World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Dunkle Schatten

von Steffi Raatz

Kapitel 3

07:00am, Manson Hotel, Philadelphia

Verschlafen öffnete Scully die Augen, als sie es an der Tür klopfen hörte. Im ersten Augenblick wusste sie nicht, wo sie sich befand. Schließlich klärten sich ihre Gedanken und sie erinnerte sich in Mulders Zimmer zu sein. Und nicht nur das! Sie befand sich in Mulders Bett, zugedeckt mit seiner Decke. Als sie die Decke anhob, registrierte sie, dass sie ein T-Shirt von ihm trug. Da sie sich nicht selbst aus- und angezogen hatte, blieb nur noch Mulder für diese Aufgabe übrig. Merkwürdigerweise empfand sie über diese Situation keine Scham.
Ein weiteres Klopfen ließ sie aufhorchen. Wo steckte eigentlich Mulder? Sie hatte sich erstaunlicherweise noch keine Gedanken darüber gemacht. Während sie sich umdrehte, stieß sie mit ihrem Arm gegen eine Schulter - Mulder!
Entsetzt richtete sie sich auf - was war letzte Nacht geschehen? War überhaupt etwas geschehen?
Neugierig lugte sie unter die Bettdecke und nahm erleichtert wahr, dass er seine Jeans trug. Es war also rein gar nichts passiert.
Das Klopfen wurde intensiver. Jetzt erst erinnerte sich Scully, warum sie aufgewacht war.
Vorsichtig stieß sie Mulder an, um ihn zu wecken. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr ihre Fingerspitzen, als sie seine nackte Haut berührte.
Als er die Augen aufschlug und das Klopfen hörte, war er mit schnellen Schritten aus dem Bett.
"Morgen, Scully...ähm, tut mir leid, ich..."
Sie lächelte über seine offensichtliche Flucht.
"Schon gut, ich kann mir meinen Teil denken."
"Aber genau DAS nicht!"
Er wirkte erschrocken.
"An DAS habe ich nun wirklich nicht gedacht, Partner."
Sie lächelte ihn an, nahm ihre Kleider und verschwand im Bad. Währendessen eilte Mulder zur Tür, an der das Klopfen bereits in ein Hämmern übergegangen war.
Als er die Tür öffnete, stand die junge Kindergärtnerin vor ihm.
"Valerie, guten Morgen, was machst du denn hier?"
"Fox, ich wollte dich zum Frühstück einladen."
"Frühstück?"
Sie trat unaufgefordert in sein Zimmer und betrachtete mit argwöhnischem Blick das zerwühlte Bett. Mulder fühlte sich kontrolliert.
Im gleichen Augenblick öffnete sich die Badezimmertür und Scully betrat, immer noch mit Mulders T-Shirt bekleidet, den Raum. Valerie blickte entsetzt von Mulder zu Scully. Mulder musste insgeheim über das verstörte Gesicht von Valerie lachen.
Sie wirbelte herum, ihre Hand landete in seinem Gesicht und dann verließ sie ohne ein weiteres Wort den Raum.
Scully sah Mulder fragend an: "Bin ich im falschen Moment gekommen?"
"Wohl weniger."
Sie sah ihn verwirrt an und ihr Blick forderte eine Antwort.
"Ich würde eher sagen, sie kam im falschen Augenblick!"
Damit war das Thema für ihn durch.
Ihre Gedanken kreisten - wieso legte Mulder Wert darauf, dass Valerie einen falschen Eindruck von der Situation bekam? Hatte sie die geheime Schlacht, die sie schlug, gewonnen?



02:00pm, Wellington Kindergarten, Philadelphia

"Hören Sie mir zu, ich habe die Erlaubnis von den städtischen Behörden, dass ich hier graben darf!"
"Mulder, es hat keinen Zweck, kommen Sie!"
Er ließ sich jedoch nicht so schnell abwimmeln. Er hatte die Erlaubnis, im Keller Grabungen durchzuführen. Er wollte wissen, ob er noch mehr Skulpturen finden würde. Skulpturen, die aussahen wie die Kinder, die verschwunden waren. Vielleicht würde er auch Skulpturen finden von den Kindern und Menschen, die vor Jahren, vielleicht Jahrzehnten hier verschwunden waren. Seine Neugier war so dermaßen angeregt, dass er sich nicht vertreiben lassen wollte.
Scully hingegen wollte kein Risiko eingehen. Es war schon schlimm genug, dass diese Menschen sie abwiesen, wo immer sie auch hinkamen. Aber diese Abneigung, die ihnen hier entgegen schlug, als sie auch nur erwähnten, dass sie im Keller graben wollten, war schon mehr als merkwürdig. Sie war der festen Überzeugung, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging und dass diese Menschen etwas damit zu tun hatten.
Sie bedachte die Kindergartenleitung mit einem eisigen Blick und verließ mit Mulder schnurstracks das Gebäude. Sie würden noch ihre Möglichkeit zum Graben bekommen, dafür würde sie schon sorgen, das schwor sie sich.
"Wenn wir jedes Mal, wenn wir abgewiesen werden auch gehen, dann werden wir nie irgendwas erreichen!" Mulder war auf hundertachtzig.
"Bleiben Sie ruhig, Mulder, wenn Sie jetzt, in dieser Situation, nicht ruhig bleiben und Ihre Fassung wahren, kommen wir nie zu einem Ergebnis." Scully war sich ihrer Sache sehr sicher.
"Ruhig bleiben? Ruhig bleiben in so einer Situation? Scully, hier ist ein Hexenkessel am kochen. Die ganzen Bewohner in dieser Gegend sind betroffen. Und Sie sagen, ich soll ruhig bleiben, abwarten und Tee trinken? Nein, das kann ich nicht! Sie wissen es genauso gut wie ich, in so einer Situation kann ich nicht untätig dasitzen."
Scully nickte: "Ich weiß Mulder, aber das ist jetzt falsch! Hören Sie, wir werden unsere Grabungen machen. Wir werden herausfinden, was hier passiert, aber wir müssen die ganze Sache geschickt angehen. Geschickt und ruhig! Wir haben schon so viele Erfahrungen darin gesammelt, was passiert, wenn wir Menschen, die so miteinander verbunden sind, aufrühren. Es kann nur zu einem Misserfolg führen, wenn wir uns jetzt versuchen machtvoll durchzusetzen!"
Mulder nickte. Irgendwo hatte sie ja Recht. Sie waren schon auf mehrere solche Situationen gestoßen und in jedem Fall hatte Scully mit ihrer ruhigen Art immer den besseren Weg gefunden.
Er öffnete ihr die Tür zum Wagen und ließ sie einsteigen, ehe er selbst in den Wagen einstieg.
"Und nun?"
"Und nun werden wir warten!"
Mulder blickte Scully verwirrt an: "Warten? Worauf?"
"Darauf, dass bis auf den Hausmeister alle das Gebäude verlassen, dann werden wir reingehen!"
"Wir? Heimlich? Wenn keiner mehr da ist? Scully, diese Ideen stammen doch sonst von mir?!"
Sie sah ihn mit einem gequälten Lächeln an: "Es gibt immer ein erstes Mal! Manchmal muss man eben den unkonventionellen, ungewöhnlichen Weg gehen, auch wenn das nicht meine, sondern ihre Domäne ist."
"Meine liebe Scully, ich entdecke an Ihnen einen Zynismus, der mich erstaunt."
"Sie erstaunt noch irgendetwas?"
"Bei Ihnen immer!", lachte er.



08:00pm, Wellington Kindergarten, Philadelphia

Um etwas zu erreichen, gab es immer Mittel und Wege. Mulder musste innerlich lachen, als er an Scullys Worte dachte. Ja, dieses war auch ein Mittel zum Zweck: Sie stiegen nachts heimlich in ein Gebäude ein, um im Keller ein Loch zu graben, das sie nie wieder schließen würden, um Beweise zu finden, die die Kindergartenleitung und das komplette Stadtviertel in Verdacht bringen würden, Kinder verschwinden, eventuell umbringen und für Riten quälen zu lassen. Doch, es war ein ungewöhnliches Mittel zum Zweck und wirklich nicht gerade die konventionelle Methode - dafür war sie umso wirksamer. Wann nahmen sie schließlich schon mal den konventionellen Weg. Er konnte es an einer Hand abzählen.
Während Mulder sich noch in Gedanken darüber amüsierte, was Scully gesagt hatte, war sie schon einige Meter weitergelaufen. Er folgte ihr zur Kellertreppe und blieb neben ihr stehen.
Beide blickten sich an. Wollten sie diesen Schritt wirklich wagen.
Sie blickte in die Tiefe. Mulders Blick folgte ihrem.
"Na, dann auf in die Höhle des Löwen!"
Scully schaltete ihre Taschenlampe ein und setzte den ersten Fuß auf die Treppe. Mulder hielt sie am Arm fest: "Scully, wenn Sie nicht wollen?!..." Er dachte an den Abend, als sie verängstigt zu ihm gekommen war, doch sie schüttelte seinen Arm nur ab.
"Lassen sie uns unsere Arbeit tun, Mulder!"

Der Keller des Gebäudes bestand aus drei Räumen und umfasste den Grundriss des gesamten Hauses. In zwei von den drei Räumen befanden sich lediglich alte Möbel und andere Dinge, die man normalerweise im Keller lagerte. Von Skulpturen oder irgendwelchen rituellen Gegenständen oder Zeichen war keine Spur.
Der dritte Raum jedoch war weitgehend leer und es herrschte eine merkwürdige Luftfeuchtigkeit, die Scully und Mulder aufmerksam werden ließ.
"Irgendetwas ist mit diesem Raum!"
Mulder, von seinem untrüglichen Instinkt geleitet, begann die Wände abzutasten, während sie forschend mit ihrer Taschenlampe die Wände anstrahlte. Von irgendwo kam ein leichter modriger Luftzug.
"Riechen Sie das auch?"
"Es riecht... alt."
"Alt?"
"Modrig, wie in einer Gruft."
"Wie oft waren Sie denn schon in einer Gruft?"
Mulder lachte: "Fragen Sie lieber nicht!"
So unterließ sie es auch lieber - sie wollte es wirklich nicht wissen.
Mit einem Seitenblick auf ihren Partner registrierte sie eine gewisse Unruhe bei ihm, als ob er irgendwas entdeckt hätte. Und sie sollte Recht behalten.
"Kommen Sie!"
Mit schnellen Schritten war sie bei ihm und leuchtete mit der Taschenlampe auf die Stelle, auf die er deutete. Er hatte tatsächlich etwas entdeckt.
"Was haben Sie gefunden, Mulder?"
"Ich glaube, wir haben hier einen zugemauerten Eingang gefunden."
Sie sah ihn skeptisch an, es sah für sie doch mehr wie ein kleines Loch im Mauerwerk aus, doch sie mochte ihn nicht schon wieder mit ihrem Pessimismus belangen.
Ungeachtet ihrer eindeutigen Zweifel hockte er sich vor das Loch und löste mit kräftigen Griffen einen Stein nach dem anderen aus der Mauer bis die restlichen von selbst nachgaben - das Loch welches sie im Erdreich graben wollten, war schnell vergessen.
Eine hüfthohe Öffnung wurde erkennbar, durch die er sich eifrig zwängte und anschließend Scully seine Hand reichte, um sie ebenfalls durch diese Öffnung zu ziehen.
"Geben Sie mir Ihre Hand, Scully, ich helfe Ihnen!"
Sie war sich nicht sicher, was sie tun sollte.
"Bitte, Sie wissen nicht, wohin es dort geht und ob es überhaupt sicher ist."
"Wenn Sie hier stehen bleiben und warten wollen, bitte, aber ich werde nachsehen, was hier unten so geheim gehalten wird!"
Sie seufzte und ergriff seine helfende Hand.
Als sie sich schließlich durch die Öffnung gezwängt hatte, leuchtete sie mit der Taschenlampe in die Dunkelheit vor ihnen.
Ein Gang, in dem man zwar nicht aufrecht gehen konnte, der aber ansonsten genug Platz für eine erwachsene Person barg, breitete sich vor ihnen aus. Er griff nach ihrer Taschenlampe und schritt voraus. Sie fühlte sich eindeutig nicht wohl bei dieser Sache, doch sie folgte ihm...

"Mulder, wann geben Sie endlich auf und lassen uns zurückgehen?"
"Sind Sie etwa schon müde?"
Sie blickte in das Licht der Taschenlampe und verzog mürrisch das Gesicht. Mit einem schnellen Blick zur Seite erhaschte sie im letzten Lichtschein der Taschenlampe noch einen Blick auf ihre Uhr, bevor Mulder wieder weiter ging.
"Wir irren jetzt schon fast eine Stunde hier herum."
"Und?"
"Hier ist nichts! Hier war vielleicht mal ein Schutzbunker oder ein Fluchttunnel, was weiß ich, aber jetzt ist hier nichts mehr!"
"Fällt Ihnen nichts auf?"
"Nein! ...was?!" Sie zog die Stirn kraus.
"Der Geruch hat sich intensiviert."
"Wir sind ja auch tiefer in der Erde drin, als vorhin!"
"Nein, das meine ich nicht."
"Was dann?"
"Es riecht jetzt anders... so... so..." Er suchte nach dem passenden Wort.
"...menschlich?", ergänzte sie.
Registrierend, was sie gesagt hatte, lief ein Frösteln durch ihren Körper. Schnell fasste sie sich wieder. Sie war Gerichtsmedizinerin und hatte vor solchen Dingen normalerweise keine Scheu oder Ekel, doch diesmal war es ein wenig anders. Erstens ging es hier um kleine Kinder, die verschwunden waren und zweitens war an diesem Fall schon zu viel zu merkwürdig und das bezog sich nicht nur auf den beruflichen Teil.
Mulder setzte seinen Weg fort, ohne auf Scullys Stocken zu reagieren.
Plötzlich erklang ein metallischer Laut.
"Stopp!"
"Scully?"
"Haben Sie das gehört? Es hört sich wie ein metallischer Boden an! Leuchten Sie runter!"
Doch ihr Partner hatte bereits den Gitterrost unter seinen Füßen wahrgenommen.
"Wenn hier ein Industriegitterrost liegt, dann ist hier vielleicht auch eine Anlage..."
"Vielleicht sollten wir weitergehen."
"Auf einmal?"
"Ich werde mich bei Ihnen entschuldigen, aber nicht hier und nicht so!"
Er grinste: "Na das ist doch ein Wort!"
Einerseits in Gedanken über seine Arroganz fluchend, andererseits seinen Spürsinn bewundernd, folgte sie ihm stillschweigend.

Es war eine weitere halbe Stunde vergangen, ehe sie eine Art Schacht erreichten, der sie noch weiter in die Tiefe führte und auf einem kleinen Podest endete, welches ihnen einen Rundumblick auf eine unvorstellbar große, unterirdische Halle ermöglichte.
"Sollte ich jemals an Ihnen gezweifelt haben, so werde ich das nie wieder tun", raunte sie ihrem Partner zu, bemerkte jedoch seinen verblüfften Gesichtsausdruck nicht.
Mit einem kurzen Blick zur Seite registrierte sie, dass Mulder den Abstieg fortsetzte und folgte ihm.
Riesige Kessel säumten die Halle, verwinkelten sie in viele kleine uneinsehbare Gänge. Weiter hinten am anderen Ende der Halle befand sich so etwas wie ein Labor. Scully konnte nichts Genaues erkennen, vermutete aber, dass es sich dabei um ein chemisches Labor handeln müsste.
Am Boden angelangt, folgte sie Mulder weiterhin unaufgefordert zwischen den Kesseln hindurch. Ein Dröhnen schallte von den Wänden und vermischte sich mit Maschinengeräuschen, die sie nicht lokalisieren konnten. Immer wieder ließen sie ihre Blicke umherschweifen, um eventuelle Wachposten zu lokalisieren.
Ein Schwall Dampf entwich einem der Kessel in Scullys Nähe. Sie spürte den Schreck durch ihre Glieder gleiten und gleichzeitig Mulders beruhigende Hand auf ihrer.
"Was ist das hier?"
"Keine Ahnung, aber ich nehme mal an, dass wir hier irgendwas sehr streng Geheimen auf die Spur gekommen sind."
Sie verzog ihren Mund zu einem ironischen Lächeln: "Darauf wäre ich nicht gekommen!"
Mit gezogenen Waffen schritten sie vorsichtig weiter, um sich dem eigentlichen Ziel ihres Weges zu nähern, dem Labor.

Sie hatten sich bereits bis auf wenige Meter genähert, da vernahmen sie erste leise Stimmen. "... müssen verschwinden..." "... nicht viel Zeit..." "... Projekt ist fehlgeschlagen..."
Mulder richtete seinen Blick fragend auf seine Partnerin. Was hatten sie hier entdeckt?
Mit einem geschulten Blick erkannte Scully, dass es sich bei den technischen Geräten um Geräte zur Genforschung handelte.
"Genforschung oder -manipulation!", zischte sie.
"Versuche an Menschen?"
"Vermutlich."
"Die Kinder!"
"Wahrscheinlich. Aber die Schatten sind mir unerklärlich."
"Forschung mit Außer..."
"Sprechen Sie das nicht aus! Ich warne Sie! Daran wollen wir nicht einmal denken!"
"Für Sie immer noch so unwahrscheinlich?"
"Nein, fast schon zu wahrscheinlich!"
Er sah sie verdutzt an. Diese Worte aus dem Mund seiner Partnerin? Glaubte sie seinen Theorien mehr als er je vermutet hätte?
"Wir müssen näher ran!"
Gebückt näherte sich Scully den Gesprächspartnern und blieb erst stehen, als sie so dicht herangetreten war, dass sie fast nur noch den Arm ausstrecken musste, um die Forscher zu berühren.
Halbwegs entsetzt beobachtete Mulder seine Partnerin ehe er ihr langsam und vorsichtig folgte. Sie begab sich in unnötige Gefahr und wenn auch er sonst den riskanten Teil ihrer Partnerschaft bestritt, so machte ihn ihr Vorhaben ganz furchtbar nervös.
Sie deutete ihm an, sich ruhig zu verhalten, als er sie erreicht hatte. Es war nun klar und deutlich zu verstehen, was die Wissenschaftler miteinander besprachen.
"... hören Sie zu, Hendriks, ich sehe keine andere Lösung! Das Material muss vernichtet werden. Das Projekt ist fehlgeschlagen!"
"Nichts ist fehlgeschlagen! Sie haben es vermasselt! Hätten Sie doch aufgepasst wegen dieser Kindergärtnerin!"
"Ich konnte doch nicht ahnen..."
"Dass sie die Vorfälle ans FBI melden würde? Meine Güte, wie naiv sind Sie eigentlich!"
"Aber..."
"Nichts aber! Wie weit sind sie bei den Forschungen gekommen?"
"Vier der zwölf Versuchsobjekte haben es überlebt, aber..."
"Na, da haben wir doch einen Fortschritt!"
Der ältere der beiden Männer klatschte sichtlich erfreut in die Hände.
"Aber sie sind schrecklich deformiert! Und ihre Psyche... hören Sie, das ist nicht mehr vertretbar, was wir hier machen!"
Scully sah Mulder an, er blickte sie an. Was jetzt noch zur Erklärung fehlte, war der Forschungsgrund.
Die beiden Forscher entfernten sich in die hinteren Bereiche und verließen durch eine Tür die Halle.
Scully nutzte diese Möglichkeit, glitt aus ihrem Versteck hervor, eilte vor Mulders Augen quer durch die Halle auf die Labortische zu und begann das Material in den Reagenzgläsern zu untersuchen.
Mit schnellen Schritten folgte er ihr, betrachtete die Computerdaten, die ihm leider nicht so viel Aufschluss geben würden, wie seiner Partnerin, die sich mit diesen wissenschaftlichen Daten besser auskannte.
"Was entdeckt, was uns Aufschluss geben könnte?", flüsterte er neben ihrem Ohr.
"Nichts genaues, aber ich werde mir die Computerdaten und die schriftlichen Notizen noch einmal ansehen!"
"Beeilen Sie sich. Wer weiß, wie lange die Herren wegbleiben."
Er ließ sie bei den wissenschaftlichen Unterlagen allein, steuerte auf die Käfige zu, um herauszufinden, ob sie vielleicht nicht leer waren.
"Hey!"
Scully schreckte von den Daten auf.
"Was machen Sie da!"
Sie sah ihren Partner auf sie zu eilen. Sie war noch nicht fertig, sie konnte noch nicht gehen! Mit flinken Fingern flog sie über die Tastatur des Computers und begann Daten auf eine Diskette zu übertragen. Sie musste es einfach schaffen!
"Scully, kommen Sie!"
Mulder hatte bereits die Flucht ergriffen und eine zweite Person betrat, durch den Lärm alarmiert die Halle.
Sie zögerte. Die Daten. Sie musste es schaffen!
"Scully!" Ihr Partner blieb stehen und blickte über seine Schulter zu den herannahenden Angreifern.
Fluchend machte er kehrt und eilte zu seiner Partnerin zurück, um diese vor den Angreifern zu erreichen und mit sich zu ziehen.
Just in diesem Moment, als er sie am Arm packte und mit sich ziehen wollte, war die Datenübertragung beendet und Scully folgte ihm widerstandslos.
Schüsse erklangen als sie zwischen den Kesseln Schutz suchten.
"Welcher Wahnsinn hat sie denn eben getrieben?"
Triumphierend hielt sie die Diskette hoch: "Alle Daten, die wir brauchen!"
Er lächelte stolz, ließ jedoch nicht außer Acht, dass sie fast ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätte.
"Wohin sollen wir jetzt?"
"In den Gang zurück?"
"Der Aufstieg wäre zu unsicher! Wir müssen einen anderen Ausweg finden."
Sie eilten weiter, gehetzt von unterdessen vier Angreifern, die zu schützen versuchten, was Scully bereits in ihren Händen hielt: Informationen.
"Hier lang!"
Sie folgte ihrem Partner in blindem Vertrauen zwischen den Kesseln hindurch, einen langen schmalen Gang entlang und schließlich hinter eine stählerne Tür, die zu einem Fahrstuhl führte.
"Ich glaube heute ist unser Glückstag!"
Sie ließ die Tür hinter sich zuschnappen, während Mulder die Mechanik des Fahrstuhls in Gang setzte.
Es gab einen leichten Ruck und die Kabine setzte sich in Bewegung.
"Worum handelte es sich bei den Daten, die Sie kopiert haben?"
"Um wissenschaftliche Experimente an Menschen."
"Welcher Art?"
"Chemische Reaktionen von irgendwelchen eindeutig genmanipulierten Substanzen, die ich noch nirgendwo gesehen habe!"
"Hatte ich vielleicht doch Recht mit meiner Vermutung?"
"Nein, sicher nicht... na ja, vielleicht nicht... eventuell schon!", lenkte sie ein.
"Ha!"
"Aber es ist nicht bewiesen!"
"Immer Ihre Einschränkungen!"
"Genaueres kann ich erst sagen, wenn ich die Daten analysiert habe. Was haben Sie in den Käfigen gefunden?"
"Das möchten Sie nicht wissen!"
"Forschungsergebnisse?"
"So könnte man es nennen."
"Die Schatten also eine chemische Reaktion?"
"Vielleicht?"
"Die Skulpturen nur eine Ablenkung?"
"Höchstwahrscheinlich!"
"Die Menschen erpresst."
"Ist zu vermuten, jedoch verstehe ich nicht, warum man uns dann informiert hat?"
"Valerie."
"Valerie Moray, die Kindergärtnerin?"
"Sie kam aus einem anderen Stadtteil, war neu. Sie hatte vielleicht noch keine Ahnung von der Sache."
"Oder wie der eine Kerl vorhin sagte, sie haben die Lage überschätzt."
Mulder nickte und horchte auf das leise, beruhigende Rauschen des fahrenden Aufzugs.
Sie schienen gerettet.
Mulder lächelte ihr erleichtert zu, doch sein Lächeln sollte auf seinem Gesicht erstarren, als plötzlich eine Erschütterung durch die Kabine ging und der Fahrstuhl seinen Betrieb einstellte.
"Mulder?"
"Die müssen das Ding zum Stehen gebracht haben!"
"Und jetzt?"
"Ich schätze, wir müssen abwarten."
"Abwarten?"
Eine unheimliche Ruhe kehrte ein.
"Es ist viel zu ruhig, richtig unheimlich!"
Er legte seinen Arm beruhigend auf ihren, obwohl auch er von einer merkwürdigen Unruhe heimgesucht wurde.
Es vergingen Sekunden wie eine halbe Ewigkeit.
Mit einem langsamen Zittern begann es, begleitet von einem leicht anschwellenden Dröhnen. "Hören Sie das?"
"Ich glaube, das bedeutet nichts Gutes!"
Das Zittern und Dröhnen wurde immer stärker. Scully presste sich näher an ihren Partner.
Mit einem Satz hatte sie sich in seine Arme geflüchtet, als ein Steinregen auf die Kabine des Fahrstuhls niedersauste und Teile wie Geschosse in die Kabine eindrangen.
Dann gab es plötzlich wieder einen kräftigen Ruck und der Fahrstuhl rutschte einige wenige Stockwerke tiefer.
Ein Schrei entglitt Scullys Kehle, während Mulder sie schützend in die Arme schloss.
Mit einem weiteren Ruck kam der Fahrstuhl wieder zum Stehen.
Erneut war ein Zittern und leise anschwellendes Dröhnen wahrzunehmen.
Das Seil würde aus der Verankerung reißen und sie beide in die Tiefe stürzen. Mulder war das so ziemlich klar und er vermutete auch, dass Scully das wusste oder ahnte.
Sie glitten in stillem Einvernehmen in eine sitzende Position hinunter.
"Scully, wenn wir das überstehen, mache ich mich nie wieder über Ihre kühle wissenschaftliche Denkweise lustig!"
Einige wenige Vorboten der Steine trafen auf dem Kabinendach auf und ließen Scully zusammen zucken: "Ich glaube jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, sich endlich zu duzen!"
"Meinen Sie?"
"Ja, verdammt!", zischte sie und belegte ihn mit einem ihrer patentierten Blicke.
Er blickte sie amüsiert an: "Wissen Sie, Ihre Art jemanden strafend anzusehen wird mir echt fehlen!"
Sie knuffte ihn freundschaftlich in die Rippen, als plötzlich ein zweiter Schauer Gesteinsbrocken auf das Fahrstuhldach nieder regnete und die Kabine sich wieder um einige Meter in die Tiefe bewegte. Aus ihrem Knuffen war ein ängstlicher klammernder Griff geworden.
"Scully..."
Sie sah zu ihm auf und sah eine Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und da war noch etwas, was sie nicht wirklich deuten konnte - vielleicht Entschlossenheit.
Sie hatte noch nicht viel weiter gedacht, als sie plötzlich seine Lippen auf ihren verspürte und seinen süßen Geschmack kostete. Ein Kribbeln durchlief ihren Körper und sie hatte das Gefühl zu träumen. Wie ein Luftzug war es auch schon wieder vorbei. Sie sah ihn verwirrt und gleichzeitig mit einer gewissen wohligen Wärme in ihrer Magengegend an.
Seine Stimme klang rau und er wirkte, als müsse er sich stark beherrschen: "Das wollte ich schon so lange tun!"
"Mulder..."
"Lass uns nicht darüber reden."
Er legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen, ließ jedoch seinen Blick nicht von ihr ab.
Sie ließ das Fragen sein, obwohl ihr doch so viele Fragen auf der Seele brannten.
Der Fahrstuhl machte einen weiteren Ruck und sauste in die Tiefe, doch diesmal schien er nicht mehr anhalten zu wollen...

Alles woran sie sich erinnern konnte, war ein lautes ohrenbetäubendes Geräusch, ihr Schrei und das Bersten des Fahrstuhls. Wie sie das Ganze hatte lebend überstehen können, war ihr immer noch ein Rätsel.
Sie stieß einige Fahrstuhlteile beiseite, die ihr den Weg versperrten und machte sich wortlos auf die Suche nach Mulder unter all den Trümmern.
"Scully?"
Sie hievte eine der Fahrstuhltüren beiseite und ließ sich neben ihrem Partner auf die Erde fallen.
"Da bist du ja!"
"Noch nicht ganz, hilf mir!"
Sie wischte eine Strähne aus ihrem Gesicht und half Mulder unter den Trümmern hervor.
Noch immer konnte sie nicht begreifen, wie sie das lebend überstanden hatten.
"Ich glaube wir hatten großes Glück, dass der Fahrstuhl schon so weit unten war."
Ja, das war eine logische Erklärung. Aber es gab noch genug Zeit für logische Erklärungen, sie mussten jetzt erstmal hier heraus...

Der weitere Rückweg gestaltete sich weniger gefährlich, als sie vermutet hatten. Die Halle war verlassen, nichts deutete mehr auf ein Labor, wie schon so oft bei ihren Fällen. Alles war entfernt worden. Sie wussten noch nicht einmal, ob es sich um staatliche oder private Forschungen gehandelt hatte. Mit einem leichten Triumphgefühl dachte sie an die Diskette in ihrer Jackentasche.
Heil und halbwegs unbeschadet in ihren Hotelzimmern angekommen, entledigte sich Scully ihrer Kleider und schlüpfte unter die heiße Dusche. Sie wollte den Schmutz und ihre wilden Gedanken von sich waschen. Noch immer quälten sie die verrücktesten Fragen hinsichtlich Mulders Verhalten.
Der Dusche und der völligen Auflösung entgangen, wieder bekleidet und völlig erschöpft öffnete sie Mulder die Tür zu ihrem Zimmer und ließ ihn auf dem einzigen Sessel im Raum Platz nehmen.
"Hast du die Diskette?"
Ach es war ja so einfach gewesen, dass 'Du' anzuwenden.
Sie griff in ihre auf dem Bett liegende Jacke und kramte in einer der Taschen.
Ein zerbrochenes Stück Plastik kam zum Vorschein und zum ersten Mal sah er Scully wirklich nervlich am Ende.
"Nein! Nein! Nein!"
Ein übler Fluch kam über ihre zarten Lippen, während ihr Blick mehr von Traurigkeit als von Wut sprach.
Ein plötzlicher Stimmungswechsel ließ sie erschöpft auf das Bett nieder gleiten: "Mulder?"
"Ja?"
"Wir haben wieder mal keine Beweise... wieder mal wird nichts geschehen und wir schließen eine Akte ungelöst..."
"Ja."
"Darf ich dich etwas fragen?"
"Nur zu."
"Was da im Fahrstuhl... ich meine..."
Sie atmete einmal tief durch: "Wäre das auch passiert, wenn wir uns nicht in Lebensgefahr befunden hätten? Wäre es dann jemals passiert?"
Er seufzte und senkte für Sekunden seinen Kopf um sich zu sammeln. Er mochte nicht zugeben, dass ihn das genauso belastete wie sie.
Dann blickte er ihr traurig in die Augen: "Vermutlich nicht... ich weiß es nicht."
Sie nickte und erwiderte seinen Blick ebenso traurig.
Wortlos stand er auf, um den Raum zu verlassen, drehte sich aber mit einem eigenartigen Verlangen an der Tür noch einmal nach ihr um: "Morgen um neun am Wagen?"
"Sicher!"
"Auf zum nächsten Fall?"
"Auf zum nächsten Fall!"



Ende
Rezensionen