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Weird Behaviour

von SushiFreak

Kapitel 1

Scully saß auf ihrem Sofa in einer Ecke. Seit sie nach Hause gekommen war, hatte sie sich dort nicht mehr weg bewegt – und das war nun schon über eine Stunde her – aber sie musste nachdenken, einfach nur nachdenken.

Völlig verstört und ohne etwas wahrzunehmen war sie aus dem Büro gestürmt, zu ihrem Wagen in der Tiefgarage der FBI-Zentrale und nach Hause gefahren. Sie konnte sich zwar nicht mehr daran erinnern gefahren zu sein – und irgendwo in ihrem Gehirn leuchteten deshalb auch alle Alarmglocken – aber ihre Gedanken hingen an einer ganz anderen Stelle des heutigen Tages, der eigentlich ganz normal begonnen hatte...

Sie verstand es nicht, verstand ihre eigene Reaktion nicht und machte sich Gedanken um Mulder. Was dachte er jetzt über sie? Wahrscheinlich, dass sie verrückt geworden war. Und das musste sie auch, so wie sie ausgerastet war.

Dabei hatte er sie doch nur an ihrem Arm zu sich hergezogen, weil er ihr etwas zeigen wollte. Doch sie... Sie fing an zu schreien und hätte Mulder fast geschlagen. Wobei er es seinem eigenen Glück zu verdanken hatte, dass er gerade noch rechtzeitig die Arme hochgerissen hatte. Nach einer Schrecksekunde wurde sie sich dessen bewusst, was sie getan hatte, und ohne ein weiteres Wort war sie aus dem Büro gestürmt.

Jetzt saß sie hier und verstand die Welt nicht mehr. Was war nur mit ihr los? Warum hatte sie auf eine einfache Berührung ihres Partners nur so reagiert?

Ein zaghaftes Klopfen an ihrer Wohnungstür riss sie aus ihren Gedanken. Zuerst reagierte Scully nicht, doch als sich das Klopfen wiederholte, stand sie auf und blickte durch den Spion in ihrer Tür. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete einmal tief durch, bevor sie die Tür öffnete.

„Hey, Scully“, begrüßte er sie in sanftem Tonfall. Scully stand in einer abwehrenden Haltung, die Arme um sich geschlungen da, antwortete ihm nicht. „Ich war nicht sicher, ob ich herkommen sollte.“ Noch immer gab Scully keine Antwort. Sie wusste nicht, was sie hätte antworten können. „Kann ich rein kommen?“ Sie trat einen Schritt zur Seite, um ihn herein zu lassen, immer darauf bedacht, dass sie sich nicht zu nahe kamen.

Endlich fand Scully einen Anfang. „Mulder, ich weiß nicht, was da vorhin passiert ist. Ich kann es mir nicht erklären. Sie sind mein Partner und es gibt keinen Grund für mich so zu reagieren und trotzdem habe ich so reagiert. Es tut mir leid, Mulder. Habe ich Sie verletzt?“ Als sie einmal angefangen hatte, sprudelte alles nur so aus ihr heraus und Mulder hatte Mühe ihr zu folgen. Er hatte das starke Bedürfnis, sie jetzt in den Arm zu nehmen und sein Körper zuckte auch schon in die Richtung, doch er hielt sich zurück. Wenn eine kleine Berührung schon so eine Reaktion hervorrufen konnte, wie heute im Büro, dann würde er die Wohnung nicht mehr lebend verlassen können, wenn er sie umarmte.

„Scully“, begann er sachte. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Es geht mir gut. Um wen ich mir Sorgen mache, das sind Sie.“ Er blickte ihr direkt in die Augen und war erstaunt, dass sie ihm so lange standhielt, bis sie schließlich den Blick senkte. Was er in ihren Augen gesehen hatte, beruhigte ihn keineswegs, es lagen so viele Emotionen darin, dass es ihn ängstigte. „Wollen wir uns nicht setzen?“

Scully nickte und ging um das Sofa herum. Während Mulder sich an das Ende nahe der Wohnungstür setzte, verkroch sich Scully wieder in der gegenüberliegenden Ecke, wo sie noch vor ein paar Minuten gesessen hatte, und als ob dieser Platz Scully in ein Loch fallen lassen würde, saß sie wieder in Gedanken versunken da.

Mulder überlegte, wie er anfangen sollte. Das Benehmen seiner Partnerin war nicht nur merkwürdig, nein, es beunruhigte ihn mehr als alles andere. Wenn sie sich sonst irrational verhalten hatte, hatte sie immer einen Grund gehabt, auch wenn er ihn nicht unbedingt nachvollziehen konnte, doch wenn er das richtig aus ihrem Wortschwall herausgefiltert hatte, dann wusste sie dieses Mal selbst nicht, was mit ihr los war.

„Dana?“ Sie hob den Kopf ein wenig, was ihm zeigte, dass sie zuhörte. „Darf ich Sie berühren?“ Scully war etwas verwirrt von dieser Frage und betrachtete die Hand, die Mulder ihr langsam entgegenstreckte. „Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.“ Mulder musste grinsen, doch Scullys Gesicht blieb ernst. „Dana, wovor hast du Angst?“ Sie konnte es nicht in Worte fassen, doch er konnte ohnehin in ihren Augen lesen, dass sie gerade die Szene im Büro noch einmal durchlebte.

„Dana, ich werde dir nicht weh tun. Du kannst mir vertrauen, das weißt du. Und ich vertraue dir, also bitte, nimm meine Hand.“ Er nickte zu seiner Hand, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Ganz bewusst hatte er sie mit ihrem Vornamen angesprochen, um wenigstens diese Distanz schon einmal zu überwinden. Zögernd streckte jetzt auch Scully ihre Hand aus und als sich ihre ersten Finger berührten, spürte Mulder den Kampf, der in seiner Partnerin tobte.

Eine Weile streichelte Mulder mit dem Daumen über Scullys Handrücken, bis sie ihre Hand wegzog und hörbar ausatmete. „Dana, was ist los?“, er rückte ein kleines Stück näher. „Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme war leise und klang fast schon verzweifelt, als sie diesen Satz ein paar Mal kopfschüttelnd wiederholte.

„Es muss doch irgendetwas passiert sein, Dana.“ Sie hob den Blick. „Ich kann mich nicht erinnern.“



***



Es war schwer für Mulder gewesen, Scully zu Dr. Abington zu bringen, nicht nur, weil sie seit jeher eine Abneigung gegen Psychologen und Hypnose hatte, sondern auch, weil Mulder gegen den inneren Drang ankämpfen musste, seine Hand auf ihren Rücken zu legen.

Doch schließlich hatte er sie überredet, indem er ihr erklärt hatte, dass sie so nicht weiter zusammenarbeiten konnten, wenn er jedes Mal mit einer Ohrfeige rechnen musste, wenn er sie nur flüchtig berührte und Scully hatte es schließlich eingesehen.

Mulder blieb während der Sitzung im Wartezimmer, da der Psychologe diese mit seiner Patientin alleine abhalten wollte. Er hatte ihm jedoch versichert, dass er das Band, das die ganze Zeit mitlaufen würde, später anhören könnte, wenn es Scully erlaubte.

Es dauerte etwa eine Dreiviertelstunde, bis sich die Tür wieder öffnete und Dr. Abington vor Mulder trat. „Ihre Kollegin braucht noch einen Moment. Sie hat mich allerdings gebeten, Ihnen das hier zu geben. Sie sollen es sich alleine anhören“, er reichte ihm eine Kassette. „Hat sie es sich denn schon angehört?“ „Ja“, war die knappe Antwort.

Der Psychologe führte Mulder in einen kleinen Raum, in dem ein Tisch, einige Stühle und an der einen Seite des Tisches ein Tonbandgerät standen. Er legte das Band ein, doch bevor er die Wiedergabetaste drückte, zögerte er.

Was würde er darauf zu hören bekommen? Es musste einen Grund haben, weshalb Scully im Sprechzimmer geblieben war und Mulder sich die Aufnahme alleine anhören sollte. Er versuchte all die schlimmen Szenarien aus seinem Kopf zu verbannen, die unwillkürlich hineingeströmt waren. Mit einem Kopfschütteln versuchte er sie loszuwerden und startete schließlich die Wiedergabe.

Eine ganze Weile hörte er nichts, bis er schließlich die Stimme des Psychologen vernahm, der Scully die gewöhnlichen Fragen nach bisherigen Hypnosesitzungen und so weiter stellte, bevor er mit der eigentlichen Hypnose begann.

Die Stimme seiner Partnerin war weich, fast schon quälend, als sie zu dem Tag zurückkehrte, in dem ihr irrationales Verhalten begründet lag. Schon nach wenigen Sätzen schien Scully die Erinnerung unangenehm zu werden und sie zog sich zu einem anderen Ort zurück. Es kostete den Psychologen einige Mühe, sie wieder zur Situation in ihrer Wohnung zu bringen, doch die Erinnerung schien ihr so unangenehm zu sein, dass sie bald wieder abschweifte und schließlich ganz aus der Hypnose aufwachte.

Auf dem Band war noch ein kurzes Gespräch zwischen Dr. Abington und Scully, in dem sie sich darüber unterhielten, ob sie die Hypnose wiederholen sollten, doch Scully weigerte sich dagegen und wollte sich die Aufnahme lieber anhören.

Mulder schaltete das Gerät wieder aus und saß einen Moment starr davor. Was er gehört hatte, hatte ihn nicht sehr viel schlauer gemacht, es hatte nur eine Befürchtung bestärkt, die er weder vor Scully noch vor sich selbst zugeben wollte. Er stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Einige Minuten saß er so da, ohne an etwas Bestimmtes zu denken, bis es an der Tür klopfte.

„Mulder, können Sie mich nach Hause fahren?“, seine Partnerin blickte ihn mit einem Gesichtsausdruck an, der irgendwo zwischen geistiger Abwesenheit und Sorge lag. „Natürlich“, antwortete er nur, steckte die Kassette in seine Jackentasche und verließ mit Scully die Praxis.



***



Es war schon fast zwölf, als Mulder seine Partnerin an ihrem Apartment absetzte.

Der Arzt hatte Mulder in einem Gespräch unter vier Augen empfohlen, Scully heute Nacht nicht alleine zu lassen. Zwar hatte er so einen Fall noch nie gehabt, aber gerade deshalb befürchtete er, dass seine Patientin von schweren Alpträumen geplagt werden könnte. Scully war wohl noch immer geschockt, denn sie realisierte gar nicht, dass Mulder den Wagen parkte und mit ihr zusammen ihre Wohnung betrat.

„Ich werde auf der Couch schlafen“, erklärte er sich kurz, was Scully aus ihrer geistigen Abwesenheit zurückkehren ließ: „Mulder, das ist nicht nötig. Sie können ruhig nach Hause fahren.“ Doch Mulder winkte ab. Ohne ein weiteres Wort zog er seine Schuhe aus und machte es sich auf dem Sofa bequem. Scully hatte keine Lust sich zu so später Stunde mit ihm zu streiten und verließ mit einem Schulterzucken das Wohnzimmer.

Sie brauchte nur wenige Minuten im Bad bis sie sich ihren Pyjama übergezogen hatte und sie sich schlafen legte. Sie hätte es zwar nie zugegeben, aber sie war froh, zu wissen, dass Mulder in der Nähe war, falls sie ihn brauchen sollte.



***



Mulder schreckte aus seinem ohnehin unruhigen Schlaf auf, als er Scully schreien hörte und mit wenigen Schritten war er schon in ihrem Schlafzimmer, wo er sich vor ihr Bett kniete und einen Arm auf der Matratze abstützte.

Scully hatte bereits die Nachttischlampe eingeschaltet und Mulder sah, dass sie nass geschwitzt war und ihr Haar an ihrem Kopf klebte, ihre Augen waren weit aufgerissen. „Dana?“, fragte er leise und Scully griff nach seinem Arm. Er befürchtete schon, dass er gleich wieder geschlagen würde, doch das Gegenteil passierte, denn Scully fiel ihm um den Hals und schluchzte an seiner Schulter.

Beruhigend strich Mulder über ihren Rücken, bis sie sich einigermaßen gefasst hatte und löste sich dann von ihr, doch Scully hielt sich fest. „Bitte, bleiben Sie hier“, sie sagte es so leise, dass er sich nicht einmal sicher war, dass sie es überhaupt gesagt hatte. „Ich bin gleich nebenan im Wohnzimmer.“ „Nein, bleiben Sie hier.“

Er nickte nur, und kletterte über Scully, die immer noch seinen Arm festhielt auf die andere Seite des Bettes, wo er dann die Decke, unter der Scully lag, höher zog, während er sich selbst auf die Decke legte.

Scully kuschelte sich mit ihrem Rücken ganz nah an ihren Partner, der seinen Arm um sie geschlungen ließ und sie festhielt. „Scully“, flüsterte er, sein Mund ganz nah an ihrem Ohr. „Ich werde nicht zulassen, dass Ihnen etwas geschieht – dass ihnen noch etwas geschieht. Sie sind alles, was ich noch habe.“

Scully drehte sich in seinem Arm um, so dass sie ihn ansehen konnte. Sie war ihm stets dankbar, wenn er für sie da war – auch wenn sie es nicht unbedingt immer zugab. Noch bevor sie etwas sagen konnte, gab er ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlafen Sie jetzt. Ich bleibe hier.“ Darauf schloss Scully die Augen, drehte sich wieder auf die Seite und schlief ein.



Als Sie das nächste Mal aufwachte, war es schon hell und wie sie sich umdrehte, stellte sie fest, dass das Bett neben ihr leer war. Noch im gleichen Moment hörte sie Geräusche aus der Küche. Sie stand auf, zog ihren Morgenmantel über und ging langsam Richtung Küche. Schon im Flur roch sie Pfannkuchen und als sie um die Ecke blickte, stand da Mulder mit ihrer Kochschürze und der Pfanne in der Hand. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er Scully gar nicht bemerkte, die ihn grinsend beobachtete. „Guten Morgen“, meldete sie sich schließlich, weshalb Mulder fast die Pfanne aus der Hand fiel.

„Guten Morgen, Scully. Haben Sie gut geschlafen?“, er hatte sich ziemlich schnell wieder gefasst. „Ja, danke.“ Es fühlte sich merkwürdig an, ihren Partner hier morgens in ihrer Küche stehen zu sehen, nachdem er bei ihr geschlafen hatte. „Ich hoffe, ich habe sie nicht geweckt“, riss er sie aus ihren Gedanken. „Ich habe Frühstück gemacht. Setzen Sie sich!“

Scully setzte sich und betrachtete den Frühstückstisch; scheinbar hatte ihr Partner sämtliche Regale geplündert und Rührei, Toast, Pfannkuchen und noch einige andere Sachen, die Scully auf den ersten Blick gar nicht aufnehmen konnte, füllten den Tisch. „Mulder, das wäre aber nicht nötig gewesen.“ Doch Mulder schien in seinem Element. „Fangen Sie ruhig an, ich bin sofort fertig.“

Scully probierte von allem etwas und nahm sich von einigem auch noch etwas mehr, denn, obwohl sie es nie erwartet hätte, musste sie zugeben, dass es köstlich war. Nachdem sie, ohne viele Worte gewechselt zu haben, mit dem Frühstück fertig waren, wollte Scully nun den Tisch abräumen, doch Mulder nahm ihr die Sachen aus der Hand. „Machen Sie es sich auf der Couch bequem oder gehen Sie duschen, das hier übernehme ich.“ Scully zweifelte zwar ein wenig an Mulders Fähigkeit aufzuräumen, doch sie gab klein bei und ging duschen.

Eine halbe Stunde später kam sie mit noch nassen Haaren aus dem Bad und traute ihren Augen nicht, denn sie fand eine ordentliche Küche vor und Mulder, der auf dem Sofa saß. Sie fragte sich, warum er in seiner eigenen Wohnung nie Ordnung hielt, denn offenbar wusste er ja, wie man aufräumte.

Mulder, der Scullys Blick bemerkte, meldete sich zu Wort: „Ich habe auch wieder aufgeräumt.“ „Ja, das sehe ich.“ Sie ging zu Couch und setzte sich wieder an die gleiche Stelle, an der sie auch am Tag zuvor gesessen hatte, doch dieses Mal war sie nicht so verkrampft. Sie betrachtete die Hände in ihrem Schoß, als Mulder sanft anfing: „Wollen Sie darüber reden?“

Sie nickte nur und suchte nach den passenden Worten mit denen sie anfangen konnte.

„Ich – ähm“, begann sie zögernd. „Ich kann mich immer noch nicht richtig erinnern; an das meiste nur, weil ich es mich selber sagen gehört habe – auf der Aufnahme...

Ich habe die Tür geöffnet, ohne durch den Spion zu sehen – ich weiß auch nicht, warum – und er ist hereingestürmt und hat mich auf den Boden gedrückt.“ „Wissen Sie noch, wie er ausgesehen hat?“, unterbrach Mulder sie leise und Scully hob kurz den Blick, um den Mulders für einen Moment zu suchen.

„An sein Gesicht kann ich mich nicht erinnern, aber er war kräftig. Er hat mich hier auf den Boden gedrückt und mir eine Spritze in meine Armvene gegeben“, instinktiv fasste sie sich an die linke Ellenbeuge und untersuchte sie, doch es war nichts zu sehen. „Es muss wohl ein Relaxans oder ein Tranquilizer gewesen sein, denn ich konnte mich kaum noch bewegen.

Dann erinnere ich mich nur noch, wie er mich ins Schlafzimmer getragen hat“, sie machte eine Pause. „Das war auch die Stelle, an der ich die Hypnose-Sitzung abgebrochen habe. Ich weiß nicht, warum, und ich kann mich auch nicht erinnern, was dann passierte.“ „Hmm“, Mulder nickte.

Sie wusste, dass er an ihrem Gesicht ablesen konnte, wie schwer es ihr gefallen war, ihm das selber zu erzählen, und es nicht auf der Bandaufnahme zu hören, doch es war leichter mit ihrem Partner darüber zu reden, als mit irgendjemand anderem, vor allem, da er es ja ohnehin schon wusste – wenn auch nicht direkt aus ihrem Mund.

Es ängstigte sie, dass sie nicht wusste, was dieser Mann mit ihr gemacht hatte, und dass sie sich an nur dieses Bisschen erinnern konnte. Ihre Erzählung hatte sie deshalb auch ziemlich nüchtern und in ihrem wissenschaftlich-objektiven Tonfall gehalten, doch jetzt, nachdem sie fertig war und Mulder keine Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, dachte sie über ihre Worte nach, bis ihr deren Bedeutung bewusst wurde und ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Ohne ein Wort und als ob er darauf gewartet hätte, rückte Mulder näher und zog sie in seine Arme. Er wusste, wie wichtig es war, dass sie realisierte, was passiert war, und dass sie es nicht als Traum oder Phantasie abtat. Scullys Tränen zeigten ihm, dass das eben passiert war und dass sie nun anfangen konnte, das Erlebte zu verarbeiten – auch wenn es bisher nur ein kleiner Teil war – so würde es für sie leichter werden. Er gab ihr einen Kuss auf ihr Haar und legte dann sein Kinn auf ihren Kopf. „Wir werden den Kerl finden. Und wir werden auch herausfinden, was er Ihnen angetan hat.“

Scully fand es angenehm in Mulders Armen zu liegen und zu wissen, dass er für sie da war und auf sie aufpasste, aber im Moment regte sich etwas in ihr, das sie sich aus seinen Armen lösen und ins Schlafzimmer gehen ließ.

Sie ließ einen ratlosen Mulder im Wohnzimmer zurück, als sie sich an das Kopfteil ihres Bettes setzte und ihre Arme um die angezogenen Beine schlang. Ein Teil von ihr wollte sofort zurück zu Mulder, wo sie sich wohl fühlte, doch ein anderer Teil hatte Angst davor, sich Mulder so hilflos und verletzlich zu zeigen, davor, dass er sie für schwach halten würde.

Es war die FBI-Agentin in ihr, die solche Gedanken hatte, die immer um Anerkennung kämpfte, um Respekt in einer Männerwelt und die sich Schwäche weder leisten konnte noch zugestehen wollte. In solch einem Fall würde man zwar selbst einem Mann erlauben, Schwäche zu zeigen, aber das hier war kein Fall und sie wollte auch nicht, dass Mulder ihn zu einem machte.

Sie hatte noch einige Zeit so ihren Gedanken nachgehangen, als Mulder an die Zimmertür klopfte. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn jetzt schon sehen wollte und antwortete ihm deshalb nicht, doch Mulder öffnete trotzdem die Tür. „Alles in Ordnung?“

„Mulder, ich muss Sie um etwas bitten.“ Mulder trat ein und hatte etwas Angst vor dem, was sie sagen würde, denn sie hatte den gleichen Blick aufgesetzt, den sie auch hatte, als sie ihm von ihrem Krebs erzählt hatte. Langsam setzte er sich an das Fußende des Bettes und wartete.

„Mulder, ich möchte nicht, dass Sie einen Fall aus dieser Geschichte machen und ich möchte auch nicht, dass das FBI etwas davon erfährt.“ „Aber Scully“, unterbrach er sie und seine Stimme war teils entsetzt, teils vorwurfsvoll. „Sie müssen diesen Kerl anzeigen, Sie müssen ihn vor Gericht stellen! Sie dürfen ihn nicht einfach so davon kommen lassen.“ „Und weswegen soll ich ihn anzeigen?“, im Gegensatz zur Stimme ihres Partners war ihre Stimme noch immer ruhig. „Ich kann mich doch an gar nichts richtig erinnern, weder an das, was passiert ist, noch daran, wer es war. Ebenso wenig weiß ich, wann es passiert ist. Mulder, ich werde ihn anzeigen, aber dann, wenn es so weit ist, und wenn ich weiß, warum ich es tue.“ „Aber Sie können ihn doch wegen Hausfriedensbruch anzeigen“, in seiner Stimme schwang jetzt so etwas wie Verzweiflung mit. „Und was ist mit allem anderen? Mulder, bitte, tun Sie mir den Gefallen, ich weiß schon, was ich tue.“

Mulder nickte nur. Nach einer Weile wechselte er das Thema: „Wir sollten uns heute auch noch im Büro blicken lassen. Ich warte im Wohnzimmer auf Sie.“ So verließ er das Schlafzimmer, damit Scully sich umziehen konnte.



***



Am Abend brachte Mulder Scully wieder nach Hause und wie selbstverständlich parkte er den Wagen und stieg mit ihr aus. Als er Scullys Blick bemerkte, die ihn etwas verwirrt anschaute, ging er grinsend zu seinem Kofferraum und holte eine gepackte Tasche heraus.

„Wenn Sie schon bestimmen, dass niemand davon erfahren darf, dann bestimme ich, dass ich, solange der Kerl noch frei herumläuft, bei Ihnen bleibe.“ „Mulder, haben Sie immer eine gepackte Tasche in Ihrem Kofferraum?“, ihre Frage klang völlig ernst, weshalb Mulders Grinsen noch breiter wurde. „Nein, die habe ich heute Nachmittag geholt, als Sie im Büro waren. Lassen Sie uns rein gehen.“



Mulder machte es sich wieder einmal auf dem Sofa bequem, als Scully ins Bett ging. Es dauerte eine Weile, bis er zur Ruhe kam, denn noch immer dachte er darüber nach, was seine Partnerin am Vormittag gesagt hatte, und versuchte ihre Beweggründe zu verstehen. Als sie an Krebs erkrankt war, hatte sie auch nicht gewollt, dass es im FBI die Runde machte, wahrscheinlich hatte sie jetzt denselben Grund. Damals ignorierte sie die Gedanken daran, dass ihr Krebs in ihrer Entführung begründet liegen könnte, weil sie sich nicht daran erinnern konnte und nun war schon wieder etwas mit ihr passiert, woran sie keine Erinnerung hatte.

Wie sollte er sich vorstellen können, wie sie sich fühlte? Als er vor fast sieben Jahren auf Ellens Air Base war, hatten sie ihm zwar auch sein Gedächtnis geraubt, doch er war selbst dafür verantwortlich gewesen. Hätte er nicht unbefugt diese Militärstation betreten, wäre ihm auch nichts passiert.

Aber Scully wurde in ihren eigenen vier Wänden angegriffen, nur seinetwegen hatte seine Partnerin schon so viel durchmachen müssen. Bei der Sache mit Duane Barry hatte er sich Vorwürfe gemacht, weil er ihr dieses Implantat gegeben hatte. Drei Monate lang hatte er weder Ruhe noch Schlaf gefunden, bis sie sie wieder zurückgebracht hatten.

Vor seinem inneren Auge sah er sie wieder in diesem Krankenhausbett liegen mit all den Schläuchen und Apparaten, mehr tot als lebendig und langsam stiegen ihm Tränen in die Augen. Er zwang sich dazu, wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren, Erinnerungen brachten ihn auch nicht weiter.

Er versuchte seine Gedanken zusammenzuhalten und zu denken wie ein Ermittler. Er musste das Motiv dieses Kerls herausfinden und auch, was er hier wollte, wenn er Scully helfen wollte. „Mulder?“, er zuckte zusammen. „Schlafen Sie schon?“ Er setzte sich auf und blickte in die Richtung aus der die schwache Stimme gekommen war.

„Nein.“ Scully stand einige Meter von ihm entfernt im Dunkeln ohne sich zu bewegen. Mulder stand auf und ging langsam ein paar Schritte auf sie zu, bis er ihre Hände in seine nehmen konnte. „Was ist passiert? Haben Sie schlecht geträumt?“ Sie gab ihm ein Nicken als Antwort. Er legte eine Hand auf ihren Rücken und schob sie in Richtung Schlafzimmer. „Kommen Sie, ich bleibe bei Ihnen.“

Mulder deckte sie zu und legte sich, wie schon die Nacht zuvor, neben ihr auf die Bettdecke. „Scully, wenn Sie sich hier nicht wohl fühlen, können Sie die nächste Zeit auch bei mir schlafen. Ich kann das verstehen. Packen Sie morgen einfach ein paar Sachen ein und dann müssen Sie erst wieder zurück kommen, wenn Sie dazu bereit sind.“ Scully drehte sich um, so dass sie Mulder ansehen konnte. „Danke, Mulder.“ Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn: „Sie brauchen den Schlaf. Machen Sie jetzt die Augen zu und träumen Sie etwas Schönes.“

Es war schon lange her, dass Mulder mit jemandem im Arm eingeschlafen war und das war nun schon die zweite Nacht, in der Scully sich an ihn kuschelte. Bei dem Gedanken, dass sie ab morgen in seinem Bett schlafen würde, während er sich mit seiner Couch begnügen musste, stimmte ihn etwas traurig. Nicht, dass er ungern auf seinem Sofa schlief, er schlief eigentlich die meisten Nächte dort, aber das zu tun, während eine hübsche Frau nur wenige Meter von ihm entfernt schlief, machte ihm zu schaffen.

Vor allem, wenn es sich bei dieser Frau um seine Partnerin handelte. Schon oft hatte er Andeutungen ihr gegenüber gemacht, was er für sie empfand, aber mehr als ein Kuss zu Silvester war nie daraus geworden. Doch da sie jetzt in einem psychisch instabilen Zustand war, würde er die Situation niemals ausnutzen. Sie vertraute ihm und vertraute auch darauf, dass er sie beschützte und bewachte, deshalb streichelte er auch nur beruhigend über ihren Oberarm, bis auch er eingeschlafen war.



***



Sie war erleichtert, dass sie ihre Tasche packen konnte und ihre Wohnung vorerst nicht wieder sehen musste. Sie hatte in den letzten Tagen immer ein komisches Gefühl in der Magengrube, sobald sie durch die Wohnungstür trat, das sie nicht einmal mehr einschlafen ließ – es sei denn, sie lag in Mulders Armen, dann schlief sie wie ein Baby.

„Es macht ihnen wirklich nichts aus, dass ich ein paar Tage bei Ihnen schlafe?“ „Nein, Scully, das habe ich Ihnen jetzt schon ein paar Mal gesagt. Ich schlafe ohnehin die meiste Zeit auf dem Sofa, dann können Sie auch mein Bett benutzen. Und wenn es Ihnen dann dadurch besser geht, tue ich das auch gerne.“

Scully lächelte Mulder dankbar an. Sie war froh über den Tapetenwechsel und vielleicht würde sie in ein paar Tagen, wenn sie ihre eigene Wohnung eine Zeit lang nicht gesehen hatte, diese wieder gern betreten. „Dann fahren wir also nach der Arbeit gleich zu Ihnen?“ „Wenn Sie nichts vergessen haben, ja.“



Die Arbeit ging an diesem Tag gleich viel leichter von der Hand und Scully freute sich schon auf den Feierabend. Sie hoffte, dass sie endlich wieder eine Nacht ohne Albträume verbringen konnte, obwohl es ihr nicht unbedingt unangenehm war, wenn Mulder neben ihr schlief. Sie war in der letzten Nacht ein paar Mal aufgewacht und hatte ihr Bett abgetastet, bis sie Mulder gefunden hatte und war erst wieder eingeschlafen, nachdem sie ihn kurz im schwachen Licht, das von der Straßenlaterne ins Zimmer geworfen wurde, beobachtet hatte.

Natürlich hatte sie Mulder nichts davon erzählt und sie hoffte auch, dass er es nicht mitbekommen hatte, denn sie wollte nicht, dass er sich noch mehr Sorgen um sie machte, als er es wahrscheinlich ohnehin schon tat.

An diesem Abend betrat sie Mulders Wohnung mit einem komischen Gefühl im Bauch. Sie war schon so oft hier gewesen, auch zu den unmöglichsten Zeiten, aber noch nie war sie hergekommen, um über Nacht – geschweige denn für mehrere Nächte – zu bleiben. Sie fühlte sich ein wenig wie ein Eindringling und auch Mulder schien sich etwas unwohl zu fühlen, denn er tippelte von einem Bein aufs andere, als er Scully ihre Sachen abnahm und sie ins Schlafzimmer brachte.

„Ich gehe mich schnell etwas frisch machen!“, erwiderte sie nur kurz und verschwand im Badezimmer. Sie spritze sich etwas Wasser ins Gesicht und schaute hoch in den Spiegel, doch sie konnte nichts sehen. Ihr wurde schwarz vor Augen.
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