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Familienbande V: Vermächtnisse

von Dawn

Kapitel 5

Alexandria
Samstag
19:30 Uhr


Scully folgte dem Geruch von Knoblauch und Oregano sowie dem gedämpften Husten in die Küche. Mulder, der gerade mit ihrem Abendessen zurückgekehrt war, hatte sie dazu reduziert Musik auszuwählen und sie ins Wohnzimmer geschickt. In der Zwischenzeit hatte er den Küchentisch mit Kerzen und einer Rose verziert. Sie kam gerade rechtzeitig durch die Tür um zu sehen, wie Mulder vergeblich versuchte mit seinem Armrücken einen Hustenanfall zu unterdrücken.

„Ich hab dir gesagt, dass ich das Essen hätte holen sollen. Die Jacke war nicht warm genug und das letzte was du jetzt brauchst ist eine weitere Erkältung.“, sagte Scully missbilligend.

„Scully, mir gehts gut.“, blaffte Mulder aber seine Worte verloren ihren Biss als er wieder zu Husten begann.

„Was auch immer.“, murrte Scully, drängte ihn aus dem Weg und öffnete den Behälter mit den Fettucini. Sie schloss ihre Augen und inhalierte vergnügt den Duft bevor sie etwas davon auf einen Teller gab.

Mulder schluckte seinen Ärger runter und kämpfte mit der Weinflasche, wobei er einen Teil seines Ärgers an dem Korken ausließ. „Ich gehe am Dienstag zum Arzt, Scully. Du kannst es jetzt drangeben, du hast gewonnen.“

Der Korken der Weinflasche flog ungefähr zur gleichen Zeit davon wie Scullys. „Was soll das heißen – ich hab gewonnen?“

Die Stimme der Vernunft in seinem Kopf flüsterte, dass er unsensible war, aber Mulder ignorierte sie. Das nervige Kitzeln in seiner Brust und der es begleitende Schmerz, der irgendwann während des zum Scheitern verurteilten Basketballspiels begonnen hatte, bestätige die Berechtigung von Scullys Sorge und brachte ihn auf die Palme.

„Na das wonach es sich anhört! Du hast mich die letzten zwei Wochen wegen ein bisschen Husten genervt und jetzt hast du’s geschafft. Ich hab den verdammten Termin gemacht, also könntest du jetzt wenigstens damit aufhören!“

Das Gift in seinen Worten tat weh und Scully presste ihre Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Sich verteidigend sprach sie ohne über ihre Worte nachzudenken. „In meiner Familie nennt man das Anteilnahme, Mulder. Tut mir Leid wenn dir dieses Konzept fremd ist.“

Die Worte trafen ihn wie Pfeile und für einen Moment konnte Scully den Schock und Schmerz in seinen Augen lesen bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Mulder wandte sich von ihr ab, öffnete eine Schranktür und stieß ein sarkastisches Lachen aus. „Was willst du damit sagen, Scully? Du meinst, du glaubst nicht dass die Mulders Poster Material für eine liebende Familie hätten sein können?“

Er nahm zwei Gläser und füllte sie halb mit Wein, Gesicht ausdruckslos. Nur das leichte Zittern der Flasche betrog seine Gleichgültigkeit. Scully schloss ihre Augen und seufzte. Ihr Ärger war in dem Moment verschwunden als ihr klar wurde, dass sie ihn verletzt hatte und ließ nur Resignation und Reue zurück. Manchmal war eine Beziehung mit Mulder zu haben wie eine Wildwasserfahrt – sie fühlte sich mitgerissen, nur einen Bruchteil an Kontrolle habend und viele gefährliche Vorsprünge da findend wo man sie am wenigsten erwartete.

„Mulder, so hab ich das nicht gemeint.“, sagte sie leise und starrte auf seinen steifen Rücken.

Mulder drehte sich um und hielt ihr ein Glas hin, aber seine Körpersprache blieb in Schutzfunktion. „Sicher hast du das, Scully. Und wir beide wissen, dass du Recht hast.“, antwortete er, schwenkte sein Glas mit dem Wein und studierte es. „Denn...“

Das Telefon klingelte und Mulder stellte sein Glas auf die Anrichte um dann an Scully vorbei zum Wohnzimmer zu gehen, wobei er mit seinen Fingern sanft über Scullys Arm strich.

„Mulder. – Hi Kristen, was gibts?“

Scully lehnte sich gegen die Anrichte und nippte an ihrem Glas während sie Mulders Hälfte des Gesprächs lauschte.

„Was, er ist nicht da?“ Kurze Pause. „Er ist hier vor über einer Stunde weg, er hätte um sieben bei dir sein müssen.“

Alarmiert durch den Stress in seiner Stimme ging Scully ins Wohnzimmer. Eine Hand presste das Telefon fest an Mulders Ohr, die andere spielte ruhelos mit dem Kabel.

„Ich bin sicher es gibt eine vernünftige Erklärung – vielleicht steckt er im Stau oder ist noch mal in nen Laden gegangen.“

Obwohl seine Stimme generell ruhig und versichernd klang, schrie seine Körpersprache vor Sorge. Er kaute auf der Innenseite seiner Unterlippe während er Kristen zuhörte, seine Finger trommelten ungeduldig auf den Schreibtisch und er trippelte mit den Füßen.

„Nein. Du bleibst da. Scully und ich werden den Weg zu deinem Haus absuchen und sehen ob wir ihn finden. Wir sind schon unterwegs.“ Er lauschte einen Augenblick und Scully konnte leise Kristens Redefluss am anderen Ende hören. „Versuch dir keine Sorgen zu machen. Ich bin sicher es ist nichts. Wir sehen uns gleich.“

Mulder legte den Hörer übertrieben vorsichtig auf und starrte für einen Moment ins Leere, bevor sein Blick zu Scully wanderte. Es war offensichtlich dass er sehr aufgewühlt war aber versuchte, dies nicht zu zeigen.

„Grey ist nicht bei Kristen angekommen.“, stellte Scully fest und näherte sich ihm, berührte ihn aber nicht.

„Sie ist sehr besorgt. Kann sich nicht vorstellen, was ihn aufgehalten haben kann.“ Mulder fuhr sich abwesend mit der Hand durchs Haar. „Ich kann das auch nicht.“

„Zieh einen Pulli an und dann gehen wir“, sagte Scully sanft.

Mulder nickte steinern und verschwand im Schlafzimmer ohne zu murren, was eindeutig zeigte wie besorgt er war. Scully seufzte und zog ihre Jacke an, wobei sie sich versprach, dass früher oder später der Konflikt, den sie in der Küche hatten zwischen ihnen gelöst werden würde. Als er in einem marineblauen Pulli mit V-Ausschnitt wiederkam und die Hand ausstreckte zog sie eine Augenbraue in die Höhe.

„Schlüssel?“, fragte er ungeduldig.

„Ich fahre. Es ist immerhin mein Auto und der Sitz ist so eingestellt, dass meine kleinem Füße auch die Pedale erreichen können.“

Sie war nicht wirklich sauer, aber leicht verärgert, dass er davon ausging dass sie den Beifahrer spielen würde. Die Bemerkung über ihre Füße war als Witz gemeint gewesen, um die Stimmung aufzulockern, schien aber das Gegenteil erreicht zu haben. Mulders Ausdruck verdunkelte sich und Scully bereitete sich auf einen erneuten Kampf vor als er den Mund öffnete. Aber zu ihrer Überraschung schloss er ihn wieder und zuckte mit den Achseln.

„Wenn du meinst.“, murmelte er und ging zur Tür.

Scully folgte ihm durch den Flur in den Aufzug und versuchte seine Stimmung einzuschätzen. Im Gegensatz zu ihrer ersten Vermutung schien er nicht verärgert, sondern nur abgelenkt zu sein. Sie hakte sich bei ihm ein und beobachtete, wie er seine Aufmerksamkeit auf sie lenkte.

„Du kannst fahren, wenn du magst, Mulder. Mir ist es eigentlich egal.“

Mulder sah sie dankbar mit weiten Augen an. „Ich muss... ich muss jetzt einfach irgendwas *tun*, Scully. Wenn ich nur rumsitzen muss, drehe ich durch.“

Die Aufzugtüren öffneten sich und sie hatte kaum Zeit ihm die Schlüssel in die Hand zu drücken bevor er los lief, wobei seine langen Schritte doppelt so viel Raum fraßen wie ihre. Als er hinter dem Steuer saß, steckte er die Schlüssel in die Zündung und hielt dann inne. Scully sah den Ausdruck auf seinem Gesicht und interpretierte ihn richtig.

„Mulder, es ist wahrscheinlich nichts.“

Mulder holte tief Luft, atmete langsam aus und startete den Motor. Einmal auf der Straße angekommen beugte er sich über das Lenkrad und suchte den Horizont mit scharfen Augen ab. Scully richtete ihren Blick mehr auf den Randstreifen, leise betend dass sie Mulders Auto in Sicherheit am Straßenrand finden würden, vielleicht mit einem Plattfuß. Eine Zeile aus einem Kinderfilm, den sie mal mit ihrem Patensohn gesehen hatte, schoss ihr durch den Kopf und sie wiederholte sie wieder und wieder wie ein Mantra.

*Lass nichts Schlimmes geschehen.*

Auf halber Strecke zwischen Mulders Wohnung und Bethesda, wo Kristen wohnte, erhaschte ihr Auge ein metallisches Blinken auf ihrer rechten Seite.

„Mulder, halt an.“, orderte sie schnell.

Mulder reagierte mit einer halsbrecherischen Aktion, lenkte plötzlich auf den Randstreifen und machte eine Vollbremsung. Ein schwarzer Camaro, der mit seinem Tempo unzufrieden war und an seiner Stoßstange klebte rauschte mit Gehupe und Stinkefinger vorbei. Ohne das wahrzunehmen nagelte Mulder Scully mit seinem Blick fest.

„Was ist los? Hast du was gesehen?“

Scully öffnete das Handschuhfach und entnahm eine Taschenlampe. „Etwas. Aber ich bin nicht sicher was.“

Sie stieg aus dem Auto und ging am Randstreifen zurück, wobei sie die Lampe auf den Graben am Straßenrand gerichtet hatte. Mulder folgte ihr auf dem Fuß, strahlte vor nervöser Energie, hielt aber seine Zunge im Zaum. Nachdem sie etwa 250m zurückgegangen waren erfasste Scullys Lampe etwas zwischen zwei Straßenlampen im Gebüsch, was das Licht reflektierte. Zehn weitere Schritte und ihr Herz begann wild in ihrer Brust zu schlagen.

Ein Auto lag im hohen Gras, gegen den Grabenrand gelehnt, so dass es beinahe auf der Seite lag. Trotz des schlechten Lichts konnte sie sehen, dass es schwarz war, konnte die Beule am linken Kotflügel sehen wo Mulder eine Leitplanke während einer Verfolgungsjagd gestreift hatte. Mulders Auto.

Bevor sie ihre Erkenntnis kundmachen konnte, rannte Mulder den Hügel herunter, seine Waffe im Anschlag. Scully nahm die Taschenlampe in die linke Hand, hielt sie auf das Auto gerichtet und zog ihre eigene Waffe. Mulder erreichte die Fahrertür nachdem er auf dem Abhang fast ausgerutscht wäre und legte beide Hände an die Scheibe um hinein zu sehen. Scully stand neben ihm und leuchtete mit der Lampe ins Innere des Autos.

Des leeren Autos.

Mulders Hände fielen an seine Seite und er drehte sich zu Scully um. „Er ist nicht drinnen.“

Dieses einfache Statement war eine Mischung aus Verwunderung, Sorge und Erleichterung. Scully schürzte ihre Lippen als sie über das Auto nachdachte und kletterte dann zurück zur Straße. Sie konnte spüren dass Mulder ihr auf den Fersen war und ihre Bewegungen beobachtete als sie den Bürgersteig ableuchtete. Ein paar Augenblicke später hatte sie genug gesehen und schaltete die Taschenlampe aus um die Batterie zu schonen.

„Und?“ Seine Stimme war fest, aber besorgt.

Scully ging zu ihm herüber und sah ihm ins Gesicht. „Ich sehe keine Schleuderspuren, Mulder. Nichts, was darauf hindeuten würde, dass er die Kontrolle verloren hätte.“

Mulder kaute wieder auf seiner Lippe, wild genug dass Scully es sich verkneifen musste ihn zu bitten damit aufzuhören. „Die Position des Wagens stimmt auch nicht.“, beobachtete Mulder. „Wenn er mit etwas Tempo hier runter wäre, läge es auf der Seite oder hätte sich gar überschlagen. Und so wie es ist sieht es aus als...“

„Als ob es jemand da runter geschoben habe.“, vollendete Scully leise den Satz, wobei ihre Sorge um Grey mit ihrer Sorge um Mulder kämpfte. „Wir müssen ein Team hierher holen, Mulder. Und du musst Kristen anrufen.“

Mulder schloss seine Augen. Scully beobachtete wie sein Kehlkopf mehrmals ruckte und die Finger beider Hände sich wiederholt zur Faust ballten und wieder öffneten. Als sein schnelles Atmen sich etwas beruhigt hatte, öffnete er die Augen und nahm sein Handy, dass er in seines Bruders Jackentasche gestopft hatte. Er wählte die Nummer mit Präzision und seine Stimme blieb glatt und gleichmäßig.

„Kristen? Mulder hier. Ich habe schlechte Neuigkeiten...“

Scully drehte sich um und machte ein paar Schritte in die andere Richtung, wobei sie ihr eigenes Handy hervorzog und die Nummer drei ihrer Kurzwahlliste drückte. Mit einem Blick auf ihre Uhr dachte sie, dass es unwahrscheinlich wäre den Mann um halb neun an einem Samstagabend anzutreffen.

*Kommen Sie schon, nehmen Sie ab. Seien Sie bitte zuhause...*

„Hallo?“

Etwas überrascht von dem etwas seltsamen Gefühl der Erleichterung wurde Scully abrupt klar dass sie eigentlich nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Ihre Fassung sammelnd bemerkte sie mit Chagrin dass ihre eigene Stimme nicht so ausgeglichen war wie Mulders.

„Sir, hier ist Scully. Es tut mir Leid Sie an einem Samstagabend stören zu müssen, aber ich brauche Ihre Hilfe.“

Ein tiefer Seufzer erklang vom anderen Ende der Leitung und als Skinner sprach war seine Stimme müde und resigniert. „Was hat er jetzt wieder angestellt, Scully?“

Unwillkürlich musste Scully grinsen, aber ein scharfer Schmerz in der Brust beendete dasselbe. Wenn es nur das wäre – dass Mulder durchgedreht hätte und wieder eine wilde Gespensterjagd allein begonnen hätte. Ihre Augen wanderten dahin wo er stand, die Schultern hängen lassend und die Augen mit der Hand, die nicht das Handy hielt, abschirmend.

„Scully? Sind Sie da?“

„Ja, tut mir Leid, Sir.“, sagte sie schnell und schüttelte ihre Lähmung ab. „Es ist nicht Mulder, der in Schwierigkeiten ist. Es ist Grey.“

„*Grey*?“, wiederholte Skinner.

„Er ist verschwunden, Sir. Er ist vor zwei Stunden von Mulders Apartment aufgebrochen um Agent Harding zu einem Date abzuholen, aber nie dort angekommen. Mulder und ich haben sein Auto leer in einem Graben gefunden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jemand es dorthin geschoben hat.“

„Geben Sie mir Ihren Standort, ich schicke sofort ein Team raus.“

Scully ergab sich den Mechanismen, gab Skinner die benötigten Informationen und setzte somit die Maschine in Gang. Sie klappte das Handy zu und suchte ihren Partner bevor sie es wieder in die Tasche gleiten ließ. Er stand am Rande des Grabens und starrte mit leerem Blick auf das verlassene Auto. Als sie näher kam bemerkte sie, dass er leicht zitterte.

„Mulder, es ist eiskalt hier. Lass uns im Auto warten.“, schlug sie vor und nahm seine kalte Hand in ihre ebenso kalte.

„Er wollte nicht auf mich hören.“, murmelte Mulder als ob er sie nicht gehört hätte – was wahrscheinlich der Fall war. „Ich hab versucht ihn zu warnen, ihm zu sagen, dass früher oder später dieser Zigaretten-Rauchende Bastard dahinter kommen würde. Aber er wollte nicht hören.“

„Du bist sein Bruder und er liebt dich.“, antwortete Scully und strich mit ihrem Daumen über seinen.

Mulder lachte – ein rauer, wilder Klang. „Ja, und was hat es ihm gebracht? Das Gleiche wie jedem anderen der diesen Fehler gemacht hat.“

Scully zuckte zusammen. „Mulder...“

„NEIN, Scully! Versuch nicht das, wovon du weißt dass es wahr ist, runter zu spielen. Ich hab Grey das durch meine Selbstsüchtigkeit angetan. Wenn ich ihn in Ruhe gelassen hätte, aus seinem Leben geblieben wäre, dann wäre er jetzt nicht in dieser Lage und müsste nicht wer-weiß-was durchmachen. Ich hätte auf meinen Kopf und nicht auf mein Herz hören sollen. Und wenn du noch einen Rest gesunden Menschenverstand besitzt dann lernst du daraus und tust genau das.“

Scullys Kinnlade fiel und sie starrte auf seinen sich entfernenden Rücken, als er sich auf dem Absatz umdrehte und in Richtung der rot und blau blinkenden Lichter stiefelte, die am Horizont erschienen.
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