World of X

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Never give up hope

von Mona

Kapitel 1

“Wenn man selber eine Orange ist, lebt man in Kalifornien wunderbar!
(Fred Allen)






„Billy! Jetzt mach schon! Es ist schon acht Uhr vorbei! Zeit schlafen zu gehen!“



Kimberly Edwards zog genervt die Jalousie wieder zu in der Hoffnung ihr 6 jähriger Sohn würde endlich - nach dem dritten Mal Rufen - auf sie hören und sich ins Haus bequemen. Ja, man hatte es nicht leicht! Ihr Mann war beruflich viel unterwegs und deshalb manchmal wochenlang nicht zu Hause und so blieb die ganze Arbeit an ihr hängen. Ihr Tag begann morgens um sieben mit Frühstückmachen, Billy wecken, Billy in die Schule schicken und um neun pünktlich bei ‚Trust Insurances’, einer großen kalifornischen Versicherungskette zu erscheinen. Um drei holte sie Billy von der Schule ab, kochte etwas Kleines zu Essen, achtete darauf, dass er seine Hausaufgaben machte und widmete sich anschließend dem Haushalt. Das einzige bisschen Ruhe fand sie, wenn Billy mit seinen Freunden unterwegs war, oder oben spielte und selbst dann quengelte er desöfteren mit Sätzen wie *Ma? Bekommen wir ein Eis?*, oder *Ma? Hast du noch was von der leckeren Himbeerlimonade?*. Ihr Tag endete damit, dass sie – wie jetzt – Billy ins Bett schaffen musste. Manchmal, wenn sie Mütter beobachtete, die zwei, oder drei Kinder von der Schule abholten fragte sie sich, wie sie das nur schafften. Sie hatte ein Kind und das genügte ihr völlig. Billy schaffte es sie den ganzen Tag auf Trab zu halten – und trotzdem, auch wenn sie abends todmüde ins Bett fiel, wollte sie diese Art von Stress auf keinen Fall missen.



„Maaaaaa! Justin darf immer viel länger aufbleiben!“, quengelte Billy, als er das kleine, gemütliche Wohnzimmer betrat.



„Erstens ist dein Freund Justin ein Jahr älter als du und zweitens kann ich mir das nicht vorstellen – und jetzt keine Widerrede! Morgen ist Schule!“



Billy zog eine Grimasse, die deutlich zeigte, was er von den Worten seiner Mutter hielt, machte sich dann aber trotzdem widerwillig auf den Weg nach oben.

Kimberly grinste. Irgendwie kamen ihr diese Diskussionen sehr bekannt vor. Egal in welcher Generation, sie wiederholten sich wahrscheinlich immer wieder. Sie trocknete noch schnell das Geschirr ab und ging dann ebenfalls die Treppe hoch um noch einmal nach Billy zu sehen. Er schlief in letzter Zeit oft recht unruhig und schreckte nachts schweißgebadet und weinend aus dem Schlaf hoch. Doch nie wollte er ihr sagen, was er denn so schreckliches geträumt hatte. Leise öffnete sie die Tür und blickte durch den Spalt ins Zimmer. Billy schlummerte friedlich in seinem Bett. Sein Teddy – von dem er sich einfach nicht trennen konnte – klemmte unter seinem Arm und seine Mundwinkel zuckten zufrieden. Und wie immer, wenn er schlief, drehte sich das kleine Mobile – bestehend aus weißen Büffelfiguren - über seinem Bett. Anfangs störte Kimberly diese außergewöhnliche Fähigkeit ihres Sohnes, doch mit der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt. Andere Jungs konnten eben gut Fußball spielen, oder Basketball. Andere waren wahre Wunderkinder in der Schule oder Schachgenies und Billy hatte eben die Fähigkeit Dinge zu bewegen. Warum denn nicht? Jeder Mensch war in einem bestimmten Bereich außergewöhnlich.



„Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist“

(David Ben Gurion)



Okay, Kimberly hatte es nicht gerne, wenn er diese Fähigkeit in der Öffentlichkeit zeigte, aber dank ihrer Erziehung wusste Billy das und tat es auch nicht. Kimberly schmunzelte. Dann schloss sie leise die Tür und nachdem sie noch etwas gelesen und aufgeräumt hatte ging auch sie zur Bett.













„Hi, Darling! Wie war dein Tag?“



Dana Scully ließ sich neben Mulder auf das Sofa fallen.



„Ging so“, seufzte sie.

„Man hat mir eine halbverweste Leiche zur Autopsie gebracht und dann musste ich noch auf die Ergebnisse einiger chemischer und toxikologischer Tests warten. Deshalb hat sich das ganze ziemlich hingezogen.“



Scully hatte ihren Job an der Academy in Quantico nach zwei Jahren wieder hingeschmissen. Nach der Arbeit, die sie vorher gemacht hatte, war ihr die Lehrerinnentätigkeit einfach zu langweilig. Sie hatte wieder im FBI Hauptquartier in DC angefangen und arbeitete jetzt seit schon seit vier Jahren als Rechtsmedizinerin. Die Arbeit war zwar nicht so spannend wie die, die sie damals mit Mulder zusammen gemacht hatte, und insgeheim sehnte sie sich nach dieser Zeit, aber dafür auch nicht so gefährlich. Im Großen und Ganzen war sie ziemlich zufrieden damit.



Scully sah Mulder an.



„Skinner hat mich heute schon wieder gefragt.“



Mulder blickte ihr in die Augen, senkte dann aber seinen Blick um eine Weile ins Leere zu starren.



„Dana…“, sagte er dann, „versteh mich doch! Die haben mich damals gefeuert. Glaubst du, ich kann jetzt, nach sechs Jahren, einfach zurückkehren, als wäre nichts gewesen?“



„Nein… das verlangt ja auch keiner. Du sollst es nur einmal versuchen. Vielleicht würde es dir ja wieder Spaß machen. Wir könnten wieder zusammen zur Arbeit fahren – wie früher“, flüsterte Scully.

„Es fehlen so viele gute Profiler. Du warst der Beste damals. Kannst du Skinner nicht verstehen? Ich weiß doch wie sehr du dich nach einem guten Job sehnst! Supermarktdetektiv! Das kann dir keinen Spaß machen! Rede doch wenigstens mal mit ihm!“



Mulder sah sie an und dachte kurz nach. Scully hatte absolut Recht mit ihren Worten. Sein derzeitiger Job stellte ihn keineswegs zufrieden. Aber wieder zum FBI? Es gab einfach zu viele traurige Erinnerungen, die damit verbunden waren: Scullys Entführung, ihre Krankheit, die Sache mit seiner Schwester, seine eigene Entführung und schließlich die Sache mit William. Er wollte so etwas einfach nie mehr im Leben durchmachen müssen.

Scully war da anders. Sie hatte einen Schlussstrich gezogen und völlig neu angefangen. Vielleicht sollte er das auch versuchen. Schließlich würde er nicht mehr bei den X-Akten arbeiten – da waren Doggett und Reyes sehr erfolgreich -, sondern als Profiler in der Abteilung für Gewaltverbrechen. Diesen Job hatte er gemacht, gleich nachdem er von der Academy gekommen war, warum sollte er es also nicht einmal versuchen?



„Okay, überredet! Ich werde morgen mitkommen!“



„Wirklich?“



„Versprochen!“



Scully beugte sich zu ihrem Partner hinüber und gab ihm einen langen Kuss.











„Billllyyyyy!“



„Ja, ja, Mum!“



„Es ist schon fast halb neun! Und du hast noch nicht einmal gefrühstückt! In einer halben Stunde beginnt die Schule!“

Kimberly hasste diesen Stress am Morgen. Doch wie sagte ein altes Sprichwort:



„Die Ruhe ist eine liebenswürdige Frau und lebt in der Nähe der Weisheit“

(Epicharmos)



Billy war nie jemand gewesen, der leicht aus dem Bett kam, aber heute trieb er sie mit seinem Getrödel fast zur Verzweiflung! Als sie ihn die Treppe heruntergehen sah, wusste sie warum. Billy sah blass aus und hatte tiefe dunkle Ringe unter den Augen.



„Billy, um Gottes Willen, bist du krank?“, eilte Kimberly auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Stirn.



Aber sie konnte keine erhöhte Temperatur feststellen.



„Hast du wieder schlecht geträumt?“, fragte sie dann.



Billy nickte.



„Aber warum hast du mich denn nicht geweckt?“



„Es war diesmal nicht so schlimm. Ich komme schon alleine damit klar“, war die Antwort ihres Sohnes, die sich absolut nicht nach einem Sechsjährigen anhörte.



Kimberly schüttelte langsam den Kopf. Billy kam ihr manchmal so fremd vor. Er war oft schon so bedacht und erwachsen – was einfach völlig untypisch für sein Alter war. Wenn er sich beim Skaten mal wieder das Knie aufgeschlagen hatte kam er nicht heulend – wie andere Kinder in seinem Alter - nach Hause, sondern biss die Zähne zusammen und ließ sich nichts von seinem Schmerz anmerken. Er wollte seine Gefühle nie zeigen. Und schon gar keine Schwäche. Und was sie am meisten beunruhigte war, dass er es nicht einmal ihr gegenüber tat. Sie hatte das Gefühl, er vertraute ihr nicht. Dabei konnte er mit allem zu ihr kommen. Aber mehr als es ihm sagen konnte sie ja auch nicht tun. Billy war eben einmal so.



„Willst du heute lieber zu Hause bleiben?“, fragte sie sanft, doch diese Frage hätte sie sich sparen können.



„Nein, Mum! Wir haben heute zwei Stunden Mathe! Das will ich auf keinen Fall versäumen!“, protestierte ihr Sohn.



Kimberly lächelte. Wenn andere Kinder die Möglichkeit hätten bei zwei Stunden Mathematik zu fehlen, würde es die Mehrheit tun. Nicht aber Billy. Er liebte alles was mit Zahlen zu tun hatte und konnte jetzt in der ersten Klasse, wo die anderen gerade mal bis 10 rechneten schon Zahlen bis 50 addieren und subtrahieren und manchmal sogar dividieren und multiplizieren. Wenn ihn etwas interessierte, dann gab er nicht auf bis er es konnte. Stundenlang saß er oft in seinem Zimmer und kniffelte an einer Aufgabe herum – bis er das Ergebnis hatte. Oft musste sie ihn sogar zwingen damit aufzuhören, weil er sonst seine anderen Fächer einfach vergaß.



„Mach’s gut und viel Spaß bei Mathe“, verabschiedete Kimberly ihren Sohn an der Haustüre und gab ihm einen Schmatz auf den Backen.



„Und sag Lucy einen schönen Gruß!“, rief sie ihm hinterher.



„Lucy kommt heute nicht!“



„Woher weißt du das denn? Ich habe gar nicht mitbekommen dass sie angerufen hat?“, fragte Kimberly verwundert.



Billy drehte sich noch einmal kurz um und zuckte mit den Schultern. Dann war er schon um die Ecke verschwunden.



Kimberly runzelte verwundert die Stirn. Lucy Linnée war seine beste Freundin, aber sie konnte sich wirklich nicht erinnern, dass das Telefon geklingelt hatte.

Obwohl sie schon ziemlich spät dran war und eigentlich schon längst auf dem Weg zur Arbeit hätte sein sollen, griff sie zum Hörer und wählte Mrs. Linnées Nummer. Doch selbst nach über einer Minute Klingelnlassen, nahm niemand ab.









„Ich bin bereit überall hinzugehen, wenn es nur vorwärts ist“

(David Livingston)



Es fühlte sich seltsam an wieder durch dieselben Gänge zu gehen, die man sechs Jahr zuvor das letzte Mal betreten hatte. Alles war so gleich und doch so anders. Er hatte seinen grauen Anzug, seine dunkelrote Krawatte und sein weißes Hemd an – wie früher des öfteren - und neben ihm lief dieselbe rothaarige hübsche Frau in einem derselben schwarzen Kostüme. Es fühlte sich irgendwie falsch an. Scully war nicht mehr seine berufliche Partnerin, sondern seine private und sie hatten immerhin einen Sohn miteinander – auch wenn Dana ihn damals zur Adoption freigeben hat müssen. Die Gänge waren dieselben, sie selbst waren nach außen hin dieselben, aber im Inneren hatte sich so viel geändert. Mulder war nicht mehr auf der Suche nach seiner Schwester, er war nicht mehr auf der Suche nach der Wahrheit. Er wusste nicht, ob er sie gefunden hatte, doch was ihm jetzt mehr als alles klar war, war die Tatsache, dass diese Suche einfach zu viele Opfer gefordert hatte, als dass man sie fortführen konnte. Zumindest konnte er es nicht. Zu oft war er zu nahe daran gewesen, Menschen die ihm wichtig waren so verlieren. Sam und William hatte er verloren. Scully war das einzige, was ihm geblieben war. Sie bemerkte seinen nachdenklichen Blick.



„Alles in Ordnung?“, fragte sie sanft, als sie vor Skinners Büro standen.



Mulder nickte, aber Scully kannte ihn viel zu gut, um nicht zu merken, dass überhaupt nichts in Ordnung war.



„Fox, du musst das nicht machen, wenn du nicht willst. Ich möchte nicht, dass du das nur für mich tust. Du musst es wollen!“



Mulder sah sie an. Das war es ja gerade. Er wusste nicht, warum er es tat, ob er es wollte, oder nicht.



„Dubium sapietiae initium“

(Zweifel ist der Weisheit Anfang)

(René Descartes)



Einerseits hatte er sich lange nicht mehr so gut gefühlt wie jetzt. Das FBI war früher seine Heimat gewesen. Er fühlte sich, wie sich wahrscheinlich Odysseus gefühlt hatte, als er nach Jahren der Irrfahrt endlich wieder Itaka erreichte. Und trotzdem war etwas in ihm, das ihn zögern ließ. Ein undefinierbares Gefühl. Vielleicht eine Mischung aus Angst, Enttäuschung, Wut und Trauer. Mulder schob es beiseite und sagte:



„Nein, Dana. Es ist wirklich okay. Ich werde das jetzt einfach ausprobieren. Wenn es mir nicht gefällt kann ich immer noch umkehren.“



Scully lächelte.



„Wie du meinst. Ich muss jetzt dann runter in die Pathologie. Viel Glück. Wir sehen uns!“



Mit diesen Worten drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange und eilte den Gang entlang, bis sie im Aufzug verschwand.



Mulder atmete noch ein letztes Mal tief durch und klopfte an.



„Herein“, ertönte Skinners bekannte Stimme von innen.



Wie lange hatte er ihn schon nicht mehr gesehen? Das musste seit dem Prozess gewesen sein.

Langsam öffnete er die Tür und trat ein. Skinner hatte sich kaum verändert. Haare hatte er ja damals schon nicht viele gehabt. Sein Job schien ihn fit zu halten. Er sah zumindest immer noch genauso durchtrainiert aus. Mulder hoffte, dass auch er in den sechs Jahren nicht allzu gealtert war.



„Mulder. Wie geht’s Ihnen?“, begrüßte Skinner ihn freundlich und schüttelte ihm die Hand.



„Ich kann mich nicht beklagen“, gab Mulder zurück.

„Und Sie sind vom Assistant Director zum Attorney General mutiert, hab ich gehört! Meinen Glückwunsch!“



„Danke. Aber setzen Sie sich doch.“



Mulders anfängliche Zweifel waren völlig verflogen. Als er Skinner an diesem Schreibtisch sitzen saß, wo ihn Section Chief Blevins damals, als er von der Academy kam begrüßte und wo ihn Kersh vor sechs Jahren feuerte, wusste er, dass auf ein Ende ein Anfang folgen musste. Warum sollte er sich ständig Gedanken über die Zukunft machen. Man sagt zwar immer, dass sich Geschichte wiederholt, aber erstens konnte man das, was er und Scully miteinander erlebt hatten kaum als Geschichte bezeichnen und zweitens war die damalige Zeit trotz dieser ganzen Katastrophen die beste Zeit seines Lebens gewesen. Wenn Skinner es ihm jetzt anbieten würde, würde er wahrscheinlich sogar wieder für die X- Akten arbeiten. Er sollte einfach aufhören so viel zu denken – vor allem über die Zukunft – sondern den Augenblick genießen.



„Do not anticipate trouble, or worry about what may never happen. Keep in the sunlight”

(Benjamin Franklin)



„Scully hat Ihnen erzählt worum es geht?“, kam Skinner gleich zu Sache.



„Na ja, sie hat gesagt, dass Sie dringend einen guten Profiler brauchen.“



„Ja, das stimmt. Diese Abteilung ist völlig unterbesetzt. Das Problem ist, dass nur wenig gute Psychologen, die auch den psychischen Belastungen dieser Arbeit gewachsen sind, nachkommen. Deshalb haben wir eine Änderung in der Abteilung vorgesehen.“



Mulder wurde hellhörig. Davon hatte Scully ihm nichts erzählt.



„Ich habe vor Zweierteams zu bilden, bestehend aus einem Profiler und einem Agenten aus einer anderen Abteilung. Das erleichtert die Arbeit des Profilers und erhöht gleichzeitig den Ermittlungserfolg, weil die Kompetenz eines Teams bestehend aus zwei für unterschiedliche Fachbereiche zuständige Experten größer ist, als wenn nur eine Person ermittelt.“



„So ähnlich, wie bei Scully und mir damals: Der Psychologe und die Wissenschaftlerin?“, fragte Mulder witzelnd.



„Genau.“



Plötzlich klopfte es an der Tür und Scully trat ein.



„Schön Sie zu sehen. Setzen Sie sich bitte“, begrüßte sie Skinner mit einer einladenden Geste auf den leeren Stuhl neben Mulder.



„Hi, Partnerin, das ist ja fast wie in alten Zeiten“, witzelte Mulder.

„Ist das eine Verschwörung?“



„Ich darf feststellen: Sie sind noch genau so paranoid wie früher“, stellte Skinner trocken fest.

„Ich bieten Ihnen folgendes an. Sie bilden mit Scully zusammen eines der neuen Teams. Sie kennen sich gut, sind ein eingespieltes Team und ergänzen sich perfekt. Die Arbeit würde sich kaum von der unterscheiden, die Sie damals gemacht haben, nur dass sie jetzt anstatt Aliens, irdische Verbrecher jagen.“



Mulder ließ seinen Blick von Skinner zu Scully schweifen.



„Und du hast das die ganze Zeit gewusst?“, fragte er dann leise.



Scully zog die Augenbraue nach oben und zuckte nur mit den Schultern.



„Bevor Sie jetzt ausflippen, ich habe Scully gebeten nichts zu sagen. Sie wären ja wohl nicht hergekommen, wenn Sie es gewusst hätten.“

„Ich will jetzt auch gar nicht lange mit Ihnen diskutieren. Jetzt sind Sie hier und ich möchte eine eindeutige Antwort: Ja oder Nein?“



Mulder spürte wie sich eine Spannung zwischen Scully, ihm und Skinner aufbaute. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ebenso wusste er, dass Skinner ein „Nein“ kaum akzeptieren würde und, dass auch Scully noch ewig an ihm herumreden würde. Und er wusste, dass er nichts anderes wollte, als dieses Angebot anzunehmen. Hätte Scully ihm gesagt, worum es tatsächlich ging, wäre er nie mitgekommen. Aber seitdem er wieder in diesem Gebäude war, seitdem er hier in Skinners Büro war, wusste er, was ihm dieser Job tatsächlich immer bedeutet hatte. Er war sein Leben gewesen. Und auch wenn er sein Leben zu einem gewissen Teil zerstört hatte, liebte er ihn immer noch. Er hasste es Bilder von all dem Bösen auf der Welt in den Nachrichten sehen zu müssen, ohne etwas dagegen tun zu können. Er hasste es, Zeitungsartikel über Vergewaltigungen, Entführungen und Misshandlungen stillschweigend hinnehmen zu müssen. Dagegen liebte er sein Leben. Es gab so viele Wunder auf dieser Welt. Wunder, die oft gar nicht als außergewöhnlich betrachtet wurden, wie das Blühen einer Blume. Wunder, die wahre Wunder waren – William. Er wollte einfach dafür kämpfen, dass viel mehr Menschen solche Wunder, auch wenn sie trivial waren, erlebten. Und, um das zu erreichen konnte er damit beginnen, das Elend, das Leid – oft hervorgerufen durch das Böse – zu bekämpfen.



„Die Welt ist schön und es lohnt sich für sie zu kämpfen“

(Ernest Hemingway)



„Sir…“, begann Mulder.



Er wollte Scully und Skinner noch etwas zappeln lassen.



„Es wäre mir eine Ehre wieder für das FBI zu arbeiten“, sagte er dann nach kurzem Zögern.



Es schloss sich ein Moment der Stille an, in dem sowohl Skinner, als auch Scully darüber nachdachten, ob das, was sie gehört hatten tatsächlich real war. Mulder spürte wie sich allmählich die Spannung entlud und sich in Euphorie umwandelte. Skinner stand ruckartig auf, kam auf Mulder zugeeilt und umarmte ihn stürmisch.



„Freut mich Sie wieder beim Bureau begrüßen zu dürfen, Agent Mulder“, sagte er dann, wobei er die Betonung auf das „Agent“ legte.



Mulder, der immer noch etwas verblüfft von Skinners stürmischer Reaktion war antwortete mit:



„Das klingt wie Musik in meinen Ohren, Sir“ und umarmte Scully, die ihn glücklich anlächelte.



„Aber setzten Sie sich doch wieder. Gerade vorhin haben wir einen Fall hereinbekommen, den ich Ihnen gerne übergeben würde“, sagte Skinner überschwänglich und wühlte hektisch in einem Stapel Papier auf seinem Schreibtisch.



Mulder und Scully sahen sich an und grinsten. Es ging also so weiter, wie es aufgehört hatte. Mit Stress!



„Die Polizei von San Diego hat vorhin hier angerufen. Ein Mord und eine Entführung. Sie hätten gerne ein paar Bundesagenten vor Ort.“



„San Diego sagen Sie? Haben die etwa den Etat für Dienstreisen erhöht?“, witzelte Mulder und dachte dabei an die Untersuchung vor fast sieben Jahren.



„Gehen wir etwas Geld ausgeben!“, sagte Scully und war schon auf dem Weg zur Tür, um ein paar Stunden später zusammen mit Mulder im Flugzeug in den Sunshinestate zu sitzen. Es war wieder wie früher.









Kimberly konnte sich immer noch nicht beruhigen. So viele unbeantwortete Fragen schossen ihr durch den Kopf. Sie konnte überhaupt nicht klar denken. Nachdem bei den Linnées niemand abgenommen hatte, war sie zu ihrem Haus gefahren, um nach dem Rechten zu sehen. Und damit hatte der Albtraum begonnen. Als sie sich der Haustür näherte, hatte sie gesehen, dass sie einen kleinen Spalt offen stand. Sie hatte ein paar Mal *Terese* und *Lucy* gerufen, doch niemand hatte geantwortet. Langsam wurde sie nervös. Sie überlegte, ob sie die Polizei anrufen sollte, doch vielleicht waren Lucy und Terese ja nur schon unterwegs zur Schule und hatten vergessen die Türe zu schließen. Also, ging sie nach innen. Doch schon als sie die Tür geöffnet hatte, stockte ihr der Atem und wenn sie gekonnt hätte, wäre sie schreiend wieder nach draußen gelaufen. Aber ihr Wille schien überhaupt keinen Einfluss mehr auf ihren Körper zu haben. Sie konnte nur dastehen und auf das starren, was sie vor sich sah. Das ganze Haus war voll Blut. Der Boden, die Möbel, die Wände. Überall war Blut. Rote Tropfen, die aussahen wie Erdbeersoße. Sie wusste nicht, wie sie in diesem Moment an Erdbeersoße denken konnte, aber sie tat es einfach. Handabdrücke an der weißen Wand, die eigentlich aussahen, als ob sie dorthin gehörten. Billy hatte im Kindergarten ein weißes Blatt mit vielen Bunten Handabdrücken gemacht. Ja, es sah aus, wie eine lustige Tapete. Einfache rote Streifen und Schmierer, die aussahen wie ein modernes Kunstwerk. Und mittendrin, über der Lehne des Sofas hing ein nacktes Damenbein, das mit großer Wahrscheinlichkeit das von Terese war. Das einzige, was Kim dazu einfiel, war, warum sie wohl keine Schuhe anhatte. Jetzt, als sie den ersten Schock langsam überwunden hatte, fragte sie sich, wie sie überhaupt so etwas Absurdes hatte denken können. Sie wusste nicht einmal mehr genau, wie sie wieder aus dem Haus herauskam und wie die Polizei auf einmal hierher kam. Sie wusste nur noch, dass es ihr plötzlich furchtbar schlecht wurde und sie noch ins Bad gestürzt war, um sich zu übergeben, mit dem Gedanken die Teppiche nicht zu beschmutzen. Jetzt saß sie – sie wusste nicht wie lange – in einem der Polizeiwagen mit einer Decke über den Schultern und starrte vor sich hin. Manchmal konnte sie Gesprächsfetzen von den Beamten um sie herum aufschnappen, doch nicht sinnvoll zusammenfügen. Es waren Worte wie *Serienmörder*, *Metzger*, *wie in New Orleans und Kentwood*, *FBI Agenten*, *das Kind*, *Entführung* und *Fahndung*. Obwohl doch alles so klar schien, war doch alles so kompliziert. Sie ließ sich die Worte immer wieder durch den Kopf gehen, sah immer wieder diese Bilder vor sich und dann fiel es ihr plötzlich ein: Sie musste Billy von der Schule abholen.









„Wir sind Agent Mulder und Agent Scully vom FBI“, stellte Mulder sich und seine Partnerin den Beamten des San Diego Police Department vor, als sie am Tatort ankamen.



Es klang noch genau wie früher und Mulder freute sich, als er diese sonst so routinierten Worte, die er kaum mehr zur Kenntnis genommen hatte, aus seinem Munde hörte. Wie ein Schuljunge der jedem seine Zuckertüte zeigen muss, zuckte er seinen Ausweis – übrigens derselbe wie vor sechs Jahren, den Skinner in seiner Schreibtischschublade aufbewahrt hatte - und hielt ihn dem leitenden Officer unter die Nase.



„Schön, dass Sie so schnell kommen konnten“, sagte der Officer und schüttelte ihre Hände.

„Ich glaube dieser Fall ist eine Nummer zu groß für uns“, fügte er dann hinzu.

„Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Ermittlungen übernehmen könnten. Natürlich stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.“



Mulder nickte und zusammen mit Scully folgte er dem Beamten, der mit einer einladenden Geste auf das Haus zeigte.



„Ich muss Sie warnen: Da drinnen sieht es aus wie in einem Schlachthaus“, sagte er im Gehen mit einem Blick über die Schulter.



„Keine Angst, wir sind einiges gewöhnt“, antwortete Scully, doch als sie das Haus betreten hatten, stutze selbst sie zunächst.



„Mein Gott“, flüsterte sie leise vor sich hin.



Sie war immer wieder erstaunt wie viel Blut doch in einem Menschen war. Die fünf bis sieben Liter sahen hier aus wie mindestens zehn oder fünfzehn. Der Mörder musste sein Opfer regelrecht „auslaufen“ haben lassen. Oder es musste eine Hetzjagd stattgefunden haben. Während Scully immer noch unter der Tür stand und auf das Horrorszenario vor sich blickte, war Mulder schon mitten in der Arbeit. Er betrachtete sich die Blutflecken, ging durchs Haus und versuchte wahrscheinlich gerade den Ablauf des Mordes zu rekonstruieren. Scully hatte ihr Entsetzen mittlerweile halbwegs überwunden und sich ihren Weg zum Opfer gebahnt. Schätzungsweise handelte es sich um eine ungefähr 35 – 40 jährige Frau. Ihre dunkelblauen Augen standen weit offen und in ihnen war immer noch das blanke Entsetzen, die blanke Angst und die einfache Frage nach dem Warum zu lesen. Scully würde sich wahrscheinlich nie an diese Augen gewöhnen können. Das war eine der Schattenseiten ihrs Jobs. An der Schläfe des Opfers klaffte eine tiefe Wunde, die den Blick auf den Schädelknochen und das darunter liegende Gehirn freigab. Das aus der Wunde strömende Blut hatte die langen schwarzen Haare nass und klebrig gemacht und bildete jetzt kleine, dünne Krusten. Jemand musste mit unheimlicher Kraft auf den Schädel geschlagen haben. Wahrscheinlich war das der Schlag, der den Tod herbeiführte. Scullys Blick fiel auf eine am Boden liegende Messingvase, an deren Unterkannte ebenfalls Blut haftete. Wahrscheinlich die Mordwaffe. Weiterhin konnte Scully am Körper der ganzen Frau Hämatome und Kratzer erkennen. Sie muss sich fürchterlich gewehrt haben. Ihr Morgenmantel war offen und das darunter getragene Nachthemd zerrissen. Scully konnte jedoch keine Verletzungen erkennen, die auf eine Vergewaltigung schließen ließen. Keine Spermaspuren, keine Verletzungen im Vaginalbereich. Am Hals allerdings zeigte sich eine ungefähr zehn Zentimeter lange Schnittwunde. Das war wahrscheinlich der Grund für das viele Blut.



„Mulder?“, rief sie ihn zu sich, wobei ihr gar nicht auffiel, dass sie ihn nicht bei seinem Vornamen nannte. Aber sie nannte ihn sowieso nicht immer Fox. Sie hatte sich einfach viel zu sehr an Mulder gewöhnt und jetzt, da fast alles so war wie früher, war sie eben unbewusst in dieses alte Schema zurück verfallen.



„Sieh mal“, sagte sie und zeigte auf die Wunde am Hals.

„Ich würde sagen er wollte ihr die Kehle durchschneiden. Anscheinend hat sie sich aber gewehrt und so war der Schnitt nicht groß genug und damit nicht sofort tödlich. Sie muss instinktiv ihre Hand auf die Wunde gepresst haben und hat dann, als sie im Haus vor ihm floh sich immer wieder an der Wand abgestützt, was die Handabdrücke und das viele Blut erklärt. Hier muss er sich dann die Lampe gegriffen und sie ihr auf den Kopf geschlagen haben.“



Mulder hatte Scullys Ausführungen gespannt gelauscht und immer wieder zustimmend genickt.



„Die Frage ist bloß: Warum ist sie nicht nach draußen gelaufen? Siehst du die Blutspuren?“, fragte er und deutete auf die Reihe am Boden.

„So, wie sie verzerrt sind, zeigen sie genau, dass sie Richtung Treppe gelaufen ist. Hier und hier und hier. Sie muss mehrmals versucht haben einen Weg nach oben zu finden und dabei immer wieder durch ihre eigenen Spuren gelaufen sein. In Richtung Tür, jedoch, führen überhaupt keine Spuren. Die Frage ist also, was hat sie davon abgehalten nach draußen zu laufen und Hilfe zu holen, sondern nach oben?“



Scully sah ihren Partner an. Das war ihr überhaupt noch nicht aufgefallen. Man merkte wiedereinmal deutlich, dass sie eben der Doktor war, der zwar an den Leichen rumschnipselte und die Todesursache herausfand, dass ihr jedoch im Gegensatz zu Mulder eine gewisse Prise Scharfsinn und kriminalistischer Spürsinn fehlte.



„Vielleicht war die Tür verschlossen?“, mutmaßte Scully.

Mulder schüttelte den Kopf.



„Nein. Der Mörder hat die Tür aufgebrochen, siehst du?“, fragte Mulder und deutete auf das kaputte Türschloss. Die Tür hätte man gar nicht mehr abschließen können.“



„Und wenn er sich ihr in den Weg gestellt hat?“



„Dann stellt sich die Frage, warum sie nicht nach oben gelaufen ist. Für mich sieht es so aus, als ob er sie daran hinderte nach oben zu gelangen und dann war der Weg zur Tür völlig frei.“



„Hast du das schon mal den Officer gefragt? Vielleicht kann er uns weiterhelfen“, fragte Scully, nachdem ihr auch nichts mehr zu dieser Frage einfiel.

„Officer?“, rief Scully, nachdem Mulder nur nachdenklich den Kopf geschüttelt hatte.



„Können Sie sich vorstellen, warum Mrs. -“



„Linnée“, fügte der Officer ein.



„…warum Mrs. Linnée nach oben gelaufen ist, anstatt zur Tür?“



Der Officer sah sie mit einem ‚Woher – wissen –Sie – dass- sie –das- tat –Blick’ an, antwortete aber sofort.



„Sie wollte wahrscheinlich zu ihrer Tochter – Lucy.“



„Sie hatte eine Tochter?“, fragte Scully stirnrunzelnd und auch Mulder war aus seinem Nachdenken zurück in der Realität.



„Ja, sechs Jahre alt. Sie wird vermisst. Wir nehmen an, dass der Mörder ihrer Mutter sie entführt hat. Eine Vermisstenmeldung ist schon raus.“



„Gibt es noch etwas, dass Sie uns vielleicht sagen sollte?“, fragte Mulder etwas verärgert über die fehlende Information.



„Wir vermuten, dass es sich um einen Serientäter handelt. Es gibt ähnliche Fälle in New Orleans und Kentwood, Louisiana. Nach einem gewaltsamen Eindringen in das Haus wurde die Mutter getötet, das Kind entführt. Bis heute sind sie nicht wieder aufgetaucht. Aber ich denke, sie wissen das! Diese Fälle wurden alle von FBI Agenten untersucht“, stellte der Officer verwundert fest.



„Mhhmm, sagen wir ich hatte eine längere Arbeitspause. Danke für den Hinweis. Sagen Sie, gibt es hier in der Nähe ein Hotel? Das wird sicher länger dauern.“



„Ja, das „Everglades“, gleich da vorne am Eck.“



„Danke schön. Und sagen Sie, wer hat die Frau überhaupt gefunden?“



„Das war die Frau da, Mrs. Sayers“, antwortete der Officer und zeigte auf den Polizeiwagen in dem aber schon seit einer Weile keiner mehr saß.
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