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While a Cigarette was burning

von Lila

Kapitel 1

Es fiel kein Wort.

Noch lange, nachdem die Einsamen Schützen Mulders Wohnung verlassen hatten, stand er da am Türrahmen und barg tiefe Enttäuschung in sich.

Es hatte sein müssen, das wusste er. Er konnte dennoch nicht verstehen, wie ausgerechnet sie ihm etwas hatte vorenthalten können. Es traf ihn weniger als ihren Kollegen, das musste er sich eingestehen. Es traf ihn vielmehr auf eine andere, persönliche Weise. Er fühlte sich in der Tat sehr verletzt.

Und dennoch, solange waren sie nun schon Partner. Er hatte ihr seine Liebe gestanden – hatte gesagt, sie wäre sein einziger Halt, und somit die letzte Hürde des vollkommenen Vertrauens zu ihr genommen. Er hatte gedacht, sie würde diesen Schritt mit ihm gehen – überzeugt davon, dass er diesem Raucher nie verfallen wäre, wenn das geheißen hätte, ihr ins Gesicht lügen zu müssen. Nicht, nachdem er die letzte Hürde genommen hatte!


„Mulder“, setzte Dana Scully nüchtern an. Doch als sie seinen Blick fing, gab sie es auf.

„Ich werde wohl besser gehen“, seufzte sie, griff nach ihrem Mantel und wollte an ihm vorbei zur Tür gehen, doch er weigerte sich, seinen Arm dort vom Türrahmen wegzunehmen.

„Du machst es dir viel zu einfach!“, sprach er trocken. Und augenblicklich besann sich Scully der Worte des Rauchers. Sie würde sterben für Mulder – sie würde es sich nur nicht erlauben, ihn zu lieben.

Diese Worte hingen schwer in Dana Scullys Gedächtnis.

Sie dachte an die eine oder andere Nacht, die sie nunmehr gemeinsam verbracht hatten. Ganz heimlich und still. Es passierte öfter in letzter Zeit. Und am nächsten Morgen würde sie ihren Mantel nehmen und sein Haus verlassen, noch ehe das Leben sie einholen würde.

Es war ihr Geheimnis. Und niemand würde davon erfahren. Nicht einmal sie selbst, wenn sie nur schnell genug davon laufen würde.

+++

Es war in einer düsteren Nacht gewesen. Vom Schicksalsschlag getroffen und gebeutelt saß Mulder auf seinem Bett und starrte in die Hoffnungslosigkeit, die groß und bedrohlich vor ihm lag. Es war das Gefühl, nun völlig machtlos gegenüber dem Tod seiner Mutter zu sein! Es gab nichts, das er tun konnte.

Nachdem Scully in der Küche die Reste des Essens beseitigt hatte, das er an diesem Abend kaum angerührt hatte, setzte sie sich nun zu ihm in die Dunkelheit. Sie schwieg und wartete.

Mulder atmete schwer und begann dann irgendwann, ihren Oberarm zu berühren.

„Schau mich an“, sagte er heiser, und sie schaute ihn an.

Beschämt wich ihr Blick schließlich wieder von seinem ab, doch augenblich setzte er sich auf und griff nach ihrem Kinn.

„Nein, nein, nein, schau mich an“, sagte er noch einmal.

Er wusste nicht, was er tat, ging es ihr durch den Kopf.

Doch er schien recht entschlossen zu sein, als er sich zu ihr beugte und seine Lippen auf ihre presste.

Nein, er wusste unmöglich, was er da tat!, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war jedoch viel zu neugierig, als dass sie es vermochte, diesem Kuss ein Ende zu bereiten.

Also ließ sie sich von diesem Mann küssen, bis sie sich entsann, von welchem Mann sie diesen Kuss empfing.

„Mulder“, riss sie sich von ihm los. Und mit geröteten Wangen leckte sie sich überwältigt über die Lippen.

„Versteh mich nicht falsch“, sagte sie dann. „Ich würde gern mit dir zusammen sein“, und damit meinte sie in diesem Augenblick weniger als Paar, sondern vielmehr in dieser Nacht.

„Aber ich finde, dies ist nicht die Art und Weise, auf die es geschehen sollte“, sagte sie leise, woraufhin er sich zurück ins Bett fallen ließ.

Müde schaute sie eine Weile seinen reglosen Körper an, bevor sie entschloss, sich selbst ein wenig Ruhe zu gönnen, und sich neben ihn legte.


Wenig später. An einem lauen Morgen, nach einer langen Nacht und einem seltsam anmutendem Fall, bei dem das Geschehen von einer Fernsehkamera verfolgt worden war, fuhr Mulder seine Partnerin nach Hause. Scully konnte kaum verbergen, wie peinlich berührt sie von den Ereignissen, die dieser Fall mit sich gebracht hatte, war, und freute sich nur noch darauf, in ihren vier Wänden zu verschwinden. Was sie jedoch freute zu sehen, war, wie Mulder nach seinen ganz persönlichen Ereignissen, die ihn in den letzten Wochen gequält hatten, wieder einen beschwingteren Eindruck zu machen schien.

„Also, ich geh dann mal“, sagte Scully zufrieden und schnallte sich vom Beifahrersitz ab.

„Hey“, sagte Mulder dann, noch bevor sie den Türgriff berühren konnte. Erstaunt blickte sie ihn an.

„Ja?“

„Was machst du morgen Abend?“, fragte Mulder dann und strich sich dabei nervös mit den Fingern über den Mund.

Amüsiert trat ein Lächeln auf Scullys Lippen.

„Mulder, bittest du mich um ein Date?“

„Wär möglich“, sagte er und schaute dabei von ihr weg aus seinem Fenster, um die Tatsache herunter zu spielen, dass er hier etwas Großes wagte.

„Tja, wenn das so ist“, begann sie dann kokett und er wendete seinen Blick wieder an sie.

„Ich würde gern mit dir ausgehen!“

Sie schauten sich eine Weile ernst an – bis sie dann endlich den Türgriff betätigte und den Wagen verließ.

„Ich hol dich dann um sieben ab“, folgte ihr Mulders Stimme aus dem Wagen heraus und sie beugte sich zur Tür hinunter, um ihn anzusehen.

„Wir sehen uns um sieben!“, bestätigte sie dann mit einem müden Lächeln auf den Lippen und schloss die Wagentür.


Und auf eine kurze Nacht, einen ruhigen Vormittag und einen nervösen Nachmittag folgte der nächste Abend. Er hatte gut ausgesehen, wie er da so vor ihrer Tür stand. Die Haare frisch, das dunkle T-Shirt bescheiden, aber unwiderstehlich, die Jeans leger, der Duft herb, lehnte er gegen den Türrahmen. Sie war neugierig gewesen, welche Erscheinung er bieten würde, und, zugegeben, sie hatte ihn etwas schicker erwartet, obgleich er an diesem Abend nicht schöner hätte aussehen können.

Sie selbst hatte beschlossen, an diesem Abend in schwarzem langärmligen Oberteil, schwarzem Bleistiftrock und schwarzen Pumps umwerfend auszusehen. Nur ihr Kruzifix glänzte golden und verführerisch über ihrem Schlüsselbein und mündete in ein aufregendes Dekolleté.

Er hatte sie an diesem Abend mit zwei Dingen überrascht: Mit einer Rose und mit einem Basketballspiel. Letzterem stand sie skeptisch gegenüber, doch all die Dates, die sie mit einer Anzahl von Männern in einem Restaurant verbracht hatte, hatten nur zu der Erkenntnis geführt, dass sie sich auf jemanden eingelassen hatte, der zu sehr nach dem handelte, was er glaubte, dass sie es gern hätte.

Ein Date mit Mulder fühlte sich jedoch nicht auf diese unangenehme Art und Weise merkwürdig an. Es fühlte sich einfach nur so an, als müsste es so sein: Mit ihm zu zweit inmitten einer Masse lauter und euphorischer Menschen, die es sich an diesem Abend gut gehen ließen, sein Arm um sie gelegt und sich nicht im Geringsten aufs Spiel konzentrieren könnend. Sie hatten sogar die U-Bahn nehmen müssen. Scully wusste nicht, wann sie das letzte Mal in einer U-Bahn gesessen hatte, doch es gefiel ihr außerordentlich gut. Mulder gefiel ihr außerordentlich gut!

Und so kam es, dass sie ihn hinauf bat, nachdem er sie bis zu ihrer Haustür begleitet und sie zurückhaltend geküsst hatte.

+++

„Im Bad liegen ein paar Sachen für dich“, sagte Mulder nun, während er den Blickkontakt mit ihr vermied.

„Ok“, flüsterte sie zu Boden schauend und ging dann ins Badezimmer.

Hinaus kam sie mit einem jener alten, ausgewaschenen New York Knicks Trikots, die sich in Mulders Besitz befanden. Scully erinnerte sich, wie sie ihn einmal in einem dieser Trikots beim Basketball gesehen hatte. Er hatte geschwitzt, gut ausgesehen und sie mit diesem unheimlich anzüglichen Blick betrachtet, als sie da in ihrem schwarzen Mantel, ihrem schmeichelnden Rock und auf diesen betörend hohen Schuhen in die Sporthalle hinein stolziert gekommen war.

Und nun trug sie dieses abgenutzte Trikot, das – lang wie es war – ihre Hüften umspielte, die Träger hingen tief an ihren Seiten hinunter. Sie hatte nie besser ausgesehen, bemerkte Mulder, als sie das Schlafzimmer betrat.

Es flackerte jedoch nur kurz in seinen Augen auf, ehe dieser Gesichtsausdruck wieder der Gleichgültigkeit wich. Müde lag Mulder auf dem Bett und schaute auf den Bildschirm seines Fernsehers, der ihm ein stumm geschaltetes „Frühstück bei Tiffany“ zeigte. Nur vorsichtig wagte es Scully, sich zu ihm zu setzen und schaute ihn eine ganze Weile an, bevor er ihren Blick erwiderte.

Entschlossen beugte sie sich dann vor und begann ihn zu küssen.

Es brauchte seine Zeit, ihn für diesen Kuss zu erwärmen, doch er war zu willensschwach, um sie einfach nicht zu küssen.

Schließlich griff Scully nach der Fernbedienung und stellte den Ton an. Es war, als Holly Golightly auf ihrem Fensterbrett saß, mit der Ukulele in den Armen, ihrem roten Kopftuch in den Haaren und ganz zart zu den Klängen von Mancinis „Moon River“ singend. Wer liebte dieses Lied nicht?, fragte sie sich, als Mulder den Träger ihres Oberteils, der ihre Brust freigelegt hatte, wieder richtete.

Scully hatte ihn vor nicht allzu langer Zeit gebeten, der Vater ihres Kindes zu sein, entsann sie sich. Doch der Versuch einer künstlichen Befruchtung – ihre einzige Möglichkeit – war fehlgeschlagen. Seitdem durchschritt sie das Leben wie in Trance. Leichtfüßig und immer auf der Flucht vor allem Verbindlichen.

Wer liebte Holly Golightly nicht?

Sein Blick war weicher geworden, bemerkte Scully und lächelte ihn warm an, ehe sie ihr Oberteil beim Saum griff und es über ihren Kopf zog.

„Lass uns heute dahindriften und uns was von der Welt sehen! Es gibt soviel auf dieser Welt zu entdecken“, sagte sie nicht ganz ernst und beugte sich zu ihm.

Und zum ersten Mal in dieser Nacht griff er nach ihr – fasste verhalten nach ihrer Hüfte, als sie sich rittlings auf ihn setzte und ihn in einen Kuss tauchte, der so ganz und gar nicht verhalten war.

Doch er gönnte ihr nur kurz, die Kontrolle über ihn zu haben. Dann griff er sie und schmiss sie auf die andere Seite des Bettes, wo er sie mit seinem Körper in die Laken presste und seine Hüfte zwischen ihren Beinen bettete.

„Eines Tages werde ich dich bändigen – und das mit Stil!“, drohte er ihr und lächelte sie herrisch dabei an.

Dankbar erwiderte sie sein Lächeln und zog ihn dann zu sich hinunter.

+++

In jener Nacht träumte Scully.

Immer und immer wieder wiederholte ihr Traum die Worte des Rauchers, während er sie mit auf eine Reise nahm.

Starke Männer ziehen Sie an, aber Sie haben Angst vor ihrer Stärke. Sie bleiben immer wachsam, verschließen Ihr Herz.

Ihr Leben lag in meiner Hand. Ihr Krebs war tödlich, und ich konnte ihn heilen. Wissen Sie, wie das ist? Die Macht zu haben, ein Leben zu beenden oder es zu retten?

Kein Opfer ist rein altruistisch. Wir wollen immer etwas dafür.

Noch während diese Worte in ihr widerhallten, sah sie ein verzerrtes Bild des Rauchers, der bei Vollmond auf einem Bootssteg stand und etwas ins Wasser fallen ließ. Es fiel so tief. Es fiel tief in ihren Körper hinein – ein Gefühl, das sich in ihrem Unterleib festsetzte.

Der Raucher stand neben ihr am Bett, während sie gelähmt und mit geöffneten Augen einfach nur da lag und zusah. Er sah zufrieden aus, dieser Raucher.

Erlauben Sie es sich, ihn zu lieben, sagte er sanftmütig lächelnd. Und in ihr breitete sich eine merkwürdige Art des Vertrauens aus.

Wie gelähmt lag sie da und hielt ihren Bauch, konnte es nicht fassen, konnte es nicht begreifen und dann wachte sie auf.


Es war eine milde Nacht. Draußen fuhr ein Auto durch eine Pfütze und ließ sie dann wieder in vollkommener Stille zurück.

In der Luft lag etwas Surreales, doch Scully konnte sich nicht mehr an ihren Traum erinnern.

Stumm starrte sie an die Decke und streichelte gedankenverloren über ihren Bauch, der von dem dünnen Stoff ihres New York Knicks Oberteils bedeckt war. Es war das einzige, was sie in jener Nacht trug. Und auch Mulder hatte es vorgezogen, sich nur noch geradeso von einem Laken bedecken zu lassen.

Tief atmend lag er neben ihr. Auch sein Schlaf sah anstrengend aus.

Mulder hatte sich noch nicht ganz erholt. Nach wie vor war er ihr gegenüber reserviert geblieben, doch sie war entschlossen, bei ihm zu bleiben und sich dem zu stellen. Für ihn würde sie sich allem stellen – selbst wenn der Himmel einstürzen würde!

Scully bemerkte erst spät, wie Mulder sie von der Seite beobachtete. Sein Blick war ausdruckslos und irritiert schaute sie zurück.

„Es tut mir leid“, flüsterte sie gefühlvoll, doch er reagierte nicht.

„Mulder, ich weiß nicht, was ich noch tun soll, es tut mir leid!“, brach es beinahe aus ihr heraus. Sie wusste nicht, woher plötzlich diese Verzweiflung kam, doch sie wollte unbedingt sein Vertrauen zurück. Den Gedanken an alles andere ertrug sie kaum.

„Ich weiß“, flüsterte er dann.

„Es ist nur so“, setzte er an zu sagen und hielt dann inne, bis er in einem viel leiseren Ton fortfuhr.

„Ich liebe dich, das ist alles.“

Diese Worte kamen kraftlos aus ihm heraus, und er spielte mit einer ihrer roten Locken, während er sie sagte.

Das war das Schlimmste, dachte sie. Dass er dies jetzt zu ihr sagte, während sie so verzweifelt um Vergebung bat, das war das Schlimmste.

Schließlich drehte er sich auf die entgegen gesetzte Seite des Bettes und ließ sie mit ihren Gedanken allein. Es fiel ihm schwer, wieder Schlaf zu finden, doch wusste er nicht, was er sonst noch tun sollte. Es war alles gesagt.

Er hatte sie wissen lassen, warum er ihr zu diesem Zeitpunkt zwar vergeben, aber noch nicht vergessen konnte.

Doch es würde nicht lange dauern, das wusste er. Denn sie war viel zu schön, als dass er es zulassen würde, sie gehen zu lassen.


Und irgendwo in einem verlassenen Haus, in dem nur noch die Geister einer längst vergangenen Zeit wohnten, saß ein alter, einsamer Mann, den niemand kannte. Und neben ihm, auf einem kleinen Beistelltisch, erlosch seine Zigarette.


Moon River, wider than a mile,
I'm crossing you in style some day.
Oh, dream maker, you heart breaker,
wherever you're going I'm going your way.
Two drifters off to see the world.
There's such a lot of world to see.
We're after the same rainbow's end--
waiting 'round the bend,
my huckleberry friend,
Moon River and me.
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