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Der Schamane

von Stephanie Tallen

Kapitel 3

Mit dem Ärmel ihres Kittels wischte sich Scully die Haare aus der Stirn. Die Autopsie war wirklich umfangreicher, als sie angenommen hatte. So sehr sie auch suchte, sie hatte beim besten Willen nichts finden können, was plausibel genug war, um eine Todesursache hätte sein zu können. Woran nur war diese Frau gestorben? Scully wußte es nicht. Den noch immer stark verkrampften Gliedmaßen und dem verzerrten Gesichtsausdruck zu urteilen, hätte sie auf Herzversagen getippt, doch selbst das war ausgeschlossen. Das Herz dieser Frau war gesünder als manch anderes und hatte keinesfalls versagt. Fieberhaft arbeitete Scully weiter. Sie suchte den Körper nach Nadeleinstichen ab, nahm verschiedene Blut- und Gewebsproben für spätere toxikologische Tests und unterzog sämtliche Organe nochmals einer eingehenden Untersuchung.

***

"Ja?", fragte der Mann, der nun in der geöffneten Tür stand und Mulder fragend anblickte. Er sah niedergeschlagen und erschöpft aus, als habe er die letzte Nacht kaum geschlafen. Mulder wußte, daß er sehr behutsam vorgehen mußte.

"Mr. Edwards?", fragte er sanft.

"Ja", gab dieser kurz zurück.

"Ich bin Special Agent Fox Mulder vom FBI", begann er und zeigte Mr. Edwards seinen Ausweis, "ich würde mich gerne mit ihnen über ihre Frau unterhalten..."

"Meine Frau ist tot", unterbrach ihn Edwards und Tränen standen in seinen Augen, "Ich habe Sheriff Houston bereits alles gesagt, was ich weiß."

"Mr. Edwards, ich brauche jeden Anhaltspunkt, den ich bekommen kann um diese Sache aufzuklären. Ich will ihnen helfen." Mulders Stimme war ruhig, doch sie war nicht ohne Eindringlichkeit. Traurig blickte Mr. Edwards Mulder an. Schließlich trat er einen Schritt beiseite und bedeutete Mulder einzutreten. Mr. Edward geleitete Mulder ins kleine Wohnzimmer und sie setzten sich. Erst jetzt bemerkte Mulder, daß sie nicht alleine waren. In einer Ecke des Zimmers vor dem Fenster saß noch eine alte Frau in einem Schaukelstuhl. Geistesabwesend blickte sie hinaus auf die Straße. Edwards hatte Mulders Blick bemerkt.

"Das ist Sallys Mutter", erklärte er. "Sie lebt seit drei Jahren bei uns im Haus. Ich glaube aber nicht, daß sie Ihnen mehr helfen kann als ich."

Mulder nickte kurz und richtete seine Aufmerksamkeit wieder dem Fall zu. "Mr. Edwards", begann er, "ich vermute, ihre Frau hatte keine Feinde und es gab auch sonst niemanden, der ihr Schaden hätte zufügen wollen?"

"Nein, aber das habe ich Sheriff Houston bereits alles gesagt."

"Ich weiß", bestätigte Mulder, "deshalb werde ich ihnen nun einige etwas andere Fragen stellen und ich möchte Sie bitten, sie so gut es geht zu beantworten."

Edwards blickte leicht verwirrt, doch nach kurzer Überlegung nickte er. "Also gut, stellen Sie Ihre Fragen, Agent Mulder."

"Nun", Mulder räusperte sich, "hat Ihre Frau in letzter Zeit von merkwürdigen Vorfällen berichtet? Hörte sie vielleicht Stimmen, Geflüster oder dergleichen?"

"Was ist denn das für eine Frage?", wollte Mr. Edwards wissen und in seiner Stimme lag Entrüstung. "Wollen Sie andeuten, meine Frau sei geistesgestört gewesen und starb an einer Wahnvorstellung?"

"Nein, nein", Mulder hob beschwichtigend die Hände. "Mr. Edwards, bitte beruhigen Sie sich doch. Ich verfolge lediglich meine Theorie, die ich zu diesem Fall habe und brauche nun entsprechende Anhaltspunkte. Bitte, würden Sie die Frage beantworten?"

"Ich weiß nichts von solchen Vorfällen.", meinte Edwards schließlich nach kurzem mißtrauischen Zögern.

"Ist Ihnen vielleicht etwas Ungewöhnliches aufgefallen?", hakte Mulder nach, "Vielleicht im Haus oder außerhalb? Irgendetwas?"

"Nein, nicht, daß ich wüßte."

"Nun, wenn das so ist, dann vielen Dank für ihre Hilfe, Mr. Edwards", Mulder stand auf. "Ich gebe Ihnen meine Karte für den Fall, daß Ihnen doch noch etwas einfällt..."

"Die Trommeln machten ihr Angst." Mulder wandte sich um. Die alte Frau hatte sich aus ihrem Schaukelstuhl erhoben und kam nun langsam auf die beiden Männer zu. Sie ergriff Mulders Arm. "Sie hörte sie."

Mulders Interesse war geweckt und er geleitete die Frau zum Sofa. "Bitte, Mrs. ..."

"Pearson.."

"Mrs. Pearson, bitte, was wissen Sie?", fragte Mulder und in seiner Stimme lag Aufregung. Der Jagdinstinkt hatte ihn gepackt.

***

"Scully, Scully!" Mulder stürmte in die Halle und stockte. Er zog eine Grimasse aufgrund des Geruchs und näherte sich dann langsam seiner noch immer emsig arbeitenden Partnerin.

Scully schaute kurz auf. "Haben Sie wenigstens etwas gefunden?", fragte sie resigniert.

"Sie offenbar nicht.", gab Mulder zurück.

Scully legte nur den Kopf schief und zuckte mit den Achseln. "Ich konnte nichts finden. Allerdings sind die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung noch nicht da, aber ich bezweifle, daß diese sehr viel aufschlußreicher sein werden als das hier." Sie deutete dabei auf die Leiche vor sich und den Stapel Untersuchungsberichte der anderen Opfer. "Ich habe mir selber noch einige der anderen Leichen angesehen, doch die Autopsien waren alle mehr als gründlich. Nichts."

"Nun, dann wird es Sie sicherlich freuen zu hören, daß ich derweilen auf etwas gestoßen bin." Mulder wedelte mit einigen Ausdrucken, die er gemacht hatte. "Wissen Sie, wo der Sheriff ist?"

"Vor knapp einer halben Stunde kam er hier herein und sagte, er müsse in einer anderen Angelegenheit noch etwas erledigen", antwortete Scully.

"Nun, dann erfährt er es später," Mulder begann, auf einem sauberen Sektionstisch seine Ausdrucke auszubreiten.

"Wo sind Sie denn gewesen, Mulder?" Scully beobachtete ihren Partner neugierig.

"Ich habe die Angehörigen der Opfer befragt und habe schließlich von Sally Edwards Mutter einige entscheidende Hinweise bekommen. Daraufhin habe ich im hiesigen Einwohnermeldeamt die Daten der Opfer durchforstet und siehe da..." er machte eine ausschweifende Handbewegung in Richtung der ausgebreiteten Papiere, "alle Opfer sind in direkter Linie Nachfahren der Ursiedler."

"Und?", fragte Scully, als Mulder dem nichts mehr hinzufügte.

Er schaute sie daraufhin erstaunt an. "Begreifen Sie denn nicht?", fragte er. "Der Fluch begrenzt sich scheinbar auf direkte Nachfahren der Ursiedler..."

"Mulder, nun fangen Sie nicht wieder mit ihrer Theorie über den Indianerfluch an.", stöhnte Scully. "Was genau haben Sie denn von Sally Edwards Mutter erfahren?", fragte sie dann skeptisch.

"Nun, ich fragte Mr. Edwards nach ungewöhnlichen Vorkommnissen und, als er sich an nichts erinnern konnte, erzählte sie mir von merkwürdigen Dingen."

"Und die wären?", fragte Scully dazwischen.

"Sie berichtete von Trommelgeräuschen, die Sally hörte, von Flüstergeräuschen und ähnlichen Dingen. Sie fürchtet, das der Fluch sich erfüllen würde und auch sie in Gefahr sei."

"Scheinbar wissen ziemlich viele Leute hier von diesem Fluch und nun versucht jemand ihn auf eigene Faust in Erfüllung zu setzen.", spekulierte Scully. "Ich werde selbst noch einmal mit den Angehörigen sprechen. Vielleicht werden dann weitere Gemeinsamkeiten sichtbar."

"Scully, Sheriff Houston hat von diesen Leuten nichts in Erfahrung bringen können und auch ich habe es heute zunächst auf die althergebrachte Ermittlungsmethode versucht, doch es hat sich wieder nichts ergeben. Es gibt keine weiteren Gemeinsamkeiten", dann fügte er hinzu, "Aber Sie können es gerne versuchen, Scully."

"Das werde ich!", sagte sie bestimmt.

"Sie glauben also nicht, daß an der Aussage von Mrs. Pearson etwas dran ist?"

Scully schüttelte den Kopf. "Mulder, diese Frau hat gerade ihre Tochter verloren, sie ist verwirrt und verzweifelt. Sie sucht nach einer Erklärung. Durch ihre suggestiven Fragen an Mr. Edwards bot sich ihr eine ideale Möglichkeit."

"Sie glauben also, die alte Frau hat das alles nur erfunden?"

"Ja, genau das denke ich, Mulder."

"Aber diese detaillierten Angaben?", gab Mulder zu bedenken, "Was ist mit der Spur, auf die sie mich brachte? Wieso hatte sie dann recht mit dem, was sie mir sagte?"

"Mulder..."

Doch er ließ sich nicht unterbrechen. "Das können doch keine Zufälle gewesen sein, Scully. Solche Zufälle gibt es nicht."

Scully seufzte, sie wußte, daß sie Mulder nicht würde überzeugen können. Mulder warf einen Blick auf seine Armbanduhr. "Es ist schon spät. Ich schlage vor, daß wir ins Hotel gehen und morgen früh gleich anfangen."

Scully nickte, dann zog sie die Stirn in Falten. "Hotel?"

"Ja, hier direkt in der Stadt.", gab Mulder zurück. "Ich habe mich vorhin darum gekümmert und zwei Zimmer reserviert." Gemeinsam verließen sie die Halle und das Sheriffdepartment, hinterließen Sheriff Houston eine Nachricht und machten sich auf den Weg zum Hotel.

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