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Afterlife – Samantha Mulder

von Eilan

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Afterlife – Samantha Mulder





Irgendwie hatte ich es mir anders vorgestellt.

Ich meine, jeder hat irgendwie eine Vorstellung von dem Leben nach dem Tod. Himmel, Hölle, Nirwana, was auch immer.

Das hier ist irgendwie... nichts davon wirklich, aber von jedem ein bißchen. Es läßt sich noch nicht einmal wirklich in Worte fassen.

Wenn ich es beschreiben sollte, würde ich mit den Farben anfangen. Grün. Blau. Ab und zu ein helles Gelb. Und dann die Gerüche. Rosen. Frisch gemähtes Gras. Ich liebe den Geruch von frisch gemähten Gras.

Wenn ich mich umsehe, sehe ich eine Wiese. Ein kleiner Bach plätschert in einiger Entfernung vorbei. Jeder, mit dem ich mich bisher hier unterhalten habe, sah etwas anderes in seiner Umgebung, aber den Bach sahen sie alle.

Viel interessanter ist aber, was man sieht, wenn man in den Bach sieht.

Auch darin sieht jeder etwas anderes.

Meistens sehe ich meinen Bruder. Sehe, was er jetzt tut, wie es ihm geht. Manchmal zerbricht mir das, was ich sehe, das Herz. Und manchmal möchte ich nichts lieber, als zu ihm zu gehen und mich mit ihm zu freuen. Doch die Tage, an denen er glücklich ist, scheinen wenige zu sein.

Früher sah ich manchmal meinen Vater. Nicht meinen biologischen Vater, sondern den Mann meiner Mutter. Doch jetzt brauche ich nicht mehr in den Bach zu sehen, um wenigstens einen Blick auf ihn werfen zu können. Jetzt ist auch er hier. War er jedenfalls.

Er war einfach von einem auf den anderen Tag hier und will mir nicht sagen, wie es passiert ist. Sagt, dafür sei ich zu jung. Dass ich weiß, wie er gestorben ist, habe ich ihm nie gesagt. Das braucht er nicht zu wissen.

Er denkt ich sei zu jung, dabei bin ich über 20. Jedenfalls mein Körper. Und ich habe mehr gesehen und erlebt, als andere in einem ganzen Leben. Leider fast nur die negativen Dinge. Fox denkt, ich sei schon damals gestorben. In Frieden, in irgendeinem Krankenhaus, als ich 12 oder 13 war. Wenn ich ehrlich bin, ich bin froh darüber.

Es ist schwer genug, mit dem Wissen zu leben – oder auch nicht zu leben -, dass mein Bruder von denselben Leuten bedroht wird, die mich dazu brachten, zu tun, was ich tat. Wie schwer wäre es für ihn, zu wissen, dass ich mir mit 21 nach einer der unzähligen Testreihen das Leben nahm, als einer der Wissenschaftler nicht aufpasste und ein Skalpell in meiner Nähe liegen ließ.



Blut. Es sickerte langsam aus ihrer Pulsader. Langsam, aber viel und stetig. Sie genoß die Schmerzen. Sie hatte das getan. Nicht einer der Wissenschaftler. Nein, sie hatte die Kontrolle. Alles lief wie sie es wollte.

Langsame Schritte waren zu hören.

Adrenalin strömte durch ihre Adern. Reines Adrenalin, wie es schien. Der anfängliche Schmerz verging rasch, als immer mehr Blut in das Laken des Krankenhausbettes sickerte.

Und dann war es vorbei.

Das Letzte, was sie sah, war ihr Blut.

Das Letzte, was sie hörte war ein Aufschrei.

Sie wusste nicht, ob er ihr oder dem Wissenschaftler gehörte.

Das Letzte, was sie hoffte, war, dass es nicht ihrer war.



Ich weiß jetzt, dass eine damals etwa zwanzigjährige nicht soviel Schmerzen hätte erleiden dürfen in ihrem Leben. Für mich war es normal.

Ein Lichtblick in meinem Leben war Jeffrey. Ich war ein Teenager, als wir uns das erstemal liebten und es war einer der schönsten Momente meines Lebens.

Jetzt weiß ich, dass das, was wir damals taten, verboten ist. Zwar wissen wir beide nicht, ob CGB wirklich unser beider Vater ist, aber es ist möglich.

Damals wussten wir es nicht. Der Raucher war immer nur der Mann, der ab und zu einmal auftauchte und mich und Cassandra aus den Augenwinkeln musterte. Heute weiß ich, warum, doch wie so oft in meinem früheren Leben war ich damals ahnungslos.



„Jeffrey.“ Sie stieß ihn leicht von der Seite an. Er hatte immer einen leichten Schlaf, vor allem, wenn sie bei ihm lag. Es könnte sein, dass Cassandra wiederkam und sie sollte sie niemals zusammen sehen.

“Was ist denn, Samantha?“ Seine Augen waren immer noch geschlossen, soviel konnte sie im fast stockdunklen Zimmer gerade noch sehen. Sie lehnte sich stärker an ihn.

„Jeffrey, ich habe Angst.“ Einige ihrer dunklen Locken fielen ihr durch die leichte Brise, die ins Zimmer wehte, ins Gesicht.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Dir wird nichts geschehen.“ Sogar für ihn klang sein eigener Satz hohl. Er hatte es auch das letzte Mal gesagt. Und es war trotzdem geschehen.

Irgendwie schien es ihr zu helfen. Nur ein bisschen, aber es half. Sie sah nach oben und küsste ihm leicht auf die Wange.

„Danke“, sagte sie und küsste ihn abermals, diesmal auf den Mund.

„Wofür?“ Er strich die Locke zärtlich hinter ihr Ohr zurück.

„Dafür, dass du für mich da bist“

Sie rollte sich herum und lag jetzt auf ihm. Wieder und wieder küsste sie ihn und er küsste sie zurück.

Sie liebten sich diese Nacht das letzte Mal.

Am nächsten Tag wachte Jeffrey in einem leeren Haus auf.



„Samantha?“

Eine Hand legt sich sachte auf meine rechte Schulter. Ich erschrecke jetzt nicht mehr so leicht wie am Anfang, als ich hierhergekommen bin. Es hat seine Zeit gedauert, aber ich bin mittlerweile sogar Neuankömmlingen gegenüber wesentlich aufgeschlossener. Diana gegenüber zum Beispiel.

„Ja?“ Diana setzt sich ohne Einladung neben mich, aber die braucht sie auch nicht. Sie hat mir von ihrer Beziehung zu Fox erzählt, allerdings nicht sehr ausführlich. Ich glaube ,dass sie sich für das schämt, was sie im Leben getan hat. Ich habe sie ein paar mal im Bach gesehen. Sie hat Fox hintergangen. Und doch glaube ich, dass sie ein guter Mensch ist. Und sie fühlt Reue. Das spüre ich ganz deutlich. Immer fragt sie mich, wie es mir geht und ob sie etwas für mich tun kann. Vielleicht bedeute ich für sie eine Katharsis. Durch mich versucht sie wieder gutzumachen, was sie im Leben falsch gemacht hat.

„Wir haben einen Neuankömmling“, informiert sie mich und versucht ihre Stimme neutral zu halten. Sie scheitert. Wahrscheinlich kennt sie den Neuen oder die Neue. Man sieht Neuankömmlingen, die man kennt, immer mit gemischten Gefühlen entgegen: Einerseits freut man sich sie hier zu haben, andererseits ist es traurig zu wissen, dass sie gestorben sind.

„Wer ist es?“ Das erstemal seit sie sich gesetzt habe sehe ich sie an und mir läuft es kalt den Rücken herunter. Auf ihren Wangen erkennt man getrocknete Tränenspuren. Das einzige Mal, dass ich sie so gesehen habe, war, als Fox kurze Zeit hier war. Er stand gegenüber, auf der anderen Seite des Baches, der zu einem Fluß angewachsen war und schien uns nicht zu sehen. In Dianas Augen standen damals Tränen und sie rief ihm zu, doch Fox drehte sich um und ging wieder. Seine Zeit war noch nicht gekommen und ich bin froh darüber. Er hat noch eine Aufgabe zu erledigen. Eine sehr große.

„Alex Krycek.“



Weiße Wände um sie herum.

Sie einschließend.

Kein Entkommen.

Eine vereinzelte Stimme.

Dunkel und vertraut.

„Finden Sie ihn, Krycek.“



Alex Krycek.

Was weiß ich über ihn?

Er ist so vieles und nichts wirklich.

Der Gegenspieler meines Bruders? Sie wollten das gleiche, nur mit unterschiedlichen Mitteln.

Der Ziehsohn des Rauchers? Auch derjenige, der ihn ermordet hat.

Ein Freund Dianas? Von ihrem Verhalten her könnte er sowohl ihr Feind als auch ihr Freund sein.

Einer der Verschwörer? Das sicherlich, doch in wieweit?

Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich an diese Stimme – die des Rauchers, die seinen Namen ausspricht. Ich erinnere mich daran, ihn kurz vor der Entführung meines Bruders den Raucher umbringen gesehen zu haben. Eines der bis jetzt wenigen Bilder, die mir der Bach gezeigt hat, in denen mein Bruder nicht vorkam.

Jetzt ist er hier. Diana hat sich immer noch nicht von der Stelle bewegt und wird es wohl auch nicht, solange ich es nicht tue. Sie ist nicht die Art von Person, die aus eigenem Antrieb handelt. Sie überläßt viel anderen. Sie war immer von jemandem anhängig und jetzt bin ich diejenige, die ihr den Weg weist.

Schließlich stehe ich auf. Ich habe nicht die Absicht zu ihm zu gehen, noch nicht. Was sollte ich ihm auch sagen? Ich weiß nicht einmal, wie ich zu ihm stehe. Hasse ich ihn wie mein Bruder? Kann ich überhaupt hassen? Wirklich hassen? Sympathie bringe ich ihm sicherlich nicht entgegen. Was dann? Mitgefühl? Gleichgültigkeit?

Von allem ein bisschen und nichts wirklich. Immerhin kenne ich ihn nicht. Nur seine Art.

„Vielleicht solltest du zu ihm gehen“, sage ich Diana möglichst nüchtern. Sie versteht, was ich dadurch sagen will und wendet sich ab. Sie weiß, dass ich Fox im Bach beobachtet habe. Sie hat wahrscheinlich eine Ahnung davon, was ich gesehen habe. Anscheinend wollte sie mir den Schock ersparen, wenn ich ihn hier sehe.

Wieso ist er überhaupt hier? Klebt nicht genug Blut an seinen Händen, dass er unten am Fluß sein sollte? In der Gegend, die wir, die hier leben, manchmal wahrnehmen, die auch Fegefeuer genannt wird. In dem Diana auch eine kurze Zeit verbracht hat, bevor sie hierherkam.

Wobei dies hier nicht das gleiche wie der Himmel ist. Eher die Wartehalle. Von Zeit zu Zeit werden Leute hier ‚abberufen‘. Sie können dann in die Gegend am oberen Ende des Baches gelangen. Auch ich wurde schon abberufen, doch ich habe es vorgezogen hierzubleiben. Ich will auf Fox und Jeffrey warten, solange es sein muß. Erst dann gehe ich, und zwar gemeinsam mit ihnen.

Dad ist schon dort. Ich habe ihn mehr oder weniger dorthin gezwungen. Irgendwann werde ich auch ihn wiedersehen. Der Tag wird kommen.



ENDE
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