World of X

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Portions of Eternity

von Dianora

Kapitel 1

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"Große Wahrheiten sind Teile der Seele eines Mannes;
große Seelen sind Teile der Ewigkeit."
-- Sonnet VI, James Russell Lowell, 1819-1891
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Es war lange her, seit er das letzte Mal hier gewesen war.

Irgendwie war er schockiert herauszufinden, dass die Kirschblüten immer
noch blühten oder dass der Potomac immer noch dahinfloss. Ja sogar, dass
die Sonne immer noch am Himmel schien. Für ihn war jeder Tag nun grau. Aber
der blaue Himmel über ihm war unangenehm strahlend, beinahe heiter. Es
verbitterte ihn, dass es so war.

Nur die Tatsache, dass er einen Job zu erledigen hatte, hielt ihn davon ab,
dem Ärger und der Verzweiflung nachzugeben. Dennoch fraß es am ihm, mit
winzigen, schmerzvollen Bissen - nach so langer Zeit wieder hier zu sein,
hier wo sie zusammen gewesen waren, wo sie ihn wieder und wieder gerettet
hatte, wo er, ein einziges Mal in seinem Leben, ein vollkommener Mensch
gewesen war - es war beinahe zu viel, um es zu verarbeiten.

Aber er hatte einen Job zu erledigen.

Er wog die schwere schwarze Tasche, die er trug, streifte das kugelförmige
Alienschiff, das in einer permanenten Position über dem Weißen Haus
schwebte, mit einem kurzen Blick und setzte dann seinen Weg fort.



Dana hasste Partys.

Eine der Drohnen - es musste Lisette gewesen sein - hatte äußerst
gewissenhaft das Abendkleid herausgelegt, dass sie bald an diesem Abend zu
tragen hatte, so als wollte sie Dana daran erinnern, dass sie nicht in der
Lage sein würde, sich dem Empfang heute Abend zu entziehen. Nun strich sie
das Kleid auf ihrer Haut glatt: ein seidiges, knöchellanges, schulterfreies
Kleid; ziemlich enganliegend, aber nicht unbedingt billig aussehend. Es war
weiß, natürlich. Sie war die Farbe Weiß so leid.

Als ihre Limousine vor den Stufen des Cooperative Centers ausrollte - des
Kennedy-Centers erinnerte sie sich grimmig - atmete sie tief ein und
stärkte sich selbst für das, was kommen musste. Nur ein paar Stunden und
dann kannst du nach Hause gehen, leierte sie in ihrem Kopf. Du hast das
schon früher gemacht, du kannst es wieder tun.

Ihr Fahrer öffnete die Tür und sie stieg auf den Gehweg aus, halb die
Blitze der Kameras von Paparazzi auf ihrem Gesicht erwartend, wie bei einem
Filmstar von früher. Aber da war nur das schweigende, wuchtige
Sicherheitspersonal - Morphers, Hybriden, Drohnen; sie war sich nicht
sicher, noch immer konnte sie es nicht genau sagen und vermutete, dass es
nicht wirklich zählte - das geduldig darauf wartete, dass sie ihren Weg die
Marmorstufen hinauf nahm. Wartete, um sicherzustellen, dass sie nicht
versuchen würde, irgendwo anders hinzugehen. Sie identifizierte einen der
beiden Handlanger, die ihr zugeteilt waren, um sie im 24-Stunden-Rhythmus
zu beobachten, der sie ausdruckslos observierte. Es war Freddie. Freddie
und Felix nannte sie sie im Geist in dem Bemühen, sie zu erniedrigen oder
um sie letztlich menschlich klingen zu lassen, obwohl sie sich ziemlich
sicher war, dass sie in der Tat Hybriden waren. Bevor sie ihren Weg zum
Eingang fortsetzte, warf sie Freddie einen schalkhaften Blick zu. Sie
wusste, dass es keine Wirkung auf ihn haben würde, aber dessen ungeachtet
musste sie dieses Statement abgeben.

Das strahlende Oberlicht badete sie in Wärme, als sie den Bankettsaal
betrat. Tiefrote Samtvorhänge verhüllten die weiten Erkerfenster, roter
Plüschteppichboden hüllte ihre Füße ein und weiße und rote
Leinentischdecken schmückten die mit Porzellan und Kristall beladenen
Tische. Es war, als käme man in eine Gebärmutter gefüllt mit Blut hinein.
Der scharfe, beinahe metallische Geruch, der die Anwesenheit der Kolonisten
immer begleitete, durchdrang die gefilterte Luft und sie hoffte, dass sie
sich heute Abend schnell daran gewöhnen würde.

Überall in dem großen, hohen Saal verteilt berieten sich Kolonisten mit
ihren menschlichen Lakaien, während hiesige Speichellecker darin bedienten,
sich um jeden kleinen Brocken Macht rangelnd und sich gegenseitig den
Rücken tätschelnd, um sicherzugehen, dass es dort keine scharfkantigen
Messer gab. Verzweiflung, Angst und List hingen in dem Raum wie greifbare
Präsenzen und gingen ihr auf die Nerven.

Hier und dort entdeckte sie Drohnen, gelb gekleidet und für verschiedene
Bedürfnisse da: dienen, saubermachen spionieren. Sie vermutete, dass sie
dankbar sein müssten, zu Haushaltsdiensten herangezogen zu sein statt zu
harter Arbeit in den Minen oder auf den Farmen, wie so viele andere, wenn
sie sich noch ein bisschen Bewusstsein für die Realität bewahrt hatten. Die
Farbe ihrer Kleidung stand in scharfem Kontrast zum Rot in dem Raum. Nicht
zum ersten Mal fragte sie sich, warum "Sie" gelb ausgewählt hatten. Niemand
sah gut aus in gelb. Offensichtlich eine Entscheidung, die von Männern
getroffen worden war. Und noch nicht einmal von menschlichen Männern. Der
Gedanke amüsierte sie ein wenig und sie lächelte beinahe.

Sie entdeckte ein paar Kolonisten und hiesige Führer, aus denen sie
wahrscheinlich ein paar Informationen herausholen konnte, aber aus
irgendeinem Grunde war sie heute Abend nicht mit dem Herzen dabei. Statt
dessen ging sie einfach zu der Tischgruppe an der Seite für die anderen
Mütter und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als ein Kolonist hinter ihr
vorbeischlitterte und ein leises Zischen von sich gab. Die Frauen am Tisch
begrüßten sie warm wie immer, sahen sie von oben bis unten an und blickten
dann über ihre Schulter, um einen Blick auf Freddie zu erhaschen. Dana war
die einzige Mutter mit "Bodyguards" und sie beneideten und bemitleideten
sie gleichzeitig deswegen. Sie hatte es nie für notwendig erachtet, den
Frauen zu erzählen, dass Freddie und Felix nicht so sehr Bodyguards waren,
sondern Spitzel, um sie bei der Stange zu halten. Diese Art von Information
würde auf ihren sterilen Teeparties nicht so gut ankommen.

"Dana." Die Frau, die Dana nur als Kristina kannte, deutete auf den leeren
Platz neben sich. Dana glitt dankbar darauf und schenkte der Frau ein
wohlwollendes Lächeln. Kristina war die einzige Mutter, die noch wie ein
normales menschliches Wesen zu handeln schien. Die anderen fürchteten zu
sehr, ihren Status bei den Kolonisten zu verlieren oder irgendwie eine
Sünde zu begehen, die ihren Status als Mutter annullieren würde.

"Werden wir noch Spaß haben?" murmelte Dana und erntete dafür ein kurzes
Lachen von ihrer Freundin.

"Sobald das passiert, wirst du es wissen, da bin ich mir sicher,"
entgegnete sie.

"Was also ist exakt heute Abend auf der Tagesordnung? Ich habe nichts
gehört."

Kristina schob ihr reichliches blondes Haar aus dem Gesicht in einer, wie
Dana erkannte, nervösen Geste. "Sie sagen, ein hohes Tier von früher wird
heute Abend sprechen. Ein Gouverneur? Sogar ein Präsident? Niemand scheint
es zu wissen. Aber ich höre, er hat große Neuigkeiten. Vielleicht irgend
etwas über Greenland?"

Greenland. Danas Magen zog sich zusammen, aber sie zwang sich dazu,
gelangweilt zu gucken. "Haben sie es endlich geschafft, den letzten Kampf
dort zu beenden?"

Kristina zuckte mit den Achseln. "Wie ich schon sagte, ich weiß es nicht."
Sie sah Dana aus trüben grauen Augen fest an und Dana konnte die
unausgesprochene Botschaft darin sehen: Lass uns hoffen, dass wir gewinnen.
Sie glaubte nicht, dass Kristina ein Mitglied des Widerstandes war, aber
sie verdächtigte die blonde Frau, dass sie wenigstens ihre Meinung teilte,
auch wenn sie niemals verrückt genug wäre, es zu sagen.

"Ich muss mal auf die Toilette," sagte Dana abrupt, plötzlich hatte sie
Schwierigkeiten, normal zu atmen. Sie betete darum, dass sie keine neue
Panikattacke erleben würde - schließlich war es Monate her, seit sie eine
gehabt hatte - erhob sich von ihrem Stuhl und durchschritt flink die Breite
des Bankettsaals, nur innehaltend, als der Raucher ihren Weg kreuzte.
Frostig starrte sie an ihn, erwiderte sein falsches Lächeln zur Begrüßung
nicht und rauschte an ihm mit soviel Würde vorbei, wie sie aufbringen
konnte.

Sie konnte seine Augen auf ihrem Po spüren, als sie davonging.

Einmal in der Toilette, schloss sie die Tür hinter sich und dann lehnte sie
sich dagegen, legte ihre Stirn an das kühle Metall und atmete tief und
gleichmäßig. Greenland. Skinner war in Greenland. Skinner war in Greenland
auf ihre Bitte hin - zur Hölle, auf ihr Flehen hin - und leitete die Dinge
an diesem Ende, während sie hier ihre medizinische Forschung und ihre
Vernetzungsarbeit fortsetzte.

Hatten sie ihn letzten Endes geschnappt?

Dana glaubte, sie würde etwas gehört haben, aber die Kommunikationskanäle
von dort nach hier waren bestenfalls fraglich in den letzten paar Monaten.
Nein. Sie lehnte es ab, die Hoffnung aufzugeben. Es war alles, was sie
jetzt noch hatte, abgesehen von ihren Erinnerungen.

Sie ging zum Waschbecken und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht,
ohne sich darum zu kümmern, ob es vielleicht ihr Make-up ruinierte. Mit dem
bereitgestellten Handtuch betupfte sie ihr Gesicht und atmete wieder tief,
ein durch die Nase, aus durch den Mund. Noch einmal sah sie sich im Spiegel
an. Ihr Make-up war in Ordnung, aber wenn irgendwer, der sie gut genug
kannte, näher hinsah, konnte er die Sorge in ihren Augen sehen.

Aber es war niemand da. Es war seit sehr langer Zeit niemand da.

Sie unterdrückte einen Seufzer und verließ die Toilette.



Noch einmal überprüfte er seine Waffe, sich dessen sehr bewusst, als er es
tat, dass er es gezwungenermaßen tat. Er hatte recht, nervös zu sein, sagte
er sich. Nie zuvor hatte er einen so hoch angesetzten Anschlag ausführen
müssen. Zugegeben, er machte sich wenig Sorgen darum, erwischt zu werden.
Es waren genug Männer vom Syndikat heute Abend hier vor Ort, um zu
garantieren, dass er nicht verhaftet wurde, und sein aktueller Posten hoch
in den Dachsparren war sowohl vorteilhaft als auch diskret. Aber er machte
sich dennoch Sorgen darum, den Job zu vermasseln. Er wusste, was passieren
würde, wenn er es tat.

Also überprüfte er das Gewehr noch einmal.

Und als er wieder aufblickte, sah er einen Traum laufen.

Er nahm an, dass er dankbar sein sollte, dass es kein Geist war. Dana
Scully war direkt unter ihm, gekleidet in ein wunderbares weißes
Abendkleid, das Haar perfekt frisiert, das Make-up geschickt aufgetragen.
Lächerlich großartig, wahrscheinlich hasste sie dieses Ensemble. Für ein
ungeübtes Auge war sie die vollkommene Verkörperung einer Mutter und wenn
sie irgend jemand anderes gewesen wäre, würde er vermuten, dass sie ihre
unfruchtbare Gebärmutter mit Stolz trug. Aber das war nicht irgendeine
Mutter. Das war Scully. Seine Scully.

Er verfluchte sich selbst. Nicht noch einmal, Arschloch. Nicht noch einmal.

Der Mann zog sich noch mehr hinter die Dachsparren zurück, obwohl er
wusste, dass sie in unmöglich sehen konnte. Gleichzeitig ging ein Beben
durch seinen Körper. Sie sah gesund aus. Sie war in Sicherheit. und nun
konnte er sie unbeobachtet betrachten. Es war ein unglaublicher Luxus,
einer, den er nicht erwartet hatte. Sie hatten ihm gesagt, dass sie in
diesen Tagen in Louisiana sei, als er das letzte Mal gefragt hatte.

Er unterdrückte ein bitteres Lachen. Strughold? Lüge? Oh, daran darf man
gar nicht denken.

Hungrig nahm er sie in sich auf, entschlossen, den Anblick in sein gut
trainiertes Gedächtnis aufzunehmen. Das hauchdünne weiße Kleid umspannte
ihren Körper in einer Art, wie es ihre FBI-Kostüme nie getan hatten, und
ihr teurer, aber nicht übertriebener Schmuck glitzerte im strahlenden Licht
des Saales. Das intensive Rot ihrer Haare stach sogar gegen den
überwältigenden dunkelroten Hintergrund des Mobiliars ab. Sie trug ihren
Kopf hoch, als sie den Raum durchquerte, furchtlos wie eine Löwin, ihren
Teil würdigender Blicke der Menschen in dem Raum auf sich ziehend, jedoch
anscheinend dadurch unberührt. Darin hatte sie eine Menge Übung, erinnerte
er sich grimmig. Sie war niemals jemand gewesen, der es genoss, im
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Er fragte sich, wie sie die
Anspannung aushielt. Und dann fragte er sich, ob sie jemals an ihn dachte,
spät in der Nacht, oder ob sie sich an einen bestimmten Kuss erinnerte...

Der Mann schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Eine Straße der
Erinnerung hinabzugehen, war keine Option für einen Job. Aber welche Wahl
hatte er mit dem Gegenstand all seiner Phantasien im Wachen und im Schlafen
so nahe bei sich, jedoch vollkommen unerreichbar?

Sie war zurück zu ihrem Platz gegangen, bemerkte er, als er wieder hinsehen
konnte. Sie beugte sich herüber und flüsterte der blonden Frau neben ihr
etwas zu, die darauf lachte. Ungeachtet der Leichtfertigkeit spürte er,
dass Scully sich über irgend etwas Sorgen machte. Er erkannte die Spannung
an der Art, wie sie ihre Schultern hielt.

Ich muss sie sehen, erkannte er. Wenn ich sie nicht sehe, bevor ich
abreise, weiß ich nicht, was ich tun werde. Zum Teufel mit den
Konsequenzen. Er war gehalten, gleich nach diesem Job nach Denver
zurückzukehren, aber er konnte es vielleicht geschickt anstellen, wenn er
schnell genug redete. Marita benutzen, um ihn bei Strughold zu decken. Sie
hatte diesen verdammten Deutschen um den Finger gewickelt.

Gott verdammt, es war drei Jahre her. Wie konnte er sie nicht sehen, mit
ihr reden... sie berühren? Es war das Risiko wert. Oder nicht?

Das Risiko wert für dich, schalt er sich. Aber war es das Risiko für Scully
wert?

Oberflächlicher Applaus brachte seine Konzentration zurück auf den
Gegenstand in Reichweite. Robert Stanton Boston, früherer Sprecher des
Kongresses der Vereinigten Staaten, betrat das Podium an der Spitze des
Bankettsaals. Mulder legte die Waffe an und zielte.



Dana musste sich bewusst daran erinnern, zu atmen, als sie Boston die
Treppe erklimmen sah. In den chaotischen Tagen nach der Ankunft hatte sich
der ältere Staatsmann aus Virginia radikal gegen jede Art der
Komplizenschaft mit den Kolonisten ausgesprochen. Sie hatte angenommen,
dass er schon vor langer Zeit hingerichtet worden war und war um so mehr
überrascht herauszufinden, dass er nicht einmal eine Drohne war, die man in
die eine oder andere Mineneinrichtung geschickt hatte. Was bedeutete seine
Anwesenheit hier für den Widerstand? Für sie alle?

Der ältere Mann räusperte sich und lächelte sein Publikum an. "Senioren,
Damen und Herren, Mütter, es ist mir eine Ehre, heute Abend bei Ihnen zu
sein. Ich habe Ihnen aufregende Neuigkeiten mitzuteilen, Neuigkeiten, von
denen ich mir sicher bin, dass Sie Ihnen sehr viel Freude bereiten werden."
Wieder hielt er inne und räusperte sich, tastete in den Karten vor ihm
herum und richtete seine leuchtend rote Krawatte. Er schwitzte sichtlich ,
ein leichter Schweißfilm bildete sich auf seiner Glatze.

Er ist zu nervös, dachte Scully. Irgend etwas stimmt nicht. Folgte er nicht
"Ihrem" Programm, was immer das auch war?

"Damen und Herren," sagte Boston wieder und dann schien er innere Reserven
aufzurufen. Als er weitersprach wurde seine Stimme stärker, beinahe
schrill. "Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass wir den Kampf nicht
aufgeben können..." Er beendete den Satz nicht, eine Kugel durchschoss
seine Stirn Sekunden nach dem lauten Knall einer Schusswaffe aus den
Dachsparren. Der ältere Mann fiel zu Boden und Scully hätte keine Ärztin
sein müssen, um zu wissen, dass er bereits tot war.

Inmitten der Schreie und des schockierten Gemurmels der zusammengelaufenen
Menge sprang Scully von ihrem Sitz auf und lief zum nächstgelegenen
Notausgang in der Hoffnung, wenigstens einen flüchtigen Blick auf den Täter
erhaschen zu können, so dass sie vielleicht entscheiden könnte, ob er
Freund oder Feind war. Boston war offensichtlich dabei gewesen, ein
terroristisches Widerstandsstatement in direkter Gegnerschaft zu den
Kolonisten abzugeben, die ihn heute Abend hier her gebracht hatten, und es
wäre ungemein interessant herauszufinden, welche Seite ihn so sehr zum
Schweigen bringen wollte, dass sie so eine öffentliche Szene machte.

Ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht, eine große, dunkle Gestalt glitt
gerade durch den Notausgang, als sie ihn erreichte. "Warten Sie!", schrie
sie instinktiv, dann hielt sie an und verfluchte sich selbst dafür, so ein
Idiot zu sein. Ihre Zeit beim FBI war lange vorbei und sie war natürlich
unbewaffnet. Aber sie musste wissen, auf welcher Seite der Attentäter
stand, für nichts anderes als für ihre eigenen Zukunftsstrategien. Für ihr
Team. Für Skinner, wenn er noch am Leben war. Sie hoffte nur vage, dass der
Mann sich nicht entscheiden würde, sie zu töten.

Verblüffenderweise blieb er stehen und drehte sich um, um sie anzusehen.
Und ihr Herzschlag setzte aus.

Gott sei Dank, es geht ihm gut, Gottseidankgottseidank.

"Mulder?" flüsterte sie heiser. Ihre Hände kamen hoch und griffen an ihre
eigenen Schultern, ihre Nägel gruben sich durch die Seide in ihr Fleisch,
als sie verzweifelt gegen das Gefühl ankämpfte, das sie mitzureißen drohte.

Fox Mulder sah wunderbar aus. Fit, gesund - ein bisschen zu dünn - und
gutaussehend wie immer. Ganz in schwarz gekleidet und bewaffnet.

Ihre Augen trafen sich und ein heißes Feuer lief über ihren Rücken. Sie
musste sich auf die Lippe beißen, um nicht zu schreien. Er öffnete den
Mund, um zu sprechen, seine Augen so stürmisch wie ihre, als sie Schritte
hörten, eine Menge Schritte. Er sah nervös in die Richtung des Geräusches,
bevor er sie wieder ansah. "Heute Nacht," krächzte er und glitt zur Tür
hinaus.

Scully stolperte zurück in den Bankettsaal, ohne zu sehen und ohne zu
hören, bis ihr Fahrer sie schließlich am Ellbogen nahm und sie nötigte,
nach Hause zu fahren und sich nach all der Aufregung ein wenig auszuruhen.

"Ausruhen," murmelte sie. Als ob das jetzt möglich wäre.



Mulder konnte so leicht verschwinden, wie er es gewusst hatte, zu seinem
Wagen eskortiert von den Undercover-Schlägern des Syndikats. Ein
Kinderspiel, wie üblich - jeder hätte diesen Job erledigen können, seine
persönlichen Dienste wurden nur benötigt als erniedrigende Erinnerung an
seinen permanenten Mangel an Optionen. Die Alientruppen zogen eine Show ab
und suchten draußen ein Weilchen herum, aber sie gaben schnell auf.
Exekutionen wie die von Boston waren zu normal, um für allzu viel Unruhe zu
sorgen, und der Verlust eines weiteren Menschen bedeutete den Kolonisten
überhaupt nichts.

Die Unbequemlichkeit, dass ihre Party unterbrochen wurde, war das größere
Ärgernis.

Sie vermuteten wahrscheinlich sogar, dass ihre "Verbündeten" im Syndikat
eigentlich hinter dem Mord steckten. Die Kolonisten waren starke Gläubige
darin, einem genug Seil zu geben, um sich selbst zu hängen. Mulder fragte
sich einfach, wie lange es dauern würde, bis Strughold und der Rest reif
für den Galgen waren.

Mulder verließ den Tatort nicht wie geplant. Er saß wie ein Idiot in seinem
Fluchtwagen, bis er Scullys feuriges Haar erblickte, als sie in eine
schwarze Limousine stieg. Und dann folgte er ihr, sorgfältig darauf
bedacht, einen sicheren Abstand zu ihren offensichtlichen Bewachern zu
halten, bis sie ihr Herrenhaus in Chevy Chase erreichten. Perfekt. Weder
ein Mensch noch ein Kolonist hatte bisher ein Sicherheitssystem
installiert, dass er nicht knacken konnte.

Während er sich eine Zigarette anzündete und es sich bequem machte, um den
richtigen Moment abzuwarten, um sich hereinzuschleichen - vorzugsweise,
wenn dieser wuchtige Typ, der ihr nach Hause gefolgt war, eingeschlafen war
- wanderten seine Gedanken zu ihren letzten gemeinsamen Momenten zurück. Er
hatte sie so viele Male durchlebt, dass er die ganze Unterhaltung auswendig
kannte.


***


"Ich bin mir deswegen immer noch nicht sicher, Mulder. Es sieht zu sehr
nach weglaufen aus."

Nur eine Lampe brannte in ihrem Wohnzimmer und ihr blasses Gesicht sah nun
in dem gedämpften Licht gequält aus. Er trat näher zu ihr, nahm ihre Hände
in seine und sprach so überzeugend wie möglich. "Wir haben keine Wahl,
Scully. Wir können eine Menge mehr Gutes tun, wenn wir von hier
verschwinden, irgendwohin weit weg, als wenn wir hier herumhängen und
darauf warten, dass der ganze Mist losgeht. In diesem Augenblick
versprechen uns die Kolonisten Frieden und Glück und Heilung für jede
Krankheit, die die Menschheit kennt, aber wir wissen, was wirklich
passieren wird. Sie schinden nur Zeit, bis die Bienen freigelassen sind.
Wir müssen dieses Wissen zu unserem Vorteil nutzen, solange wir noch
können." Der Zigaretten rauchende Bastard hatte ihm vor ein paar Tagen
einen kalten wissenden Blick zugeworfen auf dem Flur des J. Edgar Hoover
Gebäudes, der ihn zu Tode erschreckt hatte, obwohl er seiner Partnerin
nichts davon gesagt hatte. Er wollte ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten,
als er musste.

"Ich weiß. Ich... ich weiß," sagte sie mit einem Krächzen in der Stimme.
Sie sah von ihm fort. "Ich habe bereits meiner Familie Bescheid gegeben.
Bill und Charlie haben Mom und ihre Frauen und die Kinder eingesammelt und
sind nach Irland gefahren, solange die Reise noch erlaubt war. Wir haben
einige entfernte Verwandte dort und Gott weiß, sie werden dort nicht so in
Gefahr sein, wie sie es wahrscheinlich in diesem Land wären. Ich bin mir
nicht sicher, ob sie mir vollkommen geglaubt haben, aber wie können sie es
sich leisten, die Möglichkeit anzunehmen, dass ich mich irre, nicht wahr?"
Sie versuchte beinahe ein Lächeln, aber dann hielt sie inne und er konnte
sehen, wie ihre Kiefer arbeiteten, als sie die drohenden Tränen
herunterschluckte. "Mom wollte nicht ohne mich gehen, aber ich konnte sie
überzeugen, dass ich sicher bin bei dir."

"Ich habe Angst, Mulder," sagte sie leise und sah ihm schließlich in die
Augen, so dass er die Angst in ihren sehen konnte. "Ich mag es nicht
zugeben, aber ich fürchte mich schrecklich."

Sein Herz zog sich zusammen, als er ihren hilflosen Gesichtsausdruck sah.
"Ich weiß, dass du das tust. Ich auch." Er streckte seine Hände aus und
versuchte, sie an sich zu ziehen, aber sie schob ihn weg.

"Nein. Du kapierst es nicht." Sie nahm eine weiße Schachtel vom Kaffeetisch
auf. "Das kam heute morgen an." Sie hielt sie ihm mit zitternden Händen
hin. "Mach es auf."

In der Schachtel lag ein bodenlanges weißes Abendkleid aus feinen Fasern in
Scullys Größe. "Was zur Hölle ist das?" fragte er und befühlte das Material
voller Entsetzen.

"Ich weiß es nicht," sagte Scully. "Aber es ängstigt mich zu Tode, Mulder.
Sieh dir den Boden der Schachtel an."

Er drehte sie um und sein Herz machte einen Satz, als er die roten
Insignien dort sah, wenngleich er nicht überrascht war. Er hatte Gerüchte
gehört... "Das ist ein Kolonisten-Logo."

"Denkst du, das weiß ich nicht?" fragte sie, praktisch schreiend. Sie brach
ab und hielt bestürzt die Hände vor ihr Gesicht. "Es tut mir leid. Ich bin
nur..."

"Es ist gut," sagte er und warf die Schachtel auf den Boden. Diesmal ließ
sie sich von ihm an sich ziehen und er legte seine Arme um sie, den Duft
ihres Haares einatmend. "Wir werden von hier verschwinden und alles wird
gut, Scully," sagte er an ihrem Ohr. "Ich verspreche es."

"Mach keine Versprechungen, die du nicht halten kannst," sagte sie, ihre
Worte verzweifelt, ihre Stimme gedämpft an seiner Brust.

Er zog sich zurück und nahm ihr Gesicht in seine Hände. "Worüber machst du
dir Sorgen? Scully, wenn wir als Team arbeiten, ist alles möglich."

Sie lächelte ein wenig. "Du überschätzt uns vielleicht ein bisschen."

"Niemals," sagte er grinsend und fühlte sich seltsam schwindlig ungeachtet
des Ernstes ihrer Lage. Vielleicht war es ihr Lächeln, dass niemals seine
Wirkung auf ihn verfehlte. Er liebkoste ihre Wange mit seinem Handrücken
und sie legte ihre Hand darauf, um sie dort zu halten und lehnte sich in
seine Berührung.

Sie fühlten beide, wie sich der Augenblick veränderte. Es war, als würde
die Luft vor kosmischer Energie prasseln und sie einander entgegen drücken,
und bevor Mulder überhaupt wusste, was er tat, beugte er sich herab und
drückte seine Lippen auf ihre, zart, vorsichtig. Sie zögerte zuerst, aber
dann öffnete sich ihr Mund unter seinem und sie erwiderte den Kuss
vollkommen, nahm seine fragende Zunge auf und liebkoste sie mit ihrer
eigenen. Ihre Hände wanderten über seinen Rücken und ihr Körper verschmolz
mit seinem. Das Gefühl ihres beschleunigten Atems an seiner Wange machte
ihn schwindelig. Er zog sie noch enger an sich, sich nur des Duftes, des
Gefühls und des Geschmacks von ihr bewusst. Endlich. Gott.

Sie küssten sich wie es schien eine Ewigkeit, hungrig, mit wachsender
Leidenschaft, bis Scully zurückwich. Sie legte ihre Hände auf seine Brust
und versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bekommen. "Mulder, ich..."

Er schnitt ihr das Wort ab, indem er ihr einen Finger auf die Lippen legte.
"Was immer du sagen willst, Scully, sag es nicht. Nicht jetzt. Wir haben
den Rest unseres Lebens dafür. So wie es nun mal ist."

Sie zögerte und wollte offensichtlich irgendwie fortfahren, dann nickte sie
zustimmend. "Ich sehe dich morgen früh."

"Sonnenaufgang," verbesserte er. "Sachen gepackt und bereit." Er
streichelte ihr zärtlich übers Haar und dann, mit einem letzten Blick in
ihr besorgtes Gesicht, verließ er ihr Apartment.

***
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