World of X

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Maybe hope?

von Cat

Kapitel 6

*****

Nach einem ausgiebigen und durchaus wohlschmeckenden Frühstück in Eddies Diner, checkte das Paar aus dem Hotel aus und wenig später befanden sie sich auf einem Highway in Richtung Norden. Zu dieser frühen Stunde waren die Straßen bis auf einige, für ihr Gewicht viel zu schnell fahrende Trucks wie leergefegt. Die meisten Menschen zog es in den Süden, nicht in die kalte Ödnis Kanadas. Die Landschaft flog an ihnen vorbei, Laubbäume wurden immer seltener und schlussendlich von dichten Nadelbaumwäldern abgelöst. Je näher sie der kanadischen Grenze kamen, desto frischer wurde die Luft. Irgendwann hatte Scully schaudernd das vormals kalte Gebläse des Wagens auf eine wärmere Stufe gestellt und das Beifahrerfenster wieder hochgekurbelt. Es schien den Flüchtigen als befänden sie sich in einer in den Bergen gelegenen Wildnis. Nur der asphaltierte Highway zeugte vom Eingreifen der Menschen. Im Wageninneren herrschte Schweigen. Beide Ex-Agenten hingen ihren Gedanken nach. Gedanken über eine Zukunft in Kanada und wie genau diese wohl aussehen würde. Ab und an suchte Danas linke Hand die ihres Partners. Eine stumme Geste, die Sicherheit suchte und von der sie sich Zuversicht versprach. Scully war es als wäre der dichte Nebel, der in den letzten Tagen ihren Geist umhüllt hatte, einer klaren, alles erfassenden Sicht gewichen. Auch Mulder sah entspannter aus und wirkte um Jahre jünger.

Doch egal wie sehr sie das vorläufige Ende ihrer Flucht herbeisehnte, so konnte sie das beklemmende Gefühl, welches kalt und berechnend an ihr empor kroch, nicht abschütteln. Bei jeder Meile, die sie zurücklegten, krampfte sich Danas Magen nervös zusammen. So nah und doch trennte sie noch eine scharfe Pass- und Personenkontrolle von ihrer lang ersehnten Freiheit. Die Angst, so kurz vor dem Ziel noch zu scheitern, hatte die junge Frau fest im Griff und vertrieb jeden Optimismus. Verunsichert betrachtete Scully das Profil ihres Partners.
„Werden die Papiere standhalten?“ fragte sie leise und brachte das zum Ausdruck, was sie so sehr beschäftigte. Sie wusste, dass sich die Fälschungen kaum von Originalen unterschieden, doch konnte sie die Unsicherheit nicht abschütteln. Kurz drehte sich Mulder zu ihr um, dann aber richtete er den Blick wieder auf die Fahrbahn.
„Die Jungs sind… waren Profis. Yves hätte uns die Papiere nicht geschickt, wenn sie Befürchtungen gehabt hätte. Entspann dich. Wir sind einen Katzensprung von unserem neuen Leben entfernt.“ Seine Worte klangen ruhig und zuversichtlich. Gerne wollte Dana ihnen Glauben schenken. Sie dachte an die Strapazen der letzen Wochen, Ereignisse, die ihr noch immer einen Schauer über den Rücken zu jagen vermochten. Sie versuchte es Fox gleich zu tun daran zu glauben, dass sie es schaffen konnten und auch würden. Eine angespannte Körperhaltung würde die Kontrolleure an der Grenze nur unnötig alarmieren. Sie mussten ruhig bleiben, ruhig und besonnen.
Das Leben in Kanada würde nicht mit dem in DC zu vergleichen sein. Würden sie einem Leben fernab von einer Großstadt überhaupt standhalten können? Nie wieder würden sie den Beruf, den sie beide liebten und der sie untrennbar miteinander verbunden hatte, wieder ausleben können. Auch konnte sie sich nicht vorstellen jemals wieder unbekümmert sein zu können, denn insgeheim rechnete sie noch immer damit, Verfolger könnten im Rückspiegel auftauchen, ihre Flucht aus den USA noch in letzter Sekunde vereiteln. Doch die Straße hinter ihnen war frei.

Ein dichter Fichtenwald lag vor ihnen, ausgebreitet wie ein grüner Teppich, soweit der Horizont reichte. Irgendwo dahinter musste sich die Grenze befinden. Ihre letzte Hürde auf amerikanischem Boden. Hoch über ihnen glitt ein mächtiger Greifvogel mit weit ausgebreiteten Schwingen durch die Luft. Scully beneidete das Tier um seine Freiheit und die einfache Schönheit seiner Existenz. Geleitet von Instinkten und perfekt seiner Umgebung angepasst. Grenzen gab es nicht. Sehnsüchtig und mit einem Gefühl der Wehmut folgte Danas Blick dem majestätischen Tier, bis es in weiter Ferne zu einem winzigen Punkt geschrumpft war.

*****

„Führen Sie irgendwelche Güter mit sich, die zu verzollen sind, Sir, Ma’am?“, fragte der spindeldürre Zollbeamte gelangweilt. Deutliche sichtbare Ringe unter den Augen des mageren Mannes und sein schleichender Gang um den Saab verrieten, dass dies ein langer Tag für ihn sein musste. Nur mäßig interessiert blickte er durch die hintere Scheibe in den Innenraum des Wagens. Die Waffe ruhte unberührt in seinem Schulterholster. Sein Kollege, ein bulliger Stiernacken, hatte sich nach einem kritischen Blick auf das Paar wieder in das winzige Zollhäuschen zurückgezogen. Dem Protokoll schien dieses nachlässige Verhalten nicht zu entsprechen, doch dies kam den Flüchtenden sehr gelegen. Allmählich wich die innere Anspannung der Ex-Agenten.
„Nein, Sir“, beantwortete Scully die Frage in einem ruhigen Tonfall.
Kaum merklich nickte der Beamte. Wie sehr er das Ehepaar beneidete. Wann hatte er zum letzten Mal Urlaub fernab der Heimat gemacht? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.
„Bitte öffnen Sie den Kofferraum, Mr. O’Donell“, forderte Patrick Delaney den dunkelhaarigen Mann auf, der sofort seiner Bitte folge leistete. David O’Donell überragte Patrick fast um einen Kopf und blieb pflichtbewusst neben dem Zollbeamten stehen, während dessen geschulte Augen den Kofferraum nach etwaiger Schmugglerware durchsuchte. Hin und wieder tastete seine knochige Hand Hohlräume der Karosserie ab, doch wie vermutet fand er nichts Verdächtiges.
„Entschuldigen Sie, Sir“, vernahm Patrick auf seiner linken Seite. Die Frau hatte ebenfalls den Wagen verlassen und warf ihm ein entschuldigendes und gleichsam wunderschönes Lächeln zu. Verlegen musterte er die Amerikanerin. Sie maß nicht sehr viel mehr als er es tat und hatte die strahendsten blauen Augen, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte. Ihr Ehemann musste ein Glückspilz sein. Ein flüchtiges Lächeln legte sich auf Patricks Lippen und mit einem angedeuteten Nicken ließ er sie wissen, dass er ganz Ohr war.
„Können Sie uns sagen, ob man hier in der Nähe gut essen kann? Wir sind schon einige Zeit unterwegs und ich bin das Tankstellenessen langsam leid.“
„Sicherlich. Etwa 80 Meilen entfernt von hier gibt es eine Tankstelle. Wenn sie dort rechts abbiegen und dem Verlauf der Landstraße etwa 10 Minuten folgen, finden Sie eine kleine Ortschaft. Wirklich klein, kaum mehr als 100 Seelen. Das zweite Haus auf der linken Seite gehört Edith McMahon. Sie vermietet einige Zimmer an Reisende, ein Geheimtipp, sozusagen. Und sie hat eine hervorragende Küche. Sagen Sie ihr, Pat Delaney schickt Sie. Ich verspreche Ihnen, so gut haben Sie schon lange nicht mehr gegessen.“ Froh darüber seine Hilfe anbieten zu können, schloss der Zollbeamte den Kofferraumdeckel mit einem leisen Klacken und reichte den Durchreisenden die Papiere zurück.
„Vielen Dank, Mr. Delaney.“
Das Paar stieg wieder ins Auto. Gerade, als der Fahrer den Wagen anlassen wollte, trat Pats Kollege zurück ins Freie. In seinen Händen ein Funkgerät, das Gesicht vor Aufregung gerötet.
„Wir haben gerade eine Meldung durchbekommen. Zwei Flüchtige, laut Zeugenaussagen, die ihren Wagen wieder erkannt zu haben meinen, bewegen sie sich Richtung Norden. Höchste Alarmbereitschaft. Sie werden als bewaffnet und gefährlich eingestuft.“

Diese Neuigkeit richtete die Aufmerksamkeit des zweiten Zollbeamten auf seinen Kollegen. So entgingen ihm die besorgten Blicke, welche das Ehepaar austauschte, völlig. Scullys Hände gruben sich tief in die Sitzfläche, bis ihre Knöchel weiß hervortraten. Mulder schluckte hart und schien innerlich eine Flucht gegen betont ruhiges Verhalten abzuwägen.
„Wir sind fertig, Mr. O’Donell.“ Delaney schien sich ihrer wieder zu entsinnen. Kurz zog er seinen Hut vor Scully. „Mrs. O’Donell. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Kanada und grüßen Sie Edith von mir.“ Mit diesen Worten waren sie entlassen. Behutsam dreht Mulder den Schlüssel im Zündschloss herum und ließ den Wagen vorsichtig auf die Straße rollen. Alles in ihm sträubte sich gegen die niedrige Geschwindigkeit, doch ein Davonrasen mit quietschenden Reifen hätte sie verdächtig gemacht. Neben ihm sank Dana tiefer in den Sitz.
„Wir haben es geschafft“, murmelte sie ungläubig.
„Wir haben es geschafft!“, verkündete Mulder bestimmt und trat nach der ersten Kurve das Gaspedal durch.

*****

Ein kalter Luftzug umspielte die zwei Menschen, die auf einem kleinen Parkplatz hinter ihrem Wagen standen. Der Wind verfing sich im Haar der Brünetten, wirbelte einige Strähnen wild umher. Die junge Frau versuchte in einem aussichtslosen Kampf die Strähnen zu bändigen. Ihr Begleiter hingegen steckte die Nase in den Wind und atmete tief durch. Dann reckte er sich, um die vom langen Autofahren steifen Glieder etwas zu lockern.
„Riechst du das?“, wollte er mit geschlossenen Augen wissen.
„Der Duft der Freiheit.“ Die Frau gab den Versuch auf ihre Haare zu ordnen und schloss ebenfalls die Augen. Ihr war es als wären ihre Sinne erst jetzt richtig erwacht. Das Rascheln des aufkommenden Sturmes in den umstehenden Bäumen wurde lauter. In weiter Ferne glaubte sie das Plätschern eines Flusslaufes oder eines unruhigen Baches zu hören. Auch die Luft schien klarer zu sein. Oder war es tatsächlich der Duft der Freiheit, den sie einatmete? Rein und wohltuend.
„Ich kann es immer noch nicht glauben.“
Bei ihrem ersten Tankstop in Kanada hatten sie erfahren, dass es sich bei den gesuchten Flüchtigen, von denen Delaney und sein Kollege gesprochen hatten, zwei vorbestrafte Männer gewesen waren, die sich nach einem schweren Raubüberfall in Kanada hatten absetzten wollen. Nicht eine Sekunde waren sie selbst Gefahr gelaufen, enttarnt zu werden. Sie beide hatten bei dieser Neuigkeit dankbare Stoßseufzer gen Himmel gesandt. Der Gedanke, am Ende ihrer Odyssee angelangt zu sein, spendete Dana Kraft und Vertrauen in die Zukunft. Mit dem Mann an ihrer Seite würde sie alles schaffen. Gemeinsam würden sie jedem aufkommenden Sturm standhalten können.

„Ein kleines Häuschen irgendwo“, träumte Fox und öffnete die Augen. Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er das hübsche Profil seiner Partnerin betrachtete. Langsam hoben sich ihre Mundwinkel zu einem winzigen Lächeln. Eines, welches er so sehr zu sehen liebte. Noch immer hielt sie die Augen geschlossen, doch sie hatte den liebevollen Blick Mulders nur zu deutlich gespürt und erwiderte ihn auf ihre Art.
„Im Nordwesten in einer kleinen Ortschaft wo niemand Fragen stellt. Mit einem kleinen Garten“, führte sie seine Träumerei fort.
„Wenn du willst, sogar mit einem weißen Zaun.“ Diese Beteuerung ließ Dana kurz auflachen. Sie wusste, wie sehr Mulder Scheinidyllen hasste und schätzte seine Worte umso mehr.
„Darauf können wir gerne verzichten. Aber wie wäre es mit einem Karpfenteich?“, neckte sie den Ex-Agent. Nun war es an Mulder laut aufzulachen. Diese Bemerkung ließ ihn an einen Fall denken, in dem sie under-cover als Ehepaar in einer vorstädtischen Wohnsiedlung ermitteln mussten. Bald würde er wirklich mit Dana Scully unter einem Dach leben.
„Das würde mir gefallen.“
Blinzelnd öffnete Scully ihre Augen ein Stück. Direkt über Mulder ging die Sonne hinter einer Bergspitze unter. Einem Gemälde gleich zeichnete sich der Horizont in einem leuchtenden Orangerot ab. Langsam trat sie einige Schritte nach vorn. Ganz automatisch legten sich ihre Arme um die Schultern ihres Gefährten, der ihre Umarmung nur zu gerne erwiderte. Als sich ihre Münder aufeinander zu bewegten, waren der Sonnenuntergang, der an ihnen zerrende Wind und auch das eigene kleine Haus vergessen. Endlos schien ihr Kuss anzuhalten, sanft und bestimmt zugleich. Hinter ihnen versank die Sonne hinter einem spektakulären Panorama, doch dieses Naturschauspiel ließ das Paar vollkommen kalt.

*****

Drei Monate später
Praxis von Dr. Emanuel S. Foster
Leisterville

„Guten Morgen, Mrs. Canton. Was macht Ihr Knie, sind die Beschwerden zurückgegangen?“
Mit diesen Worten wurde die runde Mittfünfzigerin mit den wirren, grau-braunen Locken von Doc Fosters jüngeren Kollegin empfangen, die ihr ein warmes Lächeln schenkte, welches ihre Augen heute jedoch nicht erreichte. Schwerfällig kämpfte Gabrielle Canton sich aus ihrer etwas eng sitzenden, mausgrauen Jacke und nickte atemlos, während die Ärztin die Jacke für sie an der Garderobe aufhängte.
„Schon sehr viel besser, Dr. O’Donell.“ Ganz zu Anfang war sie der jungen Frau sehr skeptisch gegenüber gewesen, wie die meisten Bewohner ihres friedlichen Heimatstädtchens. Schließlich stammt sie nicht aus Leisterville, sie war nicht einmal Kanadierin. Niemand hatte die Neuankömmlinge gerne akzeptiert und viele hatten sich zuerst geweigert sich von der Amerikanerin behandeln zu lassen. Doch in den letzten drei Monaten hatte sich Gillian O’Donell in die Herzen der Kleinstädter gestohlen und sich nahezu unentbehrlich gemacht. Sie alle wussten, wie alt Emanuel schon war und seine Augen wurden von Tag zu Tag schlechter. Die junge Ärztin legte einen erfrischenden Tatendrang und eine Unerschütterlichkeit an den Tag, die die Bewohner von Leisterville schlussendlich überzeugt hatten. Nie war die Brünette unfreundlich, sie nahm sich für jeden die Zeit, die er benötigte und war nicht nur am leiblichen Wohl ihrer Patienten interessiert. Besonders die Jugend hatte Dr. O’Donell lieben gelernt.
„Das freut mich zu hören. Dann werden wir uns Ihr Knie jetzt einmal genau ansehen. Wenn Sie bitte schon einmal vorgehen würden, ich bin in wenigen Minuten wieder bei Ihnen, Mrs. Canton.“ Lächelnd wies ihr die zierliche Ärztin den Weg in eines der kleinen Behandlungszimmer und eilte dann auf den Raum zu, der mit „Privat“ gekennzeichnet war.
Dort angekommen schloss sie die Türe lauter als nötig und ließ sich mit dem Rücken gegen das kühle Holz fallen. Durch tiefes und kontrolliertes Atmen versuchte sie, die Übelkeit und den Schwindel unter Kontrolle zu bekommen. Nur langsam tastete sie sich zur kleinen Sitznische vor, die den Ärzten und ihrer jungen Assistentin Darleen Sanders für kurze Ruhepausen zur Verfügung stand. Eine Kochnische mit Kühlschrank, einer Mikrowelle, einer Kaffeemaschine und einem Wasserspender nahm das andere Ende des Zimmers ein. Mit klammen Fingern umfasste Dana den Wasserbecher, der seit ihrer letzten kurzen Pause noch immer halbvoll auf dem Tisch stand. Kalte Angst hatte sie fest im Griff. Sie wusste, dass sie sich über kurz oder lang einer gründlichen Untersuchung und somit ihren schlimmsten Befürchtungen stellen musste. Die mögliche Diagnose ängstigte sie nicht so sehr wie Mulders etwaige Reaktion. Zu oft schon hatte sie die schmale Schwelle zwischen Leben und Sterben bereits überschritten, um sich jetzt ein weiteres Mal von ihren Sorgen geißeln zu lassen. Mulder jedoch würde sich niemals damit abfinden. Er würde schlichtweg durchdrehen. Letztendlich standen sie dieser Sache aber machtlos gegenüber.

Als die ersten Symptome auftraten, hatte sie anfänglich versucht diese auf den Stress ihrer Flucht zu schieben. Doch mittlerweile begnügte sich ihr medizinischer und rationaler Verstand nicht mehr mit dieser lapidaren Mutmaßung. Seit Wochen schon kämpfte sie gegen eine kontinuierliche Übelkeit an. Es fiel ihr schwer, ihre Mahlzeiten bei sich zu behalten und noch schwieriger war es Mulder vorzuspielen, alles sei in bester Ordnung. Mit der Übelkeit hatten auch die Kopfschmerzen begonnen. Und seit einigen Tagen verspürte sie von Zeit zu Zeit ein Schwindelgefühl, welches sie jedoch auf ihre reduzierten Mahlzeiten zurückführte. All diese Dinge hatten sie jedoch nicht so beunruhigt, wie das gestern neu aufgetretene Symptom.
Gestern Abend, Mulder war noch mit Samuel White, ihrem neuen Nachbarn, an den Reparaturen eines Daches der Ortschaft beschäftigt gewesen. Es war kein erfüllender Job für ihren Partner, doch es war Arbeit und nichts setzte Mulder mehr zu als untätiges Herumsitzen. Sie hatte einen leichten Gemüseauflauf gekocht, um damit vielleicht ihren nervösen Magen zu beruhigen. Während ihrer Vorbereitung das Gemüse klein zu schneiden, hatte es angefangen. Nasenbluten.

Benommen schüttelte Dana ihren Kopf und kehrte ins Hier und Jetzt zurück. Sie hatte keine Zeit, sich Sorgen oder Gedanken um eine etwaige Diagnose zu machen. Nur eine gründliche Untersuchung würde ihr wirklich Aufschluss über ihre körperliche Verfassung geben und bevor sie diese auch nur erwägen konnte, musste sie mit Mulder sprechen. Doch bevor sie dies tun konnte, galt es ihren Arbeitstag zu meistern und Gabrielle Canton war nur ein ihrer Patienten, die ihrer Hilfe bedurften. Ihre persönlichen Probleme würde sie später zu Leibe rücken müssen.

*****

Mulder kehrte an jenem Abend erst spät in das kleines Häuschen zurück, welches sie ihr eigen nennen konnten. Die harte Arbeit im Freien hatte ihn nicht nur müde, sondern auch hungrig wie einen Bären gemacht. Schnellen Schrittes eilte er in die Küche und verlor keine Zeit damit die schweren und matschigen Arbeitsschuhe auszuziehen. An manchen Tagen, meist waren es solche, an denen in der Arzt-Praxis nicht so viel los war, kochte Scully reichhaltig für sie. Meistens jedoch begnügten sie sich damit, gemeinsam eine Kleinigkeit zuzubereiten. Heute jedoch roch es verlockend nach einer frischen und warmen Mahlzeit. Neugierig hob der Ex-Agent den Deckel vom Kopf. Eine heiße Dampfwolke schlug ihm entgegen und verbreitete den Duft von Gemüsesuppe. Auf der Anrichte fand er eine Schüssel mit bereits aufgekochten Nudeln. Kurz entschlossen angelte er sich einen Löffel aus der Schublade und probierte die heiße Brühe, welche ihm sogleich die Lippen verbrühte.
„Ich habe dich gar nicht nach Hause kommen hören.“
Mulder, der Scully nicht die Küche betreten gehört hatte, drehte sich ruckartig und mit einem ertappten Gesichtsausdruck herum.
„Wir wollten heute unbedingt mit dem Gröbsten fertig werden, morgen haben sie schon wieder Regen gemeldet… Das hier ist wirklich köstlich. Heiß, aber köstlich. Wie war dein Tag, Scully?“
Noch während er sprach, zogen seine Finger einige Nudeln aus der Schüssel, die er sich genüsslich in den Mund schob. Erst als er bemerkte, dass Dana ihm noch nicht geantwortet hatte, suchte er ihren Blick. Doch sie wich ihm aus, starrte einen Punkt in der Ferne an, den wahrscheinlich nur sie sehen konnte. Sofort waren die Nudeln und sein Hunger vergessen. Vielleicht hätte ihm schon die ausbleibende Ermahnung bezüglich seiner schmutzigen Schuhe einen Hinweis auf ihre Verfassung geben müssen.
„Scully?“ Besorgt glitt Mulders Blick über ihren schlanken Leib, doch er konnte keinen augenscheinlichen Grund für ihr Schweigen und den abwesenden Blick entdecken.
„Auch ich hatte einen langen Tag. Mir geht es gut“, brachte sie nach einem kurzen Zögern nicht gerade überzeugend über ihre Lippen. Jetzt wusste Mulder, dass definitiv etwas nicht stimmte.
„Was ist passiert?“, wollte Fox wissen und verzichte auf jegliche Umschweife. Sein Geist arbeitete bereits auf Hochtouren und durchforschte den Tag nach irgendwelchen verdächtigen Menschen, die er vielleicht fälschlicherweise als harmlos abgetan hatte.
„Es ist nichts. Ich bin nur müde“, log Scully nicht sehr überzeugend. Dass Dana eine miserable Lügnerin war, wusste Mulder, doch ihr vehementes Ausweichen ließ seine Sorge ins Unermessliche wachsen. Beherzt umfingen seine Hände die Oberarme der brünetten Frau. Somit konnte sie seinem Blick nicht ausweichen und er meinte Angst aber auch Resignation in ihren blauen Seelenfenstern zu erkennen. Was mochte vorgefallen sein, um seine Scully so aus der Bahn zu werfen?

„Hat dich jemand kontaktiert?“, verlangte er eindringlich zu wissen. Danas einzige Reaktion war ein zaghaftes Kopfschütteln. Er spürte, dass sie gerade einen inneren Kampf ausfocht.
„Himmel, Dana, was ist los?“ Klang in seinen Worten wirklich ein ängstliches Zittern mit?
„Der Krebs ist zurück.“ Schlagartige Ernüchterung überkam den Ex-Agent. Ungläubig starrte er sein Gegenüber an, als habe er Probleme, das soeben Gehörte zu begreifen.
„Was?“
„Die Symptome sind eindeutig“, erläuterte Scully mit sachlicher Stimme. Mulder glaubte, sein Herz in der Brust zerspringen zu hören.
„Kreislaufbeschwerden, fortwährende Müdigkeit, Übelkeit, Nasenbluten;“, vervollständigte sie ihre Aufführung mit erschreckend ausdrucksloser Mine. Die plötzliche Hilflosigkeit, die Mulder verspürte, entfachte eine nie gekannte Wut. Sollte alles, was sie in den letzten Monaten durchlebt – nein, durchlitten hatten, umsonst gewesen sein? War es ihnen missgönnt, ein ruhiges und halbwegs glückliches Leben zu führen? Seine Rage tobte in ihm wie eine gigantische Welle, die es vermochte, alles in ihm fortzuspülen und ihn hilflos und nackt zurückließen.
„Nein, das kann nicht sein“, schrie er und presste Scully fest an sich. Heiße Tränen liefen Mulders Wangen hinab.
„Doch“, brachte Dana leise hervor. Sie hatte gewusst, dass Mulder dieses Geständnis erschüttern würde, doch sein Ausbruch riss den schützenden Wall ein, den sie in den letzten Stunden mühsam errichtet hatte. Feuchtigkeit trat in ihre Augen, die erste Träne verfing sich in ihren Wimpern, nur um Sekunden später lautlos über ihr Gesicht zu rinnen. Minuten verstrichen, in denen das Paar hilflos dem Kummer des anderen gegenüberstand. Nach einer Ewigkeit lockerte Fox seinen Griff, hielt Dana jedoch noch immer in seinen Armen gefangen.
„Wir werden nicht aufgeben. Nicht nach allem, was wir überstanden haben.“ Starke Worte, mit nackter Verzweiflung ausgesprochen. Sanft schob Mulder seine Partnerin von sich weg, blickte ihr starr in die Augen.
„Hörst du Scully. Nichts und niemand wird uns besiegen.“
„Wenn ich deine Zuversicht nur teilen könnte“, murmelte Dana und vergrub in einer verzweifelten Geste ihr Gesicht an seiner Brust. Ihre nicht versieden wollenden Tränen hinterließen einen feuchten Fleck auf seinem Pullover. Beruhigend strich Mulder der Frau in seinen Armen über den Rücken, versuchte ihr auf diese Art und Weise Kraft zu spenden.
„Vielleicht malen wir uns auch nur das schlimmstmögliche Szenario aus. Es könnte ein Virus-Infekt sein, selbst eine verschleppte Grippe könnte der Auslöser sein. Dein Körper war in den letzten Jahren vielen schädlichen Ausflüssen ausgesetzt.“ Mit diesen Worten versuchte Mulder einen Hoffnungsschimmer zu entfachen.
„Glaubst du das wirklich?“, wollte Dana in einem Anflug an Ironie wissen. Alles in ihr sträubte sich an Mulders Theorie zu glauben. Denn diesen Hoffnungsschimmer nach einer eindeutigen Diagnose verglühen zu sehen, würde sie wahrscheinlich nicht verkraften können.
„Ich möchte daran glauben.“

*****

Am nächsten Tag erschien Dana schon sehr früh in der Praxis. Um diese Uhrzeit war noch niemand dort und sie war dankbar für die momentane Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm. Noch fühlte sie sich der Herausforderung, Emanuel eine abgespeckte Variante ihrer Lebensumstände erzählen zu müssen, nicht gewachsen. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab, Zeugnis einer schlaflosen und sorgenvollen Nacht. Während sie die Lichter anschaltete, einen starken Kaffee aufsetzte und mit den täglichen Vorbereitungen begann, drifteten ihre Gedanken unweigerlich ab. Lange hatten sie und Mulder letzte Nacht eng umschlungen in ihrem Bett gelegen. Sie hatten gemeinsam geweint, dann versucht einander Trost und Hoffnung zu spenden und letztendlich bis in die frühen Morgenstunden miteinander gesprochen. Zuerst hatte sich ihr Gespräch nur um die bevorstehende Untersuchungen gedreht, doch irgendwann waren sie zu leichteren Themen übergegangen. Mulder hatte es sogar fertig gebracht, sie einige Male zum Lachen zu bringen. Ob er das ihret- oder seinetwegen getan hatte, konnte sie nicht sagen. An Schlafen jedoch hatte keiner von ihnen gedacht. Um sechs Uhr hatten sie und Fox es nicht mehr ausgehalten und waren aufgestanden. Nach einem gemeinsamen Frühstück, das zu essen sie sich zwingen musste, hatten sie sich voneinander verabschiedet. Sie wusste, dass seine Gedanken heute bei ihr sein würden. Auf sein eindringliches Bitten, sie begleiten zu dürfen, war sie nicht eingegangen. Sie wollte zuerst Gewissheit haben, bevor sie mit ihrem Partner ihre weitere Vorgehensweise besprach. Und obwohl Mulder sie nicht verstehen konnte, so hatte er letztendlich nachgegeben und ihren Wunsch respektiert.
Mit einem geübten Handgriff schaltete Dana den PC an, der mit einem lauten Surren hochfuhr. Sie überlegte angestrengt welche Informationen von Nöten waren, um Doc genügend über ihre Vergangenheit wissen zu lassen, um somit seine Geheimhaltung sicherzustellen, ohne ihn aber in Gefahr zu bringen. Sie mochte den alten Mann, der unter seiner oftmals spröden und rauen Schale einen weichen und liebenswerten Kern versteckte. Emanuel hatte das Herz am richtigen Fleck, schreckte aber nicht davor zurück die Sachen beim Namen zu nennen und er fürchtete sich auch nicht seinen Mitmenschen mit seiner Ehrlichkeit vor den Kopf zu stoßen. Sie war sich sicher, dass ihr Geheimnis bei dem alten Sonderling gut aufgehoben sein würde.

„Oh, guten Morgen Frau Doktor“, ertönte Darleens fröhliche Stimme aus dem Flur. Die junge Frau ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken. In der Regel war sie die Erste in der Praxis. Dr. Foster erschien erst einige Minuten nach seinem ersten Patienten. Sie hatte ihn noch nie pünktlich zur Arbeit kommen sehen. Die Bürger von Leisterville hatten sich mit dieser Marotte abgefunden und nutzten die Zeit meist für ein Schwätzchen mit Darleen. Dr. O’Donell hingegen traf immer pünktlich, jedoch nie so früh ein.
„Guten Morgen, Darleen.“ Scully rang sich ein Lächeln ab, als die Assistentin ihren Kopf kurz durch die halbgeschlossene Türe steckte. Nachdem sie einen genauen Blick auf die Ärztin geworfen hatte, huschte ein besorgter Ausdruck über ihr sommersprossiges Gesicht. Doch sie spürte, dass Gillian nicht zu einem Gespräch mit ihr aufgelegt war und verzichtete auf weitere Worte. Mit einem kurzen Nicken drehte sie sich um und begann im Nebenraum mit dem Aufräumen. Dana wusste die Diskretion der jüngeren Frau zu schätzen. Vor ihr erschienen Krankenakten auf dem Monitor. Schnell gab Scully den anfänglichen Versuch auf sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Langsam erhob sie sich und folgte der Arzthelferin.
„Darleen, würden Sie bitte Dr. Foster nach seinem Eintreffen kurz zu mir schicken.“ Die Angesprochene nickte und fragte sich insgeheim, was wohl los sein mochte. Sie kannte Dr. O’Donell weder nervös, noch hatte sie jemals der fachlichen Expertise Dr. Fosters bedurft. Dieses ungewöhnliche Verhalten beunruhigte Darleen.
„Natürlich.“ Dann eilte sie an die Rezeption, um das schrillende Telefon entgegenzunehmen.
Scully seufzt laut auf und sank müde in ihren Sessel zurück. Jetzt konnte sie nur noch auf Samuel warten.

„Was mag Ihnen wohl über die Leber gelaufen sein, um einen dermaßen grimmigen Ausdruck auf einem so schönen Gesicht hinterlassen zu haben?“ Mit diesen Worten trat der ältere Arzt ohne anzuklopfen in Danas Behandlungszimmer. Wie immer trug er eine viel zu weite und heute giftgrüne Cordhose, die nur von einem farbenfrohen Paar Hosenträgern gehalten wurde. Die Hornbrille mit den dicken Gläsern ruhte beinahe auf Dr. Fosters Nasenspitze und drohte jede Minute hinunter zu rutschen. Seine blassgrauen und gütigen Augen glitten aufmerksam über die junge Frau. Scully, die noch immer innerlich mit sich rang, kämpfte sich ein kleines, schüchternes Lächeln ab.
„Ich denke nicht, dass sich dies so einfach zwischen Tür und Angel erklären lässt, Emanuel“, seufzte Scully. Ihr Kollege schien kurz zu überlegen, dann nickte er Dana zu.
„Gillian, ich werde mir die kleine Dora ansehen, danach habe ich alle Zeit der Welt, einen Notfall einschieben“, bot der grauhaarige Mann wohlwollende an. Keine Sekunde schien ihm der Gedanke zu kommen, ihre Situation könne ernster sein als ein kleines, medizinisches Problem oder ein Ehekrach. Gerne würde Scully seine Unbekümmertheit teilen.
„Das würde mir sehr helfen.“ Sie hoffte, dass ihre Worte sie nicht später eine Lügnerin gestraft würden.
Die nächste halbe Stunde kümmerte sich Dana Scully zugegebenermaßen halbherzig um das körperliche Wohl Mr. Walters. Glücklicherweise benötigte der junge Mann keine schwierige medizinische Behandlung und ihr schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen. Sie ertappte sich wiederholt dabei, verstohlene Blicke auf die Uhr zu werfen. Zehn Minuten nachdem sie Mr. Walters verabschiedet hatte, steckte Emanuel abermals seinen Kopf durch die Türe.
„Jetzt gehöre ich ganz Ihnen“, scherzte er, um ihre nervöse Spannung zu lockern. Dann nahm er auf einem der Patientenstühle gegenüber des Schreibtisches platz und schaute Scully erwartungsvoll an.
„Ich danke Ihnen für Ihre Zeit“, kurz zögerte die Ex-Agentin und suchte nach den geeigneten Worten. „Es fällt mir nicht leicht, Sie in diese Geschichte hineinzuziehen, aber ich brauche Ihre Hilfe…“ Damit leitete sie ihre und Mulders Geschichte in Kurzfassung ein, die für den alten Mediziner wie pure Fiktion und somit unglaublich klingen musste.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe…“ Emanuel hinderte Dana mit einer einhaltenden Geste daran, ihn zu unterbrechen.
„Um ehrlich zu sein, will ich darüber auch gar nicht viel wissen.“ Bevor sich bei Scully Enttäuschung breit machen konnte, fuhr der alte Mann jedoch fort.
„Denn was ich nicht weiß, kann Ihnen und Ihrem Mann auch nicht schaden. Und obwohl mir nachgesagt wird, ein unermüdliches Schwatzmaul zu sein, so bin ich durchaus in der Lage in entscheidenden Situationen Stillschweigen zu bewahren.“
Erleichterung durchströmte die dunkelhaarige Frau. Die erste Hürde schien genommen zu sein.
„Sie werden mir also helfen?“, fragte sie deutlich bemüht, nicht allzu verzweifelt zu klingen.
„Darauf können Sie wetten!“

Nach diesem Gespräch war es Scully schwer gefallen sich auf die größeren und kleineren Wehwehchen ihrer Patienten zu konzentrieren. Aber auch dieser emotional anstrengende Arbeitstag ging zu Ende. Nachdem Darleen die Praxis verlassen hatte, blieben die beiden Ärzte zurück. Einfühlsamer als erwartet nahm Emanuel Foster seiner Kollegin Blut für ein großes Blutbild ab. Dieses würden sie mithilfe eines alten Freundes und Studienkollegen Emanuels inoffiziell und anonym einschicken. Im Moment war dies das einzige, was sie tun konnten. Ein erhöhter LDH würde vielleicht Aufschluss auf die Möglichkeit eines Tumors geben. Eine letztendliche Diagnose war jedoch nur mit einem CT möglich. Doch sie würden erst im Lauf der Woche die Möglichkeit bekommen über Docs Freund einen heimlichen Test machen zu können. Sie wollte all ihre Befürchtungen vertreiben, doch das Warten auf die Ergebnisse des ersten Tests und auf einen inoffiziellen CT-Termin ließ ein flaues Gefühl in ihrem Magen zurück. Dr. Fosters Aufmunterungsversuche waren zwar bewundernswert, doch sie trafen nur fruchtlosen Boden. Der ältere Mann schien sich eine Anomalie des Blutbildes zu erhoffen, eine leicht zu behandelnde Mangelerscheinung, jedoch keinen Gehirntumor. Sie beneidete ihn um seine optimistischen Erwartungen, konnte sie jedoch nicht teilen. Nicht einmal Mulder war in dieser zermürbenden Woche des Warten und Bangens in der Lage gewesen ihre dunklen Gedanken zu vertreiben. Sie wollte nicht sterben.

Doch schlimmer als die bösen Vorahnungen und das untätige Herumsitzen war die unwirkliche Spannung, die zwischen dem Paar entstand. Mulder, der sich hilfloser denn je fühlte, konnte Scullys stoische Ruhe nicht verstehen, wo er doch selbst kurz davor war die Wände hochzugehen. In seinen Augen taten sie zu wenig, auch wenn er tief in seinem Innersten wusste wie eingeschränkt ihre Mittel in dieser Lage waren. Noch einigen ergebnislosen Versuchen Scullys Kampfgeist zu entfachen, gab er schließlich auf und mied dieses Thema. Gerne wäre seine ehemalige Partnerin ihm entgegengekommen, doch konnte sie nicht die geeigneten Worte finden und so schwieg sie. Beide erhofften und fürchteten den Moment der Gewissheit gleichermaßen. Danas Beschwerden hatten sich weder verschlimmert, noch waren sie zurückgegangen.
Der verhängnisvolle Anruf kam am späten Donnerstagabend. Scully selbst war ans Telefon gegangen. Noch bevor ein besorgter Mulder sie dazu bringen konnte, den Apparat auf Lautsprecher umzustellen, hatte diese den Hörer wieder aufgelegt und blickte ihr Gegenüber mit einem ernsten Gesichtsaudruck an.
„Emanuel hat die ersten Ergebnisse“, verkündete sie tonlos. Irgendetwas tief in Fox Mulders Innerstem erbebte. Nervös fuhr er mit einer rechten Hand über die Stirn, auf der sich bereits erste Schweißtropfen bildeten. Angstschweiß.
„Er hat noch nichts Spezifisches gesagt?“, mutmaßte er vorsichtig. Dana schüttelte den Kopf.
„Nein“, kurz überlegte sie, ob sie den Eindruck, den sie von dem Arzt am anderen Ende der Leitung bekommen hatte, richtig gedeutet hatte.
„Er klang nicht beunruhigt.“ Schon oft hatte Dr. Foster seinen Patienten Hiobsbotschaften überbringen müssen und obwohl sie den Mann noch nicht sehr lange kannte, so wusste sie, dass er in ernsten Momenten die nötige Anteilnahme aufzubringen vermochte. Oder hatte er seine Sorge nur verschleiert? Sie konnte sich keinen Reim darauf machen.
„Ich fürchte, dies ist unser Moment der Wahrheit.“ Mit diesen leise ausgesprochenen Worten trat Fox an die Garderobe und hängte ihre Jacken ab. Während er auf Scully wartete, zog er sich seine Schuhe an und schlüpfte in die Lederjacke. Wenig später half er Dana in ihren kurzen Mantel. Ein neutraler Gesichtsausdruck maskierte ihre wahren Empfindungen, während sich seine Besorgnis deutlich sichtbar in seinen haselnussbraunen Augen spiegelte. Es war nur ein kurzer Weg bis zur Praxis. Keine Sekunde lösten sich ihre Hände voneinander.

Der alte Emanuel wartete schon auf sie. Vielleicht zum ersten Mal im Leben traf er früher ein als seine Patienten.
„Ich habe gerade Tee gekocht. Gehen Sie schon mal in mein Zimmer, ich komme sofort nach“, begrüßte er das Paar freundlich. Sie hatte Recht gehabt, er zeigte keinerlei Zeichen von Besorgnis.
Dicht nebeneinander nahmen sie vor dem gigantischen Schreibtisch platz, Danas Hand ruhte in Mulders. Ein großer Teil ihrer Anspannung schien bereits gewichen sein.
„So, ich hoffe, Sie mögen grünen Tee. Wenn nicht, sollten Sie sich schon einmal daran gewöhnen“, warf Doc zwinkernd in Scullys Richtung. Diese zog irritiert eine Augenbraue in die Höhe, nickte jedoch nur kurz, bevor Dr. Foster ihre Tassen füllte.
Nachdem er allen eingeschenkt hatte, schritt der ältere Mann scheinbar in Gedanken versunken um den Schreibtisch und ließ sich leise seufzend in seinen breiten Sessel fallen.
„Wie Sie wissen, rede ich nicht gerne um den heißen Brei herum. Das ist nicht meine Art.“ Verschwörerisch zwinkerte er seinen Gegenübern zu.
„Gillian, medizinisch gesehen fehlt Ihnen nichts.“ Bevor Mulder ihn unterbrechen konnte, hob Emanuel beschwichtigend seine Hand.
„Natürlich gibt es einen Grund für ihre Beschwerden. In Anlehnung an Ihre Vorgeschichte sind sie gleich auf die Vermutung angesprungen, der Krebs könne wieder zurück sein. Doch die nahe liegenste Erklärung haben Sie nicht einmal in Betracht gezogen.“ Er machte eine dramatische Pause, um die Spannung zu steigern, dann fuhr er in einem feierlichen Tonfall fort.
„Herzlichen Glückwunsch Mrs. und Mr. O’Donell, Sie erwarten ein Baby.“ Zwei Paar in Unglauben geweitete Augen starrten den Mann an.
„Aber das Nasenbluten…“, brachte David mühsam hervor, während Gillians Hand unweigerlich auf ihren Bauch glitt.
„Durch die Schwangerschaft werden die Schleimhäute besser durchblutet, daher kommt es auch viel schneller zu Nasenbluten“, erklärte Scully in einer monotonen Stimme, während ihre Gedanken sich überschlugen. Ein Baby!

*****

Den einfachen, weißen Briefumschlag fest in der behandschuhten Hand, trat Dana Scully auf den Briefkasten zu, Fox an ihrer Seite. Mulders rechte Hand ruhte in einer beschützenden und gleichsam Besitzsprüche anzeigenden Geste an ihrem unteren Rücken. Sie beide empfanden eine seltsam zufriedene und befreiende Erleichterung. Ein letztes Mal betrachtete Dana kritisch die von Doc fein säuberlich geschriebene Adresse auf dem Umschlag. Die vertrauten Worte riefen eine wehmütige Melancholie in der werdenden Mutter hervor. Vorsichtig legten sich Fox Mulders Finger um ihren Arm und übten einen leichten Druck aus. Wortlos ließ er sie wissen, dass er verstand und ebenfalls in diesem Augenblick ihre verlorene Vergangenheit betrauerte. Sie hatten sich gemeinsam für diesen Schritt entschieden, waren sich der Gefahr, in die sie sich und die Empfängerin ihrer Post bringen würden, bewusst. Mit einem kleinen und traurigen Lächeln blickte sie den neben sich stehenden Mann an. Dieser nickte kaum merklich. Auch seine Augen flogen über den kleinen Umschlag, dessen Absender selbstverständlich fehlte. Eine kleine blaue Briefmarke, die aufzutreiben ihn einige Arbeit beschert hatte, war bereits angebracht. Moby Dick war ihr Motiv. Gemeinsam folgten ihre Blicke Danas Hand, bis die Nachricht im Briefkasten verschwunden war. Einige Minuten standen sie schweigend auf dem Bürgersteig, ihre Gedanken galten der Frau, der dieses Lebenszeichen hoffentlich ihren Seelenfrieden schenken würde. Nur unwillig hob Scully ihren Blick und betrachtete Mulders Profil.
„Die Vergangenheit mussten wir hinter uns lassen, aber die Zukunft gehört uns.“ Als Antwort griff Fox nach ihrer Hand und zusammen machten sie sich auf den Weg zurück zu ihrem kleinen Häuschen. Ihrem Zuhause.
„Solange unsere Zukunft nicht Fox jr. heißen muss, bin ich bereit für alles, was noch kommen wird“, scherzte der schlaksige Mann und kickte dabei ein kleines Steinchen aus dem Weg.
„Es wird ein Mädchen“, verkündete Dana mit einer Sicherheit, die Mulder nicht zu bezweifeln wagte. Er wusste, dass das Geschlecht ihres Kindes auf dem Ultraschall noch nicht zu erkennen gewesen war. Doch er würde sich hüten den siebten Sinn einer werdenden Mutter zu hinterfragen.
„Ein Mädchen also. Das gefällt mir. Hast du dir schon über einen Namen Gedanken gemacht?“, wollte er wissen, obwohl er sich sicher war die Antwort bereits zu kennen.
„Ja, das habe ich.“ Einen Moment schwieg Scully, um die Spannung noch ein wenig zu steigern. Kurz drückte sie seine Hand, bevor sie fortfuhr.
„Vielleicht Hope?!“


The End

Ihr fragt euch, was für einen Brief unsere Lieblingsagenten wohl eingeworfen haben? Eine Antwort darauf findet ihr in einer meiner Fanfiction: „C’est la vie“.

Bemerkung der Autorin:
Diese Geschichte möchte ich noch gerne meiner Oma Martha widmen, die leider im November 2005 gestorben ist.
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