World of X

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Richtung Nirgendwo - Durchreise

von Nicole Perry

Kapitel 3

Tyler fummelte geistesabwesend mit seinem kleinen goldenen Stern, als er zu Ende frühstückte. Er fühlte sich gut in seinen Fingern an, und es machte ihn stolz. Obwohl er nicht bis Anfang nächster Woche zu arbeiten anfangen würde, kam er sich bereits jetzt schon vor, als sei er Teil von etwas Großem und Wichtigem. In den letzten Tagen hatte er seine Freizeit fast immer in der Station verbracht, um einfach nur die Atmosphäre in sich aufzunehmen. Er wollte immerhin nicht wie ein Frischling an seinem ersten Tag aussehen.
 

"Tyler?" rief seine Mutter aus dem Nebenzimmer. "Gehst du in die Stadt?"
 

"Wenn es sein muss", rief er zurück und fand es insgeheim für eine gute Idee. Ein Ausflug in die Stadt wäre eine prima Entschuldigung, wieder einmal vorbei zu schauen.
 

"Wir haben fast kein Reinigungsmittel mehr", rief seine Mutter.
 

"Kein Problem, Ma", sagte er und stellte seine Schüssel achtlos in die Spüle. Er schnappte sich die Schlüssel des Trucks von dem Brett an der Tür und zog sich ein Baseball Cap an, bevor er ging.
 

Seine Schwester Emily sprang draußen in der Einfahrt Seil. Sie war ganz verschwitzt vor Anstrengung. Sie war erst neun und fünfzehn Jahre jünger als er, und er konnte es kaum glauben, dass es auch mal so jung gewesen war. "Was treibst du denn da, Em?" fragte er, als er die Autotüre aufschlug.
 

"Ich übe", rief sie und ihr Pferdeschwanz hüpfte mit ihren Sprüngen auf und ab.
 

"Aha", machte Tyler und erwies ihrer Übung den nötigen Respekt. "Sieht gut aus."
 

"Danke", keuchte sie, als er den Truck startete und auf die Einfahrt fuhr.
 

Scully rutschte rastlos auf ihrem Sitz hin und her und tastete nach dem Fenstergriff. Sie fand ihn und rollte das Fenster ein Stück weiter nach unten und genoss die frische Luft, die ihr ins Gesicht blies.
 

"Zieht es dir?" fragte sie.
 

"Überhaupt nicht", erwiderte er und sie hörte am Ton seiner Stimme, wie müde er war.
 

Sie hatten das Café schon kurze Zeit später nach einer kleinen Mahlzeit verlassen und waren jetzt Stunden unterwegs. Scully war ein paar Mal während der Nacht eingeschlafen, aber Mulder hatte keine Pause eingelegt. Bei Sonnenaufgang hatten sie kurz angehalten, um Donuts und Kaffee zu holen und sind dann in fortwährendem Tempo weitergefahren. Durch Oklahoma, einen Teil von Arkansas und nach Louisiana. Hunderte von Meilen auf dem Highway, die für Scully nur Wind und das Geräusch von Reifen auf der Straße waren. Sie war nervös und müde und gelangweilt. Und sie machte sich Sorgen um Mulder.
 

"Mulder... sollten wir nicht kurz anhalten?"
 

"Nein", war die einzige Antwort.
 

Scully sagte nichts weiter, um keinen Druck auszuüben, aber sie wünschte sich zum tausendsten Mal, dass sie auch eine Strecke hinter dem Steuer übernehmen könnte.
 

Er schien seine vorschnelle Antwort zu bereuen und fügt erklärend hinzu, "Ich möchte nur vor Sonnenuntergang ankommen und Zeit haben, um einen Platz für die Nacht zu finden."
 

"Wie weit ist es noch?" fragte sie. "Sollten wir nicht schon längst da sein?"
 

"Das wären wir auch, wenn wir uns leisten könnten, direkt den Freeway zu nehmen."
 

Scully nickte und hoffte, dass er gerade hinsah. Sie lehnte sich nach vorne und fand den Radioknopf und schaltete ihn ein. Sie suchte einen Sender, der nicht gerade eine Talk Show nach der anderen oder Country Musik spielte. Aber der 74er Plymouth Valiant war nur mit einem einfachen Radio ausgestattet und die Auswahl war nicht sehr groß. "Das nächste Mal kaufen wir uns einen Wagen", seufzte sie, "irgend etwas mit einem CD Player."
 

"Abgemacht", sagte er und sie meinte, ein verstecktes Lächeln aus seiner Stimme herauszuhören.
 

"Montag Morgen, direkt als erstes", kündigte Tyler stolz an. Er lehnte sich lässig an den Pickup und zeigte sein goldenes Abzeichen.
 

"Cool!" Louis starrte auf das glänzende Stück Metall. "Kann gar nich' glauben, dass du es echt geschafft hast, dass die dich echt mitmachen lassen!"
 

"Hey!" protestierte Tyler, obwohl er wusste, dass sein Freund ihn bloß ärgerte. "Ich hab' das Teil verdient. Wer sagt denn, dass man seine ganze Freizeit damit verbringen muss, an irgend welchen alten Rostkarren 'rumzuschrauben."
 

"Mein Freund", sagte Louis, "du hast keine Ahnung, was du verpasst." Mit diesen Worten nahm Louis die Flachzange zur Hand und machte sich wieder an die Reparatur des Wagens, an dem er gerade arbeitete.
 

Tyler blickte sich in der Tankstelle um. Sie war nicht besonders groß, nur zwei Zapfsäulen, ein Mini-Mart und die kleine Werkstatt, in der sie standen. Er konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum sich sein bester Freund diesen Job antun konnte, wo es doch so viel bessere Dinge gab, die man machen könnte.
 

Aber auf der anderen Seite, wenn Louis damit glücklich war, sollte es ihm auch recht sein. "Hey", sagte er, "wie wär's mit was zu trinken?"
 

"Jetzt?" fragte Louis und blickte nicht von seiner Arbeit auf. "Wie spät ist es?"
 

"Kurz nach zwölf", antwortete Tyler. "Komm schon, feier' mit mir meine letzten Tage in Freiheit."
 

"Okay, okay. Ich mach' das hier nur grad' zu Ende."
 

Tyler grinste. Er musste Louis nie lange überreden. "Bin sofort wieder zurück." Er machte sich auf den Weg zu dem Mini-Mart.
 

In dem Laden angekommen, ging er zu dem Kühlschrank im hinteren Ende des Geschäftes und studierte die Auswahl. Weil das Bier sowieso aufs Haus ging, konnte er auch gleich einen draufmachen. Er schnappte sich zwei der teureren Sorte und ging zur Kasse.
 

Dort stand ein Mann, der auf den Kassierer wartete. Er drehte sich nach Tyler um, als er näher kam, und fragte, "Arbeitest du hier?"
 

"Nee", antwortete Tyler. "Aber was brauchen Sie denn?"
 

"Volltanken", erwiderte er.
 

"Kein Problem", sagte Tyler und zwang sich hinter die Theke, um den Schalter für die Tanksäulen umzulegen. "Bezahlen Sie einfach, wenn Sie fertig sind."
 

Der Mann nickte. "Danke", sagte er und ging wieder heraus zu seinem Auto.
 

Tyler marschierte mit den beiden Bieren wieder in die Garage und öffnete sie mit seinem Schweizer Armee-Messer. Er bot Louis eins an und nahm selber einen langen Zug von seinem und genoss es, wie das kühle Bier seine Kehle herunter rann.
 

"Danke, Kumpel", sagte Louis, doch Tyler erwiderte nichts. Er ging zum anderen Ende der Garage, um einen besseren Blick auf den Mann zu werfen, der seinen Tank auffüllte.
 

Irgendwie kam der Mann ihm bekannt vor, aber Tyler war sich nicht sicher, wo er ihn schon mal gesehen haben könnte. Er sah nicht besonders auffällig aus, genau wie jeder andere von der langen Reise mitgenommene Autofahrer mit Ringen unter den Augen.
 

Doch dann sah er sie und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
 

Eine Frau saß auf dem Beifahrersitz, ein kleines Ding mit dunklen Haaren in einem Pferdeschwanz. Sie steckte ihren Kopf aus dem Fenster, um dem Mann etwas zu sagen und verschwand dann wieder im Inneren des Wagens. Aber es war genug für Tyler, eins und eins zusammen zu zählen und sich an die Fahndungsfotos zu erinnern, die auf der Station die Runde machten.
 

Tyler wäre beinahe sein Bier aus der Hand gefallen. "Louis!" zischte er, der sich vor Schreck den Kopf an der Motorhaube stieß.
 

"Verdammt Tyler... was denn?"
 

"Los, geh rein", befahl Tyler in einem geradezu autoritären Ton. "Wenn der Typ rein kommt, um zu bezahlen, halt ihn auf. Lass ihn bloß nicht gehen."
 

"Warum das denn?" Louis war durcheinander und Tyler dachte, dass sein Freund nie bei der Polizei anfangen könnte.
 

"Weil das Flüchtlinge sind, darum." Tyler musste zufrieden grinsen. Zur Hölle mit dem, was andere Deputies behaupteten, er sei zu jung und unerfahren. Er würde zwei Flüchtlinge stellen, bevor er überhaupt einen Tag als Polizist gearbeitet hatte. "Jetzt mach, dass du rein kommst und mach, was ich sage!"
 

Louis war immer noch durcheinander, aber er wurde jetzt auch von dem Enthusiasmus seines Freundes ergriffen. Er legte sein Werkzeug beiseite und tat wie ihm geheißen.
 

Tyler sah, wie er den Laden betrat und schlenderte zu dem Münztelefon am anderen Ende der Tankstelle, eine Hand dem Abzeichen in seiner Tasche.
 

Mulder fuhr sich ungeduldig mit der Hand durch die Haare. Wie lange braucht der bloß, um Wechselgeld zu holen? Der Typ war mit seinen 50 Dollar im hinteren Bereich des Ladens verschwunden und bis jetzt nicht wieder aufgetaucht.
 

Mulder blickte noch mal aus dem Fenster. Er sah Scully auf dem Beifahrersitz, ihren Kopf gegen das Fenster gelehnt. Er runzelte die Stirn, als er merkte, dass der junge Mann an dem Münztelefon Scully immer noch beobachtete. Mulder hasste es, wenn die Leute sie anstarrten, als ob sie die Attraktion irgend eines Volksfestes wäre. Obwohl er wusste, dass sie sie nicht sehen konnte, machte es ihn rasend. Dieser Typ war sogar schlimmer als die anderen -- er schien geradezu fasziniert von ihr zu sein...
 

Der Tankstellenwart kam zurück und riss Mulder aus den Gedanken. "Entschuldigung, dass Sie warten mussten, Mister", lallte er und fingerte an dem Namensschild seines Overalls herum, das ihn als 'Louis' identifizierte. "Also... das wären zwei mal Limonade, eine Packung Brezeln und ein voller Tank -- sagen Sie, wie viel war der Tank noch mal? Der Zähler hier ist kaputt."
 

"Genau vierzehn", antwortete Mulder und beäugte ihn misstrauisch. Louis war fast noch ein halbes Kind. Mulder schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Sein rundes Gesicht war leicht gerötet und als Mulder genau hinsah, konnte er die Schweißperlen auf seiner Stirn sehen.
 

"Genau, richtig", sagte Louis. "Ich zähle das dann schnell zusammen und gebe Ihnen das Wechselgeld."
 

Mulder nahm ihn kaum wahr, denn plötzlich war er hellwach. Irgend etwas stimmte nicht. Er sah noch ein mal nach draußen. Der Typ war immer noch am Telefon und starrte Scully immer noch an. Er hatte irgend etwas in der Hand, das im Sonnenlicht blitzte und blinkte. Der Typ drehte seine Hand etwas und jetzt konnte Mulder das Objekt deutlich erkennen. Panik überfiel ihn und das Adrenalin schoss ihm durch die Adern.
 

"Behalten Sie das Wechselgeld", schrie er. Er ignorierte die Waren auf der Theke und war mit fünf schnellen Schritten aus der Tür und beim Wagen.
 

"Rick??" Mulder hörte die Angst in Scullys Stimme, als er den Zündschlüssel drehte und das Auto in Gang brachte. "Was ist los?"
 

"Polizei", sagte er und steuerte den Wagen weg von den Zapfsäulen und aus der Tankstelle. Er sah zurück und musste trotz allem grinsen, als er sah, dass der Typ am Telefon, der mit dem Polizeistern, tierisch sauer war, weil sie so Hals über Kopf die Tankstelle verließen. Er schrie in das Mundstück des Hörers und gestikulierte wie wild.
 

Doch seine Zufriedenheit hielt nicht lange an. Als er den Wagen wieder auf die Straße brachte, konnte er zwei Polizeiwagen ausmachen, die schnell näher kamen. Er sah rasch zu Scully und überprüfte den Sitz ihres Sicherheitsgurtes. Sie atmete hastig und krallte sich an der Armlehne fest. "Halt dich fest", sagte er und drückte das Gaspedal bis ganz auf den Boden.
 

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