sie für Billy einfach nur vertrauenserweckend aus. Scully konnte schon immer gut mit Kindern umgehen. Vielleicht war es einfach das. Vielleicht hatten manche Menschen einfach einen besonders guten Draht zu Kindern. Er deutete Kim einem Kopfnicken an, dass sie vielleicht besser rausgehen sollten. Sie nickte zustimmend und schloss die Tür hinter sich.



„Mrs. Sayers, wie lange hat Ihr Sohn schon diese Albträume?“, fragte er dann.



„Er hat Ihnen davon erzählt?“, fragte sie verwundert zurück.



Mulder nickte.



„Sagen wir, er hat Scully davon erzählt“, verbesserte er sich dann.



„Also, sie muss wirklich einen besonderen Draht zu Kindern haben“, stellte Kim dann fest.

„Er erzählt ja nicht einmal mir, was genau er träumt. Er hat diese Träume ungefähr seit . . . zwei Monaten und auch nicht jede Nacht.“



„Und Sie haben keine Ahnung wovon das kommen könnte?“



Kim schüttelte den Kopf.



„Anfangs dachte ich, dass es vielleicht einer dieser Krimis war, aber als es dann häufiger wurde, habe ich schon einmal darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre einen Arzt aufzusuchen. Anderseits dachte ich, dass es sich vielleicht von selbst wieder geben würde, dass es vielleicht nur so eine Phase ist.“



„Mrs. Sayers, Billy hat gesagt, dass er im Traum mit Lucy gesprochen hat. Wissen Sie etwas davon?“



„Na ja, er hat es mir erzählt, aber ich habe nicht viel drauf gegeben. Kinder haben nun mal Phantasie. “



Mulder sah sie fragend an.



„Gerade Kinder haben auch oft Gaben, die Erwachsene nicht verstehen. Wer weiß, ob an dem unsichtbaren Freund, den manche Kinder angeblich haben, nicht wirklich etwas dran ist. Und ich glaube durchaus, dass es möglich ist, dass Kinder sich einander in Träumen mitteilen können.“



„Auch aus dem Mund des Kindes spricht der Prophet“

(Sprichwort aus Arabien)



In diesem Moment ging die Tür auf und Scully kam mit Billy an der Hand heraus. Er sah zwar noch etwas verweint aus, aber sonst schien alles in Ordnung zu sein.



„Alles wieder okay“, bestätigte Scully seine Vermutung.

„Und jetzt geh zu deiner Mum“, sagte sie dann an Billy gewandt, woraufhin dieser auf Kim zuging und ihre Hand nahm.



„Ich glaube das war’s fürs erste“, sagte sie dann.

„Es wäre schön, wenn Sie sich eventuell für weitere Fragen bereithalten könnten.“



„Klar“, sagte Kim und öffnete die Tür.



„Kommt ihr uns wieder besuchen?“, fragte jetzt Billy und sah Mulder und Scully abwechselnd an. Irgendwie hatte er an ihnen einen Narren gefressen.



„Vielleicht, Sportsfreund“, antwortete Mulder und mit einem Nicken verabschiedeten sie sich.









„Was hältst du von der Geschichte, Dana“, fragte Mulder auf dem Weg zum Hotel.



Doch Scully schien ihm gar nicht zuzuhören, sondern starrte geradewegs auf den Boden.



„Dana?“, fragte er nochmals.



„Was?“, fuhr Scully erschrocken hoch.



„Ist alles in Ordnung mit dir?“



„Ja, ich bin . . . okay“, sagte sie mit einer Stimme, die Mulder signalisierte, dass es keineswegs so war.



„Es ist wegen dem Jungen, nicht wahr?“



Scully sah ihm in die Augen, dann senkte sich ihr Blick.



„Er hat mich so an William erinnert“, sagte sie dann leise.

„Er müsste ungefähr so alt sein, wie er jetzt“, fügte sie dann hinzu.



„Dana . . .“, sagte Mulder sanft und nahm sie in die Arme.

„Du kannst nicht bei jedem sechsjährigen Jungen in Trauer verfallen.“



„Ich weiß“, sagte sie und schmiegte sich an Mulders Schulter.

„Ich dachte ich wäre schon längst darüber hinweg, aber als ich diesem Jungen in die Augen sah . . . ach, egal“, änderte sie dann das Thema und löste sich aus Mulders Umarmung.



„Wir haben einen Fall aufzuklären und das kann nicht warten“, stellte sie nüchtern fest und ging weiter, wobei ihr Mulder sorgenvoll hinterher sah. Die Sache mit William hatte sie verändert, auch wenn Scully es nicht zugeben wollte. Sie war auf eine gewisse Art „trauriger“ geworden. Sie hatte etwas verloren, das ihr wichtiger war als alles andere und das ging an niemandem spurlos vorbei, auch nicht an der sonst so starken Dana Scully.



„Our children change us, . . Whether they’re with us or not“

(Lois McMaster Bujold, abgeändert von Mona)
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