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Lost Investigations: Puerto:Nebula

von meiko

The X-Files: Lost Investigantions 5.1 - Puerto:Nebula

The X-Files: Lost Investigantions 5.1 - Puerto:Nebula

by meiko



Selva de Puerto Maldonado,
Peru
1:48 p.m.

Schwer lastete die drückende Mittagshitze des peruanischen Urwaldes über den Gehölzen. Flirrende Hitze stieg auf und vermengte sich mit den Miasmen dieser von Menschenhand unberührten Flora, dem kehligen Ruf des roten Uakaris und dem Kreischen der zahlreichen Macaws.
Ein zufälliger Beobachter wäre von der Ruhe, der schläfrigen Stimmung, die über dem Flusstal lag, getäuscht worden. Doch heute ließ sich keiner der Touristen, die sich gelegentlich vom Boot oder vom Flugzeug aus über den Fluss fliegen ließen, im Tal blicken.
Splitterndes Unterholz störte den Frieden. Mira, wie ihn die Ältesten des Stammes getauft hatten, sprang schwer atmend auf die Lichtung und sah sich ängstlich um.
Palmen und Sträucher, die sich leise in der warmen Brise bewegten, versprachen Erholung und Ruhe, doch Mira wusste, dass er beides heute nicht finden würde. Nicht in ihrem Schatten, nicht hier, denn es war ihm auf den Fersen.
Die Fasern der Korbschnur spannten sich über seine nackte Brust. Schweißperlen bildeten sich auf der Stirn, dann rannen sie brennend in seine Augen.
Wieder knackte es hinter ihm, und schwere Schritte drangen an sein Ohr.
Mira warf verzweifelt den Kescher fort, ein Geschenk seines Vaters und nahm die Beine in die Hand. Es durfte ihn einfach nicht erreichen!
Doch so schnell er auch lief, immer näher kamen die stampfenden Schritte, immer mehr konnte er den Hauch des Todes spüren, der über dem Urwald lag. Der über ihm lag.
Panik stieg in ihm auf. Gehetzt blickte er über die Schulter zurück. Der Dschungel bildete an dieser Stelle des Waldes ein undurchdringliches Blätterdach, so dass es kaum einem Sonnenstrahl gelingen konnte, bis zum moosigen Boden durchzudringen.
Der Blick zurück wurde Mira zum Verhängnis. Sein Fuß verfing sich in einer Luftwurzel und mit einem leisen Aufschrei stürzte er zu Boden. Der Aufschlag ließ seine Zähne heftig aufeinander schlagen und für einen Moment umschwirrten ihn funkelnde Sterne.
Benommen rappelte sich Mira auf, spuckte Blut auf den feuchten Waldboden.
Und in dieser ewigen Dämmerung kam es über ihn, stürzte sich mit einem unmenschlichen Schrei auf ihn – so wild und unbarmherzig, wie ihn weder Mensch noch Tier jemals vermocht hätten aufzustoßen.
Nein, kein Mensch, kein Tier wäre zu diesen Lauten fähig gewesen, als es die Zähne in Miras Körper schlug und die Haut vom Fleisch löste…



[Opening Credits]



Flug 4513 über Südamerika,
11:58 a.m.

Manchmal muss man sich vom Boden erheben um sich daran zu erinnern, wie schön die Welt in Wirklichkeit ist, dachte Special Agent Dana Scully und sah aus dem Fenster des kleinen Linienflugzeugs. Tief unter ihr erstreckten sich seit Stunden die endlos scheinenden Waldfluten der Regenwälder Kolumbiens und Brasiliens. Grün, soweit das Auge reichte, nur hin und wieder von ein paar Wasserläufen unterbrochen. Erst zögernd, dann immer stärker, machte sich der Einfluss des nahen Stroms bemerkbar. Die Flussarme wurden zahlreicher, breiter und wanden sich wie ungeheure silbrige Schlangen dem Horizont entgegen.
"Wollen Sie mir nicht endlich verraten, was uns ausgerechnet nach Peru zieht?" Sie sah ihren Partner fragend an.
"Ich gebe zu, Peru belegt bei den FBI's Most Wanted nicht gerade Spitzenplätze, aber..." Fox Mulder wedelte mit einer braunen Akte vor ihrem Gesicht herum. "Hoffentlich haben Sie heute ausgiebig gefrühstückt", raunte er ihr zu.
Dana warf ihm einen bösen Blick zu und blätterte eilig durch die Unterlagen. "Oh mein Gott", murmelte sie, als ihr Blick bei einem der besonders detaillierten Fotos hängen blieb. "Was ist denn das?"
Sehen Sie, was habe ich gesagt? Mulders Blick zwinkerte ihr zu.
"Häutungen?", fragte sie und las interessiert weiter. "Den Opfern wurden nicht nur große Teile von Dermis und Epidermis entfernt, sie wurden auch angefressen..." Sie sah Mulder nachdenklich an. "Welches Tier häutet denn seine Beute, bevor es sie verspeist?"
Fox Mulder schüttelte den Kopf. "Kein Tier, Scully! Dr. Bischoffshausen, unser Kontaktmann in Peru, schwört, dass es sich bei den Bisswunden um die Spuren eines menschlichen Gebisses handelt!"
"Mulder, nicht schon wieder", stöhnte Scully. "Das führt doch zu nichts. Was ist es denn diesmal? Ein neuer Teufel von Jersey, ein weiterer Werwolf, oder was auch immer Ihre Kontaktperson sich da ausgedacht hat? Am Ende stehen wir wieder vor einem leeren Abschlussbericht und der Frage, wie wir das Assistant Director Skinner beibringen sollen. Da fällt mir ein... Haben Sie überhaupt unsere Dienstreiseanträge abgegeben?"
Mulder sah sie etwas zerknittert an. "Indirekt", sagte er.
"Indirekt?" Scully ahnte nichts Gutes.
"Sehen Sie es mal so", grinste er sie an. "Skinner hat keine Gelegenheit gehabt, Nein zu sagen. Ich habe die Anträge heute Morgen in den Briefkasten gesteckt."
"Hauspost?"
"Luftpost."



Cusco Airport,
Peru
11:58 a.m.

"Herzlichen Willkommen in Peru", strahlte ihnen ihr Führer entgegen, als sie den Flugplatz verlassen hatten und in die Hitze der peruanischen Bergwelt entlassen wurden.
Er streckte Scully seine Hand entgegen. "Oscar von Bischoffshausen", stellte er sich vor. "Danke, dass Sie beide kommen konnten."
Er wandte sich zu Mulder um und die beiden begrüßten sich herzlich.
"Scully, es wird Zeit, dass Sie sich kennen lernen. Oscar ist seit langen Jahren Leiter der lokalen UFO-Agentur und hat mir in der Vergangenheit mehr als einmal nützliche Hilfe leisten können."
"UFOs?", fragte Scully skeptisch.
Oscar winkte ab. "Das würde ich nicht wörtlich nehmen, Miss Scully. Tatsächlich beschäftigen wir uns mit allem, was den Anschein des Übernatürlichen trägt - selbstverständlich ohne Unterstützung durch staatliche Stellen", fügte er verschwörerisch hinzu.
Sein einnehmendes Wesen und sein Optimismus begannen bereits, Scully anzustecken.
Sie folgte Oscar und Mulder zum wartenden Wagen und beschloss, die beiden Enthusiasten nicht aus den Augen zu lassen.



Selva de Puerto Maldonado,
Dorf der Itiqua, Peru
3:03 p.m.

Das, was westliche Länder heutzutage gern als den „Schamanen“ bezeichnen, hatte auf ihn noch nie zugetroffen, doch seit diese Männer in den feinen Stoffanzügen bei ihm gewesen waren, war er mit dieser Bezeichnung sogar glücklich. Sie gab ihm einen Hauch von Stärke... von Macht. Seit er sie gekostet hatte, seit er diesen Jungen zu seinem Werkzeug gemacht hatte, war nichts mehr, wie es einmal war. Denn die Macht schmeckte süß, und er hatte nicht vor, sie wieder zu verlieren.

Der Älteste betrat die Blätterhütte und wedelte mit der Hand den Rauch beiseite.
„Es ist nicht gut, wenn du diesen Weg weiter verfolgst, Mato“, sagte er, die Augen sorgenvoll auf den Schamanen gerichtet.
Mato starrte ins Leere. „Sie kommen“, flüsterte er. „Und deshalb kann es jetzt nicht mehr aufhören.“



Cusco Airport,
Peru
1:29 p.m.

Natürlich, keine Klimaanlage. Was hatte sie auch erwartet? Dies hier war nicht die Autovermietung in New York. Noch immer etwas ärgerlich, strich Scully eine rote Haarsträhne aus ihrem verschwitzten Gesicht.
Ihr Wagen war ein robustes Geländefahrzeug mit einer Federung, die diesen Namen eigentlich nicht verdient hatte. Bischoffshausen nahm am Steuer Platz und lächelte den beiden Agenten aufmunternd zu. „Leider ist es nicht möglich, direkt bis an den Tatort zu fahren. Wir werden uns so weit wie möglich vorantasten und den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen müssen.“
Mulder wippte aufgeregt mit den Füßen. „Sind die Straßenverhältnisse so schlecht?“
„Schlecht ist noch gar kein Ausdruck. Wir kommen irgendwann an einen Punkt, da geht es einfach nicht weiter. Sogar mit dem Hubschrauber würden wir kein Glück haben. Zuviel Urwald. Cusco liegt recht nahe an einer der vielen peruanischen Vegetationsgrenzen. Weiter oben das Bergland, und ganz unten, wohin wir jetzt fahren, der Dschungel. Mulder, das wird eine Rucksacktour!“ In seinen Augen glitzerte die Erwartung des Forschers.
Scully räusperte sich. „Es tut mir beinahe leid, die allgemeine Euphorie etwas dämpfen zu müssen, aber ich bin nach wie vor skeptisch, was die Berechtigung unseres Einsatzes hier betrifft.“
Mulder und Oscar wechselten einen viel sagenden Blick.
„So wie sich der Fall für mich darstellt,“ fuhr sie fort, „haben wir es hier mit einem Unfall zu tun. Ein Indio wird von einem Tier angefallen, vielleicht auch eine Rivalität zwischen verfeindeten Stämmen... alles ist möglich.“
Die Sonne verschwand hinter schweren Regenwolken, und gleichzeitig schien ein unruhiger Schatten auf das Gesicht ihres Fahrers zu fallen. „Ich fürchte, hier im Dschungel gibt es noch Dinge, die weit außerhalb des Erklärbaren liegen, Agent Scully. Wie Sie schon sagten: Alles ist möglich.“



Selva de Puerto Maldonado,
Peru
9:21 p.m.

„Mulder?“
„Ja?“
Sie lag neben ihm in der Hängematte des Außenpostens und betrachtete den unermesslichen Sternenhimmel. Diese peruanische Nacht war voller Schönheit – die Geräusche, der Duft der Nacht - doch schöner noch als all dies war der Anblick des endlosen Glitzerns am Firmament.
„Was hat Dr. Bischoffshausen mit seinen Worten heute Mittag gemeint?“
Ihr Partner drehte sich zu ihr und studierte ihr fein geschnittenes Gesicht. „Wissen Sie, dass noch immer verborgene Indio-Stämme in den Urwäldern Südamerikas gefunden werden? Erst vor zwei Jahren berichtete die brasilianische Indigenen-Behörde FUNAI von einem Stamm, der unweit der peruanischen Grenze entdeckt wurde. Scully, so etwas geschieht noch heute. Ich denke, dass Oscar uns damit sagen wollte, dass wir bereit sein sollten, die Existenz noch immer unentdeckter Naturwunder als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ist das so abwegig?“
„So wie Sie es schildern, sicher nicht“, sagte sie.
„Aber?“, bohrte er nach.
Dana seufzte. „Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie wieder einmal jede sich bietende Möglichkeit am Schopf packen um nach einer Wahrheit zu suchen, die es vielleicht gar nicht gibt?“
„Und falls doch? Was ist, wenn diese Wahrheit hier draußen, in diesen Urwäldern liegt und nur darauf wartet, aufgedeckt zu werden?“
„Mulder, wonach Sie hier suchen, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit wissenschaftlich belegen.“
„Aber falls doch?“, beharrte er. „Dann würde ich es mir nie verzeihen, wenn ich diese Chance nicht genutzt hätte.“
Stille, dann ein Ächzen. Die Hängematte ihres Partners schwankte bedenklich hin und her.
Erstaunt wandte sie den Blick zu Mulder. „Was ist los?“
„Nichts. Ich versuche nur gerade herauszubekommen, wie man diese Falle verlässt, wenn man mal für kleine Agenten muss...“



Washington D.C.
FBI Headquarters
10:18 a.m.

Langsam öffnete sich die Tür zum Büro des Assistant Directors.
Walter Skinner sah von seinen Unterlagen auf und kniff die Augen zusammen.
„Ich brauche Sie nicht zu sehen, ich kann Sie riechen!“, knurrte er dem Schatten in der Tür entgegen. Er hasste unangemeldete Besucher, und diesen hier hasste er ganz besonders.
Der Krebskandidat schob sich betont langsam in das Zimmer, drückte die Tür hinter sich zu und inhalierte einen tiefen Zug aus seiner Morley’s.
„Was ist?“, schnappte Skinner und verkniff sich den erneuten Hinweis auf das Rauchverbot in seinem Büro.
„Es gibt Ärger“, sagte der Raucher schließlich. „Ihre beiden Terrier mischen sich bereits wieder in Dinge ein, von denen sie besser die Finger lassen sollten.“ Er deutete auf den Briefstapel, den Skinners Sekretärin auf dem Schreibtisch deponiert hatte. „Wahrscheinlich werden Sie Näheres in der Post finden.“
Walters Gesicht lief dunkelrot an, doch er beherrschte sich. „Welches Interesse haben Sie denn an der Sache?“
Der Raucher schnippte seinen Zigarettenstummel nachdenklich auf den Fußboden und für einen kurzen Moment hätte Skinner schören können, dass so etwas wie Sorge in den Augen seines Besuchers flackerte. Dann war der Moment vorüber. „Mit diesem Wissen sollten Sie sich nicht belasten, Assistant Director. Pfeifen Sie nur Ihre Agenten zurück. Es könnte sonst sein, dass sie es nicht überleben.“



Selva de Puerto Maldonado,
Peru
9:07 a.m.

Die Morgensonne hatte keine Chance, den Weg durch das dichte Blätterdach zu finden. Seit zwei Stunden marschierten sie durch den dampfenden Dschungel, und Scully taten bereits die Füße weh. Sie hatte eindeutig das falsche Schuhwerk für diesen Marsch eingepackt.
„Tut mir leid“, sagte Mulder, als sie an einer Gabelung des Weges Rast machten. „Ich hatte nicht geahnt, dass wir einen so langen Fußmarsch vor uns haben.“
„Danke, mir auch“, gab sie bissig zurück. „Oscar, wie weit ist es noch?“
Dr. Bischoffshausen sah auf seine Uhr, dann auf den Kompass und dachte nach. „Zwei weitere Stunden, dann sollten wir den Tatort erreichen, und damit auch den Ausgangspunkt unserer Suche.“
„Was genau hoffen Sie denn zu finden?“
Oscar lächelte entrückt. „Miss Scully, wenn sich herausstellen sollte, dass übernatürliche oder außerirdische Kräfte diesen Mann getötet haben, dann würde das einen Durchbruch in der Arbeit unserer Organisation bedeuten. Sehen Sie, in einem Land, das es noch nicht einmal schafft, den Slumgürtel um seine Großstädte mit fließendem Wasser zu versorgen, ist es nicht gerade einfach, Fördergelder zu bekommen.“
Scully wechselte einen Blick mit Mulder. Wie ähnlich sich die beiden doch in manchen Punkten waren, dachte sie. Der eine riskierte Kopf und Kragen auf der Suche nach der Wahrheit um das Verschwinden seiner Schwester und nahm dabei jede Biegung des Weges dankbar mit. Der andere suchte verzweifelt nach Reputation, um seine Forschungsarbeiten nicht aufgeben zu müssen. Das drohende Gespenst der Tagelöhnerei lastete auf jedem Peruaner.



Selva de Puerto Maldonado,
Dorf der Itiqua, Peru
11:14 a.m.

Die Wolken sammelten sich über den Wipfeln der Palmen und versprachen nahes Unwetter. Mato beugte sich über seine Feuerstelle und sog den Rauch der grünen Pflanzenfasern tief in sich ein. Je dichter sich der Qualm in seiner Hüte ballte, desto wilder wurden die Gesten, die seine Hände in der Luft beschrieben. Kreise, Trapeze...
„Erwache“, flüsterte der Schamane in einem eigentümlichen Singsang, der nichts mit seiner normalen Stimme gemein hatte. „Erhebe dich. Ich sende dich aus...“
Der Älteste betrat die Hütte und betrachtete voller Unruhe das Tun des alten Mannes.
„Was hast du vor?“, fragte er entsetzt. „Willst du denn wirklich das Unheil erneut auf uns laden?“
„Erhebe dich nun und folge dem Willen“, beschwor der Schamane unbeirrt weiter.
„Nein, Mato!“, rief der Älteste. „Du wirst das Unheil nicht mehr kontrollieren können. Einmal ist es bereits über einen der unseren gekommen, lass es nicht ein zweites Mal geschehen.“
Nun hielt Mato inne und sah den Ältesten mit fiebrig glänzenden Augen an. „Es ist zu spät“, hauchte er. „Niemand kann ihn jetzt noch aufhalten...“



Selva de Puerto Maldonado,
Irgendwo im Regenwald...
3:20 p.m.

Es schmerzte in jeder Faser seines Körpers. Schwankend erhob er sich, sah sich um, versuchte Ordnung in das wilde Taumeln der Bäume zu bringen, die sich um seinen Kopf drehten. Gleichzeitig verspürte er das Brennen in seiner Magengrube, das ihn darauf hinwies, wieder Nahrung zu sich zu nehmen. Fleisch... menschliches Fleisch...
Ruckartig erhob er sich, gehorchte den Signalen in seinem Inneren, froh darüber, nicht mehr selbst denken zu müssen.
Selbst denken bedeutete Dunkelheit und Schmerz, doch wenn ihn die Stimme rief, fiel aller Schrecken von ihm ab. Er atmete tief auf und nahm die Witterung der Fremden auf.
Ja, er würde wieder essen und auch seinen schrecklichen Durst stillen können, und dafür war er dankbar.
Und in diesem Augenblick hatte er vergessen, dass er einmal ein Mensch war.



Selva de Puerto Maldonado,
Peru
8:52 p.m.

< Die Untersuchung des Tatortes erbrachte wenig mehr Hinweise, als aus Agent Mulders Akten bereits zu entnehmen gewesen war. Die einzige Ausnahme stellt eine merkwürdige, eingetrocknete und verkrustete Flüssigkeit dar, die sich um den gesamten Tatort erstreckte. >

Die Nacht vor ihrem Zelt war erfüllt von den phantastischsten Geräuschen. Scully legte den Stift beiseite und schwenkte nachdenklich ein Reagenzröhrchen. Sie bereute es, keine professionelle medizinische Ausrüstung mitgebracht zu haben, aber bei einem Marsch durch den Regenwald wäre das einfach undenkbar gewesen.

< Leider ist es nicht möglich, das Opfer genauer zu untersuchen, da es bereits vor mehreren Tagen von hier fortgeschafft wurde. Ich hoffe aber, dies so bald wie möglich in Cusco oder Arequipa nachholen zu können. Unser Führer hat sich bereit erklärt, die erste Wache zu übernehmen, da wir es nicht riskieren wollen... >

Ein unterdrückter Ruf erklang, gefolgt von wildem Handgemenge. Dann mehrere kurze, unmenschliche Schreie und das Krächzen einer Stimme, deren Ton Scully das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Mit einem Satz war sie aus dem Zelt heraus, wo sie auf Mulder traf. Die entsicherte Waffe im Anschlag, richteten sie den Kegel ihrer Taschenlampen in alle Richtungen.
„Oscar?“, rief Mulder.
Da – ein erneutes Stöhnen, gefolgt von noch mehr Geheul.
„Dort entlang, Scully!“, schrie Mulder und setzte sich in Bewegung.
Am Rande der Lichtung angekommen, sahen sie gerade noch, wie ein gedrungener Körper etwas ins Unterholz zerrte – etwas, was sich verzweifelt wehrte und um sich trat.
Mulder duckte sich und warf sich mit aller Kraft zwischen die beiden Kämpfenden.
Seine Hand glitt an einem Arm ab, glitschig von Blut. Dann erhob sich der unbekannte Angreifer, stieß Mulder seinen Kopf ins Gesicht, fauchte ihn an und verschwand mit einer blitzschnellen Bewegung zwischen den Sträuchern und Schlingpflanzen.

Oscar und Mulder lagen erschöpft und schwer atmend auf dem Waldboden, richteten sich schließlich mühsam auf und sahen sich um. Von ihrem Angreifer war nichts mehr zu sehen, lediglich in der Ferne konnte man noch das Stampfen und Knacken eines sich entfernenden Körpers ausmachen. Scully kniete neben den beiden nieder und untersuchte Bischoffshausens Verletzungen.
„Nicht der Rede wert“, keuchte er. „Ich habe es irgendwie geschafft, ihn davon abzuhalten mich zu beißen. Dummerweise habe ich mir den Arm beim Sturz verrenkt.“
„In Ordnung“, sagte Scully, nachdem sie auch Mulder eingehend untersucht hatte. „Das hätte schlimmer für Sie ausgehen können. Kommen Sie wieder ins Lager zurück. Ich schlage vor, dass wir in dieser Nacht zu zweit wachen.“
Sie wollte sich gerade erheben, da fühlte sie mit den Fingern etwas Feuchtes und beleuchtete die Stelle mit der Taschenlampe. Da war es wieder, diese kristalline Flüssigkeit. Dana sammelte eine weitere Probe in einem Reagenzgläschen, dann folgte sie Mulder und Oscar zu den Zelten.

***


„Haben Sie den Angreifer erkennen können?“, fragte Dana, als sie mit ihrem Partner gemeinsam ihre Wache antrat.
Fox Mulder schwieg eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. „Es ist nicht ganz das, was ich erwartet hatte, Scully.“
Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Dann sind Sie inzwischen nicht mehr davon überzeugt, diesen Fall in die paranormale Schublade einzusortieren?“
„So weit würde ich noch nicht gehen. Zu viel liegt noch immer im Dunkeln verborgen. Wer war das? Ganz unzweifelhaft ein Angehöriger eines der hiesigen Indio-Stämme.“
Ein Knacken ließ die beiden zusammenzucken, doch es war nur Dr. Bischoffshausen, der sich zu ihnen an das Feuer setzte. „Nach dem Schrecken der letzten Nacht konnte ich nicht mehr einschlafen“, brummte er. „Wenn Sie mich fragen, dann würde ich behaupten dass der Mann, der mich angefallen hatte, sicher nicht zu den Indiostämmen gehört, mit denen ich es bisher zu tun hatte.“
„Können Sie die wirklich voneinander unterscheiden?“, staunte Dana.
Oscar zuckte mit den Schultern. „Mehr oder weniger. Man kommt viel herum, wenn man sich seine Forschungsarbeit und seinen Unterhalt als Reiseführer abseits der Touristenpfade verdient. Nun, es war zwar dunkel, aber ich möchte wetten, dass ich das Tattoo im Gesicht dieses jungen Burschen noch niemals zuvor gesehen habe.“
„Wenn wir davon ausgehen, dass er auch für den Tod des anderen Indios verantwortlich ist, dann bleibt die Frage: Was treibt ihn an?“ Regenwolken ballten sich über ihnen zusammen und Mulder legte ihre Schutzplane zurecht. „Ich meine, ist da noch mehr, als wir an der Oberfläche sehen können?“
„Signale“, warf Bischoffshausen ein. „Ich weiß nicht... irgendwie wirkte er wie ferngesteuert.“
Scully hob energisch die Hand. „Ich lasse mir ja viel erzählen“, protestierte sie. „Aber Sie glauben doch nicht wirklich, dass dieser junge Indio... Befehle aus dem Dunkeln erhält, die sein Verhalten steuern?“
Mulder sah sie stirnrunzelnd an. „Wie können Sie so sicher sein, dass es nicht so ist?“
„Weil es, bevor ich so eine Möglichkeit zugebe, eine große Menge anderer Varianten gibt, die es zu prüfen gilt. Denken Sie nur an die Flüssigkeit, die wir wiederholt an den Tatorten gefunden haben. Ich halte es jedenfalls für wahrscheinlicher, dass der Mann an einer Geisteskrankheit leidet, als dass er ferngesteuert unsichtbaren Befehlen folgt.“
„Eine Geisteskrankheit“, murmelte Mulder resigniert.
„Haben Sie schon einmal von Lytico-Bodig gehört? Das ist eine Gehirnerkrankung, die sich die Bewohner Mikronesiens zuzogen, als sie Fledermäuse aßen, deren Leibspeise wiederum aus cycadhaltigen Palmsamen bestand. Die Folge waren Symptome, bei denen die Patienten – obwohl scheinbar bei Bewusstsein – sich in einem Zustand der völligen geistigen Lähmung befanden. So wie ich es sehe, kann Ähnliches durchaus auch hier der Fall sein. Unser Täter muss sich seiner Handlungen ja noch nicht einmal bewusst sein!“



Selva de Puerto Maldonado,
Dorf der Itiqua, Peru
2:21 a.m.

Schwere Gewitterwolken ballten sich über Mato, doch er hielt es für ein gutes Vorzeichen.
Seit Stunden saß er in seiner Hütte und starrte in das längst verloschene Feuer.
Eine Bewegung ließ ihn aus seinen Grübeleien aufschrecken. „Bist du das, alter Mann?“
„Ja, Mato. Ich bin gekommen um dir zu sagen, dass die Versammlung der Ältesten eine Entscheidung gefällt hat. Du wirst uns nicht mehr länger für uns zu den Geistern sprechen; deine Zeit ist abgelaufen. Mit Tagesanbruch wirst du von uns gehen.“
Als der Älteste ihn verlassen hatte, flackerte Wahnsinn in den Augen des Schamanen. „Wir werden ja sehen“, flüsterte er und strich liebevoll über das Fläschchen mit der klaren Flüssigkeit. Ein Geschenk seiner neuen Freunde aus dem Norden und er würde sich dankbar zeigen...



Selva de Puerto Maldonado,
Irgendwo im Regenwald...
6:31 a.m.

Zitternd erwachte er aus seiner Starre. Der fiebrige Glanz in seinen Augen wurde stärker, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Haut und vermengten sich mit den herab prasselnden Regentropfen. Ein wahrer Wolkenbruch hatte das Lichtermeer des Morgens, die mannigfaltigen Farben und Formen in ein feuchtes, dampfendes Niemandsland verwandelt.
Noch immer verspürte er bohrenden Hunger. Wimmernd hob er die Hand zum Gesicht und starrte verwundert auf die glasklare, dickflüssige Masse, die aus seinem Mund quoll.
Einen gequälten, halb erstickten Schrei ausstoßend, sprang er auf. Niemals würde er Ruhe finden vor den Stimmen in seinem Kopf, die ihn immer wieder dazu trieben, diese Dinge zu tun! Für einen Moment behauptete sein eigener Wille die Oberhand, doch dann brach sein Widerstand in sich zusammen.
Er kannte sein Ziel, und er würde nicht ruhen, bis die Jagd beendet war. Erst dann, so ahnte er, würde er Frieden vor dem endlosen Geflüster finden.
Keuchend setzte er sich in Bewegung.

***


„Scully?“ Mulder blickte suchend um sich. „Oscar?“
Noch vor wenigen Augenblicken hatte er die Stimmen der beiden gehört, wie sie sich angeregt über ein medizinisches Thema unterhalten hatten. Irgendwann hatte Mulder abgeschaltet und beim Gehen seine Karte studiert, was sich als nicht ganz einfach erwiesen hatte, da es schon seit den frühen Morgenstunden unausgesetzt regnete.
Nun herrschte tiefe Stille im Wald, wenn man einmal vom Geräusch des fallenden Regens absah, der unausgesetzt hernieder platschte.
Mulder hielt fluchend inne. Das fehlte ihm gerade noch, dass sie sich ausgerechnet jetzt aus den Augen verloren. Wenigstens glaubte er seine Partnerin in Sicherheit, da sie ja bei Dr. Bischoffshausen war. Er selber würde schon klarkommen. Er würde jetzt einfach hier stehen bleiben, bis die beiden sein Fehlen bemerkten und zu ihm zurückkehrten...
Ein leises Geräusch hinter ihm, das sich deutlich vom Regen abhob. Dann eine verstohlene Bewegung, mehr ein Schatten als eine identifizierbare Gestalt.
Plötzlich wurde es kalt um Mulder, als würde eine unsichtbare Macht alle Wärme, die bisher im Erdboden gespeichert war, absaugen.
Dann fiel es über ihm her, brüllend, kreischend und mit spitzen, hungrigen Zähnen.



Selva de Puerto Maldonado,
Dorf der Itiqua, Peru
6:52 a.m.

Der Tag hatte längst begonnen und unruhig schritt der Älteste auf dem durchnässten Dorfplatz auf und ab.
‚Warum kommt er nicht?’, dachte er. ‚Er weiß, dass es vorbei ist, warum also gibt er es nicht auf? Er klammert sich an die Macht, ganz wie ich es vorausgesagt hatte.’
Doch nun war Matos Zeit gekommen. Er würde es nicht zulassen, dass es noch weitere Opfer geben würde. Es hatte schon viel zu viel Blutvergießen gegeben und er wusste dass er seinen Fehler, Mato so lange gewähren zu lassen, niemals wieder gutmachen konnte.
„Genug“, rief er und nickte seinen jungen Kriegern zu. „Macht dem Spiel ein Ende!“



Selva de Puerto Maldonado,
Peru
6:52 a.m.

„Zurück von ihm“, schrie Scully, ihre Waffe im Anschlag. Als sie bemerkt hatten, dass Mulder nicht mehr hinter ihnen lief, waren sie alarmiert zurückgekehrt und hatten ihn mit diesem blut- und schleimbesudelten Indio ringend angetroffen.
„Zurück!“, schrie sie noch einmal, doch der wild schreiende Angreifer schien sie nicht einmal zu hören. Beherzt machte sie ein paar Schritte auf das umschlungene Knäuel menschlicher Glieder zu, da hörte sie Mulders Schmerzensschrei. Triumphierend riss der Indio den Arm in die Höhe und zu ihrem Entsetzen sah Scully, dass zwischen seinen Fingern einige Stücke menschlicher Haut klebten. Mulders Haut.
Nun gab es kein Zögern mehr. Mit aller Kraft hieb sie dem Angreifer den Lauf ihrer Pistole gegen den Hinterkopf, so dass dieser wie ein Stein zusammensackte.
Blutiger Schaum und eine schnell kristallisierende Flüssigkeit sammelten sich in seinen Mundwinkeln.
„Mulder, sind Sie OK?“, fragte sie keuchend und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als sie den Zustand seiner Schulter sah. Das Baumwollhemd war bis zum Rücken aufgerissen und im Fleisch klaffte eine tiefe Wunde – genau dort, wo der Angreifer Mulders Haut von Fleisch gerissen hatte.
Mulder stöhnte und richtete sich mühsam auf, fiel aber gleich darauf hinten über. „Ist mir übel“, murmelte er undeutlich.
„Das ist der Schock“, antwortete Dana und beeilte sich, Fox in eine schonende Lagerung zu bringen.

Der Indio schlug die Augen auf und sah sich fragend um. Dann richtete er ein paar Worte an Dr. Bischoffshausen, der nach einigen Sätzen nur Hilfe suchend zu Scully herübersah.
„Ich... ich begreife das nicht“, stammelte er. „Er scheint mir jetzt ganz klar zu sein. Ich verstehe nicht jedes Wort, aber ich glaube, er will von uns wissen, was hier geschehen ist und wer der blutende Mann ist. Agent Scully, es scheint, als hätte er jede Erinnerung an seine Angriffe verloren!“
Er hatte kaum ausgesprochen, da peitschte ein Schuss durch das Blätterdach und bohrte sich in die Stirn des jungen Indios. Lautlos brach er zusammen und regte sich nicht mehr.
„Runter!“, rief Scully, doch es folgten keine weiteren Schüsse mehr. Stattdessen erklang nun das unverwechselbare Geräusch eines nahenden Helikopters, der sich nun auf der benachbarten Waldlichtung niederließ.
Bewaffnete Männer in grüner Militärkleidung sprangen heraus, sicherten mit ihren Automatikgewehren die Umgebung, während ein weiterer Trupp auf die Agenten zueilte.
„Verdammt!“, schrie Scully den Soldaten entgegen. „Das war vollkommen überflüssig! Er war doch längst keine Gefahr mehr!“
Doch die Männer ignorierten sie vollständig, zerrten stattdessen Dr. Bischoffshausen von der Leiche des jungen Mannes fort und hüllten den toten Körper in eine Plastikplane, bevor sie ihn zum Helikopter schleppten.
„Warten Sie“, rief Scully außer sich. „Wer gibt Ihnen das Recht dazu? Ich verlange, dass Sie sich identifizieren!“
Der Soldat, der ganz offensichtlich den Trupp befehligte, beobachtete den Abtransport der Leiche, dann drehte er sich zu Dana um und baute sich drohend vor ihr auf. „Sie, Agent Scully, haben hier überhaupt keine Rechte! In wenigen Minuten wird unser zweiter Helikopter eintreffen und Sie von hier fortbringen.“
Fassungslos sah Scully zu, wie der Mann sich selbstgefällig umdrehte und zum Hubschrauber zurückmarschierte. Doch bevor er einstieg, wandte er sich noch einmal um. „Und vergessen Sie nicht: Was auch immer Sie hier gesehen haben – es ist niemals passiert.“



Washington D.C.
FBI Headquarters
8:29 p.m.

< Nachtrag von Agent Dana Scully zur X-Akte 3#781. >

Scully starrte gedankenverloren auf den blauen Monitor. Die Fäden der Erinnerung tasteten immer wieder nach ihrem Partner und ihrer letzten Unterhaltung im Krankenhaus.

„Scully“, hatte Mulder aufgebracht gerufen. „Wir haben da Geheimnisse berührt, die wohl niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken sollten. Und das Schlimmste ist: Die kommen schon wieder ungestraft damit durch! Stellen Sie sich das doch nur mal vor: Da finden heimlich Experimente zur Gedankenmanipulation statt und als die ganze Sache aus dem Ruder läuft, vernichten die alle Beweise und wissen von nichts. Stattdessen nehmen sie gelassen ein paar Bauernopfer hin – Peru ist weit genug weg und wird schon kein Aufsehen erregen!“

Das Kellerbüro war einsam ohne Mulder, doch mit ein wenig Glück würde er in zwei Wochen wieder neben ihr sitzen und sich abstruse Geschichten zusammenreimen. Oder doch nicht so abstrus? Immerhin... was sie gesehen hatte, war nicht von der Hand zu weisen. Sie seufzte leise und machte sich wieder über ihren Bericht her.

< Nachdem das Militär in Peru sämtliche Beweistücke beschlagnahmt hatte, bleibt mir nicht mehr viel, um meine Theorien bezüglich Lytico-Bodig untersuchen zu können. Besonders schmerzhaft ist in diesem Zusammenhang der Verlust der Flüssigkeitsproben, die wir vor Ort in Peru sammeln konnten. Ob sie Beweise für Agent Mulders Annahme geliefert hätten, dass der junge Indio einer unbekannten Macht oder Energiequelle ausgesetzt war, muss somit Spekulation bleiben. Aus ärztlicher Sicht spricht derzeit viel mehr dafür, dass der Täter an einer nicht diagnostizierten und therapierten Geisteskrankheit litt, die ihn bis in die vollkommene Erschöpfung und damit zu seinen Gräueltaten trieb. Bis zum Auftauchen weiterer Beweismittel bleibt dieser Fall... >

Sie hasste das Wort, das unweigerlich folgen musste.

< ...ungeklärt. >



Ende.



Disclaimer:

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