World of X

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Everything Changed

von MissingSam

Kapitel 1

Ein dunkelblauer Wagen fuhr auf dem Weg in das Innere des Stadtviertels auch am Friedhof von Arlington, Virginia vorbei. Die junge Frau am Steuer warf einen Blick zur Seite. Hier schien alles vollkommen normal zu sein. Ein Heiliger Abend, wie er jedes Jahr stattfand. Doch wenn man die Häuser betrachtete, merkte man, dass gar nichts wirklich normal war. Aus den Fenstern drang nur schwacher Lichtschein, die Räume wurden nur von Kerzen beleuchtet. Zu dieser Jahreszeit vielleicht passend, doch die Menschen hatten die Nase voll davon. So irritierend es auch manchmal war, man wollte endlich wieder Licht sehen, wenn möglich von einer Glühbirne. Für die meisten war eine Glühbirne ein Stück Normalität, nach dem sie sich wie nichts anderes sehnten.
Die Fahrerin seufzte. Diese Normalität würde lange keiner mehr zu Gesicht bekommen, das war ziemlich sicher.
Das erste Jahr nach der Bombe war gerade vorbei, und es waren bei Weitem noch nicht alle Leichen gefunden, geschweige denn identifiziert worden. Das würde wohl auch noch einige Jahre dauern, denn es waren längst nicht alle Gebiete der Explosion zugänglich.
Die Frau schüttelte den Kopf, während sie die Treppen zu einem Apartment hinaufstieg. Das war schon so eine Sache gewesen.
Es war früher Abend nach einem wunderschönen Tag Anfang Dezember des Jahres 2001 gewesen. Die Sonne war schon lange am westlichen Horizont verschwunden, der volle Mond und auch die Sterne waren deutlich zu sehen. Es hatte in den Tagen zuvor geschneit, die Schulen waren wegen der Schneemassen geschlossen und die meisten Kinder hatten den ganzen Tag im Park gespielt. In Washington DC war Schnee in diesen Tagen eine Seltenheit gewesen, da es so nahe am Meer lag. Die meisten Leute saßen gegen acht Uhr abends in ihrer Wohnung und lasen oder sahen fern. Niemand merkte, dass sich der Himmel draußen langsam, aber immer mehr bewölkte. Zumindest sah es für zufällige Beobachter so aus, als handle es sich um normale Wolken, was es in Wirklichkeit war, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Dann, um Punkt neun Uhr, wurden sämtliche Funk- und Fernsehprogramme für eine Sondersendung unterbrochen. Sämtliche Nachrichtensprecher waren bleich und machten ernste Gesichter, kein Wunder, wie sich wenige Minuten später herausstellen sollte. Jeder von ihnen las den gleichen Text, der vom Präsidenten persönlich verfasst worden war.
"Sehr verehrte Damen und Herren, in Anbetracht des Ernstes der Lage sah ich mich gezwungen, diese Nachricht an alle Nachrichten-, Fernseh- und Rundfunkstationen weiterzuleiten. Heute, um etwa 19:47 Uhr, explodierte ein atomarer Sprengsatz im Bergland der Volksrepublik China. Die Bombe besaß die Sprengkraft mehrerer Horishima-Sprengsätze und forderte vermutlich mehr als eine Million Tote. Wenn Sie in diesen Minuten aus dem Fenster sehen, werden Sie bemerken, dass sich eine Wolkendecke über dem Himmel ausbreitet. Dies sind keine normalen, sondern Staubwolken, die durch die Detonation in die Atmosphäre geschleudert wurden. Meine Damen und Herren, ich sage es nicht gerne, aber wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Noch ist nicht bekannt, wer für die Bombe verantwortlich ist, doch eines ist leider sicher, es ist die Sache, von der wir alle gehofft hatten, dass sie niemals eintreten würde: ein atomarer Winter. Laut führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet wird der Himmel sich für mehrere Jahre verdunkeln..." Der Rest der Rede war in der allgemeinen Aufregung untergegangen.
Seit diesem Abend waren Gas, Öl und andere Rohstoffe, sowie Strom waren Mangelware geworden. Nur Regierungsangestellte durften ein Auto fahren und die amerikanischen Militärs waren in ständiger Bereitschaft.
In diesem einen Jahr war viel passiert, alles hatte sich geändert. Die Menschen mussten sich neuen Umständen anpassen und viele Atheisten und Agnostiker fanden zu ihrer Religion zurück.
Dana Scullys Leben hatte sich zwar geändert, aber es war keine 180°-Wende nötig gewesen. Sie arbeitete weiterhin beim FBI, Fox Mulder war immer noch ihr Partner und sie beide waren immer noch den X-Akten zugeteilt. Allerdings sah sie ihre Familie nicht mehr besonders oft. Ihr Bruder Bill war in ständiger Einsatzbereitschaft, ihr jüngerer Bruder Charlie war einen Monat vor der Explosion nach Europa gegangen und nun gab es keine Möglichkeit mehr zurückzukommen, denn Flugzeuge und Schiffe verkehrten nicht mehr. Und ihre Mutter lebte mittlerweile bei Bill, um Tara zu helfen, sollte Bill an die "Front" müssen, was immer das auch bedeuten mochte.
Mulder dagegen hatte einen Schicksalsschlag einstecken müssen, als seine Mutter im Januar, fast genau einen Monat nach der Katastrophe, gestorben war. Ansonsten war sein Leben allerdings normal weiterverlaufen.
Nun stand Scully am zweiten Heilig Abend in Folge vor Mulders Wohnungstür. Sie hatten auch das letzte Weihnachten miteinander verbracht, keiner von ihnen hatte in dieser Situation an diesen Tagen allein sein wollen. Genauso war es diesmal, doch irgendwie war es auch wieder anders. Aber es war sowieso nichts mehr wie früher, also warum sollte man das von
Weihnachten erwarten?
Die Agentin klopfte, und wenige Sekunden später wurde die Tür geöffnet.
"Hallo Scully. Kommen Sie rein. Wie geht's?", fragte ihr Partner.
'Wie geht's?' fragte jeder jeden, denn seit der Bombe musste man einmal im Monat zum Arzt und sich wegen des langsam niedergehenden Staubs untersuchen lassen. Man war nicht sicher, ob er radioaktiv war, oder nicht.
"Gut, danke. und selbst?"
Mulder lächelte seine Partnerin an. "Wie immer. Langsam bezweifle ich, dass man jemals Radioaktivität in diesem Staub finden wird."
Scully lächelte zurück. "Vorsicht ist besser als Nachsicht, Mulder. Das wissen Sie so gut wie ich."
Er verdrehte fast unmerklich die Augen. Das war typisch Scully. Aber im Grunde wollte er es ja gar nicht anders, ihm würde ohne einfach etwas fehlen. Also beschloss er das Thema zu wechseln.
"Fröhliche Weihnachten, Scully", sagte er leise und umarmte sie.
"Fröhliche Weihnachten, Mulder", flüsterte sie dicht an seinem Ohr und erwiderte die Umarmung.
Als sie sich voneinander lösten, sah Mulder nachdenklich drein.
"Hm... Scully, bevor Sie den Mantel ausziehen... wissen Sie zufällig, wie kalt es ist?"
Seine Partnerin runzelte die Stirn. "Laut Thermometer im Wagen -10°C. Fragen Sie mich nicht, wieviel das in Fahrenheit ist, der Wagen muss ein europäisches Fabrikat sein. Warum fragen Sie?"
"Denken Sie, es ist zu kalt für einen Spaziergang?"
"Ich denke nicht, solange man in Bewegung bleibt..."
"Würden Sie mich begleiten?"
Scully lächelte wieder. "Sicher, warum nicht? Ich glaube aber nicht, dass wir irgendwen sehen werden. Als ich hergefahren bin, war alles wie ausgestorben."
Ihr Partner sah sie an. "Ehrlich gesagt macht mir das nicht viel aus. Ich bin nicht gern unter Menschen, das wissen Sie ja."
Scully schüttelte verwundert den Kopf. Seit dem Unglück war eigentlich jeder froh, wenn er einen anderen, mochte er ihn nun kennen oder nicht, auf der Straße traf. Aber Mulder war schon immer eine Ausnahme gewesen, in diesem wie auch in vielen anderen Fällen. Auf der anderen Seite war es genau das, was sie so an ihm mochte, er war kein Stereotyp, das
hatte sie schon immer fasziniert.
In den zehn Minuten, in denen sie nun schon auf den Straßen Arlingtons nebeneinander herliefen, hatte Mulder noch nichts gesagt.
"Mulder", fragte sie deshalb sanft, "ist alles in Ordnung?"
Wieder sah er sie an. Es schien ihm so unwirklich, dass er an einem Heilig Abend mit seiner Partnerin durch die Straßen lief, dass vor etwas mehr als einem Jahr ein atomarer Sprengsatz im Bergland Chinas explodiert war und dass die Menschen seitdem im ewigen Winter lebten. Und doch war es so.
Er seufzte. "Scully, erinnern Sie sich noch an letztes Jahr?"
Diese sah ihn etwas verständnislos an. "Natürlich erinnere ich mich. Irgendwie haben Sie's sogar geschafft, mich die Bombe vergessen zu lassen. Warum?"
"Sie wissen ja, mein Familienleben, soweit man es als solches bezeichnen kann, war nach Samanthas Entführung ziemlich kompliziert. Weihnachten war immer am schmerzhaftesten, deshalb hörten wir bereits im zweiten Jahr auf, es zu feiern. Nachdem meine Eltern dann geschieden waren, schob man mich in irgendwelche Privatschulen ab, wo ich auch Weihnachten verbrachte. Nach Hause kam ich nur im Sommer. An richtige Weihnachten war natürlich nicht zu denken. Und das letzte Jahr hat mich an die Zeit mit Sam erinnert und... na ja, deshalb hab ich Sie auch gefragt, ob wir das dieses Jahr wiederholen könnten."
Da, jetzt war es heraus, es gab kein Zurück mehr.
Scully ihrerseits war baff. Sie hatte mit so ziemlich allem gerechnet, nur nicht damit.
"Mulder..." sie brach ab. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte, deshalb ging sie einfach weiter. Ihr Partner folgte ihr leicht verblüfft, was hatte er jetzt wieder falsch gemacht?
Gegen 23 Uhr kamen sie wieder bei seinem Apartment an. Beide waren todmüde und so beschlossen sie, schlafen zu gehen. Mulder auf seiner Couch, Scully in seinem nie genutzten Bett, von dessen Existenz sie bis zum vergangenen Jahr nicht einmal etwas geahnt
hatte.
Mitten in der Nacht schreckte Scully hoch. Irgendetwas hatte sie geweckt. Sie hatte jedoch keine Ahnung was, bis sie es erneut hörte: Ein lautes Schreien, das durch die ganze Wohnung hallte. Innerhalb von Sekunden war die Agentin aus dem Bett und auf dem Weg ins Wohnzimmer. Dort fand sie Mulder, sich windend wie ein Aal, auf der Couch vor. Sie kniete sich daneben und begann, ihren Partner an der Schulter zu rütteln und leise auf ihn einzureden. Er hatte wieder einmal einen Alptraum, und soviel sie wusste, hatten sich diese seit der Bombe noch verschlimmert.
In diesem Moment öffnete Mulder die Augen und sah sie verwirrt an.
"Scully?", fragte er rauh.
"Sie haben anscheinend wieder angefangen..." Weiter kam sie nicht, denn er unterbrach sie.
"...zu träumen, ich weiß. Doch diesmal war es anders..."
"Wie meinen Sie das?"
"Nun... es... ich habe nicht von Samanthas Entführung geträumt..."
"Sondern?", hakte sie nach.
Nun sah er sie unverwandt an. "Von Ihrer, ich habe von Ihrer Entführung geträumt..."
Scully traten Tränen in die Augen. Sie hatte so gut wie keine Erinnerung mehr daran, doch dieses Ereignis hatte schon mehr als eine schwerwiegende Auswirkung auf Ihr Leben gehabt. Sie versuchte die Tränen zu unterdrücken, doch ganz wollte es ihr nicht gelingen, langsam rollte eine einzelne Träne ihre Wange hinunter.
Mulder registrierte bestürzt, welche Wirkung sein Statement auf seine Partnerin hatte. Er hob eine Hand und wischte die Träne beiseite. Als seine Hand ihre Wange berührte, war ein unterdrücktes Schluchzen zu hören.
"Scully...?", fragte er behutsam, doch sie schüttelte nur den Kopf. Nach etwa einer halben Minute hob sie den Kopf und sah ihn so offen an, dass Mulder nichts anderes zu tun wusste, als sie in die Arme zu schließen. Sie vergrub das Gesicht in seiner Schulter, so wie er es damals getan hatte, als seine Mutter nach einem Schlaganfall im Krankenhaus gelegen hatte. Sie gab keinen Laut von sich.
Nach ein paar Minuten hob sie den Kopf und sah ihm in die Augen.
"Danke, Mulder."
Der lächelte nur und fand, dass es an der Zeit war, das Thema zu wechseln.
"Wie spät ist es, Scully?", fragte er deshalb.
"Uhm... halb vier, warum?"
"Dann ist es also schon Weihnachten?"
"Ja, aber warum?", fragte Scully leicht durcheinander.
"Weil ich etwas für Sie habe, ganz einfach", grinste er.
Sie grinste zurück. "Mulder, es ist aber noch nicht Morgen!"
"Na und? Ehrlich gesagt hat mich das immer sehr wenig gekümmert", konterte er beinahe gleichmütig.
Seine Partnerin schüttelte lächelnd den Kopf. "Sie sind unmöglich, hat Ihnen das eigentlich schon mal jemand gesagt, Spooky Mulder?", fragte sie, während sie in ihrer Tasche herumwühlte. Nach einigen Augenblicken förderte sie ein kleines Päckchen zu Tage.
Mulder grinste wieder. "Sicher... Sie haben es gerade getan und es waren schon mehrere vor Ihnen", sagte er und zog ebenfalls ein Päckchen hervor. "Auf drei?" fragte er dann.
Scully wusste genau, was er meinte. "Auf drei. Eins..."
"...zwei..."
"...drei!", sagten sie zusammen und griffen sich jeweils das Geschenk des anderen.
"Und, wer nun zuerst?", fragte Mulder.
"Sie zuerst. Ich möchte das auf gar keinen Fall verpassen", grinste Scully.
"In Ordnung..." Damit begann er, das Papier zu entfernen. Nach wenigen Sekunden hielt er eine braune Pappschachtel in der Hand. Kein Aufdruck verriet, was sich darin befand. Fragend sah er seine Partnerin an, doch die nickte nur. Vorsichtig begann er dann, die Schachtel zu öffnen, man konnte bei Scully nie wissen, was man fand. Auch sie hatte sich verändert.
Doch als er endlich den Deckel geöffnet hatte, brach er in schallendes Gelächter aus.
"Scully, Sie erwarten aber doch wohl nicht ernsthaft, dass ich die im Büro trage, oder?", fragte er immer noch lachend und hielt die Krawatte hoch, die über und über mit kleinen grauen Aliens besprenkelt war, die Zigaretten rauchten.
Seine Partnerin grinste. "Mulder, das würde niemanden überraschen, glauben Sie mir. Aber ich glaube nicht, dass Skinner damit einverstanden wäre. Darf ich jetzt?"
"Selbstverständlich."
Dann begann sie, das Geschenkpapier zu entfernen. Zum Vorschein kamen zwei Bücher. Scully sah Mulder an. Der lächelte nur.
"'Mystik und moderne Physik' und Stephen Hawkings 'Eine kurze Geschichte der Zeit'. Beides die illustrierten Ausgaben. Ich dachte das könnte was für Sie sein... oder nicht?"
"Doch Mulder, aber ich hätte am Allerwenigsten von Ihnen ein solches Geschenk erwartet", gab sie zu.
"Tja Scully, alles hat sich geändert, das wissen Sie so gut wie ich... und vor allem ist 'Mystik und moderne Physik' doch auch was für unsere Arbeit, oder?"
"Oh ja, da kann ich Ihren Theorien wenigstens etwas entgegenhalten!"
Beide brachen in Gelächter aus. Nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatten, wurde Mulder ernst.
"Hm... Scully?", fragte er. Er hatte den Beschluss gefasst, alles auf eine Karte zu setzen.
"Ja?"
"Gibt es etwas, das Sie schon immer mal tun wollten?" Langsam ging er auf sie zu.
"Hm... na ja, ich wollte immer heiraten und eine Familie gründen... Und selbst?"
Er stand jetzt direkt vor ihr. "Ja, da gibt es etwas...", sagte er und beendete sein Statement, indem er sich zu ihr hinunter beugte und sie direkt auf den Mund küsste.
Zuerst weiteten sich ihre Augen vor Überraschung, doch dann schloss sie sie und gab sich seinem Kuss hin, erwiderte ihn fast hungrig.
Doch nach wenigen Sekunden begann ein Handy zu klingeln. Mulder stöhnte gequält auf. "Warum, zu Teufel, muss so etwas immer uns passieren? Da wartet man zehn Jahre, und dann funkt so ein dummes Telefon dazwischen!"
Scully lächelte. "Lass das Lamentieren und geh dran, das ist nämlich deins!"
"Huh? Ups."
Nun fing sie an zu grinsen, während Mulder nach dem Telefon griff und auf den Abnahmeknopf drückte.
"Hallo?... Sir? Äh... jetzt? Heute?... Ja...ja sie ist hier... mhm... ja, ich sag's ihr." Damit legte er wieder auf. "Skinner... er schickt uns auf ein Stakeout."
"Heute?" fragte sie ungläubig.
"Jetzt sofort", setze er hinzu.
"Oh... hm..." Sie trat auf ihn zu, legte ihm die Arme um den Hals, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. "Ich denke aber nicht, dass uns langweilig werden wird, oder was meinst du?"
"Er zog lächelnd die Augenbrauen hoch. "Ich denke, du hast Recht."
Als sich seine Lippen wieder auf ihre senkten, schoss ihnen beiden der gleiche Gedanke in den Kopf: alles hatte sich geändert, ja, aber eben nicht nur zum Schlechten...

ENDE

Merry X-Mas to ya all out there!
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