World of X

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Das ewige Leben

von Petra Weinberger

Kapitel 1

FBI Headquarders; 14:30 Uhr

Mulder und Scully kamen vor wenigen Stunden aus Kalifornien zurück und hatten sich unverzüglich bei Assistent Direktor Kersh zu melden. Mulder hatte sich mal wieder über alle Vorschriften hinweggesetzt und gerade die Welt gerettet, und zum Dank wurde er dafür von Kersh zur Schnecke gemacht.

Scully war wütend. Nicht nur, daß ihr Partner von ihrem Chef erniedrigt wurde, nein, Kersh hatte ihn als Märtyrer hingestellt und gedroht, ihr die Spesen von mehreren Tausend Dollar vom Gehalt abzuziehen. Und nun durften sie wieder zu ihren Misthaufen gehen.

Deprimiert lief sie den Gang entlang. Sie wußte, daß Kersh seine Drohung wahr machte. Sie würde also ziemlich wenig von ihrem nächsten Gehalt sehen.

Doch das war nicht mal das Schlimmste, was ihr Sorgen bereitete. Es war zwar nicht erfreulich, aber sie sorgte sich mehr um ihren Partner. Sie wußte, daß er irgendwann an den ganzen Demütigungen zerbrechen würde. Sie fragte sich, wie lange er dem wohl noch standhalten konnte?

Resignierend drückte sie die Bürotür auf.

Mulder legte gerade den Telefonhörer auf. Nachdenklich lehnte er sich im Stuhl zurück und drehte einen Stift zwischen seinen Fingern.

Seufzend schloß Scully die Tür und trat neben ihn, "Mulder, ich habe gerade festgestellt, daß es eine Freude war, unter Skinner zu arbeiten."

Ihr Partner nickte nur flüchtig: "Sollte dir Kersh tatsächlich die Auslagen vom Gehalt abziehen, dann sag es mir bitte. Du mußt das nicht zahlen. Ich habe den Mist gebaut. Es war nicht deine Schuld."

Scully ließ ihren Blick über ihn gleiten. Er sah angespannt und traurig aus.

"Kersh sagte, es wäre ihm auch egal gewesen, wenn wir einen Schulbus voller rehäugiger Kinder gerettet hätten. Wir sollten endlich einsehen, das wir die X-Akten nicht mehr haben. – Mulder, ich sage es nicht gerne, aber wir sollten wirklich versuchen, uns etwas an die Spielregeln zu halten. Spender und ... Fowley haben unsere Akten und wenn wir sie wiederhaben wollen, dann müssen wir uns eben etwas zusammenreißen. So schwer es auch fällt. Ich weiß, du bist deprimiert, weil Spender unsere Arbeit macht und davon keine Ahnung hat. Du glaubst, er hat dir deine ..."

Mulder unterbrach sie, mit einer Handbewegung. "Ist schon okay, Scully. Du hast ja recht. Ich sollte mich wirklich etwas – zusammenreißen." Mit einem Ruck erhob er sich, schnappte seine Jacke von der Stuhllehne und ging zur Tür.

"Wo willst du denn hin? Kersh hat uns ..."

Wieder unterbrach er sie. "Ich denke, ich habe noch genug Überstunden abzufeiern. – Wir sehen uns morgen." Damit war er aus der Tür.

Verwirrt starrte Scully dorthin, wo ihr Partner eben noch gestanden hatte. Sie fragte sich, wie schlimm die Depression wohl war und ob es nicht besser wäre, ihm zu folgen. Sie hatte Angst, daß er wieder etwas Unvernünftiges tat. Er war prädestiniert dafür, den Ärger seiner Vorgesetzten auf sich zu lenken. Doch andererseits brauchte er vielleicht einfach nur etwas Abstand. Sie wußte ja, wie er mit Unschuldigen fühlte. Wie emotional eingebunden er immer war. Und diesmal war ein Unschuldiger in seinem Beisein gestorben. Er hatte seine ganze Kraft eingesetzt, um das Unglück zu verhindern und war doch gescheitert. Vielleicht brauchte er einfach etwas Zeit, um zu verstehen, daß ihn keine Schuld traf. Daß er nicht mehr hätte tun können, als er getan hatte.

Sie hoffte, daß er wenigstens etwas Schlaf finden konnte. Denn seit der irren Fahrt mit Patrick Crump durch das halbe Land, hatte er noch nicht geschlafen, und auch während des Rückfluges lediglich etwas geruht.

Langsam wandte sie den Blick von der Tür ab und ließ sich hinter ihrem Schreibtisch nieder. Nur schwer konnte sie sich auf die Akte konzentrieren, die sie bearbeiten sollte. Immer wieder glitten ihre Gedanken zu ihrem Partner.

Erschrocken fuhr sie hoch, als die Tür aufging.

Direktor Kersh trat ein und sah sich suchend um, "Wo ist Mulder? Geht er schon wieder ungenehmigte Wege?"

"Nein, Sir. Agent Mulder ist ...," diesmal unterbrach sie sich selbst. Sie wollte ihren Partner nicht verraten, denn sie wußte nicht, ob er sich ordnungsgemäß abgemeldet hatte. Sie wollte ihm noch mehr Ärger ersparen.

Kersh erwartete gar keine Antwort von ihr. "Schon gut. Sie brauchen nicht für ihn zu lügen. Ich habe hier einen Fall, der in Ihr Ressort gehört." Er warf eine Akte auf ihren Schreibtisch und sah sie streng an. "Sie arbeiten mit einem zweiten Team zusammen. Sorgen Sie dafür, daß sich Ihr Partner entsprechend verhält. Sonst war er die längste Zeit beim FBI. Ich hoffe, ich habe mich klar genug ausgedrückt."

Scully senkte den Kopf. "Ja, Sir. Sehr klar." murmelte sie.

"Haben Sie ein Problem damit, daß ein zweites Team mit Ihnen arbeitet?" kam es scharf.

"Nein, Sir. Ich werde mich sofort in den Fall einarbeiten."

Kersh nickte zufrieden und erklärte, worum es ging.

Resignierend seufzte Scully, als er endlich das Büro verließ. Sie wußte, es war wieder eine Strafarbeit.

***

Mulders Apartment; 18 Uhr

Scully eilte den Flur entlang und klopfte kurz darauf an seine Tür. Sie hoffte, daß ihr Partner Zuhause war. "Mulder, ich bin’s!"

"Komm rein, es ist offen!" hörte sie seine Stimme.

Mulder saß auf seinem Sofa. Er hatte sich zurück gelehnt und die Augen geschlossen. Er sah nicht mal auf, als sie eintrat.

"Ist alles okay?" fragte sie vorsichtig und musterte ihn besorgt.

Er war blaß und hatte Ringe unter den Augen. Scully war sicher, daß er noch immer nicht geschlafen hatte.

Er nickte nur knapp, fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und sah sie dann an. "Es geht mir gut," seufzte er.

Scully verzog das Gesicht, "ist das nicht mein Satz? – Mulder, dir geht es nicht gut. Du siehst müde und erschöpft aus. Du solltest versuchen etwas zu schlafen."

Er schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht. – Scully, weshalb bist du hier? Willst du nur sichergehen, daß ich nichts Dummes anstelle, oder hat Kersh dich geschickt, um mir mitzuteilen, ich bräuchte nicht zurückzukommen?"

Scully atmete einmal tief durch und ließ sich neben ihm nieder. "Weder noch. Ich wollte sehen, wie es dir geht und dir sagen, daß wir einen neuen Auftrag haben."

Mulder warf ihr einen flüchtigen Blick zu. "Was? Misthaufen umgraben?" seine Stimme klang müde.

"Nein. Eine Überwachung. Wir sollen ein zweites Team um Mitternacht ablösen. Es geht um..."

Mulder schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich mitkomme. Vielleicht solltest du dir einen anderen Partner suchen."

"Mulder, was ...?" Scully war sichtlich erschrocken. "Du willst aufgeben? Du willst kündigen? Ist es das?"

Mulder starrte einen Augenblick vor sich hin, ehe er langsam nickte.

"Aber, was ist mit unsrer Arbeit? Unserer Suche nach der Wahrheit? Ich weiß ja, daß wir im Augenblick Strafarbeiten erledigen. Aber ich bin sicher, wir werden die X-Akten irgendwann wiederbekommen. Spender hat doch gar nicht die Qualitäten diese Akten zu bearbeiten. Er wird scheitern und man wird uns zurück holen. Auch wenn ... Fowley vielleicht daran glaubt, sie wird Spender damit nicht retten können."

"Ich weiß. Aber ich weiß nicht, ob mir das noch wichtig ist," antwortete er leise. "Zudem war es meine Suche, nicht deine, Scully."

"Das ...," Scully konnte nicht glauben, was sie da hörte. "Mulder, das akzeptiere ich nicht. Wir haben soviel gesehen und erfahren. Soviel gemeinsam erlebt auf der Suche nach der Wahrheit. Wir haben es zusammen getan. Es ist auch zu meiner Suche geworden und ich kann es nicht einfach hinnehmen, daß du aufstecken willst, nur weil Kersh dich gerügt hat."

Mulder ließ den Kopf sinken und knetete seine Finger. "Es hat mit Kersh nichts zu tun. Es – ich weiß nicht mehr, ob das alles überhaupt einen Sinn hat. Ob ich nicht die ganzen Jahre nur Schatten nachgejagt bin. Phantomen. Und wenn ich weiter suche, werde ich dich nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen. Es ist besser, wenn ich aus deinem Leben verschwinde. Du hast es nicht verdient, wegen mir ständig in neue Schwierigkeiten zu geraten. Du bist eine fabelhafte Agentin, du bist verdammt intelligent und kannst Karriere machen. Aber wenn ich weiter mit dir zusammen arbeite, wirst du immer ganz unten bleiben. Ich ... ich kann dir nicht länger im Weg stehen."

"Glaubst du denn wirklich, daß es mir wichtig ist, irgendwann mal in die Direktionsetage zu kommen? Mulder, du bist mir wichtig. Wir haben so lange gesucht, so lange gemeinsam gearbeitet. Ich will das nicht aufgeben und wenn ich in Schwierigkeiten gerate, dann nicht deinetwegen, sondern weil ich es will. Weil ich dich begleiten will. Weil ich mit dir suchen will. Und – bist du jetzt nicht genau an dem Punkt, an dem ich vor einem halben Jahr war? Du hast mich überzeugt. Du hast mich ermutigt weiterzumachen. Du hast mir gesagt, das du mich brauchst. Das ich dich zu einer ganzen Person mache. Das du ohne mich das alles nicht tun könntest. – Mulder, mir geht es nicht anders. Ich brauche dich auch. Ich möchte keinen anderen Partner, oder Karriere. Ich möchte dich und ich möchte mit dir zusammen wieder die X-Akten zurück haben. Alleine, hätte das alles keinen Wert mehr für mich. Ich ... ich würde dann pausenlos an dich denken und mich fragen, was du tust. Ich will dich nicht verlieren. Du bist wichtig für mich."

Mulder biß sich auf die Unterlippe und schwieg.

Scully wartete, doch sie bekam keine Antwort. "Was ist mit deiner Schwester? Wenn du die Arbeit aufgibst, dann gibst du auch deine Schwester auf. Dann wirst du nie erfahren, was damals geschah. Was mit ihr geschah."

"Ich ..." Mulder schluckte. "Ich weiß nicht mal, ob ich das jemals erfahren werde. Ich habe einfach keinen Glauben mehr daran. Scully ... ich ..."

"Mulder, wenn du jetzt aufgibst, dann wirst du niemals erfahren, ob du es erfahren wirst. Und irgendwann wirst du dir Vorwürfe machen, daß du einfach aufgesteckt und nicht weitergesucht hast. Du kannst damit nicht leben und ich kann es auch nicht. – Was willst du tun, wenn du beim FBI kündigst? Du hast doch gar keine Alternativen, oder?"

Mulder lehnte sich wieder zurück und schloß die Augen.

"Du kannst mir nicht erzählen, daß du zu den Einsamen Schützen gehst. Ich weiß, es sind deine Freunde, aber ... Mulder, ich kann das nicht alleine machen. Ich brauche dich dabei. Bitte. Wenn du kündigst, dann werden wir uns ... Was muß ich tun, um dich zu überreden, zu bleiben?"

Wieder warf er ihr einen kurzen Blick zu, schließlich atmete er tief durch. "Ich bekam heute einen Anruf von einem Freund. Er hat mir angeboten als Gastdozent an der Columbia University zu arbeiten. Parapsychologie und Okkultismus. Ich könnte dort ..."

Scully hatte ihm immer zugehört, wenn er mit ihr sprach. Doch jetzt konnte sie ihre Gedanken nicht bei seinen Worten halten. Unwillkürlich schweiften sie ab.

Sechs Jahre waren sie nun schon Partner und Freunde. Sie wußte, wenn er kündigte, dann würde sie ihn verlieren. Dann würde sie ihn vermutlich niemals wiedersehen. Der Gedanke daran machte ihr Angst. Sie wollte ihn nicht verlieren. Nicht als Partner, nicht als Freund und nicht als ... als was? Es hatte nie mehr gegeben. Partnerschaft und Freundschaft. Mehr war nicht. Und doch spürte Scully, das es da noch etwas gab. Sie wußte es. Sie würde alles für ihn tun und sie wußte, daß sie ihn nicht verlieren wollte. Niemals. Sie liebte ihn. Ihr Verstand machte es ihr in genau diesem Augenblick klar. Und tief in ihrem Herzen wußte sie, daß er genauso empfand. Er hatte es noch nie gesagt. Hatte noch nie den Mut aufbringen können. Ebenso wenig wie sie selbst. Doch sie wußte es und war sich seiner Gefühle sehr sicher. Sie mußte ihn einfach halten.

Ihr Blick glitt über ihn. Er sprach noch immer. Doch sie hörte seine Worte nicht. Sah ihn nur an. Sah, wie sich seine Lippen bewegten. Sah das traurige, verzweifelte Schimmern in seinen Augen. Sah seine angespannte Haltung, wie er seine Hände knetete und schließlich zu Fäusten ballte.

Ihr Blick glitt wieder zu seinem Mund. Er hatte sinnliche Lippen. Es war ihr schon früher aufgefallen. Sie hatte es jedoch immer wieder verdrängt. Immer weiter vor sich hergeschoben in dem festen Glauben, daß sie noch Zeit dazu hätte.

Doch jetzt wurde ihr klar, daß sie keine Zeit mehr hatte. Wenn sie nichts unternahm, dann würde er gehen und sie ihn vielleicht nie mehr wieder sehen. Nie mehr seine Umarmung spüren, seine Kraft, wenn sie ihn brauchte. Nie mehr seinen Trost fühlen. Der Gedanke daran drohte ihr das Herz zu zerreißen. Er durfte nicht gehen. Nicht so. Nicht, ohne das sie es ihm gesagt, gezeigt hatte.

Sie mußte es tun. Jetzt. Sofort. Später war vielleicht keine Zeit mehr dazu. Dann könnte es schon zu spät sein.

"... vielleicht die Chance, meine ..." sagte er leise und hatte nicht bemerkt, daß Scully keines seiner Worte verstanden hatte.

"Mulder." unterbrach sie ihn, ohne auf seine Worte zu achten. Sie wußte nicht mal, ob sie sie überhaupt gehört hatte. "Ich möchte nicht, daß du gehst. Ich möchte nicht, daß du mich so einfach hier zurück läßt. Ich möchte nicht, daß du aus meinem Leben verschwindest. Ich könnte es nicht ertragen. Ich ... ich liebe dich."

Mulder stoppte in seinen Ausführungen. Seine Kinnlade klappte nach unten. Sein Kopf schoß herum und seine Augen wurden groß vor Überraschung.

Scullys Blick glitt über sein Gesicht, zu seinen Lippen. Ein halbes Jahr lag es zurück, daß er sie fast geküßt hätte. Daß diese Lippen ihren Mund berührt hätten. Und dann kam diese verfluchte Biene und hatte es im letzten Augenblick verhindert.

Scully war sicher, daß es hier jetzt keine Bienen gab und alles, was sie jetzt wollte war, diese Lippen zu berühren. Zu streicheln, zu liebkosen, zu küssen.

Bevor Mulder sich von seiner Überraschung erholen konnte, beugte sich Scully zu ihm hinüber. Ganz sanft berührte sie mit ihren Lippen die seinen. Nur ganz kurz, dann zog sie sich wieder zurück. Wartete auf seine Reaktion.

Ihr Blick bohrte sich in seine Augen. Die Überraschung darin verschwand, etwas anderes glitzerte auf.

Langsam hob er eine Hand. Seine Finger fuhren zärtlich zu ihrem Gesicht, streichelten ihre Wange, die Seite ihres Halses, an ihrem Ohr vorbei in ihren Nacken.

"Ich ..." er räusperte sich und schwieg. Sah sie nur an. Versuchte in ihrem Blick zu lesen, so, wie er es immer getan hatte.

"Ich liebe dich – und ich will dich. Jetzt! Hier! Auf der Stelle!" Ihre Stimme klang verführerisch, verlangend, mit einem Hauch Verzweiflung und Angst.

Mulder schloß die Augen und stöhnte kurz auf. Er konnte nicht glauben, was er da hörte. Er liebte sie auch. Er liebt sie mehr als sein Leben. Aber nie hätte er erwartet, daß sie ebenso empfand. Nie hätte er erwartet, diese Worte jemals aus ihrem Mund zu hören. Es war zuviel für ihn. Er hatte das Gefühl, jeden Augenblick die Besinnung zu verlieren. Er wollte sie so sehr, daß sein Verlangen schon schmerzte, doch er hatte nicht zu träumen gewagt, daß es wahr werden könnte.

Es mußte einfach ein Traum sein. Der Moment war zu unpassend, erschien ihm zu unwirklich. Er wußte nicht wieso? Wieso gerade in diesem Augenblick? Es gab tausend Momente die passender gewesen wären, so etwas zu sagen oder zu tun. Wieso gerade jetzt?

Er öffnete wieder die Augen. Sie saß noch immer direkt vor ihm. Sah ihn mit diesem Leuchten in den Augen an, das er noch niemals zuvor bei ihr gesehen hatte. Bei anderen Frauen schon, aber nicht bei Scully. Und nun sah sie ihn so an.

Er schluckte noch einmal. "Ich ... Warum?"

Scully zog eine Augenbraue in die Höhe. Warum? Fragte er das wirklich? Wußte er es wirklich nicht?

"Warum jetzt?" wiederholte er.

"Ich liebe dich. Meine Gefühle liegen so klar und deutlich vor mir. Ich weiß, daß ich dich will und das ich dich liebe. Ich will dich jetzt, ich brauche dich jetzt." Sie schlang ihre Arme um ihn und zog ihn zu sich heran.

Seinen Blick gefangen haltend näherte sie sich ihm. Sanft berührte sie seine Lippen, küßte ihn. Erst ganz zart, dann immer intensiver. Sie spürte, wie seine Anspannung verschwand und die Leidenschaft ihn überkam.

Hart zog er sie zu sich heran. Seine Lippen öffneten sich und ließen sie ein. Ihre Zungen trafen sich, spielten miteinander, streichelten sich und erkundeten die Mundhöhle des anderen.

Sie verloren sich in diesem Kuß.

Alle Emotionen, alle Gefühle, alle Gefahren und alle Ängste lagen in diesem Kuß. Sie waren wie im Rausch. Keiner wollte nachgeben, wollte zurückweichen.

Es war, als ob Dämme brächen oder Schleusentore sich öffneten. Die Zeit schien stillzustehen. Zumindest für sie.

Mulders Verstand schaltete ab. Die Frage: Warum? schob er so schnell zurück, wie sie aufgetaucht war. Er kannte Scully lange genug. Er wußte, daß sie sich nicht aus irgendwelchen widrigen Gründen einem Mann einfach so an den Hals werfen würde. Sie war der einzige Mensch, dem er bisher vertraut hatte und dem er immer vertrauen würde. Er glaubte nicht daran, daß sie es vielleicht nur tat, um ihn zu halten. Scully würde ihre Freund-, ihre Partnerschaft und ihr Vertrauen nicht auf eine solche Weise mißbrauchen und bloßstellen.

Er schloß die Augen. Das Gefühl ihrer Lippen auf seinen war einfach zu schön. Zu lange schon hatte er diesen Moment herbei gesehnt. Oft genug stand er kurz davor. Entweder hatte ihn seine eigene Feigheit oder eine Biene davon abgehalten, dies zu erleben. Er wollte und konnte nicht aufhören.

Niemals zuvor hatte er so etwas erlebt. Keine Frau hatte soviel in einem einzigen Kuß ausgedrückt, wie Scully. Keine Frau, hatte solch starke Gefühle in ihm erweckt.

Ihre Lippen, so stürmisch, besitzergreifend, verlangend und doch so sanft und zärtlich.

Ihm wurde fast schwindlig, bei dem Gedanken daran, daß er tatsächlich Scully in seinen Armen hielt. Daß er sie küßte.

Und, verdammt, er war auch nur ein Mann und welcher Mann würde bei einer solchen Frau "Nein!" sagen? Bei einer Frau, die er über alles liebte, für die er durch die Hölle gehen würde.

Er konnte es nicht und er wollte jetzt auch nicht darüber nachdenken, was vielleicht weiter geschehen, welche Konsequenzen es haben könnte.

Seine Hände hielten sie gefangen, hielten sie fest, um sie nie wieder los zu lassen. Er wollte nicht aufhören, sie zu küssen. In diesem Augenblick brauchte er wirklich nicht mehr.

Scully lehnte sich in seine Arme. Langsam sanken sie im Sofa zurück.

Ihre Hände strichen seinen Rücken hinauf und langsam an der Wirbelsäule wieder hinunter, über den Steiß hinweg, zu seinem Po. Sanft massierte und knetete sie das feste Fleisch.

Mulder stöhnte in den Kuß hinein. Er konnte seine Erregung nicht verhindern. Konnte sein aufsteigendes Verlangen nicht bezähmen.

Scullys Finger glitten langsam an der Naht seiner Jeans entlang, immer tiefer. Doch ihre Arme waren zu kurz, um ihn dort zu berühren, wo sein Verlangen am größten war.

Zitternd atmete er in ihren Mund. Wild tanzte seine Zunge um ihre und über ihre Zahnreihen.

Fast schmerzhaft drückte sich seine Erregung gegen die enge Jeans.

Mulder bewegte sich leicht und preßte seinen Unterleib gegen ihren Schenkel.

Scullys Hände massierten fester, kneteten den Stoff seiner Hose und drückte ihn noch enger an sich.

Erneut stöhnte er auf. Seine Finger wanderten an ihren Seiten entlang, langsam nach unten. Zärtlich und doch bestimmend strich seine Hand über ihren Schritt. Zu stark, zu schmerzhaft war das Verlangen.

Scully stieß einen unterdrückten Schrei aus bei der Berührung. Sie spürte ihre eigene Feuchtigkeit. Ihre Gier.

Sanft rieb er sein Becken über ihr Bein.

Er konnte kaum glauben, was sie hier taten. Er war sicher, daß es nur ein Traum war. Es konnte nur ein Traum sein.

Noch immer lagen seine Lippen auf ihren, als ein Beben durch Scullys Körper ging und sie heftig aufstöhnte.

Mulder sah sie an. Seine Nasenspitze auf ihrer. Sah ihr genau in die Augen. In dieses herrliche Blau. Das schönste Blau, das er jemals zuvor gesehen hatte. So klar und erfrischend wie ein Gebirgssee. Ihre Pupillen waren geweitet. Sie bäumte sich unter ihm auf, drückte ihr Becken gegen ihn und stöhnte laut in seinen Mund.

Mulder hatte das Gefühl, in einen Strudel zu taumeln und darin zu versinken. Er kam kurz nach ihr. Seine Lippen lösten sich von ihren, als er im Rausch des Höhepunktes ihren Namen hinaus stöhnte.

Nur langsam beruhigte sich sein Atem. Keiner konnte sagen, was genau eben geschehen war. Was mit ihnen geschehen war. Sie hatten sich nur geküßt und doch war es der längste und der befriedigendste Kuß, den sie jemals erlebt hatten.

Als die Hitzewellen abklangen und der Verstand wieder die Oberhand gewann, kam der Schock.

Zärtlich, aber bestimmend drückte sich Scully nach oben und ihn von sich herunter. Sie konnte ihn nicht ansehen und auch Mulder wandte seinen Blick zur Seite.

"Scully, ich ... ich ... es tut mir leid." brachte er mühsam heraus.

Scully schüttelte den Kopf und richtete ihre Kleidung. "Nein, es war nicht deine Schuld. Es war – ich muß mich bei dir entschuldigen. Ich weiß nicht, was ... was in mich gefahren ist."

Schweigend saßen sie eine Weile auf dem Sofa. Keiner wußte, was er noch sagen sollte.

Schließlich erhob sich Scully. "Ich – ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Ich muß mich noch umziehen und auch etwas schlafen. Es dürfte eine lange Nacht werden und ich sollte wenigstens etwas ausgeruht sein."

Mulder nickte und starrte auf den Couchtisch. "Wann und wo sollen wir die Kollegen ablösen?"

Wir? Hatte er eben: ‘wir’ gesagt?

"Du – du wirst dabei sein? Als mein Partner?" fragte sie vorsichtig. Sie hatte Angst, daß sie sich vielleicht nur verhört, oder er sich falsch ausgedrückt haben könnte.

Doch Mulder nickte: "Ja, ich werde dabei sein. Ich denke, es ist die falsche Zeit, um zu kündigen. Es gibt noch zuviel zu tun."

Scully schloß kurz die Augen und atmete einmal tief durch. Sie wollte Jubeln, ihm um den Hals fallen. "Ich hole dich um kurz vor Mitternacht ab, okay?" zwang sie sich zu einer ruhigen Antwort.

"Okay. Wir sehen uns dann."

"Du solltest versuchen, noch etwas zu schlafen." sagte sie leise und wandte sich ab.

Mulder hob nicht den Kopf. Er sah ihr nicht nach, als sie zur Tür ging und verschwand.

Einen Augenblick saß er noch auf dem Sofa. Unfähig zu verstehen, was eben geschehen war. Was mit ihm und Scully geschehen war. Was sie getan hatten.

Er wußte, daß es kein Traum war, denn seine Hose klebte unangenehm feucht an ihm. Langsam drückte er sich schließlich in die Höhe und verschwand im Badezimmer, um die Spuren seiner Lust wegzuwaschen.

***

Im Norden von Washington DC; 1 Uhr nachts

Die Gegend sah öde und trostlos aus. Nur einige verlassene Backsteinhäuser standen noch hier. Das Gebiet sollte saniert werden. Man wollte eine Wohngegend daraus machen. An einigen Stellen hatte man bereits vor Jahren mit dem Abriß begonnen, doch die Arbeiten dann, aus Sparmaßnahmen wieder eingestellt. Man suchte noch verzweifelt nach Investoren. Aber niemand zeigte wirklich Interesse daran. Und so war diese Gegend der ideale Platz für Gauner und zwielichtige Gestalten. Kein Normalsterblicher verirrte sich in diese Gegend, in der die Ratten ganz offen über die Straßen huschten und man nie sicher sein konnte, ob man lebend nach Hause zurückkehrte.

Mulder und Scully hatten für ihre Beobachtung das ideale Fahrzeug. Es sah aus, als käme es direkt von einem Schrottplatz oder sei auf dem Weg dorthin. Doch der erbärmliche Zustand war nur äußerlich. Der Motor schnurrte noch wie ein Kätzchen und brachte es auch noch spielend auf 180 km/h. Doch jetzt war er ausgeschaltet.

Die Inneneinrichtung sah alt und verschlissen aus und Mulder fühlte sich sichtlich unwohl in den abgewetzten Polstern. Er war besseren Standard gewohnt. Allerdings wußte er, daß er hier nicht mit einem neuen Ford auftauchen konnte. Er hätte damit sofort Verdacht erregt und so ergab er sich in sein Schicksal.

Schweigend ließen er und Scully ihre Blicke die Straße entlang gleiten. Ihr Objekt verschanzte sich zwei Häuser vor ihnen: Ein angeblicher Bauer, der große Mengen Ammoniumhydrat als Düngemittel geordert hatte. Kollegen der State Police hatten jedoch diesen Bauern schon lange im Visier und nun berechtigte Zweifel an seinen redlichen Absichten gehegt. Das FBI wurde eingeschaltet, als der Mann des öfteren in dunklen Kreisen und mit sehr zweifelhaften Gesellen gesehen wurde. Männern, die als Terroristen bekannt waren, denen man bisher jedoch nichts nachweisen konnte.

Dieser angebliche Bauer saß nun seit mehreren Stunden in einer Wohnung eben dieses Hauses und war nicht alleine. Zwei stadtbekannte Verbrecher leisteten ihm Gesellschaft und es war zu vermuten, daß er in dieser Nacht noch Geschäfte sehr zweifelhafter Art abwickeln würde. Aus diesem Grund saßen Mulder und Scully nun in diesem Wagen und ließen den Hauseingang nicht aus den Augen.

Über das, was am Vorabend in Mulders Apartment geschehen war, hatten sie noch nicht gesprochen. Beide mieden das Thema. Doch in ihren Gedanken lief dieses Ereignis immer wieder ab.

Gelegentlich warfen sie sich flüchtige, forschende Blicke zu.

"Mulder." begann Scully schließlich und brach das quälende Schweigen.

Ihr Partner wandte seinen Blick vom Haus ab und ihr zu.

"Wärst du glücklich geworden, an der Columbia University, als Gastdozent, unter lauter Studenten?" fuhr sie leise fort.

Mulder kniff die Augen zusammen und überlegte. Schließlich hob er die Schultern: "Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber das ist auch nicht mehr wichtig. Ich habe meinen Bekannten angerufen und abgesagt."

Scully nickte und sah wieder die verfallene Häuserzeile entlang, "Wegen dem, was letzten Abend in deinem Apartment ...?"

"Nein," unterbrach Mulder sie. "Das hat damit nichts zu tun. Du ... – du hättest es auch nicht tun müssen, um mich beim FBI zu halten."

Scullys Kopf ruckte zu ihm herum, "Glaubst du wirklich, ich hätte es deswegen getan?"

Mulders Blick glitt über ihr Gesicht, in ihre wunderbaren strahlenden, hellen Augen. Er lächelte flüchtig und schüttelte den Kopf. "Nein. Natürlich nicht. Du hast solche ... Tricks nicht nötig. – Eigentlich wollte ich dir gerade erklären, daß ich beim FBI bleibe, als du über mich hergefallen bist."

"Ich bin nicht über dich hergefallen. Ich habe dich geküßt, aber ich bin nicht über dich hergefallen. Du hast damit angefangen. Du hast deinen ..."

Mulders Augen blitzten vergnügt auf. "Was habe ich? Mich gegen dich gepreßt? Natürlich. Oder was glaubst du, passiert mit einem Mann, der so angebaggert wird?"

"Ich habe dich nicht ‘angebaggert’," empörte sich Scully sofort.

"Okay, dann nennen wir es eben verführt. Klingt das besser? Ich bin auch nur ein Mann."

"Natürlich. Und ich bin eine Frau. Was denkst du denn, was ich hätte tun sollen? Kalt und gefühllos wie ein Fisch einfach aufstehen und gehen?"

"Nein. Das ..." Mulder brach ab und mußte anfangen zu lachen.

Scully sah ihn verwirrt an, "Was? Was ist jetzt los?"

"Scully, ich denke, wir wissen beide nicht so recht, was da eigentlich geschehen ist, oder?"

"Äh ... – naja... – ich meine ... Und deshalb lachst du?"

Mulder nickte und biß sich auf die Unterlippe. "Scully, weshalb streiten wir uns darüber, wer, wann, wie angefangen hat und warum es dann weiterging? Ich denke, in diesem Augenblick wollten wir es beide und kamen beide nicht dagegen an. Aus welchem Grund auch immer. Wenn du es lieber vergessen möchtest, dann werden wir nicht mehr darüber reden. Okay?"

Scully musterte ihn nachdenklich. "Mulder, was ich dir gesagt habe, habe ich ernst gemeint. Ich hätte es dir schon längst sagen sollen, aber ich konnte nicht. Als du mir dann gestern Abend erklärt hast, daß du aufhören willst, da bekam ich furchtbare Angst. Angst, dich zu verlieren. Angst, keine Chance mehr zu bekommen, dir zu sagen, was ich fühle. Ich dachte, wenn du jetzt aufhörst, dann sehen wir uns nie wieder. Und ..."

Mulder hob seine Hand und fuhr ihr zärtlich über die Wange. "Ich weiß. Du brauchst es mir nicht zu sagen. Ich ..." Er unterbrach sich. Sein Blick wanderte von Scully zum Ende der Straße.

Drei schemenhafte Gestalten tauchten dort aus dem Schatten auf und steuerten zielsicher das Haus an, in dem sich die Verdächtigen aufhielten.

Scully folgte seinem Blick und zog ihre Waffe aus der Holster. Nur kurz überprüfte sie das Magazin, dann schob sie sie in ihre Jackentasche, "Scheint so, als ginge es los. Gehen wir."

Mulder runzelte die Stirn, "Wir haben sechs Gegner. Wir sollten vielleicht besser Verstärkung rufen."

"Bis die kommt, ist das Geschäft abgeschlossen und wir stehen mit leeren Händen da." erwiderte Scully und drückte die Tür auf, als die drei Gestalten im Hauseingang verschwanden.

Mulder überprüfte ebenfalls seine Waffe und folgte ihr ins Freie. "Du willst unbedingt Held spielen, was?"

"Nein. Dazu habe ich nicht die richtigen Ambitionen. Ich will nur diesen verrückten Fall abschließen und die Kerle daran hindern, im letzten Moment zu türmen. Wir müssen schließlich wissen, mit wem der Kerl seine Geschäfte macht."

Leise eilten sie den Weg hinunter und hielten sich dicht an der Hauswand. Immer wieder sahen sie sich um, versuchten in der Dunkelheit etwas zu erkennen. In jedem Hauseingang, hinter jeder Fensterhöhle konnte jemand lauern. Zwar hatten die Kollegen versichert, daß es dort niemanden gab, das alle Häuser leer seien. Doch Mulder wollte sich nicht darauf verlassen.

Scully baute sich bereits neben dem Eingang auf. Mulders Blick flitzte wieder die Straße und die Fassaden entlang. Es gab nichts, was seinen Verdacht erregt hätte. Und dennoch hatte er ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Das Gefühl, daß jeden Augenblick etwas geschehen würde.

"Scully, vielleicht hätten wir doch die Verstär...." begann er und wurde jäh unterbrochen.

Schüsse krachten auf.

Eine Kugel fuhr ihm brennend heiß über die Haut. Er warf sich zu Boden und feuerte dorthin, wo er seinen Gegner vermutete.

Scully hatte sich beim ersten Schuß zur Seite geworfen. Es gab keine Deckung. Lediglich der Hauseingang konnte ihnen etwas Schutz bieten. Doch selbst das wäre nicht von langer Dauer, da die sechs Gangster dort jederzeit zuschlagen konnten. Sie saßen in der Falle. Durch ihre eigene Dummheit, hatte sie sich und ihren Partner in Lebensgefahr gebracht. Und sie konnte nicht mal sagen, weshalb sie es getan hatte. Wollte sie ihm damit etwas beweisen, oder sich selbst? Sie wußte es nicht. Doch jetzt war es zu spät, den Fehler wieder gutzumachen. Sie konnte nur hoffen, daß es nicht in einem Desaster endete.

Sie warf einen schnellen Blick zu Mulder. Er lag, dicht an die Hauswand gepreßt und hatte eine der Fensterhöhlen ins Visier genommen.

Scully schwenkte ihre Waffe und schoß blindlings in den Hauseingang hinein. Im nächsten Augenblick rollte sie sich herum und tauchte in den Schatten.

"Mulder!" schrie sie durch das Krachen der Schüsse. "Komm hierher."

Wieder schoß sie den dunklen Flur entlang, ohne ein direktes Ziel ausmachen zu können.

Sie hörte, wie Mulders Waffe eine Kugel nach der anderen ausspuckte. Er versuchte sich selbst Feuerschutz zu geben, um zu Scully zu gelangen.

Plötzlich bohrte sich ein stechender Schmerz in ihr Gehirn. Sterne tanzten vor ihren Augen, dann wurde es Nacht.

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