World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Richtung Nirgendwo - Durchreise

von Nicole Perry

Kapitel 1

Der Mann klappte sein Handy auf und schaute ungeduldig auf seine Armbanduhr, als er auf einen Anschluss wartete. Er lehnte sich an seinen Mietwagen und hörte, wie jemand nach dem dritten Klingeln abnahm.
 

"Ja?" Die Stimme war trotz der Entfernung laut und klar.
 

"Nebraska", sagte der Mann. "Bestätigt."
 

Nach einem Moment antwortete die Stimme. "Sollen angemessene Maßnahmen getroffen werden?"
 

"Umgehend", befahl der Mann. "Und ich möchte durchweg über den Verlauf unterrichtet werden."
 

Er drückte den 'Ende'-Knopf auf seinem Handy und zog die Antenne wieder ein. Gemächlich steckte er das Gerät in die Tasche seines Trenchcoats und drückte nach einem letzten Zug die Zigarette, seinen ständigen Begleiter, aus. Er ging auf den Helikopter zu, der bereits mit rotierenden Blättern auf dem offenen Feld vor ihm stand.
 

Es ist klar, dachte er während er ging, dass diese Kellnerin mehr weiß, als sie zugeben will. Es war sein Job, unausgesprochene Wahrheiten zu erkennen und sie unter Umständen vor ungewollten Mitwissern geheim zu halten. Es war sei Aufgabe, schiefgelaufene Aktionen wieder in Ordnung zu bringen. Es war seine Intention, einen Mord zu begehen, wenn die Situation es nicht anders zu erfordern schien.
 

Er war ein Mann, der sehr gut in seinen Aufgaben war.
 

Er kommt gerade durch die Tür schnell schnell wenn du rennst wirst du ihn einholen verdammt die Tür ist zu wie hat er das bloß gemacht? Am anderen Ende der Halle muss noch ein Eingang sein es ist immerhin ein Verwaltungsgebäude es muss einfach einen anderen Weg hinein geben was ist das für ein Lärm hinter mir laute Fußtritte jemand schreit mich die ganze Zeit an --
 

< ScullyhaltnichthinterihmheresisteineFalle > --
 

Er greift nach meinem Arm und zieht mich mit sich --
 

< Laßloslaßloslaßloserkommtdavon >
 

< LaßihngehenScullywirmüssenweg > --
 

Kämpfe, tritt fest zu, er soll von mir runter --
 

< Muldergehvonmirrunter >--
 

Trete ihn ganz fest jetzt stolpert er und fällt wie habe ich das geschafft egal lauf weiter ich kann den Mann nicht entkommen lassen da ist noch eine Tür sie ist offen los rein und mach die Tür hinter dir zu wo bin ich hier? in einem Labor? ist das das Labor, wo sie es gefunden haben? Aber wo ist er hin wo ist der Arzt? ein Hämmern hinter mir an der Tür --
 

< ScullymachverdammtnochmaldieTürauf > --
 

Ignoriere es einfach --
 

< DukannstmichjetztnichtaufhaltenMuldernichtjetztnichtjetzt > --
 

Los, untersuche die Wände, es muss irgendwo noch einen versteckten Ausgang geben ich weiß dass er hier ist wo soll er auch sonst hingegangen sein was ist das für ein Geräusch?
 

< OhmeinGottohmeinGott > --
 

So grell so grell so grell --
 

< estutwehestutwehestutweh >--
 

Sie schrie aus tiefster Seele, als Scully kreidebleich aufwachte. Krampfhaft hielt sie sich an dem Bettlaken fest und keuchte außer Atem, als ihr Unterbewusstsein versuchte einzuordnen, wo sie sich befand.
 

< WobinichdasistnichtmeinBettwarumistessodunkel >
 

Sie hatte nicht gemerkt, dass sie es laut gesprochen hatte, und ihre Stimme war ein leises Wimmern. Sie war sich nur der beklemmenden Dunkelheit und ihrer rasenden Panik bewusst. Sie fiel und fiel... Dann fühlte sie, wie sich Arme um sie legten, stark und beschützend. Sie umarmten sie fest und zogen sie an einen Körper. Sie fühlte warmen Atem an ihrer Wange und wurde sich einer Stimme bewusst, die leise und beruhigend auf sie einredete.
 

"Schhh, Scully, es ist okay... ich bin ja hier... du bist okay... es ist alles in Ordnung..."
 

Nach einigen langen Momenten kam sie wieder zu Atem. Langsam entspannte sie sich neben ihm und ließ ihren Kopf auf seine Schulter fallen. Sie spürte, wie seine Finger beschwichtigend ihr Haar streichelten.
 

Dann herrschte Stille, eine tiefe Stille, die den Raum erfüllte.
 

Als sie ihrer Stimme wieder trauen konnte, saß Scully auf und löste sich von ihm. "Danke", sagte sie ruhig.
 

"Kein Problem", antwortete er. "Bist du okay?"
 

"Ja." Scully glitt wieder unter das Laken und ließ Mulder die Decke über sie legen. Sie hörte das Rascheln der Laken, als er sich selbst wieder hinlegte und eine Hand sanft auf ihren Arm legte, um ihr zu zeigen, dass er für sie da war.
 

Scully spürte die Tränen in ihren Augen und ein stechendes Gefühl in ihrem Rachen. Wann, fragte sie sich, war sie endlich imstande, mehr als ein paar Stunden am Stück zu schlafen? Anders als Mulder versprochen hatte, hatten die Alpträume nicht aufgehört. Um ehrlich zu sein, sie waren sogar noch schlimmer geworden. Aber dabei waren es nicht einmal die Träume selbst, die sie so erschreckten -- es war das Aufwachen.
 

Weil sie in ihren Alpträumen immer noch sehen konnte.
 

Mulder lag still und hörte, wie der Schlaf über sie kam und ihre hastigen Atemzüge schlichtete. Obwohl sich sein Körper zu entspannen begann, arbeitete sein Verstand immer noch messerscharf, um Anzeichen möglicher Unruhe wahrzunehmen.
 

Es ist schlimmer denn je, dachte er, und der Gedanke war dumpf in seinem Gehirn.
 

Die Alpträume sind ein Bestandteil ihrer Reise geworden, und Mulder hatte sich inzwischen daran gewöhnt, durch ihr Schluchzen geweckt zu werden. Als es das erste Mal passiert war, hatte er es nicht geschafft, sie wieder zu beruhigen und sie haben eine Zeit nebeneinander gesessen, und er hatte ihre Hand gehalten, bis ihr Körper sich dem Befehl ihres Gehirns unterwarf und sie einschlief. Seit diesem Vorfall schlief er in jedem neuen Zimmer neben ihr, damit ihr durch seine Nähe eine Ruhepause von dem Terror erlaubt wurde, den sie durchlebte.
 

Er fühlte mit einem Mal eine Welle von Beschützerinstinkt für die Frau neben ihm, der ein intensives Gefühl der Ungleichheit folgte. Er wusste nicht, was er sonst noch für sie tun konnte, wie er ihr durch diese Zeit helfen konnte. Mulder brauchte keinen Titel in Psychologie um zu verstehen, was mit ihr geschah. Scully wollte nicht über das sprechen, was ihr zugestoßen war. Sie wollte ihm ihren Schmerz nicht mitteilen und war fest entschlossen, ihre Emotionen bei sich zu behalten -- er wusste genau, wie genau sie ihren Verstand im Griff hatte. Und er wusste, dass es nur im Schlaf geschah, dass ihre Fassade schwächelte.
 

Mulder musste zugeben, dass es ihr Durchhaltevermögen war, das sie beide bis zu diesem Punkt gebracht hatte, nicht seine. In der ersten Nacht, als sie in dem gestohlenen Auto aufgewacht war und merkte, dass sie das Augenlicht verloren hatte, hatte sie den schrillsten Angstschrei losgelassen, den er je gehört hatte, und ihn so fest am Arm gehalten, dass er beinahe die Kontrolle über den Wagen verloren hätte. Sie hatten beide wahnsinnige Angst gehabt, als das passiert war. Mulder hatte hart mit sich kämpfen müssen, um nicht auf der Stelle kehrt zu machen und ins nächste Krankenhaus zu fahren. Aber er hatte trotz seiner Panik gewusst, dass es ihre einzige Chance war, zu entkommen. Er hatte ihr seinen Plan erklärt, wenn man es überhaupt als einen solchen bezeichnen konnte, und sie gehalten, bis ihr Schluchzen verstummt war.
 

Dann hatte er sie mit fester, klarer Stimme gefragt, was sie wollte. Wenn sie aus irgend einem Grund zurück gewollt hätte, wäre er ohne zu Zögern umgekehrt.
 

Aber sie war genau wie Mulder dafür gewesen, es darauf ankommen zu lassen. Die Gefahren vor ihnen konnten nicht schlimmer sein, als die Dämonen, die sie hinter sich gelassen hatten.
 

Von da an hatte Scully nie geweint. Nicht einmal. Zumindest nicht in seiner Gegenwart. Sie war stark gewesen, wie ein Fels in der Brandung. Hart wie Stahl. Während er sich unbeholfen seinen Weg ertastete, war sie immer genau und direkt gewesen und hatte ihm immer erklärt, was sie gerade brauchte. Als ob ihre Blindheit nur eines der Probleme sei, das wissenschaftlich mit Gesetzen der Mathematik und Physik gelöst werden könnte.
 

Bis jetzt hat sie sich verdammt gut geschlagen, dachte Mulder und es gab ihm einen Stich ins Herz.
 

Als er das nächste Mal aufwachte, war sie nicht mehr neben ihm im Bett. Sein Herz begann zu rasen, bis er das Geräusch von laufendem Wasser aus dem Badezimmer vernahm. Erleichtert sank er zurück in die Kissen.
 

Einige Zeit verging und sie erschien aus dem Badezimmer. Sie hatte Jeans und den schwarzen Rollkragenpullover an, den er ihr vor dem Schlafengehen herausgelegt hatte. Sie hatte eine Bürste in einer Hand, während sie die andere tastend vor sich hielt, um beim Laufen nicht anzustoßen. Sie ging langsam zu dem Stuhl am anderen Ende des Raumes. Mulder sagte nichts, er sah ihr nur still zu. Er bewunderte die Grazie, mit der sie immer noch ihren Weg meisterte.
 

Scully setzte sich auf den Stuhl und begann, sich die Haare zu bürsten. Die ersten Striche waren ein wenig ungeschickt, doch dann fand sie einen Rhythmus. Sie drehte sich zum Bett um und sagte, "Guten Morgen, Mulder."
 

"Eigentlich Guten Abend", sagte er automatisch, als er auf die Uhr sah. "Es ist fast halb acht." Nach einer kurzen Pause fragte er, "Woher hast du gewusst, dass ich wach bin?"
 

"Deine Atemzüge hören sich anders an, wenn du schläfst", antwortete sie.
 

Er sah noch eine Weile zu, wie sie ihr Haar kämmte und stieg dann aus dem Bett. Als er auf seinem Weg ins Badezimmer an ihr vorbeiging, sah er, dass es doch kein ein Lichtspiel gewesen war; die Ansätze ihrer Haare waren zu sehen. Sie schienen in einem wunderschönen gold-roten Farbton. "Ich glaube, es ist wieder an der Zeit, dass ich das Rot aus deinen Haaren waschen muss", neckte er.
 

Sie runzelte die Stirn und senkte die Bürste und fühlte mit beiden Händen nach ihrem Haaransatz. "Ist es schon so schlimm? Jetzt schon?"
 

"Es ist ja auch schon was her", sagte er. "Schon fünf Wochen." Mulder trat neben sie und strich die Strähnen glatt, die sie verwirrt hatte. "Wir gehen bei der nächsten Gelegenheit etwas holen."
 

Sie nickte widerwillig und nahm wieder die Bürste. "Wenn du meinst. Aber diesmal eine andere Marke. Das Zeug vom letzen Mal hat furchtbar gestunken." Scullys Finger tasteten auf dem Tisch nach der Haarspange, die sie immer benutzte. Er konnte die Spange sehen, genau zu ihrer Linken, und er wollte sie ihr schon reichen. Aber er wartete und sie schaffte es selbst, sie zu finden.
 

"Los, ab in die Dusche, Mulder", sagte sie. "Ich bin am Verhungern."
 

Er fühlte sich ertappt, dass er sie so beobachtet hatte und verschwand beschämt im Badezimmer.

Rezensionen