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Tshoqutoc

von Petra Weinberger

Kapitel 5

10. August

Bernard und Scully hatten wieder eine Nacht durchgearbeitet. Abwechselnd waren sie bei Mulder geblieben, und hatten im Labor gearbeitet. Immer wieder hatten sie dem Agenten Medikamente verabreicht, doch es zeigte sich einfach keine Besserung. Er hatte zudem noch einen hartnäckigen Husten bekommen und Scully war sicher, daß er eine üble Lungenentzündung hatte. Mulders Körper war ausgemergelt, ausgezehrt vom Flüssigkeitsmangel und dem Kampf gegen die Bakterien. Erschöpfung und Schmerzen standen ihm ins Gesicht geschrieben. Scully wußte, daß, wenn kein Wunder geschah, sie den Kampf verlieren würden.

Noch immer tobte der Sturm um das Haus und der Wind brachte die Wände zum Erzittern, daß man Angst haben mußte, daß Haus würde jeden Augenblick aus dem Fundament gerissen.

Doch darum macht sich Scully keine Sorgen. Ihr Augenmerk galt einzig und allein ihrem Partner. Wenn er wach war, saß sie neben seinem Bett und hielt seine Hand.

" Scully, erinnern Sie sich noch an Cher ?" fragte er einmal leise.

Scully nickte und lächelte flüchtig, " ja. Das werde ich niemals vergessen. Sie sind ein verdammt guter Tänzer."

Mulder grinste schwach, " und Sie eine umwerfende Tänzerin. Das müssen wir irgendwann wieder machen."

Scully nickte und fuhr ihm zärtlich über die Wange. Ihr Blick glitt an ihm vorbei und ihre Gedanken schweiften ab. 

Bilder aus der Vergangenheit tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Bilder von ihrem Partner.' Wenn das Eistee in dieser Tüte ist, könnte es Liebe werden,' er saß hinter dem Steuer des Dienstwagens und sie waren gerade bei einer Observation. Sie erinnerte sich, als sie in Maine Urlaub machte. Mulder war zuhause geblieben und sollte sich dort ein paar Tage ausruhen. Doch immer wieder hatte er angerufen, und als sie ins Büro zurück kam, hatte er aus lauter Langeweile fast 50 Bleistifte in die Decke des Büros geschossen. Und sie erinnerte sich an einen der Anrufe, den sie von ihm bekommen hatte.' Scully, heiraten Sie mich,' es kam spontan und ohne jeden Bezug zu ihrem Gespräch. Sie war damals überrascht, hatte ihn in diesem Augenblick nicht wirklich ernst genommen. Obwohl sie sicher war, daß es für ihn durchaus ernst war. Sie mußte lächeln, als sie daran dachte. " Mulder, heiraten Sie mich," wollte sie eigentlich kontern, hatte es sich aber doch noch anders überlegt.

" Wenn Sie den Priester besorgen, sofort," sagte Mulder plötzlich leise.

Erst da bemerkte sie, daß sie laut gesprochen hatte.

Unwillkürlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie würde mit ihm mehr verlieren, als nur einen guten Freund. Er war zu ihrem Lebensinhalt geworden. Zu ihrer Stütze, zu ihrem Halt. Sie beugte sich zu ihm hinunter und küßte ihn zärtlich auf die Stirn.

" Ich werde Sie hier rausbringen," flüsterte sie.

Mulder lächelte flüchtig, nickte schwach und schloß die Augen. Er schlief wieder ein.

Irgendwann tauchte Bernard neben ihr auf, " ich würde gerne unser Blut auch noch einmal untersuchen."

Scully nickte und folgte ihm ins Labor. Sie ließ ihn einige Tropfen Blut abnehmen und kehrte dann wieder zu Mulder zurück.

Sie maß seine Temperatur. Es waren noch immer knapp 40°C. Hörte seine Lungen ab, kontrollierte Puls und Blutdruck. Sein Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Sie nahm auch ihm noch einmal Blut ab, reinigte seine Wunde und verband ihn neu.

Im Labor warf sie selbst einen Blick durch das Mikroskop. Das Bild war unverändert.

Fragend sah sie zu Bernard, doch dieser schüttelte den Kopf, " ich habe noch einmal den ganzen Durchlauf gemacht. Das Ergebnis ist noch immer das Gleiche. - Nichts."

" Es muß doch irgend etwas geben," sagte Scully verzweifelt. " Es kann nicht sein, daß diese Bakterien gegen alles resistent sind. Woraus beziehen sie ihre Kraft ? Wie können sie überleben und sich vermehren ? Warum sind sie bei uns inaktiv und bei ihm überschlagen sie sich geradezu vor Eifer ?"

Bernard hob ratlos die Schultern, " ich habe keine Ahnung. Aber ich werde weiter suchen. So lange, bis Sie ... ."

Scully schüttelte den Kopf, " ich gebe nicht auf. Ich gebe ihn nicht verloren."

" Okay," nickte Bernard. " Ich suche hier weiter und Sie kümmern sich um ... - Au," Bernard hielt sich den Finger. 

Blut tropfte herunter. Er hatte sich an einem der Objektbrettchen geschnitten. Die Verletzung war nicht tief, blutete aber recht heftig. Bernard wickelte sich schnell ein Taschentuch darum und drückte den Finger darauf, um die Blutung zu stoppen.

Scully angelte bereits einen Verband hervor. Dann besah sie sich die Wunde. " Das ist nicht schlimm, aber wir sollten sie vorsichtshalber reinigen und verbinden."

Bernard nickte und biß die Zähne zusammen, als Scully Jod auf den Schnitt träufelte. Sie wartete kurz, tupfte das Jod ab und wickelte den Verband drum.

Bernard betrachtete sich den weißen Finger, " hübsch. Normalerweise können Ärzte so etwas selten. Meist machen das die Schwestern."

Scully grinste flüchtig, " ich praktiziere nicht. - Glauben Sie, Sie können damit arbeiten ?"

Bernard lachte müde, " sicher. So was bringt mich nicht gleich um. Ich werde eben etwas vorsichtiger mit dem Finger sein. Sie können sich ganz unbesorgt Ihrem Partner widmen."

Scully nickte und zog sich zurück. Sie sah kurz nach Mulder, doch da gab es keine Änderung. Er schlief. Dann stellte sie den Kessel auf den Herd und kochte Wasser, um noch einmal Kaffee aufzubrühen.

Dr. Bernard hatte sich Latexhandschuhe angezogen und kontrollierte mehrere Reagenzen. Er nickte dankbar, als Scully ihm den Kaffee brachte. Mit ihrer Tasse setzte sie sich wieder neben Mulders Bett. Nachdenklich sah sie ihren Partner an.

" Ich werde dich heil hier rausbringen. Egal wie, und wir werden gemeinsam noch viele Fälle lösen," sagte sie leise und streichelte ihm sanft über die Wange. " Ich liebe dich und ich werde immer bei dir bleiben. Egal wo du auch hingehst, ich werde dir wie ein Schatten folgen. Und wenn du stolperst, werde ich da sein und dich wieder auffangen. Wenn du fällst, werde ich dich wieder hochziehen und ich werde dich stützen, wenn du strauchelst. Du glaubst nicht an Gott. Oder doch nicht so tief wie ich. Aber ich weiß, er ist da und er hat uns zusammen geführt. Er hat noch eine größere Aufgabe für uns und er wird dich mir nicht einfach wegnehmen."

Scully wischte sich einige Tränen aus den Augen. Sie fühlte sich hilflos. Wenn sie doch nur irgend etwas tun könnte. Sie mußten einfach einen Weg finden.

Eine halbe Stunde später erschien Bernard im Zimmer, " wie geht es ihm ?"

Scully schüttelte nur den Kopf.

" Ich habe noch mal die Unterlagen durchgesehen. Ich denke, ich weiß, woraus diese kleinen Biester ihre Kraft ziehen," sagte Bernard leise und zog sich mit Scully in die andere Ecke zurück. " Ich denke, sie leben vom Immunsystem. Solange es normal arbeitet, sind sie inaktiv. Doch sobald irgendeine Verletzung auftritt und die Immunabwehr darauf reagiert, werden auch die Bakterien aktiv."

" Wie kommen Sie darauf ?"

Bernard erklärte: " wir haben die Bakterien ebenfalls und bei Ihnen teilen sie sich nicht. Sie schwimmen im Blutstrom mit und liegen auf der Lauer. Seine Proben zeigten erheblich andere Resultate als unsere. Bei ihm haben sich die Bakterien ständig vermehrt, doch bereits nach zwei Stunden stoppte ihre Teilung und sie wurden inaktiv. Nach 24 weiteren Stunden haben sie sich aufgelöst."

" Dann müßten sie bei uns ebenfalls schon verschwunden sein."

Bernard schüttelte den Kopf, " unser Immunsystem arbeitet ununterbrochen, allerdings auf Sparflamme. Doch auch bei uns schwimmen ständig geringe Mengen Helfer- und Freßzellen im Blut. Die Bakterien leben davon. Doch die Zahl ist so gering, daß sie zwar überleben, sich aber nicht teilen und vermehren können. Bei den Proben hatten sie nach zwei Stunden ihren Vorrat aufgebraucht und sind sprichwörtlich verhungert. Dabei haben sie nur auf Antibiotika reagiert und das auch nur in sehr hohen Dosen. Um sie unschädlich zu machen, reichte es jedoch nicht. Alle anderen Medikamente waren wirkungslos."

" Und wie kamen Sie darauf ?"

Bernard sah auf seinen Finger, " bei mir sind sie inzwischen ebenfalls aktiv."

Scully sah ihn erschrocken an, " Sie meinen ... ?"

Er nickte, " ja. Durch den Schnitt habe ich meine Immunabwehr in Galopp gesetzt. Ich habe mir vor einer viertel Stunde noch einmal Blut abgenommen. Zwischen den beiden Proben liegen gerade 2 Stunden. In der neuesten, hatte ich bereits eine Menge Bakterien mehr."

" Verdammt," fluchte Scully. " Indem der Organismus gegen Eindringlinge ankämpft, schwächt und zerstört er sich selbst."

" Das Schlimme daran ist, daß wir nichts dagegen tun können, da alle Medikamente versagen und selbst Penicillin nicht schnell genug zum Erfolg führt."

***

10. August; 16 Uhr

Ratlos standen sich Scully und Bernard gegenüber.

" Wir können nichts mehr tun, Dr. Scully. Ich fürchte, es ist vorbei."

Scully schüttelte den Kopf, " nein. Ich kann ihn nicht einfach sterben lassen."

" Wir können nichts mehr für ihn tun," sagte Bernard noch einmal eindringlich. " Seine Organe sind angegriffen. Seit über 60 Stunden hat er kein Wasser mehr gelassen. Ein sicheres Zeichen dafür, daß seine Nieren bereits erheblich geschädigt sind. Seine Haut hat bereits angefangen sich gelb zu verfärben, was darauf hinweist, daß seine Leber ebenfalls befallen ist. Dazu noch die Lungenentzündung, die gebrochenen Rippen und, so wie du Wunde von außen aussieht, dürfte seine Speiseröhre genauso schlecht verheilen. Ich weiß nicht, wie lange der Sturm noch anhält. Doch selbst morgen könnte es bereits zu spät für ihn sein. Mit ganz viel Glück hält er noch zwei Tage durch. Und das Antibiotika reicht auch nicht mehr ewig. Wenn Sie sich auch noch irgendwo verletzen, sind wir alle drei verloren. Es hat keinen Sinn mehr."

Scully ließ sich auf ihr Bett fallen, schlug die Hände vors Gesicht und weinte still.

Sie wußte, daß Dr. Bernard recht hatte. Doch sie wollte es nicht einfach hinnehmen. Sie konnte es nicht.

Zu oft hatte Mulder ihr das Leben gerettet. Sie konnte ihn nicht einfach sterben lassen. Sie war es ihm schuldig, weiter zu kämpfen. Weiter zu suchen.

Doch sie wußte nicht, was sie noch tun konnten. Sie hatten ja schon alles versucht.

" Die Holzfäller," flüsterte Mulder plötzlich leise.

Scully wischte sich die Tränen aus den Augen und erhob sich.

Bernard stand noch immer neben seinem Bett und betrachtete sich verärgert seinen verbundenen Finger.

Scully ließ sich neben Mulder nieder und strich ihm einige widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn, " wie fühlen Sie sich ?"

Mulder schüttelte schwach den Kopf, " die Holzfäller, Scully. Erinnern Sie sich daran ?"

Scully nickte. Sicher erinnerte sie sich an diesen Fall. Sie hatten damals beide nur knapp überlebt.

" Sie konnten nicht schwirren. Wir haben den Zustand geschaffen, in dem sie nicht schwirren konnten. Erinnern Sie sich daran," murmelte Mulder.

Scully nickte müde, " sicher. Aber diesmal schwirren sie nicht, Mulder. Und es sind auch keine Leuchtkäfer."

Bernard sah auf, " von was spricht er ?"

" Erinnern Sie sich, Scully," Mulders Stimme war so leise, daß man sie kaum verstehen konnte.

Scully schüttelte den Kopf, " es war eine Leuchtkäferart, die nur bei Dunkelheit schwirrte und nur dann hat sie angegriffen, hat gebissen und seine Opfer in einen Kokon eingesponnen. Wir befanden uns im tiefsten Wald und waren gezwungen, so lange auszuharren, bis Hilfe kam. Wir mußten das Licht brennen lassen, um die Käfer vom Schwirren abzuhalten. Aber ich habe keine Ahnung, was er jetzt damit will. Es reicht schließlich nicht, wenn wir hier das Licht anknipsen."

Bernard runzelte die Stirn und dachte nach.

" Den Zustand - herstellen, der sie ... - lähmt," flüsterte der Agent schwach und schluckte trocken. Er wurde von einem heftigen Husten geschüttelt, der ihn gequält aufstöhnen ließ.

Erschöpft schloß er die Augen.

" Ich denke, ich weiß, was er damit sagen will," sagte Bernard plötzlich.

Scully sah ihn fragend an.

" Die Bakterien sind aktiv, solange das Immunsystem auf Hochtouren arbeitet. Läuft es normal, werden die Bakterien träge und gehen langsam zugrunde. Wir müssen das Immunsystem ausschalten und versuchen sie so zu überlisten."

" Wie bitte ?" war Scully entsetzt. " Wir können nicht einfach sein Immunsystem ausschalten. Wir würden ihn damit umbringen. Das wäre sein sicherer Tod."

Mulder drückte leicht ihre Hand, " ich habe doch nichts mehr zu verlieren."

" Mulder, das kann ich nicht tun. Vielleicht finden wir ja noch einen anderen Weg."

Ihr Partner schüttelte schwach den Kopf, " Sie haben nicht mehr viel Zeit und schaden können Sie mir damit nicht mehr."

" Er hat recht," nickte Bernard. " Wenn es hilft, kennen wir wenigstens einen Weg, diese Bakterien zu vernichten. Wenn nicht, dann brauchen wir es auf diese Weise gar nicht mehr zu versuchen."

" Nein. Auf keinen Fall," blieb Scully stur. " Nicht mal in einem Krankenhaus würde ich ihm eine solch extreme Maßnahme zumuten. Er ist einfach zu schwach und seine Organe sind dafür zu angegriffen. Er wäre den Bakterien dann völlig schutzlos ausgeliefert. Wir würden ihn damit umbringen. Das können wir nicht tun."

" Scully, Sie haben diese - Bakterien auch in sich, und er auch."

Scully nickte, " ja, aber uns geht es gut. Und irgendwann wird ja wohl ein Flugzeug kommen und uns abholen."

Mulder schüttelte den Kopf, " der Sturm. Er ist zu stark. Ich höre ihn. Sie können noch nicht kommen. Es kann lange dauern. Für mich ist es zu spät. Aber Sie können sich damit vielleicht retten."

" Nein. Ich werde Sie garantiert nicht als Versuchsobjekt benutzen."

" Sie sind noch gesund. Ihr Körper verkraftet die Therapie noch. Wenn Sie bei mir auch nur die Bakterien vernichtet, dann können Sie wenigstens ihr Leben retten. - Bitte."

" Mulder, Sie wird Ihre Organe völlig zerstören und wir haben nichts mehr hier, um Sie notfalls zu retten oder zu reanimieren."

" Ich weiß, aber Sie werden überleben. Einer muß doch die Arbeit zuende führen."

Scully hatte einen Kloß im Hals und schüttelte den Kopf, " Mulder, ich kann Sie nicht opfern. Das ist es doch nicht wert. Ich werde nicht zulassen, daß Sie das tun."

" Das Leben ist es immer wert. - Scully, der Schwächere wird immer unterliegen, damit der Stärkere überleben kann. - Hier sind Sie die Stärkere und Sie müssen überleben. - Diesmal hab ich die schlechteren Karten gezogen."

" Mulder - nein," Tränen liefen ihr über das Gesicht.

" Ich bin feige, Scully. - Und müde. Ich kann nicht mehr kämpfen."

" Nein, Mulder," sie schüttelte den Kopf. " ich werde nicht zulassen, daß Sie sich aufgeben. Das Sie sich opfern. - Was ist mit Samantha ? Wer wird sie finden, wenn Sie nicht mehr da sind ?"

" Irgendwann werde ich sie finden. - Als Sie im Krankenhaus lagen, sagte Sie mir, daß Sie Ihren Weg gehen müßten, um die Wahrheit zu finden. Sie waren fest entschlossen und davon überzeugt, daß es der richtige Weg war. - Das hier ist jetzt mein Weg, und ich bin genauso entschlossen und davon überzeugt, daß es der richtige ist, wie Sie damals."

Scully schüttelte noch immer den Kopf. Ihr Verstand sagte ihr, daß er und Bernard recht hatten. Wenn es bei ihm vielleicht auch nur die Bakterien tötete, so hätten sie wenigstens einen Weg gefunden, eine Epidemie zu verhindern.

Aber ihr Herz wehrte sich noch immer dagegen, " nein, Mulder. Ich brauche Sie. Sie dürfen nicht aufgeben. - Bitte. - Tun Sie mir das nicht an."

Mulder zog sie langsam zu sich herunter, " lassen Sie mich meinen Weg gehen. - Bitte."

Scully legte ihren Kopf auf seine Schulter und weinte. Sie spürte seine schwache Umarmung, seinen Trost.

Dr. Bernard kam aus dem Labor zurück. Er hatte sich, ohne das Scully es mitbekam, dort bereits an die Arbeit und einen entsprechenden Tropf bereit gemacht. Eine Lösung, wie sie zur Vorbereitung für Transplantationen eingesetzt wurde, um das Immunsystem völlig auszuschalten. Sie wußten alle, das die Zeit drängte. Wollten sie ein befriedigendes Ergebnis erhalten, dann mußten sie es jetzt tun. Dann durften sie nicht mehr länger warten.

Bernard warf Mulder einen fragenden Blick zu, " ich tue es nicht nur für mich, das wissen Sie ?"

Mulder nickte schwach, " diese Bakterien dürfen sich nicht weiter ausbreiten. Versuchen Sie, eine Epidemie zu verhindern und - wünschen Sie mir Glück."

" Ich weiß nicht ob es funktioniert oder wie lange es dauert. Wenn Sie schmerzen haben, dann sagen Sie es mir, okay ?"

Mulder nickte und hielt noch immer Scully im Arm.

" Kann ich ?" fragte Bernard kurz.

Mulder nickte.

" Nein," sagte Scully und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Verzweifelt sah sie Mulder an. " Bitte. Mulder, tun Sie das nicht. Sie sprechen Ihr Todesurteil damit aus."

Mulder sah ihr in die Augen, dann lächelte er schwach, " Scully, wenn ich es überstehe, heiraten Sie mich dann ?"

Scully wußte, daß sie nichts mehr daran ändern konnte. Langsam nickte sie, " wenn Sie den Priester besorgen, dann ja."

Mulder verzog das Gesicht zu einem schwachen Grinsen und nickte, " sobald ich aufstehen kann und geduscht habe."

Bernard verband den Infusionsschlauch mit der Kanüle, die noch in Mulders Arm steckte und stellte die Tropfgeschwindigkeit ein," vermutlich werden Sie sich sehr unwohl fühlen und können auch Kopfschmerzen bekommen."

Mulder nickte schwach, " ich denke nicht, daß man sich noch 'unwohler' fühlen kann. - Was passiert jetzt ?"

" Das Medikament wird langsam Ihr Immunsystem zerstören. Das heißt: Sie haben dann keinerlei Abwehrkräfte mehr. Es wird etwa 12 Stunden dauern, bis es soweit ist. Ihnen könnte übel werden, Sie bekommen vielleicht viel Durst. Wenn Sie können, dann sagen Sie uns das bitte. Sie können soviel trinken, wie Sie möchten. Je mehr Sie trinken, desto besser können Ihre Nieren arbeiten. Vielleicht kann sie gerade das vor dem endgültigen Kollaps bewahren. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn das Bett feucht werden sollte. Das ist kein Drama und es braucht Ihnen auch nicht peinlich zu sein. Sie werden kaum in der Lage sein, auf die Toilette zu gehen. Wenn Ihr Immunsystem lahmgelegt ist, können wir es nicht mehr rückgängig machen. Nicht hier. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, was dann geschehen wird. Ich hoffe, daß die Bakterien zugrunde gehen. Doch ich weiß nicht, ob die Entzündungen Ihrer Organe nicht schon zu weit fortgeschritten sind."

" Ich weiß. Den Rest übernimmt die Natur," sagte Mulder leise.

Bernard nickte, " ich kann Ihnen nicht mal sagen, wie lange es dauern wird. Sie bekommen weiterhin Penicillin. Das schwächt die Bakterien noch zusätzlich. Sobald es geht, werden Sie ins Krankenhaus geflogen. Aber wir wissen nicht, wie lange der Sturm noch anhält."

" Und wieviel Zeit mir noch bleibt," fügte Mulder schwach hinzu.

" Ich kann nur hoffen, daß es funktioniert," endete Bernard.

Scully saß abwesend neben Mulder und starrte die Tropfflasche an.

Mulder faßte nach ihrer Hand und drückte sie leicht, " Scully, bleiben Sie hier bei mir. Bitte."

Scully sah ihm in die Augen. Noch immer schimmerten Tränen hinter ihren Wimpern, " oh Mulder. Ich wünschte, Sie hätten das nicht getan."

Bernard wandte sich ab und ließ die beiden alleine. Er hatte selbst schon gespürt, daß mehr zwischen ihnen war, als reine Partnerschaft.

Mulder mußte erneut husten. Erschöpft schloß er die Augen.

" Scully, Sie glauben an Gott. Er hat noch mehr mit uns vor. Er wird mich nicht einfach zu sich holen. Er hat uns zusammen geführt und der Grund dafür ist sicher nicht, daß er uns hier trennen wollte," antwortete Mulder und seine Stimme klang rauh. " Vertrauen Sie ihm. Und vertrauen Sie mir."

Scully starrte ihn an. Das waren die selben Worte, die sie zu ihm gesagt hatte, als er schlief. Konnte das Zufall sein ?

" Ich bin so müde und erschöpft," murmelte er.

Scully nickte, " dann schlafen Sie. Das hilft ihrem Körper."

" Bleiben Sie bei mir, bis ... ."

Scully fuhr ihm zärtlich durch die Haare und über die Wange, " so lange es dauert."

Mulder drückte sanft ihre Hand und schloß die Augen, " danke. - Ich liebe Sie auch."

Scully küßte ihn auf die Stirn und auf die Spitze seiner markanten Nase.

" Ich lasse dich nicht alleine. Ich werde immer hier sein. Immer bei dir," sagte sie leise.

Doch Mulder hörte es nicht mehr, er war bereits wieder eingeschlafen.

***

11. August; 6 Uhr

Mit Daumen und Zeigefinger rieb sich Bernard über die Augen. Er war müde und erschöpft und sein verletzter Finger schmerzte.

Die letzten Tage waren für alle sehr anstrengend gewesen. Scully und er hatten sich immer nur kurze Schlafpausen gegönnt. Gerade soviel, um etwas Energie zu tanken und nicht wegen Schlafmangels völlig zusammen zu brechen.

" Wie geht es ihm ?" fragte er und sah zu Mulder.

Scully schüttelte den Kopf, " das Fieber ist gefallen, doch seine Vitalfunktionen sind schwach. Wir müssen sehen, das wir seinen Kreislauf aufrecht erhalten, und sollten ihm auch noch mal Penicillin geben. - Was war bei Ihnen ?"

" Sein Immunsystem dürfte ausgeschaltet sein. Doch bisher haben die Bakterien noch nicht darauf reagiert. Wir können nur warten."

" Und wie geht es Ihnen ? Was macht Ihr Finger ?"

Bernard hob kurz die Schultern, " er schmerzt und die Wunde hat sich entzündet. Ansonsten ist meine Temperatur etwas gestiegen. Doch ich fühle mich noch gut. Wenn ich sehe, daß bei ihm die Therapie anschlägt, werde ich bei mir damit beginnen. - Doch jetzt muß ich erst mal hinterm Haus verschwinden. - Was ist bei ihm ? Konnte er inzwischen ?"

Scully schüttelte den Kopf, " nein. Ich gebe ihm zwar ständig Tee zu trinken. Immer nur kleine Schlucke. Doch bisher hat sich nichts getan."

Bernard nickte und drehte sich um.

Scully erhob sich ebenfalls. Sie wollte noch einmal Tee und Kaffee kochen.

Bernard verschwand durch das Labor ins Freie. Scully spürte den eisigen Luftzug, der herein fauchte. Die Labortür schlug laut zu. Scully verfluchte diesen Sturm und zum mindestens hundertsten Mal fragte sie sich, wie lange er wohl noch anhalten würde. Der Wind trieb den Regen mit sicherlich 150 km/h gegen die Felsen und das Haus. Die Scheiben klirrten und Scully war dankbar, daß sie noch nicht herausgesprungen waren.

Bernard kam zurück und sah sie nachdenklich an, " waren Sie eben draußen ?"

" Nein, ich war hier am Herd. Wieso fragen Sie ?" war Scully verwundert.

" Ich hätte schwören können, daß jemand dort hinten herum schlich. Doch ich habe niemanden gesehen. - Naja, vielleicht war es nur der Wind. - Sie machen Kaffee ?"

Scully nickte, " ja. Irgendwie müssen wir uns ja wach halten."

" Vielleicht sollte ich ein paar Sandwiches belegen. Wir haben seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen. Wir sollten wenigstens versuchen, nicht auch noch zu verhungern."

Scully mußte grinsen. Zwar hatte sie keinen Appetit, doch sie mußte ja irgendwann mal etwas essen.

Während Bernard die Brote belegte, versuchte es Scully noch einmal mit dem Funkgerät. Wieder schickte sie einen Notruf über sämtliche Kanäle, wartete auf Antwort und funkte erneut. Doch außer statischem Rauschen war nichts aus dem Lautsprecher zu hören. Seufzend gab sie es schließlich auf.

" Es scheint, als würde der Sturm etwas nachlassen," sagte Bernard plötzlich und deutete auf die Fenster.

Der Regen hatte aufgehört und die Wolkendecke riss langsam auf. Doch der Wind peitschte mit unverminderter Härte gegen das Haus. Scully trat ans Fenster und warf einen Blick auf die Bucht. Die Wellen krachten gegen das Riff und ließen die Gischt hoch aufspritzen. Die Felsen glänzten vor Nässe. Sturzbäche liefen den Berg herab. Das Wasser schoß an der Station vorbei, dem Meer entgegen.

Scully wandte sich ab und brühte den Kaffee auf. Zusammen mit zwei Sandwiches verschwand sie wieder im Schlafraum und ließ sich neben Mulder nieder. Wieder kontrollierte sie Puls, Blutdruck, Lungenfunktion, Herzrhythmus, säuberte die Wunde und deckte ihn wieder zu. Seine Nierenfunktion machte ihr Sorgen. Sie hatte Angst, daß sie völlig versagten, wenn er nicht endlich Wasser lassen würde. Verzweifelt überlegte sie.

Bernard leistete ihr Gesellschaft.

Schweigend saßen sie da. Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Aßen ihre Brote und tranken den Kaffee. Immer wieder flößte sie Mulder etwas Tee ein. Doch es war schwierig, ihn zum Schlucken anzuregen. 

" Sie haben mir immer noch nicht erzählt, was mit Hilardy und Brazenz geschah ? Ich meine, etwas genaueres," fragte Bernard nachdenklich und sah sie an.

Scully schüttelte den Kopf, " wir wissen nicht viel. Wir haben hauptsächlich Vermutungen."

" Und wie sehen die aus ?"

Scully berichtete ihm von dem Videoband, das sie gesehen hatten.

" Aber Sie wissen nicht, was ihn erschreckte, oder was genau geschah ?" forschte Bernard weiter.

" Nein. Doch Brazenz und Baladin machten sich bereits auf die Suche nach ihm. Sie konnten nichts von ihm finden. Laut Videotape und den Berichten der beiden Männer, verschwand Hilardy am 13. Mai dieses Jahres. Seit 30. Juli galten Brazenz und Baladin ebenfalls als Verschollen. Am 2. August bekamen wir den Fall auf den Tisch und seit 6. August sind wir hier. Wir fanden Baladin im Labor auf dem Fußboden. Er war bereits knapp eine Woche tot. Wo Brazenz abgeblieben ist, ist noch immer unbekannt."

" Sie kamen mit der Maschine, mit der ich eigentlich zurückfliegen wollte. - Waren Sie schon unten im Wald oder bei den Booten ?"

Scully schüttelte den Kopf, " wir hatten mit der Suche erst begonnen und waren gerade auf dem Weg zu Hilardys letztem Aufenthaltsort, als der Unfall geschah."

Bernard überlegte und sah wieder zu Mulder, " er hat den gleichen Ausschlag wie Baladin ?"

Scully nickte und atmete einmal tief durch, " ich vermute, daß die Bakterien versuchen, sein Immunsystem anzuregen, indem sie weitere Entzündungen verursachen. Dort, wo Haut auf Haut liegt sind die Pusteln am Schlimmsten. Allerdings ist es noch nicht so ausgeprägt wie bei Baladin. Bei ihm muß es noch eine andere Ursache für den Ausschlag gegeben haben. Ich meine: ich kann mir nicht vorstellen, daß Baladin sein Immunsystem ausgeschaltet hat. Sicher nicht mit diesen Verletzungen, die er hatte. Und ich bezweifle auch, daß er von dieser Verbindung, wenn sie denn stimmen sollte, wußte."

Bernard starrte vor sich hin, auf irgendeinen Fleck, den nur er sah, " die Ursache dürfte die Gleiche sein. Nur ist sie mir vorher nicht in den Sinn gekommen."

" Wie meinen Sie das ? Wollen Sie mir wirklich erzählen, Baladin hätte sein Immunsystem zerstört, um diese Bakterien zu vernichten ?"

" Nein. Aber er litt an der wohl bekanntesten Immunschwächekrankheit. Hilardy hatte mir davon erzählt. Er sagte, der Junge wolle sein Studium auf alle Fälle beenden."

Scully kniff die Augen zusammen, " Sie meinen, er war HIV infiziert ?"

" Er hatte Aids, im Anfangsstadium und die Begleiterscheinungen waren noch nicht sichtbar. Doch sein Immunsystem war bereits stark geschwächt und arbeitete dennoch auf Hochtouren."

Scully nickte nachdenklich. Das sie die Krankheit bei der Obduktion nicht entdeckt hatte, lag daran, daß die nötigen Geräte für einen solchen Test hier einfach fehlten.

" Wenn der Wind etwas nachgelassen hat, würde ich gerne mal hinunter zu den Booten gehen. Sehen, ob sie den Sturm überlebt haben und sie für den Winter in Sicherheit bringen," fuhr Bernard fort.

Scully sah den Veterinär verwundert an, " ich glaube nicht, daß das wirklich so wichtig ist. Sie sollten sich lieber etwas ausruhen. Zudem kann ich ihn nicht alleine lassen."

Bernard schüttelte den Kopf, " ich kenne mich hier aus und weiß, wo ich hintreten darf und wo nicht. Ich habe hier schon schlimmeres Wetter erlebt. Machen Sie sich darum keine Sorgen."

" Sie sind ebenfalls krank und noch immer läuft dort draußen ein Tier herum, das Menschen anfällt. Sie können nicht alleine in der Wildnis herumlaufen."

Bernard grinste flüchtig, " ich muß raus, sonst drehe ich hier drin noch durch. Ich kenne den Weg und bin in einer Stunde dort. Ich sehe mich um und komme wieder zurück. Ich bin längstens vier Stunden fort. Und hier können wir im Augenblick sowieso nichts tun, außer warten."

" Und was ist, wenn Sie ebenfalls ausrutschen und abstürzen ? Ich kann Sie nicht alleine hochziehen und wüßte wahrscheinlich auch gar nicht, wo ich Sie suchen sollte. Die Felsen sind naß und glitschig."

" Ich habe griffige Schuhe und weiß, wie ich mich in dem Gelände bewegen muß. Seit fast 15 Jahren komme ich bereits hierher und glauben Sie mir, ich habe schon schlimmeres erlebt."

Scully seufzte, " Sie wollen wirklich da raus ? Nur wegen ein paar kleinen Booten ?"

" Nicht nur. Die Ausrüstung ist schwer zu ersetzen. Es werden wieder Forscher hierher kommen und die werden sie dringend benötigen. Die Tierschutzbehörden haben wenig Geld, um ständig neue Anschaffungen zu machen. Zudem gibt es noch einen Grund, weshalb ich dorthin will. Was ist, wenn Hilardy von irgend etwas erschreckt wurde und den Abhang hinabgestürzt ist ? Vielleicht liegt er dort unten. Selbst wenn er jetzt nicht mehr lebt, so hat er doch wenigstens ein anständiges Begräbnis verdient, oder ?"

" Ich bin sicher Brazenz oder Baladin haben dort schon nach ihm gesucht. Wenn sie ihn dort gefunden hätten, dann hätten sie es gesagt."

" Vielleicht haben sie nicht daran gedacht. Hören Sie. Ich bin Mediziner und Biologe. Ich komme jedes Jahr hierher, weil ich einfach in die Natur muß. Ich verbringe fast den ganzen Sommer im Freien. Ich werde verrückt, wenn der Winter zu lange dauert und ich im Haus bleiben muß. Ich muß einfach raus."

Scully nickte schließlich, " dann nehmen Sie wenigstens eine Waffe mit, damit Sie sich notfalls verteidigen können."

Bernard grinste, " die habe ich sowieso immer bei mir. Zwar sind Eisbären in dieser Gegend selten, doch es kann trotzdem plötzlich einer vor einem auftauchen. Und mit diesen Giganten ist nicht zu spaßen."

" Haben Sie schon mal einen töten müssen ?"

" Nein. Aber schon dreimal einen derart erschreckt, daß er das Weite gesucht hat. Das reicht mir. Die Tiere suchen sich dann meist ein leichteres Opfer. Es sei denn, der Hunger ist zu groß. Dann kann es schon vorkommen, daß man ein Tier tatsächlich töten muß. Doch mir ist es gottlob noch nicht passiert. - Sieht so aus, als würde der Sturm nachlassen," damit erhob er sich und stapfte in den Aufenthaltsraum.

***

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