World of X

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Begraben unter dem Staub der Jahrhunderte

von Frédéric Weymann, Silke Eckelmann

Kapitel 1

I. Montag Morgen 8.15 J Edgar Hoover Building:

Missmutig betrat Mulder sein Buero. Er hatte in der Nacht zuvor schlecht geschlafen und war davon aufgewacht, dass er nach Samantha rief. uebel gelaunt pfefferte er seinen Mantel in eine Ecke und liess sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Unwirsch betrachtete er die Akten auf der Schreibtischplatte und ueberflog rasch die Memos, die sich ueber Nacht darauf angesammelt hatten. Schon nach wenigen Sekunden war ihm klar, dass keine von ihnen einen weiteren Blick wert waren. Nacheinander knuellte er die Blaetter zusammen und warf sie gekonnt in den am anderen Ende des Zimmers aufgestellten Muelleimer. Mit der Zeit hatte er einige Uebung darin bekommen. Als das letzte Memo durch einen gekonnten Drei-Punkte-Wurf in den Korb versenkt worden war, fiel Mulders Blick auf etwas, was sofort seine Aufmerksamkeit erwecke. Unter den Papieren hatte ein weisser Briefumschlag gelegen. Keinerlei Beschriftung war zu finden. Mulder oeffnete ihn und begann den Brief zu lesen : 

"Sehr verehrter Agent Mulder, es kann sein, dass wir uns gegenseitig helfen koennen. Genau wie Sie, moechte ich den Menschen die Wahrheit ueber etwas sagen, von dem sie nur die verlogene Version der hoechsten Autoritaeten kennen. Kommen Sie morgen Abend um 20 Uhr in die St. Pattricks Kirche und gehen Sie in den Beichtstuhl. Sagen Sie dort dem Pfarrer, dass Sie Mordgelueste gegenueber ihrem ehemaligen Partner Kryceck haetten. Sie werden dann weitere Information erhalten."

Unterschrieben war der Brief nicht, aber das hatte Mulder eigentlich auch nicht erwartet. Sein Instinkt sagte ihm, dass dies kein dummer Scherz war und auch keine Falle, um ihn ein fuer alle mal loszuwerden, indem man ihn bei seiner "Beichte" heimlich aufnahm, um das Tonband spaeter gegen ihn zu verwenden.

"Guten Morgen, Mulder. Wie ich sehe, sind Sie heute extra frueh aufgestanden, um etwas Ordnung hier zu schaffen.", ertoente auf einmal Scullys spoettische Stimme von der Tuer her. Sie blickte demonstrativ auf Mulders Mantel, stieg ebenso demonstrativ darueber hinweg und kam auf ihn zu. Mulder grinste nur entschuldigend, legte den Finger auf den Mund und hielt ihr den Brief hin. Sie nahm ihn, setzte sich gemuetlich auf einen der Stuehle vor seinem Schreibtisch und begann damit, den Brief lautlos zu lesen. Dann stand sie auf und bedeutete Mulder mit einer Handbewegung ihr zu folgen, was dieser auch tat. Sie gingen in ihre spezielle dunkle Flurecke, wo sie sich schon einmal nach Deep Throats Tod getroffen hatten, um die Lage zu besprechen.

"Mulder, was macht sie so sicher, dass dieser Brief ernst gemeint ist? Nur weil der Verfasser ueber Krycek und Ihre Feindschaft ihm gegenueber weiss, heisst das noch lange nicht, dass dies keine Falle des Krebskandidaten oder einfach ein schlechter Witz ist."

"Man erfaehrt sie Wahrheit leider nicht durch reines Warten und Beten." Bei diesen Worten verzog Mulder seinem Mund zu einem breiten Grinsen. "Und wenn der Krebskandidat oder jemand anders auf diese Weise ein falsches Gestaendnis von mir bekommen hofft, hat er sich mit einem Beichtstuhl wohl den unguenstigsten Ort, der moeglich ist, ausgesucht. Egal, was ich dort sage, man wird es niemals gegen mich verwenden koennen."

Beinahe nebenbei fuegte er hinzu : "Koennen sie mir vielleicht erklaeren, wie eine Beichte ablaeuft, Scully?"

"Mul-der!" Scully seufzte entnervt. Was regte sie sich eigentlich immer wieder ueber ihren Partner auf? Nach all der Zeit, die sie schon mit ihm arbeitete, sollte sie sich eigentlich an seine Eigenarten gewoehnt haben. Ausserdem hatte er wieder diesen speziellen Blick in seinen Augen, der besagte, dass er sich von nichts und Niemandem aufhalten lassen wuerde, um dieser Sache nachzugehen. Alles was sie jetzt noch tun konnte, war ihn im Auge zu behalten, damit er nicht wieder alle Regeln verletzte und seinen Feinden somit eine Gelegenheit gab ihn endgueltig loszuwerden. Resigniert begann sie ihm kurz zu erklaeren, wie man sich bei einer Beichte verhaelt. 

"Mulder, ich werde sie morgen begleiten. Wenn dieser Brief doch eine Falle ist, sollten sie jemanden als Rueckendeckung haben. Es wird ohnehin Zeit, dass ich mal wieder ein Gotteshaus von Innen sehe. Mein Beruf laesst mir kaum Zeit dazu."

Mulder fuhr hoch: "Ich halte das fuer keine gute Idee, Scully. Es steht zwar nicht ausdruecklich im Brief, dass ich alleine kommen soll, aber die 'Einladung' galt nur mir. Wenn meine Kontaktperson bemerkt, dass ich Begleitung habe, dann platzt das Treffen womoeglich. Und sie wissen ja, wenn sie Sorgen oder Probleme haben, welcher Art auch immer, ich stehe mit offenen Armen fuer sie bereit."

Mit diesen Worten breitete er die Arme aus. Scully ging zwei Schritte zurueck.

"Danke, Mulder, aber in diesem Fall wende ich mich garantiert an jemand anders als sie." 

Gespielt beleidigt drehte sich Mulder um und ging zurueck in sein Buero. Scully blickte ihm nach, aber ihr war klar, dass sie an seiner Meinung nicht mehr ruetteln konnte. Hoffentlich hatten seine Instinkte ihn diesmal nicht getaeuscht. Leise seufzend folgte sie ihrem Partner.

II. Dienstag Abend Washington D.C. 19.55h St. Pattricks Church

Nachdem Mulder durch die Pforte der Kirche eingetreten war, kontrollierte er unauffaellig, ob seine Waffe vollstaendig unter dem Anzug verborgen war und holte dann ein kleines kaum handtellergrosses Geraet heraus, welches sich leicht in seiner Hand verstecken liess und ging damit auf den Beichtstuhl zu. Allzuoft war der Krebskandidat ihm einen Schritt vorausgewesen indem er seine Gespraeche abhoerte. Diesmal wuerde er Vorsichtsmassnahmen treffen. Wenn das Geraet ausschlug, wuerde er wissen, dass der Beichtstuhl mit Wanzen versehen worden ist und sofort auf dem Absatz umdrehen. Bei diesen Treffen war er vor Fallen gefeit. Aber das Geraet schlug nicht aus, als er den Beichtstuhl betrat. Auch der Teil, indem der Priester sass, schien frei von Abhoergeraeten zu sein. Einigermassen beruhigt aber immer noch innerlich auf der Hut setzte sich Mulder, liess das Geraet aber an, nur fuer den Fall, dass sich der Priester als ebenso falsch herausstellen sollte, wie vor langer Zeit sein "Partner" Alex Kryceck. 

Kaum hatte er sich richtig hingesetzt, da wurde auch schon der Vorhang von der anderen Seite weggeschoben und Mulder hoerte eine tiefe und angenehme Stimme: "Was kann ich fuer Dich tun, mein Sohn?" Bevor er antwortete warf Mulder noch schnell einen weiteren Blick auf sein Wanzensuchgeraet. Immer noch kein Ausschlag. 

"Dies ist eigentlich meine erste Beichte..." antwortet Mulder ".....Vater" fuegte er zoegernd hinzu. 

"Gott empfaengt jeden mit offenen Armen und vergibt jedem seine Suenden, wenn dieser sie ehrlich bereut. Welche Suenden hast Du nun begangen, mein Sohn?" 

"Nun, ich hatte einen falschen Freund, der meinen Vater und die Schwester meiner Partnerin kaltbluetig umgebracht hat. Vor kurzem traf ich ihn wieder und ....musste mich sehr beherrschen, um nicht meinen Mordgeluesten nachzugeben. Ich wollte ihn toeten, so wie er getoetet hat, wollte mich dafuer raechen, dass er mich so lange Zeit bewusst getaeuscht und auch vor langer Zeit daran gehindert hat, die Entfuehrung meiner Partnerin zu vereiteln. Er hat den Tod verdient..."

"Es ist nicht an Dir zu entscheiden, wer den Tod verdient hat, mein Sohn. Diese Entscheidung liegt alleine in Gottes Hand, dem allmaechtigen Vater." antwortete ihn die fremde Stimme ruhig aber bestimmt. 

Mulder widersprach nicht, verzog sein Gesicht aber zu einer Grimasse.

"Hast Du mir sonst noch etwas zu sagen, Fox?" 

Bei dem letzten Wort zuckte Mulder zusammen. Er brauchte aber nicht lange, um die Fassung wiederzuerlangen. Was hatte er denn erwartet? 

"Ich dachte immer, dass die Beichte anonym waere", gab er spitzfindig zurueck, "aber sie sollten wissen, dass ich es vorziehe mit meinem Nachnamen angeredet zu werden."

"Entschuldige mein Verhalten, mein Sohn, ich wollte Dich nicht kraenken." 

So unvermittelt wie er Mulder persoenlich angeredet hatte, verfiel der Priester - wenn es denn der Priester war - auch wieder in den routinierten Ton einer Beichte.

"Da du deine Suenden offen vor Gott, dem Herr, ausgesprochen hast und da du sie ehrlich bereust, werden sie Dir vergeben werden. Doch vorher will ich Dir noch eine Stelle in der Bibel nennen, die Dir Trost spenden wird. 'Was mokierst Du Dich ueber den Splitter im Auge Deines Nachbarn und siehst den Balken in Deinem eigenen nicht' Du musst versuchen unter die Dinge zu sehen und deine Augen zu oeffnen fuer die verborgenen Dinge in deiner Umgebung. Ego te absolvo, in nominis patris et filius et spiritus sancti, amen." Der Unbekannte machte auf seiner Seite des Beichtstuhles das Kreuzzeichen. 

Mulder wollte etwas sagen, doch in diesem Moment hoerte er die Tuer des Beichtstuhles gehen. Schnell oeffnete auch er seine Seite der Kabine und trat hinaus, aber es war zu spaet. Der geheimnisvolle Informant war gegangen. Nachdenklich kehrte Mulder in den Beichtstuhl zurueck und ueberdachte noch einmal seine "Beichte".

Welche Worte hatte sein Informant doch gleich noch betont? 'Unter die Dinge sehen und die Augen oeffnen fuer die verborgenen Dinge.' Mulder sah sich um. Der Beichtstuhl war recht eng. Vor ihm war nur die Tuer, die er abtastete, aber nicht fuendig wurde. Es blieb also nur der Sitz, auf den er gesessen hatte. Er verliess den Beichtstuhl wieder und untersuchte ihn gruendlich. Da! Unter dem Sitz war etwas befestigt. Eine Stofftasche, die gut mit Paketklebeband festgemacht worden war.

Vorsichtig loeste Mulder das Klebeband holte die Stofftasche heraus. Er wollte gerade hineinschauen, als ihm unerwartet auf den Ruecken geklopft werden. Instinktiv fuhr seine Hand zur Waffe. Die Stimme einer alte Frau ertoente: "Was faellt Ihnen ein, junger Mann? Wollen Sie etwa an diesem heiligen Ort einen Diebstahl begehen?" 

Mulder drehte sich laechelnd um: "Aber natuerlich nicht! Ich hatte nur mein Portemonnaie fallen lassen." Er wollte gerade gehen, als ihm ein Gedanke in Gehirn schoss: "Stehen Sie schon laenger vor diesem Beichtstuhl? Haben Sie vielleicht den Geistlichen gesehen, der gerade den Beichtstuhl verlassen hat?"

"Wie bitte? Pastor Grimmle hat den Beichtstuhl bereits verlassen? Das ist ja eine Unverschaemtheit! Leider bin ich erst gerade gekommen, sonst haette er was zu hoeren bekommen. Ich ..."

Waehrend die alte Dame noch weiter schimpfte wandte sich Mulder unauffaellig ab und verliess rasch die Kirche. Er war sich inzwischen sicher, dass er nicht mit Pastor Grimmle gesprochen hatte. Dieser haette keinen Grund gehabt, den Beichtstuhl so schnell wieder zu verlassen. Ausserdem hatten Informanten die Angewohnheit, ihre Identitaet geheimzuhalten.

III. Dienstag Abend 21.15h Der Lesesaal einer Bibliothek

"Nur gut, dass einige Bibliotheken in Washington auch noch sehr spaet abends geoeffnet haben", dachte Mulder, "Hier ist der ideale Platz, um sich den Inhalt der Tasche genauer anzusehen. Wer kaeme schon auf die Idee, einen solchen Ort staendig zu ueberwachen? Nun kann ich in aller Ruhe das Material sichten."

Er legte die Tasche vor sich auf den Tisch, oeffnete sie und griff hinein. Er erfuehlte im Inneren eine Papprolle. Mit einer Kopfbewegung sah er sich noch einmal um, doch ausser dem Buechereiverwalter, der gerade neue Buecher katalogisierte, befand sich niemand in der Buecherei. Er zog die Rolle aus der Tasche. Es handelte sich um eine Rolle, in der normalerweise empfindliche Gegenstaende wie Bilder, Plakate oder Karten gerollt aufbewahrt werden, um Knicke und anderen Beschaedigungen zu vermeiden. Auf ihr stand in grossen Buchstaben: "Vorsichtig behandeln! Kostbarer Inhalt".

Mulder zog die Handschuhe an, die er vor dem Verlassen seines Bueros vorsichtshalber eingesteckt hatte. Die oeffnung von sich abgewendet, oeffnete er vorsichtig den Verschluss der Rolle. Wuerde die Rolle nun in seiner Hand explodieren oder etwas aus der Rolle austreten, es waere keine wirkliche Ueberraschung fuer ihn. Doch dieses Risiko musste er eingehen. Langsam zog er den Deckel von der Rolle...

Doch die Rolle verwandelte sich weder in einen gleissenden Feuerball noch trat etwas Schaedliches aus ihrem Inneren aus, als der Deckel entfernt worden war. Mulder kippte sie leicht und eine Schriftrolle fiel in seine Hand. Von der Art glich sie der Art von Schriftstuecken, wie man sie in frueheren Zeiten gebraucht hatte, bevor man ab dem 1.Jahrhundert nach Christi zum Codex, also der heutigen Form des Buches ueberging.

Behutsam legte Mulder die Schriftrolle vor sich auf den Tisch und schuettelte dann noch einmal die Papprolle aus, um zu sehen, ob sich noch weitere Schaetze darin verbargen. Doch die Rolle war ansonsten leer.

Also wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Rolle zu und begann vorsichtig damit, sie aufzurollen. Das Material war sehr alt und Mulder hatte einige Schwierigkeiten, das Schriftstueck zu entfalten, ohne dass es in seinen Haenden zerbroeckelte. Mulder spuerte, wie sein Adrenalinspiegel mit jeder entfaltender Zeile weiter stieg. Bald konnte er einen grossen Teil einsehen. Doch sein Aufregung bekam einen derben Daempfer, als er damit begann, die bereits stark verblassten Schriftzeichen naeher zu betrachten. Der gesamte Text war in einer voellig unbekannten Sprache geschrieben worden. Es war weder Latein, noch Alt-Hebraeisch oder Alt-Griechisch. Mulder war nicht einmal in der Lage, die grobe Abstammung der sich vor ihm befindenen Sprache zu bestimmen. Er brauchte einen Uebersetzer, der sich sehr gut mit dem Sprachen des Altertums auskannte und ihm eine genaue Uebersetzung liefern konnte.

Mulder brauchte nicht lange zu ueberlegen : "Byers, Langley und Frohike kann ich dieses Material getrost anvertrauen. Sie werden es gut hueten und wenn sie es nicht uebersetzen koennen, dann kennen sie bestimmt jemanden, der dazu in der Lage ist!" 

Vorsichtig rollte er das Pergament wieder zusammen und steckte es in die Papprolle zurueck. Mit seinem neuen Schatz unter dem Arm eilte er aus der Buecherei. Er glaubte, ja er hoffte sogar, den Inhalt dieses Jahrtausende altem Dokumentes zu kennen. Hoffentlich wuerden seine Hoffnungen erfuellt werden.

Als Mulder den Saal verlassen hatte, trat eine Gestalt hinter einem Regal hervor und sah ihm mit einem hasserfuellten Blick hinterher. Die linke Hand hielt ein Buch, aber die rechte Hand war nicht aus Fleisch und Blut, sondern ein Produkt der modernen Medizin aus einen speziellen Kunststoff, genau wie es der gesamte rechte Arm es war. 

"Mulder, deinetwegen habe ich nur noch einen Arm." zischte Krycek vor sich hin. "Ich werde dafuer sorgen, dass Du niemals findest, was Du suchst! Wenn ich schon dein Leben nicht haben kann, so werde ich meine Rache darin finden, dass ich dir jeden Weg verbaue, der dich naeher an die Loesung auf deine Fragen bringt!"

Er holte mit der linken Hand ein Handy hervor und waehlte. "Ich bin es.", meldete er sich, als die Verbindung zustande gekommen war, "Sie hatten recht, unser Rotkehlchen hat gesungen."

Er lauschte aufmerksam den Instruktion, die die Person auf der anderen Seite der Leitung gab und ein zufriedenes, schadenfrohes Grinsen formte sich auf seinem Gesicht.

"Mit dem allergroessten Vergnuegen". Er beendete das Gespraech, steckte das Handy zurueck in seine Jackentasche und schlenderte aus dem Saal.

IV. Die Zentrale der Lone Gunmen; Washington D.C. 22.00h

Energisch klopfte Mulder an die Tuer der Zentrale und wartete voller Ungeduld auf eine Antwort. Es kam selten vor, dass die Tuer verschlossen war. Aber er musste nicht lange warten, denn wenige Augenblicke spaeter ertoente Byers Stimme von der anderen Seite: "Mulder, schoen dich zu sehen." Schwungvoll oeffnete sich die Tuer und fiel genauso schnell hinter Mulder wieder ins Schloss.

Mulder blickte sich in dem dunklen Raum, der mehr an einem Lagerraum als etwas anderes erinnerte, rasch um. 

Langley sass wie ueblich an seinen Tonbaendern, die heimliche Mitschnitte von Telefongespraechen aus der FBI Zentrale enthielten. Frohike sass gemuetlich in einem Sessel und verschlang ein Playboy-Magazin. Beide blickten nur kurz auf, als Mulder eintrat.

"Na Mulder, auch wieder im Lande?", fragte Frohike, "Wie war es denn in Memphis? Hast Du dem Grab des King of Rock and Roll einen Besuch abgestattet? Und wo hast du denn Deinecharmante Partnerin heute gelassen?"

"Guten Abend Frohike" antwortete Mulder kurz, ohne auf die Fragen einzugehen und wandte sich dann wieder Byers zu, der ihm nachgekommen war. 

"Byers, ich brauche Eure Hilfe. Kennt Ihr die Sprache, in der diese alte Schriftrolle geschrieben wurde?" 

Er holte die Papprolle aus der Tasche und hielt sie Byers hin. 

"Schriftrolle?" Byers Augen fingen an interessiert zu funkeln. Er nahm Mulder die Papprolle ab, holte ebenfalls Handschuhe und dazu noch ein Lederetui, das sich als Reisenecessaire herausstellte. Dann setzte er sich an den Tisch, holte die Schriftrolle aus ihrer Verpackung und rollte sie mit Hilfe einer Pinzette vorsichtig auf. 

Langley liess seine Tonbaender im Stich, Frohike seine Pin-up Girls und beide schauten Byers ueber die Schulter bei seiner Feinarbeit zu.

"Sehr interessant," murmelte Byers. "Woher hast Du dieses Material?" 

"Das ist das Ergebnis einer Beichte" erwiderte Mulder trocken. 

"Beichte?" Alle drei Koepfe fuhren gleichzeitig hoch und sahen Mulder verwirrt an. 

"Seit wann bist Du denn ein glaeubiger Katholik?" fragte Langley fragend.

"Das erzaehle ich euch spaeter. Kennt ihr die Sprache und koennt das uebersetzen?" fragte Mulder begierig. 

Byers betrachtete die Schrift durch ein Vergroesserungsglas. "Kein Hebraeisch, kein Altgriechisch, kein Latein" murmelte er. 

"Soweit war ich auch schon" murmelte Mulder seinerseits aergerlich, wurde aber ignoriert. 

"Nein, ich kenne diese Sprache nicht, aber vielleicht kann unser neuestes Mitglied - 'Der Professor' - uns helfen," meinte Byers. 

Er sprang auf und ging mit der Rolle zum Scanner, wo er sie vorsichtig mit der Schrift nach unten auflegte. Er scannte die Schriftrolle ein, speicherte alles in einer Datei ab und schickte diese dann per eMail an den "Professor". 

Mulder hob unterdessen Frohikes Playboy auf und blaettert darin, waehrend er auf eine Antwort wartet. Die Lone Gunmen begannen inzwischen damit, sich weiter mit der Schriftrolle zu beschaeftigen und fuehrten einige Tests durch, um das Alter und die Zusammensetzung der Tinte und der Rolle selbst genauer zu bestimmen.

Nach etwa zwanzig Minuten wandte sich Byers von der Schriftrolle ab und sprach Mulder an: "Mulder, warum gehst Du nicht nach Hause und legst Dich hin? Ich denke nicht, dass wir noch heute Abend von Professor hoeren werden. Er liest nur einmal am Tag seine Mails und es kann auch eine Zeitlang dauern, bis er den Text uebersetzt hat. Wir benachrichtigen Dich, wenn ...Moment mal.." unterbrach er sich und schaute erstaunt auf den Bildschirm. 

Dort war eine Nachricht erschienen: "Email Eingang". Byers setzte sich wieder an seinen Computer und checkte seine Mails. 

"Unglaublich" entfuhr es ihm. "Er hat schon geantwortet." Laut las er den Text der Mail vor: 

' Ich frage gar nicht erst, woher Ihr diese Schriftrolle habt, denn Ihr wuerdet es mir sicher nicht sagen. Also nur so viel, was ich schon auf den ersten Blick sehen kann: der Text ist in Aramaeisch geschrieben und es handelt sich offensichtlich um eine Schrift aus der Zeit kurz nach Christis Tod, denn der Autor schreibt so, als habe er Jesus noch erlebt und beschreibt dessen Kreuzigung in allen Einzelheiten. Soweit ich das jetzt schon sagen kann handelt es sich um einen Ausschnitt aus den Memoiren des Autors. Es ist ein sehr interessantes Dokument, aus dem man viel ueber die damalige Zeit erfahren kann. Ich werde euch sofort benachrichtigen sobald ich mehr herausgefunden habe. Der Professor'

Mulder seufzte ungeduldig. "Was denkt Ihr wie lange wird er brauchen, um den Text vollstaendig zu uebersetzen?"

"Warum hast Du es denn so eilig Mulder?" fragte Frohike gelassen. "Du bist schon dein ganzes Leben auf der Suche nach Antworten, da wirst du wohl einige Tage auf eine warten koennen."

"Genau," stimmte Langley ihm zu, "wir sind genauso neugierig wie Du, Mulder. Und der Professor wird sich garantiert die naechsten Zeit ausschliesslich um die Uebersetzung kuemmern. Als entspann dich... Ich haette hier etwas, was du bis zur Antwort des Professors lesen koenntest. Es ist bestimmt nicht minder interessant als der Inhalt der Schriftrolle..."

"Oder du machst dir ein paar nette Stunden. Am besten zusammen mit der reizenden Dana" feixte Frohike.

Mulder ignorierte beide Angebote und wandte sich statt dessen zum Gehen. Er wusste, dass er hier momentan nichts mehr erreichen konnte. 

Langly kommentierte sein Verhalten mit den Worten "Keine Sorge, Mulder, wir werden von den Dokumenten in der naechsten Ausgabe ausfuehrlich berichten. Dann wirst du dich aber garantiert darueber aergern, dass du mein Angebot abgelehnt hast."

Mulder liess sich von Langlys Worten nicht von seinem Entschluss abbringen, nach Hause zu gehen und dort zu warten, bis ihm die drei ein Nachricht zukommen liessen. Er oeffnete die Tuer zur Strasse und verliess unauffaellig das Gebaeude.

Er wusste nicht, dass unweit der Zentrale ein dunkles Auto geparkt war, in dem sein ehemaliger Partner sass. Dieser beobachtete, wie Mulder in seinen eigenen Wagen stieg und davonfuhr.

"Das Schoene an Dir ist, Mulder, dass Du so berechenbar bist!" kicherte Krycek haemisch. "Sie wussten, dass Du zu Deinen Spiessgesellen fahren wuerdest!" 

Er holte wieder sein Handy heraus und waehlte. "Sie hatten wie ueblich recht. Er hat sie zu den Lone Gunmen gebracht. Wie soll ich weiter verfahren?"

Ein aergerliches Stirnrunzeln ueberzog sein Gesicht, als er die Antwort vernahm. 

"Aber....." versuchte er aufzubegehren, wurde aber unterbrochen. 

" Ja Sir," erwiderte er missmutig, unterbrach die Verbindung und richtete sich auf eine lange Nacht ein, in der er lediglich die Aufgabe hatte, auf eventuellen Besuch bei den Lone Gunmen zu achten.

V. Die Zentrale der Lone Gunmen, Washington 02:12h

Mehrere Stunden spaeter sass Krycek immer noch in seinem Wagen und betrachtete die Strasse. Bis jetzt hatte noch niemand dem Lone Gunmen einen Besuch abgestattet oder war einer der drei Einsamen Schuetzen aus der Zentrale auf die Strasse getreten. Um seine Langweile etwas zu vertreiben, liess er sich nun seit ueber drei Stunden von einer Unbekannten ueber das Handy Luegen darueber erzaehlen, wie sie aussah, was sie anhatte und was sie gerade alleine fuer ihn auf der anderen Seite der Leitung anstellte. 

"Es hat schon seine Vorteile, wenn man jede Art von Spesen erstattet bekommt." dachte er still in sich hinein, als er auf einmal ein Bewegung im linken Augenwinkel bemerkte. Reflexartig unterbrach er die Verbindung, ohne sich von "Angelique" zu verabschieden und griff zur Mini-Kamera, mit dem er jeden Besuch dokumentieren sollte.

Die Person kam naeher. Krycek versuchte zu erkennen, wer zu dieser spaeten Stunde noch in dieser Gegend unterwegs war, doch die Gestalt war so vermummt, dass Krycek Muehe hatte, auch nur das Geschlecht zu erraten. Sie trug einen weiten Mantel mit Kapuze, welche sie weit ins Gesicht gezogen hatte. Obwohl fuer diese Jahreszeit relativ hohe Temperaturen herrschten, hatte sich der oder die Unbekannte einen langen Schal um den Hals gewunden, der praktisch die gesamte untere Gesichtshaelfte verdecke. 

Krycek aktivierte die lichtverstaerkende Funktion der Kamera, stellte den digitalen Zoom so ein, dass er die gesamte Person im Sucher hatte und schoss danach ein Foto nach dem anderen. Es war eindeutig ein Mann, keine Frau konnte so eine Statur haben. War es etwa Mulder?

Nein, dafuer war die Gestalt zu klein. Und Mulder hatte sich bei letzten Mal auch nicht viel Muehe bei der Tarnung gegeben, warum sollte er es diesmal tun? Vielleicht wollte der Mann ja ueberhaupt nicht zu den Lone Gunmen und hatte andere Gruende fuer seine ungewoehnliche Kleidung? Auch unwahrscheinlich. Wer so paranoid war, konnte nur ein Bekannter der drei sein. 

Und Krycek behielt recht. Den Ausloeser wieder und wieder betaetigend, beobachtete er, wie der seltsame Mann auf die Tuer der Zentrale der Lone Gunmen zuging und rasch ins Innere huschte. 

Die Tuer hatte sich kaum geschlossen, als schon Leben in Kryceks schlaffe Glieder fuhr. Mit wenigen Handgriffen startete er seinen Laptop, schloss die digitale Kamera an dieses an und uebertrug die Bilder, um sie an seine Auftraggeber zu uebersenden. Vielleicht wuerden diese Information endlich ausreichen, um den Uebergang vom reinem Beobachten zum direkten Eingriff in die Ereignisse zu rechtfertigen. 

"Mulder, was tust du denn schon wieder hier? Ich sagte doch..."

Weiter kam Frohike mit seinen Worten nicht, denn der Mann, der gerade den Raum betreten hatte, warf seine Kapuze zurueck und zog den Schal nach unten. Allen drei Schuetzen fiel vor Ueberraschung beinahe die Kinnlade nach unten.

"Professor! Was machen Sie denn hier?" 

"Mir blieb nichts anderes uebrig, als Sie wegen der Schriftrolle persoenlich zu treffen."

"Aber was ist wenn Sie gesehen wurden? Es ist viel zu riskant, hier herzukommen. Sie koennten mit uns in Verbindung gebracht werden und damit leicht auf einer staatlichen Abschussliste landen."

"Das Risiko bin ich bereit einzugehen. Ausserdem ist der Kontakt per eMail nicht weniger riskant. Sie koennen davon ausgehen, dass jede Mail, die von hier versandt wird, von der Gegenseite abgefangen wird. Und wenn sie erst einmal eine eMail-Adresse haben, koennen sie sich daran machen, herauszufinden, wer eMails ueber diesen Account versendet und empfaengt. Jede Abfrage birgt ein grosses Risiko fuer mich. Nicht zu vergessen, dass die Informationen, die ich euch zukommen lasse, von den falschen Leuten gelesen werden koennte."

Jetzt draengte sich Byers in den Vordergrund: "Der Versand ist absolut sicher. Das Verschluesselungsformat, das wir nutzen, kann von niemanden auf diesem Planeten geknackt werden."

"Sie sagen es, von niemanden von *diesem* Planeten. Aber wir wissen nicht, welche Technologie manchen Leuten wirklich zur Verfuegung stehen. Aber das ist jetzt zweitrangig. Wo ist die Schriftrolle?"

Von der Strasse war das Geraeusch von einem startenden Wagen zu hoeren. Rasch entfernte sich das Motorengeraeusch. 

Langly fuehrt den Professor zu dem Tisch, auf dem alle moegliche Testinstrumente lagen. "Wir haben das Material der Schriftrolle untersucht und koennen das Alter von beinahe zweitausend Jahren bestaetigen. Diese Rolle wurde eindeutig zur Zeit Jesu oder kurz danach geschrieben."

"Das deckt sich auch mit dem Inhalt der Rolle", erwiderte der Professor waehrend er vorsichtig mit dem Finger ueber die Schrift fuhr, "ich konnte leider nur Teile uebersetzen, da die Kopie, die ihr mir gesendet hat, in Teilen unleserlich ist. Dies ist auch ein Grund dafuer, dass ich jetzt hier bin. Mit dem Original zur Hand werde ich hoffentlich in der Lage sein, den gesamten Text zu uebersetzen. Aber vielleicht sollte ich Ihnen zuerst das mitteilen, was ich bereits weiss."

Diese Worte liessen die Lone Gunmen aufhorchen. "Fahren Sie fort."

"Nun, Sie haben sich doch bestimmt schon einmal mit der Kreuzigung und den damit verbundenen Ungereimtheiten auseinandergesetzt?" 

"Natuerlich haben wir zu diesem Thema Nachforschungen angestellt.", antwortete Frohike, "Die Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit, die von der Kreuzigung erzaehlen, legen den Verdacht nahe, dass Jesus die Kreuzigung ueberlebt hat."

"Die unglaublich kurze Zeit, in der Jesus starb, wenige Stunden anstelle von den gewoehnlichen Tagen, die Tatsache, dass Jesus nicht wie ueblich in aller Oeffentlichkeit sondern in einem privaten Garten gekreuzigt wurde und Berichte ueber sein Weiterleben an anderen Orten der Welt, alles spricht gegen den Tod Jesu am Kreuz." fuehrte Langly fort. 

"Genau.", bestaetigte der Professor, "Und nun gibt es einen eindeutigen Beweis. Dieses Dokument ist ein Bericht, ein Bericht von einem der Retter Jesu."

Schon lange war es nicht so leise gewesen in der Zentrale der Lone Gunmen.

VI. Mittwoche Morgen FBI Zentrale, J.Edgar Hoover Building

„Nun Mulder, wie war Ihre 'Beichte' gestern Abend?" fragte Scully beim Eintreten in das Kellerbuero, welches sie mit Mulder teilte.

"Gut." antwortete dieser einsilbig. Er war in Gedanken immer noch bei der Schriftrolle und fragte sich, wann er wohl von den Lone Gunmen hoeren wuerde. 

„Konnten Sie all Ihre Suenden beichten?" Scully liess nicht locker. Inzwischen hatte sie ja Uebung darin, Mulder alle Antworten wie Wuermer aus der Nase zu ziehen.

„Ja."

„Himmel sind sie heute gespraechig" seufzte Scully veraergert. „Wenn Sie mir keine Einzelheiten erzaehlen wollen, dann sagen Sie es, damit ich mir die Muehen ersparen kann."

Wortlos stand Mulder auf und bedeutete Scully ihm zu folgen. Sie gingen in ihre Stammecke, wo er ihr ausfuehrlich von den Geschehnissen des letzten Abends berichtete. Scully runzelte die Stirn, als er auf die Lone Gunmen zu sprechen kam. 

„Mulder, warum haben Sie die Schriftrollen nicht dem Labor zur Untersuchung und Uebersetzung gegeben?" 

„Weil ich verhindern wollte, dass sie auf einmal verschwunden ist, so wie schon viele andere Beweisstuecke vor ihr," erklaerte Mulder ungeduldig. „Ausserdem ist es nicht noetig den Krebskandidaten oder andere Dunkelmaenner mit der Nase darauf zu stossen, dass ich wieder einem neuen Geheimnis auf der Spur bin, diesmal sogar einem an dem die aelteste Institution der Welt beteiligt ist: die katholische Kirche!"

„Das ist noch nicht erwiesen, Mulder." widersprach Scully heftig, „Sie haben immer noch keinen Hinweis auf die Identitaet ihres Informanten oder auf dessen Glaubwuerdigkeit."

Mulder sah sie wortlos an. Er hatte voellig vergessen, dass sie ja katholisch erzogen worden war und in ihrer Situation jeden Trost brauchte, den sie bekommen konnte. Sollte er diese Spur nicht weiterverfolgen? Ihretwegen? Schliesslich war er ja nicht ganz unschuldig an ihrer toedlichen Krankheit. 

„Scully..." setzte er an, aber das Klingeln seines Handys unterbrach ihn.

„Mulder." meldete er sich. „Ja, ist gut, ich komme!" Er unterbrach die Verbindung und sah Scully zoegernd an.

„Nun reden Sie schon Mulder!" forderte ihn seine Partnerin ungeduldig auf. 

„Das war Byers. Der Professor ist mit der Uebersetzung der Schriftrolle fertig," erklaerte Mulder, „Vielleicht ist es besser, wenn ich Sie hierbei heraushalte, Scully."

„Nein, Mulder. Ich bin viel zu neugierig, was 'der Professor' sich zusammengereimt hat," widersprach ihm Scully energisch. „Gehen wir!".

 

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