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Richtung Nirgendwo - Durchreise

von Nicole Perry

Kapitel 2

Scully hielt sich fest an Mulders Arm, als sie die Straße herunter gingen. Sie konnte die vorbeigehenden Passanten hören und nahm an, dass die Straßen belebt waren. Der Boden unter ihr war uneben; die Witterung hatte viele Risse und Spalten in den Boden gerissen und sie passte auf, wo sie hintrat. Sie versuchte, sich Mulders Schritten anzupassen und hörte aufmerksam zu, wie er ihr von Zeit zu Zeit die Richtung erklärte. Der Abend war kühl und sie fühlte, wie eine kalte Brise ihre Haut streifte. Sie war froh, auf ihn gehört zu haben und hatte eine Jacke angezogen.
 

"Rick", sagte sie und benutzte sein Alias, um sicher zu gehen. "Wo sind wir noch einmal?"
 

"Ganz in der Nähe von Cordell, Oklahoma", kam die Antwort.
 

"Und?" fragte sie. "Wie ist es?"
 

Sie hörte ihn kichern. "Genau wie überall sonst." Sie hörte zu, wie er die Stadt beschrieb: baufällige Gebäude mit deutlichen Anzeichen des Verfalls und einige modernere Einrichtungen, wie der Videoladen, an dem sie vorbeigingen. "Wir sind jetzt gerade auf einer der Hauptstraßen", sagte er, "und wir kommen gleich an einen Lebensmittelladen, genau gegenüber einer Bar namens 'Smokehouse'."
 

Scully nickte und malte sich nach seinen Worten ein Bild von der Stadt in ihrem Kopf aus. Sie merkte, wie er anhielt und dann eine Tür aufdrückte. "Hier herein", sagte er und sie griff seinen Arm fester und folgte ihm hinein.
 

Der Geruch von Staub lag in der Luft. Ganz anders als in einem großen Supermarkt, dacht sie und folgte Mulder durch die Gänge. Er war sehr vorsichtig mit ihr und führte sie achtsam um die Sachen, die mitten in den Gängen lagen. Scully war immer noch gegen einen Blindenstock. Sie fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, einen in der Hand halten zu müssen, sie fühlte sich dadurch noch schlimmer. Und sie erinnerte ihn immer wieder daran, dass sie sowieso nirgendwohin ohne ihn gehen würde. Zumindest vorerst nicht.
 

Sie folgt Mulder, als er einen kleinen Korb mit einigen Sachen füllte, die sie brauchen würden, und teilte ihm ihre Meinung mit, wenn er sie etwas fragte. Sie war sehr dankbar, dass er sie in alle Entscheidungen miteinbezog, angefangen von der Strecke, die sie fuhren, bis hin zum Essen. Er versuchte mit allem Mitteln zu erreichen, dass sie sich immer noch gleichwertig fühlte, dass sie immer noch seine Partnerin war.
 

Scully segnete ihn im Stillen dafür.
 

Sie umrundeten eine weitere Ecke und sie fühlte, wie Mulder plötzlich anhielt. Er schaut wohl gerade in den Regalen nach, dachte sie. Eine Sekunde verging und dann noch eine, bevor sie fragte, "Rick? Was ist los?"
 

Er klang ein wenig verwirrt und verloren. "Ähhmm, ich... du sagtest, es soll eine andere sein, aber..."
 

"Was?"
 

"Die Auswahl ist so groß", gestand er. "Dieses Haarfärbemittel -- das letzte Mal habe ich einfach die erstbeste Schachtel genommen, die ich gesehen habe, aber..."
 

"Was?" wiederholte sie neugierig.
 

"Nun ja..." zögerte er, "möchtest du Ebenholz oder Asch-Braun? Granat oder Eiche? Und das deckt noch nicht einmal die ganze 'Essens'-Auswahl - da gibt es Kakao, Espresso, Muskatnuss, Rhabarber, Haselnuss..." er verstummte und plötzlich konnte sie es nicht mehr zurückhalten.
 

Sie fing an zu lachen. Es begann mit einem leisen Kichern, das dann schnell in schallendes Gelächter ausartete.
 

"Lisa?" fragte er, "Was ist los?"
 

Sie konnte ihm nicht antworten, sie konnte einfach nicht aufhören zu lachen.
 

Die Sorge in seiner Stimme wich Neugierde. "Was... was ist so lustig?"
 

"Es ist nur... der Gedanke daran, dass... dass ich dir vertraue--" ein weiterer Lachschwall überkam sie und sie musste sich Selbstkontrolle erkämpfen, um fortzufahren. "Jemand, der nicht einmal eine angemessene *Krawatte* aussuchen kann, soll die Farbe für meine Haare bestimmen..."
 

Sie hörte, wie er ebenfalls anfing zu lachen und fühlte, wie er die Arme um sie legte und sie nahe sich heran zog. Sie wusste, dass sie albern war, das waren sie beide, und das war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten. Aber das war ihnen egal. Es war schön zu lachen, wenn auch nur für einen Moment.
 

Sie einigten sich auf einen Farbton und gingen zur Kasse, an der Mulder das Geld zählte. Scully schickte ein stilles Dankeschön an die Einsamen Schützen, die es durch Manipulation komplizierter Systeme, die sie überhaupt nicht näher verstehen wollte, geschafft hatten, eintausend Dollar für einen Mr. Rick Wilder zu überweisen.
 

Scully folgte Mulders Führung aus dem Geschäft hinaus. Sie freute sich mehr denn je auf ein Abendessen. Es schien, als ob aus jedem Geschäft, an dem sie vorbei gingen, die köstlichsten Aromen strömten. Doch auf halbem Wege hielt Mulder inne und sie spürte die Spannung, die in ihm aufkam. "Verdammt", fluchte er. "Ich habe eine Tasche an der Kasse liegen lassen..."
 

"Dann geh' sie holen", sagte sie. "Ich warte hier."
 

Sie fühlte wie er zögerte, obwohl er nichts sagte. "Okay..." sagte er dann und führte sie zur Wand des nächsten Gebäudes. "Warte hier. Ich bin in zwei Sekunden zurück."
 

"Ich komm schon klar... Rick", sagte sie und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und hörte auf seine immer leiser werdenden Schritte.
 

In der Sekunde, in der er fort war, spürte sie wieder Panik in sich aufsteigen und sie versuchte, ruhig zu bleiben. Sie kam sich vor, als würden sie alle Leute anstarren, und sie fühlte sich nackt und verletzlich und unsicher. Bist du denn nicht fähig hier eine halbe Minute allein zu warten? fragte sie sich selbst. Sie wollte diese Frage gar nicht beantworten und richtete ihren leeren Blick auf den Boden. Bloß keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.
 

Es kam ihr vor, als seien schon etwa zwei Minuten vergangen, doch Mulder war immer noch nicht zurück gekehrt. Dann hörte Scully, wie sich Stimmen näherten. Zwei junge Männer, nahm sie an. Zu ihrer Bestürzung kamen die Stimmen näher und sie hörte, wie eine von ihnen sie direkt ansprach.
 

"Hey, kleines Fräulein. Hast du dich verlaufen?"
 

Sie zwang sich zum Sprechen. "Nein, alles okay, danke. Wirklich."
 

Die Schritte kamen näher und sie drückte sich noch mehr an die Wand.
 

"Siehst aber gar nicht so aus", sagte die zweite Stimme. "Sieht aus, als könntest du Gesellschaft gebrauchen."
 

Scully versuchte, in das Gebäude zu kommen und sich so weit wie möglich von den Fremden zu entfernen. Sie konnte Zigarettenrauch riechen und den säuerlichen Gestank von Bier. Unwillkürlich ballte sie ihre Hände zu Fäusten.
 

"Heute nicht ", sagte sie und zwang sich zu einer festen Stimme. "Ich warte hier auf einen Freund."
 

"Wir sind deine Freunde", lallte die erste Stimme.
 

"Ja... das hier ist eine sehr freundliche Stadt", echote die zweite.
 

Scully merkte, wie sie noch näher kamen und brach beinahe in Panik aus, doch dann hörte sie Mulders Stimme, dunkel und ruhig.
 

"Die Dame gehört zu mir", sagte er und sie spürte Spannung in der Luft.
 

Mulder nahm sie beim Arm und ging mit ihr an den beiden Männern vorbei, die er vor sich hingrummelnd stehen ließ.
 

"Bist du okay?" fragte er, und jetzt war die Angst und Sorge deutlich in seiner Stimme zu erkennen. "Es tut mir Leid... Ich hätte nicht gedacht..."
 

"Ja..." sagte sie und versuchte trotz ihrer rasenden Herzschläge, ihm zu versichern, dass es ihr gut ging. "Alles in Ordnung."
 

Sie fühlte, wie er beschützend den Arm um sie legte als er sie weiter die Straße hinunter führte.
 

"Fünf-null-fünf, fünf-fünf-fünf, acht-drei-sechs-null." Mulder legte den Hörer auf die Gabel und drehte sich nach Scully um. Sie lehnte gegen die Plastikverkleidung der Telefonzelle, eine Hand auf dem silbernen Ausschubfach unter dem Telefon. Das Zittern ihrer Finger verriet ihre Nervosität.
 

Idiot, Idiot, Idiot, schimpfte Mulder mit sich selbst.
 

Laut sagte er, "Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?"
 

"Ja, alles in Ordnung", wiederholte sie und der genervte Unterton in ihrer Stimme ließ ihn die Frage bereuen.
 

Die Stille zwischen ihnen wurde abrupt durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Mulder riss es aus seiner Halterung. "Hey."
 

"Wir haben diesmal nur drei Minuten." Langley hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf. "Ist sie bei dir?"
 

"Ja."
 

"Gib sie mir."
 

"Mulder gab Scully den Hörer. "Hi", war alles, was sie sagte.
 

Mulder sah sie besorgt an, während sie zuhörte. "Ja, ich bin mir sicher." Eine Pause. Dann, "Nein. Ich habe sie nur für einen Moment gesehen. Aber sie hatten alle die gleiche Aufschrift." Sie hörte wieder zu, diesmal etwas länger und wiederholte dann ihre erste Behauptung. "Ich bin mir ganz sicher. Ihr solltet es noch ein mal überprüfen."
 

Scully gab Mulder den Hörer zurück und wandte sich ab. Frustriert fuhr sie sich mit einer Hand durch ihre dunklen Locken. Mulder konzentrierte sich wieder auf das Gespräch und fragte, "Wie sieht unsere Lage aus?"
 

"Nicht gut", sagte Byres dieses Mal. Er war knapp und ernst. "Sie haben euch bis nach Nebraska aufgespürt."
 

"Was?" Scully griff vor Schreck nach seinem Arm, als er sich so erschreckte, und er hielt ihr seine Hand hin. "Wie das?"
 

"Wir sind uns nicht sicher", antwortete Frohike.
 

Mulder sank zurück gegen das Plastik der Telefonzelle. Er war überzeugt gewesen, dass sie so vorsichtig gewesen waren... "Irgendwelche Vorschläge?"
 

"Änderung in der Vorgehensweise", sagte Byres. "Es ist an der Zeit, sich auf dem offenen Feld zu verstecken."
 

"Und das heißt..."
 

"Verlasst die Kleinstädte. Irgendwohin, wo große Menschenmengen sind, viele Leute", sagte Langley. "Taucht für eine Weile unter."
 

Mulder nickte auf diese Logik hin. "Ich bin für alle Vorschläge offen."
 

Nach einem Moment sagte Byres, "Ich würde sagen, mal so, mal so."
 

Mulders fotografisches Gedächtnis hatte keine Mühe, eine Karte der Vereinigten Staaten hervorzukramen, und er begann, angemessene Berechnungen zu machen. "Alles klar. Ich rufe wieder an."
 

"Reicht das Geld noch?" fragte Frohike.
 

"Wir werden noch etwas brauchen, wenn wir ankommen."
 

"Verlass dich drauf."
 

Mulder legte auf und trennte somit die Leitung kurz bevor der Zeiger auf seiner Uhr seinen dritten Umlauf beendet hatte. "Komm, Lisa", sagte er und nahm sie beim Arm. "Verschwinden wir von hier."
 

"Rick?" fragte sie. "Was haben sie gesagt?"
 

Er seufzte. Er wollte sie nicht mit dieser Bürde belasten und doch brachte er es nicht fertig, sie anzulügen. "Sie sind hinter uns her. Nebraska", sagte er. "Wir müssen für eine Weile untertauchen." Sie sagte nichts, aber er fühlte, wie sich ihr Griff an seinem Arm verstärkte.
 

Still ging sie neben ihm die Straße hinunter auf das Café am anderen Ende des Blockes zu. Als sie endlich sprach, war es so leise, dass er sich zu ihr lehnen musste, um sie zu verstehen. "Wir haben noch nichts gefunden", sagte sie. "Es ist als ob es nie existiert hätte."
 

Er war sich nicht sicher, was er sagen sollte und antwortete langsam, "Aber es hat existiert -- du hast es gesehen."
 

Mulder konnte ihr deutlich ihre Zweifel ansehen. "Ich weiß... aber nur für einen Moment. Was wäre, wenn ich wirklich die Aufschrift falsch gelesen habe..." sie brach ab.
 

Was wäre, wenn... echote er im Stillen und wusste genau die Antwort, die ihm gar nicht gefiel.
 

In diesem Moment erreichten sie das Café, und Mulder konzentrierte sich darauf, Scully sicher hinein zu führen.

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