World of X

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Das Kind des Mörders

von Tangerine Krycek

Romantik und Erkenntnis

Sie kamen in der obersten Etage des Hauses an und stiegen aus dem Fahrstuhl. Hier oben wirkte das Kunstlicht wesentlich behaglicher und der beige Teppichboden, der hier zu finden war, schluckte nun auch den letzten Laut.

Alex ging vor. Er griff in die Tasche seiner schwarzen Stoffjacke und holte ein Schlüsselbund aus dieser hervor. Er steckte den Schlüssel in das Türschloss, sah Amber lächelnd an und drehte diesen dann um.

,Darf ich bitten?' fragte er sie und deutete mit einem Nicken an, dass sie doch eintreten sollte.

Als würde Amber frösteln, umfasste sie ihre zarten Oberarme und folgte ihm.

Sie betrat einen nüchtern und dennoch geschmackvoll eingerichteten Raum mit großen Fenstern, die verschwommen die Stadtlichter am Himmel erahnen ließen. Die Wände waren weiß. In der Mitte stand ein flacher, gläserner Tisch, der von einer Sitzlandschaft aus schwarzem Leder umgeben war. Unweit davon befanden sich Regale, die mit zahlreichen Büchern gefüllt waren. Sie dienten als eine Art Raumtrenner, denn dahinter konnte Amber im defusen Schein ein großes Bett erahnen.

Ihr gefiel was sie sah und allmälich schwand die Nervosität und wandelte sich in einen Hauch von Wohlbefinden um.

,Du kannst dich ruhig setzen!' sagte Alex freundlich.

,Entschuldige bitte, aber ich bin noch etwas durcheinander.' antwortete Amber mit dünner Stimme und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: ,Ich habe soetwas hier noch nie zuvor getan, aber... '

,Aber manchmal muss man etwas riskieren.' ergänzte er und verschwand dann für einen Augenblick aus dem Raum.

Es schien beinahe so, als wollte er ihr einen Moment Zeit geben sich an die neue Umgebung, die fremde Situation, zu gewöhnen. Amber war, trotz ihrer Skepsis, gewillt sich darauf einzulassen. Sie legte ihre Handtasche beiseite und versuchte sich entspannt auf das kühle Polster zu lehnen. Egal was ihr hier wiederfahren würde, es würde vermutlich besser sein als das, was bisher in ihrem Leben geschah. Und sei es ein Höhenflug, der, so schnell er kam, wieder schwinden würde. Sie bekäme das, wonach sie sich schon lange gesehnt hatte. Und selbst dieser vielleicht nur kurze Augenblick - ein Höhepunkt - wäre es wert alles zu riskieren. Sie gestand sich ein, dass sie fasziniert von Alex war.

Gedankenverloren starrte Amber vor sich her und stützte dabei ihre Ellbogen auf die Oberschenkel. Das leise Klappern von Kaffeetassen, brachte ihre Gedanken wieder zurück in die Gegenwart.

,Milch und Zucker?' fragte Alex und stellte das silberne Tablett auf den Glastisch.

,Nein danke. Ich trinke meinen Kaffee am liebsten schwarz.' antwortete Amber mit einem zarten Lächeln, dann trank sie den ersten Schluck, der sie angenehm wärmte.

Etwas scheu sah sie sich immer wieder in seinem Apartment um, doch bemerkte sie ebenfalls, dass Alex keinen Moment seine Augen von ihr ließ. Sie wollte mit ihm sprechen. Einen Anfang finden. Die Schüchternheit überwinden.

Wie sollte sie nur beginnen? Was sollte sie sagen?
Das minutenlange Grübeln quälte sie und als ihr nicht besseres in jenem Moment einfiel, fragte sie: ,Weshalb hast du mich angesprochen?'

Auch Alex trank von seinem Kaffee, dann setzte er sich neben Amber und holte tief Luft bevor er zu antworten begann:

,Es ist deine Ausstrahlung. Du hast etwas besonderes an dir. Du wirkst so unglaublich schön auf mich, aber auch so zerbrechlich und... ', er hielt kurz inne, bevor er fortfuhr, 'so traurig.'

Über Ambers Rücken ergoss sich ein warmer Schauer. Sie fühlte sich geschmeichelt und ebenso gerührt. Er kannte sie doch kaum und doch schien er etwas in ihr zu sehen, was bisher nicht einmal die Menschen erkannt hatten, die ihr doch eigentlich nahe standen.

Sie suchte nun bewusst seine Augen und sah tief in diese. Sie schluckte schmerzhaft und entgegnete Alex dann: ,Du bist der Erste, der das so sieht.'

Einerseits fühlte sie sich durchschaut, andererseits aber auch befreit. Ihr Herz geriet in Wallungen. Es schlug über ihre Vernunft hinaus. Aufeinmal wusste Amber intuitiv was sie wollte. Sie sehnte sich so sehr nach Zuneigung und Geborgenheit. Vielleicht auch nach einem Abenteuer. Und sei es vielleicht nur jetzt. Nur hier.

Je weiter die Nacht voranschritt, desto mehr taute sie auf und desto leichter fiel es ihr mit Alex zu reden, der ihr aufmersam zuhörte und nichts von dem was sie sagte bewertete oder in Frage stellte.
Zwischendurch zündete er ein paar Kerzen an, die aber schon bald darauf in der Glut des Wachses ertrunken waren. Unbewusst rutschten sie immer näher auf der ledernen Sitzlandschaft zusammen und plötzlich spürte Amber eine warme Hand auf ihrem Knie.

Sie atmete leicht hörbar ein und räkelte sich, sodass ihr Chasuble mit einem der Träger von ihrer Schulter rutschte und Alex einen Blick auf ihre wohlgeformten Brüste erahnen ließ. Mit halb geöffneten Augen sah Amber zu ihm und begann langsam ihr Haar zu öffnen, das zu einer wilden Löwenmähne fiel.

Sie wusste nicht was sie tat.
Und doch wusste sie es.

Auch wenn die Vernunft in ihr sie immer wieder zum Aufhören bewegen wollte, so überhörte sie diese Stimme in jener warmen Sommernacht vollkommen und ergab sich dem Gefühl inniger, wahrhaftiger Zuneigung, wie sie sie noch nie zuvor gespürt hatte.

Jede Berührung von Alex schien so echt und ohne Berechnung zu sein und auch Amber konnte ihre Hände nicht still halten.

Er zog sie an sich heran. Näher. Und noch näher.

Sie fing an zu schwitzen und durch die Feuchtigkeit ihrer nackten Haut, spürte sie seinen warmen Atem noch intensiver auf und an jeder Stelle ihres schlanken Körpers, der nunmehr kaum noch von Stoff bedeckt war.

Beide durchlebten ein Gefühl von sehnsuchtserfüllender Trunkenheit, welche sie mit zarten Küssen verschmelzen ließ...

Der Morgen graute und Amber wurde durch die ersten zarten Sonnenstrahlen geweckt, die durch die großen Fenster des Apartments fielen. Langsam öffnete sie ihre Augen. Zunächst war alles verschwommen und sie dachte an den Traum, den sie letzte Nacht hatte.

Ein Traum? War es das wirklich gewesen?

Als sich ihr Blick langsam schärfte, bemerkte Amber, dass sie nicht in ihrem Bett lag.

Erschrocken fuhr sie hoch, sah sich um und bedeckte mit dem dünnen Stoff des Zudecks ihren Oberkörper. Ihr Herz schlug bis zum Hals und sie sah neben sich.

Dort lag Alex. Mit einem sanften, zufriedenen Lächeln tief im Schlaf versunken.

Aufeinmal waren all die Erinnerungen an die vergangene Nacht wieder da und lebendiger als je zuvor.

Leise stand sie aus dem Bett auf und suchte, im noch defusen Licht, nach dem Badezimmer.

Behutsam schloss sie die Tür hinter sich und setzte sich wenige Minuten auf die Toilette. Dann stand sie auf und sah in den Spiegel. Ihr Augen Make Up war verwischt und an einigen Stellen fast gänzlich verschwunden. Vom Lippenstift fehlte jede Spur. Ihr Haar hing wild ins Gesicht und ließ Ambers Gesicht noch schmaler wirken. Sie befeuchtete ihre Hände mit kaltem Wasser und verstrich dieses sanft auf ihrer blassen Haut. Nocheinmal atmete sie tief durch und verließ wenig später den Raum.

Auf dem weichen, hellgrauen Teppichboden lagen all ihre Kleidungsstücke verteilt, welche sie rasch zusammensuchte. Gerade als sie den zweiten Träger des Samtkleides über die Schulter strich, hörte sie eine Stimme hinter sich fragen:

,Du bist schon wach?'

,Mh... ', entgegnete Amber Alex mit einem Kopfnicken.

Er hatte sich aufgerichtet und strich mit der Handfläche über die Bettdecke.

,Ich muss schrecklich aussehen!' stellte sie mit dem Anflug eines Lächelns fest und kam langsam auf ihn zu. Dann setzte sie sich auf die Bettkante und suchte nach seinen grünen Augen.

,Wie fühlst du dich?' wollte Alex wissen und strich mit einem Finger über ihren Handrücken.

Es war eine Frage, die Amber selten hörte und zunächst reagierte sie nur mit einem leichten Schulterzucken darauf, bevor sie nach einem ausgedehnten Atemzug zu antworten begann:

,Wenn das, was wir letzte Nacht getan haben, nichts einmaliges war, dann würde ich sagen, dass ich mich gut fühle.'

Nachdem sie dies gesagt hatte, flammte plötzlich jedoch ein Gefühl von Reue in ihr auf, welches dafür sorgte, dass sie sich für den Bruchteil von Sekunden wie eine Lügnerin fühlte. Aber sie war keine, denn was sie gestern empfunden hatte, war echt und sie glaubte daran, dass es Alex ebenso ging.

Er antwortete nicht sofort, sondern drückte fest ihre Hand.

,Nichts geschieht durch Zufälle. Alles hat seine Gründe.' warf er dann in den Raum, drehte sich kurz um um griff nach einem Stückchen Papier und einem Stift.

,Und aus Einmaligkeit kann Beständigkeit werden... ', entgegnete Amber und notierte ihre Telefonnummer.

Sie schob Alex das zarte Blättchen zu, strich sich die Haare hinter die Ohren und sah sich dann plötzlich suchend um.

,Wie spät ist es eigentlich?'

Als er ihr die Uhrzeit sagte, kam nur ein zischendes 'Scheiße' über ihre Lippen und sie sprang vom Bett auf.

,Es ist Sonntag. Musst du auch da zum Headquarter?' fragte er erstaunt.

,Sonntag?' wiederholte sie und sank dann langsam wieder auf die Bettkante und ergänzte:

,Nein, normalerweise nicht.'

,Wie wäre es mit einem gemeinsamen Frühstück?'

Rasch war der Tisch gedeckt. Es war zwar nicht viel, nur etwas Orangensaft, Kaffee und Toastbrot, aber es war ausreichend um die neue Zweisamkeit zu intensivieren und zu genießen.

So saßen sie noch einige Zeit zusammen, bis Amber jedoch darauf drängte, dass sie nun wirklich los müsse. Sie kannte Alex so kurz und doch tat es ihr leid und weh ihn nun wieder zu verlassen. Aber sie hatte ihre Gründe.

Er begleitete sie zur Tür. Mit wackeligen Beinen zog sie ihre Schuhe an und stieß dabei an die Wohnungstür. Als sie wieder aufrecht stand, blickte sie schüchtern zur Seite. Alex stand vor ihr und schob seinen Zeigefinger unter ihr Kinn, um Ambers Kopf anzuheben. Diese Bewegungen gingen fließend ineinander über, sowie ein zarter Kuss, der darauf folgte.

,Vergiss mich nicht!' sagte sie beinahe flüsternd und trat dann hinaus in den Hausflur. Bevor sie in den Aufzug stieg sah sie sich noch einmal um und lächelte ihm zu.

Lauwarme Luft spielte mit den Strähnen ihres tizianroten Haares und beflügelte ihre Sinne. Im ersten Moment war Amber noch etwas desorientiert und schaute kurz suchend um sich. Bei Tag wirkte alles anders und dennoch wusste sie rasch wie sie nach Hause kommen würde.


Das Taxi hielt direkt vor dem noblen Gebäudekomplex. Amber bezahlte und stieg dann aus. Während der Fahrt hatte sie bemerkt, dass der Fahrer sie immer wieder durch den Rückspiegel beobachtete.

Sie konnte sich denken weshalb.

Doch es war ihr egal.

Langsam stieg sie die Treppen in Richtung des Häusereingangs empor und öffnete die große, gläserne Tür. Normalerweise ging sie zu Fuß bis zur achten Etage, doch heute war ihr nicht danach und deshalb ergab sie sich der Bequemlichkeit und fuhr mit dem Aufzug. Amber lehnte sich an die kühlen, eisernen Wände der Fahrstuhlkabine und wartete.

Nachdem sie ausgestiegen war, suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel. Dabei rutschte ihr auch der Zettel mit der Telefonnummer von Alex zwischen die Hände und sie schmunzelte leicht.

Sie öffnete die Wohnungstür. Es war still, doch stieg ihr der angenehme Duft von frischem Kaffee in die Nase und ließ sie beinahe sehnsüchtig an das denken, was in der letzten Nacht geschehen war.

Amber ahnte wo ihre Eltern waren und deshalb ging sie instinktiv in Richtung Küche.

Die Tür war angelehnt und deshalb schob sie diese mit einer sanften Handbewegung auf.

Anfänglich schienen Dana und Fox ihre Anwesenheit gar nicht zu bemerken.

,Hey... ', stieß Amber mit heiserer Stimme hervor.

Ihre Eltern sahen zu ihr auf. Fox begann Amber anzugrinsen, nachdem er sie von oben bis unten gemustert hatte und deutete mit einem Klopfen auf den Stuhl neben ihm an, dass sie sich doch setzen solle, was sie auch nach kurzem Zögern tat.

Die Blicke ihrer Mutter verrieten so gut wie gar nichts und deshalb sah Amber auch, so gut sie konnte, stur weg. Sie stützte die Ellbogen auf der Tischplatte ab, lehnte sich ein Stückchen nach vorne und griff sich dann mit beiden Händen in den Nacken, den sie leicht zu kneten begann.

,Muss eine ziemlich lange und wilde Party gewesen sein, auf der du warst.' stellte ihr Vater beinahe fragend fest, in der Hoffnung Details von seiner Tochter zu erfahren.

,Es war nett. Sehr nett sogar und besser als ich dachte.' antwortete Amber und konnte dabei ein Lächeln nicht unterdrücken, denn sie musste sofort wieder an Alex denken.

,Hast du bei Suri übernachtet?' fragte Dana mit eindringlicher Stimme, doch schien es fast so, als würde es sie nur wenig interessieren.

Diese Frage löste einen plötzlichen Zwiespalt in Amber aus und sie überlegte, ob sie die Wahrheit sagen oder lügen sollte. Doch hatte sie bisher mit der Erkenntnis gelebt, dass alle Lügen zur Wahrheit führten und deshalb entschied sie sich für eine ehrliche Antwort.

Sie nahm die Hände aus dem Nacken und fing an mit den Fingerspitzen scheinbar Muster auf den Tisch zu zeichnen. In ihrem Bauch fing es an zu kribbeln und sie atmete tief ein.

Dana hatte inzwischen den Kopf gehoben, zog eine Braue hoch und wartete auf das, was Amber sagen würde. Fox sah über die Seiten der Zeitung hinweg, direkt zu seiner Tochter.

,Nein, ich habe bei jemand anderem geschlafen.' antwortete sie und fügte fast flüsternd hinzu: ,Bei einem Mann.'

,Einem Mann? Seit wann bist du denn wieder vergeben?' wollte Dana mit einem Hauch von Erschrockenheit von ihrer Tochter wissen.

Ambers Körper durchzogen schlängelnde Bewegungen, während sie vor sich herstarrte. Nach einer langen Pause entgegnete sie dann:

,Wir haben uns dort auf der Party kennengelernt. Und, na ja, … er war mir sofort sympathisch. Wir haben dann noch einen Kaffee zusammen getrunken und irgendwie die Zeit vergessen... Aber er ist wirklich großartig!'

Fox schien sich über das, was Amber sagte und wie sie zu gestikulieren versuchte, zu amüsieren und deshalb konnte er bald nicht mehr an sich halten und fragte schon fast lachend:

,Weißt du denn noch wie er heißt?'

Ein kalter Schauer durchzog sämtliche Adern ihres Körpers und plötzlich kochte eine unbändige Wut in ihr hoch.

,Für was haltet ihr mich eigentlich gerade? Ihr tut ja geradezu so, als wäre ich eine Nutte, nur weil ich etwas zerzaust nach Hause gekommen bin!'

Nachdem sie dies gesagt hatte, fuhr sie fort und ergänzte trocken:

,Seine Name ist Alex Krycek!'


Stille. Undurchdringlich eisige Stille lag plötzlich im gesamten Raum und das vorher breite Grinsen im Gesicht Ambers Vaters war verschwunden. Auch Dana wirkte wie versteinert.

,Was ist? Was soll das?' fragte Amber irritiert.

In diesem Moment beugte sich Ambers Mutter leicht über den Tisch und antwortete zischend:

,Alex Krycek ist ein mieser Schweinehund. Ein Mörder.'

Ihr Mund wurde trocken und ihr Herz begann schmerzend zu pochen, denn sie konnte und wollte nicht glauben was sie gerade gehört hatte.

Vielleicht irrten sich ihre Eltern.

Nein, sie konnte ihn nicht meinen. Dazu war die letzte Nacht zu intensiv und zu voll von innigen Gefühlen gewesen.

Amber sank ein Stück weit unterhalb des Tischs und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

,Kommt schon, das ist ein übler Scherz, den ihr euch soeben ausgedacht habt, um mich aufs Korn zu nehmen. Weshalb solltet ihr sonst gerade jetzt mit solch einer Wahrheit rausrücken und habt das nicht schon früher getan. Nehmt's mir nicht übel, aber ich glaube so langsam wirklich, dass euch die Arbeit an den X-Akten nicht gut tut.'

In der Vermutung mit einer derartigen Äußerung gerade doch zu weit gegangen zu sein, stand sie auf und verließ fluchtartig die Küche, rannte in ihr Zimmer, schlug die Tür hinter sich zu und schloss ab.

Unzählige Emotionen durchspülten jede Vene, jede Zelle ihres Körpers. Erstaunen. Verwunderung. Verachtung. Wut. Unbändiger Hass und tiefe Enttäuschung.

Sie musste weg von hier. Brauchte jemanden mit dem sie reden konnte. Suri.

In Windeseile zog sich Amber um und packte alle notwendigen Sachen in eine Reisetasche. In ihrem Kopf jagte ein Gedanke den anderen. In ihrem Körper überschlugen sie unzählige Emotionen.

Hektisch öffnete sie die Tür ihres Zimmers. Im Wohnzimmer des Apartments warteten ihre Eltern. Beide hatten die Arme vor der Brust verschränkt und sahen ihre Tochter beinahe fassungslos an.

Eiligen Schrittes und ohne die Beiden eines weiteren Blickes zu würdigen, lief Amber an ihnen vorbei. Sie öffnete die Wohnungstür, blieb stehen. Hielt einen Augenblick lang inne, drehte sich um und sagte lautstark:

,Haltet Euch gefälligst raus aus meinem Leben, okay?!'

Nachdem sie die Tür mit einem Knall zugeschlagen hatte, wurde es still in ihrem zu Hause.

Fox nahm Dana, die den Tränen nahe war, in die Arme und versuchte sie mit dem Hauch von Humor zu trösten, indem er feststellte:

,Sie zeigt bereits Nerven.'

,Wie kannst du in solch einer Situation noch witzig sein?' fragte sie und ihre Stimme versagte, als sie sich weinend an seine Brust presste.

Amber erreichte ihr Auto und warf die Tasche auf den Rücksitz. In ihrem ganzen Leben empfand sie noch nie eine solch starke Wut wie an diesem, doch eigentlich viel zu schönen und sonnigen, Sommertag.

Genau so gereizt und aggressiv wie sie sich fühlte, war auch ihr Fahrstil und es grenzte schon fast an einem Wunder, dass sie wenig später bei Suri eintraf.

Ihr ganzer Körper zitterte als sie den schmalen Weg zur Wohnungstür des Hauses ihrer Freundin entlang lief.

Sie klingelte und klopfte abwechselnd. Der Augenblick, bis Suri öffnete, schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Dann sah sie ihr Gesicht. Ihr sanftmütiges Lächeln.

,Was ist denn los Amber? Was ist so schlimm, dass du es mir nicht am Telefon sagen konntest?'

Es war das erste Mal, dass sie sie derart aufgelöst sah und noch bevor sie antworten konnte, fiel sie Suri schluchzend in die Arme.

Diese drückte Amber fest an sich.

,Ist ja schon gut.' versuchte sie ihre Freundin zu beruhigen und strich durch ihr tizianrotes Haar.

Es dauerte bis Amber ihre Fassung wiedererlangt hatte. Suri hatte eine Decke um ihre Schultern gelegt und brachte ihr eine Tasse Tee. Dann ließ sie sich langsam auf die jadegrüne Couch sinken.

,Also, was ist genau geschehen, das so schrecklich war?'

Amber versteckte ihr Gesicht in ihren Händen und fing an zu erzählen.

Zwischendrin unterbrach Suri ihre Freundin und bemerkte, dass dieser Alex selbst für ihren Geschmack ein extrem heißer Typ gewesen wäre und konnte sich ein Kichern dabei nicht verkneifen. Amber erhob den Kopf, kniff die Augen zusammen und fuhr Suri leicht an.

,Kannst du mich bitte ausreden lassen! Genau um diesen Alex geht es und genau deshalb ist ja alles innerhalb weniger Minuten dermaßen eskaliert.'

,Wieso denn? Was hat er getan?'

Amber schüttelte den Kopf.

,Eigentlich muss es heißen, was ich getan habe. Ich war so blöd und dachte, ich müsse meine Eltern an diesem Erlebnis teil haben lassen.'

Suri zog die Brauen nach oben.

,Was meinst du? Ich verstehe nicht ganz worauf du hinaus willst.'

Dann schwieg sie und lehnte sich zurück.

,He, nein, warte. Du willst doch nicht etwa sagen, dass ihr es miteinander getan habt?!'

Ihr blieb der Mund offen stehen. Sie brauchte einige Sekunden, um sich wieder zu besinnen, bevor sie weiter sprach:

,Amber, das ist so untypisch für dich! Ich meine, ihr kennt euch doch gar nicht. Habt euch gestern zum ersten Mal gesehen. Du misstraust doch sonst jedem und alleine die Skepsis wurde dir schon von klein auf an in die Wiege gelegt. Oder hat er dir vielleicht etwas ins Getränk getan, um dich willenlos zu machen?'

Sie grub sich noch mehr in die Decke ein. Amber fröstelte, atmete langsam ein und aus. Dann schaute sie zu Suri und sagte nichts weiter.

,Also hattet ihr Sex?'

Keine Antwort kam über Ambers Lippen. Sie wandte ihren Blick ab und starrte für einen Moment ins Nichts.

,Er ist ein Mörder und Lügner.' entgegnete sie Suri, so als glaubte sie selbst nicht an das, was sie sagte.

,Wer behauptet denn so etwas?' wollte ihre Freundin wissen.

,Na wer wohl? Die Beiden, die sich seit meiner Geburt in ein großes Schweigen gehüllt haben und mich dann mit den unglaubwürdigsten Wahrheiten konfrontieren. Ich glaube ihnen nicht und meiner Mutter traue ich ohnehin noch weniger als all den Anderen. Ich mache ja alles falsch und alles was schief geht, liegt grundsätzlich an mir. Wahrscheinlich gönnt sie mir deshalb noch nicht einmal dieses Glück.'

,Du glaubst also, dass sie dich angelogen haben?' fragte Suri und es war das erste Mal, dass Amber so etwas wie Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit in dem Gesicht ihrer Freundin erkannte.

Sie zuckte mit den Schultern und griff dann nach ihrer Tasse, von der sie einen Schluck Tee trank, bevor sie antwortete:

,Ich weiß es nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass Alex so ist. Andererseits kenne ich ihn ja überhaupt nicht. Aber er war so nett, so liebe- und verständnisvoll. Ich hatte das Gefühl er verstünde mich und ich bräuchte mich nicht zu verbiegen. Weißt du, das ist es wonach ich mich sehne. Einfach mal nichts sagen oder erklären zu müssen und trotzdem verstanden zu werden.'

,Und was soll ich dir jetzt raten?' fragte Suri und stütze ihren Kopf auf den Händen.

Amber stand auf und ging zum Terrassenfenster. Sie sah in den Himmel, der nun mehr und mehr von Wolken bedeckt war. Sie hauchte an die Scheiben und zeichnete die Form eines Herzens, dann antwortete sie:

,Lass mich einfach für eine Weile bei dir wohnen! Ich will nicht zurück in dieses zu Hause. Vielleicht wäre es nie so weit gekommen, hätte ich nicht sämtliche Angebote für Apartments abgelehnt. Aber irgendwie konnte ich den Gedanken nicht ertragen nach meiner letzten Trennung vollkommen auf mich allein gestellt zu sein. Wobei Schläge nichts ist, was einen verbinden sollte. Schon gar nicht als Paar.'

Amber seufzte.

,Ich weiß.' sagte Suri mit einfühlsamer Stimme, denn sie war die Einzige, die von der körperlichen Gewalt aus Ambers vorheriger Beziehung wusste und sie schätzte es, dass ihre Freundin ihr derart vertraute.

Dennoch hatte sie Schwierigkeiten nachzuempfinden, wie Amber sich so blind auf jemand Fremden einlassen konnte.

Sie fühlte sich schuldig und verantwortlich. Trotzdem erahnte sie, dass alles wonach sich ihrer Freundin sehnte, was sie sich wünschte, Zuneigung war.

Auch Suri stand auf und trat langsam hinter Amber. Sie tippte ihr auf die knochige Schulter.

,Was würde ich nur ohne dich machen?' fragte sie mit dünner Stimme und ihre Augen füllten sich erneut mit bitteren Tränen.

Sie nahmen einander in die Arme und drückten sich so fest sie konnten.


Am anderen Ende von Washington D.C. spielte sich ein ähnliches Szenario zwischen Ambers Eltern ab. Inzwischen war jegliches Sonnenlicht von riesigen Wolkentürmen verschlungen worden. Ein Tag, der so schön begann, endete in einem Dilemma.

Dana stand am Fenster des Wohnzimmers und sah schweigend in die Ferne. Sie fühlte sich schlecht. Zerrissen und unendlich traurig. Fox legte seine warmen Hände auf ihre Schultern. Sie schluckte schmerzhaft.

,Denkst du, dass wir ihr alles hätten erzählen sollen? Alles was damals geschah? Alles was unsere gemeinsame Arbeit im FBI angeht?'

,Du meinst die Wahrheit?' fragte Fox und blickte in die Häuserschluchten.

,Ja. Vielleicht würde mich dann meine eigene Tochter nur halb so sehr hassen.' brach es aus Dana hervor, bis sie unter Tränen fortfuhr:

,Ich kann nicht verlangen, dass sie mir alles erzählt, wenn ich es selbst nicht tat. Seit ihrer letzten Beziehung hat sie sich vollkommen verändert. Ich denke, dass da mehr war, aber... Und dann musste sie an diesen Krycek geraten. Ich kann und will nicht glauben und akzeptieren, dass das tatsächlich geschehen ist. Mit unserem Schweigen haben wir eigentlich nur eines geschürt. Ihr Misstrauen. Weißt du wie leid es mir jetzt tut, dass ich so zu ihr war. Sie angeschrien habe, wenn sie etwas tat, was ich nicht verstand?'

Auch Fox fühlte sich unendlich schuldig und wusste nicht was er sagen sollte. Er konnte nur eins tun. Dana an sich drücken, um sie spüren zu lassen, dass sie nicht alleine war...
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