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Samt & Seide

von Steffi Raatz

Kapitel 4

- Teil 4 -

Alex sah zur Decke und folgte mit seinen Augen den feinen Maserungen, die durch den Pinsel beim Streichen entstanden waren. Seine Gedanken jedoch waren bei der Frau, die neben ihm lag und deren Brustkorb sich langsam und regelmäßig hob und senkte. Nur wenige Stunden zuvor hatte sie am Fenster gestanden, die Arme vor der Brust verschränkt und auf die beleuchtete Straße hinunter gesehen. Eine lange Zeit hatte sie nichts anderes getan, war einfach nur ihren Gedanken nachgegangen.

Er hatte sie in Ruhe gelassen, hatte ihr die Zeit gegeben, die sie für sich brauchte, obwohl es ihm unter den Nägeln brannte, zu erfahren, was in ihr vorging. Was sie so nachdenklich machte. Aber er hatte gewusst, dass sie irgendwann kommen und es ihm erzählen würde.

Alex schloss die Augen und sog ihren unvergleichlichen Duft ein. Erdbeershampoo und Reste ihres unaufdringlichen frischen Parfums.

Sie war zu ihm gekommen. Hatte sich vor ihn gestellt und ihm erklärt, dass sie nicht verstand, warum er bei ihr blieb. Und er hatte dieselbe Frage zurückgestellt. Sie gefragt, warum sie ihn noch duldete, warum sie Mulder nicht von seiner Anwesenheit in Kenntnis setzte und wann zur Hölle sie angefangen hatten, sich derart heftig ineinander zu verlieben.

Erschrecken war das erste, was er in ihren Augen hatte lesen können. Erschrecken über die Wahrheit oder über die Dreistigkeit seiner Behauptung – er hatte es zuerst nicht zuordnen können. Dann jedoch schien das Gesagte langsam aber sicher etwas in ihr zu bewirken. Mit ihren Augen war etwas passiert, was er nicht so genau beschreiben konnte. Sie weiteten sich und es schien fast als ob er Erkennen darin sah, doch da pressten sich bereits ihre Lippen auf seine. Hungrig und dürstend nach dieser Liebe, von der er gesprochen hatte.

Alex riss die Augen auf und starrte wieder die Decke an. Ja, er hatte ihr gegeben, was sie wollte. Was sie wollte, was er wollte. Oh ja, er wollte sie. Er wollte die kleine Agentin so sehr, wie er noch nie etwas im Leben gewollt hatte. Sein Körper brannte vor Verlangen, seine Seele schrie nach Erlösung.

Fahrig wischte er sich über die Stirn und versuchte ihren heißen Atem an seiner kalten Haut zu ignorieren, doch es gelang ihm nicht.

Was zur Hölle war nur geschehen? Wann hatte es angefangen und würde es jemals enden?

Für einen kurzen Augenblick erschien wieder der Krycek an der Oberfläche, der er die meiste Zeit war. Ein boshaftes Lächeln schlich sich auf seine Gesichtszüge. Marita. Sie war die letzte Frau, mit der er das Bett vor Dana geteilt hatte. Marita Covarroubias, die UN-Angestellte, die genau wie er ein doppeltes Spiel spielte und sich auf die Seite ziehen ließ, die ihr einen Vorteil brachte. Sie hatte ihm eine geknallt, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Seine Wange schien bei dem Gedanken daran immer noch zu brennen.

Und sie hatte ihn ausgelacht. Ihn ausgelacht, weil er sich geweigert hatte, Dana Scully zu töten. Sie hatte ihn eiskalt ausgelacht, ihm gesagt, er sei weich geworden und ein Narr, wenn er auch nur ansatzweise glaubte, eine Dana Scully würde je etwas für ihn empfinden können.

Still und heimlich wünschte er sich, Marita könne ihn sehen, könne sehen, was er hier tat, wie er die letzten Tage verbracht hatte.

Er war wenigstens zu sich selbst ehrlich und hatte zugegeben, dass Dana ihm nicht egal war, während Marita auf ihrem Bürostuhl saß und dem anderen Teil des Agentenduos hinterher schmachtete, dies jedoch nie zugegeben hätte.

Sicherlich war er ein enormes Risiko eingegangen, Dana aufzusuchen, und er wusste selber nicht so genau, warum er es getan hatte, als er so verletzlich gewesen war. War es Schicksal gewesen? Eigentlich glaubte er ja nicht an dergleichen und dennoch… irgendetwas hatte ihn hierher geführt…

Danas Körper begann sich neben ihm zu bewegen und ihr Bein rutschte in einer sehr vertrauten Geste über seinen Schenkel, verschlang sich mit seinem Bein und blieb dort liegen.

Alex schloss erneut die Augen und lächelte.

War das Glück?, schoss es ihm durch den Kopf.

Ja, das musste Glück sein. Dieses Gefühl in seidener Bettwäsche zu liegen, aufzuwachen und den geschmeidigen Körper einer wunderschönen Frau an seiner Seite zu spüren. Ihre samtige Haut zu berühren und sie mit sanften Küssen zu wecken, nur um sie dann zu verführen. Zu hören, wie sie seinen Namen in seinen Mund stöhnte, während sich ihre Fingernägel lustvoll in sein Fleisch gruben. Ihr ein bezauberndes Lächeln zu entlocken und erneut vor Erschöpfung mit ihr einzuschlafen.

Das war wie ein Teil eines riesigen Kuchens. Ein Kuchen aus den leckersten Zutaten, den man nie bis zum Ende essen wollte, weil man Angst hatte, nie wieder einen solchen Kuchen backen zu können.

Es war die Erfüllung, die Erfüllung all seiner Träume.

Mit ihr Kaffee zu trinken, mit ihr auf der Couch zu liegen, um sich romantische Filme anzusehen oder einfach nur zu lachen – gemeinsam zu lachen.

Der Krycek, der hier im Bett lag und all das empfand, war jedoch nicht der Krycek, der er sein musste. Das war sein wahres Ich. Der Teil von ihm, der verletzlich sein konnte, der Gefühle empfand, die so tief und rein waren, dass es schmerzte. Und es war der Teil, der wusste, dass dieses Leben nicht auf Dauer sein konnte. Nicht so lange es Leute gab, die verhindern wollten, dass die Menschheit die Wahrheit erfuhr über geheime Verschwörungen, Konsortien, Invasionen oder dergleichen.

Der Teil, der bereit war, sich in die hinterste Ecke seines Ichs zu verkriechen, um dem Teil Oberhand zu gewähren, der bereit war, zu töten und zu lügen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Er fragte sich, was Mulder wohl davon halten würde, wenn er wüsste, dass er, Alex Krycek, auf seiner Seite stand, die gleichen Ziele verfolgte.

"Ich werde es ihm sagen, wenn er danach fragt", erklang ihre verschlafene Stimme neben ihm.

Alex drehte seinen Kopf so, dass er sie ansehen konnte und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Was wirst du wem sagen?"

"Mulder. Das mit uns."

Seine Hand stoppte in ihrer Bewegung, unfähig, sich weiter zu bewegen.

Langsam hob sie ihren Kopf, blinzelte verschlafen und lächelte ihn an. "Ich habe beschlossen, es ihm zu sagen. Nicht direkt. Aber sollte er mich nächstes Mal fragen, wem die Männerschuhe unter der Garderobe gehören, dann werde ich ihm eine ehrliche Antwort geben."

"Warum…?" Seine Stimme war ein erschrockenes Flüstern.

Ihre Finger strichen zärtlich über seine Unterlippe und fast andächtig folgte sie mit ihren Augen der Spur ihrer Finger. Dann sah sie auf, sah in seine geweiteten Augen und ihre eigenen schienen zu leuchten. Ein warmes glänzendes Leuchten als sei ihre Iris von tausend Sternen umgeben.

"Weil ich es uns schuldig bin", drang ihre Stimme weich wie flüssiger Samt in seine Gedanken.

Liebe, hallte es in seinem Kopf, ich liebe sie.

Und plötzlich fühlte er Angst. Eine unbändige Angst, die er versuchte zu verdrängen, in dem er sich zu ihr beugte und ihre verlockenden roten Lippen mit einem Kuss versiegelte, in den er alles reinlegte, was er empfand. Einen vernichtend bittersüßen Kuss voller Schmerz und Liebe, reiner unverbrauchter Liebe. So unverbraucht, weil er plötzlich wusste, dass er noch nie zuvor wirklich geliebt hatte.



::+::



Lachend öffnete sie die Tür und betrat ihre Wohnung. Sie legte ihre Hand auf Mulders Brust und bat ihn, kurz zu warten. "Ich werde die Akte kurz holen."

Fast automatisch wollte sie ihre Schuhe abstreifen und barfuss über den weichen Teppich laufen, doch sie entschied sich anders.

Ihr Blick blieb an der Garderobe hängen und irgendwie kam ihr der Abend anders vor. Die Wohnung kam ihr fremd vor.

Nicht weiter darüber nachdenkend, steuerte sie zielstrebig die Couch und den kleinen Tisch an, wo die hellbraune Mappe lag, nach der Mulder gefragt hatte. Lächelnd registrierte Dana die offene Videohülle von 'Vom Winde verweht' und musste unweigerlich dorthin sehen, wo sie am Abend zuvor Rotwein verschüttet hatte.

"Haben Sie sie gefunden?" Mulders ungeduldige Stimme erklang von der Tür und drang in ihre Erinnerungen.

Die Akte greifend, drehte sie sich herum und sah ihren Partner erschrocken an, da er direkt hinter ihr stand. Mit einer kurzen Grimasse als Resonanz auf sein freches Grinsen, drückte sie ihm die Akte gegen den Oberkörper und schien ihn von sich und aus der Wohnung schieben zu wollen, als ein feiner Kaffeeduft in ihre Nase stieg.

"Sie haben wieder Besuch?" Mulder sah zur Küche und machte einen Schritt in die entsprechende Richtung.

"Immer noch", erwiderte sie und wurde sich klar darüber, dass sie es ihm sagen wollte, dass sie ihm die Wahrheit wirklich sagen wollte, auch wenn sie wusste, es konnte alles zerstören. Einfach alles. Ihre Freundschaft, ihre Partnerschaft, ihre Arbeit. Alles. Und doch wollte sie nichts anderes so sehr.

Ihre Füße trugen sie fast selbstständig in die Küche, steuerten auf die Kaffeemaschine zu, aus dessen Filter ein gurgelndes Geräusch erklang und anzeigte, dass das Wasser komplett durchgelaufen war.

"Und… darf ich erfahren, wer Ihr Herz erobert hat?" Mulder sah um die Ecke herum und schien sie zu beobachten.

Dana schaltete die Kaffeemaschine aus und betrachtete sie schweigend. Der Kaffee war durchgelaufen, eine Tasse stand daneben. Eine einzelne Tasse.

"Ich…" Sie drehte sich um und sah ihren Partner an, der erwartungsvoll in der Tür stand. Eine Antwort von ihr erwartend.

Mit schnellen Schritten rauschte sie an ihm vorbei, ließ ihn stehen und öffnete die Schlafzimmertür. Das Bett war gemacht, die Vorhänge aufgezogen. Das letzte Licht des Tages erhellte den Raum. Doch der Raum war leer. So leer, wie er noch nie in ihrem Leben gewesen war. Nicht im Sinne von 'ohne Möbel' – es fehlte etwas Emotionales. Es war seine Anwesenheit, die fehlte.

Sie starrte auf das Bett, auf dem sie sich am Morgen noch geliebt hatten und sie erinnerte sich, wie er ihr gesagt hatte, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als jeden Tag mit ihr aufzuwachen.

"Wenn ich an dich denke, werde ich immer an Samt und Seide denken. An seidige Bettlaken und samtene Haut", hallte seine Stimme in ihrem Kopf wider.

Samt und Seide.

Gott, sie hätte es wissen müssen.

Es war ein Abschied.

Sie hätte es wissen müssen…

Eine Träne löste sich aus ihren wässrigen Augen, lief ihre Wange hinab und benetzte ihre Lippen.

Aber sie war nicht wütend, nicht enttäuscht von ihm. Sie verstand, was er getan hatte. Verstand, warum er es getan hatte. Doch das machte es nicht besser. Es bestätigte ihr nur, dass er nicht war, was er ihnen so lange vorgemacht hatte. Alex war mehr. Er war ein Teil von ihr geworden. Und er war gegangen, damit sie nicht in die Schussbahn geriet, gegangen, um sie zu schützen.

"Scully?" Mulder erschien hinter ihr im Flur. Besorgt. Beunruhigt.

Sie wischte sich verstohlen über die Wangen, trocknete ihre Tränen und schloss die Tür wieder. Tief ein- und ausatmend machte sie einen Schritt auf ihren Partner zu und lächelte matt.

"Alles okay?" Er sah sie nachdenklich an.

"Ja…" Sie holte noch einmal tief Luft. "Ja, alles ist in Ordnung."

"Ihr Besuch?", fragte er vorsichtig und berührte zart ihre Schulter.

"War nur auf der Durchreise", erklärte sie matt und lächelte Mulder an. "Er war nur auf der Durchreise."





::+::



Seine Lippen wurden zu einem grimmigen Strich, seine Augen konzentrierten sich auf die Waffe in seinen Händen, auf das Ziel und auf den Teil in sich, der sein Überleben sicherte.



"Warum riskierst du dein Leben, um ihres zu schützen. Weil du sie liebst? Ist es das? Ist es Liebe? Dann bist du dümmer, als ich dachte." Marita lacht spitz.

"Vielleicht bin ich dumm, aber ich habe wenigstens etwas empfunden, was du nie empfinden wirst." Seine Stimme bricht. Schmerz erfüllt seine Augen. Den Rest seines Gesichtes hat er unter Kontrolle. So wie er sich ab jetzt immer unter Kontrolle haben wird. Alex Krycek, der Bastard ist zurück.



Seine Finger glitten geübt über das Laserrohr des Scharfschützengewehrs, die Waffe justierend. Seine Hände waren ruhig. Seine Miene versteinert.

Samt und Seide, hallte es in seinem Kopf ein letztes Mal, dann drückte er die Waffe ab und jegliches Gefühl verschwand aus seinem Körper, als sein Zielobjekt getroffen zu Boden sank…







Ende
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