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Todeslicht

von Martina Bernsdorf

Kapitel 3

Newpoint, Nebraska
Bestattungsunternehmen „Letzte Ruhe“
14.4.1996
8.30


Scully gähnte verhalten, der Flug war anstrengend gewesen, und im Gegensatz zu Mulder, der trotz Turbulenzen schlafen konnte wie ein Baby, hatte sie während des Fluges kein Auge zugemacht.
Sie ließ sich noch mal die Fakten durch den Kopf gehen und fragte sich, auf welchen Punkt wohl Mulders Jagdinstinkt angesprungen war? Auf die unerklärbaren Herzstillstände?
Auf das Licht?
Auf das Mädchen, das mit einigen der Todesfälle in Verbindung gebracht werden konnte?
Mysteriös wirkte der Fall schon, und Scully konnte nicht bestreiten, dass auch ihr Interesse geweckt war.
Laut dem Polizeibericht hatten drei Rocker versucht Julia Westmoor zu vergewaltigen, das wäre selbst in einer Kleinstadt wie Newpoint kein ungewöhnliches Verbrechen gewesen, das dafür gesorgt hätte, das man das FBI hinzuzog.
Nun, vielleicht war es das Ergebnis der versuchten Vergewaltigung, das dafür gesorgt hatte, dass der Sheriff das FBI anrief. Denn im Kühlraum des Bestattungsunternehmens lagen nun drei tote Rocker, von denen keiner eine Verletzung aufwies. Sie waren einfach nur tot.
Herzversagen war auf dem vorläufigen Bericht des Arztes des Saint Ann Hospitals vermerkt. Scully nahm sich vor, diesem angeblichen Herzversagen auf den Grund zu gehen.
Newpoint war eine zu kleine Stadt, um eine eigene Gerichtsmedizin zu unterhalten, die ungeklärten Todesfälle dieser Gegend hätten auch nicht ausgereicht, damit sich dieser Posten auszahlte.
Normalerweise wurden ungeklärte Todesfälle in die nächste Großstadt überführt, oder, wenn ein Verbrechen unwahrscheinlich erschien, wurden Obduktionen im Krankenhaus durchgeführt.
Da sich die Verwaltung des Krankenhauses nicht für gerichtsmedizinische Untersuchungen zuständig hielt, hatte man abgelehnt, dass Scully dort ihrer Arbeit nachkam.
Das Bestattungsunternehmen „Letzte Ruhe“ war zuvorkommender, was vielleicht auch daran lag, dass der Bruder des ortsansässigen Sheriffs dieses Unternehmen leitete. Die Ausrüstung des Bestattungsunternehmens war auch nicht wesentlich schlechter als in einem Krankenhaus! Scully begrüßte es sogar, in Ruhe und allein arbeiten zu können, ohne dass ihr womöglich Krankenhausärzte auf die Finger starrten.
Sheriff O´Bannon war ein kantiger, großer Mann, und er machte keinen Hehl daraus, dass ihm der ganze Fall nicht gefiel.
„Nicht, dass die Burschen nicht das bekamen, was ihnen zusteht, aber es ist unheimlich!“ O´Bannon hielt die Türe zu dem Raum auf, in dem die Leichen präpariert wurden.
Mulder rümpfte die Nase, es stank nach Formaldehyd. Er fröstelte außerdem leicht, warum war es immer so kalt in diesen Räumen? Eigentlich lag die Antwort auf der Hand, wer wollte schon in gemütlicher Wärme mit Leichen hantieren, die auf diese Temperaturen mit schnellerem Zerfall reagierten!
Mulder betrachtete aus den Augenwinkeln Scully, die weder die Nase rümpfte, noch erkennen ließ, dass es ihr kalt war.
Der Bruder des Sheriffs hatte schon alles bereit gelegt, und Scully quittierte die Ansammlung chirurgischer Instrumente mit einem zufriedenen Nicken.
Einer der drei Rocker lag bereits auf dem Tisch, zugedeckt mit einem Laken. „Wo hat man sie gefunden?“ Mulder hatte zwar den Bericht gelesen, aber manchmal war ein Gespräch mit dem Sheriff ergiebiger. Hier und da wurde in Berichten vergessen, Nebensächlich Erscheinendes zu erwähnen.
Scully wusch sich bereits die Hände und trocknete sie mit der peniblen Sorgfalt eines Mediziners ab, sie puderte sie ein und schlüpfte in die Latexhandschuhe.
„Im Wald, nahe am See, um diese Jahreszeit kein Ort, wo sich viele aufhalten, hier und da müssen wir mal ein minderjähriges Liebespärchen erschrecken, aber sonst ist die Gegend eher verlassen.“
Scully trat an den Tisch. „Was hatte Julia Westmoor dann dort zu suchen?“
Der Sheriff zuckte etwas unbehaglich die Schultern. „Julia tut manche Dinge, die man nicht erklären kann! Vor einigen Jahren gab es da einen Zwischenfall, eine Party, Drogen, tja, das Ende vom Lied war das Krankenhaus.“ O´Bannons Stimme schwankte kurz, er stockte, als müsse er sich erst seine Worte überlegen. „Julia hat überlebt, aber es ist anzunehmen, dass sie einen geistigen Schaden davongetragen hat!“
Scully hob eine Augenbraue. „Es ist anzunehmen?“
Der Sheriff nickte. „So genau wissen die Ärzte das auch nicht, auf jeden Fall kann sie kaum Angaben machen. Sie ging im Wald wohl spazieren und traf dort auf diese Typen, die vermutlich auf der Durchreise waren und schnell merkten, dass Julia nicht ganz in dieser Welt zu sein scheint. Ein leichtes Opfer!“
O´Bannon zog das Laken weg und enthüllte damit einen sehr großen Mann. Er war muskelbepackt, und an seinen Armen entlang wanden sich Tätowierungen, Schlangen, Schädel, Messer, die üblichen Knasttätowierungen.
„Man hat ihn wohl identifiziert?“ Scully zweifelte nicht daran, dass der Mann eine ellenlange Vorstrafenliste hatte.
„Er sieht sogar tot noch fies aus.“ Mulder betrachtete die Gesichtszüge des Mannes, auf dessen rasiertem Schädel sich ebenfalls einige Schlangentätowierungen befanden.
„Elias Tobin, genannt Snake, er ist seit seiner Volljährigkeit wohl mehr im Knast gewesen als draußen! Was wollen Sie gerne? Totschlag, Vergewaltigung, Raub, schwere Körperverletzung, das alles kann Snakeboy bieten!“
O´Bannon maß den nackten, toten Mann mit einem finsteren Blick. „Man kann kaum behaupten, dass es mir das Herz bricht, ihn hier tot liegen zu sehen.“
„Wurde Julia vergewaltigt?“ Scully wählte ein Skalpell aus und blickte O´Bannon fragend an.
„Nein, man fand sie mit zerrissener Bluse auf einer Parkbank auf, sie sagte nicht, was passiert war, nur vom See und dem Licht sprach sie. Ich bin selbst rausgefahren. Julia war die beste Freundin meiner Tochter, ehe sie“, O´Bannon zuckte die Schultern und deutete auf seinen Kopf, „ehe sie nicht mehr ganz so da war. Ich wollte die Mistkerle erwischen!“
O´Bannon blickte wieder auf den toten Rocker. „Und ich fand sie, alle drei, mausetot, kaum Spuren, man kann auf einen kleinen Kampf schließen. Julia wird sich wohl gewehrt haben, sich in den Wald ziehen zu lassen.“
„Das ist alles?“ Mulder betrachtete den Körper des Rockers, es waren auf dem ersten Blick keine Verletzung zu erkennen.
O´Bannon zuckte die Schultern. „Ja! Aber es ist unheimlich, drei junge Männer fallen doch nicht einfach tot um! Etwas stinkt, Agent Mulder, und es ist nicht der tote Scheißkerl hier!“
„Gab es keine Spuren auf dem Boden? Runde Brandstellen im Gras?“ Mulder sah, wie Scully wieder das bekannte Funkeln der Skepsis in die Augen bekam, wie jedes Mal, wenn er diese Frage stellte.
„Runde Brandstellen?“ O´Bannon schüttelte den Kopf und hob, leicht irritiert über die Frage, die Augenbraue.
„Aber es gab merkwürdige Lichterscheinungen, die in Verbindung zu ebenfalls ungeklärten Todesfällen standen?“
Mulder hatte in seinen dunkelbraunen Augen ein Funkeln, das Scully nur zu bekannt war, er hatte eine Idee oder mehrere!
Das Gesicht des Sheriffs verschloss sich ein wenig, was Scully auf den Gedanken kommen ließ, dass er nicht gerne darüber sprach.
O´Bannon blickte demonstrativ auf seine Uhr. „Ich muss jetzt zum Dienst. Sie können natürlich jederzeit die Akteneinsicht im Sheriffbüro nehmen.“ Er tippte an den Rand seines Huts. „Agent Scully! Agent Mulder!“ Mit dieser knappen Verabschiedung verließ er den Raum.
„Irre ich mich, oder ist er gerade geflohen?“ Mulder zuckte mit den Schultern und sah zu, wie Scully den ersten Schnitt mit dem Skalpell ansetzte.
„Ich denke, Sie werden hier eine Weile beschäftigt sein, Scully?“
„Wohin wollen Sie, Mulder? Doch nicht nach kreisrunden Brandstellen im Wald suchen?“
Mulder schüttelte den Kopf und erkannte in den hellgrünen Augen seiner Partnerin eine Spur von Schalk. Natürlich hätte Scully vehement bestritten, ihn je zu necken, aber Mulder wusste es besser.
„Manchmal könnte man wirklich meinen, Sie glauben nicht an UFOs!“
Scully hob leicht das Skalpell an. „Ich glaube nicht an UFOs, Mulder!“
„Scully, die Ungläubige!“ Mulder grinste und wurde dann ernst. „Nein, ich werde nicht in den Wald fahren, sondern Julia Westmoor einen Besuch abstatten.“
„Eine gute Idee. Sie können mich später hier abholen, Mulder. Ich würde auch gerne in die Krankenhausakten von Julia Westmoor Einsicht nehmen. Irgendetwas daran scheint seltsam, O´Bannon hat an diesem Punkt seiner Erzählung gestockt, so als wolle er ursprünglich etwas anderes sagen, ehe er es sich wieder überlegte.“
Mulder hob eine Augenbraue, ihm war das nicht so deutlich aufgefallen, aber er vertraute auf Scullys Beobachtung. „Eine gute Idee! Ich halte Sie über Telefon auf dem Laufenden.“ Er deutete auf das Handy und ging dann zur Türe. Scully führte das Skalpell wieder über den Leib des Toten.
„Hey, Scully, lassen Sie sich ja nicht dumm von dem Kerl anquatschen.“ Mulder lächelte, als seine Partnerin ihn auf diese Worte noch mal mit einem ihrer patentierten „Mulder, Sie spinnen“ - Blicken belohnte.
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