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Lost Investigations - Dünnes Eis

von meiko

The X-Files: Lost Investigantions 5.7 - Dünnes Eis

The X-Files: Lost Investigantions 5.7 - Dünnes Eis

by meiko



Die Schatten rückten näher. Wann immer sie sich bewegte und dem drohenden Dunkel aus dem Weg gehen wollte - vergebens. Die Schatten rückten näher.
Ihr Herz setzte für einige Schläge aus, und noch während sich die Sekunden dehnten und zu Stunden wurden, schwappte die Erkenntnis in ihr Unterbewusstsein, dass dies nur ein Traum sein konnte.
'Es geschieht schon wieder', dachte sie hilflos.
Teilnahmslos sah sie zu, wie aus den Schatten Gestalten wuchsen und sich mit glänzenden chirurgischen Instrumenten näherten. Sie konnte die Kälte spüren, wie sie unaufhaltsam aus einer Ecke des Raumes kroch und ihr Herz umfing.
Dann wurde es warm in ihr, und ein heller Lichtschein fiel zwischen die emsig arbeitenden Männer. Ein Schemen zeichnete sich ab, zaghafte Züge zuerst.
„Du?", flüsterte sie ungläubig, als sie die Gestalt erkannte.
„Ja", gab die Stimme aus dem goldenen Schimmer zurück. „Doch du musst hier bleiben. Verstehst du mich Michele? Du darfst mir nicht folgen!"
Sein Gesicht verblasste, ebenso die Männer aus ihrem Traum.
Sie war wach. Noch immer konnte sie ihr rasendes Herz spüren, noch immer hatte sie den Klang seiner Stimme in den Ohren.
„Ich muss dich finden", flüsterte sie heiser.


(Opening Credits)
Handlungszeitraum: 4. Staffel, nach „Tempus Fugit“/“Max“


Route 104,
New Hampshire
5:39 pm

Special Agent Dana Scully warf einen ungeduldigen Blick auf ihren Partner.
"Mulder! Seit zwei Stunden versprechen Sie mir, dass die nächste Abzweigung auch die letzte sein wird. Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie das ist, immer wieder vertröstet zu werden?"
Fox Mulder zerbiss einen Sonnenblumenkern und ließ die Schalen achtlos in den Aschenbecher des Mietwagens gleiten. "Tut mir Leid, Scully. Wir hätten doch die Route 103 wählen sollen. Vielleicht wären wir dann nicht in dieses Wetter geraten, und... Verdammt!"
Er steuerte den Wagen an den Straßenrand und schlug auf das Lenkrad. Scully folgte seinem Blick und unterdrückte mühsam einen Kraftausdruck. Das hatte ihr gerade noch gefehlt!
Mulder war inzwischen ausgestiegen und betrachtete stirnrunzelnd das Dilemma. "Scully, was halten Sie von Camping?"
Dana folgte ihm und sah sich um. Eisiger Wind pfiff über sie hinweg und bedeckte sie mit Eiskristallen. Zwei gewaltige Koniferenstämme lagen quer über dem Highway und blockierten die Straße. An ein Durchkommen war hier nicht zu denken.
"Was nun?", fragte sie. "Denken Sie, wir finden heute Nacht noch eine Bleibe?
Mulder zuckte mit den Schultern und spähte in die dräuende Dämmerung. "Wenn Sie Ihr FBI-Fitnessprogramm genauso vorbildlich wie ich bewältigt haben, müssten wir es eigentlich schaffen."
Scullys Blick wurde frostig. "Sie studieren nicht etwa heimlich meine Fitnessergebnisse?"
Ihr Partner schulterte die Reisetasche, schloss das Auto ab und setzte sich in Bewegung. "Das würde ich niemals wagen", beteuerte er, doch das Funkeln in seinen Augenwinkeln verriet ihr genau das Gegenteil.
Kopfschüttelnd folgte sie ihm den Hang hinab und gab darauf Acht, nicht zu weit zurück zu bleiben. Ein Trampelpfad wand sich zwischen den Bäumen hindurch, doch schon wenige Minuten später war er zu einer kaum noch erkennbaren Spur geworden. Die Bäume schienen dichter zusammenzurücken, so als würden die Kälte des Frostes und der Schnee auf den Zweigen ihnen genauso zusetzen wie den zerbrechlichen Wanderern unter ihrem Nadelkleid.
Dana blieb stehen und entfaltete eine Karte. "Moment mal", sagte sie. "Wir müssten... genau hier sein. Wenn wir dem Weg noch etwas weiter nördlich folgen, müssten wir auf eine Hütte oder so etwas Ähnliches treffen."
"Yep", meinte Mulder. "Deshalb habe ich den Wagen auch dort oben stehen gelassen, anstatt umzukehren und in sichere Gefilde zurück zu fahren. Laut der Karte sollte es das 'Northern Light' Motel sein, wo Michele Wagner wie verabredet auf uns wartet."
Scully blickte ihn skeptisch an. "Na schön. Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was wir hier draußen zu suchen haben. Warum machen Sie so ein Geheimnis aus dieser Fahrt? Und was will diese Michele Wagner von uns?"
"Scully, nach allem was mit Max Fenig passiert ist, konnte ich die Geschichte in Washington mit Ihnen einfach noch nicht besprechen. Wer weiß, ob wir nicht wieder abgehört werden, und ich wollte Michele nicht unnötig in Gefahr bringen."
"Und?", bohrte Scully erwartungsvoll nach.
Mulder blickte sie strahlend an. "Sie ist unser neuer Kontakt zur NICAP."


Mount Sunapee,
New Hampshire
8:03 pm

Die Nacht war längst hereingebrochen, als sie die anheimelnden Lichter des winzigen Dorfes endlich vor sich hatten. "Na bitte", freute sich Mulder. Die Karte hatte nicht gelogen. Die Hütte in den Bergen stellte sich als gemütliches, wenn auch etwas verschlafen wirkendes Motel heraus.
Mr Andersson, der Besitzer der Pension, erschien nach wiederholtem Klingeln an der Tür und beäugte die Dienstausweise der beiden Agenten ungläubig. "Was will das FBI denn hier?", murrte er missmutig.
Scullys Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. "Wenn Sie nichts dagegen haben, hätten wir gern zwei Zimmer", sagte sie und brachte irgendwie ein Lächeln zustande.
"Mit Gästen rechnet man hier oben offenbar nicht", flüsterte Mulder ihr zu.
"Und weshalb baut man sich dann ein Motel?", gab sie zurück.
Als sie ihre Zimmerschlüssel endlich in Empfang genommen hatten und der Besitzer sich in sein Reich zurückgezogen hatte, stießen sie auf der Treppe mit einer Frau zusammen.
Obwohl sie die Sechzig schon seit einiger Zeit hinter sich gelassen hatte, wirkte sie noch immer frisch und unverbraucht, so dass sich Scully unwillkürlich fragte, was das Alter wohl bei ihr selbst für Spuren hinterlassen würde.
Einst, wenn es an der Zeit war, und der Krebs ihr nicht zuvorkommen...
Unwillig schüttelte sie den Kopf, verscheuchte die schwarzen Gedanken. Erstaunt registrierte sie, wie ihr Partner der Fremden die Hand schüttelte.
"Michele Wagner?", fragte sie.
Michele nickte erfreut. "Sie müssen Dr. Scully sein."


Fort Meade,
Maryland
9:12 pm

"Das NICAP?" Die Stimme des Rauchers sank um eine Oktave nach unten, während er sich geistesabwesend eine neue Zigarette ansteckte.
Sein Gegenüber strich ungeduldig über seinen maßgeschneiderten schwarzen Anzug. "Ich muss Ihnen doch sicher nicht erklären, womit sich das 'National Investigative Committee of Aerial Phenomena' beschäftigt, oder?"
"Natürlich nicht. Wegen dieses Haufens von Spinnern sollten Sie sich wirklich keine Sorgen machen."
"Aber genau das tun wir. Und deshalb werden wir auch immer ein kleines Stückchen vor dem Gegner das Ziel erreichen, wie sehr er sich auch anstrengen mag. Gerade Sie sollten das am besten wissen."
Der Raucher blies einen kleinen blauen Tabakkringel in die Luft und lehnte sich entspannt in seinem gepolsterten Sessel zurück.
"Dann habe ich gute Nachrichten für Sie", sagte er und lächelte süffisant. "Wir haben bereits alle notwendigen Maßnahmen eingeleitet. Die Mitglieder des NICAP wandeln ab sofort auf sehr dünnem Eis."


Mount Sunapee, New Hampshire
'Northern Light' Motel
9:14 pm

Die Männer in Schwarz von der National Security Agency waren nicht die einzigen, die sich für die jüngsten Projekte des NICAP interessierten. Hunderte Meilen entfernt beugte sich Fox Mulder vor und markierte einen kleinen Punkt auf seiner Landkarte.
"Hier?", fragte er und warf seiner Partnerin einen triumphierenden Blick zu. "Das ist ja nur ein Katzensprung."
Dana Scully ließ die Schultern hängen und versuchte mit purer Willenskraft, die Verspannungsknoten zwischen ihren Schulterblättern zu vertreiben. Ihr Partner wollte ihr ganz offensichtlich eine Antwort entlocken, doch darauf konnte er lange warten. UFO-Phänomene am Lake Sunapee? Und dafür hatte sie ihre freien Tage geopfert? 'Danke, Mulder', dachte sie bei sich. 'Wirklich eine wunderbare Idee, den Jahreswechsel hier oben zu verbringen. Im vermutlich allerletzten Kaff dieses Bundesstaates!'
Mulder verzog den Mund und widmete sich wieder seiner Karte.
Michele Wagner nickte und zog ihr Notizbuch zu Rate. "Stark erhöhte Aktivitäten am 12., 13. und 16. des Monats", berichtete sie. "Und außerdem eine ungewöhnlich hohe Anzahl an dokumentierten Lichtphänomenen um den Monatswechsel herum." Sie erhob sich und steuerte die Tür des Hotelzimmers an, wo sie sich noch einmal zu den Agenten umdrehte. "Agent Mulder, was auch immer dort draußen los ist, diesmal sind wir fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen." Sie nickte den beiden zu und schlüpfte hinaus.
Mulder sah auf die Uhr. "Scully, würden Sie unsere Verlobung lösen, wenn ich heute noch aufbrechen würde?"
Sein unschuldiges Grinsen nahm ihr den Wind aus den Segeln. Müde stieß Dana den angehaltenen Atem aus. "Wie lange wollen Sie diesen Gespenstern eigentlich noch nachjagen?"
"Diesmal nicht, Scully, ich kann es spüren."
"So wie damals, als man Sie glauben ließ, Sie hätten Ihre Schwester wieder gefunden? Immer und immer wieder?"
Sein Gesicht verdunkelte sich. "Das ist etwas anderes. Denken Sie doch einmal an unsere Fälle mit dem NICAP. Wann haben die uns denn schon einmal in die Irre geführt oder im Stich gelassen?"
Dana verschränkte die Arme. "Aber zu welchem Preis? Haben Sie vergessen, was mit Max Fenig passiert ist?"
Mulder trat ans Fenster und atmete tief durch. Auch wenn es oft nicht danach aussah, er wusste die Stimme der Vernunft, die seine Partnerin seit Jahren verkörperte, durchaus zu schätzen. Im ersten Jahr ihrer Bekanntschaft hätte er sich durch diese mentale Ohrfeige möglicherweise verletzt gefühlt und sich in sich selbst zurückgezogen. Doch nun sah das anders aus, und erschüttert musste er sich eingestehen, dass sie doch irgendwo Recht hatte.
Er kehrte zum Sessel zurück und blieb neben ihr stehen. "Vielleicht ist es genau das, was mich hier antreibt", sagte er langsam. "Ich habe das Gefühl, dass ich Max noch etwas schuldig bin."
Scully entspannte sich etwas und deutete ein Lächeln an. "Ich weiß", flüsterte sie. "Aber nichts, was wir unternehmen, wird ihn jemals wieder zurückbringen können."
Mulder nickte. Dann lächelte er zurück und zog die wärmende Winterjacke über. "Tun Sie mir einen Gefallen und gehen Sie nicht verloren, solange ich unterwegs bin. Ich möchte, dass Sie inzwischen etwas für mich überprüfen..."

***

"Was sagten Sie gerade?" Dana rieb sich müde die Stirn.
Am anderen Ende der Leitung hatte Frohike irgend etwas in seine Bartstoppeln gemurmelt, und es hatte verdächtig nach "scharfer Braut" geklungen.
"Nichts, Agent Scully, gar nichts. Was verschafft uns denn die Ehre?"
In wenigen Worten hatte Scully dem Lone Gunman von Mulders Befürchtungen erzählt.
Frohike räusperte sich. "Sind sie abgehört worden? Hat er einen begründeten Verdacht?"
"Das glaube ich eher nicht, aber es wäre trotzdem nett, wenn Sie irgendwie an die Telefonprotokolle aus Mulders Büro herankommen würden. Falls... falls das nicht zu schwierig ist", fügte sie listig hinzu. Stumm schüttelte Dana den Kopf. Sie konnte es einfach nicht fassen, was sie da tat. Beauftragte sie diese Typen gerade tatsächlich damit, sich in den Telefonserver des FBI zu hacken?
"Haben wir das richtig verstanden?" Das war Byers' Stimme. "Wir sollen uns in den Telefonserver des FBI hacken?"
Scully seufzte innerlich. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen? "Sie sollen eine ganz bestimme Nummer zurückverfolgen. Mulder will sicher gehen, dass niemand weiß, wo wir sind und was wir gerade tun."


Lake Sunapee
New Hampshire
10:59 pm

'Wo bist du?'
< Ich bin hier, bei dir. >
'Ich habe Angst, dass du wieder von mir gehst.'
< Was auch geschieht, du darfst mir nicht folgen. >
'Wirst du bei mir bleiben?'
< Vertraue mir. Kehre um, bevor es zu spät ist... >

"Haben Sie das gehört?", fragte Michele Wagner und legte den Kopf lauschend in den Nacken. Mulder schloss zu ihr auf und hielt den Atem an. Der Wind rauschte scharf zwischen den Stämmen der Nadelbäume hindurch, doch weitere Geräusche konnte er nicht ausmachen. Er ließ den Lichtkegel der Taschenlampe kreisen... Nichts.
Kopfschüttelnd machte sich Michele wieder auf den Weg.
Die Wolken rissen auf und zauberten Mondlichtschatten auf den Schnee.
Nach einigen Minuten blieb sie erneut stehen und blickte sich suchend um. Dann ging sie mehrere Schritte voraus, blieb wieder stehen und drehte sich im Kreise.
Verwirrt blieb Mulder hinter ihr zurück und beobachtete sie schweigend. Hatte Michele die Orientierung verloren?
"Aber..." flüsterte sie, doch gleich darauf verstummte sie wieder.
Mulder berührte sie an der Schulter. "Was ist los?", fragte er.
Ihr Blick flackerte, streifte ihn und glitt an ihm ab wie an einem Panzer aus Eis. Im nächsten Augenblick hatte sie sich losgerissen und verschwand zwischen den Bäumen.
"Michele!", rief Mulder und setzte ihr nach, doch sie war schon zu weit entfernt, um ihn jetzt noch hören zu können.
Dann klingelte Mulders Mobiltelefon. Mit einem Fluch blieb er stehen und nahm das Gespräch an.
"Mulder, ich bin's", vernahm er die Stimme seiner Partnerin.
Täuschte er sich? Nein, dafür arbeiteten sie bereits zu lange zusammen. In ihrer Stimme schwang Unruhe mit, und Besorgnis. Doch bevor er darauf reagieren konnte, redete Scully weiter. "Was ist denn bei Ihnen los?"
Mulder duckte sich blitzschnell unter einem Ast hinweg, dessen Spitze sich um ein Haar in seinen Schädel gebohrt hätte. "Es gibt Probleme. Michele hat sich in den letzten Minuten mehr als seltsam benommen, und nun ist sie plötzlich losgerannt, so als hätte sie etwas gehört oder zu Tode erschreckt. Sie schien auf einmal wie besessen, schien magisch von einem Punkt am Ende des Waldes angezogen zu sein..."

***

Dana Scully presste das Telefon zwischen Schulter und Ohr und faltete ihr Kartenexemplar auseinander. "Mulder, wenn Sie den geplanten Weg nicht verlassen haben, dann müssten Sie in direkter Linie auf den Sunapee-See stoßen."
"Das war ja klar", brummte er. "Ich muss sie rechtzeitig einholen."
"Mulder, da ist noch etwas, das ich Ihnen sagen muss."
"Was haben Sie herausgefunden, Scully? Weiß noch jemand von meinem Telefonat mit Michele Wagner?"
"Die Antwort wird Ihnen nicht gefallen. Frohike ist bis an einen Sammelanschluss in Fort Meade vorgedrungen."
Es dauerte einige Sekunden, bis bei Mulder der Groschen gefallen war. Trotz seines Dauerlaufs durch die verschneiten Wälder brachte er ein Pfeifen zustande. "Die NSA! Fragen Sie sich auch gerade, welches Geheimnis groß genug ist, die National Security Agency auf den Plan zu rufen? Worauf mag das NICAP da gestoßen sein?"
"Wollen Sie meine Meinung hören? Wir haben schon genug Erfahrungen mit dieser Behörde gesammelt - und nicht die besten. Wir sollten morgen früh unsere Taschen packen und wieder nach Washington zurückkehren."
Fox Mulder schnaubte wütend. "Ich werde doch so kurz vor dem Ziel nicht aufgeben, Scully."
"Legen Sie jetzt nicht auf, Mulder. Frohike hat noch etwas mehr herausgefunden, und es betrifft Michele. Sie ist nicht die, für die sie sich ausgibt. Raten Sie mal, wer bis vor etwa einem Jahr auf der Gehaltsliste der NSA gestanden hat?"

***

Mulder blieb unwillkürlich stehen. "Doch nicht etwa Michele?"
Der schneidende Wind schien für einen Moment den Atem anzuhalten.
"Ganz genau. Und beim NICAP hat sie sich auch erst nach ihrer NSA-Zeit registrieren lassen. In den Akten wird sie dort noch immer unter ihrem wirklichen Namen geführt."
"Den Sie mir bestimmt gleich verraten werden."
"Sie heißt Michele... Michele Fenig!"
Mulder schnappte nach Luft. Max Fenig. Welches Schicksal ließ ihre Wege immer und immer wieder kreuzen? Selbst nach dem Tode dieses ewig Suchenden schienen sie noch immer auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden.
"Michele Fenig?", wiederholte er. "Ist... ist sie seine Schwester? So jemanden hatten wir ja schon einmal."
"Nicht seine Schwester, Mulder. Michele ist seine Mutter!"

***

Die Bäume waren zurückgewichen und gaben nun den Blick auf die vom Mond beleuchtete Eisfläche des Sees frei. Michele blieb stehen und rang nach Luft.
< Bitte Mutter, bleib zurück! Der Weg, den du betrittst, führt in die Dunkelheit. Ich bin bereits zu weit gegangen. Du darfst mir nicht mehr folgen. >
Michele fuhr mit der Hand an ihre Kehle. Der lange Sprint hatte sie bis an die Grenze ihrer Kräfte gebracht. Ihr wurde übel, und sie musste sich an einen Baumstamm lehnen.
'Dann verstehst du es noch immer nicht, Max', flüsterte ihre Seele. 'Nur durch mich bist du immer wieder in diese Situationen geraten. Deine Entführungen... glaubst du denn, dass sie zufällig stattgefunden haben? Ich war zu wichtig für das Projekt, so dass sie mich auf die einzige Weise zu erpressen versuchten, die noch wirksam war. Ich dachte... ich dachte wirklich, sie würden dich dann endlich in Ruhe lassen.'
< Ich weiß, Mutter. All das weiß ich nun längst, da ich die große Barriere hinter mir gelassen habe. Und glaube mir... da ist kein Groll mehr in mir. All das ist nun so unbedeutend. >
Michele sackte zusammen, und Tränen liefen über ihre Wangen. 'Aber ich hätte es nie zulassen dürfen! Ich wollte doch nicht, dass sie dir wehtun. Ich wollte es nicht... Ich wollte es nicht...'
Eine Bewegung hinter ihr, ein Knacken im Unterholz.
Es wurde Zeit, dass sie beendete, wofür sie mit Agent Mulder hierher gekommen war.

***

"Nein!", schrie Mulder, ließ das Funktelefon achtlos in die Jackentasche gleiten und stürzte den Hang hinunter. "Bleiben Sie stehen, Michele!"
Doch es war bereits zu spät. Vor ihm, funkelnd im bleichen Schein des Mondes, lag die zu Eis erstarrte Fläche des Lake Sunapee. Vor einigen Sekunden hatte Michele noch teilnahmslos am Ufer gekauert, doch nun war es, als hätte der Ruf des FBI-Agenten sie aufgeschreckt. Entschlossen sprang sie auf und betrat die glitzernde Eisfläche, hielt inne, sah sich um und marschierte weiter auf die Mitte des Sees zu. Lautes Knirschen ertönte, und es klang beinahe wie das Stöhnen eines verwundeten Tieres.
"Das Eis bricht! Kommen Sie zurück, Michele."
Unbeirrt lief sie weiter.
Inzwischen hatte Mulder das Seeufer erreicht, prüfte mit den Füßen vorsichtig das Eis und begann, hinter Michele herzulaufen. Vorsichtig, Schritt für Schritt…
Das Knirschen wurde lauter. Unter Mulders Füßen bildeten sich erste Risse, und verzweifelt blieb er stehen.
"Ich weiß, wer Sie sind", rief er ihr nach. "Und ich weiß auch, dass Sie nie wirklich für das NICAP gearbeitet haben. Kommen Sie zurück und erzählen Sie mir alles. Über die NSA, und über... Max."
Michele Wagner hatte ihre Schritte beschleunigt, doch bei Mulders letzten Worten war sie stehen geblieben und hatte sich zu ihm umgedreht, nur noch eine kleine Silhouette auf der gewaltigen Eisfläche des Sees.
"Aber verstehen Sie denn nicht?", rief sie ihm zu. "Ich habe für das NICAP gearbeitet, nachdem mein Sohn gestorben und mir klar geworden war, was ich mit meiner Tätigkeit bei der NSA angerichtet hatte. Dies hier ist meine letzte und einzige Chance auf Wiedergutmachung. Deshalb sind wir hier, und deshalb wollte die Agentur unbedingt verhindern, dass ich mit Ihnen hierher komme."
"Aber... was wollten Sie mir zeigen? Was war es, das ich nicht sehen sollte?"
Michele lachte, und der Klang ihrer Stimme drang gespenstisch durch das immer stärker werdende Knirschen des berstenden Eises.
"Es ist hier, Agent Mulder, genau hier!"
Dann ging alles viel zu schnell. Ein scharfer Knall ertönte; das Eis brach in einzelne Schollen auseinander. Michele ruderte mit den Armen, verlor den Halt und verschwand schließlich in den eisigen Tiefen.
Die Risse und das auseinander brechende Eis bewegten sich rasend schnell auf Mulder zu. Fassungslos stand er auf der bebenden und schwankenden Fläche. Endlich schien er wie aus tiefer Trance zu erwachen und sprintete zum rettenden Ufer zurück.
Dort, wo Michele in den Fluten verschwunden war, erhob sich ein dumpfes Brausen, ein dröhnender Orgelton, der unmöglich von dieser Welt stammen konnte. Lichter begannen zu blinken, langsam erst, dann stetig schneller werdend, bis schließlich ein gewaltiger, gleißender Strahl aus dem schäumenden Wasser heraus schoss und sich am Himmel verlor.
Gebannt sah Fox Mulder zu, wie sich ein scheibenförmiges Flugobjekt aus dem Licht abzeichnete, sekundenlang reglos über dem See hing und dann in die Nacht verschwand.
Dunkelheit hüllte ihn ein. Atemlos zog er das Telefon aus der Tasche. Die Verbindung war nicht getrennt worden - Scully musste jeden Ton der letzten Minuten am anderen Ende mit verfolgt haben.
"Dana?", fragte er. "Es ist... ich..."
"Mulder", unterbrach sie ihn, und ihre Stimme klang bedenklich gepresst. "Es gibt Schwierigkeiten."


Mount Sunapee, New Hampshire
'Northern Light' Motel
11:36 pm

"Das Telefon aus! Hände hoch!"
Die entsicherten Maschinengewehre der militärischen Sondereinheit ließen keinen Zweifel in Scully aufkommen, dass die Drohung durchaus ernst gemeint war. Langsam ließ sie das Funktelefon sinken und hob die Hände.
"Ich bin Special Agent Dana Scully vom FBI", rief sie, doch sie wurde unterbrochen.
"Geben Sie sich keine Mühe, Special Agent Dana Scully." Der Mann im grauen Mantel dehnte die Silben beinahe bis zur Lächerlichkeit. "Wir wissen, weshalb Sie und Ihr Partner hier sind. Und glauben Sie mir: Sie werden diesen Ausflug noch bitter bereuen. Soweit ich weiß, warten Ihre Vorgesetzten nur auf einen Vorwand, um die Abteilung X-Akten endgültig schließen zu können."
Die Tür flog erneut auf, doch diesmal traten nicht nur Militärs in das kleine Motelzimmer. In ihrer Mitte führten sie einen bleichen Fox Mulder. Eine Blessur zeichnete sich auf seinem Kinn ab und sein linkes Auge begann bedenklich anzuschwellen.
"Mulder!", rief Dana, und obwohl sie über das Äußere ihres Partners schockiert war, war sie doch froh, ihn wieder sicher an ihrer Seite zu haben.
"Wer zum Teufel sind Sie? Und mit welchem Recht..." begann Mulder, doch der Graue schnitt ihm rüde das Wort ab.
"Nationale Sicherheit. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen."
Mulder quälte ein Grinsen hervor. "Glauben Sie tatsächlich, Sie könnten das geheim halten? Ich weiß, was ich dort draußen gesehen habe."
Der Graue baute sich drohend vor den beiden Agenten auf. "Sie, Agent Mulder, haben gar nichts gesehen. Und im Interesse Ihrer eigenen Sicherheit rate ich Ihnen dringend, von dieser Aussage niemals abzuweichen. Und nun vorwärts! Ihr Aufenthalt ist hiermit beendet."


Interstate 93, Exit 9
New Hampshire
4:40 am

Ein weiterer kalter Wintermorgen brach an, auch wenn bis zum Sonnenaufgang noch Stunden vergehen mochten. Am Horizont verschwanden die Rücklichter der Militärfahrzeuge, die sie hier – inmitten der Einöde - zurückgelassen hatten.
"Wenigstens haben sie uns die Telefone zurückgegeben", murmelte Mulder. "Sonst würden wir hier womöglich bis Neujahr festsitzen."
Scully nickte und betrachtete nachdenklich das Display ihres Mobiltelefons. "Skinner wird in etwa vier Stunden hier sein. Allerdings wird er nicht mit der besten Laune hier aufkreuzen. "
"Kann ich mir vorstellen", knurrte Mulder. Dann sah er, wie Dana zitterte, und erst jetzt realisierte er, wie kalt es tatsächlich war.
"Tut mir leid", gab er zerknirscht zu. Etwas unschlüssig stand er neben ihr, doch schließlich ließ er sich ganz dicht bei ihr nieder und hüllte sie beide in seinen Wintermantel ein.
"Gegen die Kälte", sagte er. "Wir müssen uns jetzt einfach nur warm halten."
Dana verharrte für ein paar Sekunden reglos, doch endlich entspannte sie sich. Seine Nähe, seine Wärme...
"Wie ist Michele gestorben?", fragte sie leise.
"Im Eis", antwortete ihr Partner. "Ich glaube, das war ihre Art, sich zu verabschieden... und vielleicht auch, die Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen."
"Auch wir haben auf sehr dünnem Eis gestanden, Mulder", gab sie zurück und suchte seinen Blick. "Ich würde Ihnen leichter folgen können, wenn ich wüsste, dass Sie sich den Glauben an Ihre Suche noch immer bewahrt haben."
Mulder überlegte. "Noch vor einem oder zwei Jahren hätte ich Ihnen darauf mit einem klaren 'Ja' geantwortet. Doch nun..." Er suchte nach Worten. “Nun bin ich mir nicht mehr ganz sicher. Was ist, wenn ich diesen Glauben eines Tages verliere?"
Sie sah ihn lange an. "Gibt es noch irgendetwas, dessen Sie sich sicher sind?"
Er lächelte, zog den Mantel fester, und schweigend rückten die beiden noch enger zusammen.

Ende.




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