World of X

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Maybe hope?

von Cat

Kapitel 2

*****

Dana wusste nicht, ob es das zum Stehen kommen des Wagens oder aber das plötzliche Schweigen des Motors, der die Exagentin in einen wenig erholsamen Schlaf gelullt hatte, war, was sie auf einmal aufweckte. Benommen drehte sie ihren Hals von rechts nach links, versuchte so die verspannten Muskeln zu lockern. Irritiert sah sie neben sich. Mulders müder Blick war auf sie gerichtet, ein zärtliches Lächeln hatte sich auf seine rauen Lippen gelegt. Ihr schien als seien seine Wangen in der kurzen Zeit noch weiter eingefallen. Dunkle Ringe unter den haselnussbraunen Augen ließen Mulder krank und ausgezehrt aussehen. Und egal wie oft sie Fox in einer derartigen Verfassung bereits gesehen hatte, es versetzte ihrem Herzen abermals einen Hieb.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, erkundigte sie sich mit rauer Stimme und rieb sich mit den Handrücken über die müden Augen.
„Ungefähr vier Stunden.“, war die leise Antwort. Erst jetzt merkte sie, dass sich eine undurchdringlich wirkende Dunkelheit um den Parkplatz gelegt hatte, die einzig von einem schäbig wirkenden Imbiss und dem angeschalteten Innenlichtes des Wagens in Zwielicht getaucht wurde.
„Wie bitte? Warum hast du mich nicht geweckt? Verdammt, du hast seit über 24 Stunden kein Auge zugetan. Willst du uns umbringen?“ Diese Situation hatten die Nerven der ex-rothaarigen Frau blank gelegt. Sobald sie seinen verletzten, beinahe gequälten Gesichtsausdruck wahrnahm, bereute sie die schneidenden und harten Worte. Verlegen senkte sie kurz den Blick, fuhr mit ihrer linken Hand beschwichtigend über Fox Mulders Oberschenkel.

„Verzeih mir, Fox. Ich bin einfach fertig, es tut mir leid.“ Sanft umfasste seine Hand die ihre, zupfte verspielt an Danas Fingern. Eine stumme Geste, die mehr sagte als tausend Worte. Er wusste, wie viel Vertrauen es Scully kostete, dies vor ihm zuzugeben zu müssen, dass er dies niemals als eine Schwäche werten würde, vielmehr Respekt empfand.
„Ich weiß, ich hätte dich wecken sollen, doch ich konnte es einfach nicht.“ Mulder legte eine kurze Pause ein. „Hast du Hunger? Dort drüben habe ich eine Gaststätte entdeckt. Wir können eine Kleinigkeit essen, uns frisch machen und den Wagen tanken. Ich schlage vor, dass wir die Nacht durchfahren, so viel Entfernung wie möglich zurücklegen. Wir sind erst an die 500 km gefahren.“
Dann drehte sich der Mann um und suchte in der auf der Rückbank befindlichen Reisetasche nach ihrem Geld.
„500 km? Bist du geflogen?“, ungläubig betrachtete sie die Kilometeranzeige neben dem Tacho. Erst jetzt ging Dana auf, dass sie keinerlei Ahnung hatte, wo ihr nächstes Ziel lag.
„Wohin fahren wir, Mulder?“ Dieser öffnete bereits die Tür und deutete Scully an ihm zu folgen. Auf dem Weg zum Lokal fasste er kurz die mit Yves getroffene Vereinbarung zusammen. Er wollte nicht die Gefahr eingehen, noch so harmlos und unbeteiligt wirkenden Personen Anhaltspunkte über ihre Situation zu geben.

Zögerlich öffnete Mulder die mit greller Leuchtreklame verzierte Glastüre und ließ seiner Begleiterin den Vortritt. Auf der linken Seite war ein kleiner Laden abgetrennt, hinter dessen Kasse ein Teenager stand, der gelangweilt durch einige der dort verkäuflichen Zeitschriften blätterte. Nur kurz hob er den Kopf, mustere die Gäste und vertiefte sich wieder in seine Lektüre. Die einzige andere Person war eine stark übergewichtige Blondine, die gerade damit beschäftigt war die weiß-schwarzen Fliesen des Fußbodens im hinteren Bereich, dem Lokal, zu wischte. Auch sie sah auf, setzte beim Anblick von Kundschaft ein gekünzeltes Lächeln auf das breite Gesicht und hielt in ihrer Tätigkeit inne.
„N’abend. Wollen Sie nur was trinken, oder soll ich in der Küche bescheid sagen?“, erkundigte sie sich mit einem schleppenden südländischen Akzent als Begrüßung.
„Ja, haben Sie eine Karte?“, wollte Scully wissen, nicht sicher, ob diese Raststätte Essen servierte, das der von ihr bevorzugten Ernährung entsprach.
„Klar, setzen Sie sich einfach schon mal.“ Scully musterte skeptisch die Tische, deren Stühle bereits hochgestellt worden waren. Die Bedienung fing den fragenden Blick der Ex-Agentin auf.
„Ach, das war nur wegen dem sauber machen. Suchen Sie sich einfach einen Tisch aus. Wissen Sie schon, was Sie zu trinken wollen?“ Während sie sprach, sammelte sie bereits ihre Putzgeräte zusammen.

„Zwei Mal Orangensaft und einen Kaffee, bitte“, bestellte Dana und trat an einen kleinen, in einer Ecke befindlichen Tisch heran. Mulder folgte ihr einfach nur müde und ließ sich, nachdem sie ihre Stühle von Tisch herunter geholt hatten, erledigt darauf fallen. Erst jetzt nahm er Scullys äußerliche Veränderung bewusst wahr. Wie gerne er auch während der Fahrt vorhin die schlafende Dana genauer betrachtet hätte, so wusste er doch, dass er sich auf Grund seiner Müdigkeit nicht hätte ablenken dürfen. Doch nun fand er endlich die Zeit ihre Verwandlung richtig in sich aufzunehmen. Die dunklen, schokobraunen Haare umrahmten ihr blasses Gesicht, verliehen ihr ein beinahe aristokratisch wirkendes Aussehen. Die grelle Deckenbeleuchtung legte einen faszinierenden Schimmer auf Danas Haarpracht. Und obwohl er sich Dana Katherine Scully niemals wirklich anders als rothaarig vorgestellt hatte, so konnte er nicht abstreiten, dass dieses dunkle Haar ihr außerordentlich gut stand. Lächelnd ließ Dana seine stumme Musterung über sich ergehen, bemerkte wie sich sein Ausdruck von Neugierde über Zustimmung zu stiller Bewunderung veränderte. Er brauchte keine Worte, um sie wissen zu lassen wie sehr sie ihm so gefiel, wie schön sie in seinen Augen war.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie die Blondine mit einem Tablett auf sie zutrat. Geschickt platzierte sie die Getränke vor ihren Gästen und überreichte schweigend die Speisekarten. Während Dana nach einem vitaminreichen und gesunden Essen Ausschau hielt, vergewisserte sich Fox Mulder lediglich, dass Burger mit Pommes Frites im Menü enthalten waren. Zufrieden schloss er die verknitterte Karte wieder und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Abermals wurde seine Aufmerksamkeit magisch von seinem Gegenüber angezogen. Es schien ihm fast als würde er an jedem neuen Tag ein winziges Detail an Dana finden, welches sie noch schöner machte. Scully schien seine Beobachtung nicht zu stören, nur ein winziges Lächeln, welches sich zart auf ihre Lippen legte, zeigte, dass sie sehr wohl wusste, was er gerade tat.

Kurz darauf gaben sie ihre Bestellung auf. Dana unterließ jeglichen Kommentar bezüglich Mulders Wahl. Wenn er fettiges und kalorienreiches Essen wollte, dann sollte er es haben. Ein paar zusätzliche Pfunde konnten seiner hageren Gestalt nur gut tun. Die meisten Annehmlichkeiten ihres vorherigen Lebens hatten sie aufgeben müssen, also fand sie, dass ihnen wenigstens ein Minimum an Komfort zustand, auch wenn sie als Ärztin diese Speisewahl nicht wirklich gut heißen konnte. Während des Essens sprachen sie nur wenig, genossen vielmehr das angenehme Schweigen, welches sich über sie gelegt hatte. Es schien so etwas wie eine Pause, eine Auszeit zu sein. Reine Illusion, das wussten sie beide, doch ließen sie diese für einen kurzen Moment zu.

*****

Frisch gestärkt verließen sie die Raststätte, tankten den Wagen, nachdem beide die Toiletten aufgesucht hatten. Sie wussten, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten und nachdem Dana den Sitz und die Spiegel justiert hatte, startete sie das Auto.
„Mulder!“, entfuhr es ihr, als sie merkte, dass sich dieser daran machte, zwischen ihren Sitzen hindurch auf die Rückbank zu klettern. Im Rückspiegel konnte sie beobachten, wie ihr Begleiter den gesamten Inhalt der Tasche auf dem Sitz ausleerte.
„Was tust du da? Haben wir uns nicht darauf geeinigt, dass du schläfst, während ich fahre?“, ihre Stimme klang wie die einer Mutter, die ein kleines, unartiges Kind zurecht wies. Und genauso kam sie sich insgeheim auch vor.
Ihre Maßregelung ignorierend, begann er, nach keinem erkennbaren System, ihre Sachen in zwei unterschiedliche Stapel zu sortieren, den bohrenden Blick der Fahrerin durchaus auf sich spürend.
„Kommt es dir nicht auch merkwürdig vor, dass egal wohin wir fahren, egal wie spontan unsere Entscheidungen sind, wir jedes Mal kurz darauf wieder diese Bluthunde an den Fersen haben? Das Auto kann kaum verwanzt sein. Wir müssen uns von allem, was mit Peilsendern versehen sein kann, trennen.“

Ein Gedanke, der sich in den letzten Tagen immer mehr an die Oberfläche gedrängt hatte, durchzuckte die Ex-Agentin wie einen Blitzschlag. Unsicher, ob sie Mulder ihre Befürchtung mitteilen sollte, rutschte sie nervös auf ihrem Sitz hin und her. Wie würde er reagieren? Sie hatte eine gewisse Ahnung und fürchtete sich davor, einen weiteren Streit hervorzurufen. Doch war dieses Problem von viel zu großer Bedeutung, um ihren Partner im Unklaren zu lassen.
„Was ist, wenn ich ihr Peilsender bin?“, stellte sie die Frage, die schon seit viel zu langer Zeit an ihr nagte. Sofort beugte Mulder sich nach vorne.
„Nein, die Technologie, die deinen Chip manipulieren kann, ist mit dem Konsortium untergegangen. Warum würden sich unsere Verfolger sonst so viel Arbeit machen uns zu jagen, wenn sie dich mit Hilfe dieses Chips kontrollieren könnten? Und wir wissen, dass dies möglich ist.“ Die Erinnerung an jene Nacht auf der Brücke, das Feuer, der Geruch von verbranntem Fleisch ließ einen eiskalten Schauer über Scullys Rücken laufen.

„Du kannst es aber nicht hundertprozentig ausschließen, Mulder.“ Einen kurzen Moment später fügte sie leise hinzu: „Ich kann es nicht ausschließen!“ Als könne er ihren inneren Kampf spüren, fuhr er mit seiner Fingerkuppe sanft über Danas Wange.
„Ich versichere dir, das Konsortium ist zerstört. Und wie gerne die Regierung und ihre Institutionen diese Technologie hätten, so ist dies ein bloßer Wunschgedanke. Ich werde jetzt weitersuchen. Sollte ich nichts finden, so können wir uns damit auseinander setzten, aber ich bin davon überzeugt, dass sich in der Tasche und sehr wahrscheinlich auch irgendwo anders, Sender befinden.“ Ein letztes Mal liebkosten seine Finger die zarte Haut ihres Gesichtes, bevor er sich wieder in den hinteren Teil des Autos zurückzog.
Angespannt krallten sich Dana Scullys Finger an das Lenkgrad, gruben sich ins harte Leder. Ihr Blick ging starr geradeaus, in die Schwärze der Nacht und auf die Straße hinaus. Die Vorstellung, entweder den Chip aus ihrem Nacken herauszunehmen oder Fox zu seinem eigenen Schutz zu verlassen, setzte sich in ihr Hirn, ließ sich nicht mehr abschütteln. Sie warf kurze und nervöse Blicke nach hinten. Scully erkannte, dass er das kleine Photoalbum, welches ihre wichtigsten Erinnerungen an William in sich verborgen trug, in die Hand nahm.

„Nein“, flüsterte sie mit belegter Stimme. Sofort spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter, die sanft ihre angespannten Muskeln dort massierte.
„Nicht, die Bilder, Dana“, beschwichtigte er sie sanft. Dann verließ sie seine Hand, und sofort vermisste sie die Wärme und seine Nähe und musste schwer schlucken. Ihre wichtigste Aufgabe war es sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, doch konnte sie kurze Blicke auf die Rückbank nicht verhindern. Vorsichtig trennte Mulder die einzelnen Bilder von den Seiten und legte diese sorgfältig auf den kleinen Stoß zu seiner rechten, wo sich bereits die Fotos ihrer Familie und ein paar Aufnahmen von Samantha Mulder befanden. Das leere Album ließ er achtlos in die offene Tasche links neben sich fallen.
„Wir müssen so schnell wie möglich einkaufen gehen. Ich befürchte, dass unsere Kleidung ebenfalls präpariert ist. Ich möchte keinerlei Risiko eingehen.“ Geschäftig durchsuchte er ihre Habseligkeiten nach etwaigen Peilsendern.

Als ein „Scheiße, ich habe Recht“, die Stille im Wageninneren unterbrach, fuhr die dunkelhaarige Frau am Steuer leicht zusammen. Dann erkannte sie im Rückspiegel einen winzigen schwarzen Mikrochip, den er ihr kurz entgegenhielt.
„Wo war er?“, erkundigte sie sich sichtlich alarmiert und besorgt.
„Im Innenfutter meiner Jacke. Scully, ich fürchte, das ist erst die Spitze des Eisberges“, teilte ihr Fox Mulder mit einem ernsten Tonfall mit. Schweigend machte er sich weiter auf die Suche, während Dana tief in Gedanken versunken mit den Zähnen ihre Lippen malträtierte.

*****

Insgesamt fand Mulder neun der kleinen Sender. Einer war sogar in Danas Portemonnaie eingearbeitet worden. Die wenigen Dinge, die sie behalten würden, waren lose auf der Rückbank verstreut. Ein armseliger kleiner Berg, der doch die Welt zu bedeuten schien.
Kurz vor Sonnenaufgang bog Dana auf Mulder Geheißen hin auf einen kleinen Parkplatz direkt neben der Landstraße ein. Nur zwei LKWs, ein PKW und ein Kleintransporter standen dort, von den Fahrern keine Spur. Einige Windböen wirbelten Staub auf und überzogen die Fahrzeuge mit einer dünnen Sandschicht.

Sobald der Wagen stand, deutete Fox seiner Begleiterin an, ebenfalls zu ihm auf die Rückbank zu klettern. Diese öffnete jedoch nur kopfschüttelnd die Türe und stieg hinten im Wagen wieder ein. Die Gedanken der dunkelhaarigen Frau überschlugen sich, konnten all die Informationen, die Ängste, die kalt ihr Herz umklammerten, nicht kompensieren. Zu viel Ungewissheit umgab sie, raubte ihr sämtliche Hoffnungen. Seufzend sank sie in die Polsterung.

„Wir müssen deine Kleidung untersuchen. Im Bund meiner Jeans war ebenfalls etwas angebracht. Ob es der einzige Sender ist, weiß ich nicht, ich bezweifle es aber. Bei den Schuhen gehe ich fest davon aus, dass sie ebenfalls verwanzt sind.“
Zuerst streifte sich Dana ihren Pullover über den Kopf. Das dünne T-Shirt, das sie jetzt noch trug, konnte der kühlen Morgenluft nicht standhalten und ließ die zierliche Frau leicht frösteln, während Fox akribisch das graue Kleidungsstück abtastete.
„Finden tue ich nichts… dennoch sollten wir alles, was wir tragen, so schnell wie möglich loswerden. Das T-Shirt, bitte.“ Damit hielt er ihr den Pulli wieder entgegen. Unsicher blickte sich Scully zuerst um, bevor sie sich das weiße Shirt peinlich berührt auszog. Blitzschnell bedeckte sie ihre Blöße wieder mit dem zurück gewonnenen Pullover. Auch das T-Shirt schien den Fox-Mulder-Sender-Such-Test zu bestehen. Seine Partnerin verzichtete jedoch darauf, sich dieses wieder anzuziehen und legte es sorgfältig zusammen. Auffordernd sah Mulder in ihre Richtung.
„BH?“

„Also ich glaube kaum…“ Der Blick, den Dana von ihm auffing, ließ all ihren Widerstand verstummen und seufzend griff sie nach hinten, öffnete den Verschluss und zog ihren BH geschickt unter dem Pullover hervor. Erschrocken musste sie erkennen wie Mulder zu einem kleinen Taschenmesser griff, welches sie im Handschuhfach des zweiten Fluchtwagens gefunden hatten und ohne viel Federlesen die Naht, die die Bügel hielt, auftrennte.
„Mulder! Ich brauche diesen BH noch. Du kannst…“, abermals verstummte sie mitten im Satz. Mulder hielt einen weiteren schwarzen Sender zwischen den Fingern.
„Scheiße!“, war Danas einziger Kommentar. Eine plötzliche Übelkeit kam in ihr hoch, ließ ihren Magen sich schmerzhaft zusammenziehen. Scully musste schwer schlucken, um all der Ängste und Emotionen, die sich immer mehr an die Oberfläche drängten, Herr zu werden. Ihr war nach Schreien und Heulen gleichermaßen zumute. Mit ihrer hart antrainierten Selbstdisziplin verdrängte sie diese Gefühle, verbannte sie aus ihrem Bewusstsein. Sie wusste, dass eine einzelne Träne eine nicht enden wollende Tränenflut mit sich führen würde und dazu - ihren Emotionen freien Lauf zu lassen - war sie einfach noch nicht bereit. Sie musste wachsam und aufmerksam bleiben, die kleinste Unachtsamkeit konnte ihnen das Leben kosten.
Sich sammelnd zog sie laut Luft in ihre Lungen, spürte wie der Sauerstoff ihren Körper belebte, ihr Kraft und Energie spendete. Mulder begann ihre Hose gewissenhaft abzutasten. Jegliche Reaktionen ihres Körpers auf diese vertraute Berührung ignorierend, ließ sie sich von ihrem Partner sanft umdrehen. Kurz darauf fuhren seine Finger ihre Hosenbeine entlang. Beide waren wenig überrascht, auch in der Naht ihrer Jeans einen weiteren Sender zu finden. Resignierend ließen sich beide geben die Polster fallen.

Sie hatten erst weitere 300 km hinter sich gebracht und immer aussichtsloser erschien ihnen eine sichere Ankunft am vereinbarten Treffpunkt, geschweige denn, dass sie jemals die kanadische Grenze erreichen würden. Es war beinahe so als würden diese Sender ihnen unaufhörlich Energie absaugen und sie hatten es erst jetzt bemerkt. Mulder war der erste, der das Schweigen durchbrach.
„Wie weit ist die nächste Stadt entfernt?“, fragte er mit leiser aber sicherer Stimme.
„Etwas 30 Meilen.“
„Dann sollten wir sehen, dass wir so schnell wie möglich dort hin kommen und uns neu einkleiden. Ich werde nur noch gerade unsere Tasche entsorgen“, teilte er Dana mit, während er bereits die Türe öffnete.
„Wir haben bestimmt noch immer Sender an uns.“ Mit einer Handbewegung deutete sie auf Mulders und ihre Schuhe.
„Ja, aber wenn sie jetzt ein starkes und ein schwaches Signal empfanden werden, werden sie zuerst dem starken folgen, nicht dem schwachen. Das gibt uns einen Vorsprung und eine faire Chance, uns dieser Kleidung zu entledigen, bevor sie bemerkt haben, was eigentlich los ist“, mutmaßte er. Dann trat er nach Draußen und verschwand zwischen den anderen parkenden Fahrzeugen.

Seufzend stieg auch Scully aus, vertrat sich kurz die schmerzenden Beine, entfernte sich dabei jedoch nicht weit vom Wagen und hielt aufmerksam nach ihrem Partner Ausschau. Nur wenige Minuten verstrichen bis Mulder wieder zu ihr zurückkehrte.
„Unser Gepäck wird jetzt als blinder Passagier nach New Mexiko fahren“, kommentierte er einen gerade losfahrenden LKW. Zufrieden ließ er sich auf den Beifahrersitz fallen. Auch jetzt war nicht an Schlafen zu denken, das wussten beide.

*****

Langsam lenkte Scully den Wagen durch eine Kleinstadt. Diese Ortschaft war groß genug, dass sich die Anwohner über Autos mit fremden Kennzeichen nicht wundern würden. Sie folgte den Hinweisschildern, die sie zu einer kleinen Mall führten. Bis jetzt hatte Dana noch keine Verfolger wahrgenommen, fühlte sich jedoch dadurch nicht sicherer oder zuversichtlicher. Nur wenige Autos waren zu der frühen Stunde auf dem Parkplatz abgestellt. Sicher steuerte die junge Frau eine freie Lücke an.

Gemeinsam betraten sie die Einkaufspassage, blieben kurz stehen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Nur wenige Passanten eilten an ihnen vorbei, zu sehr mit ihren Einkäufen beschäftigt, als dass sie die Menschen um sich herum genau wahrnahmen. Neben einigen Kaffees, Boutiquen, Schmuck- und Schuhgeschäften, gab es auch einen Markt einer weit verbreiteten Supermarktkette. Zielstrebig steuerten die Flüchtigen den ersten Fashion-Store an. Dort trennten sich ihre Wege kurz, doch sie verloren sich niemals wirklich aus den Augen.
Während Mulder, nicht auf Preise und Farben achtend, eine neue Garderobe zusammenstellte, nahm sich Dana wenigstens bei einigen Kleidungsstücken die Zeit diese kurz anzuprobieren. Doch auch sie beeilte sich mit ihrer Auswahl. Zeit war ein kostbares Gut geworden, eines, welches sie nicht zu verschenken hatten.

Keine zwanzig später Minuten standen David und Gillian O’Donell gemeinsam an der Kasse, mit hohen Wäschebergen in den Armen. Als die Registerkasse über 300 US$ anzeigte, musste beide kurz schlucken, sie wussten jedoch, dass dieser Einkauf unaufschiebbar und notwendig war. Nachdem sie noch Schuhe und einige Lebensmittel erstanden hatten, machten sie sich mit unzähligen Tüten beladen auf den Weg zu den Toiletten. Sie hatten beschlossen sich direkt in der Mall umzuziehen und die alten und wahrscheinlich verwanzten Kleidungsstücke direkt dort zu entsorgen.
Sorgfältig entfernte Scully die Preisschilder. Auch wenn ihr der bloße Gedanke, ungewaschene und neue Unterwäsche tragen zu müssen, zuwider war, so konnten sie sich den Luxus eines Zwischenstopps in einem Waschsalon nicht leisten. Dinge, die vor einigen Tagen noch selbstverständlich für sie galten, waren mittlerweile nur noch Erinnerungen. An eine Zeit, die schon unzählige Monate oder gar Jahre zurückzuliegen schien, obwohl Mulders Flucht aus dem Gefängnis nicht einmal eine Woche her war. Zeit hatte eine neue Bedeutung für sie und ihren Partner gewonnen. Nicht mehr messbar in Arbeitszeit oder Feierabend, vielmehr gaben nun die Momente, in denen es den Flüchtigen gegönnt war, für wenige Minuten ihre Achtsamkeit schweifen zu lassen, den Ausschlag. Augenblicke, die ihnen erlaubten Fox und Dana zu sein, nicht Mulder und Scully, zwei Ex-Agenten, die, wie es den Anschein hatte, vor der ganzen Welt davon liefen. Gleichermaßen beherrschte sie die Hoffnung endlich ihre Verfolger abhängen zu können, aber auch die Angst vor den Konsequenzen, sollte dem nicht der Fall sein. Doch Gewissheit konnte nur die Zeit selbst bringen.

Ein letztes Mal betrachtete sich die nun brünette Frau abwägend im Spiegel. Obwohl die Kleidung gewöhnungsbedürftig für die vormals Kostüm tragende Regierungsbeamtin war, gefiel ihr dieses legere Outfit. Dunkelblaue, leicht ausgestellte Jeans boten einen schönen Kontrast zu einem dünnen, grünen Wollpullover mit einem schönen V-Ausschnitt. Das goldene Kreuz an seiner feingliedrigen Kette umrahmte ihren schlanken Hals. Schnell schlüpfte Dana in die dunklen Sneaker und verstaute die getragene Kleidung in eine der leer geräumten Tüten. Mulder wartete bereits vor der Damentoilette auf sie. Anerkennend ließ sie ihren Blick über sein Erscheinungsbild gleiten. Auch er trug Jeans, obgleich seine etwas heller waren. Ein weißes Hemd, dessen Ärmel Fox bereits nach oben geschoben hatte und Turnschuhe vervollständigten sein lässiges Outfit, von dem Scully fand, dass es ihm ausgezeichnet gut stand.

Seine linke Hand legte sich auf ihren unteren Rücken, während sie das Einkaufzentrum verließen. Diese vertraute Geste löste einen angenehmen Schauer aus, der sich seinen Weg über den Rücken der schlanken Frau bahnte. In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass egal wie viele Meilen sie von ihrer einstigen Heimat entfernt waren, egal wie schlecht oder düster ihre Zukunft aussehen mochte, egal was morgen oder übermorgen über sie hinein brechen würde, sich eine Sache niemals ändern würde. Mulder. Ihr Partner, ihr bester Freund, der Mann, den sie liebte, ihre Konstante. Er gab ihr Kraft, spendete Energie und war zugleich ihre Heimat. Und dann verspürte sie ein Gefühl, von dem sie angenommen hatte, es niemals wieder zu fühlen – Zuversicht.

*****

Unauffällig entsorgte das Paar die Tüten im hinteren Bereich des Parkplatzes, der wohl den Lieferanten als Müllabgabe zu dienen schien. Gerade als Mulder den Deckel des Containers wieder einrasten ließ, erfasste ihn ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend. Einer bösen Vorahnung gleich, schien sein inneres Warnsystem Alarm zu schlagen. Beunruhigt suchten seine Augen die Umgebung ab. Dann setzte sein Herz beim Anblick von drei auf sie zueilenden Gestalten einen Takt aus. Bullige, schwarz gekleidete Männer, ganz klar erkennbar bewaffnet, rannten über den Parkplatz, schoben ihnen in den Weg kommende Passanten achtlos zur Zeit, was eine alte Dame zu Fall brachte. Immer schneller kamen die Gestalten auf sie zu.
„Scully, lauf!“, brüllte Fox, noch während er - den Arm seiner Partnerin ergreifend - in Richtung des Wagens losstürmte. Der heftige Ruck an ihrem Arm brachte Dana leicht ins Straucheln, doch sie schaffte es das Gleichgewicht zu halten. Zahlreichende Autos, zwischen die sie sich hindurchzwängen mussten, bremsten ihre Flucht, ließen es zu, dass ihre Verfolger beängstigend schnell die Distanz verringerten, immer mehr an Boden gewannen. Panik trieb Mulder und Scully weiter, doch unterbrach er nicht dem physischen Kontakte, der ihn mehr als ihr keuchender Atem versicherte Dana nicht hinter sich zurück zu lassen.

Nach Luft ringend erreichten sie den rettenden Wagen. Die Einkäufe wahllos ins Innere schmeißend, sprang Scully hinter das Lenkrad und Mulder stürzte sich auf die Rückbank. Sie warte nicht ab bis der Mann hinter ihr die Türe ganz geschlossen hatte und startete den Wagen. Mit Vollgas raste sie über den Parkplatz, inständig betend keinen Fußgänger zu überfahren. Im Rückspiegel erkannte sie einen schwarzen Wagen mit verdunkelten Scheiben, der nicht minder schnell hinter ihnen über die verkehrsberuhigte Zone brauste. Mit quietschenden Reifen schlitterte sie durch die enge Kurve, die auf die Landstraße führte. Verbissen starrte Scully auf die Straße und konzentrierte sich darauf nicht aus der Spur zu kommen. Mulder schob sich währenddessen nach vorne, um auf den Beifahrersitz zu gelangen. Aufgrund ihrer Fahrlage hatte der schlaksige Mann Probleme sein Gleichgewicht zu halten und mehr als einmal kippte er unsanft gegen seine Partnerin, die ihm kurze Blicke zuwarf. Zu spät bemerkte sie einen silbergrauen Passat, der laut hupend auf sie zusteuerte. Weiterhin das Gaspedal voll durchtretend, riss die das Lenkrad herum, brachte das Auto somit ruckend auf den Fußgängerweg und wenig später durchpflügte der Landrover die sorgfältig angelegte Grünanlage und setzte sich somit direkt vor den Passat. Doch auch der schwarze BMW raste rücksichtslos durch das Beet, drängte den Fahrer des hinderlichen Fahrzeuges brutal von der Straße, geradewegs durch die Grünanlage und in die parkenden Autos der Mall hinein. Entgegen ihrer Befürchtungen schossen ihre Verfolger nicht auf sie. Ihre Aufgabe stellte wohl die lebendige Ergreifung ihrer Opfer da. Dennoch klebte der BMW beängstigend nah an ihrem Auto, versuchte wiederholt sie auf der engen Landstraße zu überholen.

Ein Ruck ging durch den Wagen, presste seine Insassen in die sicherheitshalber angelegten Gurte.
„Gib Gas, die wollen uns von der Straße rammen“, fasste Mulder das Offensichtliche zusammen. Die Zähne fest zusammenpressend, rutschte Dana weiter nach vorne, trat die letzten Millimeter des Gaspedals gnadenlos durch. Doch konnte es der schäbige Landrover niemals mit dem PS- starken BMW aufnehmen. Ein weiterer heftiger Ruck ließ ihr Fluchtfahrzeug unkontrolliert zur Seite schleudern, doch es gelang Scully das Auto wieder unter Kontrolle zu bringen. Ihr Blick hefte sich auf den Rückspiegel, direkt auf das zu einer hässlichen Grimasse verzogene Gesicht des anderen Fahrers. Eiskalte Augen schienen die ihren sofort zu treffen, durchbohrten ihr Innerstes gnadenlos und lösten eine Gänsehaut auf dem Körper der brünetten Frau aus. Winzige Härchen richteten sich unweigerlich an ihrem Nacken und den Armen auf, beschworen einen eiskalten Schauer herauf.
Abermals wurde das Auto aufgrund einer weiteren Kollision durchgerüttelt, dann drängte sich der schwarze Wagen links neben sie, schob sich Zentimeter für Zentimeter nach vorne und zwang Scully auf die Gegenfahrbahn. Neben sich nahm sie aus dem Augenwinkel wahr wie Mulder seine Waffe hervorzog und mit einem wohlbekannten Klicken entsicherte. Beinahe einem unterbewussten Drängen folgend, fand ihr Blick den ihres hämisch grinsenden Verfolgers, der einer grüßenden Geste gleich die Hand hob. Gelbliche, schief stehende Zähne wurden gebleckt, verliehen ihm ein beinahe dämonisches Aussehen.

„Scully!“, ein markerschütternder Schrei riss ihre Aufmerksamkeit wieder zur Straße zurück. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie die grellen Frontleuchten eines gigantischen Trucks auf sie zuschnellen. Der schrille Ton eines Hupsignals drang an ihr Ohr. Instinktiv trat sie in die Bremsen und löste somit ein schrilles Quietschen der Autoreifen aus. Der BMW vollführte einen rasanten Rechtsschlenker, während er langsamer wurde. Gerade als sie den Landrover ebenfalls nach rechts bringen wollte, spürte sie wie sie brutal von der Seite gerammt, weiter auf die Gegenfahrbahn gedrückt wurden. Der sich ihr nähernde LKW verlor immer mehr an Distanz, sein Licht blendete ihre müden Augen. Entschlossen riss sie das Lenkrad nach Rechts, trat das Gaspedal abermals durch. Der Wagen schoss quer über die Straße, einer Böschung entgegen. Scully bemerkte wie sich der Truck in seinem Bremsmanöver quer schob, den BMW somit hinderte die Verfolgung fortzusetzen.

Der graue Asphalt ging in Rollsplitt über, schüttelte den Wagen, den Dana verbissen abzubremsen versuchte, unsanft durch. Vor sich sah sie nur noch Laub, als sich der Landrover herum schob und seitlich in die Büsche rutschte. Diese konnten die Gewalt des Aufpralls nicht abfedern, gaben dem Gewicht nach und bremsten den Wagen nur unmerklich. Das Letzte, was Scully wahrnahm, war Mulders lauter Aufschrei, als sich unter ihnen ein steiler Abgrund auftat, ihr Fahrzeug unweigerlich seinen Weg fortsetze und hinunterstürzte. Der harte Aufprall auf steiniges Geröll löste ein Unheil verkündendes Geräusch von berstendem Metal aus, wirbelte das Wrack herum. Heftig schlug ihr Kopf auf dem Lenkrad auf, tränkte das weiche Leder mit frischem Blut. Dann herrschte nur noch Stille, als eine sanfte Schwärze ihre Sinne umhüllte.

*****

Dichte, dunkle Rauchwolken stiegen aus dem Tal auf, verschleierten die Sicht, vermischten sich mit der klaren Luft und hinterließen eine brennendes Gefühl in den Lungen. Einige Schaulustige säumten die schmale Böschung, lugten durch das beschädigte Geäst hindurch. Ein gewaltiges Inferno wütete unter dem steilen Abhang, zahlreiche Funken und Feuerszungen sprangen auf das ausgedörrte Gras neben dem ausbrennenden Autofrack über. Sie verwandelten die karge Landschaft blitzschnell in ein Meer aus Flammen, das bedrohlich wirkend, immer mehr an Dichte gewann, das wenige Leben, das unter der hiesigen Sonneneinstrahlung vegetieren konnte, gnadenlos vernichtend. Die vorangegangene, gewaltige Explosion hatte die wenigen Menschenseelen, die Zeugen dieses verheerenden Unfalls wurden, in Mark und Bein erschüttert. Endlich erklang in der Ferne das stetig lauter werdende Martinshorn der verständigten Feuerwehr, brachte den Leuten gleichsam Erleichterung.

Ungeachtet der Menschen oder des wütenden Feuers waren zwei schwarz gekleideten Gestalten zu beobachten, die geschickt die Böschung herunter kletterten. Akribisch suchten sie die Umgebung ab, wagten sich jedoch nicht direkt an das brennende Fahrzeug heran. Hitze schlug ihnen entgegen, der dichte Qualm setzte sich beißend in ihre Atmungsorgane, raubte ihnen die Sicht. Das wütende Feuer machte es ihnen unmöglich einen genauen Blick ins Wageninnere zu erhaschen, doch ließ die Explosion, die den Landrover unmittelbar nach dem Absturz entflammt hatte, jegliche Überlebenschance der Agenten schwinden. Schnell entfernten sie sich von der direkten Gefahrenzone, spähten dennoch aufmerksam in sämtliche Richtungen, nicht gewillt Fox Mulder selbst jetzt in irgendeiner Weise zu unterschätzen. Doch stand sämtliches Gebüsch um das Wrack herum in Flammen, bot somit keinen Schutz für die Flüchtigen. Erst der auf sie zurasende Löschzug der Feuerwehr ließ die Männer sich zurückziehen und wieder zu ihrem Auto klettern. Sie wollten nicht Gefahr laufen Fragen gestellt zu bekommen, die nicht beantwortet werden durften.

Schnell erreichten sie die sichere Straße und den am Rand abgestellten BMW. Sich den Staub von den teuren Designeranzügen klopfend, drehte sich der größere der beiden - der Fahrer - dem dritten, am Wagen wartenden Mann zu.
„Das können die nicht überlebt haben, unmöglich.“ Ohne jede Gefühlsregung spuckte er auf ein sauberes Taschentuch, um sich die Designerschuhe damit zu polieren.
„War unser Auftrag nicht sie lebend zu übergeben?“, fragte der kleinere, blonde Mann, der ebenfalls seinen Anzug abklopfte und über die Geschehnisse sichtlich beunruhigter als seine Begleiter wirkte.

„Selbst wir können einem bedauerlichen Autounfall nicht entgegenwirken. Frauen am Steuer!“, entschied der dritte Mann, der am Wagen lehnte und seine Kollegen musterte. Bei diesem Kommentar warf der Dunkelhaarige mit den gelben Zähnen lachend seinen Kopf nach hinten, seinem Amüsement über diese Situation ganz klar Ausdruck verleihend.
„Sieh es mal so, Simon, damit hätten wir ein gelöstes Problem und können endlich diese Hölle von einem Staat verlassen. Doch eines muss ich den Agenten lassen, beinahe hätten sie uns ausgetrickst, aber nur beinahe!“ Mit sich zufrieden, glitt er hinters Lenkrad des BMWs, ungeduldig auf das Einsteigen seiner Arbeitskollegen wartend. Sobald diese die Türen geschlossen hatten, brauste der dunkle Wagen davon, ungeachtet der Menschen, die noch immer viel zu gefesselt von den Löscharbeiten im Tal waren.

*****

Sanft und vorsichtig führte er das feuchte Tuch über die blasse Haut, der nun nicht mehr blutenden Wunde an der Schläfe kam er nicht zu nah. Vollkommen entspannt lag Dana vor ihm, ihre Augenlieder flatterten leicht, doch war ihr Puls langsam und regelmäßig. Mulder legte den Lappen zurück in die kleine Wasserschale. Getrocknetes Blut, welches er von Scullys Gesicht abgewaschen hatte, verfärbte das restliche, vormals saubere Wasser zu einer hellroten Brühe. Das Klopfen an die Zimmertüre ließ den Flüchtigen erschrocken zusammenfahren. All seine Sinne bereiteten sich auf Angriff vor. Er hatte diese Gewohnheit bereits so verinnerlicht, dass er sogar beim Summen einer gewöhnlichen Stubenfliege aus dem Tiefschlaf hoch schreckte. Bewusst versuchte er seine überstrapazierten Nerven zu beruhigen. Doch viel zu laut und schnell hörte er das Blut durch seine Adern pumpen. Er zwang sich aufzustehen und die Türe zu öffnen.

„Ich habe Ihnen etwas Gebäck, Tee und Orangesaft gebracht. Das wird die Mrs. sicherlich wieder aufpäppeln. Sie könnten auch einen guten Happen vertagen.“
Das runde, wettergegerbte und braungebrannte Gesicht der alten Frau strahlte ihn an, während sie ihn beiseite schob und den Raum betrat. Auf dem kleinen Tisch in der hinteren Ecke stellte sie das Tablett ab. Sofort zog Mulder der herrliche Duft von frischem Hefegebäck in die Nase, was seinen Magen dazu brachte fordernd zu knurren. Dieser Laut brachte die pausbäckige Frau zum Lachen.
„Dachte mir, dass Sie ausgehungert sind. Bis zum Abendessen ist es ja noch eine Weile hin. Und jetzt essen Sie etwas. Noch leicht warm schmeckt es am besten. Ist ein Familienrezept, schlagen Sie zu, Junge!“, auffordernd schob sie ihren Gast an den Schultern zum Tisch. Dieser schien zwischen der Verlockung nach dem herrlich duftenden Teilchen und dem Pflichtgefühl sich um seine Begleiterin zu kümmern hin- und hergerissen. Beth McKennith nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie sich neben das Bett der zierlichen Dunkelhaarigen setzte. Prüfend fuhren ihre rauen Finger zuerst an den Puls, dann an die Stirn der Verletzten.
„Mach Sie sich nicht zu viele Sorgen. Sie schläft ganz friedlich und ihre Temperatur ist auch normal. Ich werde jetzt diese hässliche Wunde versorgen und wenn sie wieder aufwacht, wird sie fast wie neu sein“, plapperte Beth munter drauflos, während Mulder das erste Hefegebäck gierig verschlang. Der heiße Tee folgte, dann ein weiteres Teilchen. Während er schluckte, studierte er die kleine Frau ausgiebig. Sie schien bereits in ihren 70ern zu sein, doch merkte man ihr das nicht direkt an. Einzig das faltige und wettergegerbte Gesicht gab Ausschluss über ihr wahres Alter. Beth McKennith hatte der Himmel geschickt!

Sie lebte bereits seit Jahrzehnten in dieser kleinen Ortschaft, hatte einen kleinen Bauernhof und ließ es sich trotz ihres Alters nicht nehmen jedes Jahr die Felder selbst zu bestellen. Sie war Witwe, doch hatte sie nach dem Tod ihres Mannes nie der Lebenswille verlassen. Täglich fuhr sie mit ihrem Pick-Up durch die nahe liegenden Ortschaften, brachte ihren Stammkunden frische Milch, Eier und auch Honig. Ihre kleine Statur ließen sie fast nicht hinter dem Lenkrad hervorragen, doch beherrschte sie den großen Wagen ohne Mühe. Heute Nacht jedoch hatte eine ihrer Kühe gekalbt, was ihren Rhythmus an diesem verhängnisvollen Tag verzögert hatte. Sie war erst einige Stunden später aufgebrochen, nicht schon zu Sonnenaufgang, wie sie es immer tat. Dann, als sie gerade auf dem Rückweg war, ließ sie der Anblick eines die steile Böschung des angrenzenden Highways hinunter rasenden Jeeps jäh bremsen. Das Gefährt überschlug sich und prallte hart auf. Beth hatte die Luft angehalten und inständig Gebete gen Himmel gesandt. Doch wie durch ein Wunder bemerkte sie einen dunklen Schopf, der scheinbar unverletzt durch das Fenster der Beifahrerseite geklettert kam. Augenblicklich hatte sie ihr Auto verlassen und war zu dem Unfallopfer geeilt. Dieses war bereits zu Gange eine weitere, kleinere Person aus dem Frack zu ziehen. Erst später hatte sie erkannt, dass es eine offensichtlich bewusstlose Frau war.

Was dann geschah, ging rasend schnell. Sofort hatte der dunkelhaarige Mann seine verletzte Begleiterin zum Pick-Up getragen und Beth hatte auf seine Bitte hin die verstreuten Tüten aus dem Wageninneren gefischt. Gerade, als sie schnell zu ihrem eigenen Wagen zurückkehrte, kam ihr das männliche Unfallopfer wieder entgegen. Entsetzt musste sie beobachten, wie dieser mit einem Feuerzeug den Wagen in Brand setzte, dann wieder auf sie zueilte und Beth antrieb schnell von hier zu verschwinden. Auch wenn die Bäuerin sehr zurückgezogen lebte, so besaß sie einen Fernseher. Und dieser ganze Unfall, dessen Hergang, ihre schnelle Flucht und die Entzündung des Wagens, dessen Explosion sie wenig später selbst auf großer Entfernung noch gespürt hatte, ließ sie glauben, sie befände sich in einem ihrer heißgeliebten Thriller. Sie malte sich farbenfroh aus, dass diese beiden vielleicht von einer Regierungsinstitution oder der Mafia gejagt wurden, weil sie zu viel wussten. Und obgleich diese Aufregung viele ihrer Altersgenossen wohl umbringen würden, konnte Beth dies nur als willkommene Abwechslung zu ihrem sonst so routinierten Tagesablauf auffassen. Ohne zu zögern bot sie den Fremden bei sich Unterschlupf an. Anfangs zögerlich, dann jedoch dankbar nahm der Mann schließlich an. Bevor sie auf dem Hof ankamen, erlangte die Frau auf der Rückbank das Bewusstsein wieder, flüsterte leise und kraftlos „Mulder“. Noch während Beth sich fragte, was oder wer denn ein Mulder war, driftete die attraktive Frau in einen tiefen Schlaf. Der Mann hatte sich mit David O’Donell vorgestellt, während seine Finger unaufhörlich über das Gesicht seiner Frau, Gillian, strichen.

Nun also beherbergte sie jene geheimnisvollen Fremden. Sie betrachtete den weiterhin kauenden Mann unauffällig. Einen ausgehungertem Tier gleich hatte er die Hälfte der Teilchen in sich hinein geschlungen. Und obwohl er wirkte als könne er noch weitere vertragen, so rührte er keines der verbleibenden Gebäcke an.
„Sie können gerne mehr essen. In der Küche ist noch ein ganzes Blech voll. Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Mrs. bekommen wir auch noch satt, wenn sie aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht.“ Leise lachte die alte Frau in sich hinein und doch konnte sie Davids Achtung und Sorge um seine Frau nur bewundern. Auch wenn sie nicht wusste, wer diese beiden Menschen verfolgte oder vor was genau sie auf der Flucht waren, so erkannte sie eine Emotion, die trotz aller Sorgen, Nöte und Probleme, die sie zu überschatten schienen, hervorragte. Der Sonne gleich die Weiten des Horizontes beherrschte. Es war Liebe.
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