World of X

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Terrible Train Ride

von AmberScully

Teil 1

Teil 1
Samstag

„Zwanzig Minuten Verspätung. Das ist ja mal wieder typisch“, stöhnte Mulder und warf einen genervten Blick auf die Anzeige der Bahnsteiguhr.
„Immerhin bleibt uns noch ein wenig Zeit, um uns einen kleinen Imbiss zu genehmigen“, erwiderte Scully aufmunternd und blickte sich in dem Bahnhof um.
Es war Samstagnachmittag, fast sechs Uhr in Atlanta. Die beiden waren auf dem Heimweg von einer mysteriösen X-Akte, in der es sich um alternde Kinder handelte, die zu jedem Geburtstag drei weitere Jahre zu altern schienen, doch Scully meinte, diese seltsamen Vorkommnisse schienen vererbbar und daher rein wissenschaftlich erklärbar zu sein. Mulder hingegen glaubte wieder mal das Gegenteil, hatte seine Theorie jedoch nicht nachweisen können.
Nach einer Woche Recherche und eindringlichen Verhören mit den besorgten Eltern, insbesondere den alleinstehenden Müttern, die meist vor einigen Jahren die Väter bei einem One-Night-Stand kennen gelernt hatten und den verwirrten Kindern, die nicht recht zu wissen schienen, ob sie mit ihrem Zustand zurecht kamen oder nicht, entschieden sich die beiden Agenten den Heimweg anzutreten.
Es war Dezember und bald würden ihnen die Feiertage einen Strich durch ihren alltäglichen Arbeitsstress machen.
Scully freute sich bereits auf das seltene Zusammentreffen mit ihrer Familie, wohin entgegen Mulder Weihnachten ziemlich am Allerwertesten vorbei ging. Für ihn hießen die Feiertage nur ein leeres Büro und viel Zeit, um weitere X-Akten aus den Schubladen zu holen, um weitere Nachforschungen anzustellen.
Der Bahnhof war um diese Zeit mäßig gefüllt. Nur vereinzelt waren Reisenden unterwegs.
Scully fiel eine Großfamilie ins Auge, die aus dem Elternpaar und vier Kindern bestand. Eine typische Tragödie spielte sich gerade am Crêpe` Stand ab, als scheinbar das nötige Kleingeld fehlte, um allen Kindern ihre Sonderwünsche zu erfüllen.
„Ich will aber einen mit Schokolade!“, hörte sie trotz der dreißig Metern Entfernung eines der Kinder lautstark protestieren.
,Mit solch einer verfressenen Bande hat man es nicht gerade einfach‘, ging es Scully mitfühlend durch den Kopf. Sie würde es wahrscheinlich nicht mal schaffen, es einem der Kinder recht zu machen. Man konnte solche Eltern nur bewundern, die es tagtäglich mit solch einer Rasselbande aushielten. Naja, sie hatten es sich immerhin auch ausgesucht.
„Ist ja gut. Ruhe jetzt! Wir nehmen jetzt vier mit Zucker und Zimt und damit Ende der Diskussion!“, polterte der Vater entnervt und blickte verloren zum Verkäufer, der wahrscheinlich heilfroh war, wenn er alle Crêpes gebacken hatte und die Familie endlich verschwinden würde.
Scully wusste nicht, mit wem sie mehr Mitleid haben sollte. Mit dem Vater oder dem Crêpe Verkäufer.
„Worauf hast du Appetit?“, Mulder war es, der sich in ihre Gedanken mischte. Sofort lag ihre Aufmerksamkeit wieder bei ihrem Partner und sie wandte sich zu ihm um. Vergessen waren die eben beobachteten Erlebnisse, als sie das Knurren in ihrem Magen vernahm.
„Ich weiß nicht. Vielleicht einen Burger?“, sie deutete auf eine Fast Food Kette und zuckte dann mit den Schultern.
„Von mir aus. Gehen wir zusammen oder bleibst du kurz hier, um auf unser Gepäck aufzupassen?“
„Bring mir einfach ein billiges Menü mit“, sagte Scully fast desinteressiert und setzte sich bereits auf die Bank in der Mitte des Bahngleises, wo sie den Reisekoffer zwischen ihre Beine abstellte.
„Gut, dann bis gleich“, nach ein paar Sekunden war Mulder verschwunden.
Scully sah ihm noch missmutig hinterher. Er war recht durchschnittlich gekleidet, trug eine schwarze Jeans, ein dunkelblaues Hemd mit schwarzem Jackett darüber, sodass er einen anständigen Eindruck auf die anderen Passagiere machen musste. Eigentlich gefiel er ihr, und er weckte zu ihrem Bedauern noch immer ihr Interesse, mit dem sie seit längerem zu kämpfen hatte. Doch die Dinge waren weitaus verstrickter seit dem verhängnisvollen Abend vor vier Wochen, an dem sie sich viel zu nah gekommen waren, als es ihnen gut getan hatte.
Auch Mulder war zurückhaltender geworden, vorsichtiger, um ihre Gefühle nicht ein weiteres Mal zu verletzen.
Als die beiden am darauffolgenden Montag wieder aufeinander trafen, herrschte vorerst Funkstille zwischen ihnen. Nur die nötigsten Worte wurden gewechselt. Die gemeinsamen Stunden, die erst wie ein Märchen im Restaurant begonnen und dann in einem Fiasko bei ihr Zuhause geendet hatten, wurden mit keiner Silbe erwähnt. Scully ging ihrem Partner bewusst aus dem Weg und sehnte den Moment entgegen, wo sie nach Hause gehen und wieder alleine sein konnte. Sie wollte zu dieser Zeit niemanden sehen und mit keinem reden.
Mulder spürte ihre Abweisung und stellte sich ebenfalls nach einigen Tagen auf stur, sodass er sich nach drei Tagen schweigsamer Arbeit für eine Woche beurlauben ließ, um den unausgesprochenen Problemen aus dem Weg zu gehen.
Scully nahm diesen fast dankbar hin, nachdem sie den Zettel, auf dem mit unsauberer Schrift geschrieben stand ,Komme nächsten Donnerstag wieder. Habe Urlaub‘ auf ihrem Schreibtisch fand.
Erst als die beiden am genannten Tag wieder aufeinander trafen, setzten sie ein gespieltes Lächeln auf und Scully erkundigte sich, ob er angenehme, freie Tage hatte verbringen können. Er bejahte dies und damit war die Geschichte vom Tisch.
Nun, vier Wochen später, redeten die beiden zwar wieder in ganzen Sätzen miteinander, doch der Abstand war noch immer spürbar groß.
Scully versuchte nicht weiter darüber nachzudenken. Irgendwann würde sie ihm wieder in die Augen schauen können, ohne an die verletzenden Worte denken zu müssen, die sie so tief getroffen hatten.
Als Mulder im Burger King verschwand, seufzte sie und wandte den Blick ab. Die Anzeigetafel zeigte, dass der Zug in sechzehn Minuten eintreffen würde. Das war noch genügend Zeit, um auf Mulder zu warten, den Burger und ihre Pommes zu verdrücken und um sich anschließend hoffentlich gesättigt in die weichen Reisesitze zu lehnen und dem ganzen Stress für ein paar Stunden Fahrt zu entkommen.

Kommentar (27.12.11)
Nachdem ich vorgestern Bad Flight beendet habe *freu*, habe ich nun mit meiner lange vorangekündigten Story angefangen und ich hoffe, sie gefällt euch ^^ Ich bitte ganz dringend um Feedback!!!
Eure Amber

Als sie die Frau, die dort alleine auf der Bank umringt von ihrem Reisegepäck saß, entdeckte, weckte diese sofort ihre Aufmerksamkeit. Die wunderschönen roten Haare, die aussagekräftigen Augen, das milde Lächeln, welches auf ihren Lippen lag, während sie sich auf dem Bahnhof umschaute und scheinbar auf den gleichen Zug, wie sie selber wartete.
Schnell blickte sie zu ihrem Vater, der ihr gegenüber saß und an nichts Böses dachte, und überlegte bereits fieberhaft, wie sie sich erfolgreich seiner Obhut entziehen würde können. Im nächsten Moment kam ihr auch schon eine gute Idee.
„Daddy. Ich gehe mal auf die Toilette“, verkündigte sie ein paar Sekunden später und stand bereits von ihrem Platz auf. Ihr Vater blickte verdutzt rein. Diese Spontanität verblüffte ihn schon seit einiger Zeit, aber verärgerte ihn zu ihrem Glück nicht. Er hatte ein gutes Gemüt und war nur selten aus der Fassung zu bringen.
„Ja, okay. Geh nur. Ich warte hier auf dich“, erwiderte er dann freundlich und biss von seinem Hot Dog ab, welches er schon zur Hälfte verdrückt hatte. Irgendwie empfand er es gar nicht als allzu schlimm, dass der Zug Verspätung hatte. So hatten sie sich wenigstens eine kleine Verschnaufspause gönnen können.
„Bis gleich“, rief die elfjährige Jessy ihrem Dad noch zu, während sie zwar die Damentoilette anvisierte, im letzten Moment aber die Richtung änderte, als ihr Vater sie bereits nicht mehr im Blick hatte und Richtung des Bahnsteiges lief.

„Hallo. Wartest du auch auf den Zug?“
Scully riss verblüfft die Augen auf, als ein süßes, kleines Mädchen sich unerwartet vor sie stellte und sie dabei sogar noch um ein paar Zentimeter überragte, wie sie mit Bedauern feststellen musste.
„Oh, hallo“, sofort breitete sich ein Grinsen in ihrem Gesicht aus. „Ja, das hast du richtig beobachtet.“
Jessy fand die Frau von Nahem noch hübscher, als sie sie von der Entfernung vermutet hatte.
„Bist du alleine unterwegs?“, fragte das neugierige Mädchen sofort und blickte sich erneut nach einem Begleiter um.
„Wer möchte denn das wissen?“
Scully musste über das blonde Mädchen schmunzeln. Nie zuvor hatte ein Kind sie ohne Vorwand in der Öffentlichkeit angesprochen. Es musste doch einen Grund für diesen aufgebrachten Mut geben.
„Ich heiße Jessy. Und ich bin mit meinem Daddy hier. Und du?“
„Mit deinem Dad also, ja? Mhm, und hast du ihm gesagt, was du mit mir vorhast?“
„Ich habe nichts vor“, sagte Jessy überzeugend und blickte doch kurz über ihre Schulter, um zu schauen, ob ihr Vater ihr bereits auf die Schliche gekommen war.
„Wer hat hier mit wem was vor?“, kam plötzlich die männliche Stimme aus der anderen Richtung. Im nächsten Moment stand Mulder grinsend neben dem Mädchen. Diese hatte große Augen bekommen und sah zugleich etwas enttäuscht aus, als sie verstand, dass er zu der hübschen Frau gehören musste.
„Ähm, ich“, stotterte sie nun und starrte nervös auf ihre Füße.
„Schon gut, Süße. Das ist nur mein Partner. Wir arbeiten nur zusammen“, erklärte Scully ihr lachend. Ihr Herz erwärmte sich bei dieser Szene, auch wenn sie es nicht immer leicht mit Mulder hatte, war sie doch froh, ihn zu kennen.
„Genau. Dana Scully ist vollkommen ungebunden. Vielleicht hast du ja einen nennenswerten Kandidaten für sie?“, Mulder legte spielerisch einen Arm um Scully und grinste über beide Ohren.
„Oh. Naja, also ich“, Jessy war verwirrt. Der Mann, der abrupt aufgetaucht war, sah so ganz anders wie ihr Vater aus. Sie wusste nicht recht, ob er ihr gefallen sollte. Er war mindestens einen Kopf größer, hatte braune statt blau-grüne Augen und trug zudem eine moderne Frisur als ihr Vater.
Wahrscheinlich war es doch keine gute Idee gewesen, die fremde Frau einfach so anzusprechen. Dabei hätte sie sich so sehr gewünscht, dass ihr Dad endlich eine neue Frau kennen lernte. Seit Jahren vergrub er sich zuhause in seiner Arbeit, machte jeden Tag den Haushalt, half ihr bei den Hausaufgaben, brachte sie zu ihren Schulveranstaltungen und holte sie anschließend wieder ab und doch war die Einsamkeit in ihrem gemeinsamen Zuhause eingezogen. John war einfach viel zu schüchtern und viel zu beschäftigt, um sich Gedanken über eine neue Frau in seinem Leben machen zu können.
Scully war von der Bank aufgestanden und Mulder hatte bereits wieder seinen Arm von ihrer Schulter genommen, als ein aufgeregtes Rufen die Aufmerksamkeit der Drei auf sich lenkte.
„Jessy! Jessica? Wo bist du?“
Jessy schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. So schnell hatte sie nicht mit ihrem Vater gerechnet.
Nachdem sie sich gefangen hatte, trat sie ein paar Schritte zurück und hob den Arm, um auf sich aufmerksam zu machen.
„Ich bin hier, Daddy“, rief sie mit hörbar schlechtem Gewissen in der Stimme und winkte mit ihrer Hand.
„Jessy!“, als John seine Tochter entdeckte, rannte er spontan los und blieb erst stehen, um sie erleichtert in die Arme zu schließen.
„Was machst du hier? Warum bist du einfach verschwunden?“, wollte er verwirrt wissen und musterte seine Tochter mit skeptischen Blick von oben bis unten.
Scully beobachtete den besorgten Vater und stellte fest, dass er ebenfalls einen recht attraktiven Eindruck auf sie machte. Es war immerhin schön zu wissen, dass nicht nur Mulder unerlaubte Gefühlsregungen in ihr wecken konnte, sondern dass es auch alleinstehende, gutaussehende Männer gab, die dies zustande bringen konnten.
Sie blieb stumm und fragte sich, wie man dieses Geschehnis verständlicherweise aufklären konnte. Sie wollte auf keinen Fall unnötigen Ärger provozieren. Jessy hatte es ja nur gut gemeint.
„Ich, ich“, stammelte das Mädchen. John hatte sich von seiner Tochter gelöst und nahm erst jetzt das Pärchen vor ihm wahr, welches ebenfalls einen verwirrten Eindruck machte.
„Ich glaube, ihre Tochter wollte einfach nur eine neue Bekanntschaft schließen“, erklärte Mulder dann leichthin und schaute seine Partnerin an.
„Dein Burger. Wir sollten lieber essen, bevor unser Zug kommt.“
Scully nickte und nahm die Papiertüte entgegen. „Danke dir.“
Um nicht unhöflich zu erscheinen, ließ sie diese sofort wieder sinken und wandte sich an Jessys Vater.
Dieser spürte seine Scham deutlich und setzte schnell zu einer Entschuldigung an, ohne weiter auf Mulder zu reagieren.
„Ich hoffe, Jessy war nicht allzu aufdringlich“, sagte er etwas verlegen und suchte Scullys Blick. Diese schüttelte sofort mit dem Kopf.
„Nein, nein. Sie ist ein sehr liebes und höfliches Mädchen. Passen Sie nur auf, damit sie Ihnen nicht in ein paar Jahren auf der Nase herum tanzt“, sie lächelte etwas nervös und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.
Außer Mulder hatte es schon lange keinen Mann mehr gegeben, der ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, doch dieser war praktisch ein Prachtexemplar. Schade irgendwie, dass sie ihn in der Anwesenheit von Mulder kennen gelernt hatte.
„Ja, das werde ich. Vielen Dank“, völlig unerwartet hielt John ihr seine Hand entgegen, die Scully nur wenige Sekunden später breit lächelnd schüttelte.
Anschließend wandte sie sich an Jessy und ging ein Stückchen in die Knie, um auf Augenhöhe mit dem Mädchen zu sein.
„Sei brav und mach deinem Dad keinen unnötigen Ärger, okay?“
Jessy schüttelte sofort mit dem Kopf. „Werde ich nicht“, sagte sie entschlossen.
„Gut“, Scully beugte sich dicht an das Ohr ihrer Gesprächspartnerin. „Ich heiße übrigens Dana.“
Jessy strahlte über beide Ohren, als ihr Vater sie an die Hand nahm und sie sich von den beiden entfernten.
Sofort setzte Mulder sein siegessicheres Grinsen auf, als er sich an seine Partnerin wandte.
„Du magst ihn. Hab ich recht?“
„Darf ich etwa nicht?“, konterte sie und nahm sich fest vor, nicht weiter über den Vorfall zu reden. Sie musste sich vor ihrem Partner nicht rechtfertigen, denn er hatte sich ausdrücklich vor wenigen Wochen gegen eine feste Bindung entschieden. Also sollte er sie gefälligst mit irgendwelchen Eifersuchtsdramen in Frieden lassen.
Um einer weiteren Diskussion zu entkommen, setzte sie sich wieder auf die Bank und öffnete mit Vorfreude auf den saftigen, heißen Burger die Papiertüte, die auf ihrem Schoss lag.
„Doch, natürlich. Du kannst jedem x-beliebigen Mann hinterher hecheln, wenn du willst. Ich halte mich da raus“, Sarkasmus schwang in seiner Stimme mit, während er sich neben Scully setzte.
„Halt die Klappe, Mulder! Ich will jetzt essen!“
„Dann solltest du dich sputen. In vier Minuten kommt der Zug“, antwortete er fast schadenfroh und ließ seine Papiertüte geschlossen.
Scully verdrehte die Augen und warf einen Seitenblick zu ihrem Partner.
„Warum hat das eigentlich so lange gedauert? Mein Burger ist fast kalt.“ Der Vorwurf war nicht zu überhören.
„Die Schlange war zu lang. Und die schnellsten sind die dort auch nicht. Und das nennt man dann Fast-Food, naja“, er grinste und Scully konnte nicht anders, als es zu erwidern.
„Was solls“, sie steckte die Burgerbox aus Pappe wieder in ihre Tüte. „Dann gibt es eben kalte Pommes zum Abendbrot.“
„Ich hab gehört, die sollen dann weniger Kalorien ansetzen, als wenn man sie“, Scullys Ellenbogen prallte in seine Seite und unterbrach ihn bei seiner wilden Theorie.
„Mulder! Lass den Unsinn!“, sie unterdrückte sich ein Lachen.
Nur wenige Sekunden später ertönte eine schrille Stimme in den Lautsprechern des dritten Gleises und unterbrach die beiden bei weiteren Neckereien.
„Verehrte Passagiere auf Gleis drei. Der Zug kommt in wenigen Minuten. Abfahrtszeit sechs Uhr und achtzehn Minuten.“
„Na endlich!“, schnaufte Scully voller Erleichterung. „Dann kann die Reise ja weitergehen.“
~~~~~~~~~~~~~~

Nachdem der Zug mit quietschenden Bremsen, welches allen Fahrgästen am Bahnsteig ein unangenehmes Pfeifen in den Ohren verursachte, eingefahren war, standen Mulder und Scully bepackt mit ihren Koffern vor den noch geschlossenen Türen und schauten sich erwartungsvoll entgegen.
,,Damit eines aber im Voraus klar ist, ich kriege den Fensterplatz", grinste Mulder breit.
,,Wie du willst", entgegnete Scully fast desinteressiert und warf einen Blick in die Seitenfenster des Zuges, ,,Falls wir überhaupt ein anständiges Abteil abkriegen."
,,Du hast mich als deinen Reisebegleiter. Das wird schon klappen."
,,Nun gib mal nicht gleich so an, ansonsten habe ich später etwas gut bei dir."
,,Wenn du meinst. Immer gerne doch", schelmisch zwinkerte er ihr zu. Dann wurde das Gespräch der beiden unterbrochen, als sich die Türen endlich öffneten und gleich vier Leute auf einmal versuchten aus dem Waggon zu hetzen. Dabei mussten sie jedoch des Lebens belehrt werden, dass nur Platz für eine Person zum Ausstieg war, denn sie behinderten sich gegenseitig prompt und kamen keinen Zentimeter vorwärts.
Mulder belächelte diese Szene schadenfroh.
Währenddessen fing ein alter Mann, den Scully gedanklich eher als einen Tatergreis bezeichnen würde, prompt an, sich über diese Hektik und Rücksichtslosigkeit zu beschweren.
,,Was soll denn das werden?! Kann man nicht mal Acht auf seine Mitmenschen nehmen, statt immer nur an das eigene Wohl zu denken?!", er schien aufgebracht und doch es interessierte sich augenscheinlich niemand für seine Beschwerden. Auch Scully ließ ihn unkommentiert und heftete sich an Mulders Fersen, als der die drei steilen Stufen mit Leichtigkeit nahm und trotz großen Koffer scheinbar ohne Schwierigkeiten in den Zug stieg.
Scully ertappte sich dabei, wie sie versuchte, ihren Einstieg genauso schnell und leichtfertig hinter sich zu bringen, doch sie war einfach zu klein und zu schwach und geriet daher leicht ins Rudern, während sie die metallischen Stufen erklomm.
Mulder sah sofort ihr lauerndes Dilemma und hielt ihr auch schon seinen freien Arm entgegen, um sie vom Fallen zu bewahren. Dankbar griff sie nach seiner Hand und ließ sich mit einem Ruck in den Zug ziehen.
,,Danke", seufzte sie vor Anstrengung und Erleichterung, es doch noch ohne ein Stolpern geschafft zu haben.
,,Kein Problem. Dafür bin ich doch da", Mulder ließ ihren Arm los und wandte sich dann in Richtung Waggonabteil.
,,Mal sehen, ob wir heute Glück mit unseren Plätzen haben."
Gerade, als er sich der Durchgangstür zu den Abteilen widmen wollte, polterte eine laute, männliche Stimme über die beiden hinweg.
,,So ist sie die Jugend von heute! Und einem alten Mann wird nicht mehr in den Zug geholfen oder der Koffer getragen!"
Scully erschrak bei dieser mit Zorn erfüllten Stimme und machte sich gleich noch einen Kopf kleiner, als sie schon war, während sie unbewusst einen Schritt zur Seite machte. Mulder nahm diesen Platz gleich darauf wahr und half dem alten Greis, der unbeholfen und mit hochrotem Gesicht vor den Stufen stand.
,,Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Natürlich helfe ich Ihnen."
Gesagt, getan. Während Mulder seine gute Tat für den Tag vollbrachte, stand Scully noch neben der Eingangstür und beobachtete mit verdrehten Augen die beiden Männer. Hoffentlich würde Mulder nicht eines Tages auch so ein griesgrämiger alter Sack werden, der allen anderen die Schuld gab, nur nie sich selbst.
,,Na also. Dachte ich mir doch, dass es noch einen anständigen Menschen auf diesem Planeten gibt", erwiderte der Greis grummelnd und löste sich von Mulder, um diesen skeptisch zu mustern, nachdem sie samt Gepäck eingestiegen waren.
,,Ich hoffe zu Ihrer äußerst hübschen Begleitung sind Sie etwas hilfsbereiter und wachsamer, junger Mann."
,,Ja, ja natürlich. Und nochmals Entschuldigung", Mulders Wangen hatten sich rosa gefärbt. Er schien sich wirklich ein wenig zu schämen. Scully musste unweigerlich grinsen. Das sie so etwas erleben durfte! Fox Mulder - niedergemacht von einem alten Greis, der so wie er aussah, schon einige Jahre auf dem Buckel hatte und doch noch so gut im Schuss war, um alleine reisen zu können.
,,Na dann, eine gute Fahrt noch", mit wenig Dankbarkeit in seiner Stimme verabschiedete sich der Mann und steuerte den anderen Waggon auf der rechten Seite an.
,,Puh!", Mulder wischte sich schauspielerisch den Schweiß von der Stirn, als dieser hinter der Tür verschwunden war. ,,Gott sei Dank. Noch länger hätte ich sein Genörgel nicht ertragen können."
,,Ach! Jetzt tu doch nicht so! Dir stand das schlechte Gewissen offen im Gesicht geschrieben", Scully konnte sich ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen.
,,Stimmt doch gar nicht!", Mulder wusste nicht, wie er sich erfolgreich aus der Affäre ziehen sollte, doch das Schicksal kam ihm zugute, denn John und Jessy stiegen gerade in den Zug ein.
Jessy trat sofort neben Scully und lächelte diese breit an.
,,Ihr seid ja auch hier!", stellte sie erfreut fest.
John kratzte sich verlegen am Hinterkopf, während er Mulder einen schüchternen Blick zuwarf.
,,Richtig", stimmte dieser dankbar für die einladende Ablenkung zu. Es wurde immer interessant, wenn diese beiden in der Nähe waren. Vor allem aber gefiel ihm Scullys Auftreten, welches bemerkenswert anders wie im Normalfall war. Er beschloss, sie erneut ganz genau zu beobachten.
,,Dann können wir ja zusammen ein Abteil nehmen!", sprudelte es bereits aus Jessy hervor. Ihre Augen strahlten erwartungsvoll, während sie zwischen den Erwachsenen hin und her schaute.
,,Ja Süße, das wäre wirklich schön", Scully wusste, sie musste sich ganz schnell aus dieser Affäre ziehen. Mehrere Stunden mit diesem attraktiven Vater in einem Abteil zu sitzen, das würden ihre Nerven nicht mitmachen, denn noch immer löste allein sein Anblick ein wohliges Kribbeln in ihrem Innern aus.
Hoffentlich sah man ihr dies nicht zu sehr an.
Zum Glück kam ihr im nächsten Moment die passende Argumentation, mit der sie hoffentlich das Mädchen nicht all zu sehr kränken würde. ,,Aber ich denke, dein Vater möchte sicher gerne auch noch ein bisschen deine Anwesenheit genießen, ohne uns dabei zu haben. Wie wäre es damit: Du kannst mich und meinen Partner später in unserem Abteil besuchen und dann unterhalten wir uns noch ein bisschen, okay?"
Ein Funken der Enttäuschung huschte über Jessys Gesicht, doch sie fing sich schnell wieder und nickte eifrig.
,,Abgemacht! Bis später dann!", im nächsten Augenschlag war sie verschwunden und lief bereits den Flur entlang, der auf seiner linken Seite die Abteile voneinander trennte.
,,Jessy, nicht so schnell!", John war bereits auf dem Sprung, um seine Tochter, die bereits mehrere Meter vorgelegt hatte, einzuholen, als er Scully beim Vorbeilaufen ein verschmitztes Lächeln schenkte.
,,Bis dann", hauchte er fast hörbar und verschwand dann samt Gepäck hinter der Tür.
,,Ha! Ich wusste es! Er steht auch auf dich!", sagte Mulder schadenfroh und eine Spur zu laut.
,,Mulder!", blaffte Scully ihn sofort zurecht und verdrehte genervt die Augen. ,,Lass den armen alleinerziehenden Vater doch auch mal träumen."
Ihr gefiel der Gedanke, dass sie das Interesse bei einem solch gut aussehenden Geschöpf wecken konnte sehr.
,,Aber warum dann ausgerechnet von dir?", fast schwang Unverständnis in seiner Stimme mit. Es konnte nur Eifersucht sein, die da aus ihm sprach, stellte Scully fest. Und wieder einmal wurde sie nicht schlau aus ihrem Partner. Doch sie beließ seine Frage unkommentiert und wandte sich dann der Tür zu, um endlich einen Platz im Abteil zu finden, um ihren bereits kalt gewordenen Burger und die laschen Pommes zu verputzen.
,,Und jetzt einfach verschwinden, ohne dem dummen Trottel, der sich leider dein Partner nennt, eine Antwort zu geben! Na großartig!", beschwerte sich Mulder noch lautstark, während der Zug in diesen Sekunden seine Türen schloss und sich dann in Bewegung setzte.

To be continued... (30.12.11)

07.01.12

„Ach verdammt. Wir hätten beim Einsteigen nicht so viel Zeit vergeuden dürfen“, seufzte Scully, während sie beim Vorbeilaufen in jedes anscheinend schon besetzte Abteil schaute, in denen die Vorhänge bei vielen die Sicht ins Innere verbargen. „Die meisten Abteile sind voll.“
„Soll das jetzt etwa heißen, ich bin daran schuld?“, kam es protestierend von Mulder, der nur ein paar Schritte hinter ihr lief und sich mühsam mit seinem Koffer abplagte. Langsam trat ihm der Schweiß auf die Stirn. Wenn sie nicht endlich ein leeres Abteil finden würden, dann würde er sich einfach hier im Flur einquartieren, beschloss er kurzerhand. Es musste doch irgendwo in diesem verdammten Zug noch ein paar freie Plätze für sie geben.
„Das habe ich nicht behauptet“, erwiderte Scully forsch und entdeckte in diesem Moment die Großfamilie im Abteil neben ihr, die gerade lautstark um die Fensterplätze stritt. „Oh Mann. Die Eltern werden wohl heute auch nicht mehr zur Ruhe kommen.“
„Was?“
„Ach nichts“, sagte Scully und lief weiter. Ob der Vater auch in dieser Diskussion einen Ausweg finden würde? Sie konnte es ihm nur wünschen, denn mit seinen drei Söhnen, die geschätzt sechs, acht und elf Jahre alt waren und der elf oder zwölfjährigen Tochter hatte er es bestimmt nicht nur an ereignisreichen Tagen, wie zum Beispiel der heutigen Zugreise oder dem Besuch im Zoo und Freizeitpark schwer. Wahrscheinlich gab es direkt nach dem Aufstehen die ersten Reibereien in der Familie. Bei solch einer Verantwortung und dem ständigen Druck die Kinder rechtzeitig zur Schule, zum Fußballtraining und zum Balletunterricht zu bringen und wieder abzuholen, sowie den Haushalt zu schmeißen, wobei man nur darauf hoffen konnte, dass sie Kinder auch ein bisschen Eigeninitiative zeigten und selber mitanpackten, sich fast täglich mit acht oder mehr Stunden Arbeit herumzuplagen und dazu kamen auch noch alle anderen Verpflichtungen, wie Geburtstagsfeiern oder Besuche bei der Schwiegermutter, konnte Scully fast erleichtert sein, sich gegen solch ein Familienleben entschieden zu haben.
Mittlerweile wurde es immer unerträglicher in dem beheizten Flur, der keinerlei Chance auf Frischluft bot. Scheinbar meinten es die Bahnbetreiber zu gut mit ihnen, oder sie waren einfach zu große Frostbeulen. Die die Temperaturen außerhalb betrugen noch etwa acht Grad, doch Mulder und Scully schwitzten eher, als dass ihnen kalt war.
Mittlerweile hatten sie Atlanta verlassen und weite Flächen aus Grün- und Weidefeldern wechselten sich mit vereinzelten Fabrikgeländen, die offenbar still gelegt worden waren, ab. Scully mochte diese Gegend, doch viel lieber hätte sie die Landschaften, die in einem hohen Tempo an ihr vorbeirauschten, im Sitzen mit geöffnetem Fenster betrachtet. Leider stand die Chance auf diesen Wunsch gerade recht gering.
Auch Mulder schien allmählich am Ende seiner Kräfte.
„Scully, ich will nicht mehr!“, jammerte er und wechselte dann abrupt das Thema. „Ich hab eine Idee! Warum gehen wir nicht einfach ins nächste belegte Abteil, setzen uns zu dem attraktivsten Mann, den wir dort finden können und du lässt ein bisschen was von deinem Charme spielen. Bestimmt werden dann noch zwei Plätzchen für uns frei gemacht.“
Ein spitzbübisches Grinsen begleitete diesen Vorschlag.
Scully verdrehte sofort die Augen und antworte dann mit schnippischem Ton „Wie sehr mich deine Denkweise doch schmeichelt, aber nein. Wieso gehst du nicht zu der heißen Braut und wendest selbst diese Technik an?“
Sie deutete auf eine recht attraktive, blonde Frau Mitte Zwanzig, die mit ihren zwei Freundinnen ausgiebig zu quatschen und ihre Umwelt nicht mehr wahr zu nehmen schien.
„Mhm, lass mich überlegen. Zum einen kann ich im Moment getrost auf deine Eifersuchtsdramen verzichten“, stichelte er zwinkernd und fuhr dann schnell fort, „zum anderen gefällt mir dieses hysterische Quasseln der Damen nicht.“
Er trat neben Scully und schaute mit einem liebevollen Lächeln auf sie hinunter.
„Und außerdem habe ich doch schon eine heiße Braut in meiner Begleitung.“
Allein sein Tonfall verriet, dass er dieses Kompliment ernst meinte.
Scully musste kurz schlucken und hoffte nur, dass sie jetzt nicht rot werden würde.
„Danke. Aber genug der Neckereien jetzt. Wir müssen endlich fündig werden.“ Sie wich gekonnt seinem Blick aus und setzte sich dann schnell wieder in Bewegung. Der Gang war noch etwa zehn oder zwölf Meter lang und drei Türen befanden sich noch auf der linken Seite. Vielleicht würde es das Schicksal ja doch noch gut mit ihnen meinen.
„Ja, ich weiß. Also weiter.“ Mulders Zustimmung verursachte kurz ein warmes Gefühl um Scullys Herz, doch schnell verdrängte sie es wieder und blickte in das ebenso überfüllte Abteil neben ihr.
„Ich glaube, wir haben heute einfach kein Glück mehr“, seufzte sie schwerfällig und lief weiter.
Gerade als Scully die Hoffnung auf ein bequeme Sitzpolster, eine weiche Rückenlehne und einem wohltuenden Ausblick auf die Umgebung aufgeben wollte, entpuppte sich das letzte Abteil in diesem Waggon als Treffer, in dem sich nur eine einzelne Person aufhielt. Abrupt blieb sie stehen und musterte den Passagier kritisch.
Mulder musste währenddessen ebenfalls unvermittelt anhalten. Er stellte seinen Koffer stöhnend neben seine Füße, bevor er dann gleichermaßen ihrem Blick ins Innere des Abteils folgte. Ein Mitte oder Ende dreißigjähriger Mann, leicht gebräunte Haut, dunkelbraune, kurze Haare, eine recht maskuline Figur mit ansehnlichen breiten Schultern und erstaunlich prallen Oberschenkeln, das Kinn mit einem Dreitagebart durchzogen, eine recht ungewöhnliche aber dennoch attraktive Kleidungswahl mit schwarzem Rollkragenpullover und blauer Jeans, die Finger um ein dickes Buch geschlungen, der Kopf zur Seite geneigt und die Augen geschlossen, schlief mit sich gleichmäßig heben und senkender Brust auf dem Fensterplatz gegen die Fahrtrichtung und schien sich von nichts stören zu lassen.
Als Mulders Blick auf diesen fiel, hob er interessiert eine Braue und schaute anschließend auf Scully hinunter.
„Ich glaube, wir haben einen Kandidaten für dich gefunden.“
„Mulder!“, sie kniff ihm spielerisch in die Seite. „Wie lange willst du mich denn noch damit aufziehen?“
„Ich glaube, solange es mir Freude bereitet“, sagte er schellmisch und grinste ihr entgegen. „Gefällt er dir?“
„Jetzt reichts!“
Mulder war bereits einen Schritt zur Seite gesprungen, um sich vor einem weiteren körperlichen Angriff ihrerseits zu schützen, als er feststellte, dass dieser gegen seine Erwartung ausblieb. Stattdessen legte sich Scullys Hand mit Nachdruck auf die Klinke und mit einem letzten Seufzen öffnete sie die Tür. Sie ignorierte ihren leise protestierenden Partner gekonnt, als sie das Abteil betrat, ihren Koffer kurzerhand auf die Gepäckablage hievte und sich dann erleichternd ausatmend auf dem verbliebenen Platz am Fenster niederließ. Mulder war ihr etwas zögernd gefolgt und folgte nun stumm ihrem Beispiel. Nachdem er sich neben sie gesetzt hatte, fiel sein Blick sofort auf den Mann ihnen gegenüber. Dieser schlief trotz der geringen Lärmbelästigung seelenruhig weiter.
Ein unzufriedenes Schnaufen kam von Mulder.
„Schau dir den an. So einen Schlaf hätte ich auch gerne.“
„Ja, ich auch“, entgegnete Scully leise und wandte den Blick ab. Ob der bisher namenlose Fahrgast etwas gegen ihre Anwesenheit einzuwenden hätte, würden sie erst erfahren, sobald dieser aus dem Land der Träume zurückgekehrt war. Doch Scully wollte so nicht denken. Es zählte nur, dass sie nach einer gefühlten halben Stunde endlich ein ruhiges Örtchen gefunden hatten, um die vor ihnen liegende Fahrt vollends genießen zu können. Ungefähr sieben Stunden lagen noch zwischen ihnen und Washington D.C., in denen Scully sich auch ein wenig Schlaf erhoffte, bevor sie sich gegen Mitternacht oder noch später endlich in ihr eigenes, trautes Bett fallen lassen würde.
Der Blick nach draußen ließ sie jedoch jegliche Gedanken für einen Moment vergessen, während mittlerweile kleine Dörfer, die zwar einen einsamen aber dennoch gemütlichen Lebensstil präsentierten sowie weite Landschaftsbilder von entfernten Wäldern, großen Wiesen und einem See an ihnen vorbei zogen. Vereinzelt standen Kühe oder Pferde auf den Weiden. Sie passierten scheinbar verlassene Bauernhöfe, die teils wirklich sehr runtergekommen aussahen, jedoch wusste Scully, dass diese noch immer in Betrieb waren. Das Geld fehlte hier an vielen Stellen, um Renovierungen und andere Anschaffungen finanzieren zu können.
Alles im allem gefiel Scully diese Gegend dennoch sehr und im nächsten Moment erwischte sie sich dabei, wie sie darüber grübelte, ob ihr ein Leben in solch einer ruhigen Einöde gefallen würde.
Vor vielen, vielen Jahren hatte sie eine Weile ernsthaft darüber nachgedacht, Washington D.C. zu verlassen und sich in einer Kleinstadt oder gar einem Dorf niederzulassen, doch ihr Beruf hatte sie ungewollt an die Stadt gebunden und heute war sie sogar mit ihrer Entscheidung, ein vollkommener Stadtmensch geworden zu sein, zufrieden – zumindest glaubte sie das.
Allmählich senkte sich die Sonne und verdunkelte das Innere des Abteils zunehmend. Ein schöner Dezembertag neigte sich dem Ende entgegen. Die Reflektionen der Sonne blendeten in ihren Augen und ließen sie ungewollt blinzeln.
„Worüber denkst du nach?“
Mulders Stimme riss sie unvermittelt aus ihren Gedanken.
„Nicht so wichtig“, murmelte sie im abwesenden Ton. Sie fand, dass sie nicht jede ihrer Bedenken, Sorgen oder Ängste mit ihm teilen musste. Immerhin war er nur ihr Berufspartner. Schon in den vergangenen Jahren hatte es immer ein gewisses Maß an Diskretion zwischen ihnen gegeben. Diese Distanz wollte sie wenn möglich auch in Zukunft bewahren.
Mulder spürte ihre Reserviertheit und zuckte daraufhin nur stumm mit der Schulter. Er wusste, dass es Dinge gab, über die Scully nicht mit ihm sprach. Er war einverstanden damit. Und obwohl er noch heute seine Entscheidung bereute, sich gegen eine feste Bindung mit ihr entschieden zu haben, war er auf der anderen Seite froh darüber, dass der Alltag sie beide dazu zwang, völlig neutral miteinander umzugehen.
Mulder wusste, dass es bereits große Anforderungen an ihn stellte, Scully zu lieben. Sie zu beschützen schien manchmal sogar schier unmöglich und er glaubte nicht daran, seine Rolle als ihr Lebenspartner jemals vollständig erfüllen zu können. Er fürchtete sich vor dem Versagen, vor all den Problemen, die ein Leben mit ihr mit sich brachten und vor allem davor, eines Tages an seinen eigenen Gefühlen zu zerbrechen. Scully war ihm der wichtigste Mensch in seinem einsamen, bescheidenen Leben und er würde es nicht verkraften, sie zu verlieren. Deshalb hatte er sie in jener Nacht von sich gewiesen und ihr damit wissentlich das Herz gebrochen, obwohl dies niemals in seinem Sinn gestanden hatte.
Obwohl nun schon einige Wochen vergangen waren, sah er noch immer das verletzte Stück ihrer Seele in ihren Augen glitzern, sobald er ihr einen Moment zu lange ins Gesicht schaute. Er spürte in diesen Sekunden das dringende Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen, sich für sein stümperhaftes Benehmen zu entschuldigen, doch er fand nie den Mut und die richtigen Worte, denn nichts was er tat schien sein Fehlverhalten wieder gutmachen zu können. Das Gefühl ein Versager zu sein, war so bedrängend wie nie zuvor. Doch er versuchte, sich trotz aller Umstände nicht unterkriegen zu lassen. Vielleicht würde es eines Tages eine zweite Chance für sie beide geben.
So vergingen die Minuten in Schweigen, während beide Agenten in ihren eigenen Gedanken- und Gefühlswelten wandernd aus dem Fenster schauten, wo bereits das Unheil auf der Lauer lag und ihnen die bösartige Realität schon bald vor die Füße zu werfen drohte.
Nach einer Weile entschied sich Scully die Stille zu unterbrechen.
„Gibst du mir meine Burgertüte aus dem Rucksack, bitte?“ Ihre sanfte Stimme schwebte zögerlich durch den Raum.
„Ja, natürlich“, sofort war Mulder auf den Füßen und übergab seiner Partnerin die Papiertüte wenig später.
„Danke.“ Mit einem Seufzen nahm Scully ihren Burger aus dieser heraus. Er war selbstverständlich kalt geworden, doch ihr Magen grummelte bei dem Geruch merklich. So zwang der Hunger ihr den kalten Burger hinein.
Mulder beobachtete sie beim Essen heimlich von der Seite. Solch eine ungesunde Mahlzeit passte eigentlich nicht zu ihr, doch bei Reisen schien seine Partnerin ab und zu eine Ausnahme zu machen.
„Und schmeckt es?“, erkundigte er sich beiläufig bei ihr. Er hatte seine Portion bereits nach dem Bezahlen mit ein paar Bissen verdrückt.
„Naja, wenn man es so nennen möchte“, antworte Scully, nachdem sie den kaum appetitlichen Brei hinunter geschluckt hatte.
„Sieh es positiv, Scully. Morgen bist du wieder zuhause und kannst dir ein vorzügliches Abendmahl mit all den köstlichen Zutaten, die es gibt, zaubern.“
Sofort wandte sie den Kopf in seine Richtung und ihre Stirn zog sich in Falten.
„Höre ich da etwa Neid aus deiner Stimme heraus? Oder soll das nur eine Anspielung für eine willkommene Einladung meinerseits zu diesem Essen sein?“
„Ach, ich weiß auch nicht“, er grinste breit und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
„Mensch Mulder. Wie halte ich es nur schon so viele Jahre mit dir aus?“, fragte Scully daraufhin mit fast skeptischem Unterton.
„Das frage ich mich auch oft.“
Das mittlerweile etwas aufgelockerte Gespräch der beiden wurde abrupt durch eine tiefe, verschlafene Stimme unterbrochen.
„Wer sind Sie denn?“

Kaum war der Klang seiner Stimme verklungen, da wandten sich die Gesichter der Fremden bereits zu ihm um. Es war ihnen anzusehen, dass sie sich nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlten .Wahrscheinlich war es ihnen unangenehm, sich einfach ohne seine Zustimmung ins Abteil geschlichen zu haben. Er gähnte mit vorgehaltener Hand, während er gespannt auf eine Erklärung wartete. Als Mulder zu einer Antwort ansetzte, beobachtete der Mann ihn kritisch.
„Es tut uns leid. Wir haben bereits den gesamten Zug nach einem leeren Abteil abgesucht, aber es waren nirgends zwei Plätze zu ergattern, außer hier. Und da wir Sie nicht wecken wollten…“
Der Mann winkte ab.
„Schon okay. Ich bin nicht nachtragend.“ Er legte sein Lesezeichen zurück ins Buch und legte es beiseite. Anschließend stützte er die Hände auf die Oberschenkel und beugte sich ein Stück nach vorne, um seine unerwarteten Besucher vollends zu mustern. Der Mann schien ihm eher durchschnittlich langweilig mit seinen zur Seite gekämmten Haaren und den großen, braunen Augen. Vielleicht passte er auch einfach nur nicht in sein Beuteschema. Immerhin gefiel ihm das dunkelblaue Hemd und die Jeans. Mit dem schwarzen Jackett konnte er nicht wirklich viel anfangen. Er würde solch ein gehobenes Kleidungsstück niemals an seinen Körper lassen.
Die Frau hingegen hinterließ einen besseren ersten Eindruck auf ihn. Schöne, kupferrote Haare, die genau die Länge hatten, die er mochte, eine weiße Bluse, die einen kleinen Einblick auf ihre recht nennenswerte Oberweite bot und natürlich dieses wunderschöne Gesicht, welches von zaghaften Sommersprossen durchzogen war. Ihre blauen Augen, die schöner als ein Ozean strahlten, durfte er in seiner Aufzählung aber keinesfalls vergessen. Es waren die schönsten Augen, die er in den letzten Monaten zu sehen bekommen hatte.
Nach einem kurzen Moment des Schweigens kam er zu dem Schluss, dass er die beiden mochte. Irgendwie weckten sie Neugier in ihm, Interesse für andere, die er zwar lange mit sich getragen aber seit Ewigkeiten nicht mehr an die Oberfläche gelassen hatte.
Ja, er führte ein einsames Leben. Doch er war zufrieden damit. Vielleicht würden ihm diese beiden ja etwas Abwechslung bieten können.
„Ich heiße Ryan, Ryan Cameron.“
Als er ihnen seine Hand entgegen streckte, schienen beide für ein paar Sekunden überrascht von dieser Geste zu sein.
Scully fing sich als erstes.
„Hallo. Ich bin Dana Scully und das ist mein Partner Fox Mulder“, als sie Ryan die Hand schüttelte, musste sie das aufkommende Gefühl der Nervosität schnell wieder beiseiteschieben. Was war nur heute los mit ihr? Zuerst dieser attraktive Vater und nun kam dieser äußerst markante, auffallende Passagier dazu, von dem sie bisher nur wusste, wie er hieß.
Schnell ließ sie die Hand wieder sinken und Mulder begrüßte Ryan mit einem kurzen Handschlag und dezenten Lächeln.
„Es macht Ihnen also nichts aus?“, wollte er erneut wissen.
„Nein, tut es nicht. Ich teile mir lieber mein Abteil mit anständigen Leuten, als mit irgendwelchen Quatschweibern, die nur am Schnattern sind und mir zu allen Übeln den letzten Nerv rauben“, nun lehnte er sich entspannt zurück und wandte den Blick von Mulder und Scully ab. Er war kein großer Redner. Das würden die beiden bestimmt auch recht schnell begreifen.
Meistens war er alleine. Auf seinen Reisen schüttelte er viele Leuten die Hände, doch im Prinzip kannte ihn niemand wirklich. Nicht mal er sich selbst.
Mittlerweile versteckte sich die Sonne hinter großen, dunklen Wolken. Es drang kaum noch Licht zu ihnen hinein.
„Mulder“, sagte Scully zaghaft, „schaltest du bitte die Deckenbeleuchtung ein?“ Scully hatte erst jetzt die schleichende Dunkelheit wahrgenommen. Mulder fackelte nicht lange und stand von seinem Platz auf.
„Schon passiert.“ Im nächsten Moment durchflutete gelbes Licht das Abteil und hauchte eine angenehme Atmosphäre in den kleinen Raum.
„Schon besser“, stellte Scully erleichtert fest und blickte auf ihren angebissenen Burger hinunter. „Ich glaube, den krieg ich nicht mehr hinunter.“
Sofort schnellte Mulders Blick auf ihren Schoß und betrachtete etwas kritisch das vor ihr liegende Abendessen.
„Ich glaube, ich auch nicht“, er musste sich ein Grinsen verkneifen.
Scully verdrehte die Augen. „Vielen Dank für dein Mitgefühl, sehr geehrter Partner.“
„Immer wieder gerne.“
Mulder schnappte sich im nächsten Moment die Akten aus dem Rucksack und legte sich diese auf den Schoß.
„Viel Spaß in deiner eigenen Welt“, wünschte ihm Scully mit einem leicht gehässigen Tonfall und grinste fies. „Ich sage dir dann bescheid, wenn wir angekommen sind.“
„Jaja, schon gut“, grummelte Mulder zurück und schlug die Mappe auf. Die Fahrt würde noch lange genug andauern. Da konnte er die Zeit auch nutzen und noch ein wenig zu recherchieren, um seinen Bericht in ein paar Tagen auf Skinners Schreibtisch legen zu können.
Scully wechselte prompt ein verschmitztes Lächeln mit dem Mann ihr gegenüber, der wohl nicht viel zu sagen hatte.
„So ist er halt. Ich kann leider auch nichts dagegen tun“, entschuldigte sie sich mit einem Schulterzucken bei ihm.
„Das habe ich gehört!“, Mulders gespielt scharfe Stimme zischte durch den Raum.
Scully lachte und auch Ryan grinste kurz, doch er war schnell wieder in seiner Gedankenwelt verschwunden.
Die beiden gaben ein echt seltsames Paar ab. Und wenn er es sich nicht einbildete, dann flirtete sie mit ihm! Ja, tatsächlich. Sie warf immer wieder nervöse Blicke zu ihm hinüber und versuchte dann schnell, ihr Interesse zu überspielen. Außerdem schien sie ein Gespräch zu beginnen wollen, doch scheinbar fehlten ihr die passenden Worte. Ryan wunderte sich erneut. Doch im Prinzip sollten ihm diese beiden Menschen nicht wichtig sein. Er musste sich um andere Dinge kümmern.
„Und was arbeiten Sie, wenn ich fragen darf, Mister Cameron?“, Scullys zögernde Stimme hallte durch den Raum und ließen beide Männer interessiert aufhorchen.
Etwas überrascht räusperte Ryan sich, bevor er zu seiner Antwort ansetzte. „Ich bin Schriftsteller.“
„Oh!“
„Ja, ich schreibe Romane. Recht erfolgreich, wenn ich mal kurz prahlen darf. Zumindest kann ich mir weite Reisen wie diese hier ohne Bedenken leisten. Ich will ja auch versuchen meine Bücher in anderen Staaten zu vermarkten.“
„Ich verstehe“, Scully nickte und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Irgendetwas war sonderbar an diesem Mann. Vielleicht war es seine Unnahbarkeit, vielleicht barg er aber auch ein dunkles Geheimnis, welches er schon seit einer gewissen Zeit mit sich trug. Sie konnte nur Vermutungen anstellen, obwohl sie insgeheim wusste, dass es sie nichts anging.
„Dann wünsche ich Ihnen noch viel Erfolg dabei. Vielleicht halte ich mal Ausschau nach ihrem Namen.“
„Das wäre mir eine Ehre“, die Ehrlichkeit in diesen Worten war nicht zu überhören, doch keiner der drei wagte es, dieser Aussage etwas zu ergänzen. Stattdessen nahm Ryan sein Buch wieder zur Hand und schlug die Seite mit dem Lesezeichen auf. Mulder vertiefte sich derweil immer tiefer in seiner X-Akte, während Scully den Kopf an die kühle Scheibe legte und gedankenverloren beobachte, wie die Sonne hinter einem entfernten Wald ihren schnellen Abstieg nahm und dann wenig später verschwand.
Es würde noch eine lange Fahrt werden, das stand schon jetzt fest.


Als Scully einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr warf, stellte sie erstaunt fest, dass es bereits kurz vor einundzwanzig Uhr war. Mittlerweile war es stockdunkel draußen geworden. Von der Landschaft war nicht mehr viel zu erkennen. Nur selten erhellten Laternen die nähere Umgebung. Meistens verschluckten die Wälder jegliches Licht und boten nur die Sicht auf die nächsten paar Meter Entfernung. Höchstens die Dörfer, die sie ab und zu passierten, spendeten ein wenig Licht und zogen die Aufmerksamkeit auf sich. Der Rest blieb ein undurchdringliches Schwarz, welches sich nicht so schnell verscheuchen lassen würde. Die Nacht hatte gerade erst begonnen.
Eine angenehme Ruhe breitete sich in Scully aus. Eigentlich mochte sie keine langen Reisen, doch sie gehörten zu ihrem Beruf unweigerlich dazu und nach all den Jahren würde ihr etwas fehlen, wenn sie nicht mehr quer durch halb Amerika fahren oder fliegen müsste. Sie hatte schon so viele schöne Orte in Amerika gesehen, dass sie für jede positive Erinnerung dankbar war.
Während sie so ihren Gedanken nachging und sich von der Dunkelheit in eine andere Welt entführen ließ, gab es jedoch jemanden, der ihr zu diesem Zeitpunkt keine Verschnaufspause erlaubte.
Ihr Magen grummelte unangenehm. Der halbe Burger hatte ihn keineswegs zufrieden stellen können und verlangte nach mehr.
Scully seufzte innerlich. Seit dem Frühstück hatte sie keine anständige Mahlzeit zu sich genommen. Sie konnte ihrem Magen nur zustimmen. Es war langsam an der Zeit, etwas Vernünftiges zwischen die Zähne zu bekommen.
Im nächsten Augenblick zog eine Frage durch ihren Kopf. Gab es vielleicht ein Café oder Restaurant an Bord? Kurzerhand wandte sie sich an Mulder.
„Meinst du, es besteht die Möglichkeit, noch irgendetwas Essbares aufzufinden?“
Mulder klappte die Mappe, in der er bisher pausenlos gelesen hatte, zu und legte sie zur Seite. Ein Grübeln huschte über sein Gesicht.
„Ich weiß nicht, aber selbst wenn es hier ein Bordrestaurant gibt, vermute ich stark, dass es bereits geschlossen ist.“
Scullys Hoffnung bröckelte bei seinen Worten sichtlich. Doch es gab zu ihrem Glück noch eine andere Person im Raum, die etwas zu diesem Thema beisteuern konnte.
„Also soweit ich weiß, hat das Restaurant bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet. Dort gibt es Pommes, Steak und allerlei Salate. Zum Nachtisch kann man zwischen Obstquark und Pudding mit verschiedenen Früchten wählen. Zumindest gab es diese Angebote in anderen Reisezügen, in denen ich war.“
Sofort erhellte sich Scullys Miene. „Wirklich?“, sie strahlte ihm mit einem dankbaren Lächeln entgegen.
„Ja, ich denke schon. Zumindest ist es einen Versuch wert, oder?“
Mulder entschied in diesen Sekunden, dass er ihn nicht mochte. Irgendein Verhalten machte ihn misstrauisch, er wusste nur noch nicht warum. Die letzten zwei Stunden hatte Ryan so gut wie kein Wort mit ihnen gewechselt und nun hatte er im entscheidenden Moment die passende Antwort parat gehabt. Nun gut, vielleicht lag es auch einfach an dem Thema, bei dem er sich spontan mit eingeklinkt hatte, da er Ahnung vom Reisen hatte, doch Mulder schätzte ihn eher als einen zurückgezogenen Typen ein, der lieber schwieg als andere mit seinem unnötigen Geplapper zu nerven. Hatte er vielleicht einfach nur auf sein Stichwort gewartet, um sich mit einbringen zu können oder wollte er gar den Helden spielen?
Mulder spürte deutlich, wie die Eifersucht in ihm brodelte. Sie war schuld daran, dass er so fühlte, doch es fiel ihm schwer, diesem Gefühl zu widerstehen. Es war so einfach. Sein Inneres hatte sich bereits gegen den Fremden entschieden und nun konnte er jede falsche Antwort oder Geste zum Vorwand seiner Abneigung zählen.
Eigentlich war Fox Mulder kein verbissener Typ. Er hatte sein Umfeld, die Arbeitskollegen und andere Leute, die seinen Weg kreuzten, immer akzeptiert, doch seit den Vorfällen im Flugzeug und den Verrätern, die er dort kennen gelernt hatte, ertappte er sich immer wieder dabei, fremden Leuten länger als gewöhnlich zu misstrauen. Vielleicht lag der Grund seiner Antipathie nicht an Ryan selbst, und sie würde sich nach ein paar lockeren Gesprächen ins Positive verändern, doch im Moment war Mulder viel zu sehr mit seiner Eifersucht beschäftigt, als daran zu denken, seinem Gegenüber eine Chance zu geben.
„Danke, Mister Cameron. Ich werde mal schauen, ob ich Glück hab“, sagte Scully gerade hoffnungsvoll. Ihr schien Mulders Schweigen entgangen zu sein. Erst als sie sich direkt zu ihm umdrehte und in sein schwer grübelndes Gesicht schaute, verlor sie ihre erfreute Miene.
„Alles okay, Mulder?“
„Ja, alles bestens“, antwortete schnell und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich war nur in Gedanken.“
Unauffällig warf er einen Blick zu Ryan, der jedoch nur auf Scully zu starren schien und ihn kaum wahrnahm. Dieses Verhalten wunderte ihn nicht. Scully sonderte heute irgendwelche Lockdufte aus, die alle anderen Männer empfingen außer ihm, dachte er verbittert.
Scully ahnte nichts von seinen Bedenken, sondern nahm sein zurückgezogenes Verhalten nur mit einem verständnisvollen Nicken hin und fragte dann „Soll ich dir etwas mitbringen?“
„Gerne. Ich hab auch noch etwas Appetit, wenn ich ehrlich bin.“
„Alles klar. Vielleicht kann ja dort sogar eine Tüte Sonnenblumenkerne für dich auftreiben“, sie zwinkerte ihm spielerisch zu. Mulder konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Du bist mir echt die Liebste, denn du weißt immer, wie du mich mit kleinen Dingen glücklich machen kannst“, erwiderte er mit einem zusätzlichem Hauch Schmalz in der Stimme. Er wusste, wenn es jemanden gab, der seine kleinen Neckereien verstand, dann war es Scully. Sollte dieser Ryan doch mit gespitzten Ohren da sitzen und seine eigenen Interpretationen aus ihrem Gespräch ziehen. Er war ihm egal. Der Typ interessierte ihn nicht mehr länger.
„Deswegen bin ich auch deine Partnerin“, entgegnete Scully amüsiert und stand auf. Ihre angespannten Glieder ließen einen dezenten Schmerz durch ihren Körper wandern, den sie aber schnell mit einem ausgiebigen Strecken abwimmelte. Auf Dauer war es kein Vergnügen, ruhig in seinem Sitz zu verharren. Mittlerweile war ihr Fuß schon dreimal eingeschlafen. Sie brauchte unbedingt noch ein wenig Bewegungsfreiheit, bevor sie sich in ein, zwei Stunden endgültig zum Schlafen legte. Die Aussicht auf ein paar Minuten Beine vertreten, stimmten sie sogleich glücklicher.
Dann schaute sie unsicher zu Ryan.
„Danke, aber ich brauche nichts“, erklärte dieser leise und wandte sich dann schnell wieder seinem Buch zu. Er würde sich nicht vorzeitig aufdrängen, sondern auf den richtigen Augenblick warten. Mulders Abneigung ihm gegenüber spürte er deutlich und er wusste genau, dass er es geschickt anstellen musste, wenn er mit Scully ungestört sein wollte.
„Gut. Dann bis gleich“, Scully blickte ein letztes Mal von Ryan zu Mulder, bevor sie mit schnellen Schritten das Abteil verließ und mit einem sanften Ruck die Tür hinter sich zuzog.

Nachdem Scully das Abteil hinter sich gelassen hatte, kamen ihr abrupt zwei Aspekte in den Sinn. Zum Einen fragte sie sich, ob das Restaurant auch wirklich um diese Uhrzeit geöffnet hatte. Sie hoffte es sehr, denn ansonsten würde sie sich ernsthafte Gedanken über ihre Nahrungszufuhr für die verbliebenden Stunden Fahrzeit machen müssen. Ihrem Magen würde es bestimmt nicht gefallen, bis zu ihrer Ankunft daheim vertröstet zu werden. Doch wenn Ryan gegen ihrer Erwartung recht behielt und das Restaurant geöffnet war, dann freute sie sich schon jetzt auf eine sättigende Mahlzeit, wie zum Beispiel Fisch mit Bratkartoffeln und dazu einen bunten Salat. Hoffentlich würde es dort überhaupt etwas Kalorienarmes geben. Wenn sie schon etwas zu einer so ungünstig späten Uhrzeit zu sich nahm, dann sollte zumindest ihre Figur nicht unter unnötigem Fett leiden müssen. Immerhin wollte sie den attraktiven Männern, wie Jessys Vater, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte und Ryan Cameron, die ab und an ihren Weg kreuzten, gefallen. Und auch wenn es ihr nicht wirklich darum ging, Eindruck bei den beiden Herren zu machen, so wollte sie doch für den Rest der Zivilisation gut aussehen, denn zusätzliche Fettpölsterchen machten bei den Wenigsten einen guten Eindruck.
In Gedanken schweifend bemerkte Scully erst jetzt, wie ruhig der Flur vor ihr lag. Sie schien die einzige Person zu sein, die sich aus ihrem Abteil wagte. Die Vorhänge waren bei allen Abteilen vorgezogen und verhinderten so den Blick ins Innere. Nur ab und zu drangen gedämpfte Gespräche nach außen, die sie beim Vorbeilaufen erhaschte. Vielleicht hatten sich ein Paar der Passagiere aufs Ohr gelegt, um nicht stundenlang untätig in die tiefschwarze Nacht starren zu müssen, die unaufhörlich an ihnen vorbei zog. Das würde zumindest die lauernde Stille in diesem Waggon erklären.
Während Scully entspannt voranschritt, konnte sie außerhalb des Fensters weiße Schneeflocken beobachten, die vom Himmel fielen und von einem leichten Wind hin und her gewirbelt wurden.
Nachdem sie das Abteil der Großfamilie passiert hatte, in dem wohl endlich ein wenig Ruhe eingekehrt war, da man sich keines der Kinder beschweren oder den Vater laut seufzend hörte, stemmte sie die Tür zum nächsten Waggon auf. Auch hier war derzeitig niemand zu sehen. Der Gang ähnelte dem davor, nur dass dieser mit braunen statt beigen Teppich ausgelegt war. Die Vorhänge waren noch immer schwarz. Das spärliche Licht der Deckenlampen, die etwa jede zwei Meter angebracht worden waren, vermittelten Scully ein unwohles und einsames Gefühl. Sie schauderte kurz in ihrer Bluse und dem schwarzen Blazer, doch schnell streifte sie die negativen Empfindungen von sich und schaute nach oben. Ein Schild über ihrem Kopf verriet ihr, dass das Restaurant im nächsten Waggon zu finden war. Außerdem stachen ihr in dunkelblauer großer Schrift die Worte ,Täglich von 08-14 und 18 – 22 Uhr für Sie geöffnet‘ ins Auge.
Eine erleichternde Freude breitete sich augenblicklich in ihr aus. Also gab es heute Nacht doch noch etwas Anständiges für sie zu essen. Mit deutlich verbesserter Laune setzte sie sich wieder in Bewegung.
Nachdem sie auch den dritten Waggon hinter sich gebracht hatte, tauchte ein weiteres Schild vor ihr auf, welches die Fahrgäste auf die Toiletten hinwies. Scully seufzte. Es schien die erste oder gar einzige im Zug zu sein. Vielleicht war sie aber auch nur zu sehr von ihren Vorstellungen von einem belegten Baguette mit Hähnchenfleisch oder einem gemischten Salat abgelenkt gewesen, dass sie die Toiletten in den anderen Waggons beim Vorbeigehen nicht registriert hatte.
Nachdem sie an drei geschlossenen und unausgeschilderten Türen vorbeigegangen war, entpuppte sich die Vierte als ihr Zielort. Sie vergewisserte sich, dass das Lämpchen über der Tür nicht rot aufleuchtete. Immerhin konnte es möglich sein, dass bei den an die hundert Fahrgästen, die an Bord waren, einer von ihnen bereits auf Toilette war. Anhand des ausbleibenden Lichts stellte sie jedoch fest, dass diese frei war. Gerade als sie die Hand zur Klinke streckte, ließ sie eine männliche Stimme zusammenfahren. Sofort drehte sie sich zu dem unerwartetem Ankömmling um.
„Hallo! Oh nein, ich habe Sie erschreckt.“
Es war Jessys Vater, der plötzlich unbemerkt aus der anderen Richtung aufgetaucht war. In den Händen hielt er eine Papiertüte und eine Wasserflasche. Seine Augen nahmen einen entschuldigenden Ausdruck an, während er zögerlich näher kam und sich neben Scully stellte. Diese winkte ab und lächelte ihm etwas verlegen entgegen.
„Schon okay. Ihr Auftreten war nur etwas unerwartet. Ich bin jetzt schon durch zwei Waggons gewandert, die wie ausgestorben wirkten und treffe, kaum dass ich nach meinem minutenlangen Spaziergang endlich angekommen bin, wie es der Zufall so will, natürlich auf Sie.“
Scully wunderte sich selber über die vielen Worte, die so leichtfertig aus ihr heraus gesprudelt waren.
Oh man, was wohl der namenlose, gutaussehende Vater von ihr hielt, wenn sie sich so seltsam benahm?
Doch John lächelte ihr mit einem interessierten Blick zu und schien keineswegs von ihrem Redeschwall abgeneigt zu sein.
„Ja, aber ein guter Zufall, nicht?“, ein nicht zu übersehender Glanz lag in seinen Augen, während er ihr zuzwinkerte.
„Das denke ich auch“, stimmte Scully ihm knapp zu und bemühte sich, keine vorläufigen Schlüsse aus seiner Reaktion zu ziehen. Vielleicht fand er sie einfach sympathisch. Konnte doch gut sein, oder? Es musste nicht unbedingt eine Anmache hinter seinen Worten liegen. Zumindest hoffte sie das, denn sie war noch nie ein Mensch der großen Gefühle gewesen. Wie sollte sie denn damit umgehen, falls dieser Mann, hingegen ihrer Vorstellung, doch damit angefangen, hatte sie zu mögen? Und welche Erwartungshaltung löste das in seiner kleinen Tochter, Jessy, aus, wenn ihr Vater ihr im Abteil gegenüber saß und plötzlich beiläufig die schöne Rothaarige erwähnte? Oh Gott. Dachte er bereits an sie? Hatten die zwei kurzen Begegnungen wirklich schon ein tief verborgenes Gefühl der Sehnsucht auslösen können?
Scully gönnte diesem Mann eine Frau und dem lieben Mädchen eine Mutter, doch sie wusste auch, dass sie diese Rolle niemals für die beiden erfüllen konnte. Sie hatte bereits ein Leben, ein gutes Leben. Sie hatte einen Job, der sie immer wieder aufs Neue auf die Probe stellte, ausreichend Geld, eine wunderbare Familie und den besten Freund, den man sich vorstellen konnte. Was wollte sie mehr?
Aber Scully war halt auch nur eine Frau und Frauen wollen immer das, was sie nicht haben können.
Um sich ihren inneren Gedankensturm nicht anmerken zu lassen, ergriff sie schnell das erste Wort.
„Wie ich sehe, kommen Sie gerade vom Restaurant. Um ehrlich zu sein, war ich ursprünglich auch auf dem Weg dorthin. Gibt es denn dort auch etwas nicht allzu Figur schädigendes?“ Scully deutete auf die Papiertüte in seiner Hand. John nickte sofort.
„Ja, auf jeden Fall. Ich muss sagen, das Angebot hat meine Erwartungen übertroffen und ich konnte mich kaum zwischen dem Fischbrötchen und dem Kartoffelsalat mit Hähnchenschenkeln entscheiden.“ Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
„Aber letzten Endes habe ich mich für den Fisch entschieden, weil er einfach besser transportfähig ist.“
„Gute Wahl, denn kalorienärmer ist er auch“, ergänzte Scully und musste selber schmunzeln.
„Typisch Frau immer an die Figur zu denken“, John lachte und schaute Scully plötzlich sehr tief in die Augen. Die Papiertüte war unauffällig in die Hand mit der Wasserflasche gewandert.
„Ich bin übrigens John“, er hielt ihr unvermittelt die nun freie Hand entgegen.
„Dana“, Scully schüttelte seine Hand zaghaft und versuchte, das aufkommende Kribbeln in ihrer Magengegend zu verdrängen. Noch immer löste dieser Mann ein unbehagliches aber dennoch sehr vertrautes Gefühl in ihr aus.
„Ein schöner Name“, meinte John und riss sie aus ihrer Starre. „Aber ich habe deinen Partner einen anderen Namen sagen hören?“ Es war eher eine Frage, als eine Feststellung.
Scully fand es süß, dass ihm dieses Detail aufgefallen war. Anscheinend waren ihm die beiden kurzen Begegnungen ebenso im Gedächtnis geblieben wie ihr.
„Scully. Das ist mein Nachname. Mulder hat die eigentümliche Angewohnheit mich so zu nennen.“
Ein äußerst attraktiv wirkendes Lächeln huschte über Johns markantes Gesicht. Kleine Fältchen bildeten sich um seine Augenwinkel und verliehen ihm ein sehr charmantes Aussehen. Scully schätzte ihn auf fünfunddreißig, höchstens vierzig, also ein gutes Stück älter wie sie selbst war.
„Wohin geht denn eure Reise eigentlich?“, erkundigte sich sie nun bei ihm. Ob die Anwesenheit dieses Mannes eine positive Wirkung auf sie hatte, konnte sie noch nicht sagen. Aber es war irgendwie aufregend mit ihm alleine zu sein. Zumindest konnte Mulder diesmal keine spitzen Bemerkungen abgeben.
„Bis nach Washington, D.C.. Jessy und ich haben die Ferien bei ihren Großeltern in Atlanta verbracht. Ich bin froh, dass es diese direkte Zugverbindung gibt, denn sonst wäre uns dieser Besuch kaum möglich gewesen. Ich habe kein Auto und auch keinen Führerschein. Meine Frau hatte diesen Job früher übernommen. Aber seitdem sie weg ist, greife ich ausschließlich auf Bus und Bahn zurück“, er seufzte kurz und schaute betrübt zu Boden. „Ich bereue es sehr, damals keinen Führerschein gemacht zu haben. Wir hatten geglaubt, dass einer im Besitz der Familie ausreicht, um klar zu kommen. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Heute fehlt mir leider die Zeit und das Geld, um die Fahrprüfung nachzuholen.“
John war sichtlich von seinen Erinnerungen mitgenommen, das sah Scully ihm an. Sie beobachtete ihn bei seinen ausschweifenden Erzählungen ein klein wenig zu intensiv, denn er bemerkte ihren Blick und setzte eine entschuldigende Miene auf.
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen.“
Scully hingegen war keineswegs abgeneigt, sondern im Gegenteil, sie empfand ehrliche Interesse für ihn. John war ein äußerst eindrucksvoll wirkender Mann, vor allem wenn er über seine Erinnerungen sprach. Die Erfahrungen des Lebens waren in jeder Faser seines Körpers zu spüren.
„Tust du nicht“, auch wenn es völlig absurd war, Scully fühlte bereits, als würde sie ihn schon ewig kennen. Woher kamen nur diese fremdartigen Empfindungen für einen im Prinzip völlig Fremden? Hatte sie mit vierunddreißig etwa eine plötzliche Kurzschlusspanik und war auf einmal bereit, sich auf jeden dahergelaufenen Mann einzulassen, nur weil Mulder sie vor wenigen Wochen abgewiesen hatte?
„Dann bin ich ja beruhigt.“
Scully hätte ihm am liebsten gesagt, was für eine verführerische, rauchige Stimme er doch hatte und wie gerne sie ihm noch stundenlang zugehört hätte, doch schnell schob sie diese Gedanken beiseite. Sie durfte Mulder nicht allzu lange warten lassen, denn sonst würde er auf die absurde Idee kommen, dass ihr etwas zugestoßen sei und sie suchen kommen. Keinesfalls wollte sie sich von ihrem Partner bei einem intensiven Gespräch mit Jessys Vater erwischen lassen.
John kratzte sich kurz am Hinterkopf, bevor er ihr einen unerwarteten Vorschlag machte.
„Wenn du möchtest, begleite ich dich noch kurz ins Restaurant. Wir sollten uns nur ein wenig beeilen. Jessy ist alleine in unseren Abteil und spielt mit meinem Handy.“
Scully grinste breit bei dieser Vorstellung. „Das ist aber sehr riskant für dich, ein bald pubertierendes Kind mit deinem Handy zurück zu lassen. Nicht, dass sie damit auf falsche Gedanken kommt.“
Sie schaffte es, John ein Lachen ins Gesicht zu zaubern.
„Nein, keine Sorge“, winkte er ab, „Jessy ist zehn und hat noch ein bisschen Zeit, finde ich.“
„Ach so. Natürlich. Ich wollte dich nur ärgern“, gab Scully zu und genoss den Moment und die Zweisamkeit mit John immer mehr.
„Ja, das merke ich.“
„Entschuldige“, sie schaute verlegen zu Boden. „Schluss jetzt. Ich glaube, wir sollten uns wirklich langsam auf den Weg machen. Ich werde mich aber noch schnell etwas entledigen, wenn du verstehst, was ich meine“, erklärte sie mit einem Zwinkern.
„Natürlich. Deswegen bin ich ja auch hergekommen, glaube ich“, John lachte und wirkte mittlerweile völlig entspannt.
„Ladies first“, die einladende Handbewegung hätte eher in ein Nobelrestaurant gehört, doch Scully gefiel diese Geste irgendwie. Er erinnerte sie an Mulder in den ersten Wochen, in denen er ihr noch jede Tür geöffnet und jeden Stuhl zurecht geschoben hatte. Doch die vielen Jahre Partnerschaft hatten solche Höflichkeiten einschlafen lassen. Zwar wurde Mulder nur selten ausfällig und er kam ihr noch heute oft mit seiner Art entgegen, doch die Beziehung hatte sich seit den Anfängen verändert, das war beiden bewusst.
„Danke dir“, Scully war sichtlich ausgelassen und näherte sich langsam der Tür.
„So bin ich eben. Und keine Angst. Ich warte hier auf dich. So schnell renne ich dir nicht davon.“
„Das will ich auch hoffen“, Scully spürte die aufsteigende Hitze in ihrem Gesicht und floh schnell ins Bad. Nachdem sie die Tür geschlossen und verriegelt hatte, atmete sie angestrengt aus. Wenn sie nicht aufpasste, würde ihr dieser Mann noch vollständig den Kopf verdrehen!
Das Bad entpuppte sich als klein aber zumindest gepflegter Ort mit einer extra Toilettenkabine und einem Handwaschbecken mit darüber hängendem Spiegel. Die Sauberkeit überraschte sie und ließ sie gleich viel gelassener ihr Grundbedürfnis stillen.
Anschließend wusch sie sich die Hände und das immer noch glühende Gesicht. Als sie sich kritisch im Spiegel betrachtete, stachen ihr die roten Haare, die auf ihrer Schulter lagen und die funkelnden blauen Augen entgegen. Sie sah sehr gut aus, doch Scully war sich ihrer Attraktivität nie wirklich bewusst gewesen. Vielleicht war es möglich, dass sie John gefiel. Dass er ihr bewusst etwas vorspielte, wollte und konnte sie sich nicht vorstellen. Oder aber er wollte nicht unhöflich sein, doch so schätzte sie ihn nicht ein. John war ein ehrlicher Typ Mann, der sie deutlich zum Schwitzen brachte und ihr, ob gewollt oder nicht, allmählich den Kopf verdrehte. Wie musste es seiner Frau damals nur gegangen sein? Hatte er ihr bei der ersten Begegnung auch so den Boden unter den Füßen weggezogen?
Nachdem sie sich einigermaßen den Kopf mit kaltem Wasser auf der Haut frei gemacht hatte, verließ sie das WC wieder.
John stand noch immer ein paar Meter entfernt vor der Tür und setzte ein freudiges Lächeln auf, als er sie sah.
„Das ging aber schnell. Oh, du siehst erfrischt aus!“
„Ach was? Ich hatte auch mal dringend eine Abkühlung nötig. Irgendwie ist es hier drin viel zu warm.“
„Was du nicht sagst.“
Oh nein. Er hatte verstanden, wie sie es gemeint hatte, und dass, obwohl sie ihm doch gar nicht zu verstehen geben wollte, dass er sie nervös machte!
Doch nun war es zu spät und sie entfernte sich schnell von der Tür, um John vorbei zu lassen.
„Ich beeile mich“, sagte er noch leise, bevor er die Tür hinter sich zuzog.
Als im nächsten Moment jemand die Stimme erhob, zuckte Scully erschrocken zusammen.
„Na wen haben wir denn da?“
Scullys Körper wurde von einem Gänsehautschauer überfallen, als ihr Verstand die Stimme zu einer ihr sehr vertrauten Person zugeordnet hatte. Mit einem äußerst mulmigen Gefühl wandte sie sich zu der Stimme um.
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