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Der Seele beraubt

von Petra Weinberger

Kapitel 2

Mulder dämmerte im Halbschlaf vor sich hin. Nur verschwommen und schwach, fast wie in Trance hatte er Scully neben seinem Sofa wahrgenommen und die Behandlung im Hospital. Er wußte, daß sie während der ganzen Untersuchungen bei ihm geblieben und auch jetzt nicht weit entfernt war.

Es beruhigte. Das Wissen, nicht alleine zu sein – auch wenn er es eher unbewußt registrierte.

Er konnte nicht mal sagen, wann sein Bewußtsein abgeschaltet - und auf Dämmerzustand gewechselt hatte.

Es mußte irgendwann während der Tat geschehen sein. In dem Augenblick, als ihm klar wurde, daß er keine Chance mehr hatte, oder erst später. Er wußte es nicht.

Wie in Zeitlupe war das Geschehen vor ihm abgelaufen. Die Männer, ihre Schläge, die Demütigungen, die Schmerzen.

Sie hatten ihn erniedrigt, hatten ihn benutzt um ihre perversen Neigung an ihm auszutoben. Hatten seinen Willen gebrochen und seine Männlichkeit genommen. Seine ganze Kraft, Stärke und Dominanz.

Hilflos hatte er alles über sich ergehen lassen müssen. Er hatte sie angefleht, hatte geschrien, geheult. Und sie hatten einfach weiter gemacht.

Das Mittel, das er im Hospital bekommen hatte, hatte die körperlichen Schmerzen gestillt und die seelischen beruhigt. Soweit, daß er nicht noch weiter zusammenbrach.

Doch nicht genug, um ihm den erholsamen Schlaf zu gönnen und die schrecklichen Bilder vor seinem inneren Auge zu vertreiben.

Er war dankbar, jetzt nicht alleine zu sein. Er wußte, Scully war bei ihm. Nur wenige Meter entfernt. Er brauchte sich nicht mehr zu fürchten. Sie war da, sie würde ihn schützen. Er war in Sicherheit.

Solange Scully bei ihm war konnte ihm nichts mehr geschehen. Sie war so stark, sie würde nicht zulassen, das ihn jemand verletzte.

Er ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte den Kopf.

Es war nicht richtig. Er müßte der Stärkere von ihnen sein. Er müßte sie beschützen. Er müßte ihr Sicherheit bieten. Überall galt der Mann als der stärkere Part. Der Beschützer, der Kämpfer. Doch was für ein Mann war er, wenn er sich von einer Frau beschützen lassen mußte ? Einer Frau die nicht mal 160 cm groß war. Was war er für ein Mann, wenn er nicht mal für seine eigene Sicherheit sorgen konnte ?

Er hatte sich so schwach und ausgeliefert gefühlt. Und jetzt beruhigte ihn nur die Gewißheit, daß sie dort draußen war. Das sie ihn, wie eine Löwin, verteidigen würde.

Er fragte sich, wieso ihn diese Kerle nicht getötet hatten ? Wieso hatten sie ihm das angetan und waren dann einfach gegangen ? Hatten ihn sich selbst überlassen. Mit seinem Schmerz und der Demütigung alleine gelassen.

Er fühlte sich so schlecht. Es waren keine körperlichen Schmerzen, die ihn quälten. Es war der Schmerz in seinem Inneren. Sie hatten ihm das genommen, was ihn zu einem Menschen, zu Mulder machte. Sie hatten ihm seine Seele geraubt. Hatten sie ihm einfach aus dem Herzen gerissen.

Sie hätten ihn töten sollen. Warum hatten sie es nicht getan ? Warum ließen sie ihn diese Qual erleiden ? Warum folterten sie ihn jetzt noch ? Sie hatten ihm doch schon alles genommen. Hatten ihm seine Würde geraubt. Hatten ihn benutzt, ihn beschmutzt und dann einfach weggeworfen.

Das war schlimmer, als wenn sie ihn getötet hätten. So war nur seine Seele gestorben und sein Körper mußte mit der Qual und dem Schmerz weiterleben.

Er schluckte und schmeckte ihr Sperma in seiner Kehle. Er roch es auf seiner Haut, auf seiner Kleidung.

Er wollte schreien. Seinen ganzen Schmerz hinaus schreien.

Schweißnaß setzte er sich im Bett auf. Ließ seinen Blick benommen durch das Zimmer gleiten.

Er mußte hier raus. Er konnte nicht länger alleine hier bleiben. Er würde sonst wahnsinnig werden.

Ein schwacher Lichtschimmer fiel aus dem Wohnzimmer herein.

Er war zu benommen, um zu wissen, wo er sich befand. Er wußte nur, daß sie dort draußen war. Er mußte zu ihr. Sie würde ihn in die Arme schließen, würde ihn trösten und ihm etwas seiner Schmerzen nehmen. Bei ihr konnte er weinen. Er konnte sich an ihre Schulter lehnen und sich sicher fühlen.

Langsam schob er die Beine aus dem Bett und erhob sich. Er taumelte, als ihn Schwindel überrollte. Langsam wankte er zur Tür und zog sie auf.

Da lag sie, auf dem Sofa. Sie schlief. Er wollte sie nicht wecken, wollte sie nicht aus ihren Träumen reißen, doch er brauchte sie. Er brauchte sie wie ein Ertrinkender den Rettungsring. Sie war das einzige, was für ihn noch einen Sinn hatte. Hätte er sie nicht, dann hätte er sich längst eine Kugel in den Kopf gejagt und den ganzen Schmerz damit ausgeschaltet.

***

Erschrocken fuhr Scully auf. Durch das untrügliche Gefühl geweckt, von jemandem angestarrt zu werden.

Im schwachen Licht von der Küche sah sie Mulder in der Schlafzimmertür stehen. Er hatte sich gegen den Rahmen gelehnt und sah sie an.

Scully blinzelte kurz und warf wieder einen Blick auf die Uhr. Sie mußte tatsächlich geschlafen haben, denn inzwischen war es 5 Uhr geworden.

Mit einem Gähnen schob sie sich in die Höhe und rieb sich die Augen, " konntest du etwas schlafen ?"

Mulder schüttelte nur schwach den Kopf.

Scully nickte verständnisvoll und winkte ihn zu sich.

Zögernd löste sich ihr Partner vom Türrahmen und kam leicht schwankend auf sie zu. Neben ihr blieb er stehen. Unsicher, was er tun sollte.

Scully faßte nach seiner Hand und zog ihn neben sich aufs Sofa. Sie legte einen Arm um ihn und drückte sanft seinen Kopf gegen ihre Schulter. Ihre Finger fuhren durch sein weiches Haar.

Mulder schloß die Augen, dankbar für ihren Trost.

Eine ganze Weile saßen sie so schweigend da, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt.

" Ich ... ich habe geträumt," begann Mulder plötzlich leise.

" Das heißt: du hast doch etwas geschlafen," folgerte Scully, ohne ihre zärtlichen Liebkosungen zu unterbrechen.

" Nicht richtig."

" Und was hast du geträumt ? Willst du es mir erzählen ?"

Mulder schwieg wieder einen Augenblick, ehe er fortfuhr, " ich habe geträumt, daß du gekommen bist. Du hast die Kerle gepackt und ihnen die Abreibung des Jahrhunderts verpaßt."

" Wenn ich nur den Hauch einer Ahnung davon gehabt hätte, dann wäre ich gekommen und hätte sie mir vorgenommen," sagte sie leise.

Mulder sah zu ihr auf. Sein Blick, noch von den starken Beruhigungsmitteln getrübt, traf sie. Sein Gesicht verzog sich zu einem gequälten Lächeln. Er nickte schwach, " ich weiß. Du bist immer diejenige, die mir aus dem Schlamassel helfen muß. – Scully, danke, daß du im Hospital bei mir geblieben bist."

" Du mußt dich dafür nicht bedanken. Das weißt du doch."

" Danke, daß du jetzt hier bei mir bist," fuhr er unbeirrt fort.

" Naja, eigentlich ist es eher so, daß du bei mir bist."

" Ich hatte mich schon gewundert, wo das Bett plötzlich herkommt," seine Stimme war leise und schwach.

" Wie sieht es aus, soll ich uns Kaffee oder Tee kochen ?"

Mulder schüttelte den Kopf und lehnte sich wieder an Scullys Schulter, " ich bin so müde. Ich habe keinen Durst."

" Du solltest dich wieder hinlegen und versuchen noch etwas zu schlafen."

" Ich kann nicht. Sobald ich die Augen schließe, sehe ich diese Bastarde vor mir."

Scully blickte von oben auf ihren Partner herab und nickte entschieden. Sie drückte ihn in die Kissen und schob sich neben ihn. Mit einer Hand deckte sie sich und ihn zu und legte dann ihre Arme um ihn.

Mulder machte sich ganz schmal, damit sie genug Platz auf der Couch hatte. Scully mußte schmunzeln, über seine Rücksichtnahme.

Sie zog seinen Kopf auf ihre Brust und streichelte ihn zärtlich und beruhigend.

Sie spürte, wie er sich unter ihren Händen langsam entspannte, seine Atemzüge ruhig und gleichmäßig wurden.

Es dauerte nicht lange, bis auch sie wieder einschlief.

***

Als Dana Scully am Morgen erwachte, hörte sie das Wasser im Bad rauschen.

Verschlafen blinzelte sie und rieb sich die Augen. Mit einem verhaltenen Gähnen richtete sie sich auf.

Es war gerade 8 Uhr morgens. Mulder hatte demnach nicht sehr gut geschlafen, wenn er jetzt bereits unter der Dusche stand.

Scully schob die Decke zurück und erhob sich. Gemächlich schlurfte sie in die Küche, schaltete das Licht aus und setzte Kaffee auf.

Nach einem prüfenden Blick in den Kühlschrank, stellte sie fest, daß sie erst einkaufen mußte, ehe sie frühstücken konnten. Seufzend schloß sie den Kühlschrank wieder und holte Tassen aus dem Schrank.

Während der Kaffee durch die Maschine lief, ging sie ins Schlafzimmer, holte sich frische Kleider und streifte sich ihren Morgenmantel über.

Mulder war noch immer im Badezimmer, als der Kaffee bereits fertig war.

Scully füllte sich eine Tasse und setzte sich. Nachdenklich nippte sie an dem heißen Getränk, während sie darauf wartete, daß Mulder seine Dusche beendet hatte.

Es dauerte.

Als er nach 45 Minuten noch immer im Badezimmer war, erhob sie sich und klopfte höflich an die Tür, " Mulder, ist alles okay ?"

Sie bekam keine Antwort.

Erneut klopfte sie und rief, doch auch diesmal reagierte er nicht. Sie vermutete, das er sie durch das rauschende Wasser nicht hören konnte.

Entschlossen drückte sie die Tür auf und rief ihn noch einmal.

" Hm," brummte er.

" Ist alles in Ordnung bei dir ?" fragte sie nach.

" Mhm," kam die Antwort.

Scully schüttelte irritiert den Kopf. Mulder war zwar ein reinlicher Mensch, aber das er eine Stunde unter der Dusche brauchte, erschien ihr doch etwas absurd, " was treibst du da so lange ?"

" Ich kriege den Geruch nicht weg."

Scully schloß einen Augenblick verstehend die Augen, dann stieß sie die Tür ganz auf und trat ein.

Nur verschwommen konnte sie seine Konturen durch die Milchglasscheibe der Duschkabine sehen.

Sie nahm sich das große Badetuch und öffnete die Glastür. Blind tastete sie sich zum Wasserhahn vor und drehte es ab, während sie ihm das Handtuch hinhielt, " komm raus und trockne dich ab. Du stehst seit einer Stunde unter der Dusche. Nicht nur, daß du jeden Augenblick aufweichst. Du schrubbst dir auch noch die Haut von den Knochen. Komm raus, bitte."

Mulders Hände zitterten, als er sich das Handtuch schnappte und um den Leib wickelte.

Langsam trat er aus der Wanne heraus.

Seine Haare tropften und seine Haut war stark gerötet und dampfte von dem zu heißen Wasser. In seinen Augen lag ein verzweifelter Ausdruck.

Er befand sich in einem furchtbaren Zustand. Die Beruhigungsmittel hatten nachgelassen und die Erinnerung an die Geschehnisse einen neuen Schock ausgelöst.

Scully reichte ihm noch ein kleines Handtuch und half ihm, sich abzutrocknen.

" Ich bringe dir deinen Morgenmantel und du machst dich inzwischen fertig, okay ? Ich habe Kaffee gekocht. Das wird dir guttun," sagte sie sanft.

Mulder biß sich auf die Unterlippe. Langsam nickte er.

10 Minuten später trat er dann in die Küche. Seine Haut war noch immer gerötet. Er hatte sich frische Unterwäsche angezogen, den Morgenmantel übergestreift, war rasiert und gekämmt.

Scully deutete auf einen Stuhl und die Tasse Kaffee, die sie ihm bereits eingeschenkt hatte.

" Wie geht es dir jetzt ?"

Mulder schüttelte den Kopf, " ich rieche nach ihrem Schweiß."

" Das stimmt nicht. Du riechst genauso, wie sonst auch. Du riechst nach Mulder, nach keinem anderen."

Er warf ihr einen kurzen Blick zu und schüttelte den Kopf, " ich habe deine Seife aufgebraucht."

Scully zog die Augenbrauen in die Höhe, " das große Stück ?"

Mulder nickte nur.

" Ich muß sowieso einkaufen gehen, da kann ich gleich neue Seife mitbringen."

" Die Zahncreme ist ebenfalls leer."

Scully zog eine Augenbraue in die Höhe. Sie wußte, daß sie ihm eine ganz neue Tube eingepackt hatte, " ich werde es mit auf die Liste schreiben. - Hast du Lust, mich zu begleiten ?"

Er nippte an seinem Kaffee und schwieg.

Nach einer Weile schüttelte er den Kopf, dann hob er den Arm und schnupperte, " es ist ihr Geruch. Er ist in meinen Kleidern. Er ist in meinem Morgenmantel."

" Ich kann ihn waschen, wenn du möchtest. Aber dein Morgenmantel riecht nicht nach ihnen. Er riecht frisch. – Mulder, der Geruch existiert nur in deiner Phantasie. Er ist nicht real," versuchte Scully zu erklären.

Mulder schüttelte den Kopf und seufzte.

Langsam leerte er seine Tasse.

Scully erhob sich schließlich, " ich gehe jetzt ins Badezimmer. Wenn du noch Kaffee möchtest, in der Kanne ist noch. Du kannst dir ruhig nehmen. Zucker und Milch stehen auf der Anrichte. Und wenn du mich zum Einkaufen begleiten willst, könntest du dich schon mal anziehen. Ich habe nämlich Hunger."

Mulder nickte nur und starrte vor sich hin.

Scully blieb neben ihm stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter, " Mulder, glaube mir, du riechst genauso wunderbar wie sonst auch."

Als er nicht darauf reagierte, fuhr sie ihm tröstend durch die Haare und wandte sich dann ab.

Kurz darauf drang erneut das Rauschen der Dusche durch die Wohnung.

Scully brauchte nicht ganz so lange, wie Mulder zuvor. Bereits nach 20 Minuten stand sie angezogen wieder in der Küche.

Mulder saß noch immer auf dem Stuhl und starrte in die leere Tasse.

Scully trat hinter ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter, " na komm, zieh dich an und laß uns einkaufen gehen. Etwas frische Luft und Abwechslung werden dir guttun."

Erschrocken fuhr er auf. Sein Blick flitzte durch die Küche und blieb dann an ihr hängen. Er atmete erleichtert auf und schüttelte dann seufzend den Kopf, " ich ... ich möchte lieber hierbleiben."

Scully musterte ihn und nickte, " okay. Ich bin gleich wieder zurück. Es dauert nicht lange."

Schnell schlüpfte sie in ihre Schuhe, nahm ihre Jacke vom Haken und verschwand nach draußen.

Wenn sie gewöhnlich einkaufen ging, dann schlenderte sie durch die Gänge, blieb bei den einzelnen Angeboten stehen, oder ließ ihre Blicke über die Regalreihen gleiten. Meist hatte sie dann hinterher mehr eingekauft, als sie eigentlich wollte.

Diesmal hetzte sie jedoch mit ihrem Einkaufswagen durch die Gänge, warf die Waren, die sie brauchte, in den Korb und war bereits nach 5 Minuten an der Kasse.

Knapp 20 Minuten später war sie wieder zu hause.

Schon als sie die Tür aufschloß, drang ihr das vertraute Geräusch der Dusche in die Ohren.

Mit einem resignierenden Kopfschütteln schloß sie die Wohnungstür und brachte die Lebensmittel in die Küche. Schnell hatte sie alles in den Schränken verstaut.

Sie klopfte kurz an die Badezimmertür, rief: " Mulder, ich bin wieder zurück," und erhielt auch diesmal keine Antwort.

Nachdenklich kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und überlegte. Wenn Mulder in dieser Weise weiter duschte, würde er bereits am Abend keine Haut mehr auf den Knochen haben. Es mußte einfach etwas geschehen.

Aus ihrer Jackentasche angelte sie den Zettel der Selbsthilfegruppe hervor, die sie im Hospital bekommen hatte. 

Entschieden griff sie nach dem Telefon und begann die angegebene Nummer zu wählen.

Sie war fast fertig, als sie den Hörer wieder auflegte. Sie konnte es nicht tun. Sie konnte nicht einfach über seinen Kopf hinweg entscheiden. Es war ihm gegenüber nicht fair. Sie mußte zumindest erst einmal mit ihm darüber reden.

Seufzend drückte sie sich in die Höhe und stapfte abermals zur Badezimmertür. Noch immer rauschte das Wasser.

Scully klopfte kurz und öffnete dann die Tür. Sie wartete erst gar nicht auf eine Antwort von ihm.

Ein vorsichtiger Blick in den Raum und sie war bei der Kabine.

Sie wußte, daß sie an diesem Tag bereits zum zweiten Mal seine Intimsphäre gestört hatte. Doch hier handelte es sich um eine Ausnahmesituation und sie machte sich berechtigte Sorgen um ihren Partner.

Mulder saß in der Wanne, hatte die Beine angezogen und den Kopf auf die Knie gelegt. Seine Schultern zuckten. Er weinte.

Scully hatte keine Ahnung, wie lange er schon so dasaß.

Sie drehte das Wasser ab, griff sich das Handtuch und hängte es ihm über die Schultern.

Ihr Partner zitterte, obwohl die Temperaturen in der Kabine fast auf Saunaniveau und sein Körper vom Wasser aufgeheizt war.

Sie angelte noch seinen Morgenmantel heran und half ihm hinein. Energisch zog sie ihn in die Höhe und brachte ihn ins Wohnzimmer. Dort drückte sie ihn aufs Sofa.

Aus der Küche holte sie eine der Beruhigungstabletten, ein Glas Wasser und ließ sich damit neben ihm nieder.

Mulder weinte noch immer.

Scully legte ihre Arme um ihn. Sie hielt ihn und fuhr ihm beruhigend über den Rücken.

" Ich kriege es einfach nicht weg," sagte Mulder plötzlich krächzend.

Scully nickte, " ich weiß. – Willst du darüber reden ?"

Er schüttelte schwach den Kopf und schmiegte sich eng an sie.

Scully drückte ihm die Tablette in die Hand und das Glas, " na komm, nimm das, es wird dir helfen."

Gehorsam schluckte Mulder die Pille.

" Du weißt, daß du irgendwann darüber reden mußt. Nicht nur, damit wir diese Mistkerle, die dir das angetan haben, fassen können. Es ist auch für dich. Es wird dir helfen. Du solltest es zumindest versuchen."

" Ich ... ich kann nicht. Es ist so ... es war so ... – erniedrigend. Es hat so weh getan. Ich komme mir so ... ," brachte er mühsam heraus.

Scully schloß die Augen und nickte, " ich weiß. Du fühlst dich beschmutzt, besudelt. Sie haben dir etwas genommen, das du nicht bereit warst zu geben. Aber du wirst es nicht zurück bekommen, wenn du dich in deinen Schmerz vergräbst, wenn du dich einfach gehen läßt. Du machst es ihnen damit zu leicht und sie werden über dich siegen. Sie haben dir deine Stärke genommen. Aber du kannst sie zurück bekommen. Hilf uns diese Bastarde zu fangen und zeige ihnen, wer der Stärkere ist. Zeige ihnen, daß du dich von ihnen nicht unterkriegen läßt. Du wirst über sie triumphieren und du wirst sie besiegen. Du kannst es, ich weiß es."

Mulder schüttelte nur schwach den Kopf.

" Vor was hast du Angst ? Vor Ihnen ? Hast du Angst mir deine Gefühle zu offenbaren ? Hast du Angst, vor mir Schwäche zu zeigen ? – Du weißt doch, daß du mit mir über alles reden kannst, oder ?"

Mulder schluckte kurz, antwortete aber nicht.

Scully wartete, " ich werde dich niemals als schwach ansehen. Für mich bist du stark und ich bin unheimlich stolz, deine Partnerin zu sein."

Mulder beruhigte sich langsam, er hörte auf zu weinen, doch noch immer klammerte er sich Schutz suchend an sie.

" Im Hospital hat man mir die Nummer einer Selbsthilfegruppe gegeben. Sie wird von einem erfahrenen Therapeuten geleitet. Glaubst du, du könntest mit einem Fachmann eher darüber reden ?"

Mulder schwieg.

" Wir könnten mal hingehen und uns alles ansehen. Sehen, was sie dort tun. – Es würde dir helfen, zu hören, was andere Betroffene erlebt haben. – Bitte, denke darüber nach, okay ?"

Mulder nickte zögernd.

" Das heißt, du denkst darüber nach ?" hakte Scully nach.

" Ja. – Entschuldige Scully."

Scully strich ihm einige Strähnen aus der Stirn und sah ihm ins Gesicht, " für was entschuldigst du dich ?"

" Für alles. Das du dir solche Sorgen um mich machst, das ich dir hier solchen Ärger mache, daß ich deine Seife verbraucht und soviel Wasser verschwendet habe."

Scully mußte unwillkürlich schmunzeln, " Mulder – hör auf, dich zu entschuldigen."

Mulder lächelte etwas gequält und nickte, " okay, ich werde es versuche. – Scully, ich habe gerade ein Dèjá vu."

Scully zog die Augenbrauen in die Höhe und wartete auf seine Erklärung.

" Erinnerst du dich an die Waldmenschen ?" fuhr er auch schon fort. " Wir waren gezwungen, die Nacht mitten in der Wildnis zu verbringen. Ich hatte verzweifelt gehofft, daß es Schlafsäcke regnet."

" Ich wußte doch die ganze Zeit, daß du an so etwas gedacht hast," grinste Scully. " Glaube aber bloß nicht, daß ich jetzt wieder für dich singe. Einmal ‚Joy to the World‘ war genug."

" Und ich konnte wunderbar einschlafen. – Scully, weißt du, wo ich jetzt gerne wäre ?"

" Hm ?"

" Wieder dort im Wald. Ich wünschte, es wäre noch einmal diese Nacht. Ich hätte dann auch einen Schlafsack dabei."

Scully sah ihn fast entsetzt an, " du willst noch einmal eine Nacht in diesem furchtbaren Wald verbringen ?"

" Nein. Nicht noch einmal. Ich wünschte, es wäre wieder diese eine Nacht. Die, die wir erlebt haben."

" Warum ?" Scully konnte es nicht fassen. " Nur um mit mir in einen Schlafsack zu kriechen ?"

" Das würde mir gefallen," kam es leise von Mulder.

" Das glaube ich dir sogar."

" Ich weiß, es war eine furchtbare Nacht. Ich stand unter Schock und hatte Schmerzen. Aber ich fühlte mich nicht so wie jetzt. Wir hatten Angst, daß wir den Morgen nicht mehr erleben könnten. Aber es war etwas reales, etwas greifbares. Wir waren in der Lage, uns zu verteidigen. Und wir hatten uns beide."

" Wir haben uns jetzt auch, Mulder und du kannst dich auch verteidigen," sagte Scully sanft, die langsam verstand, was er meinte. " Ich bin hier bei dir und ich werde dich nicht im Stich lassen. Und wenn du uns hilfst, dann werden wir diese Kerle schnappen und sie landen für lange Zeit hinter Gittern. Das ist real und greifbar."

" Sicher. Aber ich habe mich ihnen so ausgeliefert, so hilflos gefühlt. Sie haben mir keine Chance zur Verteidigung gelassen. – Ich habe mich noch nie so klein, beschämt und verletzlich gefühlt. Sie haben mir nicht nur körperlich weh getan. Sie haben mir meine Seele, mein Ich aus dem Herzen gerissen. Sie haben mir meine Würde und meine Männlichkeit genommen. Und ich kam einfach nicht an diese verdammte Waffe rann. Ich habe um Hilfe gerufen. Doch keiner kam und ich konnte nichts tun. Sie sind wie Tiere über mich hergefallen, um ihre perverse Gier zu befriedigen. Sie haben mich einfach benutzt, wie ein verdammtes lebloses Stück Dreck."

Scully strich ihre Finger durch sein noch feuchtes Haar. Sie schwieg. Sie wußte, daß es besser war, ihn jetzt nicht zu unterbrechen. Er verlangte keine Antwort von ihr. Er brauchte nur jemanden, der ihm zuhörte. Der versuchte, ihn zu verstehen.

" Ich hatte keine Ahnung, das so etwas geschehen könnte. – Es hat doch gar nichts darauf hingedeutet. Ich wollte mich nur mit ihnen unterhalten. Nur mit ihnen reden. Und sie ...," er brach ab und weinte wieder. " Es war nicht fair," er schluchzte jetzt.

" Ich weiß," sagte Scully nachdenklich und mehr zu sich selbst. " Du konntest es nicht wissen. Es war nicht deine Schuld, Mulder. – Es ist okay."

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