World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Shooting Star

von Jenna Tooms

Kapitel 1

===== Eins =====

Scully wachte auf als sich der kleine Körper neben ihr zusammenrollte. Sie setzte sich auf, drehte sich zur Nachttischlampe um, knipste sie an und zog ihren Sohn auf ihren Schoß. „Benjie? Hattest du einen schlechten Traum?“

„Ja“, sagte er und schlang seine Arme um ihre Taille.

„Oh, mein süßer Benjie“, gurrte Scully und küsste ihn sanft, während sie ihn wiegte.

„Was hast du geträumt, Baby?“

„Mami?“ Er blickte zu ihr auf. “Was ist ein Bastard?”

Scully seufzte. Sie hatte gewusst, dass diese Frage eines Tages kommen würde, aber sie hatte gehofft, dass es eher später als früher sei. Fünf Jahre alt zu sein, war zu jung um es verstehen zu können. Aber erklären musste sie es.

„Es ist eine Person, deren Eltern nicht verheiratet waren, als er geboren wurde. Hat dich jemand so genannt, Benjie?“

Er zögerte und nickte dann.

Es ließ ihr Herz schmerzen. Das ist nicht deine Schuld, Baby, dachte sie, es war niemals deine Schuld. „Was hast du getan?“

„Ich schlug ihn.“

Ja, er hat das Temperament seines Vaters. „Du solltest nicht schlagen, Benjie.“

„Er hätte mich nicht so nennen dürfen.“

Sie gluckste gegen ihren Willen. „Nein, das sollte er nicht. Aber nur weil dir jemand etwas böses tut, gibt dir das nicht das Recht ihm auch etwas böses zu tun.“

„Mami? Wo ist mein Vater?“

„Ich weiß es nicht.“ Sie vergrub ihre Nase in seinem dunklen Haar. Er roch immer noch wie ein Baby und seine Haut war immer noch babyweich. Vor langer Zeit hatte sie seine Gesichtszüge zwischen den ihren und den seines Vaters geteilt. Er sah gut aus, wie sein Vater, und sie wusste, dass er in seinen Teenagerjahren denselben gefühlvollen „Beschütze mich mit deiner Liebe Blick“ haben würde, vor dem sein Vater immer gewarnt hatte. Sie hat es versucht. Gott, und wie sie es versucht hat. „Ich weiß nicht, wo er ist. Böse Männer haben ihn entführt, bevor du geboren wurdest.“

„Wieso?

„Weil er Dinge wusste, Baby, gefährliche Dinge.”

„Wirst du auch einmal von bösen Männern entführt werden?“ Er sah verschreckt aus und sie küsste ihn und drückte ihn eng an sich.

„Nein, Baby, niemals. Niemand wird mich jemals von dir wegnehmen. Das verspreche ich.“

„Aber wenn sie meinen Papa entführen können, können sie dich auch entführen. Oder können sie nicht?“

Sie seufzte abermals. Er lag richtig, aber es gab keinen vernünftigen Grund ihm das zu sagen. „Aber sie werden es nicht tun, Benjie. Ich verspreche es dir, sie wollen mich nicht verletzen. Oder dich. Du wirst immer sicher leben.“ Jetzt betraten sie familiäres Territorium und er sagte: “Weil ich vier Schutzengel habe und die heißen Walter, Melvin, John und Ringo.”

„Das ist richtig. Sie werden immer auf dich aufpassen. Und vielleicht werden sie eines Tages deinen Papa finden und ihn nach Hause bringen.“

„Morgen?“ Er sah sie gespannt an.

„Nein, nicht morgen. Irgendwann.“ Sie sah auf die Uhr. Vier Uhr früh. Vielleicht würde sie noch eine Stunde bekommen, bevor sie zur Arbeit musste. „Willst du heute hier schlafen, Baby?“

„Ja, Mami.“ Sie machte das Licht wieder aus, als er unter die Decke krabbelte und sich an ihre Seite schmiegte. Sie legte ihren Arm um ihn, küsste seinen Handrücken und streichelte sein Haar bis sie einschlief.

~*~*~*~*~*~*~

Zuerst war es so schwer gewesen. An jedem Tag gab es neue Hinweise, die ins Nichts führten. Es kamen Berichte von Leuten, die ihn in Boston, in New York, in Orlando, später in Topeka, in Los Angeles, in Ontario gesehen hatten.

Dann hörten die Berichte auf häufig zu kommen und bald war er nur ein weiterer Name auf der Vermisstenliste, ein weiteres Bild auf dem schwarzen Brett in einer Polizeistation. Auch wenn er ein FBI Agent war. Scully hatte nicht angenommen, dass sie schwanger war, bis sich die Symptome gehäuft hatten. Die Chancen schienen astronomisch hoch – ihre angenommene Unfruchtbarkeit und zusätzlich die Tatsache, dass sie nur für so kurze Zeit Geliebte waren – aber ein Schwangerschaftstest und eine Untersuchung des Arztes bestätigten es. 36, schwanger und Single, und ahnungslos in Bezug darauf, wo der Vater war.

Am Tag als sie es entdeckte, ging sie zu ihrer Mutter und weinte in ihrem Schoß wie sie es nicht mehr gemacht hatte, als sie ein kleines Mädchen war. Es war keine Frage, was sie mit dem Baby machen würde – natürlich würde sie Mulders Baby behalten – aber nur, weil er es gewollt hat und es jetzt nicht wissen würde. Er hatte Vater werden wollen.

Es zerbrach ihr das Herz, aber sie verließ die X-Akten. Sie konnte es nicht alleine machen, nicht mit ihrem zunehmenden Umfang und dem Stress einer alleinstehenden Mutter. Sie wandte sich wieder dem Unterrichten zu. Es stand 9 zu 5, es war stabil und friedlich, es war auf seine Art lohnend. Über Monate hinweg kamen Anrufe rein, jedes mal, wenn es einen neuen merkwürdigen Fall gab. Und die Anrufer klangen ehrlich besorgt, als sie hörten, dass Mulder vermisst wurde. Einige von denen machten Witze über Entführungen.

Sie wünschte sich, dass es so einfach war. Wenn es sich um helles Licht, ein unbekanntes Geräusch und verlorene Zeit handelt, dann könnte sie es verstehen, ein bisschen. Aber es war Mulder, der hinaus ging, um die Zeitung zu holen, nur in seiner Pyjamaunterhose, nicht einmal Schuhe oder ein Hemd tragend, und niemals wieder kam. Er würde nicht gehen, gerade mal eine halbe Stunde nachdem sie sich geliebt hatten. Nicht freiwillig. Nicht Mulder, der sie über alle Gründe hinaus liebte.

Sie nannte das Baby Benjamin William Scully. Er hatte Mulders Augen. Jetzt war er 16, Ben war ungefähr sechs Fuß groß, mit der langen Taille und den schlanken Hüften eines Schwimmers. Er bevorzugte Einzelsport und Einzelaktivitäten, was Scully manchmal beunruhigte. Er war artikuliert genug, um dem Debatierkurs beizutreten, aber er wollte nichts tun, das ihn so offensichtlich machte. Er schrieb, aber er wollte sich nicht der Schülerzeitung oder dem Jahresbuch anschließen. Er studierte, er schwamm, er rannte für Stunden. Er spielte Gitarre, sanft klimpernd zum Radio oder zu Liedern, die nur er hörte. Er hatte wenige, sehr wenige, sehr enge Freunde.

Er war, bemerkte Scully mit schwerem Seufzen, genauso wie sie.

Er ging durch eine kurze Periode der Rebellion, komplett mit farbigen Mohawk, Ohrringen und einer Tätowierung, aber das endete schnell. Es gab wenig, was er tun konnte, um sie zu schocken. Als er nach dem Tätowieren nach Hause kam und ihr sagte: „Hey Mom, schau, was ich machen ließ“, und es ihr zeigte, sagte sie: „Wirklich? Ich habe dir niemals meines gezeigt oder?“, und tat es. Sie erzählte ihm vom Stehlen der Zigaretten ihrer Mutter, was ihn schockierte. Sie erzählte ihm vom Arbeiten an den X-Akten und wenn er nicht über die Lächerlichkeit der Geschichten lachte, hatte er vor Staunen weit geöffnete Augen darüber, wie lange sie überlebt hatten.

Manchmal befragte er sie wegen Mulder. Seine Fragen waren nachdenklich, als hätte er sich ihre Geschichten in seinem Kopf immer wieder vorgestellt. „Mom, welche Musik mochte mein Vater?“, oder: „War mein Vater gut in Mathe?“

Nur einmal fragte er: „Hast du mich wirklich gewollt?“ Sie stritten sich, argumentierten über Ausgangsverbote und Noten und Freunde und all die gewöhnlichen Mutmaßungen, als er mit dem: „Hast du mich wirklich gewollt?“, blöd daherredete.

All der Ärger verließ sie und sie umarmte ihren großen Sohn fest. „Natürlich wollte ich dich. Von dem Moment an, an dem ich von dir erfuhr, wollte ich dich. Ich wollte deinem Vater von dir erzählen, so sehr es auch weh tat. Ich wollte es jedem erzählen, den ich kannte, dass ich wirklich Mutter wurde. Du bist immer gewollt worden, Benjie, du bist immer geliebt worden.“

Obwohl es die schlimmsten Zeiten für ihn war, wenn sie wegging. Alle paar Monate würden sie einem neuen Hinweis nachgehen und sie würde nach Seattle oder Springfield oder Salem gehen und nachsehen, ob der John Doe, mit ein bisschen Glück, Mulder ist.

Er war es nie. Sie würde zurück kommen, verzweifelt und ihn mehr als vorher vermissend, und Ben hasste es, dass es sie nur noch unglücklicher machte. „Lass ihn von den Jungs finden, Mom“, sagte er. „Sie werden ihn kennen.“ Sie wusste, dass Ben nicht dachte, sie würden Mulder jemals finden, dass er vielleicht dachte, Mulder war nicht mal mehr am Leben. Manchmal dachte sie, er möge richtig liegen.

Aber sie konnte nicht aufgeben. Sie konnte es einfach nicht.

~*~*~*~*~*~

„Mom?”, Ben lag ausgestreckt auf ihrem Bett mit seinem Kopf auf seinen Armen. „Will Walter dich heiraten?“

Scully sah von ihren Notizen auf, die sie bearbeitete und nahm ihre Lesebrille am. „Wieso fragst du?“

„Er verbringt viel Zeit hier. Er berührt dich sehr oft. Er schaut dich manchmal an wie.. ich weiß nicht. Ich denke, er ist ein verliebter Mann.“

„Er hat nie ein Wort davon zu mir gesagt und wir kennen uns seit über 20 Jahren.“

„Wenn er dich fragen würde, würdest du ‚Ja’ sagen?“

Sie lachte vor Überraschung. „Ich, nein. Nein, Benjie, ich liebe ihn nicht auf diese Art.“

Er war lange Zeit still. „Wegen meinem Papa.“

Sie wusste nicht, wie sie seine Aussage interpretieren sollte. „Du bekommst nur eine Liebe ein Leben lang“, sagte sie endlich.

„Sogar wenn er vor fast 20 Jahren gegangen ist?“

„Es ist kompliziert, Benjie. Ich hoffe, du wirst es eines Tages verstehen.“

Er sprang aus dem Bett und sagte: „Ich will nicht verstehen, warum meine Mutter nicht von einem Typen wegkommt, der sie verließ und zuließ, dass sie für sich selbst sorgen musste.“

„Benjamin Scully, er rannte nicht weg. Er wurde entführt.“

„Woher weißt du das?“

Sie starrte ihn an, sein liebes Gesicht, das so war wie Mulders, dass es zuließ, dass sie weinen wollte. „Weil dein Vater für mich zu den Abgründen dieser Welt ging, wegen einer kleinen Chance, die ihm ein Mann gab, bei dem wir keine Gründe hatten ihm zu vertrauen. Er sagte, dass er mich retten könne, dass er mich finden könne, dass wir aus diesem Durcheinander lebend herauskommen. Dein Vater riskierte für mich so oft sein Leben, dass ich es nicht mehr zählen kann. Wir warteten so lange, um diese Worte zu sagen, Benjie. Er würde nicht davonlaufen, er hatte nichts, wovor er weglaufen musste. Ich war – ich war sein Schutz.“

„Er ist vielleicht tot.“

„Bis ich es mit Sicherheit weiß, muss ich daran glauben, dass er am Leben ist und dass er irgendwann nach Hause kommen wird.“

„Und was dann, Mom?“, fragte Ben bitter, ging in sein Zimmer und schlug die Tür zu. Scully seufzte und stieß die Notizen beiseite. Eine halbe Stunde für ihn, um sich zu beruhigen, und dann würde sie mit ihm reden. Da gab es einige Arten, um ihn verstehen zu lassen, dass das kein verzweifeltes Hängen einer einsamen Frau war – sie musste Mulder finden, weil sie wusste, sogar nach all den Jahren, dass er sie immer noch brauchte.

~*~*~*~*~*~

Er träumt.

Erzähle mir von deinen Träumen, sagt der Arzt.

Da ist eine Frau in meinen Träumen, ein Engel.

Beschreibe den Engel.

Sie sieht mich an mit Vertrauen und Liebe.

Aber wie sieht sie aus?

Wie Feuer. Wie Eis. Wie der Himmel. Sie trägt ein flammendes Schwert und wickelt mich in ihre Flügel, um mich zu heilen.

Spricht der Engel zu dir?

Sie sagt mir, ich soll schlafen und dass ich meinen erschöpften Körper in ihrem Schoß ruhen lassen soll und sie singt mir etwas vor.

Was sing der Engel?

Sie singt von Freude. Ihre Berührung heilt meine Wunden. Sie bringt Licht in den dunklen Ort.

Was ist der dunkle Ort?

Er hält seinen Kopf in seinen Händen und wiegt sich. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Lass mich allein.

Sie nennen ihn bei einem Namen, der nicht seiner ist. Sie geben ihm Pillen, die den kräftigen und farbenfrohen zu einem grauen und stumpfen Ort, den er kannte, reduzieren. Sie verbinden seine Arme und stecken ihn in einen Raum, in dem er sich nicht selbst verletzen kann. Er fühlt seine Sinne, als wäre er unter Wasser. Alles ist gedämpft, verschwommen und er kann sich nicht erinnern, kann sich an nichts erinnern.

Da war etwas, jemand, so wichtig, dass er für sie dem Tod begegnet ist... aber wer?

Die Antwort ist in den dunklen Orten und dort will er nicht hingehen.

Er träumt weiter und fragt sie in den Träumen: Wo bist du?

Ich suche nach dir. Helfe mir, dich zu finden, sagt sie, aber wenn er sich streckt, um sie zu berühren, verschwindet sie.

Sie sagen ihm, dass der Engel nur ein Traum ist. Da ist niemand hier, außer dir.
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